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Zwölfter Gesang.

Ottgars Leiche wird in der Nacht auf einen Trauerwagen gehoben. Hornecks Klaggesang. Des Kaisers Einzug in Wien. Dankgebeth. Der Wagen mit Ottgars Leiche nah't. Lobkowitz führt dessen Sohn Wenzel herbei, daß er um selbe flehe. Der Kaiser entläßt sie. Endet seinen Siegeseinzug in die Burg. Nimmt den König Ladislav, und Wenzel an Sohnes statt an, und verheißt diesem seine jüngste Tochter Gutha. Belehnt seinen Sohn Albrecht mit Oestreich, und zieht sich dann in das Trauergemach, wo die Kaiserinn starb, zurück.


S chauerlich irrt durch Nacht und Grau'n ein zitternder Lichtstrahl
Ueber das schweigende Schlachtfeld hin. Nicht lang', und es folgen
Ihm unzählige nach; viel hundert Fackeln erhellen
Bald die Gegend umher: ihr Schimmer, vom Winde gefächelt,
Wogt (entsetzlich zu schau'n!) auf den bleicherstarreten Leichen
Tausender blitzschnell fort, und erfüllet die Seele mit Wehmuth.
Doch wen suchen, voll emsiger Hast, die furchtbaren Männer
Jetzo, schreitend umher, in den weiten Gefilden des Todes?
Ottgarn! Sieh', und bald verkündete drüben ein Hügel
Rings um ihn her erschlagenen Volks, wo er muthig im Kampf sich
Wehrete, bis er, durchbohrt, den Rachebrüdern dahinsank!
Dorthin wandelte, schweigend, der Zug; die leuchtende Flamme
Wies ihn: erkennbar leicht, obgleich entblößt von des Heeres
Plünderndem Troß, wie er lag im finsteren Kreise der Leichen,
Mit den heruntergezogenen Brau'n, und den Lippen, zum Bogen
Eingekrümmt vor Zorn: denn selbst mit des schwindenden Lebens
Letztem Hauch, da ihm schon aus dreizehn Wunden das Blut rann,
Wähnet' er noch: er habe gerecht bestraft den Verräther,
Den so feig, so unedel jetzt die schrecklichen Brüder
Rächten: zur Wuth empört von der langgenähreten Blutgier.

Aber des Führers Ruf erscholl, und der stattliche Wagen,
Schon mit der Leiche des Königs beschwert, und verhüllt mit dem Bahrtuch,
Folgte, rasselnd, dem Zug sechs glänzender, feuriger Rappen,
Die zum eng'gemessenen Schritt mit Mühe der Roßwart
Bändigte. Sieh', da trug der weitgefeierte Sänger,
Horneck, leise die Harfe herbei. Ihm rollten die Thränen
Ueber den grauenden Bart in den Busen herunter, und schweigend
Starrt' er nach Ottgar hin; dann hob er den Klagegesang an:
»Weh', da liegt er entseelt, der einst gewaltige König!
Tausende blickten auf ihn, und es drängte der eine den andern,
Glühend vor Hast, so er rief; nun ist er verlassen: es horcht ihm
Keiner der Emsigen mehr. Wie staunt', und bewundert' ihn Jeder
Sonst, da er noch zu dem Königsthron, von Edelgesteinen
Schimmernd am gold'nen Gewand', aufschritt: nun wandten sie, schaudernd,
Von dem Nackten sich ab, den kaum das kärgliche Gras barg!
Ha, wo weilte der Arzt, dem Vergehenden Labsal zu reichen?
Waren nicht seidene Kissen zur Hand, nicht schimmernde Decken,
Ihn zu erwärmen, und ach! nicht scholl aus dem Munde der Gattinn,
Kinder, Verwandten und Freunde umher, ein tröstendes Wörtchen,
Ihm zu erheben das Herz? Verließen im Kampfe die Streiter
All' ihn? Wie, nicht einer der Tapferen kam, ihn zu schirmen?
Welt, Welt, so ist dein schnöder Gewinn! Ach, wehe dem Thoren,
Der dir, falschen, vertraut! Erst biethest du lieblichen Honig
Mit bethörenden Worten ihm dar; dann wandelst du plötzlich
Solchen in furchtbares Gift: er saugt Verderben und Tod ein.
Also erging es auch hier dem Könige. Fürsten, bedenket
Sein Geschick! Handhabt die Gerechtigkeit, schützet das Recht nur;
Seyd durch Tugenden groß, durch Wohlthun herrlich und geizet
Nach dem Lohne der Welt nicht allein: vor Gott ist er eitel!
Ottgar, ach, er geizte nach ihm! Die, prahlend, geschworen:
Auszuhalten bei ihm im Leben und Tode – wo sind sie?
Einsam sinkt er jetzo hinab in des Todes Behausung.
Welt, Welt, so ist dein schnöder Gewinn! Ach, wehe dem Thoren,
Der dir, falschen, vertraut: denn nichtig entschwebt ihm das Leben!« Ueber diesen Klaggesang Hornecks stehe dessen Reim-Chronik Cap. 163 und 164. Hier nur Einiges aus demselben:

