Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das sechste Capitel.


Die Nacht Regin' durchwachet hat,
In Waffen rasselt, klirrt die Stadt;
Der Mecklenburger liegt zu Feld,
Auf's Schwert soll sein die Sach gestellt;
Man jauchzt, posaunet, pfeift und trommt,
Mancher zieht aus, der heim nicht kommt.

Ein fröhlicher Strahl der Herbstmorgensonne glitt am sechzehnten Sonntage nach Trinitatis, am einundzwanzigsten September, dem Tag Matthäi, über das Dach des Hauses des Rathmanns Horn in das Kämmerlein, doch nicht in das Herz Regina's, der Tochter des Buchdruckers Michael Lotther. Ach dieser Strahl kam viel, viel zu spät, um das junge Mädchen zu wecken, schon lang', lang', seit dem ersten Hahnenruf saß es angekleidet auf seinem Bettchen, hatte die Hände im Schooß gefaltet und gab sich den trübsten, quälendsten, schmerzhaftesten Gedanken hin. Zu der allgemeinen Noth legte die Jungfrau die eigene Herzensangst, und so wurde ein Gewicht daraus, welches wohl das stärkste Herz zusammengedrückt hätte. Wie zuckte es durch diesen reinen jungfräulichen Busen, während die große protestantische Stadt waffenklirrend sich erhob und dumpf brausend sich rüstete zum Auszug gegen den Feind, den wilden Herzog von Mecklenburg.

Drei Stürme hatte auf der Burg zu Wanzleben der Hauptmann Bartholomäus abgeschlagen, ein dampfender Aschenhaufen war der Flecken, und die wüsten Rotten der Belagerer hatten in ihrer Wuth selbst der armen Aussätzigen im Siechenhaus, »die umb das Recht, welches doch ein Vogel in der Luft hat«, gebeten hatten, nicht geschont. Grimmschnaubend über den vergeblichen Anlauf, der ihm so manchen guten Mann gekostet hatte, war der Jürg in's Dreileben'sche Gericht weiter gezogen mit Mord und Brand. Jede Nacht färbte sich der Himmel nach dieser Weltgegend hin blutroth, und lange, lange Züge des Landvolkes wälzten sich ununterbrochen in die Thore von Magdeburg. Aus Neuhaldensleben, aus Egeln, aus Wolmirstädt und manchem andern Ort waren die Schutzsuchenden mit ihrer besten Habe gekommen. Schutzverwandte, Stiftsgenossen und Unterthanen hatten den Rath mit weinenden Augen und gerungenen Händen angefleht und ihn beschworen, daß er sie in solcher Noth nicht verlassen möge. Mit den Gesandtschaften der bedrohten Orte vereint, waren aber auch die Bürger mit Ungestüm in die Rathsherren gedrungen und hatten verlangt, man solle ausziehen und sich mit dem Feinde schlagen. Es hatten sich dagegen die Stimmen der in der Stadt anwesenden Kriegsherren erhoben; aber vergeblich versprachen die Einen der Stadt vorher noch dreihundert Reisige, welche der Stadt Braunschweig gedient hatten, zuzuführen; vergeblich warnten die Grafen von Mansfeld und Oldenburg, der Freiherr von Heideck und Kaspar Pflugk. Tag und Nacht hatte sich das Volk, Bürger und Bauern durcheinander, vor dem Rathhaus gedrängt; zu laut, zu drohend wurde endlich der tausendstimmige Ruf: Kampf! Kampf! Herunter mit den Mordbrennern! Kampf! Kampf! Nachgegeben hatte der Rath, Auszug und Schlacht gegen den Herzog von Mecklenburg war beschlossen und auf diesen einundzwanzigsten September angesagt worden. –

Nachdem wir nun auf diese Weise die Lage der Dinge dargethan haben, dürfen wir uns wieder ein wenig mit den Personen beschäftigen, welche unser kleineres Drama in dem großen allgemeinen heroischen Schauspiel bilden. Im Allgemeinen soll das Einzelne nicht fremdartig dastehen, und während das Eine vorschreitet, soll das Andere nicht zurückbleiben.

Während der kriegerische Meister Michael Lotther in aufgeregter Stimmung in den untern Räumen seines Hauses hin- und herlief, bereits angethan mit einem Brustharnisch, glühend vor Eifer, der Erste zu sein auf dem Sammelplatze des Bürgerhaufens, welchem er angehörte, saß seine Tochter, wie gesagt, regungslos in ihrer Kammer auf dem Bette. Eine schwere, bittere, qualvolle Nacht war dem armen Mädchen hingegangen. Im halben Fiebertraum hatte Regina die Stunden gezählt, und im halben Traum und dumpfen Brüten in der Einbildung ein Bild verfolgen müssen, das sie vergeblich zu verscheuchen suchte. Den verstoßenen, den verlorenen Sohn des Nachbars, Markus Horn, sah sie und zwar immer auf dem Wege des Verderbens, des Untergangs. Sie erblickte ihn im Kreise zechender, verluderter Genossen, sie erblickte ihn umgeben von verworfenen Weibern und Dirnen, sie folgte ihm hierhin und dorthin, wie sein schwankendes Bild bald häßlich verzerrt, bald in männlicher Schöne sie führte. Allerlei unbestimmte Pläne, Vorsätze, Wünsche und Hoffnungen faßte sie in diesem Halbtraum, Geistesspiele, welche nur die dunkle nächtige Angst eingeben konnte, und welche sie beim ersten Morgendämmern sich erröthend vorwerfen mußte. Sie stellte sich vor, welch' eine Wonne es sein müsse, dem Markus in Männerkleidung zu folgen; sie träumte von der Seligkeit, welche es sein müsse, ihm das Schwert nachzutragen, für ihn zu wachen, wenn er schliefe am Feldfeuer, in der kalten Regennacht. Die Gestalt des Leutnants Adam Schwartze, des Vetters, welchem der Vater so wohl wollte, mischte sich in diese wirren Bilder. Dieser Gestalt wollte sie entfliehen, wie sie jener folgte. Diese Gestalt näherte sich ihr mehr und mehr, während jene in immer weiterer Ferne zu entschwinden schien.

