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Es ist eine naturhistorische Wahrheit, daß nicht alle Tiere, welche in größester Gesellschaft, inmitten eines Gewimmels von Brüdern und Schwestern, das Licht der Welt erblicken, später in dieser Gemeinschaft fröhlich und harmlos weiterleben. Im Gegenteil, bei den meisten Gattungen rennen oder fliegen, hüpfen oder kriechen die Individuen, sobald sie renn-, flug-, hüpf- oder kriechfähig, bei den Menschen aber denk- und prozeßfähig geworden sind, nach allen vier Weltgegenden hin auseinander, um, ein jedes für sich, den Weg zu – allem Guten zu suchen. Ich erinnere an die Spinnen und muß leider mitteilen, daß ich in einem ähnlichen Verhältnis aufgewachsen und demselben in ähnlicher Weise entwachsen bin. Auch ich bin nicht das einzige Kind liebender und ehrsamer Eltern; es gab mehr von meiner Art und meinem Geschlecht, und es war vor einigen zwanzig Jahren kein übel Gekribbel und Gekrabbel in dem alten Spinnennest, meinem Geburtshause. In der Tat, mein elterliches Haus hatte viel von einem Spinnennest. Es lag in dem ältesten, winkelvollsten Teile der Stadt, war ziemlich abgeschlossen von freier Luft und Sonnenschein und mußte jedem Unbefangenen dunkel, staubig, wurmzerfressen, kurz, als ein Greuel erscheinen.
Wir ernährten uns von der Handlung; aber niemandem konnte es einfallen, meinen Vater einen »königlichen Kaufmann« zu nennen; er war noch nicht einmal Hoflieferant, sondern nur »ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft« und lieferte einer ziemlich bescheidenen Nachbarschaft ihren Bedarf an Kaffee, Zucker, Seife, Heringen, Essig, Öl, Sirup und Schwefelfaden gewöhnlich bar und selten »auf Rechnung«. Ich weiß mich nicht zu entsinnen, daß wir je ein Schiff nach dem Vaterlande des schwarzen Mohren, der vor unserer Tür Wache hielt, ausgesandt hätten; wir begnügten uns, unsere Vorräte aus zweiter oder dritter Hand einzuziehen. Unsere Firma war auf der Börse gänzlich unbekannt, und wir haben, soviel ich weiß, nur ein einziges Mal spekuliert, und zwar in einer neuen Art Glanzwichse. Das Schicksal hielt es natürlich für seine Pflicht, uns auf unsern Standpunkt zurückzuweisen; die Spekulation schlug glänzend fehl: wer gewichst wurde, das waren die Söhne meines Vaters, und es war ein Glück für den Mann, daß er seinen Zorn an uns auslassen konnte und ihn nicht in sich hineinzufressen brauchte.
Wir waren, alt wie jung, eine sauere, griesgrämliche, dunkele, verstaubte, wurmzerfressene Familie; der Mohr vor der Tür schien mir das Bild behaglichster Heiterkeit, wenn mein Vater daneben stand, und alle jüngern Glieder der Familie wuchsen zu einer für den Fremden gewiß sehr lächerlichen Ähnlichkeit mit dem Alten auf. Auch meiner Mutter Äußeres und Charakter hatten unter den Widerwärtigkeiten und täglichen Kümmernissen, Kränkungen und Sorgen gelitten; meine Schwestern bestrebten sich, ihr körperlich wie geistig so ähnlich wie möglich zu werden: Knaben wie Mädchen waren wir die echten Kinder unserer Eltern. Ich halte es für eins der größten Wunder, daß mein Vater meine Mutter freiete und daß meine Mutter sich von ihm freien ließ; sie waren dazu bestimmt, im ehelosen Stande ihr Leben hinzubringen, und sündigten an ihrem Hochzeitstage gegen die Natur. Wir, ihre Kinder, haben uns ein warnendes Exempel daraus genommen; meine Schwestern sind sämtlich auf dem Wege, alte Jungfern zu werden, meine Brüder sind so wie ich bis jetzt Hagestolze geblieben, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß eine »unbewachte Minute« diesen Zustand verändere. Es nützte auch nichts, dieses sauere Holzbirnen-Geschlecht in infinitum fortzupflanzen.
