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Das achte Capitel.


»Schlag Bürger todt! Schlag Bauer todt!«
Hilf Gott der Stadt in solcher Noth!
O blut'ger Tag! am Ohrefluß
Der Städter Banner sinken muß.
Die Führer jagen von dem Plan,
Dem Leut'nant folgt der Capitan.
»Flieh' Magbeburg!« geht schnell der Schrei;
Gott schütze seine Canzelei!
Es jauchzt der Feind: »Gewonnen All'!«
Der Meister Lotther kommt zu Fall.

Zwischen Hillersleben und dem Lager der Magdeburger lag das Feld wieder still da. Alle streifenden Haufen, alle Kundschafter hatten sich zurückgezogen. Unter der Stadt Banner stand jetzt jeder Mann, Bürger, Bauer und Landsknecht in seinen Waffen da, des Kommenden gewärtig; Niemand brauchte sich mehr den Schlaf aus den Augen zu reiben. Leise schlich die Ohre durch den Nebel dahin; im Osten erschien ein bleichrother Schein; es wurde heller; zwei Stunden vor Aufgang der Sonne war's.

Noch einmal hielten die Führer Gemeinde und Rathschlag; man verharrte bei dem Beschluß des vergangenen Tages: dem Feinde im freien Felde unter die Augen zu ziehen und seinen Angriff im Vertrauen auf Gottes Hilf' und Beistand abzuwarten. Man stärkte nach Nothdurft den Leib zum schweren Werke; dann rückte man still vor gegen Hillersleben. Nur die Anführer sprachen jetzt noch mit voller Stimme; durch die Haufen des Volkes ging kaum ein leises Geflüster.

In der Rotte des Markus Horn sagte der rothe Pfeffer zu dem großen Lügner Jochen Lorleberg:

»Heiliges Wetter, wenn ich jetzo den Schuft, den Beutelschneider, den Dieb, den Galgenvogel, den Heinz Timpe vor diese Hellebard' kriegt'! Ich weiß, der Lump ist drüben geblieben; – jetzt könnt' ich ihn bezahlen für seine falschen Würfel und sein frech' Maul!«

»Halt Du Dein's, Narr!« brummte der lange Heinz Bickling. »Der Magister sieht sich um – halt den Rand vor dem Feind. Nachher, wenn das Faß angezapft ist, magst Du schwatzen und schreien nach Herzenslust.« –

»Da nehmt einen Schluck, Gevatter Besselmeier«, sprach Michael Lotther zu dem Geschichtschreiber Sebastian, indem er ihm ein umsponnenes Fläschlein reichte. »'S ist gut gegen die Morgenkühle. He, he, die Prahlhänse da drüben zu Hillersleben! 'S ist wohl eine große Kunst, Dörfer zu verbrennen und wehrlose Bauern im Feld zu jagen! Horcht nur, Gevatter, mit ihren Trommeln und Drommeten rasaunen sie genug; aber blicken läßt sich Keiner! Was meint Ihr?«

»Jeder thu' jetzo seine Pflicht, und – vorwärts im Namen Gottes; – Verzeihung, Meister Hasenreffer, ich hab' Euch wohl eben auf den Hacken getreten?«

»Thut nichts, ich geb's weiter!« sprach der Schlächtermeister, den wir im ersten Capitel kennen gelernt haben, und welcher jetzt, mit einer gewaltigen Mordaxt über der Schulter, im Heere der Stadt dahinzog.

»Wo ist der Schulze von Schnarsleben?« fragte im Zuge der Bauern eine Stimme.

»Hier!« antwortete ein Graukopf, welcher, mit einem Zweihänder bewaffnet, seiner Gemeinde voranschritt.

»Sein Junge liegt am Wege, Schulze«, sagte die erste Stimme wieder. »Er kann nicht mit, er muß verbluten an der Kugel von vorhin. Sie haben ihn vom Wagen abgethan.«

Ein anderes Dorf drängte die Leute von Schnarsleben weiter, und was aus dem Sohne des Schulzen geworden ist, kann der Erzähler nicht sagen. –

»Halt!« tönte es im Heere der Stadt Magdeburg, als man über die Hälfte des Weges im Feld zwischen Hillersleben und Wolmirstädt hinaus war.

