Wilhelm Raabe
Drei Federn
Wilhelm Raabe

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Der Geheime Medizinalrat neben mir schnarchte noch eine geraume Zeit weiter, als ich schon längst fest in dem Gedanken saß, daß wir eigentlich gar nicht mehr nach Hohennöthlingen gehörten und daß die Hohennöthlinger Spatzen uns nur aus gutem Willen und reiner Gefälligkeit ansangen wie sonst und daß die Hohennöthlinger Morgensonne ebenfalls nur aus purem guten Willen und in alter Anhänglichkeit um die Vorhänge herum uns wie gewöhnlich einen guten Morgen wünschte.

Diese Vorstellung trieb mich mit einem Sprung aus dem Bett, wovon der Wirkliche Geheime erwachte, nachdem er noch einmal im Halbschlaf griechisch oder lateinisch aus seinem Buch gesprochen hatte. Er rieb sich die Augen, richtete sich langsam auf und sagte mit kläglicher Stimme:

»Ach du lieber Gott, da sind wir wieder in allen Nöten des Tages!«

»Wir wollen schon hindurchkommen«, sagte ich.

Am Kaffeetisch spannen wir den Faden, welchen wir am vorigen Abend aus übergroßer Müdigkeit abgebrochen hatten, mit mehr Bedacht weiter, und am Nachmittag gingen wir zu unsern Eltern, um sie, wie es sich von selbst verstand, kindlich an unseren Verwirrungen teilnehmen zu lassen. Aber wir hätten dadurch, daß wir die gute Mama nunmehr ernstlich um ihre Meinung fragten, die Verwirrung beinahe noch viel größer gemacht. Trotzdem daß sie bereits zwei Töchter in die Welt geschickt und auch mir, wie ich oben schon gesagt habe, nichts in den Weg legen wollte, so zeigte es sich jetzt sehr klar, daß sie im Grunde des Herzens ein gewaltiges Grauen vor der großen Stadt hatte und sie zum allerwenigsten für ein neues Sodom und Gomorra hielt, wo sie sich ihr Kind durchaus nicht als »glücklich verheiratet« vorstellen konnte. Der Vater, welcher weiter in der Welt umhergekommen war, nahm die Sache ruhiger und blies nur etwas dickere Rauchwolken von sich. Die Aussicht, dermaleinst meinen zukünftigen Obersanitätsrat in der großen Stadt in guten Umständen besuchen zu können und die große Bibliothek und tausend berühmte philosophische Gelehrte, welche ich nicht kannte, von Angesicht zu Angesicht zu sehen, hatte viel Verlockendes für ihn, obgleich ihm niemand die »guten Umstände« garantieren konnte.

Es war ein bewegter Nachmittag; aber es fand sich wie gewöhnlich, daß sich gegen das Unvermeidliche schlecht anspringen läßt und daß ein neues Geschick einen oft über Nacht überfallen hat, ohne daß man recht weiß, wie es zugegangen ist. Am folgenden Tage war unsere Übersiedelung nach der Residenz eine festbeschlossene Sache, und es handelte sich nur noch darum, die nötigen Gelder zum Umzug und zur ersten Einrichtung zusammenzubringen; und dazu galt es Eile, wenn unsere Auswanderung der närrischen Luise, dem armen Fritz, dem biedern Paten Hahnenberg und dem – Herrn Agenten Pinnemann zugute kommen sollte. Ich habe schon manchen Strauß mit der Welt ausgefochten, und in der Hoffnung, daß die Residenzler mehr Vertrauen zu der Kunst und Geschicklichkeit meines Augusts beweisen würden als die Hohennöthlinger, ließ ich's auch auf dieses ankommen. Resolut liefen wir umher bei Juden und Christen. Ich gab meine halbe Aussteuer daran und August seine halbe Bibliothek, für welche letztere jedoch die Hohennöthlinger nicht viel gaben. Aber der Apotheker zeigte sich als ein Charakter, wenn er nicht, was ich doch nicht glauben will, die üble Einwirkung der wohlfeilen Rezeptierung meines Augusts auf die übrigen Ärzte fürchtete und ihn mit guter Manier los sein wollte – er lieh uns zweihundert Taler. Wir waren, nachdem auch mein armer Papa das Seinige an uns getan hatte, viel früher marschfertig, als wir es vermutet hatten, und konnten unsere Abschiedsbesuche machen. An eine hölzerne Marmorsäule lehnte ich mich nicht in sentimentalischer Stellung, wenngleich die Photographie schon längst auch nach Hohennöthlingen gedrungen war. Ich kam billiger und bequemer und unaffektierter dadurch ab, daß ich den Vers: Rosen blühn und welken, aber unsere Freundschaft und so weiter in zwanzig Stammbücher und sogar in die der beiden Fräulein Weinlich schrieb; ich hatte eben ein gutes Herz, wie es der Pate Hahnenberg ja auch zu haben behauptet.