Sieh Welt aller Untrew Chron,
Daz ist auch ainer deiner Lon!
– – – – – –
Auf der Erden lag er par
Sein eigen Pluts naz.
Wo waren die Matraß,
Und die gulter Seydein,
Darauf er sollt gelegen sein?
Wo waren die ihn sollten chlagen?
Von Mannen und von Magen, (Anverwandte)
Pelieb er Trostes frey.
Wo waren Erzt und Erzeney,
Damit man seine Wunden
Solt han gepunden?
– – – – – –
Er hat so viel Guts,
Wer er gewesen des Muts,
Daz er tegleich wolt
Von edlem Gestain und Gold
Haben tragen Kleider an,
Daz hiet er wol getan.
Dez liez er ihm so gar zerrinnen
Daz man im muest gewinnen
Ain Graz, daß man ihn mit pedackt,
So gar pelieb er nakht.
– – – – – –
Ungetrev Welt, die spielt
Du von im so gar,
Daz aus dainer Schar
Im Niempt volgt nach.
– – – – – –
Sieh Welt daz ist dein Sold.
We im! der dir ist hold
Und We im den du trewtest.
Mit dem Mund du im pewtest
Honig an dem Anwang,
Und hechst als ein Gift-Slang
An dem End – –
– – – – – –
Wer nicht will Gottes Haz
Und seinen Zorn leiden,
Der muß die Welt vermeiden.
Dann die Werich, die sy geert
Die sind vor Gott unwert.
Dez vermaid nit der wakcher
Von Pehaim Kunig Ottakher:
Wann er vollfurt mit Gelust
Der Welt Achust, (unordl. Begierden und Laster.)
Und rang hier also ser
Nach der zergenklichen Er,
Daz er sich dez nicht liez befillen
Damit er nach irm Willen
Möcht gewerben, und geleben,
Daz sol im Gott vergeben!
So wehklagte der edele Greis. Ihm horchten die Krieger
Alle mit pochender Brust, den Trauerwagen umstehend,
Und erhebend die Fackeln zur Luft, die, flatternden Schimmers,
Ottgars finstere Stirn' erhelleten. Jener entzog sich
Ihren Blicken, und wanderte dann auf dem nächtlichen Pfad fort.
Doch sie schlugen behend', als solches der Führer gebothen,
Ueber die Leiche das Bahrtuch her. Die schnaubenden Rappen
Trieb der Roßwart an, und sie trabten, gehaltenen Schrittes,
Von den Kriegern umschart, g'en Wien, die herrliche Stadt, hin.

Dort scholl freudiger Lärm dem kommenden Morgen entgegen,
Als, dem Sieger zum Ehrenempfang', in geschäftiger Hast sie,
Durch die dunkele Nacht sich schmückte mit festlichen Kränzen:
Denn vor dem Thor, das sich nach Kärnthen dem Wanderer öffnet,
Sollte von Laubgehölz' ein Siegesbogen sich heben,
Hochgewölbt, und geziert mit schimmernden Bändern, und oben
Rufen die goldene Schrift ein »Lebehoch!« dem Befreier,
Der von der Stadt und dem Land' abwehrt' unendlichen Jammer;
Oestreichs Herrscherthron fest gründete; dauernden Frieden
Deutschlands Gauen errang, und ein Ziel aufsteckte der Willkühr,
Die sich gefiel im Raub', und in all' den Gräueln des Faustrechts!
Auch die Straßen entlang, erhoben sich, dicht vor den Häusern,
Lieblichgrünende Reiser zur Lust; buntschimmernde Blumen
Hauchten Wohlgeruch her auf die Bahn, die, erkoren dem Sieger,
Durch die Stadt sich wand, und zahllos wogten die Fahnen
Oestreichs rings von dem Wall' und den ragenden Thürmen im Wind hin.
Also schmückte sich jetzo die Stadt, wie die blühende Braut sich
Schmückt an dem Morgen des Tags, der sie eint mit dem Lieben auf immer.