Schlachtordnung wurde gemacht, dem Feind entgegen. Einen Halbkreis bildete die Wagenburg mit ihrem Geschütz; viel zu eng geschlossen, wie sich nachher auswies. Voran unter ihren Fahnen standen die Bürger und die Knechte; in das Hintertreffen wurde das unzuverlässige Hilfsvolk der Bauern verordnet, da die Führer erachteten, daß dasselbe allda nicht dem ersten Angriff ausgesetzt sei und so der Sache der Stadt am wenigsten zum Schaden gereichen möge. Auf die Flügel waren die drei Geschwader Reiter, die mit ausgezogen waren, vertheilt.

Die Hakenbüchsen auf den Rennwagen, die elf großen Geschütze, alle Feuerröhre, Spieße, Hellebarden waren gegen das Kloster und Dorf Hillersleben gerichtet.

Von dort her klirrten die Waffen, klang der Kriegsruf immer wilder herüber. Die Trompeten der Reisigen schmetterten, es wirbelten die Trommeln und Heerpauken. Nach wüst durchschwärmter, schlaflos hingebrachter Nacht saß Herr Jürg von Mecklenburg mit seinen Hauptleuten und Rittern längst in voller Rüstung zu Roß; schimpfend, spottend, fluchend über die Magdeburg'schen Pfeffersäcke, das Bauerngesindel, so Alles nicht werth sei, daß er sein fürstlich Schwert gegen solch' Pack erhöbe, daß er seine stolze Lanze gegen es einlege, daß er sein Banner dagegen wehen lasse. Halbtrunken fluchte, schimpfte, spottete mit ihm sein Heer, und Gott gab in die Hände der Schwelger, Mörder und Mordbrenner das ausgezogene Volk der Stadt Magdeburg, auf daß aus erster blutiger Niederlage der Glaubensmuth, die fromme, treue Tapferkeit sich desto heller, leuchtender erhebe.

Am Ausgang des Dorfes hielt der Herzog und sah seine Rotten an sich vorüberziehen. Mit wildem Lachen forderte er sie auf, Niemandem außer den Landsknechten Gnade zu verleihen, keinem Bürger und Bauer Pardon zu geben. Der Landsknechte möge man schonen, – schrie er – das sei damit ein Anderes, da gelte: heute mir, morgen dir. Er wußte, daß er nach gewonnener Schlacht die Auswahl unter den gefangenen wilden Gesellen haben würde.

Als die letzten Schaaren vorüber waren, sprengte der herzogliche Taugenichts wieder an die Spitze, und bald hatten die Magdeburger die Reihen der Feinde vor Augen.

Der zwischen dem Leutnant Schwartze und dem Hauptmann Springer getroffenen Verabredung gemäß war Markus Horn mit seiner Rotte an die gefährlichste Stelle, wo der Hauptmann den Hauptangriff des Feindes vermuthete, an die Lücke in der Wagenburg, wo das Geschütz stand, beordert, und mit der größesten Freude hatte er diesen Platz eingenommen. Er war ja so recht in der Stimmung, sich nach einer schnell allem Erdenjammer ein Ende machenden Kugel, nach einem guten Partisanenstoß oder Fausthammerschlag zu sehnen. Es sollte aber anders kommen, als der Hauptmann Springer vermuthet hatte. Die gefährlichste Stelle der Schlachtordnung sollte zur gefahrlosesten werden, der Stadt Magdeburg zum grenzenlosesten Leid und Schaden.

Es war gegen sieben Uhr; näher bewegte sich der Feind, jedes Herz schlug höher, die entscheidende Stunde war gekommen.

Noch während des Anrückens des Herzogs that das Heer der Stadt seinen Fußfall und sprach sein kurzes Gebet; und in dem Augenblick, wo die Schlachtlinie der Gegner unter den Augen der Magdeburger Halt machte, sprangen die Büchsenmeister der Stadt schon zu ihren Geschützen. Mit gewaltigen Krachen gingen die Doppelhaken auf den Wagen, gingen die großen Feldstücke gegen den Feind ab und ganze Glieder von Reitern und Knechten sah man übereinanderstürzen, und Jedermann in dem Vordertreffen des Heeres biß die Zähne zusammen und hätte an seinem Platz festwurzeln mögen, dem nunmehrigen Ansturm und Anprall unbeweglich Widerstand zu leisten.

