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Es ist unerträglich, und ich ertrage es auch nicht länger, so wahr ich Mathilde Sonntag heiße. Zwar verlangt der Pate Hahnenberg mit zitterndem Eifer die Feder, und Friedrich will auch sein Wort dazu geben; aber nach August komme ich, wie sich das von selbst versteht. Was Friedrich zu sagen hat, kann ich selber viel besser sagen, und der Pate mag das letzte Wort haben, wie er das erste gehabt hat. Ich bin an der Reihe, und sie mögen mit der Wärterin unser Fritzchen spazierenführen, damit es derweilen Ruhe im Hause gibt.
Jawohl hat Herr August seinen Willen, sein Glück und mich bekommen; aber es ist doch wirklich, als ob er seine Lebensgeschichte wie ein Rezept niederschreibe; und ich will mich auch nur ohne weiteres Hals über Kopf in allen Strudel und Spektakel stürzen, um nicht vor aller Aufregung des Bessererzählenkönnens gleich zu Anfang den Faden und die Kontenance zu verlieren.
Also mein Herr Gemahl, anstatt, wie es sich gehörte und wie ich ihm geraten hatte, mit unserer Hochzeit seinen Bericht anzufangen, setzt dieselbe kaltblütig und höchst kühl ans Ende; ich beginne natürlich damit; denn alles andere gibt sich ja denn doch von selbst. Ich fange an, wo ich aufgehört habe.
Wir, das heißt August und ich, heirateten, und der gerührte Moment ging auch vorüber, wie bei den Schwestern Anna und Theodore. Papa und Mama und die übrige Familie hatten uns, jedes nach seiner Art, den Segen dazu gegeben, und wir fingen unsere Haushaltung mit Gottes Hülfe und den besten Vorsätzen, aber wahrhaftig mit wenig barem Gelde an; und Staatsobligationen oder sonst solche Dinge, von welchen man alle Vierteljahr die Coupons schneidet, besaßen wir auch nicht. Wir hatten nur einen wohlhabenden Podagristen und zwei Hypochonder und eine alte Dame mit Magenkrämpfen und einem kranken Pudel, den wir auch behandeln mußten; was sonst noch kam oder uns zu jeder Stunde des Tages und der Nacht rufen ließ, zahlte schlecht oder gar nicht. Es ging etwas hungrig, aber doch höchst vergnüglich in unserm jungen Haushalt zu, und wir gönnten es allen Menschen, die gesund waren und bei gutem Appetit und uns nicht nötig hatten.
Im Hause der Fräulein Weinlich wohnten wir nicht; ich habe ein gutes Herz, doch das hätte ich nicht ertragen. Wir zogen – das heißt August auf meinen Wunsch – aus, mit allen Knochen und Skeletten, Fröschen und Wasserschlangen, mit allen getrockneten Suppenkräutern und sonstigen zwischen Löschpapier gelegten offiziösen Pflanzen, mit einer unmenschlichen Menge Bücher, sechs Hemden und einer fast zum Weinen und Lachen kläglichen Garderobe und Ausstattung an Leinenzeug, und mieteten eine hübsche, aber sehr enge Wohnung der Apotheke gegenüber, höchstwahrscheinlich, damit unsere Patienten mit dem feuchten Rezept schleunigst hinüberlaufen könnten und keine kostbare Zeit zu versäumen brauchten.
Aber der Apotheker mißkannte uns und verachtete uns, wie mich die Fräulein Weinlich verachtet hatten. Wir verschrieben sehr wenige und sehr wenig kostspielige Mixturen und konnten deshalb eigentlich gar nicht verlangen, davon so satt zu werden, als es uns doch wünschenswert schien. Unsere Patienten verachteten uns deshalb fast ebensosehr als der städtische Apotheker; wir schmeckten und rochen ihnen längst nicht bitter und scheußlich genug, und die Quantität ließ ebenfalls viel zu wünschen übrig; meine Mama hatte öfters das größeste Mitleid mit uns, und verschiedene Honoratioren meiner lieben Vaterstadt hatten uns während des letzten Vierteljahres unseres Aufenthaltes daselbst im Verdacht, daß wir auf meines Mannes Einmachegläser reduziert seien und uns von den einmarinierten Schlangen und Fröschen oder sonst aus der Naturgeschichte nährten. Ich hielt es für meine Pflicht, noch zu guter Letzt ein glänzendes Diner zu geben, um diese abscheuliche Verleumdung zu entkräften; aber selbst die Leute, welche sich bei uns satt gegessen hatten, bedauerten nur, unsern Ruin und Hungertod beschleunigt zu haben.