Hinter des Ostens dämmerndem Thor' entfaltete jetzo,
Neuverjüngt, der Tag die Fittige: weit sich erstreckend
Hoben sie fächelnd sich auf, und wehten den glühenden Schimmer,
Der sein Rosenlager umfing, empor an dem Himmel;
Doch sie weckten zugleich des sanftumschmeichelnden Frühwinds
Kühligen Hauch. Er kam aus des säuselnden Waldes Umlaubung
Ueber die blumigen Matten heran; verbreitete ringsum
Balsamduft, und erfüllte mit Luft die erwachende Schöpfung.
Zwitschernd regte die Schwalbe sich schon im Nest mit den Jungen,
Das sie im Lenz' erbaut' an dem Mauergesimse des Hauses;
Auch umgirrete laut die Taub' in dem Schlag', und der Hahn rief
Schmetternd, darein, als draußen vom Feld, von dem Hain', und dem Hochwald
Bis in die bläuliche Luft empor das Getöne sich mehrte.
Jetzt von des Himmels Rand, dem Rosenlager entschwebend,
Hob die herrliche Sonne sich auf; umhüllte die Berghöh'n,
Häuser und Thürme der Stadt mit röthlichem Duft', und entflammte
Hier die Fenster zu Gold, und dort auf den blühenden Matten,
Unermeßlich umher, den Thau zu blitzenden Perlen.
Doch bald schwang sie, verklärt, sich empor: den wölbenden Himmel
Trübte kein Wölkchen, und rings auf dem lichtumflossenen Erdkreis
Scholl ein Wonnegejauchz, dem schönsten der Tage zur Feier.
Aber schon zogen den Weg nach dem Kreuze der Spinnerinn, eilig,
Krieger zu Fuß und zu Pferd in gesonderten Haufen, und weithin
Blitzten im Sonnenschein die hellgeglätteten Waffen –
Blitzte der Harnisch und Helm der Tapferen, die, von dem Schlachtfeld
Kehrend, zum Siegseinzug' auf dem sanfterhobenen Berg sich
Sammelten, wie es der Herrscher geboth. Mit grünenden Reisern
Waren die Helme geschmückt, behangen mit Kränzen die Rosse;
Laut scholl Jubel die Scharen entlang: denn fröhliche Weisen
Sang der Krieger; sein Roß ihm wieherte d'rein; die Drometen
Schmetterten, Zink' und Pauk' erklang, und die wirbelnde Trommel
Rief das verworr'ne Getön zum allerfreuenden Einklang.

Sieh', und es lief unzähliges Volk aus der Stadt und vom Land her,
Nach der Straße hinaus, auf welcher die Tapferen kamen:
Alle mit Angst in der Brust, bis sie in den fröhlichen Reihen
Ihre Lieben ersah'n! Da scholl (erschütternd zu hören!)
Jauchzen empor; da bog sich mancher vom Sattel herunter:
Einer umhalste den Freund, ein andrer den Sohn, und ein dritter
Reichte dem grauenden Vater die Hand, der grauenden Mutter,
Oder der Braut, die thränenden Blicks, ihm lächelte, sprachlos!
Aber es trat nun hier, nun dort mit erblassendem Antlitz
Auch der unglückliche Mensch aus den lautaufjubelnden Scharen:
Denn nicht hatt' er die Lieben erseh'n, und dem Fragenden tönte
Schrecklich der kurze Bescheid: »Er fiel, und kehret nicht wieder!«
Feldeinwärts ging dort ein zartaufblühendes Mädchen,
Ringend die Hände mit schwerem Gestöhn; hier saß an des Grabens
Rand der Vater: er sah in die Tiefe hinab, und die Mutter
Preßte den Arm mit der Stirn' an den Baum, und schluchzte vor Herzleid.
Aber der schwellende Ruf des Entzückens dämpfte des Wehes
Schnellverhallenden Laut, und unendlich erscholl das Getümmel,
Als dem festlichen Kreuz der Spinnerinn jetzo der Kaiser
Nahte mit hehrem Gefolg: denn Ladislav, der Magyaren
Blühender König, ritt, hellschimmernd von Gold, ihm zur Rechten;
Ihm zur Linken sein tapferer Sohn, der jüngst in der Feldschlacht,
Muthentflammt, vortrug der Erlösung heiliges Zeichen,
Und ihm folgten, erwählt, des Heers siegstolze Geschwader
Nach auf den Wienerberg, der unter den Drängenden bebte,
Und in dem Waffengeblitz erschütternd dem Auge zu schau'n war.
Jetzt umgab er sich dort mit dem kaiserlichprangenden Mantel;
Setzte den Helm, an welchem umher der goldene Kronreif
Schimmerte, sich auf das Haupt; entblößte den Degen, und hob ihn
Auf zum ersehneten Wink'. Alsbald bewegte das Heer sich
Im Geleite des Volks nach Wiens aufjubelnden Mauern.
Sieh', ihm eilten die Ritter vor mit den Reisigen Ungerns –
Jenen der Ost- und der steyrischen Mark: von den Heldengebiethern
Angeführt, und vereint um die ruhmgekröneten Fähnlein!
Aber ihm folgten dann die muthigen Schweizer und Schwaben
Und die Tapfern aus Kärnthen und Krain mit den kühnen Tyrolern.
Wie der Alpenbach, vom Regen geschwollen, sein Bette
Plötzlich verläßt, und quer von des Bergs Abhange sich stürzet,
Endlos über die Matten hin die Fluthen ergießend:
So fortwälzte sich schnell das Heer; stets näher erscholl ihm
Festlicher Glocken Getön' und des Volks auftobender Jubel.