Es war ein ruheloses, krankhaftes Umherwerfen und Zusammenfahren, und erst gegen drei Uhr Morgens folgte darauf eine erquickungslose Betäubung, in welcher sie keine Träume, sondern nur eine unbestimmte Angst hatte. Dann wirbelte die erste Trommel in der Ferne am Roland auf dem Alten Markt, und dieser Klang schreckte die Jungfrau wieder auf, und dumpf hörte sie die angsterfüllte, große Stadt in ihren Gassen sich bewegen. Sie stand auf, sie kleidete sich an, sie wollte hinuntergehen zu ihrem Vater, dessen Stimme sie auf der Treppe vernahm. Sie konnte vor übergroßer Mattigkeit keinen Schritt thun und sank abermals auf ihrem Bettchen nieder.

Wie das junge Mädchen durch die Heimkehr des verlorengeglaubten Nachbarsohnes in einen so unbeschreiblichen Taumel der verschiedenartigsten Empfindungen gestürzt werden konnte, haben wir früher schon in einem Gespräche Reginens mit der Mutter Margaretha Horn angedeutet. Wir wollen jetzt noch etwas darüber sagen; doch wer könnte alle die feinen Strahlen und Fäden verfolgen, welche dieses reine jungfräuliche Herz durchzuckten und durchzogen?

Im Jahre 1531, dem Jahre, in welchem das Bündniß der protestirenden Stände zu Schmalkalden geschlossen wurde, am Tage des Bündnisses selbst, am sechsundzwanzigsten Februar wurde Regina Lottherin geboren. Acht Jahre früher hatte in dem Nachbarhause Markus Horn das Licht der Welt erblickt. Nach dem frühzeitigen Tode der eigenen Mutter war die kleine Regina von ihrem Vater schier als ein Vermächtniß seiner Frau an die Frau Margaretha Horn in das Nachbarhaus hinübergeführt worden, und mit wehmüthiger Freude hatte Frau Margaretha das Vermächtniß der Freundin angenommen. Zwei Heimathshäuser hatte Regina Lottherin, und eine glückliche Kindheit durchlebte sie, aufwachsend mit dem wilden Markus, welcher das kleine, stille Mädchen nach Knabenart bald vergötterte und auf den Händen trug, bald nach Kräften quälte und peinigte. Kinderleid und Kinderfreude theilten die Beiden miteinander, und manch' eine wohlverdiente Strafe wandte die Bitte des Mägdleins von dem Knaben ab. Bald aber kamen die Jahre, wo Regina, wenn die Mutter Margaretha in Abwesenheit ihres Eheherrn von Lob und Preis des Herzsöhnleins überfloß, nicht mehr so laut einfiel und womöglich die Mutter noch überbot. Sie hatte aber, ihr selbst halb unbewußt, das höchste Behagen an solcher Art der Unterhaltung und dachte nie daran, wenn sie mit der Frau Margaretha zusammenhockte, den langen Reden derselben über diesen Punkt Einhalt zu thun. Aus ihrer jungfräulichen, schämigen Schutzwehr, von lieblichster Scheu und Sprödigkeit aufgebaut, verlor das Jungfräulein den heranwachsenden Jüngling nicht aus Augen, Sinn und Gedanken. Bald kam die Zeit, wo Regina recht kalt, recht gleichgiltig gegen den immer höflicher werdenden heißblütigen Markus erschien; die Zeit, wo es tief, tief im Herzelein desto heißer brannte, desto heller flammte. Ja, lichterloh flammte es im Herzen Regina's, als Markus Horn zur Universität abgehen sollte und einen aus Trübsal und Frohlocken gemischten Abschied nahm. Dennoch verrieth sich auch bei diesem Ereigniß das treue aber stolze und tiefe Herz der Jungfrau nicht. Als aber der Knabe nun das Vaterhaus verlassen hatte und in die weite Welt hinausgezogen war, da stürzte das Mädchen in seinem Kämmerlein lautweinend auf die Knie und barg das von Thränen überströmte Gesicht in den Kissen ihres Bettes und klagte sich an, daß der Geliebte nun geschieden, ohne durch ihre Schuld von ihrer Liebe zu wissen. Erst in der Abenddämmerung schlich dann Regina Lottherin über die Gasse zu ihrer zweiten Mutter und fand diese ebenfalls müd' und matt vom Weinen und Klagen im dunkelsten Winkel sitzend. Da hatten die beiden armen Weiblein einander stumm in die Arme geschlossen und stundenlang sich so gehalten; bis der Rathmann nach Haus kam und ärgerlich fragte: weshalb sie so gleich einem paar Eulen in der Finsterniß kauerten? und dann, als die Lampe gebracht war, sich erkundigte: ob sie zu Närrinnen geworden seien über den Abschied und ersten Ausflug des jungen Vogels, des Gelbschnabels? – Das war im Jahre 1545 geschehen und von nun an hatten sich die beiden Frauen womöglich noch fester aneinandergeschlossen und jede gute, jede bedenkliche Nachricht, die erst von Wittenberg, dann von Leipzig herüberkam, miteinander bejubelt und betrauert. Diese Nachrichten kamen jedoch nicht oft; Leipzig war in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts weiter von Magdeburg entfernt als heute. Margaretha und Regina hatten deshalb Zeit, jede Nachricht von allen Seiten zu betrachten, jeden Gruß, den ein Freund, ein wandernder Scholar, ein Bote brachte, mondenlang sich zu wiederholen. Erst im Herbst 1546 erschien Markus Horn wieder in eigener Person im Vaterhause, welches ihn fast nicht wiedererkannte. Aus dem hübschen Jüngling war in dem kurzen Jahre ein Mann geworden, bärtig, selbstbewußt, ein wilder Student, welcher selbst dem strengen Vater nicht mehr scheu auswich, sondern ihm keck und grad' in's Auge blickte, und der sich nicht mehr fürchtete, anderer Meinung als der Alte zu sein.

