Max Pulver
Selbstbegegnung
Max Pulver

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Innere Weisung

1.
                  Kraft, Fülle, keimendes In-sich-Verweilen,
Gabst du, Beladener, den ich verehre;
Aus deinem Wesen strömt die reinste Lehre,
Du bist die Frucht, das morsche All zu heilen.

Mit blankem Harnisch, funkelndem Gewehre
Stehst du am letzten Rand der tausend Meilen,
Die unsre Sehnsuchtsschwingen jäh durcheilen:
Du Baum im Sturm, du starkes Schiff im Meere.

Du gibst mir Weisung, wenn ich pfadlos irre,
Du bist die Feuersäule, die mich leitet,
Die feste Spur im lockeren Gewirre,

Der Engel, der mich unentwegt begleitet.
In deiner lichten Stirne frommen Falten
Birgt reichste Schöpfung ihre Wunschgestalten.

 
2.
Ein heller Falke führte mich nach Osten
Auf feuchter Bahn in sumpfigdumpfen Mooren.
Noch lag die Welt im Chaos, ungeboren,
Und Fäulnis war und mählich fressend Rosten.

Gifthauche strömten, schwere Massen goren
Am Wegesrand; des Knüppeldammes Pfosten,
Wo Akelei und bleiche Lilien sproßten,
Versanken hinter mir im Sumpf verloren.

Da schlug durch graue Schleier deine Flamme
Bis in mein Herz und hat mich tief entzündet.
Du bist die Heimat, der ich selbst entstamme,

Das Meer des Glücks, in das mein Wesen mündet.
Mit deiner Woge darf ich mich vermählen,
Aus meines Selbstes Hülle rein mich schälen.

 
3.
Das letzte Leuchten deiner Hülle schwand,
Weit hinter dir liegt deine spröde Schale.
Jetzt schmacht ich nicht mehr fern vom süßen Mahle,
Bin nicht mehr Bettler in des Vorraums Sand.

Du tratst beseeligend mit einem Male
Mir an die Seite, nahmst mich bei der Hand
Und führtest mich, dem keiner widerstand,
Bis an den Altar im geheimsten Saale.

Die hohen Herrscher, mächtigen Dämonen,
Gewährten wortlos Platz in ihrer Mitte.
Ich darf in dir, wie du in mir einst wohnen;

Erlöst ist jedes Flehn, erfüllt die Bitte,
Gelöst der Eisenring der Selbstbewahrung
Im holden Kelche höchster Offenbarung.

 
4.
Du gabst dich mir, als ich noch ungeschlichtet
Im Dunkel stieß an eigne Widerstände.
Da schienst du fremde Gabe, spröde Spende,
Um Jenseitsbilder wahrheitlos gedichtet.

Jetzt fühl' ich selbst das Wundmal deiner Hände,
Und die Gebärde, die das Weltall richtet,
Aus deinen reinen Augen neugesichtet
Seh ich das Herz der Heimlichkeit, das Ende.

Einst nahm ich achtlos deinen Leib entgegen,
Als du im Bettlerkleid die Gabe brachtest
Im Draußen ganz verstrickt auf leeren Wegen.

Da spürt' ich plötzlich, daß du nach mir schmachtest.
Dein Samen war gekeimt in meinen Schollen,
Du wandelst meinen Wunsch zu deinem Wollen.

 
5.
Du brachst das Brot, du gabst mir Fleisch und Blut,
Vermähltest dich mit mir zu neuem Leibe,
Du bist der tiefe Strom, mit dem ich treibe,
Zur großen unergründlich weiten Flut.

Du bist das Weib im Mann, der Mann im Weibe,
Geborgenheit und innig stillste Glut.
Was du ob mir verhängst, ich nenn' es gut,
Ob ich auch ewig so in Schmerzen bleibe.

Gib mir die Kraft, dich tiefer zu verstehn,
Leih mir dein glühend Herz, daß ich verbrenne;
Du Phönix, dessen Flammen-Auferstehn

Ich bebend schaue, betend fromm bekenne.
Du bist der Herr, laß mich dir liebend dienen.
Stets stehst du vor mir, seit du mir erschienen.

 
6.
Zwei Fahnen sah ich wehn. Auf stolzer Zinne
Erhob sich Satans Banner blutig-schwärzlich;
Dein Wimpel, Herr, im Tal. Dich grüß ich herzlich,
Du streust um dich hellichtgefärbte Minne.