Außer dem Kärnthner Thor, wo ein Siegesbogen erhöht war,
Standen die trefflichen Bürger vereint. Ihr Meister, erkoren
Durch gemeinsame Wahl an Waldrams Stelle, des falschen,
Eilte heran, den Zug des erhabenen Kaisers zu hemmen;
Both auf dem Becken von schimmerndem Erz, die vergoldeten Schlüssel
Wiens, ihm huldigend, dar, und begann die Rede mit Ehrfurcht:
»Heil dir, Oestreichs Herrn, dir edelstem Kaiser der Deutschen!
Mögest du heut, wo dir, dem Retter, die jubelnde Stadt Wien,
Festlichgeschmückt, entgegeneilt mit verlangenden Armen,
Nicht gedenken der Schuld entflohener Tage – des Herzens
Deiner Getreuen gewiß! Nun herrsch' im Segen des Himmels
Ueber dein glückliches Volk, und vom Thron, den du auf dem Grundstein
Heiliger Religion, Gerechtigkeit, Tugend erhöhtest,
Dein erhab'nes Geschlecht an der Zeiten entferntestem Ziel noch!«
Sagt' es, bewegt; doch schnell entgegnete jetzo der Kaiser:
»Ihr Getreu'n, habt Dank für des Herzens enthüllte Gesinnung!
Gnädig willfahre mir Gott in dem Wunsch, daß ich gründe die Wohlfahrt
Fern in die Zukunft noch der guten und trefflichen Völker,
Die er mir anvertraut! Mein Glück ist das eure für immer!«
Plötzlich entstürzt' ein heller Strom von Thränen den Augen
Aller umher: denn rings erscholl, von Tausender Lippen
Brausend, ein »Lebehoch!« und mehrte sich, jubelnden Lautes,
Dort die Straßen entlang, die, erkoren dem festlichen Einzug,
Schimmerten. Jetzt durch's Thor und die Straße Karinthia's trug ihn,
Stolzvorschreitend, das Roß, und aus jeglichem Fenster ertönte
Huldigung, wo, bekränzt, die zartaufblühenden Jungfrau'n –
Frau'n im glänzenden Schmuck', ihr schneeiges Tuch in die Lüft' auf
Schwangen, und jauchzten empor mit hellerklingender Stimme.
Doch, aus dem wimmelnden Volk vordrängten jetzt, wie verjüngt, sich
Wankende Greis', ihn zu seh'n, und zu segnen. Die Väter und Mütter
Hoben ihr lallendes Kind auf den Arm; sie falteten erst ihm
Freundlich die Händchen, und zeigten ihm dann den Herrlichen drüben,
Daß es des Tages noch oft im spätesten Alter gedenke!
Sieh', und nicht trockneten mehr dem erhabenen Kaiser die Augen
All' die Straßen entlang, da er links, und rechts, in dem Siegszug
Dankte dem jauchzenden Volk mit oft erhobener Rechten.