Jetzt bin ich mit Mühe und Not, mir selber und dem ärgerlichen Gewirr außer mir zum Trotz, dreißig Jahre alt geworden, darf und kann über manche Dinge mitsprechen und habe nicht nötig, mich von jedem naseweisen, ehrwürdigen Greise wegen altkluger Fürwitzigkeit abtrumpfen zu lassen; der Jugend will ich gern gestatten, daß sie über mich herfalle, sie hat schon eher ein Recht dazu.
Dreißig Jahre bin ich alt nach dem Kirchenbuch, nach meinem Lebensbuch jedoch um ein gutes Teil älter und danke meinem Schöpfer dafür; aber den Gott oder die Göttin möchte ich sehen, welche sich durch mein zu großes Lebensglück beleidigt oder gekränkt fühlen könnten. Ich durfte einen großen Schatz von Erfahrungen sammeln, und man weiß, was das heißen will. Daß ich den Sack hier öffne und umstürze, achte ich für kein geringes Verdienst; mein gutes Herz, mein zu gutes Herz blüht auch hier wieder zu Tage, um eine bergmännische Redensart zu gebrauchen. Alle die, welche mich einen unausstehlichen Menschen nennen, verachte ich höchlichst; mein Magen ist aber nicht gut, und ich kann nicht alles vertragen, was ein anderer mit Behaglichkeit verdaut; über mein Gebiß habe ich mich nicht zu beklagen.
Ich bin Jurist – Advokat – und habe diesen Beruf gewählt, weil er mir am besten zusagte, weil er am meisten Gelegenheit gibt, feurige Kohlen auf das Haupt seiner Nebenmenschen zu sammeln. Ich bin noch Advokat, obgleich auch hier mein Herz mich wieder an meinem Wohlbehagen hindert; und um den Jammer vollständig zu machen, so ist es mir höchst widerlich, mich selbst zu rühmen.
Meine Eltern starben zu ihrer Zeit und hinterließen ein größeres Vermögen, als die Nachbarschaft erwartete. Ich muß ihnen nachsagen, daß sie das Ihrige getan haben, uns so gut als möglich für den Kampf mit dem Leben auszustatten. Sie sorgten dafür, daß alle ihre Sprößlinge fähig wurden, sich in irgendeiner Weise über dem Wasser zu halten. Zwei meiner Brüder erlernten die Handlung und errichteten zwei Läden gleich dem väterlichen, ein anderer meiner Brüder ist gegenwärtig Tierarzt in einer Provinzialstadt, ein vierter starb als Hauslehrer auf einem adeligen Gute an der Schwindsucht. Meine Schwestern wurden treffliche Haushälterinnen und Gesellschafterinnen älterer alleinstehender Herren und Damen aus dem soliden Mittelstande. Wir sehen uns selten und würden es, wie schon angedeutet, für zudringlich halten, wenn wir einander zu genau auf die Finger sähen. Wir sind einander in unsern Privatverhältnissen so fremd, wie man es nur verlangen kann; sonst aber leben wir friedlich miteinander, wenn auch nicht nebeneinander. Wir brauchen uns eben nicht, und unsere Charaktere sind zu gleichartig verdrießlich angelegt, als daß es ein Vergnügen sein könnte, uns gegenseitig zu suchen. An jedem Neujahrstage statten wir uns aber, wenn es irgend angeht, eine Gratulationsvisite ab und wünschen einander ironisch Glück dazu, daß wir uns noch am Leben finden. –
Was ist der Mensch? Es ist schade, daß diese Frage nur von ihm selber aufgeworfen und beantwortet werden kann. Ich möchte wohl einmal die Meinung irgendeines anständigen Tieres, eines Esels, Ochsen, Pferdes oder auch nur eines Flohs, darüber hören!
