Wilhelm Raabe
Der Dräumling
Wilhelm Raabe

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Das elfte Kapitel.

Ein singender Teekessel, eine rötlich verschleierte Lampe, ein Kuchenkörbchen, ein Nähkörbchen und zwei dicht aneinandergerückte Weiberköpfe!

Um fünf Uhr nachmittags hat der Maler Haeseler an die Tür des Hofrats Mühlenhoff geklopft, und Wulfhilde Mühlenhoff, glücklich, den grämelnden Papa in so guten Händen zu wissen, hat schnell nach Hut und Mantel gegriffen, hat der Magd gesagt, sie käme sofort wieder und ist eiligst nach der Wassergasse zu Frau Agnes Fischarth gelaufen und sitzt noch da, obgleich die Turmuhr von Paddenau längst die achte Stunde des Abends weit über den Dräumling hin ausgerufen hat.

Ja, da saßen sie und klagten einander ihr Leid, oder vielmehr, da sie es sich bereits den ganzen Abend hindurch geklagt hatten, so rekapitulierten sie es jetzt zum Schluß und zärtlichen Abschied; und wir haben das teuflische Vergnügen, der Wiederholung anzuwohnen, ohne daß die Damen uns zur Gegenzeichnung aufzurufen vermögen.

»Ich begreife nicht, Wulfhilde, daß du das alles mit ganz trockenen Augen erleben und erzählen kannst,« sagte die Frau Agnes. »Es wäre mir viel lieber, du weintest dich recht aus, mein Herz, und wenn es auch nur wäre, um mich teilnehmender und ärgerlicher zugleich zu machen. Aber warte nur, das kommt alles nach der Hochzeit. Ich versichere dich, nach den Flitterwochen ist jede stille Duldung zu Ende, und wer seinen Vorrat davon nicht während seiner Mädchenjahre rein aufgebraucht hat, der mag ihn am Tage der Hochzeit dreist verschenken: – nichts ist er mehr wert! O, ich war in meiner Eltern Hause in Berlin auch ein sanftes Gemüt, und damals nahm ich auch bei jeder Gelegenheit in aller Herzenstiefe die Partei meines Vaters; aber das ändert sich, sowohl was das Gemüt als was die Parteinahme anbetrifft, und heute stehe ich nachträglich in allen Dingen auf Seiten meiner Mutter; denn selbst seinen eigenen Papa lernt man erst dann richtig taxieren, wenn man selber verheiratet ist. Das mag kurios sein; aber wahr ist es doch.«

»Mein armer Papa ist doch sehr gut.«

»Natürlich! nach alledem, was du mir heute abend wieder einmal von ihm erzählt hast? Heirate erst und dann komme wieder.«

»Er leidet so sehr!«

»Das tun sie alle; – sie leiden zu allen Zeiten namenlos, haben aber auch zu allen Zeiten andere Namen und Bezeichnungen dafür; wenn sie worin groß sind, so sind sie darin am größesten. Ach, Wulfhilde, du kennst den meinigen; es fehlt ihm Gott sei Dank nicht das geringste, und er besitzt außer seiner Gesundheit ein Phlegma, dem nichts etwas anhaben kann; aber wie der arme Mensch leidet, in jedem beliebigen Augenblicke leidet, das ist gar nicht mit Worten auszudrücken, und ich komme auch nur durch stumme Gebärdensprache, und wenn es zu unerträglich ist, durch eigene Tränen darüber weg.«

»Ach Gott, Agnes, gegen meinen Papa darf ich doch solche Waffen nicht anwenden. Er würde es nicht dulden.«

»Das ist es ja gerade, Kind! Mein Gustav muß es dulden. Das wäre noch besser, wenn er auch dazu erst seine Genehmigung geben müßte!«

»Agnes, ich halte deinen Mann für so gut, daß es eine Sünde wäre, ihn schlechter zu behandeln, als er verdient.«

Das Weib des Rektors von Paddenau legte zwei Finger an die Stirn, wiederholte: »Daß es eine Sünde wäre, ihn schlechter zu behandeln, als er verdient,« und fügte hinzu: »Na, höre du, das ist ein Satz, über den man tief nachdenken muß, ehe man dahinter kommt, daß etwas recht schön klingen und doch Unsinn sein kann! Ich könnte die Redensart gelten lassen, wenn ich mich über ihn, das heißt meinen Mann, beklagt hätte, allein ich beklage mich durchaus nicht, sondern taxiere ihn nur, und wenn ich noch am Leben bin, werde ich ein Jahr nach deiner Hochzeit zu dir auf Besuch kommen, und du wirst mir stumm an das Herz fallen; ich aber werde dir mit Vergnügen dann für deine Erfahrungen die nötigen Worte leihen.«