Also im Freudengeschrei unzähliger Meng', in der Glocken
Festlichem Klang', und der Pauk' und Dromet' empörterem Jubel,
Zog er entgegen dem Rothenthurm, und lenkete jetzo
Ueber den schimmernden Hohenmarkt nach dem prächtigen Hof ein;
Dann nach der Freiung hinab, und, dem Schottenkloster vorüber,
Durch die Herrngass' fort nach dem breitaufragenden Graben,
Bis er am Riesenthor des unendlichen Doms aus dem Sattel
Eilig zur Erde herab sich schwang. Sein mächtiger Gegner,
Ottgar, Oestreichs Herrscher vor ihm, vollbrachte des Domes
Herrlichen Bau, da er einst zerstört von den Flammen, im Schutt lag. Die Stephansklrche, nachdem sie vorher zweimal abgebrannt war, hat Ottokar beinahe in derselben Gestalt, wie sie noch heut' zu Tage zu sehen ist, während er über Oestreich herrschte, hergestellt.
Dort reicht' ihm der oberste Hirt der Gemeinde, vor allen,
Festlichgeschmückt, im Kreise der Priester geweihetes Wasser
Sanft mit dem Sprenger dar; dann schwang er das duftende Rauchfaß
Dreimal ihm entgegen, und ging, beginnend der Lieder
Herrlichstes: »Gott, dich preisen wir!« zum erleuchteten Altar,
Singend, vor ihm einher, und Tausende sangen das Lied nach.
Aber, als in dem wölbenden Raum des unendlichen Domes
Rings umher des Gesangs allletztes Säuseln verhallt war,
Knie'te der Kaiser noch hin, und bethete, heiliger Andacht
Voll, am Altar', im Kreise der ruhmgekröneten Feldherrn.
Staunend sah ihn das Volk; doch hingen mit inniger Wehmuth
Auch an Trautmansdorf, dem Helden, viel Tausender Augen,
Der, von dem schimmernden Kreis' entfernt, auf die Kniee gesunken,
Beugte das grauende Haupt mit gottergebenem Herzen.
Bald umhüllten ein jegliches Aug' untad'lige Thränen:
Dort den Mann mit dem schneeigen Haupt so einsam zu schauen,
Der noch jüngst, umringt von blühenden Söhnen einherging:
Froh der gewaltigen Schar! Nun stand er allein und verlassen,
Wie der verdorrete Stamm in dem Wald', um welchen die Windsbraut
All' die frischen umher mit lautem Gekrach' in den Staub warf.