Wir lebten unendlich glücklich in Hohennöthlingen, obgleich wir eine geraume Zeit über die Flitterwochen hinaus dort saßen. Ein Kind, welches sich in der Sofaecke ein Haus aus Kissen gebaut hat, kann sich darin nicht behaglicher fühlen, wie ich mich in meinem Stübchen dem ungehaltenen Apotheker gegenüber fühlte. Und als uns das Schicksal aus unserm warmen Winkel hinauswarf, da blickte ich über die Schulter zurück wie Eva nach der Gartenmauer des Paradieses.
Ich begreife die Männer nicht, oder ich begreife sie vielmehr nur zu gut: der Mund ist ihnen dann durchaus nicht zugewachsen, wenn es sich darum handelt, der Menschheit, der Regierung oder einer armen Frau den Text zu lesen, aber wohl sehr häufig dann, wenn sie uns irgendeine Mitteilung machen sollen über irgend etwas, was wir zu wissen wünschen oder was uns zu wissen von Rechts wegen gebührt. Daß mein August mit einer Dame in der Residenz korrespondierte, hatte ich noch vor unserm Verlöbnis in Erfahrung gebracht, und es gehörte, wie ich jetzt wohl gestehen kann, eine Zeitlang zu meinen nächtlichen Beunruhigungen; aber daß die Briefschreiberin Luise Winkler hieß und weshalb sie Briefe schrieb, bekam ich erst nach dem Verlobungstage heraus, und es war sehr gut, daß ich den Stein, welcher mir dann vom Herzen fiel, nicht als Überfracht auf meinem weitern Lebenswege mitzuschleppen brauchte.
Ich konnte nichts dagegen einzuwenden haben, daß der blinde Freund der Schwester seine Briefe diktierte, und je mehr ich die Geschichte Augusts und dadurch auch die Friedrich Winklers in ihren Einzelheiten kennenlernte, desto größern Anteil nahm ich an diesem Verkehr und schloß aus der Ferne, von Hohennöthlingen aus, mit dem guten Kinde, der kleinen Luise in der großen Stadt, ebenfalls einen Freundschaftsbund, welcher richtig mich mit meinem Herrn und Gebieter, mit Sack und Pack, mit allem Transportablen und des Transportierens Werten aus meinem Heimatstädtchen auf die Landstraße nach der Residenz warf.
Es war ein prächtiger Verkehr! Die Männer sprachen von allen höchsten Dingen, die es geben oder nicht geben kann, und unsereins, welches sein Lebtag nicht begreifen kann, daß in der Nacht, wo die Erde auf dem Kopf steht, das nicht Fußboden wird, was am Tage Stubendecke war, und nicht alles kopfüber, kopfunter schießt und die Fliegen, die allein an der Decke gehen können, die Herren der Situation sind – unsereins gab sein Wörtlein dazu vom Wetter und vom Haushalt, von Mitteln gegen das Zahnweh oder der neuen Mode der Krinoline, und wie weit der Mensch sich aufblasen könne, oder dergleichen Dingen, daß die Angelegenheiten doch zuletzt wieder hübsch auf die Erde kamen. Luise schrieb etwas weniger orthographisch als ich; aber sie war auch etwas jünger als ich und keine gelehrte Rektorstochter, und wir verstanden einander ziemlich gut, wenn wir auch dann und wann verschiedner Meinung waren. Es war reizend, und den Fritz gewann ich bald so lieb, wie ihn August hatte; – wir waren ein zufriedenes Vier-Kleeblatt, und jedes in seiner Art schien sein Teil vom Leben bekommen zu haben und es sich daran genügen zu lassen. Daß aber über der sonnigsten Wiese das Gewitter schneller aufsteigen kann, als man sich einbildet, sollten wir baldigst erfahren.
Zwei Jahre waren wir verheiratet gewesen; zwei glückliche Jahre hatten wir mit den Geschwistern in der großen Stadt korrespondiert und kaum an den Paten Hahnenberg und gar nicht an den Herrn Agenten Karl Pinnemann gedacht, als plötzlich die Wolken hinter den Bergen aufstiegen, die Schatten über das Grün, die Ringel- und die Sternblumen liefen und der Herr Agent und der Herr Pate, der eine dick, der andere dünn, ebenfalls am Horizont aufgegangen waren und mit einemmal wie zwei Vogelscheuchen in unserm hübschen Lebensgarten standen; – der Pate wird es mir nicht übelnehmen, daß ich ihn hier so ohne Komplimente behandle.