Zwar ist des Bösen harte Macht mir schmerzlich,
Und tausend Wunden schlägt sie schwachem Sinne.
Doch Herr, du heilst mich, wenn ich dich gewinne
Im bangen Streit, und ist er noch so schmerzlich.

Und ob mich tausend schwarze Geister rufen
Und mich vom festen Weg verleitend locken,
So geh ich Tritt um Tritt in deinen Stufen,

Und alle Nachtgeburt zerstäubt in Flocken,
Durch Wirrgewölk und finstere Gesichte
Strahlst du mir hellster Stern mit weichem Lichte.

 
7.
Als ich noch Kind war und mir selbst verschlossen
Im Draußen stand – mir fremd wie Baum dem Samen,
Ein Ding bei andern, teillos, ohne Namen,
Dem Trieb vertraut, genießend und genossen,

War ich in dir. Doch andre Jahre kamen.
Ich trennte mich von mir, und ausgegossen
Auf fremdes Land begann ein künstlich Sprossen.
Das eigne Selbst schien schmachtend zu erlahmen.

Zerrissen, in mir selbst entzweit, zerschlagen,
In mir zerstückt wie Mörderfleisch vom Henker,
Verlor ich dich, in jenen schwersten Tagen.

Nicht volles Leben, blasses Licht der Denker
War meiner grauen Marter blasser Spiegel.
Des Himmels Wölbung schien ein Totenhügel.

 
8.
Wo meine schmerzgeschwächten Hände tasten,
Trotzt kalter Stein mit festgefügtem Kitte.
Ich saß zur Qual verdammt in engster Mitte
Bedrückt von ungeheuren Quaderlasten.

Ich schrie und flehte, kalt kam jede Bitte
Vom Echo mir zurück im bangen Kasten.
Und wie die Wände, die ich schuf, mich haßten,
So haßte ich den Klang der eigenen Schritte.

Mein eignes Wesen drückte unerträglich
Zur Erde mich, da kamst du stillsten Ganges
Und rührtest leis mich an, und leicht beweglich

Wich schwerstes Tor, und wie auf Flügeln schwang es
Mich sanft zu dir empor aus strengsten Nöten:
Um dich war Frühlingsglanz und Hochzeitsflöten.

 
9.
Hinein zum Tempel darf ich dich geleiten
Dem ich entronnen, leiblos dir verwoben.
Du hast mich Bittenden emporgehoben
Zu deines Herzens süßen Heimlichkeiten.

O hier ist Jubel, helle Engel loben
Den Reigen tretend dich, du Ziel der Zeiten.
In dich getaucht, aus dir erblüht, bereiten
Sie dir den Flammenstuhl im Lichten droben.

Hier wirst du richtend dich der Welt erbarmen.
Doch heute nicht, heut bist du mir versprochen.
Heut lieg ich aufgelöst in deinen Armen;

Schon ist der Abend trostreich angebrochen.
Bald wird es Nacht, wir strömen durch die Weiten,
Du tränkst das All mit Unermeßlichkeiten.

 
10.
Sprich, funkelt dort der sanfte Stern der Frühe
Nicht schon am Erdenrand? So will es tagen?
So muß ich dir, du Einziger entsagen;
Du Bräutigam, nach dem ich ewig glühe.

Schon hör ich furchtlos ferne Lerchen schlagen
Und jetzt Posaunenklang. Und das Gesprühe
Von Engelschwertern. Matter Leiber Mühe
Stößt bang den Boden auf, der sie getragen.

Und bröckelnd löst sich Scholle los um Scholle,
Verwelktes Fleisch erbebt vor deinem Scheine.
Sie recken sich. Mit polterndem Gerolle

Erfüllt die Gräber grauer Strom der Steine.
Sie nahen sich in eigner Schmach versunken,
Verlöscht in Furcht, in halber Hoffnung trunken.

 
11.
Du thronst bewährt im innersten der Ringe
Vom hellen Heer des Heiles eng umstanden.
Die Engelscharen reichen wie Guirlanden
Hinab ins fahle Reich erschaffner Dinge.

Dir naht das Volk, und seine Bitten branden
Betäubend an dein Ohr, daß Trug gelinge,
Und ihre Schale sündlos zu dir schwinge.
Ein jeder Böse will sich weiß gewanden.