Thauenden Blicks, trat jetzt von den heiligen Hallen der Kaiser
Wieder heraus, vor dem Riesenthor zu beginnen den Heimzug
Nach der erhabenen Burg. Doch sieh', welch' tiefes Erstaunen
Unter dem Volk? Schnell theilt es sich links und rechts in den Straßen
So, daß der Bahre, von sechs lautschnaubenden Rossen gezogen,
Raum sey, fürder zu zieh'n bis hin zur Pforte des Domes.
Schmerz ergriff die Brust des beseligten Siegers. Er starrte
Lang' nach dem Trauerflor, und dem leich'umhüllenden Tuch hin,
Und erwog im Gemüth: wie mächtig der Todte noch gestern
Gegen ihn stand, der heut', erstarrt, all' irdischer Hoheit,
Kraft, und Streitlust bar, dort unter der finsteren Hülle
Ruhete! Dann begann er für sich mit rührendem Laut so:
»Ottgar, lebtest du noch, und herrschtest im Frieden, der Rachgier
Wüthenden Sturm in der Brust besänftigend; heiteren Blickes
Würdest du seh'n: nie haßt' ich dich, und im redlichen Busen
Strebte dieß Herz, voll Liebe, dem deinen entgegen zu schlagen!
Ruhe denn jetzt im Schooß des Allerbarmers auf immer!«
Sagt' es, und hieß die Leich' auf dem trauerumhülleten Wagen
Fort nach dem Schottenkloster hinab mit Würde geleiten,
Wo sie ruhe, bis ihr, nach der Seelenmess' und dem Bußpsalm
Werd' ein Grab mit dem ehrenden Stein, an heiliger Stätte.
Doch wer drängt sich hier, voll Ungestümm, vor aus den Scharen?
Lobkowitz kam, erblaßt von der Wunde zugleich, und dem Herzleid
Ob des erschlagenen Königs und Freunds, in Eile herüber,
Führend an zitternder Hand das holdaufblühende Söhnlein
Ottgars, Wenzeslav, der einsam in Drösing zurückblieb.
Ach, er harrete dort des Vaters, in fröhlicher Unschuld;
Aber nicht kehrt' er ihm mehr, und, verwaist in der zartesten Jugend,
Mißt er die kräftige Hand, die ihn leitete, seines Erzeugers!
Großes beschloß alsbald der treffliche Greis, und, dem Kaiser
Jetzo genaht, vordrängt' er das Kind, und sprach in das Ohr ihm:
»Geh', und umfass' ihm die Knie' mit festgeschlungenen Armen,
Daß er dein sich erbarme mit Huld, und die Leiche des Vaters
Frei gewähre zum Trost den Unglücklichen, die er zurückließ;
Dir zum Ruhm, wenn einst auf vaterländischem Boden
Du ihm erhöhst das ehrende Maal, und zur Zierde dem Land dort,
Deß gewaltiger Held, und erhabenster Fürst er gewesen!
Fasse nur Herz: nicht hartgesinnt erweis't sich der Kaiser
Dir: als Vater das dunkle Geschick der Kinder bedenkend.«
Ottgars blühender Sohn gehorcht' ihm: er stürzte zu Rudolphs
Füßen; umfaßt' ihm die Knie', und rief erschütternden Lautes:
»Mildgesinnt, so sprachen sie all', ist der mächtige Kaiser,
Dem ich hier auf den Knie'n, und mit thränenerfülleten Augen
Rufe: erbarme dich mein, des Verwaiseten; lasse des Vaters
Leich' uns frei, der dir erlag in der schrecklichen Feldschlacht!
Hast ja auch Kinder, und sie erfreu'n sich des liebenden Vaters
Noch, der, machtbegabt, sie schirmt, und zu Ehren erhebet.
Aber, o, mich Unglücklichen: denn des Vaters beraubet,
Welcher so hold mir war, vermiss' ich die mächtige Hand jetzt,
Die mich hätte geführt auf des Lebens unsicheren Pfaden!
Dennoch wird sein Grab im vaterländischen Boden,
Der sein theures Gebein bedeckt, und der redende Denkstein
Mir erfüllen die Brust mit Trost, und mit Stärke sie waffnen;
Stillen den Schmerz der Mutter um ihn, und erheben des Volkes
Sinkenden Muth, das stets, in Treu' ergeben, ihm anhing.«
Doch der erhabene Kaiser schwieg, mit sinnenden Blicken
Ueber den Jüngling gebeugt, und das Volk dort weinete ringsum.
»Höre des Sohnes Fleh'n,« begann jetzt Lobkowitz finster,
»Himmelan hebt sich dein Ruhm: nicht bedarf er des ehrenden Denksteins
Hier, der, rühmend, von Ottgars Grab verkünde der Nachwelt,
Welchen Gegner du einst im Felde der Waffen erlegt hast.
Allwärts preist dich die Welt großmüthig und edel: als solchen
Sollst du auch ihm dich erweisen – wo nicht? so täuschte dein Ruf nur:
Denn unziemlicher Haß g'en Ottgar füllet dein Herz noch.«
Rief's empört, und übermannt von unbändigem Herzleid.
Alle staunten umher; doch zürnte dem eifernden Alten,
Welcher so edel gesinnt, und zugleich so tapfer im Feld war,
Rudolph nicht. Voll Rührung erhob er nun den Erzeugten
Ottgars, der erneut ihm die Knie' umschlang, von dem Boden,
Herzt' ihn vor allem Volk', und begann mit erheitertem Antlitz:
»Sey getröstet, mein Sohn! Nicht sann ich, vor Trauer verstummend,
Dir ein kostbares Unterpfand zu entreißen: denn alsbald
Geb' ich es frei. Auch führe zugleich mit dem tapferen Helden,
Lobkowitz, dich der Füllensteiner im Ehrengeleit heim.
Zieh' dann schnell g'en Prag mit der Leiche des theuern Erzeugers,
Sie zu bestatten mit würdiger Pracht, und zu weihen ein Denkmaal
Ihm, der, herrschend mit Kraft und mit vielumfassender Weisheit,
Rastlos seines unzähligen Volks Gedeihen und Wohlfahrt
Förderte. Doch, nun komm'! Ich will ein Vater dir werden,
Wie ich's zuvor beschloß im Gemüth', und im Segen des Himmels
Möge der sprossende Keim noch herrliche Früchte dir bringen.«
Sagt' es mit freud'ausstrahlendem Blick', und als er, gewendet,
Faßte des Rosses Zaum mit der Linken, hinauf in den Sattel
Sich zu schwingen, da both er zugleich dem staunenden Helden,
Lobkowitz, schnell die Rechte zum Gruß mit den freundlichen Worten:
»Kühner, du stand'st mir zwar gar feindlich entgegen, und dennoch
Sagt mir das Herz: wir scheiden noch bald, als Freunde für immer!«
Jener dankt' ihm d'rauf mit thränenumflossenen Wimpern,
Schweigend; aber es quillt ein Dank aus den schimmernden Thränen,
Den im schwellenden Strom der Worte die Zunge nicht ausspricht.
Solches gewahrete nun der Kaiser, erfreuet, und schwang sich
Rasch auf das Roß, den Siegeszug in der Burg zu vollenden:
Denn mit jubelndem Ruf fortwogten von neuem die Scharen.