Allmählich hatte sich die Farbe der Briefe, welche wir aus der Residenz bekamen, verändert; die bösen Schatten liefen zuerst über die Blätter, welche die Geschwister uns sendeten, und es gehörte bald kein scharfes Auge dazu, um zu erkennen, daß nicht alles in der Ordnung sei. Friedrich diktierte anders, und Luise schrieb anders, und wenn sie einmal versuchte, den früheren Ton anzuschlagen, so kam es falsch und kläglich heraus, und als Christoffel den oder das Christoffel, das billige Polterabendsilber, erfunden hatte, da wußte ich, womit ich die nachgemachte Fröhlichkeit vergleichen konnte, meldete es der unbekannten Freundin und glaubte es nicht, als das dumme Ding zurückschrieb, sie begreife uns nicht, es habe sich nichts verändert. Mit welch schwerem Herzen die kleine Sünderin das uns glaubhaft machen wollte, sollte mir bald klarwerden.
Eines Tages kam ein Brief in einer Handschrift, Rechtschreibung und wunderbaren Versiegelung, welche weder August noch ich kennen und begreifen konnten. Das stürzte den Kasten um, und – hier ist das Schreiben, dessen Orthographie ich aber als deutsches Frauenzimmer der schändlichen Verleumdung wegen verbessert habe.
»Lieber Freund!
Vielleicht erinnerst Du Dich eines einarmigen Invaliden, welcher sich täglich mit seiner Drehorgel neben dem kleinen See und der Bildsäule der Flora aufstellt und durch sein Instrument und vorzüglich die Melodie ›Wir winden dir den Jungfernkranz‹ das Publikum an die Schlachten bei Leipzig und Waterloo und die Soldaten, welche daselbst kämpften, erinnert. Der Alte ist mein Freund durch seine Musik geworden; er kann schreiben, wenn auch mit Mühe, und ich sage ihm diesen Brief in die Feder. Es ist eine schwere Arbeit, aber mein Herz ist noch viel schwerer; ich bin hilfloser als ein Kind und weiß mir nicht zu helfen. Wir sitzen in einem Branntweinkeller, wohin mich Bruns, mein Invalide, geführt hat, und es hat große Mühe gekostet, einen Bogen Papier und ein Dintenfaß zu dem traurigen Werk zu bekommen; – ach August, August, ich greife nach allen Seiten und finde nichts; jetzt erst erfahre ich, daß ich blind bin und was das bedeutet. O es ist entsetzlich, keine Augen zu haben, blind geboren zu sein! – Ich war so zufrieden, ja, so glücklich, ich konnte von allen Göttern träumen, und nun – nun hänge ich mit der Welt nur durch Bruns und seine Drehorgel und den Dunst dieser Höhle, in welche ich mich hinabschleppen mußte, zusammen. O lieber Freund, es hat sich so vieles hier zum Schlimmsten verändert, und ich bin ohne Waffen. Wenn Du kannst, so komm, und wär es nur auf einen einzigen Tag, um mir zu raten und zu helfen. Meine Schwester wird unglücklicher, als es auszusagen ist, wenn wir uns selber überlassen bleiben, und ein anderer, den ich hier nicht nennen will, ebenfalls, trotzdem daß er so gute, scharfe Augen hat, so klug, so weltkundig und gelehrt ist. Ein Mensch, den auch Du von der bösesten Seite kennenlerntest, hat unser Leben, unser Wohl und Wehe, meiner Schwester Zukunft und Glück in seinen Händen; er ist erbarmungslos und weiß seinen Willen durchzusetzen; er kroch lange im Verborgenen, aber nun ist er stark geworden und reich und spielt sein Spiel aus. Komm, Freund, und rette uns!
Friedrich |
(Und Bruns hat's als schriftgelehrter Unteroffizier aufgesetzet.)« |
Das war mir denn doch ein wenig zu arg, und August sagte: »Es ist Pinnemann! Er spricht von Pinnemann und dem Vormund, da ist kein Zweifel dran, und reisen muß ich, reisen muß ich!«
»Natürlich!« sagte ich, und ehe wir zu Bett gingen, zählten wir unsere Barschaft nach und berechneten unsere Außenstände, wobei wir in Betracht der Sicherheit der letztern öfters ganz verschiedener Meinung waren; denn August ist darin viel sanguinischer als ich, obgleich er noch mehr als ich erfahren hat, daß auf die Menschheit nicht einmal in Geldsachen ein Verlaß ist.