Zum zweiten Mal war das Geschütz geladen, zum zweiten Mal wurde es losgelassen; aber nicht mit demselben Erfolg; denn in diesem Augenblick that der Feind seinen Fußfall, und so gingen die meisten Kugeln schadlos ihm zu Häupten hin.

Schlachtruf auf der ganzen Linie der Magdeburger! Schlachtruf der Gegner, und eine plötzliche unerwartete Schwenkung derselben!

Herr Jürg von Mecklenburg kannte sein Handwerk. Von der Zusammensetzung des städtischen Heeres hatte er ebenfalls die beste Kenntniß, und sobald er die Aufstellung der Wagenburg, »wie Etliche davon sagen wollen, vorsetzlich vom Wasser – der Ohre – unnd Holtzungen abe in's freye Feld geführet!« erkundet hatte, wußte er genau, auf welche Art er angreifen mußte, um die Sache für sich zu einem guten Ziel zu führen.

Die Schwenkung, welche Einige im Heere der Stadt für den Beginn der Flucht nahmen, hatte einen ganz andern Grund. Vor der Stirn der Magdeburger vorüber stürzten im Sturmschritt Reiter und Fußvolk des Mecklenburgers, und ehe man sich's versah, war die Wagenburg umgangen, drang der Feind im Rücken der Geschütze, im Rücken der Kernmacht, mit aller Wuth und Wildheit auf die Bauern im Hintertreffen. Da war an ein Umwenden der Schlachtordnung nicht zu denken. Die Bauern, den Ruf ihrer Führer, die Spieße zu fällen und zu senken, um des »reisigen Zeuges Einfall zu hindern«, – falsch verstehend, warfen die Wehren aus den Händen, ließen sich wehrlos niederhauen und stechen, und drängten in wüster Unordnung in den Halbmond der Wagenburg, die, wie schon gesagt, zu eng geschlossen war, so daß in kürzester Frist aus der Aufstellung des städtischen Heeres ein verzweifeltes, wirres, heilloses Durcheinander entstanden war, in welchem der Feind gut' und leicht' Spiel hatte.

Allen voran klang der wilde Ruf des Herzogs:

»Schlage Bauer und Bürger todt! Laß' Landsknecht leben!«

Ein Gemetzel schrecklichster Art entstand auf dem engsten Raume. Aus einer Schutzwehr war die Wagenburg, wie die Chronisten sich ausdrücken, zu einem »Nothstall« geworden, in welchem die Stadt »beklemmet« war, daß Niemand im Stande war, von seiner Kraft, seinem Muth, seinen Waffen Gebrauch zu machen.

Bald war jede Hoffnung des Sieges für die Magdeburger verloren; her ging es über sie und krachte

– herein wie die Kesselwagen,
Wie der Reisigen Vortrab rasselt,
Wie Donner und Hagel herprasselt,

Jammer, Noth, wildeste Verzweiflung und unbarmherzigste Wuth!

»Schlage Bürger todt! Schlage Bauer todt! Laß Landsknecht leben!« schrieen die Rotten des Mecklenburgers ihrem wüthenden Führer nach; – das Blut floß in Strömen, und in Haufen deckte das unglückliche Landvolk den Boden. Anfänglich konnten die Bürger von den Wagen ihre Büchsen auf den in Haufen eindringenden Feind noch abfeuern und ihm so manchen Schaden zufügen; aber bald war Freund und Feind so vermischt, daß solches Feuer aufgegeben werden mußte. Auf einen dieser Wagen hatte sich auch Markus Horn geschwungen und blickte von hier herab mit verzweiflungsvollem Grimm auf das wilde Getümmel, in welchem seine Vaterstadt ohnmächtig unterlag. Schon übertönte der Siegesruf der Mecklenburg'schen das Schlachtgeschrei der Magdeburger.

»Allgewonnen! allgewonnen!« schrien die Einen.

»Magdeburg, hilf! Hilf Magdeburg!« riefen die Andern.