Jetzt, in dem weitumschlossenen Raum der mächtigen Hofburg,
Wies sich dem Volk' ein Schaugerüst, der Sichel des Mondes
Aehnlich an Bogengestalt, erhöht, und mit Purpur behangen.
Vierzehn Stufen empor, in stets verengteren Kreisen
Hob sich der herrliche Bau, und zuhöchst, auf dem oberen Feldraum
Stand, hellschimmernd, des Herrschers Thron, an welchem zur Linken,
Und zur Rechten, gar zierlich geschmückt, zwei Stühle von Purpur
Glänzten. In drängender Hast erfüllte sich eilig die Hofburg.
Freudiger Lärm erscholl, als die Rosse, der Reiter entledigt,
Wieherten, heim durch die Menge geführt, und in stattlicher Hoheit
Rudolph nun mit Gefolg zu dem glänzenden Throne hinaufschritt;
Dort sich Ladislav, den König der Ungern, zur Rechten –
Wenzel, den Sohn des getödteten Horts der Böhmen, zur Linken
Sitzen hieß, und das Volk mit freundlichem Winke begrüßte;
Doch ein schmetternder Laut der Dromete geboth in dem Hofraum
Schweigen, und Stille ward, daß der Hauch des athmenden Busens
Hörbar flog, und umher die Stimme des Kaisers vernehmlich
Tönete, da er die Recht' erhob, und also zum Volk sprach:
»Seht uns am Ziele, mit Gott! Vollbracht ist die That, und das Opfer,
Das aus dankbarer Brust zu dem Ewigen heute sich aufschwang.
Ach, gar dürftig erscheinet das Wort! Wie sollen wir würdig
Danken dem Heer', das uns den Sieg errang in der Feldschlacht?
Wie dem erlauchtesten Könige, der als helfender Freund, uns
Einte sein tapferes Volk im allentscheidenden Zeitraum?
Nicht vermöchten wir das! Doch ihn, den König der Ungern,
Schließen wir heut' an Sohnesstatt, wie er selbst es ersehnet, Daß Rudolph den König Ladislav adoptirt habe, meldet auch Fugger I. Buch 12. Cap. S. 101.
Freudig an's Herz, und geloben ihm Schutz und Freundschaft für immer.
Wohl bezeugt uns der Herr: ›Wer hat, dem wird noch gegeben!‹
Also auch wir, von Gott mit Kindern gesegnet, erkiesen
Heute der Söhne noch mehr – denn hört: den theuern Erzeugten
Ottgars einen wir auch, als solchen, in liebender Sorgfalt
Bald mit unserem Blut: ihm Gutha, die Tochter, verlobend,
Die uns die jüngst' erblüht aus den Töchtern, voll lieblicher Unschuld!«
Jetzo drückt' er zuerst den König, und d'rauf den Erzeugten
Ottgars rasch an die Brust, und unendlich jauchzte das Volk auf.
Aber der König erhob sich vom Stuhl', und sagte voll Feuer:
»O, gesegnet für immer der Tag, der, freundlichen Anblicks,
Dich als Bundesgenossen mir wies! Der brausenden Jugend
Jahr' umgaukelten mich noch jüngst im verwirrenden Schimmer;
Aber du kamst: wohl nenn' ich dich ›Vater‹ mit Recht, und ich fühle
Mich urplötzlich zum Manne gereift – dein würdig, als Sohn jetzt!
Lange lebe, beglückt, der edelste Kaiser der Deutschen!«
Sprach's mit jubelndem Ruf', und umher ertönte des Volkes
Freudengeschrei, wie Donnersturm, wie stürzender Wässer
Lautes Rauschen: »Er lebe beglückt! Hoch lebe der Kaiser!«
So, daß jegliche Brust Entzücken ergriff, und der Thränen
Stürmische Fluth in das Aug' urschnell aufjagte vom Herzen.
Aber es winkte der Kaiser erneut: der eh'rnen Drometen
Ernstem Schall verstummte das Volk, und er sagte, bewegt, noch:
»Hört! Wir scheiden von euch nun bald, und auf lange. Gebiethend
Ruft uns Deutschlands Wohl nach den rheinischen Gau'n, und wir folgen
Freudig dem Ruf, da uns hier zu weilen hinfort nicht vergönnt ist.
Doch nicht bleibe darum dieß Land nach unserer Abfahrt
Hauptlos. Wichtiges reift im dunkeln Schooße der Zukunft
Ihm, und Hohes erringt es. Inmitten gewaltiger Länder,
Hebt Haus-Oestreich hier, aus seinem unscheinbaren Umkreis
Eiserngegründet, sich auf; gewährt dann jenen die Herrscher;
Flicht in den Kranz nie welkender Macht die herrlichsten Kronen,
Die bald König' ihm biethen, und führt vielfältig durch Sitte,
Sprach', und Stamm gesonderte Völker zu dauernder Einung.
Also, gerüstet mit Kraft, soll's einst im Sturme der Zeiten
Fest wie ein Leuchtthurm steh'n, der rettend, Gefahrenbedrängten
Von dem Felsen die Flamme weis't auf dem nächtlichen Irrpfad.
Albrecht komme heran. Ihm, unserem theuern Erzeugten,
Deß' erhabener Sinn und Weisheit euch allen bekannt ist,
Wollen wir Oestreich hier zu Lehen ertheilen. Als Herzog
Werd' ihm der Thron, und in seinem Geschlecht fortdaure die Herrschaft,
Endlos, segenbeglückt zum Wohl unzähliger Völker.«
Ha, und er dachte, bewegt, des Alp'bewohnenden Klausners!