Gut, wir rechneten, und da wir die Überzeugung hatten, daß wir das Unsrige tun müßten, selbst wenn wir es nicht könnten, so gewannen wir auch bald die Überzeugung, daß die Moneten dazu noch ausreichten, und ich fing sogleich an, in Gedanken zu packen. Am folgenden Tage übernahm ein gutmütiger Kollege unsere Praxis und trug leicht an der Last; am zweiten Tage nach Empfang des Briefes, morgens um siebenundeinhalb Uhr, war ich zum erstenmal zu einer jungen betrübten Strohwitwe geworden, welcher von allen Vergnügungen des Daseins nichts weiter übriggeblieben war, als nach dem notdürftigsten Versiegen der Trennungstränen erst die Wohnung von hinten und vorn zu scheuern, dann die große Wäsche anzustellen und zuletzt matt, weich und wehmütig bei den Eltern Trost und Schutz zu suchen.
Da saß ich wieder am Fenster wie sonst in meinen Mädchenjahren und hatte die Fräulein Weinlich gegenüber wie sonst, und es war doch noch gar so lange nicht her, daß ich hier als ein sehr vergnügtes Mädchen saß; aber nun war eigentlich nichts mehr wie sonst. Ich hatte jetzt soviel zu denken, und auch das war ein Unterschied gegen frühere Zeiten, wo man sich eigentlich doch nur einbildete, daß man etwas zu denken habe. Ich hatte den Schatz in meinen Gedanken überallhin zu verfolgen; es war mir immer, als müsse er ohne meine Begleitung in tausend Schrecknisse geraten; ich war so sehr der Meinung, daß er sich nicht mehr ohne mich zu helfen und zu raten wisse, daß ich zuletzt selber völlig ratlos und hülflos darüber wurde. Der Postbote, welcher jeden Tag dreimal vor dem Fenster vorüberhumpelte, ohne mir einen Brief zu bringen, wurde ebenfalls zu einer Qual und einem Ärgernis, und ich habe ihm viele stille Grobheiten abzubitten.
Wenn ich am Abend in mein eigenes ödes Hauswesen heimkehren mußte, hatte ich große Lust, mich zu fürchten, und der Gedanke an die Fräulein Weinlich hatte alle Macht verloren; ihretwegen tänzelte ich wahrhaftig nicht mehr lächelnd über die Gasse, sondern schlich, wie es mir in solchen betrübten Zuständen zukam. Daß ich Lottchen zur Gesellschaft mit hinübernahm, half mir höchstens über eine weinerliche Viertelstunde weg. Das Kind hielt sich abends nicht gern mit dem Kinderskelett in einer und derselben Stube auf, es trieb mich zu Bett, und sobald wir in den Federn waren, schlief es ein und überließ mich meinen wachen Gedanken. Wäre ich eine reiche Frau gewesen, so hätte ich dem Briefträger ganz gewiß einen Taler gegeben, als er mir das von August versprochene Schreiben endlich – endlich brachte.
Es war ganz wie ein Liebesbrief. Das heißt die Freude; denn der Brief selbst klang kläglich genug, und etwas Rechtes und Ausführliches erfuhr ich doch nicht daraus, sondern nur allgemeine Betrachtungen über die Plage und Not des Weltlaufs. Dessenungeachtet aber hatte mein Herr Doktor niemals ein besseres Rezept gegen die Migräne verschrieben. Drei Tage nach dem Brief kam der Schreiber gottlob selbst; auch er hatte erfahren, daß es für einen verheirateten Mann nicht gut sei, allein in der Welt umherzufahren, und die Nachricht, daß er die Geschichte in der Residenz nicht in das rechte Geleise bringen könne, brachte er auch mit.
»Es gehört eine Frauenzimmerhand dazu; mit dem Verstand ist da nichts auszurichten, denn es handelt sich um ein Frauenzimmer«, sagte er, und ich sagte:
»Gehorsamste Dienerin!«
Natürlich war Pinnemann die dicke, abscheuliche Spinne, welche ihr Netz nach den Fliegen und Mücken in der tollen, großen Stadt ausgespannt und richtig alle miteinander – den klugen Brummer, den Herrn Paten Hahnenberg, nicht ausgeschlossen – am Kragen genommen hatte. Mit hundert Fäden hatte er sie umsponnen und war soeben im Begriff, sie in aller Behaglichkeit auszusaugen; es handelte sich nur darum, ob ich nicht wenigstens für Fritz und Luise Winkler noch früh genug kam, um mit dem Kehrbesen das Vergnügen zu stören. Wie das Ungeheuer sein Netz zustande gebracht und die dummen, unvorsichtigen Dinger gefangen hatte, das setze ich am besten auseinander, wenn ich erst an Ort und Stelle, das heißt in der Stadt bin und mein Hauswesen ein wenig in Ordnung gebracht habe. Ich bin durchaus nicht verpflichtet, der Schnur nach zu erzählen, und ein Rezept schreibe ich auch nicht. –
Es war zu Hohennöthlingen ein neuer Kriegsrat nötig geworden, aber diesmal ein weit ernsterer. Es handelte sich plötzlich darum, zu erfahren, ob meine Wurzeln im Hohennöthlinger Boden so fest hingen, daß dem, der versuchen würde, mich herauszuziehen, Blätter und Stengel in der Hand blieben, das übrige aber in der Erde, oder ob ich mich leicht verpflanzen lassen und auch in einem andern, fremden Erdreich fortkommen werde. Das konnte einem wohl durch alle Knochen gehen und das Blut im vollen Galopp durch die Adern treiben! Es schnürte mir die Kehle arg zu, und während einiger Momente versuchte ich vergeblich, mir nach gewohnter Art meine Meinung zu bilden: als ich letztere in Sicherheit gebracht hatte, war auch alles übrige in Ordnung.
