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Sechstes Kapitel.
Ein Student der Theologie

Es gibt Charaktere, welche von der Natur selbst bestimmt scheinen, sich überall, wo sie mit einander in Berührung kommen, feindselig entgegenzutreten; ja von einem dunkeln Instinct getrieben, suchen sie sich sogar gegenseitig auf, um sich zu bekämpfen: die einen, weil ihre natürlichen Anlagen in der That in unerträglichem Widerspruch mit einander stehen, die andern im Gegentheil, weil sie einander zu ähnlich sind.

Wir lassen für den Augenblick noch unentschieden, zu welcher von beiden Gattungen Herr Waller und Herr von Lehfeldt gehörten. Nur daß eine geheime und grundsätzliche Eifersucht zwischen Beiden bestand, das konnte Niemand entgehen, der die beiden jungen Männer längere Zeit mit einiger Aufmerksamkeit beobachtet hatte.

Dieselbe schrieb sich sogar schon von ihren Studentenjahren her. Als Herr von Lehfeldt die Universität bezog (es war eine der kleinern Universitäten Mitteldeutschlands und fast nur von Angehörigen des eigenen Landes besucht), hatte Herr Waller bereits im Begriff gestanden, dieselbe zu verlassen.

Herr Waller war niemals gewesen, was man einen flotten Studenten nennt. Nicht durch seine Schuld. Im Gegentheil, das Blut brauste ihm eben so wild durch die Adern, sein Herz klopfte eben so stürmisch, dürstete eben so sehr nach Jugendlust und Jugendthorheit, wie irgend Einem; auch waren sein Muth und die Energie seines Willens nicht geringer als sein Ehrgeiz.

Aber die große Armuth, in der er aufgewachsen war, und die Abhängigkeit von fremder Unterstützung, in welcher er namentlich als Student lebte, verbunden mit der Rücksicht auf seine künftige Stellung als Geistlicher, gestatteten ihm nicht, seiner jugendlichen Leidenschaft zu folgen; von der Natur nichts weniger als zur Entsagung bestimmt, sah er sich gleichwohl vom Schicksal zu täglich neuen Entsagungen verdammt.

Sein erfindsamer Geist indessen wußte auch diesen Widerspruch auszugleichen. Um mehre Jahre älter als die Mehrzahl seiner Genossen, war er Allen an Kenntnissen und Reichthum der Bildung, so wie namentlich an Selbstbeherrschung und zäher Ausdauer des Charakters überlegen; gerade die Abhängigkeit seiner äußern Lage hatte sein Auge frühzeitig für die Eigenthümlichkeiten seiner jedesmaligen Umgebung geschärft und ihn vertraut gemacht mit ihren Einseitigkeiten und Schwächen.

Je seltener nun diese Eigenschaften in studentischen Kreisen, je leichter fiel es Herrn Waller, sich vermittels ihrer eine Stellung zu gründen, wie sein Ehrgeiz sie verlangte. Indem er seine geistige Ueberlegenheit vorsichtig, mit kluger Berechnung der Verhältnisse, nicht sowohl selbst geltend machte, als sie gelegentlich von Andern zur Geltung bringen ließ, indem er sich ferner geflissentlich so weit wie möglich außerhalb des eigentlichen akademischen Treibens stellte und überall nur der resignirte, unbetheiligte, über die blos studentischen Interessen weit hinausgeschrittene Zuschauer sein wollte, gelang es ihm unvermerkt, sich das allgemeine Vertrauen seiner Kameraden und damit ein Ansehen und einen Einfluß zu erwerben, die kaum größer gedacht werden konnten. Ohne selbst förmlich dazu zu treten, wurde er die Seele einer studentischen Verbindung, die sich in vielen Stücken der ehemaligen Burschenschaft näherte; nur freilich ohne deren politische Färbung. Es war eine ernsthafte, fast asketische Gesellschaft; nie sah man die Mitglieder derselben auf der Mensur, noch beim lauten, jubelnden Zechgelag; die Verachtung jener burschikosen Vergnügungen, auf welche Herr Waller nothgedrungen hatte Verzicht leisten müssen, war durch ihn zu einem ausdrücklichen Gesetz der jugendlichen Genossenschaft erhoben worden.