Alles ging über- und untereinander. Ein Fähnlein der Stadt nach dem andern sank unter in den Wogen der Schlacht und fiel in die Hände der Feinde; immer tiefer drangen Letztere in den Halbmond der Wagenburg, und schon brachen Haufen von Bürgern und städtischen Landsknechten durch die Lücken derselben und zerstreuten sich über das Feld, verfolgt von den daselbst umherschwärmenden feindlichen Reitern. Viele der Fliehenden stürzten sich in die Ohre, um so dem erbarmungslosen Schwert zu entgehen; aber nur Wenige gelangten glücklich an das andere Ufer; die Meisten fanden ihren Tod in den Fluthen.

Jetzt war, wie Herr Sebastian Besselmeier, der Augenzeuge, erzählt, ein gut Kleid wohl tausend Gülden werth; »denn welcher in bösen Kleidern und schlecht daher gieng, ward für einen Bawern angesehen und erstochen.«

Alles neigte sich zur Flucht; was noch von tapfern Herzen aushalten wollte, das drängte sich an und auf den Wagen. Um Sieg wurde hier nicht mehr gefochten, wohl aber noch um die Ehre. An den Wagen fand der Herzog, der bis jetzt so leichtes Spiel gehabt hatte, in den letzten Augenblicken der Schlacht noch einen Widerstand, welchen er nicht mehr erwartet hatte. Die Wehrlosen lagen jetzt zu Boden, die nicht fechten wollten, hatten sich meistentheils ergeben oder die Flucht ergriffen. Hier, an und auf den Wagen, um die Geschütze kämpften jetzt noch die Tapfersten der Bürger und Ehrlichsten der Landsknechte, hielten die Führer Stand, und so kam die Schlacht einen flüchtigen Augenblick lang zum Stehen.

Gleich einem Verzweifelten kämpfte der Rottmeister Horn an der Spitze seines Häufleins, welches er so viel als möglich zusammenhielt, welches er nach Kräften ermuthigte und zur Ausdauer anspornte. Manch' kühner Mann, mit welchem die Magdeburger Kinder, die Markus befehligte, vor Kurzem im Lager vor Braunschweig einträchtiglich aus einer Schüssel gegessen hatten, fiel hier unter ihren Streichen und Stößen. Nach seinem Wunsch traf Samuel Pfeffer, der Rothkopf, auf Heinz Timpe; doch schlug das Begegnen nicht zum Besten des Rothkopfes aus. Mit dem Kolben seiner Büchse schlug ihn der einstige Spielgesell nieder und sprang über seinen Leib, auf eine Radspeiche tretend, um sich auf einen der von den städtischen Knechten noch vertheidigten Rollwagen zu schwingen.

»Kiek, bist'e wieder da, Lüttge?« rief aber Jochen Lorleberg von dem Wagen herab. »Hand von der Butten!«

Das zweihändige Schwert sauste hernieder und trennte den Arm des Angreifers vom Leib. Unter die Füße der nachdringenden Genossen stürzte Heinz Timpe zurück, und sein Blut strömte zu dem andern, welches durch die Ackerfurchen rieselte.

»Magdeburg, hie Magdeburg!« rief Markus Horn, den nächsten Wagen vertheidigend.

»Magdeburg, hilf Magdeburg!« rief Christof Alemann, mit einem Haufen seiner Reisigen der Stadt Reiterfahne im Zurückweichen errettend.

Neben einem dritten Wagen hielt der Hauptmann Springer mit dem Leutnant Schwartze, umgeben von dem Kern ihrer Leute, hoch zu Roß vor einer Lücke der Wagenburg. Gleichmüthig und gelassen schaute Adam in das Gemetzel, während der Hauptmann unruhige Blicke vor und zurückwarf und dann wieder fragend zu seinem Leutnant hinüberlugte.

Den Kopf schüttelte dieser.

»Noch nicht!«

Neun Fähnlein der Stadt Magdeburg waren in den Händen der Mecklenburger; immer mehr und mehr schmolzen die Häuflein der noch für die Stadt Kämpfenden zusammen. Durch das Getümmel brach sich zu dem Hauptmann Hans Springer der alte Bürgermeister Gregorius Guerike, begleitet von dem Kämmerer, Bahn. Blut tröpfelte aus einer leichten Stirnwunde durch die ehrwürdigen weißen Locken des Greises, seine Rüstung war zerbrochen, sein Barett (einen Helm vermochte er des hohen Alters wegen nicht mehr zu tragen) hatte er verloren; athemlos stützte er sich auf sein Schwert.