Ach, die arme Regina fand den Jugendfreund am meisten verändert; verändert zum Nachtheil. Was selbst den scharfen Augen der Eltern entging, entging ihr nicht; obgleich sie auf keine Weise zu empfinden schien, wenn Markus sich kaum um sie kümmerte und lieber mit seinen Altersgenossen und den in den Ferien von Wittenberg, Leipzig, Erfurt in der Stadt anwesenden Commilitonen in den Schenken, in den Gassen und auf den umliegenden Dörfern umherlungerte. Bange Ahnungen füllten die Brust, sie sah lange vorher den Sturm zwischen Vater und Sohn heraufziehen. Für ein großes Glück erachtete sie es, daß das juristische Examen, welches Herr Ludolf Horn mit dem Sohn anstellte, so ziemlich ausfiel. Mit dem Versprechen, im nächsten Semester die Magisterwürde zu erlangen, nahm Markus von Neuem Abschied von dem elterlichen Hause.

Den Magistergrad erlangte nun zwar der Sohn, aber das Unheil brach auch los; und Markus Horn ging der Heimath verloren!

Dreißig Jahre waren vergangen, seit vor dem Portal der Schloßkirche zu Wittenberg aus den Haufen, welche die fünfundneunzig Sätze umlagerten, jener alte Mönch trat, auf das angeheftete Blatt wies und rief:

»Der wird es thun!«

Martin Luther hatte es gethan. Wieder einmal war eine Epoche der Weltgeschichte in die Spitze des Individuums ausgelaufen, wieder einmal war in einem Menschen der Kampf und die Arbeit von Jahrhunderten zusammengefaßt worden, in einem Brennpunkt, welcher die Welt entzünden sollte.

Im Jahre 1547 stand die Welt in Flammen, das deutsche Volk war, wie gewöhnlich, von der Vorsehung erkoren, für das Heil der Menschheit an's Kreuz geschlagen zu werden. Leiblich und geistig gerüstet stand es da, den Religionskrieg zu beginnen. In den Häusern, in den Gassen, in den Kirchen, in den Klöstern, auf den Burgen und Schlössern, in den niedrigsten Hütten, auf den Feldern, in den Wäldern, überall, überall wurde die große Frage besprochen und bestritten. Ueberall riefen sich die Geister an und forderten das Machtwort: Hie Luther – hie Papst!

Im Munde der Jungen wie der Alten, der Männer wie der Weiber ging das Wort um. In alle Verhältnisse der Nation schoß es lösend oder bindend seine Strahlen; kein Herz war so eng, so verschlossen, daß es nicht zuckte, daß es nicht lauter schlug unter dem Sturmgeläut der gewaltigen Zeit.

Nun donnerte vergeblich das protestantische Geschütz bei Ingolstadt gegen die katholischen Schanzen und den Kaiser. In die Stammländer der schmalkaldischen Häupter, Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen, fiel der erste modernpolitische Schüler des ersten modernpolitischen Lehrmeisters. Herzog Moritz von Sachsen – der schlaue, der geniale Bundesgenosse Karl's des Fünften, welchen das Lutherthum, der großen Ironie der Weltentwicklung gemäß, als Verräther der Hölle überliefern und als Erretter in den Himmel erheben muß – hatte sein Werk, die Macht über die protestantischen Geister aus den Händen des unfähigen, wenn auch wohlmeinenden Johann Friedrich zu nehmen, begonnen. Sein Stammland aus der Gewalt des Herrn Vetters zu erretten, zog Hans Friedrich von Ingolstadt heran, trieb den eingedrungenen Feind vor sich her, bis seine eigene Kraft vor Leipzig sich brach. Darin lag Moritzens tapferer Oberst Herr Bastian von Walwitz. Am fünften Januar 1547 bei großer Kälte und hohem Schnee schlug der Kurfürst sein Lager vor der Stadt und beschoß und berannte sie sehr heftig sechzehn Tage lang.

Im Ton: Es geht ein frischer Sommer daher, singt das Lied:

»Was Herzog Moritz im besten that,
Das halt beym Kurfürsten kein Statt;
Es ist ein alter Grolle,
Der jetzund zuerst ausbricht,
Verstehe es, wer da wolle,
Ja wolle.«

Ja, verstehe es, wer da wolle! Das ist das schreckliche Leiden des Bürgerkrieges, daß darin zuletzt alle Interessen, alle Anschauungen, alle Grundsätze, alle Parteistellungen sich verwirren, und Recht und Unrecht sich so vermischen, daß Niemand endlich mehr sagen kann, auf welchem Wege er wandle, bei welchem Ausgangspunkte er ankommen werde. Auf den Wällen von Leipzig kämpfte manch gut lutherisch Herz gegen den lutherischen Führer, gegen die Glaubensgenossen draußen vor der Stadt. Bürger, Landsknechte und Studenten warfen, protestantische Lieder anstimmend, mit Büchse, Schwert und Spieß die protestantischen Sturmhaufen von den Leitern in die Gräben; und Markus Horn, der junge Magister, wurde somit ebenfalls in den Wirbel hineingerissen und

»thät der Püffe auch warten,
Da er auf der Mauer stund,
Hinter der Mönche Garten.«

Was in der Nähe so natürlich erschien, das klang in der Ferne ganz anders. Wie ein Donnerschlag wirkte die Nachricht von dem Verhalten des Sohnes im Vaterhause zu Magdeburg. Ein unsäglicher Jammer brach daselbst aus, in einer Nacht ward Ludolf Horn über diese Botschaft grau. Seinen Fluch sandte er dem einzigen Sohne, der nach seiner Ansicht das ewige Verderben um den reinen Glauben eingetauscht hatte, nach Leipzig. Sein Haus und sein Herz wollte er dem Abtrünnigen, dem Verräther auf ewig verschließen, und der Brief, in welchem er das aussprach, besiegelte das Schicksal eines Charakters, wie Markus Horn. Bald kamen die Mitstudenten des Markus nach Magdeburg und berichteten, der Magister Horn sei eine Zeit lang gleich einem Irren gewesen; ruhelos, rastlos sei er Tag und Nacht umhergelaufen, aber Keiner der Genossen habe erfahren, was ihm begegnet sei. Endlich sei er verschwunden gewesen; ob er sich aber das Leben genommen, oder ob er unter die Landsknechte gegangen und mit des Herzogs Moritzen Obersten, dem Herrn Sebastian von Walwitz ausgezogen sei, das könne Niemand sagen.