Der große betrübte Morgen, an welchem ich von meinem Geburtsstädtchen und von meinem Vaterhause Abschied nehmen sollte, um ein neues, ungewisses Leben anzufangen, war ebenfalls da, sozusagen ohne vorher anzuklopfen! Eines Morgens sollten wir um neun Uhr abfahren; es war, als wenn ein Urteil gesprochen sei.

Um vier Uhr bereits war ich mit August aus den Federn und lief zu guter Letzt noch einmal durch und um das schlafende Städtchen.

Ach, es war so wunderlich, so weinerlich, daß alle diese bekannten Häuser, Fenster, Türen und Pfosten, alle die Bäume, Gartenmauern, Wasserflächen und Wegweiser ruhig an ihrer behaglichen Stelle bleiben durften, während ich, welche doch, wie ich jetzt genau merkte, sie ganz zu mir gerechnet hatte, ohne Gnade hinausmußte, wer weiß, wohin, und wer weiß, wozu!

Es war ein dunkler, warmer Sommermorgen, und es hatte um Mitternacht ein leises Gewitterschauer gegeben; es war solch ein Duft von Blättern und frischem Heu, es lag alles in der Dämmerung so grau und warm eingewickelt, so schattenhaft da – so fremd und fern und doch so nah und bekannt; ich hätte alles küssen mögen und wurde zuletzt so weichmütig, daß es ein Verdruß war. Nachdem wir unsern letzten Gang durch die Heimat beendet hatten, erwarteten wir still auf der grünen Bank vor dem Rektorhause die Sonne, das Erwachen der Eltern und Geschwister; und auch dieses stille Stündchen vor dem letzten Lärm gehörte mit zum Abschied.

Punkt neun Uhr fuhren wir unserm Programm gemäß ab, und ich glaube, daß ich mich für ein dummes Ding, welches noch nicht drei Meilen über die Vaterstadt hinausgekommen war und noch die Tränen der Scheidestunde zu verwinden hatte, den Gefahren und Aufregungen des Weges sowie den groben Kondukteuren und überspaßhaften Mitpassagieren der gelben Kutsche merkwürdig gut gewachsen zeigte. Zuletzt fand es sich, daß ich mir den Weg nach der großen Stadt, obgleich wir mit der Eisenbahn erst am andern Morgen anlangten, viel länger und unangenehmer vorgestellt hatte, als er in Wirklichkeit war. Im Grunde brauchte man vom Rektorhaus in Hohennöthlingen an bis zum Ende der Reise nur stillzusitzen und die Räder um ihre Achse sich drehen zu lassen. Das Schlimmste bei der ganzen Geschichte war das Ankommen, und das war denn aber auch sehr schlimm; – da schienen wirklich alle Unbehaglichkeiten in ein Bukett zusammengebunden zu sein.

Noch heute, wo ich über meinen Fenstergarten hinaus gelassen in das Gewirr blicke, kann ich mich kaum eines leisen Schauders erwehren, wenn ich an jenen frühen Morgen unserer Ankunft in der Hauptstadt denke. Es war so früh und so grau wie am Tage vorher in und um Hohennöthlingen; aber es war ein anderes Grau, und die Welt schien hier wirklich nicht wie dort wie ein Kind in der Wiege zu liegen; – es roch nach Steinkohlen, und es stand angeschlagen, man möge sich vor Taschendieben hüten; – die ärgerlichen, hastigen Menschen zertraten einem die Füße, die Polizei vigilierte auf Spitzbuben und politische Verbrecher, und hohe, kahle Mauern, von trüben Laternen beleuchtet, sahen hoch herab. Um Hohennöthlingen lag der Sommerregen auf den Büschen, leise und halb im Traum quakten die Frösche, die Kirchenuhr schlug auch halb wie im Traum, und in den Gassen hatten die Häuser mit den schlafenden Bewohnern nicht einen Hauch von Unbehagen oder gar Drohung. In Hohennöthlingen saß auf der Bank neben der Tür unter der Laube eines der Häuser gravitätisch eine zerzauste Kinderpuppe, welche ein Kind am Abend vergessen hatte, und daneben lag das ebenfalls vergessene Strickzeug der Mutter. Der Nachtwächter hatte beides mit dem ganzen übrigen Städtlein aufs beste bewacht, und an beides mußte ich denken, als ich aus dem Waggon gerissen war und fröstelnd im stoßenden Gedränge stand. Es ist mein Stolz, keine Nerven zu haben; aber das, was mein Herr und Gebieter »Gasdunst« nannte, fiel mir doch auf die Nerven. Ich leugne gar nicht, daß ich als unverfälschtes Naturkind und Hohennöthlinger Provinzialpflanze dem Weinen näher war als dem Lachen und daß es nicht vom Grunde des Herzens kam, als ich alle meine moralischen und körperlichen Kräfte zusammenfaßte und sagte:

»Nur durch!«

An der Polizeimannschaft mit den mißtrauischen Blicken und den beiden Reihen Füsiliere mit den geladenen Flinten kamen wir auch glücklich vorbei, und dann standen wir vor der Eisenbahnhalle, wo uns aus der Ferne wieder hohe, kahle Mauern anstarrten, als ob mein liebes kleines Hohennöthlingen, der Wald hinter der Stadt, der Garten hinter unserm Hause und das alte Rektorhaus selbst, niemals in der Welt gewesen wären. Als ich in der Droschke saß, biß ich die Zähne aufeinander und summte zwischen ihnen durch: »Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht« – und August sah dabei so kläglich auf mich, daß ich zuletzt doch in ein helles Lachen ausbrechen mußte.

»Hussa, mein Schatz!« rief ich, »es ist uns bis jetzt doch so ziemlich gut ergangen; wir wollen die Köpfe nicht hängen lassen, wir wollen auf unser Glück und unser Würmerbuch bauen und der argen Welt ein Schnippchen schlagen – vivat der Pate Hahnenberg!«

»Ich hoffe auch, daß es immer besser gehen wird«, sagte August und fügte belehrend hinzu: »Also dieses Ding, diesen rumpelnden, klebrigen Kasten, in welchem wir sitzen, nennt man Droschke. Wir fahren jetzt nach dem Gasthof und schlafen aus; hoffentlich wird ein schöner Tag aus jenem hellen Streifen, welcher dort über die Dächer blickt, da wird sich das Leben wieder anmutiger ansehen lassen; freilich auf manches Abenteuer werden wir uns gefaßt machen müssen.«

»Pflücket die Rose, eh sie verblüht«, sang ich im Stillen, und wir rasselten vor das Hotel, wo ich wirklich noch in einen tüchtigen Schlaf verfiel.

Als ich wieder erwachte, war Augusts Prophezeiung merkwürdigerweise eingetroffen. Die Sonne stand lustig glänzend am Himmel, und Wagen und Rosse, Verkäufer von Lebensbedürfnissen, Käufer von alten Kleidern, Trommeln, Glocken und Drehorgeln duldeten es nicht, daß ich den Traum von Hohennöthlingen weiterspann. Es galt, die Augen so weit als möglich zu öffnen und sich weder von seinen Erinnerungen, seinen Gefühlen oder gar den witzigen, abgefeimten Residenzlern Sand hineinwerfen zu lassen.

»Douce mais sauvage!« sprach ich mit meinem Fingerhut.

»Jetzt haben wir zuerst eine Wohnung zu suchen, und zwar zwischen der Sophienkirche und dem Stadtgericht, nicht zu weit von Fritz und Luise und nicht zu weit von Hahnenberg und Pinnemann. Die guten Geister der Zukunft mögen walten; wir aber wollen das Unsrige tun, Mathilde!« sprach August.

»Das wollen wir, mein Herz; wenn es mir nur nicht augenblicklich so unmöglich schiene, daß ich jemals wieder zwischen meinen eigenen vier Wänden sitzen werde! Und was unsere Kisten und Kasten draußen auf der Eisenbahn betrifft, ach du liebster Himmel, ich glaube, wir geben sie nur gleich verloren und fangen mit meiner Hutschachtel und deinem Reisesack ganz von neuem unsere Wirtschaft an.«

August beruhigte mich über diesen Punkt, so gut es ihm möglich war, und ich suchte Vernunft anzunehmen. Ich machte auch Toilette, um den Residenzbewohnern zu zeigen, daß man in der Provinz doch nicht so sehr zurück sei, als man sich einbildet, und mein Geheimer Obermedizinalrat fand mich allerliebst. Ich klammerte mich an seinen Arm mit dem festen Entschluß, alles über mich mit Gleichmut ergehen zu lassen, und wir zogen aus.