»Ach, Beste, flüchte ich mich nicht heute schon in deine Arme? Ich weiß ja, daß du das Leben kennst; wenn ich es auch jetzt noch nicht von deinem Standpunkt aus ansehen kann. Wer sollte mich denn heiraten wollen? Für mich handelt es sich immerdar nur um meinen armen lieben Papa. Ach, er ist so gut, und ich halte ihn auch für einen der Klügsten unter den Menschen und – was kann er denn dafür, daß er auch einer der Verdrießlichsten ist?!«

»Verdrießlich ist mein Gustav nicht; das kann man ihm nicht nachsagen; er ist nur zu oft zu unbefangen heiter. Aber für den Klügsten unter den Menschen halte ich ihn durchaus nicht, und darin liegt mein Unglück. Er ist gescheit, er hat Gefühl, Empfindung und Vernunft; aber niemals an der richtigen Stelle. Ich übersehe ihn in allen Hauptsachen des täglichen Lebens, und ich sage es ihm auch oft genug, und er lacht, und da er anderthalb Fuß höher ist als ich, so sieht er über mich weg, und wenn ich mir sein Lachen noch gefallen lassen wollte, – sein Lächeln bringt mich zur Verzweiflung und könnte mir Nervenzufälle zuwege bringen. Wen du heiraten sollst? Frage doch deinen Papa nach dem Hamburger Vetter. Frage Herrn George Knackstert, ob er dich heiraten wolle! Ich bin eine praktische Frau, und es wäre ein Wunder, wenn ich nicht auch in eurem Hause Bescheid wüßte. Winke, mein Liebchen, und der Herr Vetter ist da, und wenn dein Papa wie der Riese Brombeerius, oder wie er heißt, hundert Hände hätte, er legte sie euch alle hundert segnend auf das Haupt, verlasse dich darauf!«

Wir vermögen es nicht, das Minenspiel Wulfhilde Mühlenhoffs bei dieser Wendung des Gesprächs zu beschreiben. Als die kluge Frau des Paddenauer Rektors des Eindruckes, den sie durch ihre letzten Ratschläge und Bemerkungen auf die junge Freundin machte, inne wurde, sah sie ihr fast eine Minute lang wie verwundert in die Augen und sagte dann:

»Nun – wenn das so ist, so weiß ich freilich keinen andern Rat, als daß du den Freund meines Mannes, den Maler Haeseler nimmst.«

Da erhob sich die schöne Wulfhilde Mühlenhoff und sprach mit einem wahrhaft tragisch-vorwurfsvollen Ernst:

»Aber Agnes?!« – – – – – – – – – – – – –

»Dummes Zeug?!« fragte oder rief vielmehr um dieselbige Stunde der Rektor Gustav Fischarth einer Bemerkung entgegen, die soeben von Knackstert Witwe und Sohn gemacht und von halb Paddenau mit einem beifälligen Kopfnicken begleitet worden war. »Dummes Zeug? ja dummes Zeug! aber wie viele Furcht, wieviel Haß verbergen sich oft unter dem bedauernden Achselzucken, welches die verachtende Phrase begleitet? Und was alles pflegen die Menschen unter der Rubrik zu verpacken! Wahrlich nicht bloß ihre Ansichten über einen hohen Feiertag der Menschheit, ihre Ansichten über gute oder schlechte Poemata, über gute oder schlechte Ratschläge guter Freunde – nein, manchmal, sogar ziemlich häufig, meine Herren, verpacken sie darunter ihre besten, zartesten, vernünftigsten, ja verständigsten Gefühle und Gedanken –«

»Oho, diejenigen oder dergleichen haben wir noch niemals dummes Zeug tituliert!« murmelte der Dräumling, ohne daß sich der Vetter aus Hamburg von dem Gemurmel ausschloß. Der Rektor von Paddenau ließ sich jedoch durch das ärgerliche Gesumm und Gebrumm nicht stören, sondern fuhr nur um so lauter und heftiger in es hinein:

»Dummes Zeug! das ist das große Wort, mit welchem sich die Mittelmäßigkeit, das Philistertum am leichtesten und liebsten gegen das Höhere, das imponierend Unbequeme zu wappnen pflegt. Wohl, – und das Mittelmäßige, das Philisterhafte nimmt es denn auch vor allem am übelsten auf, wenn der Tod oder ein gewaltiges weltgeschichtliches Fatum auch einmal sich die Freiheit nehmen: dummes Zeug! zu sagen, und die ganze Herrlichkeit eines, wie man es nennt, wohlangewendeten Daseins oder geordneten politischen Zustandes zusammenzukehren, auszuwischen und in den Winkel zu stäuben. Der Welt Zustand und Lauf! o spart euch doch die Mühe, mich mit ihm bekannt zu machen! Dummes Zeug! es ist oft, oft eine sehr große Ehre für ein Ding, ein Wort, eine Tat, von einem Kunstwerk gar nicht zu reden, wenn der eingebildete Tag sie unter der Etikette dummes Zeug abfertigt; und häufig genug hebt eine hohe, lächelnde Muse das in solcher Art Abgetane aus dem Staube des Marktes auf, um es im Göttersaale der Erdenwelt hoch auf seinen rechten Platz zu stellen, und es für die rechten Leute und einem fernen Jahrhundert zur Freude, zum Trost und als ein großes Beispiel aufzubewahren.«

Die Leute des jetzigen Jahrhunderts würden den Rektor Fischarth unbedingt aus dem grünen Esel hinausgeworfen haben, wenn nicht zu unserer Freude und zu unserm Troste ihn derjenige würdige Mann, der, wie wir bereits früher mitteilten, als der größte Dummkopf der Tafelrunde galt, vor diesem Schicksale bewahrt hätte.

Wie im Garten der Krebswirtschaft redete dieser Mann zur rechten Zeit begütigende Worte und sprach:

»Meine Herren, zanken wir uns doch nicht um Nebendinge! Wir sind einmal in der Geschichte drin und haben sie nun auch durchzuführen. Sehen Sie in die Zeitungen, meine Herren; ganz Deutschland und Umgegend feiert dieselbe Festivität, also kann sich Paddenau nicht ausschließen. Meine Herren, wir würden uns weit über die Grenzen des deutschen Vaterlandes hinaus blamieren, wenn wir uns jetzo noch über eine Sache zankten, zu welcher sogar der Stadtmagistrat seinen Kostenbeitrag verwilligt hat. Sich selber kann jeder lächerlich machen, wenn er die Feierlichkeit in seinem Gewissen lächerlich findet; aber fürs Gemeinwesen müssen alle wie ein Mann stehen. Das ist meine Ansicht, meine Herren, und der, bei welchem kein anderer Trost verfangen will, der mag sich damit trösten, daß diese Geschichte und dieses Jubiläum bei seinen Lebzeiten nicht wieder vorkommen kann.«

Es war ein Vergnügen, während dieser Rede den Rektor Gustav Fischarth zu beobachten; aber es war ein noch viel größeres Vergnügen, dem Vertreter der großen Firma Knackstert Witwe und Sohn, Herrn George Knackstert aus Hamburg seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Dieser ausgezeichnete Mensch hatte schon zwanzigmal im Laufe des Abends, angewidert im Tiefsten von der Gewöhnlichkeit des Kreises, in welchen er geraten war, das Gastzimmer verlassen wollen, um sich in seine eigenen Gemächer zurückzuziehen, und war jedesmal auf seinem Stuhle sitzen geblieben, wider Willen festgehalten von einer ganz und gar mit seinen Ansichten übereinstimmenden Meinungsäußerung eines der Dräumlingsbewohner. Daß er bis jetzt etwas Kluges gesagt hätte, ist uns nicht bewußt geworden; aber er blickte den ganzen Abend hindurch groß und gediegen, und daß er noch etwas sagen wird, steht, außerhalb allen Zweifels, gerade so fest, als er auf seinem Stuhle sitzt. Wir sind heute mit dem grünen Esel noch lange nicht fertig; aber Wulfhilde Mühlenhoff hat ihrer Freundin, der Frau Agnes, mitgeteilt: der Herr Haeseler ist zum Papa auf Besuch gekommen, und so konnte ich abkommen: – und so wäre es sehr töricht von uns, wenn wir nicht auch diesen beiden Herren in dieser Nacht – eine Seite unseres wahrhaftigen, nimmer genug zu lobenden Dräumlingsbuches widmeten.

Im grünen Esel hatte der Rektor Fischarth wiederum das Wort genommen, in der Wohnung des Geheimen Hofrates hielt es der Maler seit einiger Zeit fest, nachdem es der nervöse Hausherr lange genug gehabt hatte und es endlich wider Willen und nur aus körperlicher Erschöpfung hatte fahren lassen müssen.