Was ist der Mensch? jedenfalls nicht das, was er sich einbildet zu sein, nämlich die Krone der Schöpfung. Das wäre wahrlich der Mühe wert, wenn alle diese Schichten, von denen die Gelehrten reden, samt allen ihren Gruppen und Tierbildungen sich übereinandergelegt und durcheinandergeschoben hätten, um endlich diesem »vollkommensten Geschöpf« seine Existenz möglich zu machen. Die Berechtigung zu existieren will ich ihm nicht streitig machen; aber zu sagen ist doch, daß das freundliche Mammut, das harmlose Mastodon, alle die anmutigen Saurier sowie das zärtliche Megatherium und das behagliche Riesenfaultier auch ihre Berechtigung hatten, sich für etwas zu halten. Jeder Hund und jede Katze, welche heutzutage in die Wiege des jungen Menschen gucken, müssen ihn bemitleiden, wenn sie ihn nicht verachten.
Wenn ich wüßte, was der Mensch ist, so würde ich es jedenfalls an dieser Stelle sagen; ich weiß es aber sowenig wie jeder andere und halte es für weit bequemer, auf den folgenden Seiten noch einige Einzelheiten meiner eigenen Menschwerdung auszukramen, als jene allgemeine Frage zu beantworten.
Ich bin ein Mensch; es würde nichts helfen, es zu leugnen; Engel wie Bestien würden sich dem widersetzen – tragen wir unser Schicksal also in Geduld, ohne noch ein Wort darüber zu verlieren.
Daß man einmal jung war, ist im dreißigsten Jahre nicht zu leugnen; ich würde auch diese Blätter nicht schreiben, wenn das Faktum zu bezweifeln stände. Es kostet mich freilich selber einige Mühe, diese Überzeugung festzuhalten, und somit darf ich mit andern, welche dem Dinge nicht so nahe stehen, über etwaige Ungläubigkeit nicht zu scharf rechten; ich muß es auf mich nehmen, ohne eine Injurienklage anzustellen, wenn ich aus dritter Hand die Behauptung in Empfang nehme, ich sei mit einer Brille, einem Hörrohr, einem Krückstock und in einem Flanellschlafrock zur Welt gekommen. Ich war auch einmal verliebt, ja ich liebte sogar; aber ich hatte nur das Vergnügen, bei dem Kinde meiner Angebeteten, welche einen andern heiratete, Gevatter zu stehen – lachen Sie doch, Marinelli! Da mehr als vierundzwanzig Stunden seit jenem feierlichen Moment hingegangen sind, so erzähle ich auch diese Geschichte mit Gleichmut. »Sine ira et studio« sagt Caius Cornelius Tacitus, wenn er voll Wut und Gift anfängt, die schmutzige Wäsche des cäsarischen Hauses vor den Augen der Mit- und Nachwelt zu waschen; ich aber bin anders – besser; ruhig lasse ich die Leichen der Vergangenheit auf der gemonischen Treppe verfaulen, und die Gespenster sollen mich nicht kümmern. Von allen Erdgeborenen weiß ein Jurist am besten mit den Gespenstern umzugehen; ein Ding, welches nicht mehr vor Gericht zitiert werden kann, ermangelt für ihn jeglicher Bedeutung; und wenn er – was geschehen kann – es zitieren muß, um einen Nebenmenschen in die Dinte zu reiten oder ihn daraus zu erretten, so tut er es zwar mit Pathos, aber doch mit innerlichster Verachtung und potenziertestem geistigem Achselzucken.
Ich bitte meine Leser, wenn ich jemals einen Leser haben sollte, dieses festzuhalten, sobald ich pathetisch werden sollte bei der Relation meiner Liebesgeschichte. »Wirf die Natur mit der Heugabel hinaus, sie kommt im Galopp zurück«, hat ein anderer weiser Mann gesagt, der auch seine Beziehungen zu dem cäsarischen Haus hatte, aber mehr Vergnügen und Nutzen daraus zog als jener grämelnde Historikus und Kalumniator; – Q. Horatius Flaccus wurde wohl auch einmal bei Hofe hinausgeworfen, aber kam lächelnd wieder, ohne die Unhöflichkeit übelgenommen zu haben.