Anfangs wurde mir sehr schwindlig und konfus im Gedränge und Spektakel, und so viele, so hohe, so steile und dunkle Treppen hatte ich auch noch nicht in einem Tage ersteigen müssen. So manche tolle, wunderliche Leute und Wirtschaften hatte ich noch nicht erblickt; und daß eine rechtschaffene Hausfrau ohne Speisekammer zurechtkommen könne, hatte ich bis jetzt nicht für möglich gehalten.

Aber ganz gemach überkam mich eine possierliche Verwandlung; nachdem die erste Verwirrung überwunden war, ward eine wahre Komödie aus diesem ersten Tage meines hauptstädtischen Lebens, und obgleich wir schon ein jahrealtes Ehepaar waren, so ward fast eine neue Auflage der Flitterwochen draus! Die große Stadt fing an, trotz allem und allein mir sehr, ja recht sehr zu gefallen; und nachdem ich die Gedanken an die Zukunft für jetzt aus dem Sinn losgeworden war, zog ich einher, auf Abenteuer aus, als ob ich niemals ein Wirtschaftsbuch geführt und am Kochherd gestanden habe. Ich sah mit Behagen in den Guckkasten, ich amüsierte mich königlich und wie ein Kind, und August hielt lustig mit.

Noch niemals wurde ein Hauswesen so Hals über Kopf eingerichtet; meine Mutter hätte die Hände über dem Kopfe zusammengeschlagen; aber ich war wie einer von den griechischen Philosophen, den Epikuristen, oder wie es heißen mag: ich begnügte mich mit wenigem und war zufrieden mit dem, was ich bekam. Wir hatten ja einen großen Zweck, wenn wir ihn auch für den Augenblick aus den Augen setzten, und so liefen wir gaffend – das heißt, ich gaffte und August erklärte – in den Straßen, Theatern, Bildergalerien, naturhistorischen und sonst historischen Museen umher, aßen aus der Hand und sahen und hörten alles, was zu sehen und zu hören war und was nicht über unsern Geldbeutel hinausging. Lange Zeit hätte ich es freilich nicht ausgehalten.

Und unser aus Hohennöthlingen mitgebrachter Hausrat nahm sich so drollig aus in der neuen Umgebung! Ich hatte gejammert, daß es so wenig sei; aber es war immer noch viel zuviel für die Räume, über welche wir jetzt zu gebieten hatten. Eine Stunde in meiner neuen Wirtschaft würde meine Mama in Tränen zerfließend in den Winkel gesetzt haben.

Zweierlei überwand ich am letzten und schwersten.

Erstens die Vorstellung, in dem menschenvollen Hause, in das uns das Schicksal verschlagen hatte, nächtlicherweile gestohlen, bestohlen oder gar meiner Ohrringe und Augusts Uhr wegen schauderhaft ermordet zu werden. Es war vorgekommen und gar nicht darüber zu spaßen.

Zweitens die vielen Doktorwagen, welche bereits in den Gassen umherrollten und welche mein Gemahl, wie es schien, aus Instinkt kannte. Wie sollten wir beiden armen, zu Fuß gehenden Praktikanten diesen hochrollenden Glücklichen mit den goldenen Stockknöpfen und weißen Westen den Rang ablaufen? Die Fabel vom jungen Kater, der zum erstenmal aufs Mausen ausging und der Eule und dem Wiesel begegnete und welchen doch die Praxis »dick und fett« machte, konnte mir nur einen kümmerlichen Trost gewähren.

Hätte ich gewußt, daß es so viele Ärzte in der Hauptstadt gäbe, ich würde mich trotz unseres berühmten Wurmbuches doch noch ein wenig mehr bedacht haben, ehe ich den Sperling aus der Hand fliegen ließ; aber nun ließ sich nichts mehr daran ändern, und wenn es auch fraglich war, ob wir die Taube vom Dache bekommen würden, so stiegen wir doch am vierten Tage nach unserer Ankunft in der Residenz die Treppe zur Wohnung Friedrichs und Luises hinauf, indem ich mir den Herrn Paten Hahnenberg für mein spezielles Vergnügen und auf eine gelegnere Zeit versparte.