Doch du blickst tief ins Herz und wägst mit Wehmut,
Und viele Schalen schlagen dumpf zur Erde.
Du spürst den Gleißner, kennst die echte Demut,

Und Stummheit richtet lauteste Gebärde.
Die Falschen all vor deinem Blick vergehen,
Wo deine Liebenden in Flammen stehen.

 
12.
Längst war die Stätte leer, wo sich mit Beben
Das Volk versammelte vor deinem Schwerte.
Von dir durchwohnt, in dich Zurückgekehrte
Beschauten still dein ewigwallend Leben.

Ein dunkles Brennen, das sich selbst verzehrte,
Erschienst du mir im Geben und im Nehmen.
Gestalten stiegen halb und flüchtige Schemen
Aus deiner Flamme, die sich steigernd mehrte.

O welch ein traumhaft reiches Überquellen,
Wo Bilder, jäh ersprossend, bald verblaßten.
Ein süßes Heimweh strömte aus den Wellen

Und kam mir nah und schien mich anzutasten.
Dann sank es plötzlich in sich selbst zusammen,
Und Sehnsucht trieb aus mir verlangend Flammen.

 
13.
Was schufst du Liebe, Herr, aus deiner Fülle?
Was drückst du Übersatter das Verlangen,
Der Armut bleiches Wort auf warme Wangen?
Gabst du uns Durst, auf daß dein Quell uns stille?

Als wir dich schauend deinen Schatz besangen,
Und du vom Heiligtum die letzte Hülle
Gelassen streiftest, war es da dein Wille,
Daß ewig unerfüllt wir nach dir rangen?

Wir liegen wie Verliebte vor der Pforte;
Was läßt du uns nicht ein und löst die Riegel?
Wie Stumme quälen wir uns nach dem Worte:

Zerbrich, mein Herr, der schweren Lippe Siegel.
Laß uns in heißer Sehnsucht hingeschmolzen
Nicht im Gespött der Klugen und der Stolzen.

 
14.
So sinken wir – dir innig einst Vertraute –
Zurück in Zweifels Nacht und Finsternisse.
Durch unser Wesen klaffen alte Risse;
Wir sind die Töne nicht mehr deiner Laute.

Bist du der Gute? Raunt das Ungewisse
In banger Brust. Ist wirklich, was ich schaute?
Der Sehnsucht Trugbild nicht, den ich erbaute,
Dein hoher Tempel schmählichste Kulisse?

Bist du der Mittler zwischen Gott und Geistern,
Was rührst du uns nicht an mit deinem Segen?
Wie wir des Leibs, der Seele Leben meistern,

Sie zur Erlösung lenkend neu bewegen;
So atme Du uns ein gewaltig zehrend
Durch unsre Funken deine Glut vermehrend.

 
15.
Du gabst uns Mittleramt, Erlöserwürde,
Die Pflanze und das Tier zu dir zu heben.
Was unter uns in dumpf-erregtem Leben
Sich stumm zerquält, dem nehmen wir die Bürde.

Aus unbeseeltem Felsen bricht ein Beben
Verlangend aus, damit es Seele würde.
Wir sind die Hirten in der harten Hürde,
Die Pfleger für der Erde schmerzvoll Streben.

Durch deine Kraft ward uns die Kraft zu eigen,
Die das Geschöpf aus Schlangensesseln windet.
Willst du Erlöser uns das Wort verschweigen,

Dem Licht verwehren, der an dir erblindet.
Die Erde haben wir zum Geist gestaltet
Nach deinem Auftrag. Ist dein Trieb erkaltet?

 
16.
O Herr, gedenk' des Spotts der Pharisäer:
»Hilf doch dir selbst, du halfst den Andern allen!«
So stach ihr Hohn, als du dem Kreuz verfallen
Geduldig blicktest auf den Chor der Schmäher.

Durch deines hohen Willens Wohlgefallen
Gelang uns Mittlertat, die Welt wuchs näher
Zu dir, du schufst aus triebkraft-dumpfem Seher;
Durch jede Form des Lebens ging dein Wallen.

