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Wronski saß am Ofen und starrte mit irrer Verzweiflung in das Feuer.
Es dämmerte im Zimmer, und der helle Abglanz des Schnees verschmolz mit dem Schein des Feuers zu einer düsteren, hoffnungslosen Stimmung.
Er stemmte die Ellenbogen auf die Knie, stützte den Kopf in beide Hände und vergrub die Finger in seine Backen.
Pola wird da stehen – da, vor meinem Bett ... An dem Kopfende wird sie die Kerze anzünden, vielleicht ein Kreuz mir in die Hände drücken ... Ich werde mir alles gefallen lassen, ich werde nur in einer stumpfen Agonie alle anstarren, ich werde einen Schrei des Krampfes in mir erwürgen, weil ich nicht genug Kraft haben werde, ihn auszustoßen ... Oh, wenn ich nur dann wenigstens schreien könnte! Vielleicht werde ich weinen, – lautlos in mir verbluten ...
Sein Herz klopfte und hämmerte, er zitterte und es fröstelte ihn.
Mein Gott! Mein Gott! Er stand auf und ging wankend im Zimmer auf und ab.
Und hier, hier ... Grade, wo ich jetzt stehe, wird in ein paar Wochen der Sarg stehen.
Er sah sich deutlich: die tote, erstarrte Masse, das maskenhafte Gesicht mit den blauen Lippen und den schwarzen Ringen um die eingefallenen Augen.
Eine kranke, wahnsinnige Angst packte ihn.
Er hörte die gefrorenen Erdklumpen auf seinen Sarg niederfallen. Er hörte die dünnen Sargbretter heftig erdröhnen, unter jedem Wurf sich biegen und brechen. Einen Meter Erde über sich! ... Huh, huh ... seine Augen fühlte er hervorquellen, er sah die Hände unstet, rastlos hin und her laufen, seine Brust war wie verschnürt, er konnte nicht Atem holen.
Dann lachte er auf, griff nach der Flasche und trank in einem langen, gierigen Zug.
Nur nicht denken, nur nicht denken! wiederholte er mechanisch vor sich hin.
Er wankte nach dem Fenster und kühlte sich an der Scheibe die fiebrige Stirn.
Mein König, mein Satan, du sollst zufrieden sein. Ha ha ha ... So starb noch keiner! Ich ein Brandstifter?! He he ... Ich bin die ausgleichende Gerechtigkeit. Auge um Auge! So muß es sein! So muß es sein!
Er strengte sich an, weiter zu denken. Er suchte es sich vorzustellen, wie er es machen werde. Doch nein! Nicht heute! Er hatte so viel darüber nachgedacht. Er wollte nicht weiter darüber denken. Gedanken sind Würmer, sagt Schopenhauer, sie könnten ihm leicht seinen Willen zerfressen ...
Ha ha ... Sterben! Jammern, daß man sterben muß, still jammern, winseln, resignieren, Liebe in seinem Herzen bis zum Schluß zu bewahren und da liegen, den Umstehenden, den Teuersten zärtlich die Hände zu drücken ... er würgte sich am wütenden Lachen – weise und tiefe Worte über die Vergänglichkeit des Irdischen zu sprechen, vielleicht noch weiche Andeutungen auf die Zukunft im Himmelreiche zu machen ... oh! oh! Welch ein großes Ideal des bürgerlichen Todes!
Er knirschte mit den Zähnen.
Ich will nicht bürgerlich sterben, ich will mich rächen, ich will zerstören ... Wart mal, du Hund! Um hundert Mark hab ich dich gebeten, für hundert Mark hätt ich gleich ins Lazarett kommen können und brauchte jetzt nicht zu sterben. Wart, du herzloser Hund, jetzt sollst du Tausende einbüßen. Ich werde dir eine kostspielige Illumination bereiten!
Er sah, wie furchtbare Flammengarben das Dach zerrissen, wie die Villa in dem brünstigen Flammenmeer verschwand ... Durch Tür und Fenster drangen dicke Rauchwolken hervor, er sah sie schwer hin und her wogen und plötzlich in mächtigen Feuersäulen auflodern.
Fieber raste in seinem Körper. Das war zu wenig, das ging zu langsam, das war nicht mächtig genug! Er möchte Häuser aus der Erde herausreißen und sie ins Feuer werfen, eine ganze Welt müßte im Feuer aufgehen, dann würde sein Herz zufrieden sein ...
Er lief im Zimmer umher. Die ganze Stadt sah er im Brand aufgehen. Die Erde öffnete sich an tausend Punkten, aus jedem Winkel, aus jeder Spalte krochen Flammen hervor, wuchsen hoch, die Spalten wurden zu abgründigen Schlünden, die ganze Erde wurde zu einem vulkanischen Krater, in dicken Massen ergoß sich das Feuer, wälzte sich in die Wälder, wälzte sich über Dörfer und Städte, ein Krachen und Bersten und Prasseln betäubte ihn, seine Augen wurden blind von dem Feuerhuragan: er schloß die Augen und schwelgte in dem wüsten Orkan der Zerstörung.
Er schrak auf. Es kam ihm vor, daß das Herz sich von seinem Organismus losgelöst hat. Es war überall. Er hörte es in jeder Ader, in jeder Pore seines Körpers klopfen: in den Schläfen, in der Stirn, in der Kehle ... Nun war es wieder in der Brust, hier ... da ... Nein! Wieder oben, ganz oben, er könnte es jetzt ausspeien.