»Herr Hauptmann, Herr Hauptmann«, schrie er in Verzweiflung den Elsässer an, »wie ist das? Herr Hauptmann Springer, wie ist das? Ist Alles verloren? Ist keine Hilfe mehr? Ist Alles, Alles vorbei? Wehe mir, wehe der Stadt – ist denn Alles, Alles umsonst?«

Hans Springer zuckte die Achseln:

»Herr Bürgermeister, Kaiser und Könige, Fürsten und große Herren haben Schlachten verloren, so ist das Bürgern nicht zu verdenken. Herr Bürgermeister, die Schlacht ist wirklich und wahrhaftig dem Feind gewonnen und keine Abhilfe mehr in unserer Macht. Wer sein Leben retten will, der möge sich aus dem Felde machen!«

Die hellen Thränen rannen bei solchen Worten des kriegskundigen Mannes dem wackern Bürgermeister aus den Augen in den greisen Bart.

»Nein, nein«, rief er, indem er mit dem Fuße den vom Blut seiner Stadtgenossen getränkten Boden stampfte. »Nein, nein, so lange Einer noch aushält, soll man vom alten Gregorius Guerike nicht sagen, daß er der Stadt Sach' aufgegeben hab' und feldflüchtig geworden sei.«

Wieder zuckte der Hauptmann Springer die Achseln und blickte wiederum nach seinem Leutnant. Mit gespanntester Aufmerksamkeit hielt dieser den Wagen, auf welchem immer noch die hohe Gestalt Markus Horn's im heißen Kampfe erschien, im Auge.

Eine wahre Mauer von Leichen bildete sich um diesen Wagen her; alle zerstreut kämpfenden Bürger und Landsknechte drängten sich allgemach hier zusammen zur letzten Gegenwehr. Woge auf Woge fluthete heran, brach sich und stürzte zurück. Hieb, Stoß und Schlag, Todesgeschrei, Wuthgebrüll!

»Hilf Magdeburg! Hie Magdeburg!« erhob sich eine kreischende Stimme über allen Lärm. Wiederum ein Gewoge ineinanderverbissener Kämpfer, Städter und Mecklenburger durcheinander, heranschwellend –

»Hilf Magdeburg! Rette Magdeburg!« kreischte dieselbe Stimme, und unter sich erblickte Markus Horn eine blutbesudelte, zerzauste Gestalt halb unter den Füßen der Streitenden. Sich halb aufrichtend, hielt diese Gestalt ein zerfetztes, blutiges, besudeltes Banner mit der Magdeburger Kranzjungfer in die Höhe:

»Rette, rette Magdeburg!«

Mit einem gewaltigen Sprunge war Markus Horn von seinem Wagen herab, in dem Augenblick, wo eine feindliche Hellebarde niederschmetterte und den tapfern Bürger, welcher diese Fahne seiner Stadt so gut schützte, vollständig zu Boden streckte. In diesem tapfern Kämpfer hatte der Rottmeister Markus den Buchdrucker Michael Lotther erkannt. Mit einem Griff riß er das Banner aus den Händen des siegtrunkenen feindlichen Söldners, welcher sich desselben bemächtigt hatte; mit einem zweiten Griff zog er den Buchdrucker hervor und hob ihn auf den Wagen. Die Fahne reichte er in die Hände des kleinen Pfeifers Fränzel Nothnagel, welcher sich aus dem Getümmel ebenfalls auf die Wagenburg gerettet hatte.

»Allverloren! allverloren!« schrie Adam Schwartze, als er den Rottmeister Horn von seinem Standpunkt verschwinden sah in der Fluth des letzten Ansturms. »Allverloren! Rette sich, wer kann! Vorbei! vorbei! Alles verloren!«

»Alles verloren!« schrie der Hauptmann Springer seinem Leutnant nach. Die Sporen stießen die Führer ihren Gäulen in die Flanken; im wildesten Galopp brachen sie aus der Wagenburg hervor und jagten über das Feld. Von dannen riß das Getümmel der Fliehenden den Kämmerer Heinrich Müller und alle andern noch Widerstehenden.