Nun hatte der Vater wohl Stunden der Reue, Augenblicke, in welchen er wünschte, jenen Brief an den Sohn nicht geschrieben zu haben; aber der Pfeil war von dem Bogen entflohen, und Niemand konnte ihn aufhalten. Darüber, daß Markus unter das Landsknechtsvolk gegangen sei, erhielten die Eltern bald sichere Nachricht. Ein reumüthiges Erscheinen des Sohnes im Vaterhause würde wohl eine Ausgleichung des bösen Zwistes bewerkstelligt haben; aber Markus gab keine Nachricht von seinem Verbleiben. So fraß am Herzen des Vaters der böse Wurm des Zornes immer tiefer, und als endlich der Sohn erschien – getrieben von dem ehrlichen Willen, der Heimathstadt Hilfe in der Noth zu bringen – da war's zu spät. Es geschah, was wir erzählt haben. Dem Sohn wurde zum zweiten Male Vaterherz und Vaterhaus verschlossen! –

Immer sieht Regina Lottherin, wie sie jetzt, umspielt von der freundlichen Herbstsonne, in ihrem Kämmerlein sitzt, den Markus, wie er erbleichend steht, auf sein Schwert gestützt, immer klingen die schweren Worte der Verstoßung, die der Vater aussprach, in ihrem Ohr wieder. Was gegen den Markus zu sagen war, hatte sie ja selbst oft genug heimlich bei sich ausgesagt. Aber nun war er ja reumüthig zurückgekommen! Gekommen war er, der bedrängten Vaterstadt sein Blut zu opfern! Was sollte nun noch dieser Grimm und Zorn um das Vergangene?

Regina konnte nicht mehr zürnen, und als gestern der Leutnant Adam Schwartze kam und dem Vater Lotther erzählte, daß der Rottmeister Horn wieder einem recht wüsten Leben sich hinzugeben scheine, da konnte die Jungfrau nur hingehen und sich verbergen und weinen und denken: »Sie wollen es ja so! Sind sie nicht selbst Schuld daran, daß es so ist! wehe ihnen, die richten und selbst die Sünde hervorrufen!«

Man hätte denken sollen, in dem stillen Kämmerlein, hoch über dem Waffenlärm der großen Stadt, würde am ersten noch der Friede wohnen. Ach, dem war nicht so; obgleich das junge Mädchen auf dem Bette kaum sich regte, so sah es wild und schmerzensreich in ihrem Herzen aus. Und Alles, Alles mußte sie so fest in sich verschließen; ihr jungfräulicher Stolz litt es nicht, daß sie im Geringsten die Welt ahnen ließ, wie es in ihrem Busen aussah. Seit der Heimkehr des Sohnes fing die unglückliche Mutter desselben an, ihre Pflegetochter der Gleichgiltigkeit, der Hartherzigkeit zu zeihen.

Ach, sie hätte nur wissen sollen, wie es um das Herz des armen Mädchens stand! –

»Regina! Reginchen!« erklang jetzt unten im Hause der Ruf des Vaters. Trompeten schmetterten vom Breiten Wege her, immer lauter wurde das Getümmel in den Gassen. Eine Magd steckte den Kopf in die Kammerthür:

»O Jungfer, kommet doch, kommet, der Vater verlanget heftig nach Euch. O liebster Jesus, jetzt gehet Alles drunter und drüber. Hört nur, das sind die Reisigen, die den Breiten Weg herunterziehen, und mein Hans ist auch dabei. O Gott, Gott, und alle Bürgerfahnen wehen in den Gassen, und auf dem Neuen Markt vor der Thumbprobstei sammeln sich die fremden Herren und der Herr Rathmann Horn ist auch schon auf dem Rathhaus, und den Herrn Markus hab' ich auch schon vorüberziehen sehen und seine Rott' folgte ihm in Wehr und Waffen. O Gott, Gott, Gott, Jungfer Regina, das Herz wendet sich Einem vor Angst im Leib um – unser Herr Leutnant Schwartze hat auch schon vorgesprochen, hat aber keine Zeit gehabt, auf Euch zu warten. O kommet herunter, Jungfer, horcht, da trommt's wieder, – o ich komm' um vor Angst!«

Schwindelnd erhob sich Regina und folgte der Magd die Stiegen hinunter. Sämmtliche Hausgenossenschaft war beschäftigt, dem Hausherrn den Harnisch anzulegen. In wahrhaft fieberhafte Aufregung war Meister Michael durch den Tumult des Ausmarsches versetzt, und jede Trommel, jede Trommete, jedes wilde Geschrei draußen in den Gassen erhöhten diese Aufregung. Die Druckerpressen ruhten heute; unseres Herrgotts Canzlei wollte heute andere Protocolle ausgeben als sonst. Sämmtliche Druckergesellen rüsteten sich ebenfalls, unter der Führung ihres Principals für das freie Wort, den freien Gedanken mit leiblichen Waffen einzutreten. Hier stolperte man über eine Büchse, dort über einen langen Spieß; – Verwirrung, Geschrei, Drängen und Stoßen füllten das Haus des Buchdruckers Lotther; und aus der Haut möchte der Meister Michael fahren, als in dem Augenblick, wo er seine Ausrüstung vollendet glaubt, an seiner Halsberge eine Schnalle springt. Endlich war das auch wieder in Ordnung, zitternd vor Aufregung und Begier des Fortstürzens stand der Buchdrucker da und gewann kaum Zeit, sich noch um die Tochter zu bekümmern.