Karoline war die Tochter aus der Apotheke zur Königin von Saba meinem elterlichen Hause gegenüber, und man roch es ihr an. Sie war das einzige Kind ihres Vaters und ihrer Mutter und deshalb eine gute Partie. Ihr Vater war der Apotheker Spierling, ein wohlhabender Mann, aber etwas reizbar und ein nicht sehr erquickliches Gegenstück zu meinem Papa, weshalb von ihm ebenfalls nur im Notfall die Rede sein wird.
Ich vernahm von der Geburt Karolines, ich sah sie in den Windeln auf dem Arme ihrer Amme, ich sah sie zur holden, wenngleich ein wenig kränklichen Jungfrau heranwachsen; alle schwärmerischen, romantischen Gefühle meiner Jugend durften sich zu ihren Füßen ablagern – es war ungemein traurig.
Karoline Spierling war ein gutes Kind; ihr Herz, ihr Charakter verdienten es, weich gebettet und gewiegt zu werden; allein das Schicksal hat seinen eigenen Willen, es läßt den Esel, der am Rande des Weges grast, zwischen seinen Disteln die hübscheste blaue Glockenblume abreißen und verschlingen und hört seinem schmatzenden Yha mit Behagen und ohne Gewissensbisse zu. Die Apotheke zur Königin von Saba gefiel meinem Freunde Joseph, er freite um die arme Karoline, und Karoline mußte sich von ihm freien lassen, denn mein Freund Joseph hatte für ihren Vater den rechten Geruch, den des Geldes und der Drogen: meine Gefühle durften sich kristallisieren oder versteinern, niemand hatte etwas dagegen einzuwenden.
Über der Tür der Apotheke saß die Königin von Saba, in halber Lebensgröße, in Holz geschnitzt. ich hatte sie in meiner Kindheit und während meiner ersten Jünglingsjahre bei jeder Witterung vor Augen. Der Regen wusch sie, der Hagel umtanzte sie, die Sonne trocknete sie, der Schnee setzte ihr eine weiße Haube auf; die gute Königin ließ sich alles gefallen. Zur linken Seite der Haustür (rechts von ihr befand sich die Offizin) am ersten Parterrefenster saß Karoline, nähend, Strümpfe strickend oder stopfend, und ließ sich ebenfalls alles gefallen. Ich sah auch sie bei jedem Wetter, und bei jedem Wetter erschien sie mir liebenswürdig, und je reifer an Jahren und je reifer an Verstand wir wurden, desto klarer mußte es uns werden, daß wir füreinander geschaffen seien.
Füreinander geschaffen sein! Das Unglück, die Verwickelungen, der Ärger, der Kummer, die Verzweiflung und die Lächerlichkeit, welche diese Phrase über die Welt gebracht hat, sind nicht auszudenken und auszusagen. Verschiedene Leute beiderlei Geschlechts (ich könnte sagen Freunde und Freundinnen; aber wer hat dergleichen?) haben mich versichert, daß sich hinter diesen Worten die meisten und ungeheuerlichsten Enttäuschungen verbergen und daß ich meinen Freund Joseph zu dem allergrößesten Danke verpflichtet sei. Sie sagten es gewiß nicht mit der Absicht, mich zu trösten; aber ich zog doch einen gewissen Trost daraus, als die Wunde noch frisch blutete. Jetzt bin ich darüber weg; das Wetter in meiner Seele mag sich ändern, wie es will, diese Narbe juckt nicht mehr.
Karoline Spierling ließ sich von ihrem Vater anknurren und saß still, sie ließ sich von mir anlächeln und lächelte verstohlen zurück. Wir tanzten auch zweimal in unserm Leben zusammen, und beim zweitenmal gestand ich ihr, daß ich nicht ohne sie leben könne, daß sie der Stern meines Daseins, die Sonne an meinem Himmel, daß sie ein Engel und meine Göttin sei. Sie schlug die Augen nieder und ließ sich auch dieses gefallen, ganz wie die Königin von Saba, welcher der König Salomo vielleicht etwas Ähnliches ins Ohr geflüstert hat, als sie ihn besuchte, um den Versuch zu machen, die schöne Sulamith bei Seiner Majestät auszustechen. Sie, nicht die Königin, sondern meine Ausgewählte, gestand mir leise und errötend, daß ich ihr »nicht gleichgültig« sei, und was diese Phrase zu bedeuten hat, ist auch nicht wenigen bekannt; sie steht im engsten Zusammenhang mit jener andern, welche lautet: Sprechen Sie mit meiner Mutter – meinem Vater – meinem Vormund.