Mir standen, ganz gegen meine Natur, die Tränen in den Augen. Wir hörten die Geige des blinden Freundes aus der Höhe, und ihr Klang allein hätte mich den rechten Weg zu der rechten Tür geleitet!

Augusts Hand faßte meine Hand fester; wir klopften an die Pforte unseres besten Freundes; noch einen Augenblick, und ich stand vor dem Manne, welcher meinen Gatten für mich gerettet hatte und welchem ich jetzt Rettung bringen sollte. Das Spiel brach ab; August hatte seine Hand mir entzogen und streckte sie Friedrich entgegen, als ob dieser sehen könne. Und es war auch, als sehe der Blinde; er erhob sich von seinem Sitze mit einem Ausruf, er lag in den Armen meines Mannes, und ich stand daneben, ohne etwas dazu oder davon weg tun zu können. Luise war nicht zugegen, was mir für den Augenblick ebenfalls nicht unlieb war.

Ich hatte mir ein schönes, wenn auch trauriges Bild von dem Freunde nach der Beschreibung Augusts gemacht; aber nun war alles doch ganz anders und viel schöner und edler. Eine solche Stirn mußte wohl viel von der Welt wissen, wenn sie auch nichts davon gesehen hatte!

»Da bist du! Da bist du wieder! O ich wußte es wohl!« rief Fritz Winkler.

»Und ich habe dir noch jemand mitgebracht; – ich bringe dir meine Frau – gib ihr deine Hand – da!«

Der Blinde wendete sich auch gegen mich, obgleich er nicht sehen konnte; und ich brauchte mir zu dem, was ich jetzt tat, nicht im geringsten ein Herz zu fassen – ich nahm ihn beim Kragen und gab ihm einen herzlichen Kuß.

»So, mein Bester; – wir sind alte Freunde und wollen weiter keine Umstände machen. Gott segne Sie, Liebster! Und wo steckt denn unsere Luise?«

Friedrich hielt meine Hand und streichelte sie, das sah aus, als ob er etwas sagen wolle; August aber rief:

»Nur zu, Alter! Sie wird nichts dagegen haben; ihr Lärvchen verträgt schon eine Untersuchung; gib ihr einen Nasenstüber, wenn du fertig bist.«

Ich hatte nichts dagegen. Friedrich Winkler strich mir mit leiser Hand über Stirn, Wangen und Kinn, und dann – kannte er mich, als habe er mich durch eine Brille besehen. Er erfuhr nun auch, daß das Feuer auf unserm Herde brenne, daß wir den besten Willen hatten, der hohen Königlichen Obersanitätsbehörde und einem verehrungswürdigen leidenden Publiko das Beste abzugewinnen, und daß wir vor allen Dingen zu seiner und seiner Schwester Verfügung seien.

»O Frau Doktor –«, fing er an, aber ich unterbrach ihn natürlich.

»Ich heiße nicht Frau Doktor. Ich heiße Mathilde und mache mir eine Ehre draus. Ich habe es schon gesagt, daß wir alte Freunde sind und keine Umstände machen wollen; – was wollten Sie sagen, Fritz?«

»O Frau – Frau Mathilde – erhalten Sie mir meine arme Schwester! Retten Sie meine Luise! Verlassen Sie uns nicht!«

Ich sagte, was mir einfiel; und dann hatte ihm August so viel zu sagen, daß ich Zeit gewann, mich in den Räumen, welche das Geschwisterpaar bewohnte, genauer umzusehen.

Bis in die kleinsten Einzelheiten hatte mir August meine jetzige Umgebung beschrieben; ich kannte den alten Lehnstuhl, in welchen ich mich niedergesetzt hatte, wie den besten Freund; ich kannte den Seehundskoffer in der Ecke und den General Washington über dem Bette; ich kannte den kleinen Tisch und den Geigenkasten; und wie der Lehnstuhl gehörte alles zu meinen guten Bekannten. Nun aber sah ich noch mancherlei, was mir fremdartiger erschien und ich mit einem gewissen Mißtrauen und Widerwillen betrachtete. Wie kam zum Beispiel die trödelhafte, brillante Toilette mit ihren albernen Seifen und Essenzen hierher, wie der rotseidene Domino an den Haken hinter dem Vorhang? Die vier Paare durchgeschleifte weiße Ballschuhe gefielen mir auch wenig, und die beiden schreienden Blumenvasen trugen ebenfalls den Schein eines geschmacklos billigen Geschenkes an sich.


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