»Kindlein, Töchterlein«, schrie der muthige Bürger, »Töchterlein, nimm Abschied von Deinem Vater. Diesmal wird es gelten, und Niemand weiß, was Einem, der seine Pflicht thut, draußen geschehen mag. Hier hast Du alle Schlüssel des Hauses, Du kennst sie und weißt, auf welchen Du am meisten Acht geben mußt. Sollte mir etwas Menschliches begegnen – nun – nun, so wird's Gottes Wille sein, und Du mußt dich trösten, und der Vetter Adam wird Dir beistehen, und als ein ritterlicher Bursch das Seinige thun. Mit dem Nachbar und der Nachbarin Horn hab' ich auch mehr als einmal gesprochen und – wenn – wenn ich nicht zurückkommen sollte, so mach Dich hinüber zu ihnen. Du wirst da gut aufgehoben sein, bis Du einen wackern Mann gekriegt hast. Der Vetter Adam –«

»Ach, Vater, Vater«, schluchzte die Jungfrau, »sprecht doch jetzt nicht von dem Vetter Adam. O Ihr werdet gewiß gesund heimkommen zu Eurem armen Kinde. Ach lieb' Väterlein, stürzet Euch nicht muthwillig in Gefahr, wo es nicht von Nöthen ist. Ich will Euch nicht aus dem Feld zurückzuhalten suchen, denn ich weiß, es würde nichts helfen; aber bedenket immer, daß die, so jünger sind als Ihr, auch voranstehen müssen in der Schlacht!«

»Gänselein, Gänselein, Du sprichst, was Du nicht verstehst«, rief ärgerlich der Alte, der während der letzten besorgten Worte seiner Tochter Zeichen des höchsten Mißfallens zu erkennen gegeben hatte. »Was schnatterst Du da, albernes Dirnlein? Willst Deinem Vater also gute Lehren geben? Scheer Dich zu Deinem Spinnrocken und thu', was ich Dir gesagt habe, und kümmere Dich um weiter nichts – da hast Du noch einen Kuß, nun lebe wohl.«

»O Vater, nehmet nicht so im Aerger und Zorn Abschied von Eurem Kind, es ist so ein schrecklich Ding darum. Ich mein's ja gut und hab' solche Angst um Euch – o Gott, wie verlassen würd' ich sein, wenn Euch etwas zustieße!«

»Na, na«, brummte Meister Michael, vom Aerger zur Rührung übergehend, »na nur ruhig, Reginchen; ich werd' schon munter und mit heilen Knochen Heimkommen. Es geht ja nicht anders, siehst Du, dem Mecklenburger muß mit der Kolbe gelaust werden, eher gibt er nicht Ruhe. Und daß ich dabei sein muß mit allen meinen Gesellen, das stehet baumfest. Ist's nicht so, Burschen?«

»Vivat! vivat der Meister! so ist's, vivat!« schrien alle die lustigen tapfern Drucker, und nur der alte, halbgelähmte Factor Cornelius schüttelte unbemerkt von den Uebrigen den greisen Kopf.

»Siehst Du, Regina?« rief Meister Lotther. »Also, lieb' Töchterlein, leb' 'wohl und halt' das Haus in guter Obacht, bis wir sieghaft heimkehren. Herr Cornelius, der Factor, wird Dir dabei nach Kräften mit That und Rath zur Hand gehen und meine Stelle so gut als möglich ersetzen.«

»Das wird er mit Gottes Hilf' und Gnaden, Meister Lotther!« sagte der alte Diener des Hauses.

»Das ist recht! Das ist ein wackerer alter Kauz. Reginchen, frag' den Cornelius immer um Rath, wo Du dessen bedarfst, und thu', was er sagt.«

Regina trocknete die weinenden Augen und reichte dem braven treuen Factor die Hand.

»Ich will, ich will, Cornelius!«

Dann wandte sie sich zu den andern Gesellen und dem Hausknecht, welcher einen gewaltigen Kober mit Proviant übergehängt hatte, und beschwor sie, ihren Vater nicht aus den Augen zu lassen und in jeder Gefahr und Noth ihm zur Seite zu stehen; bis der Alte von Neuem ungeduldig wurde und alle weitern Erörterungen dadurch abschnitt, daß er seine Büchse schulterte, seiner Tochter noch einen letzten Abschiedsschmatz auf den Mund drückte und sagte:

»Lauf' jetzt zur Nachbarin, mit der magst Du nachher in die Katharinenkirche zu Ehrn Hennig Freden gehen, der wird Euch Weiblein schon Trost einsprechen; und nachher könnt Ihr von dort dem Auszug zuschauen. Und nun vorwärts, Ihr Burschen; gebt Acht, bei allen Teufeln – Gott verzeih' mir den Schwur! – wir sind die Letzten auf dem Sammelplatze.«

Wieder zog ein Bürgerfähnlein unter Trommelschlag durch die Schöneeckstraße. Knabenhaufen strömten dem Zuge voraus oder begleiteten ihn. Neben dem Banner schritt leuchtenden Auges der Geschichtschreiber Sebastian Besselmeier. Fröhlich winkte er dem eben vor die Thür tretenden Buchdrucker, und dieser schloß sich mit seinen Gesellen dem Haufen an und marschirte mit ihm, fest entschlossen zu siegen oder zu sterben, nach dem Alten Markte, wo unter dem Roland und dem Bild des großen Kaisers Otto die Bürger und die Bauern sich aufstellten; während die geworbenen Knechte auf dem Domplatze ihren Sammelplatz hatten.

Aus allen Thüren und Fenstern blickten Greise, und Weiber mit rothgeweinten Augen und Kindern auf den Armen den verwandten und befreundeten Männern nach. Ach, es sollte so Mancher von ihnen nicht heimkehren.