Himmel und Hölle, weshalb verwies sie mich nicht an ihren Vater? Weshalb sprach ich nicht mit dem alten Giftmischer?
Ach, sie kannte den Mann, sie hatte eine heillose Angst vor ihm; sie wußte, wie sich der Tyrann gebärden würde, wenn ich, beider Rechte mittellos Beflissener, es wagen sollte, vor ihm zu erscheinen, um das von ihm zu erbitten, was er doch eigentlich gar nicht zu schätzen wußte, den Besitz seiner Tochter. Sie zog ein Döschen mit Pfeffermünzküchelchen hervor, um sich gegen diese Vorstellung zu schützen. Sie bot auch mir die Dose – es war während einer Pause des Kotillons –, und verzweiflungsvoll griff ich dankend zu und stärkte mich ebenfalls. Unter dem Einfluß dieses angenehmen Reizmittels und den Tönen eines elegischen Walzers kamen wir zu dem bittersüßen Entschluß, unsere Liebe für jetzt geheimzuhalten, uns ewig treu zu bleiben und lieber zu sterben, als einem andern oder einer andern anzugehören. Dann tanzten wir weiter, aller jugendlichen Torheiten, Entzückungen und Schmerzen voll, wahrlich, wir waren sehr jung, wirklich sehr jung, sehr dumm und sehr mit uns zufrieden. Könnte man eine derartige gehobene Stimmung durch das ganze Leben konservieren, so würde es sich wohl ertragen lassen.
Nach diesem inhaltreichen Ballabend betrachtete ich die Königin von Saba als mein unbestrittenes Eigentum und schloß eine innige Freundschaft mit meinem Spiegel. Ich verwandte viel kostbare Zeit auf die Schleife meines Halstuches und ordnete mit Kunst mein lockiges Haar. Sämtliche auf unsern Fall einschlägige Stellen des kanonischen Rechtes trug ich zusammen, und mehr als einen langen Sommernachmittag habe ich über dem großen und schlauen Worte verträumt:
»Solus cum sola non praesumitur orare Paternoster.«
Zu deutsch: Es steht nicht vorauszusetzen und ist nicht zu verlangen, daß, wenn einer mit einer allein in der Sofaecke sitzt, einer mit einer das Vaterunser bete. Aber ach, wir erhielten die Gelegenheit, solus cum sola zusammen zu sein, nie wieder. Der schmauchende Mohr vor unserer Tür und die Königin aus dem Morgenlande gegenüber hätten das eher fertiggebracht als wir beiden armen Kinder. Zwischen unsern Vätern brach ein Streit aus, der lustig wucherte und zur tödlichsten Feindschaft gedieh. Während eines furchtbaren Platzregens hatte jeder der beiden Hausbesitzer die verderblichen Fluten von seinen Kellerlöchern abdämmen wollen, und jeder hatte sie dem andern hineingetrieben. Hinc illae lacrimae – diese schlammigen Wasser spülten jegliche nachbarliche Zuneigung aus den Herzen unserer Erzeuger fort und setzten Karoline und mich vollständig auf den Sand. Alle Korrespondenz mit dem Feinde wurde bei Lebensstrafe untersagt, und es stand uns nur frei, uns wieder gehoben in unserm Schmerz zu fühlen und den Reiz, uns als »Opfer« zu betrachten, auszukosten. Ich bestand zwischen Hängen und Würgen mein zweites Examen und wurde als Akzessist an das Stadtgericht eines nichtsnutzigen Provinzialnestes gesetzt, wo ich eine Abhandlung über den Selbstmord schrieb und zu Fidibus verbrauchte, ein Zeichen, daß etwas mehr in mir steckte als in andern jungen Gemütern, welche in solcher Stimmung Gedichte machen und dieselben sogar auf eigene Kosten drucken lassen. Weder meine geistigen noch meine pekuniären Mittel erlaubten mir solchen Unsinn.