Es geniert mich als Doktorsfrau gar nicht im mindesten, niederzuschreiben, daß mein August ein halbes Jahr vor dem Briefe Friedrichs ein schönes gelehrtes Buch über die Eingeweidewürmer der Menschen geschrieben und in Druck gegeben hatte und daß die Gelehrten ihm, das heißt dem Buch, obgleich meine Freundinnen nichts darauf gaben, mit offenen Armen entgegengekommen waren. Wir hatten uns um die Menschheit unbeschreiblich verdient gemacht und einen neuen Wurm entdeckt, und wenngleich alle Hohennöthlinger der festen Überzeugung waren, daß man bereits an den früheren genug hatte, so war er doch eine große Ehre für uns, und getauft war er auch und hieß:
Coprosaurus Sonntagianus,
ein Name, welchen ich nicht aus dem Kopfe niederschreibe, welchen August mir niemals hat ins Deutsche übersetzen wollen, welcher uns aber unsterblich machte, wie die Gelehrten sagten.
Nun hatte mein August zugleich mit seinen betrübten Nachrichten aus der Residenz die freudige Botschaft mitgebracht, daß sein Buch und sein Wurm ihren Weg und unsern Weg mitmachten und daß wir, wenn wir den Einsatz nicht scheuten, zugleich mit einem guten Werke unser Glück gründen könnten. Nahrhaftes verloren wir in Hohennöthlingen nicht, sondern nur unsere lieben Eltern, Freunde und Erinnerungen, und es war deshalb durchaus nicht verwunderlich, daß nach einigen bedenklichen Tagen die Pflicht und der Ehrgeiz ihre Sache gewonnen hatten.
»August«, sprach ich wie jene Römerin, welche ihrem Sohne den Schild gab und sagte: Entweder mit ihm oder ohne ihn! »August«, sprach ich, »ich verabscheue diesen Herrn Pinnemann viel zu sehr, um nicht mit tausend Freuden all mein Hab und Gut dranzusetzen, ihn zu blamieren. Und ich liebe dich viel zu sehr, August, um dich nicht sehr gern als Medizinalrat, Sanitätsrat oder gar als etwas Geheimes zu sehen; so schwer es mir in mancher Beziehung werden wird, ich werde dir folgen, wohin du gehst, denn ich habe es bei der Trauung nicht nur dem Pastor, sondern auch mir selber versprochen, und auf das letztere kannst du dich verlassen, das weißt du. Ein bißchen von dem Glanz des Sonntagianus wird ja immer auch auf mich fallen; also – in Gottes Namen, laß uns auswandern – meine Mutter meint auch, es wäre gut und sie würde sich schon dareinfinden.«
August seufzte dreimal sehr schwer in sein Kopfkissen hinein und stammelte höchstwahrscheinlich etwas von »aufopferndem Engel« oder dergleichen, bis er plötzlich mit der Faust auf die Bettdecke schlug und schnarrte:
»Der Halunke! O der infame Halunke!«
Das galt dem armen, guten Lamm Pinnemann, und nachher versanken wir abermals in einen unruhigen Schlaf, wie nach dem Empfang des Invaliden-Briefes. Am andern Morgen aber erwachte ich mit der konfusen Idee, etwas sehr Schreckliches oder Albernes am vergangenen Abend begangen zu haben, ungefähr mit demselben Gefühl, welches ich vor Jahren beim Erwachen hatte, als ich mich erinnerte, auf dem Ball meinem Tänzer ins Gesicht gesagt zu haben, er sei ein Hanswurst, und er mir darauf eine lächerliche Szene vor allen Menschen gemacht hatte.