Auf dem Breiten Wege wogte es, Kopf an Kopf, hin und her. Bewaffnete Bürger, die sich verspätet hatten, eilten im Sturmschritt einher, Boten des Raths, Boten der Kriegshauptleute zu Roß und zu Fuß jagten vorüber. Vom Zeughause am Alten Markt setzten sich die Heerwagen und großen Geschütze mit dumpfem Gerassel in Bewegung.

Die Canzlei des lieben Gottes rührte sich auf das Allergewaltigste.

Unsäglich feierlich klangen heute an diesem Sonntagmorgen über all das Wogen und Tosen, das Rufen, Klirren und Rasseln, über all die Trommeln und Trompeten, die Kirchenglocken von den Thürmen. Wie Stimmen gottgesandter Boten verkündeten sie allen, allen angstvollen Herzen, daß Gott immer da sei über seinem Volk, daß die Stadt nicht verlassen sei im Anfluthen der übermächtigen Feinde, daß hoch über Acht und Aberacht noch ein Höherer richte und lenke. –

Den Worten des Vaters gemäß, und noch mehr dem eigenen Herzensdrange folgend, eilte jetzt Regina beflügelten Schrittes über die Gasse zum Hause des Rathmannes Horn, um sich in die Arme der Frau Margaretha zu stürzen. Der wackere Factor Cornelius aber humpelte im ganzen Hause herum, sah nach allen Thüren und Schlössern, schüttelte den Kopf, strich in der öden Officin zwischen allen Pressen umher; jede einzelne berührte er liebkosend mit der Hand und murmelte:

»Laßt sie nur laufen und trommeln und rennen, ihr, meine Lieblinge, seid doch die wahren Werkzeuge des Streites. Was wollten sie anfangen, wenn ihr nicht hinter ihren Schlachtreihen ständet?«

Einige zerstreute Lettern las der Alte sorgsam vom Boden auf; auch sie betrachtete er zärtlichen Blickes:

»Seid ihr auch da, meine kleinen tapfern Burschen! Ja, ja, mögen die Andern, die da draußen trompeten und pauken, auch heimkommen, geschlagen und mit blutigen Köpfen. Ihr, meine schwarzen Bürschlein, werdet nicht geschlagen, – da ist Niemand, der euch widerstehen mag!«

Er hätte gern das Gespräch mit dem Magister Flacius Illyricus, welcher im Vorüberlaufen die Correctur einer neuen Streitschrift in die Druckerei warf, fortgesetzt; aber der Magister wollte nicht hören, er hatte es zu eilig; wie er blitzschnell gekommen war, verschwand er blitzschnell, um sich von Neuem in das Getümmel der Gassen zu werfen.

Währenddem hielten sich im gegenüberliegenden Hause Frau Margaretha und Regina eng umfaßt.

»Muth, Muth, mein Mütterlein«, suchte die Jungfrau zu trösten. »Lasset uns hoffen, daß Alle, für die wir sorgen und bangen, glücklich heimkommen aus der Schlacht. Lasset uns hoffen, daß der Feind geschlagen werde und seinen Lohn dahin nehme. O denket nur, welche tapfern Männer ausziehen und denket, für welche Sache sie ausziehen. Ist nicht der liebe Gott mit allen seinen heiligen Schaaren auf unserer Seite? Wer will da fürchten, wer will da kleinmüthig verzagen, während so viele muthige Herzen siegesfroh sich schaaren unter dem Banner Gottes, unter den Panieren des reinen Glaubens?«

»Kind, Kind«, sagte die alte Frau kopfschüttelnd. »Ich hab' solche Angst; ich kann sie nicht abweisen, ob ich auch wollte. Und der Vater, mein Mann, ist auch so besorgt. Alle die versuchten Kriegsleute, so in der Stadt sind, haben diesen Zug widerrathen. Man solle warten, haben sie gesagt; noch seien der Stadt stattliche reisige Haufen versprochen, und der Mecklenburger habe solch' furchtbar, gedient Volk bei sich, daß es ein Wunder sein werde, wenn man ihm im freien Felde was anhaben könne. Wohl sind Unserer viel; aber was die Bauern, die mit ausziehen sollen, ausrichten werden, das stehet dahin, und Keiner hat einen rechten Glauben daran, daß sie in der Feldschlacht von Nutzen sein werden. O Kind, ich glaub', dieser armen Stadt drohet ein groß Unglück; ich glaub' nicht an das Gelingen dieses Zuges, und mein Markus, mein armer Markus ist auch dabei; o könnt' ich ihn doch sehen beim Auszug, vielleicht soll er auch fallen draußen vor dem Feind und so abbüßen, was abzubüßen er heimgekommen. O Ludolf, Du harter Mann, Gott verzeihe Dir, was Du gethan hast an Deinem Kind und diesem Mutterherzen.«

Jetzt riefen die Glocken zum zweiten Male in die Kirchen. Es war neun Uhr.

»Wisset Ihr, Mütterlein«, sagte Regina, »jetzt gehen wir nach Sanct Katharinen, da wollen wir alle unsere Sorgen und all' unser Grämen in den Herrn stellen und Herrn Hennig Freden's Trostpredigt hören. Mit allen andern betrübten Müttern, Schwestern, Töchtern in dieser Stadt wollen wir beten für die, so bereit sind, in den Tod zu gehen für Gottes heiliges Wort und für uns. Kommet, Mütterlein, der Männer Stelle ist unter dem Panier, unsere Stelle ist vor dem Altar. Wir wollen gehen und beten, da wir ein Anderes nicht thun können.«

Mit Thränen in den Augen küßte die Matrone die Jungfrau auf die weiße Stirn. Beide Frauen griffen nach ihren Gesangbüchern und traten aus dem Hause. Schon strömten von allen Seiten die bekümmerten Frauen und Mädchen nach den Gotteshäusern; wer nicht fähig war, die Waffen zu tragen, war auf dem Wege zum Gebet an heiliger Stätte. Mütter führten ihre Kinder, Kinder ihre greisen Eltern. Dabei lag der holdeste Sonnenschein über der Stadt; in ihren Sonntagskleidern bewegte sich die geputzte Menge, und wären jetzt, wo alle Waffenfähige ihre Sammelplätze erreicht hatten, die fernen Trommeln nicht gewesen, Niemand hätte auf den ersten flüchtigen Blick an dem tiefsten Frieden gezweifelt.