Verzweiflungsvoll sah sich der Bürgermeister Guerike um, und wieder fragte er: ob noch Rettung sei? und alle an ihm Vorüberstürzenden schrien:

»Nein, nein, nein! Alles verloren! Alles verloren!«

Da rief der alte Gregorius, die Hände gen Himmel hebend:

»Ach, wenn ich noch etwas rathen und thun könnt'; wie gern wollt' ich meinen alten Hals dran wagen!« Und damit wandte er sich an die ihn noch Umgebenden und fragte zum Letzten: ob's ihm auch nachtheilig an seiner Ehre sein werde, wenn er also die Flucht nehme?

Und wieder schrie man ihm: Nein, nein! zu, und brachte ihm ein Roß und hob ihn schier mit Gewalt darauf. Da ritt auch er weinend von der Unglücksstätte fort, und das Glück wollte, daß er ungefährdet Hadmersleben erreichte, allwo man ihn über die Mauer einließ.

»Haltet zum Banner! Haltet zum Banner!« schrie Christof Alemann seinen wackern Reitern zu, die mit ihm einen Weg sich durch das Getümmel bahnten, und die einzige noch in den Lüften flatternde Fahne der Stadt schützten.

Im Vorbeireiten erblickte der Fähnrich seinen Jugendfreund, Markus Horn, welcher jetzt ganz allein, an seinen Wagen gelehnt, den besinnungslosen Buchdrucker Lotther, den kleinen Fränzel und das zweite noch übrige Fähnlein vertheidigte.

»Alles aus, Bruderherz!« rief Christof Alemann, sich Bahn brechend mit seinen Reitern. »Komm mit! rette Dich! Willst Du allein die Schlacht halten?«

»Reite zu, Christof, und laß mich!« rief Markus. »Alles verloren!«

»Aber das Leben noch nicht, Narr!« schrie der Fähnrich. »Wen hast Du da? Aha, den tapfern Meister Lotther. Ist noch ein Fünklein Athem in ihm, so nimm ihn mit – ledige Pferde genug – wär' auch schad' um die schönen Augen der Jungfer Regin', wenn sie sich dieselben um den Alten rothweinen müßte. Kurt, gib dem Rottmeister den ledigen Gaul – da läuft noch einer. Hinauf, Mark! Heb' den Alten; so! Das Banner wirf mir herunter zu, Du Affe da oben; spring' nach! So; hab' ich Dich auf dem Sattel? Zum Banner! zum Banner! Ihr wackern Reiter von Magdeburg; nieder mit den mecklenburgischen Ochsenköpfen! Haltet Euch nicht auf – aus dem Feld, aus dem Feld! der Herr von Wulffen hat's erlaubt und ist vorangeritten. Fort! fort! Freie Bahn! Bahn frei! Hie Magdeburg! Magdeburg hie!«

Viel schneller als die Feder erzählen kann, war geschehen, was der Fähnrich gerufen hatte. Zu Roß saß Markus, den besinnungslosen Buchdrucker vor sich. Vor sich im Sattel hielt Christof Alemann das Pfeiferlein; die beiden Fähnlein hielt er auch, die Zügel faßte er zwischen die Zähne, sein Schwert wetterte nieder wie Gottes Blitz.

Seinem hellen Rufen: Hie Magdeburg! Magdeburg! schloß sich Alles an, was von städtischen Reitern dazu gelangen konnte. Manch' ein guter Knecht des Mecklenburger Jürgen fiel noch vor den gewaltigen Streichen dieses kleinen Haufens, ehe der das freie Feld erreicht hatte. Aber es gelang; plündernd warf sich der Feind auf die Wagen der Magdeburger; er hatte sein Müthlein gut genug gekühlt und kümmerte sich wenig um die Wenigen, die ihm jetzt noch unverletzt entgehen mochten. Den vollständigsten Sieg hatte der Herzog Georg von Mecklenburg gewonnen. Inmitten der Wagenburg unter Blut und Leichenhaufen hielt er und rühmte sich, mit eigener Faust wohl hundert Magdeburg'sche niedergestreckt zu haben.