Mit deiner Kraft erlöst' ich Tier und Pflanze:
Du, mein Erlöser, mußt nun mich erlösen.
Wir – Sternenlicht von deinem Widerglanze –

Verlangen, Sonne dich, den Feind des Bösen.
Du läßt uns deine Dunkelheiten schauen
Du gabst uns Geist und nahmst uns das Vertrauen.

 
17.
In meiner Seele treiben Feuerräder
Ihr ängstlich Spiel und kreisen schmerzhaft helle.
Ich bin nicht mehr ein Funkeln deiner Quelle,
Nicht mehr das Blut in deines Leibs Geäder.

Denn keinem Wesen weigerst du die Stelle,
Satan und Engel, jedes Ding und jeder
Verscheuchte Vogel ruht von deiner Feder
Und deinem Flaum umhegt. Uns brennt die Hölle

Allein und doppelt, weil aus dir wir münden.
Und unsre Nerven tief dein Mark berühren.
Du gabst uns Licht im Spiegelbild der Sünden;

Wir wurden wir – uns selber zu verführen.
In starrer Eigensucht Zurückgebogne,
In eignem Sonderwillen Selbstbetrogne.

 
18.
Ein grader Dornenpfad schien deine Spuren
Mit unserem Erdenwege zu verbinden.
Jetzt läßt uns eigne Selbstsucht fast erblinden,
Und Schatten drohen, huschende Lemuren.
Weis uns den Pfad, laß uns die Stapfen finden,
Ruf uns zur Heimat mit dem Klang der Uhren!
Im Nebelfeld, wo Höllenstürme fuhren,
Erscheine Licht die Nacht zu überwinden.

Ichtrunkenheit hat bitter uns verdorben:
Aus grauem Spiegel drang des Satans Kralle.
Wir glaubten uns von deiner Gunst umworben
Und fingen uns in selbstgestellter Falle.
Laß uns in dich zum zweitenmal versinken
Und dir geopfert ewiges Leben trinken.

 
19.
Laß unser Nichts in deinem Nichts zergehen,
O nimm das Opfer an, das wir bereiten.
Schon seh ich schaudernd deine Herrlichkeiten
Du innre Sonne, Seelenauferstehen.

Wo du die Zeit berührst, blühn Ewigkeiten
Aus totem Stoff, dein geistig Feuerwehen
Durchwärmt den Stein, läßt den Kristall erstehen,
Zartesten Hauch weißt du in dich zu leiten.

Du schufst die Erde ewig, eh sie schmählich
Der Zeit verfiel, vor Alter morsch verschrumpfte.
Noch liegt ihr Bildnis strahlend-überselig

In deinem Aug'. Doch wir sind Abgestumpfte:
In leerem Gottesdienst vom Keim geschieden
In Kirchengrab und totem Kirchhoffrieden.

 
20.
Du kennst den Glauben nicht nach starrem Spruche;
Gebet, Beschwörung, marternde Askese.
Im Guten bist du gut, im Bösen böse,
Wir trennten uns von dir in eignem Bruche.

Dir zugewandt, dem All verwoben, löse
Uns aus des Eigenlebens Leichentuche.
Du fluchst mir nur, wenn ich mich selbst verfluche,
Du darfst erlösen, wenn ich mich erlöse.

Wer von dir abbricht, großer Baum des Lebens,
Ist finstrer Selbstverzehrung bang verfallen.
Du suchst das Reis an dürrem Ast vergebens,

In ihm ist grimmer Zorn dein sanftes Wallen.
Doch bleibst du – du, ob leuchtend, ob verdammend,
Es ist nur ein Gesetz aus deinem stammend.

 
21.
Das Gute und das Böse lebt im Deinen
Noch unerschlossen, bauend, ohne Härte.
Dir gleich vertraut, der beides gleich verklärte
Mit seines Liebefeuers mildem Scheinen.

Noch bist du nicht der Richter mit dem Schwerte,
Eh wir dem Licht, der Finsternis uns einen.
Wie ich mich wende, muß dein Spruch es meinen,
Und mich verdammen, wenn ich mich verkehrte.

Im Guten bist du gut, im Bösen böse;
Das ist die Antwort auf des Zweifels Klage.
Verdamm' dich selbst, beherzt dich selbst erlöse,

Und hier wie dort tritt das Gesetz zu Tage,
Du hältst die Wage selbst in zagen Händen:
Gott wird, wie du entscheidest, Beifall spenden.


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