Zum dritten Male riefen die Glocken, und als sie verhallt waren, da rauschten melodisch-feierlich in allen Kirchen der großen protestirenden Stadt die Orgeln auf; dann fing in allen Kirchen von Gottes Canzlei, diesmal fast allein getragen von den Stimmen der Frauen und Kinder, das gewaltige Sturmlied der Zeit an:

»Ein' feste Burg ist unser Gott,
Ein' gute Wehr und Waffen.«

Auf allen Canzeln standen in ihren schwarzen Chorröcken mit geneigten Häuptern die Prediger; – zu Sanct Ulrich Herr Nicolaus Hahn, zu Sanct Johannes Herr Lucas Rosenthal, zu Sanct Jakob Herr Johannes Stengel, zu Sanct Katharinen Herr Hennig Freden, zu Sanct Peter Herr Ambrosius Hitfeld, zum heiligen Geist Herr Johannes Baumgarten, der Chronist, in der Sudenburg Herr Joachim Wolterstorff, in der Neuen Stadt Herr Heinrich Guerike.

Ueber des Psalmisten Wort: »Im Namen unseres Gottes haben wir Panier aufgeworfen«, begannen sie allgesammt ihre Predigten, und ein Jeder redete darüber nach seiner Art, tröstlich und erbaulich, wild und aufstachelnd, zur Geduld anmahnend, zum Eifer anspornend, sänftigend oder erregend. Die Macht, welche in jenen Tagen die Canzel hatte, und von welcher man sich heute kaum einen Begriff machen kann, zeigte sich bei solchen Gelegenheiten in ihrer ganzen Gewalt. Keinen Begriff kann man sich von den Gefühlen machen, mit welchen beim Schluß der Predigt in jeder Kirche der Stadt die andächtige Menge die Verse des sechsundvierzigsten Psalmes im Herzen nachsprach:

»Wenn gleich das Meer wüthet und wallet, und von einem Ungestüm die Berge einfielen, Sela!

Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.

Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben, Gott hilft ihr frühe.

Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen; das Erdreich muß vergehen, wenn er sich hören läßt.

Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakob's ist unser Schutz, Sela!«

Wir versetzen uns im Geist in die Katharinenkirche, während die Orgel melodisch braust, während die letzten tröstlichen, siegesmuthigen Verse unter den Wölbungen hin verhallen. In den Orgelklang, in den Gesang der Menge mischen sich näher, wilder, lauter die Klänge der Trompeten, mischt sich das Wirbeln der Trommeln. Auf dem Breiten Weg her zieht zum Krökenthor die Spitze des Zuges der städtischen Kriegsmacht heran. Die Befehlshaber hoch zu Roß eröffnen den Zug, Allen voran reitet der städtische Feldoberste dieses Unternehmens, der greise, treffliche Gregorius Guerike, Bürgermeister, ihm folgt in vollem Harnisch Heinrich Müller, Stadtkämmerer, mit Hans Springer, dem Hauptmann. Sie sind begleitet vom alten Hans Alemann und Herrn Ulrich von Embden, den Bürgermeistern, Ebeling Alemann, dem Kriegsobersten, von den fremden Herren und Grafen, von einem Theile des hochedeln Rathes, welche Alle am Thor halten werden, die Schaaren vorüberziehen zu sehen.

Nun reitet vom Kopf bis zu den Füßen gepanzert Herr Hans von Wolffen oder Wulffen, der Rittmeister, heran, und der Stadt Reiterfahne, getragen von Christof Alemann, dem Fähnrich, flattert dem reisigen Zeug vorauf und vorüber an der Kirche.

»Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakob's ist unser Schutz, Sela!« verklingt der Gesang in der Kirche; aus dem hohen Portale drängt sich die Menge auf die schon so menschenvolle Gasse – kriegerisch schmettern die Trompeten, aber die Orgel läßt sich nicht übertönen, sie hallt fort und fort; – von den hohen Stufen des Hauptportals von Sanct Katharinen blicken Frau Margaretha und Jungfrau Regina Lottherin, sich eng umfaßt haltend, in das rasselnde, klirrende, vorbeidrängende Getümmel.

Jetzt sind die Reiter vorüber, und es nähert sich der Zug der geworbenen Knechte. Deren hatte, wie schon erzählt worden ist, die Stadt drei starke Fähnlein unter den Hauptleuten Galle von Fullendorf, Hans Kindelbrück und Hans Springer. Der Haufe des Letztern war ausersehen, an diesem Unternehmen theilzuhaben, doch waren ihm auch von den andern Haufen einzelne Rotten beigegeben. Im buntesten Aufzuge rückten diese Kriegsleute heran, und Regina faßte plötzlich den Arm ihrer ältern Freundin fester; hinter den Trommelschlägern und Pfeifern schritt der Leutnant Adam Schwartze und grüßte stolz lächelnd herauf, als er die beiden Frauen auf den Stufen der Kirchthür erblickte. Dicht neben den beiden Frauen griff eine Hand nach dem Dolchmesser; Andreas Kritzmann, der Schütze, verfolgte den Leutnant mit seinen unheimlichen Augen, bis er verschwunden war; dann trat der finstere Gesell von den Stufen herunter und verschwand ebenfalls in dem Gewühl.

Rotte auf Rotte zog vor den schwindelnden Augen der Frauen vorbei; bis die Matrone zusammenfuhr und an allen Gliedern erzitterte.