Reden wir von meinem Freunde Joseph Sonntag!
Wenn Karoline und ich von unsern Vätern manches zu erdulden hatten, so litt mein Freund Joseph an seiner Mutter, doch angenehmer als wir. Sie war die begüterte Witwe eines berühmten Konditors in einer der Hauptstraßen der Stadt und verzog und verfütterte meinen Freund, ihr einziges Kind, wie das unter solchen Umständen nicht selten ist. Süßigkeiten jeder Art wurden an ihn verschwendet und machten ihn zu dem, was er später war, zu einem gelblichen, geschwollenen, dick- und hohlköpfigen Günstling der Götter.
Es gibt kluge Leute, welche es unter ihrer Würde halten, an Inspirationen zu glauben; diese Leute möchte ich auffordern, gefälligst das Sein des ersten besten Dummkopfes ihrer Umgebung und Bekanntschaft zu prüfen. Es hat niemand soviel glückliche, geistreiche, nutzen- und vorteilbringende Inspirationen als ein solcher normaler Wasserkopf, an welchem die Welt verzweifeln möchte. Mein Freund Joseph verzweifelte niemals an sich; da er Lagen, in welchen andere Leute sich aufzugeben pflegen, nicht begriff, so waren sie eigentlich gar nicht für ihn da. Wie ein Korkstöpsel schwamm er auf den Wassern des Lebens und segelte ruhig den Rinnstein herab bis zu dem dunkeln, widerlich-unheimlichen Loch, in welches wir allesamt herniedermüssen.
War es nicht eine wahrhaft göttliche Inspiration dieses süßen Jünglings, als er das bittere, gesunde Geschäft eines Apothekers zu seinem Lebensberuf machte? Mochte sie vermittelst des Hirns oder des Magens in diese unsterbliche Seele geleitet sein, einerlei, sie mußte jedem denkenden Menschen bewunderungswürdig erscheinen.
Wir hatten zusammen auf der Schulbank gesessen, und er verehrte mich sehr und wußte mich instinktiv nach allen meinen Fähigkeiten zu würdigen. Er schloß sich an mich, wie der Schwache sich an den Starken zu schließen pflegt; er nahm es immer für eine Ehre, mir alle möglichen kleinen Dienste zu leisten; – er war stets ein guter Kerl und mein Freund und teilte mir alle seine Geheimnisse, seine Leiden und Freuden warm aus dem Ofen mit, ohne dasselbe von mir zu verlangen. Ich kannte ihn durch und durch, wozu freilich nicht viel gehörte; er litt auch unter dem Wahn, daß wir füreinander geschaffen seien, und ich ließ ihn in demselben, da seine Zuneigung selten in Zudringlichkeit überging.
Er wußte nicht, wie verliebt ich in Karoline war, denn ich hatte es nicht für nötig erachtet, ihn mit dem Umstand bekannt zu machen; er war zu sehr Freund, um selber an das Verlieben denken zu können; aber an dem Tage, an welchem ich, Verzweiflung im Herzen, auf der Post nach Hohennöthlingen fuhr, um meine Akzessistenstelle anzutreten, kam ihm eine neue, wundervolle Inspiration: er trat als Provisor beim Nachbar Spierling ein und fing an, unter dem Zeichen der Königin von Saba seine Gifte zu mischen. Ein halbes Jahr später schrieb er mir entzückt, selig, außer sich, das Leben sei der Güter höchstes nicht, aber Karoline Spierling, seine Karoline, sei die Krone und das höchste Glück des Lebens. Er legte eine feingestochene Karte bei, auf welcher sich Joseph Sonntag und Karoline Spierling mir – mir als Verlobte empfahlen. Man erwartete wahrscheinlich, daß ich ebenfalls entzückt, selig und außer mir umgehend meine besten Glückwünsche zurücksenden werde.
Ich tat es.