Verzweifelt warf er sich auf das Bett und hielt gewaltsam seine Brust mit beiden Händen fest. Er hörte das Herz gegen seine flachen Hände klopfen, aber es war, als hielte er etwas, das selbständig, für sich lebte, in den Händen, etwas, das in der nächsten Sekunde hin und her fliegen ... und ... vielleicht aufschreien werde!
Die Idee, daß sein Herz aufschreien könnte, kam ihm plötzlich so selbstverständlich vor, daß er vom Bette aufsprang und mitten im Zimmer stehen blieb.
Trink doch! Trink! fuhr es ihm durch den Kopf.
Und er trank hastig, hustete bis zur Erschöpfung, seine Kräfte verließen ihn, er sank auf das Bett zurück.
Plötzlich fühlte er sich so sonderbar stark. So stark hat er sich schon seit Jahren nicht gefühlt. Er betastete seinen Körper, er hustete auf, aber sein Husten war frei und schmerzlos. Er hustete überhaupt nur auf, um zu fühlen, daß er nun wirklich stark und gesund war.
Er stand auf.
Sonderbar, daß er doch kein Glück empfand! Es war ihm, als hätte er eine kleine Sehnsucht nach seiner Krankheit zurück.
Er fühlte sich nur stark, nichts mehr als stark. Er bewegte seine Arme hin und her, machte Turnübungen, aber nicht eine Spur von Ermüdung.
Er war erstaunt und sehr ruhig.
In seiner Seele fühlte er eine endlose Erbitterung und Kraft. Er mußte gehen, ganz sicher irgendwohin gehen, aber er wußte nicht warum und wo.
Er trat auf die Straße und ging aufs Feld. Er ging sehr lange und sehr schnell, aber er war durchaus nicht ermüdet.
Plötzlich sah er ein weites, altes Gebäude vor sich, das ihm sonderbar bekannt vorkam. Er strengte sich an, um es zu erkennen. Er ging herum, er zählte die Fenster des ersten Stockes, sah in die vergitterten Fenster des Erdgeschosses und auf einmal erkannte er es: das war ja das Rathaus!
Jeder Nerv klopfte in ihm und die Angst verschnürte ihm die Kehle: er war am Ziel.
Da besann er sich, daß er erkannt werden könnte, wenn er so herumliefe. Es war so hell. Der Schnee leuchtete, und der Mond – nein! es war kein Mond da, aber der Himmel glühte, als hätte er sich im Feuer aufgelöst ...
Er suchte nach einem Schatten, bemerkte aber zu seinem Schreck, daß das Haus keinen Schatten warf.
Er irrte rastlos umher, er hörte überall Schritte, er fühlte eine ungeheure Masse Menschen um sich herum, die ihn umzingeln, ihn wie ein wildes Tier zu stellen versuchten. Aber er sah keine Menschen.
Nein! Keine Menschen! Das alles war natürlich nur das Schreckgespinst seiner Seele. Natürlich! Denn es dunkelte plötzlich, er bemerkte auch einen dicken Baum. Er verbarg sich hinter ihm. Von dem Kirchturm her hörte er zehn Uhr schlagen.
Jetzt mußte er handeln! Er hörte das Pfeifen des Nachtwächters. Aber er zitterte so, daß er sich nicht von der Stelle rühren konnte. Endlich raffte er sich auf, schlich sich vorsichtig in das Rathaus hinein und verbarg sich hinter der Treppe. Plötzlich erschrak er heftig: er sah Licht! Jetzt würde er entdeckt werden! Er preßte sich fest an die Wand, sie gab nach, sie rückte immer weiter zurück, sie öffnete und schloß sich hinter ihm, er hörte Schlüsselklirren: eine unbändige, tierische Freude flammte in ihm auf.
Nun ging er leise eine lange, lange Treppe hinauf. Schließlich befand er sich auf dem Boden mitten unter großen Papierballen. Wo er nur hinsah, waren unermeßliche Mengen vergilbter Aktenstücke übereinander hoch aufgeschichtet. Sie lagen auch überall herum und manchmal stolperte er über große Papierhaufen.
Er lachte still in sich hinein. Er hatte Lust laut aufzujauchzen, aber er besann sich, daß er dann entdeckt würde.
Nie hatte er eine solche uferlose Freude empfunden, er war wie aufgelöst in dieser jauchzenden Ekstase und nur mit Mühe unterdrückte er wilde Schreie des Triumphes.
Er holte eine große Kanne mit Petroleum hervor, goß es über das Papier, er schwang die Flasche hin und her in weitem Bogen. Er fühlte sich als ein Priester, der seine Gemeinde mit dem Weihwasser besprengt. Er schwang sie noch im rasenden Jubel, als er schon fühlte, daß sie leer war, dann trat er zurück und warf ein brennendes Streichholz hinein.
In einem Nu schlugen die Flammen hoch auf.
Eine violette und grüne Atmosphäre von Feuer wirbelte um ihn.
Eine entsetzliche Angst erfaßte ihn. Er wollte wegfliehen, vermochte es aber nicht. Er hörte ein Krachen und Prasseln, seine Kleider fingen Feuer, über ihm stürzten die Balken zusammen, er streckte die Hände hoch, um sich aufzuhalten, schrie gell auf und erwachte.
Er sah ins Zimmer hinein.
Am Ofen sah er einen Mann sitzen.