»Da – da!« hauchte sie, und dann klang ein gellender Schrei über all' den kriegerischen Lärm.

»Markus! Markus, mein Kind!«

Markus Horn, vor seiner Rotte herschreitend, hielt einen Augenblick an, blickte wirr umher, sein Blick fiel auf die Stufen des Portals von Sanct Katharinen. Es war, als wolle er aus dem Zuge gegen das Kirchthor stürzen; aber dann winkte er nur finster mit der Hand. Wie ironisch klangen die schrillen Töne von Fränzel Nothnagel's Querpfeife ihm vorauf. Vorüber war der verstoßene Sohn, die Mutter barg ihr Haupt an der Brust der Jungfrau, Regina Lottherin war todtenbleich und hatte kaum die Kraft, die mütterliche Freundin aufrecht zu halten.

Schon schwebten jetzt über den Häuptern der Menge die Banner der Innungen her, vorbei trippelte Michael Lotther, strahlend vor Glück; vorüber schritt Herr Sebastian Besselmeier und mit ihnen manch' guter streitbarer Mann. Dem Vater wehete die Tochter mit dem thränenfeuchten Sacktüchlein zu, aber Herr Michael grüßte nur mit kriegerischem Ernst.

Den Bürgern folgten die dreitausend Bauern, welche theils vor den landschädigenden Schaaren des Herzogs von Mecklenburg geflohen, theils von der Stadt in den umliegenden Aemtern aufgeboten waren, und welche Alle am vorhergehenden Abend vor dem Rathhause auf dem Alten Markt einem Ehrbaren Rath geschworen hatten, für das Banner von Magdeburg zu stehen und zu fallen. Wer aber diese armen Burschen ansah, der mußte sehr zweifeln, ob sie solchen Schwur halten würden. Den stolzen geharnischten Reitern, den bunten, stattlichen, protzigen Landsknechten, den wohlgerüsteten wohlgenährten Bürgern folgten sie mit ihren Spießen, niedergeschlagen, kümmerlich, nicht im Geringsten schlachtmuthig. Langsam trottelten sie, durcheinanderlaufend wie eine Heerde, vorüber, und dann kam ein dumpfes Gepolter näher und verkündete nun das Herannahen der Wagenburg und des Geschützes. Elf Stück wunderliche grobe Feldstücke, gezogen von schweren, feisten Gäulen, rasselten heran, ihnen nach kamen die Roll- oder Rennwagen mit den leichtern Stücken, den Doppelhaken und ihrer Bedienung. Schwerfällig polterten dann die Rüstwagen mit Proviant, Munition und dergleichen beladen her; und es behaupteten die Feinde nach der Schlacht, auf diesen Wagen habe sich der Meister Andreas, der Henker der Stadt, mit seinen Knechten, seinen Richtschwertern und einigen Tonnen voll gewächster Stricke befunden; – man habe alle Gefangenen durch des Nachrichters Hand zu Tode bringen lassen wollen. Ein Märlein, schlau ersonnen, die Wuth der Knechte im Lager gegen die Bürger in der Stadt auf's Höchste zu entflammen.

Den Beschluß des Zuges machten die schwerfälligen und seltsamen Karren der Wagenburg, welche den bürgerlichen Streitern damaliger Zeit im freien Feld die hohen Mauern und Wälle, hinter denen sie zu kämpfen gewohnt waren, ersetzen sollten. Diese ungeheuerlichen Maschinen wurden theils von Pferden, theils von Ochsen gezogen und hatten neben und hinter sich eine gut gerüstete Begleitung von Bürgern.

Eine solche Heeresschaar, auf solche Weise in Eisen geschnallt, mit solchen Waffen, welche solch' schwerfälliges Räderwerk mit sich schleppen mußte, bewegte sich natürlich nicht mit der Schnelligkeit einer Armee heutiger Tage. Es dauerte Stunden lang, ehe sie ihren Vorbeimarsch vollendet hatte, ehe der letzte Wagen der Wagenburg mit seiner Bedeckung durch das dunkle Krökenthor und über die Zugbrücke gerasselt war. Jenseits der Zugbrücke hatten sich die Herren vom Rath, die fremden Kriegsherren und die Hauptleute, welche das Unternehmen nicht mitmachen sollten, aufgestellt. Hier nahmen sie bewegten Herzens Abschied von den Streitgenossen und den Anführern, und Schluchzen und lautes Weinen schallte aus den dichtgedrängten Reihen des Volkes, das aus der Thorwölbung dem Heere nachquoll. Von den hohen Wällen der Altstadt weheten weiße Tücher in den Händen der Frauen und Jungfrauen. Auch auf den Mauern der Neustadt stand viel Volk, hielt sich aber ziemlich theilnahmlos; denn die Neustadt sah in der Altstadt nur eine begünstigte Nebenbuhlerin und hatte unter den Ausziehenden Wenige, deren Wohl ihr am Herzen lag. Einen letzten Gruß winkte der greise Gregorius Guerike; dann sprengte er davon und eilte, begleitet von dem Kämmerer Müller und dem Hauptmann Springer, sich wieder an die Spitze der Schaaren zu stellen, welche er vor den Feind führen sollte. Dichte Staubwolken verhüllten schon die letzten Wagen; zurück blieben die Herren und das Volk; nur die Knaben folgten noch eine geraume Strecke dem Heere der Stadt.

Still und gedrückt kehrte dann das Volk in seine Wohnungen zurück, und bange Stunden sollten ihm vergehen, bis der entscheidende Schlag gefallen war. Frau Margaretha und Regina trafen zu Hause den Rathmann, der während ihrer Abwesenheit vom Rathhaus heimgekehrt war, bleich und wortlos in seinem Sessel sitzend und den sonst so mundfertigen Doctor Erasmus Alberus eben so stumm und niedergeschlagen auf einem andern Sessel. Das war ein sehr schrecklicher, angstvoller Sonntag, und eine noch angstvollere Nacht sollte ihm folgen.


 << zurück weiter >>