Doch schon ritt aus dem hallenden Thor der Erzeugte des Kaisers,
Albrecht, stattlich heran. Sein Roß, der tönenden Hauptzier –
Also des Zaums und Geschirrs von blinkendem Silber sich freuend,
Beugte stolz das Haupt an die Brust. Doch herrlich geschmückt war
Er mit dem Fürstenhut' und dem Purpurmantel: ihn deckte
Glänzender Hermelin; auch hielt er den goldenen Zepter
Fest in der Rechten erhöht. Durch Schrift und Siegel ertheilte
Friedrich der Erste, von Hohenstauff, der mächtig als Kaiser
Ragte vor andern hervor, das Recht dem Herzog von Oestreich,
Also zu Pferd, und so herrlich geschmückt das Leh'n zu empfangen. Die Belehnung Albrechts mit Oestreich, Steyer, Krain, der Windischmark und Portenau geschah eigentlich zu Augsburg während des Reichstags daselbst im Jahr 1282, wo, im sogenannten Frohnhof, ein kaiserlicher Thron, umgeben von den Churfürsten und Fürstensöhnen, zu sehen war, und die Feierlichkeit nach denen, von Friedrich I., Heinrich IV., Friedrich II. ertheilten Privilegien geschah.
Siehe, vor ihm trug Lichtenstein das Banner von Oestreich,
Deß' ruhmwürdiger Schild, mit dem schneeigen Streif in dem Blutfeld
Schimmerte, rasch einher; doch Albrecht hielt an des Thrones
Stufen, und beugte sich; d'rauf begann der erhabene Kaiser:
»Albrecht, euch beschwören wir jetzt im Nahmen des einen,
Wahren, und ewigen Gott's, zu bekennen: ob ihr, als Herzog
Oestreichs, herrschen wollet nach Recht und Gerechtigkeit; ob ihr
Schirmen wollet die heilige Lehr' und den Glauben der Väter,
Und euch widmen dem Wohl des Landes mit Leib und mit Leben,
Das ihr heute zu Lehen empfaht aus unserer Vollmacht?«
Jener rief: »Ich will!« und alsbald winkte der Kaiser
Lichtenstein, daß er ihm darreichte die Fahn', und begann so:
»Nun auch schwört es zu Gott, und im Beiseyn eueres Volkes,
Eilig das Banner zugleich, und den goldenen Zepter erhebend
Hoch g'en Himmel empor.« Und jener entgegnete muthig:
»Ja, ich schwör' es zu Gott!« und erhob den goldenen Zepter
Dann mit dem Banner zugleich in die Luft. Der Kaiser entstürzte
Jetzo dem Purpurpfühl', und flog in die Arme des Sohnes,
Der, sich schwingend vom Zelter herab, ihm entgegen geeilt war.
Lange hielt er den Sohn umfaßt, und sagte mit Rührung:
»Gottes Segen mit dir, und mit deinem Geschlechte! Der Nachwelt
Stell' ich es freudig anheim, was heut' allhier sich begeben.
Möge sie noch an der Zeiten entferntestem Ziele, des Glückes
Herrlichster Fülle froh, laut Habsburg segnen und Oestreich!«

Siehe, da rief umher die Menge dem neuen Beherrscher,
Jauchzend, ihr »Lebehoch!« Doch sah nach dem Kaiser so mancher,
Innig betrübt, noch hin, der erst von Trennen und Scheiden
Sprach, und auf immer vielleicht den liebenden Herzen entrückt wird.
D'rauf hieß er die Fürsten bei sich willkommen, und sagte:
»Kommt zum erquickenden Mahl', und ruht in der friedlichen Burg hier,
Heiteren Sinn's, jetzt aus von des Kriegs unzähligen Sorgen!
Aber verzeiht: ich eile zuvor nach der düsteren Kammer,
Wo die Gattinn mir starb, und nach ihr sich, in Trauergewanden,
Sehnen die Kinder vereint; ich gehe, die Lieben zu trösten.«
Und er entzog sich den Blicken der lautaufjubelnden Scharen:
Thränenden Blicks, aufschreitend allein zur Wohnung der Trauer.

Anmerkungen zu Rudolph von Habsburg. Als Fußnoten eingepflegt. Re. für Gutenberg



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