Lachend sprach er zu den Herren vom Adel um ihn her:

»Also muß man die von Magdeburg kriegen lehren.«

Und lachend entgegnete ihm Einer der Ritter:

»Ja, gnädiger Herr, die von Magdeburg wollten uns diesen Krieg verbieten und uns in unserm Vorhaben hindern. Nun fördern sie uns erst recht und stärken uns dazu mit Geschütz, Wagen und Pferden.«

Ein Anderer sprach:

»Nun werden sich viel andere Fürsten und Herren zu uns schlagen; desgleichen wird uns alles Kriegsvolk zulaufen, und ein großer Haufe daraus werden. Hätten wir aber gewußt, daß die Schelme so viel Stricke, uns zu hängen, mitgenommen hätten; Keinen wollten wir gefangen genommen haben. Alle hätten wir erstochen!«

»Ich hab' mein Theil dazu gethan«, lachte wieder der Herzog. »Lust hatt' ich dazu, daß man sie möcht' niedermähen wie das Gras.«

»Einen blauen Montag hat das Bürgervolk heut' nicht gemacht!« rief Einer. »Einen blutigrothen haben wir ihnen zu feiern gegeben. Hallo, was ist denn das für ein Lärm dort?«

Ein großer Zusammenlauf war unter den die Todten und Verwundeten ausplündernden Siegern entstanden. Geschrei, dann eine tiefe Stille: Auf einem Leichenhaufen hatte einer der wüsten Knechte seinen eigenen Vater gefunden, welcher »gelegen und sehr gewinselt; ob aber der Sohn den Vater wol erkandt, hat er ihn doch unbarmhertzigerweise getödtet. Aber nicht lange hernach hat der Thäter seinen Lohn bekommen; denn als er an einem Damm gestanden, ist ohngefehr eine Kugel auß Magdeburg geflogen kommen, welche jhm durch den Kopff gangen.« Also erzählt Herr Elias Pomarius, der Chronist und Pfarrherr zu Sanct Peter. –

Kaum eine halbe Stunde hatte diese merkwürdige Schlacht an der Ohre gedauert. Vom Heer der Stadt lagen auf dem Wahlplatz todt sechzig Landsknechte, hundertundzwei Bürger und – tausendundvierzig Bauern. Gefangen waren dreihundertfünfzig Landsknechte und Bürger; welche letztere sich mit schwerem Geld auslösen mußten und recht »liederlich« gehalten wurden.

Das »Geschrey« von dieser Schlacht kam innerhalb sechs Tagen nach Augsburg vor den Kaiser; welches die Zeitgenossen als eine große Merkwürdigkeit und seltsame Schnelligkeit in ihren Gedenkbüchern aufzeichnen.

Die Rennwagen mit den Doppelhaken, die großen Feldstücke und die genommenen Fähnlein schickte der Sieger als Zeichen des Triumphs dem Kaiser nach Augsburg. Die Wagenburg bekam Moritz von Sachsen als Beutepfennig.

An dem Tage der Schlacht noch rückte Herr Jürg von Mecklenburg mit seinem siegestrunkenen Heer vor Wolmirstädt und forderte es zur Uebergabe auf. Feig öffnete der Hauptmann, der am gestrigen Abend so große Worte feil gehabt hatte, ohne Schwertstreich das Thor; zum großen Verdruß der städtischen Geschichtschreiber, welche bemerken:

– »Denn ja auff dem Schloß zwölf tonnen Butter, drey gantzer braw Bier, neun Winspel Käse und was sonsten an Büchsen, Kraut und Loth, Viehe, Korn und Mehl, Brodt und anderm Vorrath vorhanden gewesen, hat kein' Zahl gehabt. Und hätten ihn die von Magdeburg im Fall der Noth gar leichtlich können entsetzen. –«

Eine Viertelstunde vom Schlachtfeld ab ließ Christof Alemann, der Fähnrich, den Fränzel Nothnagel vom Sattel gleiten und rief:

»Lauf, lauf nun. Du kommst um so schneller hin, und magst ansagen daheim, wie sauber es uns ergangen ist.«

Nicht zweimal ließ das Pfeiferlein sich solches sagen. Gleich einem Heupferd hüpfte es über die Stoppelfelder und war richtig von Allen, die mit ausgezogen waren gen Hillersleben an der Ohre, der Erste, welcher von daher zurückkam, obgleich ihm Mancher zu Roß und zu Fuß vorangelaufen war.


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