»Sie scherzen, mein lieber Hofrat,« sagte der Maler, »und ich habe nicht die Absicht, in Ihren Scherz einzugehen; denn ich würde Ihnen dadurch nur die Gelegenheit bieten, morgen beim Frühstück mich arg bei Fräulein Tochter verketzern zu dürfen. Sie, der Sie aus einer Welt des Lichts kommen, wie nur Deutschland es in solcher Reinheit hervorbringt, Sie fühlen sich freilich in einen etwas engen Kreis gebannt, allein Sie fühlen sich auch als der Punkt, von welchem in dieser Enge und für diese Enge das Licht ausgeht; Sie spielen sozusagen in Paddenau das Kind aus der Nacht des Correggio.«

»Das ist ein eigentümlicher Vergleich,« sagte der Hofrat weinerlich (die deutsche Sprache besitzt leider keinen volltreffenden Ausdruck für die Art und Weise, wie er es sagte).

»Nehmen Sie das heilige Elternpaar als Ihre wunderbare Vorgeschichte: nehmen Sie gütigst Ochs und Eselein und die Gruppe der Hirten als Ihre liebe Nachbarschaft im Dräumling und in Paddenau, und nehmen Sie gefälligst Fräulein Tochter, mich, meinen Freund Fischarth und einige andere Leute aus Ihrer Bekanntschaft als die an der Decke sich wundernden und freuenden Engel; so werden Sie meinen Vergleich nicht als ungerechtfertigt von sich weisen.«

»Er ist jedenfalls sehr drollig,« sagte der Geheime Hofrat, und wir bedauern wiederum, daß die deutsche Sprache nicht imstande ist, für den Ton, in welchem er sich so äußerte, die rechte Note zu treffen.

»Ein Freund, ein Hausfreund wie dieser Gustav Fischarth könnte mich schon allein bewegen, von den sonnigsten Höhen der Menschheit nieder und nach Paddenau hinunter zu steigen!« rief der Maler mit wirklicher Begeisterung; worauf der Hofrat Mühlenhoff reizbar-grämlich bemerkte:

»Grade heute morgen habe ich mit meiner Tochter über den Herrn gesprochen. Kennen Sie ihn schon länger?«

»Seit langer Zeit! Wenn nicht von seinen ersten Höschen, so doch von seinen ersten Reimen an, die er mir nachträglich in Bonn vorlas:

Es reget sich im Windeskuß
Am Hage der Convolvulus –

O das ist ein volles ungedrucktes Behagen, das ist ein gesunder, ganzer Mensch gegenüber uns Fragmentisten! Das ist Apollo, der in den Sumpf schlägt, die Frösche zum Schweigen bringt und jeden gegen die Sonne spritzenden Tropfen Schlammwasser in einen Sonnenfeuerfunken verwandelt! Ach, ich wollte, ich wäre auch aus Obisfelde und man hätte mich auch zum Rektor in Paddenau gemacht! Der Bursche hatte die Absicht, seinen männlichen Drilling Lysis und die beiden kleinen Mädchen Leuctra und Mantinea zu taufen, und nur der Tod des einen winzigen Geschöpfes hat ihn daran verhindert; – o das ist ein glücklicher Mensch!«

»Weshalb Lysis? Wer war dieser Lysis?« fragte der Hofrat, nur höchst ungern zugebend, daß er weder dem Maler noch dem Rektor Fischarth zu folgen wisse.

»Wenn ich nicht irre, ein Pythagoreer und der Lehrer des Epaminondas, der Böotien groß machte.«

»Ah so, ich erinnere mich!« sprach der Hofrat, welcher als deutscher Prinzenerzieher sich dessen eigentlich kaum zu erinnern nötig hatte.

Der Maler sah eine Weile melancholisch in sein Weinglas; bis er plötzlich den Kopf in die Höhe warf und nun fast ärgerlich rief:

»Bei den Göttern, ich habe auch meine Zeit gehabt, wo ich meine Fenstervorhänge geschlossen hielt, wie ein junges Paar während der Flitterwochen! Herr Geheimer Hofrat, ich habe mit meiner Muse auch in den Flitterwochen gelebt, und das waren freilich die schönsten, tollsten, zartesten und wildesten Tage meines Lebens. Ich hatte sie sehr lieb,, meine junge schöne Muse; es war ein Verhältnis, wie es nicht zärtlicher gedacht werden kann. Die Sonne schien, leuchtete durch die niedergelassenen Vorhänge; – ach du lieber Gott, Herr Geheimer Hofrat, heute, wo ich mit dem glücklichen Freunde wieder in nähere Berührung getreten bin, heute, nachdem wir einander erzählt haben, was für beide nach den Flitterwochen kam, heute regt sich nur allzu oft der innige Wunsch in mir, nur einen einzigen Strahl der heißen, verschleierten Sonne jener Tage im Gemüte übrig behalten zu haben. Wissen Sie, wie mich heute seine Frau nennt?«