Es war gewiß kein geringer Beweis für das Ansehen, in das er sich gesetzt hatte, und kann als Maßstab dienen für die Ueberlegenheit, mit welcher er seine Umgebung beherrschte, daß selbst diese Abweichung vom studentischen Herkommen ihm nicht blos verziehen ward, sondern die fast ehrfurchtsvolle Aufmerksamkeit, welche man ihm zollte, sogar noch erhöhte. Gerade die Consequenz, mit welcher er sich den Traditionen des Studentenlebens entzog, ohne dabei doch von seinen Ansprüchen auf vollste persönliche Geltung nur das Mindeste nachzulassen, bestärkte seine Gefährten in der Überzeugung, daß sie es hier mit einer ungemeinen Persönlichkeit zu thun hätten.

Nur der einzige Herr von Lehfeldt bezeigte keine Lust, diese Ehrfurcht zu theilen. Ehrfurcht lag überhaupt nicht in seinem Charakter; der frivole Ton, der in dem Hause des Ministers herrschte, hatte nur allzu bereiten Anklang in ihm gefunden. Eben so ehrgeizig wie Herr Waller, und eben so geübt in der Kunst, sein innerstes Denken und Wollen in undurchdringliche Schleier zu hüllen, hatte er sowohl die Mittel, auf welche Herr Waller seine studentische Autorität gegründet, als die Zwecke, welche er damit verfolgte, im ersten Augenblicke durchschaut.

Und zugleich auch im zweiten stand der Entschluß in ihm fest, diese Autorität selbst zu bekämpfen. Der außerordentliche, fast märchenhafte Glückswechsel, den er so frühzeitig erfahren, hatte den natürlichen Uebermuth des jungen Mannes aufs Aeußerste gesteigert. Nachdem ihm dieses Seltsamste einmal gelungen war, nachdem der arme, verstoßene Bettelknabe, der Genosse der Diebe und Falschmünzer, sich aus der Nachbarschaft des Zuchthauses, das schon für ihn geöffnet stand, in die Höhe gearbeitet hatte zum Liebling und Pflegesohn des allmächtigen Ministers, wovor jetzt hätte er noch sollen zurückscheuen? was, nachdem er sich mit so bewundernswerther Leichtigkeit in die Bedingungen seines neuen Standes gefunden, hätte er noch sollen für unerreichbar halten? welche Autorität anerkennen, vor welcher Verlegenheit sich zurückziehen? Die Zuversicht, die er in sich selbst und seinen Stern setzte und deren letzte Wurzel die unaussprechbarste Weltverachtung war, trieb ihn vorwärts, wie mit Adlerflügeln, in Ernst und Spiel, im Großen wie im Kleinen; es ließ ihm keine Ruhe, es war ein wahrhaftes Bedürfniß seiner Natur geworden, die Ueberlegenheit seines Geistes wie seines Glücks in immer neuen Kämpfen zu erproben und einen Wettstreit einzugehen mit Allem und Jedem, was irgend Bedeutendes in seiner Nachbarschaft auftauchte. Die theologische Duckmäuserei, welcher, wie er behauptete, Herr Waller sein Ansehen verdankte, widerstand ihm aufs Tiefste; je mehr er mit seinem angeborenen Scharfsinn herausfühlte, daß es kein selbständiger, freier Entschluß, nur leidiger Zwang der Noth war, was die Waller'sche Asketik hervorgebracht, desto größeres Vergnügen fand er darin, seinerseits vor den Augen des verschmachtenden Nebenbuhlers den Becher studentischer Lust bis auf den Grund zu leeren. Mit Geldmitteln reichlich, sogar überflüssig versehen, überdies Meister in allen körperlichen Uebungen und eben so unüberwindlich auf dem Fechtboden wie hinter der Flasche, war er bald der Mittelpunkt eines Kreises geworden, der sich in allen Stücken als das offene Gegenspiel desjenigen kund gab, als dessen Seele wir Herrn Waller kennen: eben so übermüthig und wild, wie jener zurückgezogen und schweigsam, in ungezügelter Luftigkeit die studentische Sitte ebenso weit überbietend, wie jener dahinter zurückblieb. –

Jede Gewalt ist süß, jede wird mit Eifersucht behauptet, mit Schmerz und Grimm niedergelegt, wäre es selbst nur die eingebildete Gewalt studentischen Ansehens. Herr Waller, in der irrthümlichen Meinung, als habe er es hier nur mit dem gewöhnlichen Uebermuth eines neuen Ankömmlings zu thun, hatte Herrn von Lehfeldt anfangs ein wenig mehr von oben herab, mit mehr Ueberhebung und Herbigkeit behandelt, als es sonst in seiner schmiegsamen Weise lag und als ihm namentlich in diesem Falle die Klugheit geboten hätte.