»Wessen Frau?«

»Gustavs Frau! Fischarths Frau! Meine gute Freundin aus der Stralauerstraße in Berlin! Ein in Fliegengift getauchtes Löschpapier nennt sie mich und hat mir mehrfach angeboten, mir das Diktum schriftlich zu geben.«

»Ja, es ist ein resolute Dame; ich kenne sie ganz wohl, und ihr Einfluß auf meine Tochter scheint mir oft ziemlich bedenklicher Art zu sein.«

Der Maler fuhr im Innersten seiner Seele heftig zusammen; doch der Hofrat fuhr mit kläglich herabgezogener Unterlippe fort:

»Sie kann sehr impertinent sein, ich meine diese Frau Rektor Fischarth, und sie ist häufig sehr impertinent gegen mich. Mein Bester, wofür mich meine Tochter hält, weiß ich nicht; aber es ist mir eine Herzensangelegenheit, sie so bald als möglich glücklich und anständig zu verheiraten. Ich weiß, daß Sie mein Vertrauen nicht mißbrauchen werden, liebster Freund, und ich bin ein Mann, der leider von Zeit zu Zeit jemand nötig hat, dem er sich ungestraft mitteilen kann. Rücken Sie näher heran, und lassen Sie uns die Gläser anklingen auf die glückliche Erfüllung unserer Wünsche. Die Präliminarien sind bereits gewissermaßen zum Abschluß gebracht; – wir haben einen Vetter in Hamburg, der ein großes Vermögen in würdigster Weise vertritt, der meiner Tochter eine passende Lebensstellung zu bieten vermag, und den ich mit Vergnügen als Sohn anerkennen würde. Es ist sonderbar, aber nichtsdestoweniger wahr: dieses bevorstehende Fest, diese Feier Friedrich von Schillers hat, schon vor Wochen, meine Maßregeln gezeitigt. Ich bin ein kränklicher, schwacher Mensch, und es ist mir unmöglich, dem öffentlichen Auftreten meiner Tochter diesmal zu wehren, allein es geschieht einmal und nicht wieder. Ich habe vor drei Wochen bereits an Herrn Georg Knackstert geschrieben – natürlich ohne von diesem Jubiläum und noch weniger von der Beteiligung meiner Wulfhilde dabei zu reden – und er hat geantwortet. Ich erwarte den trefflichen jungen Mann täglich; es wird mir eine Freude sein, Sie mit ihm bekannt zu machen – lassen Sie uns ein Glas auf seine baldige Ankunft leeren, das heißt, lassen Sie uns darauf anstoßen, mir verbietet unglücklicherweise meine Gesundheit jeglichen Exzeß – selbst bei einer solchen Gelegenheit.«

Unser Freund Haeseler folgte der Aufforderung des Hofrats und klang an; aber er sah dumm dabei aus! Ich versichere die Leserin, er sah dumm dabei aus! –

Erst nach einer geraumen Weile war er imstande zu fragen:

»Lieber Hofrat, sind Sie wirklich der Meinung, daß die Frau meines Freundes Ihr Fräulein Tochter zu dieser öffentlichen Schaustellung überredet habe?«

»Das habe ich nicht gesagt! O nein, im Gegenteil! in der Beziehung ist der Dame nichts vorzuwerfen. Ich redete vorhin nur von der kühlen Unbefangenheit, mit welcher sie jedermann, wie sie es meint, die Wahrheit, das heißt eine Sottise sagt. Was das Auftreten meiner Tochter im grünen Esel betrifft, so ist nur der Mann schuld daran; seiner zudringlichen Rücksichtslosigkeit habe ich die peinliche Unruhe, die quälenden Vorstellungen, die beißenden Ärgernisse der letzten Wochen zu verdanken.«

»Darf ich ihm den Dank ausrichten?« fragte der Maler, ohne zu wissen, was er fragte und wen er fragte. Er saß längst mit fieberhafter Energie an seiner Staffelei und malte mit fliegender, feuriger Eile an dem neuen Transparent zum hundertjährigen Geburtstagsfeste Friedrich Schillers.

»Ich bitte Sie, bester Freund,« rief der Geheime Hofrat ängstlich. »Wollen Sie meinen Nerven auch noch das aufladen? . . . Wo steckt denn das Kind? es scheint mir ziemlich spät in der Nacht zu sein!«

 


 


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