Bald jedoch, und zu seiner schmerzlichen Beschämung, hatte er sich überzeugen müssen, daß dieser wüste, ausgelassene Student, dieser Anführer und Häuptling bei jedem wilden, kecken Unternehmen, ihm an Geist, Kenntnissen und Erfahrung zum Mindesten ebenbürtig war. Zu spät hatte er einlenken wollen; die Versuche, welche er machte, sich Herrn von Lehfeldt persönlich zu nähern und eine freundschaftliche Verständigung mit ihm ins Werk zu setzen, lieferten diesem nur den Beweis, daß ihm nicht mehr ein Nebenbuhler, nur noch ein Besiegter gegenüber stand.

Verschiedene unangenehme Reibungen, anfangs zwischen den beiderseitigen Anhängern, dann zwischen den beiden Parteihäuptern persönlich, brachten das erschütterte Ansehen des Herrn Waller völlig zum Sturz. Es war ein Glück für ihn, daß er, wie schon erwähnt, im Begriff gestanden hatte, die Universität zu verlassen, so konnte er die Wahlstatt wenigstens unter gutem Vorwande räumen, und seine Niederlage wurde um so früher vergessen. Aber der Stachel derselben blieb in seiner Brust zurück und erneuerte sich, so oft er in späterer Zeit mit Herrn von Lehfeldt wieder zusammentraf.

Und dies war denn allerdings sehr oft der Fall, da, wie wir bereits wissen, Herr Waller als Candidat in derselben Hauptstadt lebte, wo Herr von Lehfeldt auch die Bekanntschaft des Engelchen gemacht hatte. Die Kluft in den Verhältnissen der beiden jungen Männer war hier natürlich noch weit größer als auf der Universität. Herr Waller hatte den jungen Studenten vor Jahren mit dem Anspruch empfangen, von ihm als Respectsperson behandelt zu werden; jetzt umgekehrt war Herr von Lehfeldt, der sich immer öffentlicher als der anerkannte Günstling des Ministers geberden durfte, für den armen, schutzbedürftigen Candidaten eine Respectsperson geworden, und zwar eine sehr mächtige, sehr einflußreiche. Der Minister selbst (wir erinnern an den Brief, den er an die Commerzienräthin geschrieben und den wir früher mitgetheilt haben) war der frommen Richtung, welcher Herr Waller sich angeschlossen, keineswegs geneigt. Im Gegentheil, sie war ihm von Herzen zur Last, und gern hätte er sich ganz von ihr losgemacht. Aber der Fürst selbst, sein Herr, hatte sich in den letzten Jahren mehr und mehr von ihr umspinnen lassen; um seine eigne Stellung nicht aufs Spiel zu setzen, mußte der Minister sich wenigstens äußerlich in gutem Vernehmen mit ihr zu erhalten suchen.

Herr Waller kannte diese Verhältnisse, ja seine eigene Zukunft war zum großen Theil mit darauf berechnet. Aber desto schwieriger und peinlicher gestaltete sich unter diesen Umständen seine Beziehung zum Hause des Ministers, das doch ein Supplicant, wie er, nun einmal nicht vernachlässigen durfte. Er wußte, daß man ihn eigentlich von Herzen ungern sah, wußte, daß der Beifall, den er in der Stadt als Kanzelredner fand, im Salon des Ministers nur von heimlichem Achselzucken begleitet war, und daß namentlich Herr von Lehfeldt keine Gelegenheit versäumte, die ganze ätzende Lauge seines Witzes über den neuen Johannes, wie er ihn spöttisch zu nennen pflegte, auszuschütten – wußte das Alles und mußte doch fort und fort den ergebensten Diener machen vor dem Minister und durfte doch mit keinem Blick, keiner Miene die tiefe, ingrimmige Abneigung verrathen, die ihn gegen Herrn von Lehfeldt, dies übermüthige, verwöhnte Kind des Glücks, erfüllte!

Herr von Lehfeldt war nicht boshaft, Herr Waller selbst ihm nicht wichtig genug, als daß er ihm hätte sollen bei dem Minister zu schaden suchen. Es war vielmehr ein Triumph für ihn, den alten akademischen Nebenbuhler gelegentlich unter seine schützenden Fittige zu nehmen; sogar an der Berufung des Herrn Waller in die wohldotirte Stelle im Dorfe des Commerzienraths war Herr von Lehfeldt nicht ohne fördernden Antheil geblieben. Aber so großmüthig freilich, seinen Nebenbuhler die Schonung nicht fühlen zu lassen, die er ihm erwies, war er nicht; es war eben ein Triumph, den Herr von Lehfeldt feierte, und dem Uebermuth seines Wesens entsprach es vollkommen, den Ueberwundenen selbst zum Zeugen desselben zu machen.


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