Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV. Kapitel.
Trautl's Heimgang in den Himmel

Der Bote kommt zum Arzte in Hall und erzählt ihm, was droben im Volderwalde sich zutrug, wie des Angerers Trautl übel zugerichtet dort gefunden worden sei und wie sie nun dem Tode nahe in ihrer Heimat läge. Er bittet den Arzt, schleunigst hinaufzukommen, die Mutter sei fast außer sich vor Schmerzen, er habe nun alles berichtet.

Der Arzt hieß den Boten ein wenig warten. Er sagte, er habe, bevor er mit ihm fortgehen könne, noch irgendwo vorzusprechen, werde aber bald zurückkommen. Das wollte dem Boten nicht recht gefallen, da die Sache nach seinem Dafürhalten keinen Aufschub litt.

Doch der Arzt wußte schon, was seines Amtes war. Er gieng zum Landrichter hin und erzählte dort, welche Anzeigen von einem schrecklichen Verbrechen vorlägen, und nicht fünf Minuten dauerte es, da war die Gerichts-Untersuchungs-Commission bereits zusammengestellt. Der Bote wurde abgeholt, er sollte den Führer machen.

Als der Bursche nun so viele Herren beisammentraf, da schüttelte er bedenklich den Kopf und sagte: »So viele Doktoren gehen mit hinauf? So viel habe ich nicht zu rufen; ich meine, es thät's schon Einer, höchstens Zwei, sonst wird die Trautl schnell zu todt geschunden.«

Die Herren lächelten ob des Boten Einfall, sie sagten ihm, er möchte nur mitkommen, man thue der Trautl gewiss nichts zu Leide. Ihm eine ausführliche Erklärung zu geben, nahm man sich nicht Zeit. Bei der beschlossenen Untersuchung lag an Schnelligkeit gar viel. Durch das Versäumen eines einzigen wichtigen Augenblickes kann die Entdeckung des Thäters sehr erschwert werden. Vielleicht bekommt Trautl noch die Sprache, wenn auch nur auf ein paar Augenblicke, das genügt schon. Man kann dann womöglich erfahren, wer an ihr das Verbrechen begangen hat.

Schnell wie ein Lauffeuer verbreitete sich in Hall die Kunde der That, besonders da man die volle Gerichtscommission durch die Gassen der Stadt dem Münzerthore zueilen sah. – Der Bote gierig voraus.

Schon um zwei Uhr nachmittags waren die Gerichtsherren am Orte der Blutthat. Alle Fußtritte im Schnee wurden dort genau angesehen. Die zurückgelassenen Spuren von Blut und vom verspritzten Gehirn und überhaupt alles, was nur Bedenkliches dort war, wurde aufs sorgfältigste in Augenschein genommen. – Doch schauen wir uns wieder um Trautl um; wir müssen noch ihre letzten Stunden betrachten!

*

Kaum hatte der Pfarrer von Tulfes die traurige Nachricht erhalten, wie es seinem liebsten Pfarrkinde ergangen war, da eilte er mit dem heiligen Oele hinaus zum Angererhof. Schweißtriefend trat er ein in das Haus des Jammers.

»Der Pfarrer! – Der Pfarrer!« heißt es wie aus einem Munde, die Mutter blickt auf und ihr kommt es gerade vor, wie wenn jetzt ein helfender Engel eingetreten wäre. Unverweilt tritt der Pfarrer an das Lager der Trautl und als er auf den ersten Blick ihren gefährlichen Zustand erkannte, da flüsterte er ihr in's Ohr: »Trautl, ich – dein Pfarrer – bin da. Bereue im Herzen alle Sünden Deines Lebens aus Liebe zu Gott; dann will ich Dir die hl. Oelung geben. Trautl, wenn Du mich verstanden hast, so gib mir ein Zeichen.«

Und seht, welch' wunderbare Macht jene Stimme ausübte, die so oft zur Seele Trautls gesprochen hat; diese Stimme rief die zerstreuten Seelenkräfte Trautl's wieder zusammen. Die Jungfrau, zu deren Herz die Stimme der eigenen Mutter nicht gedrungen war, lauschte auf die Worte des Pfarrers, diese waren ihr so wohlbekannt, so heimisch und hatten die innersten Saiten ihrer Seele berührt und dort angeklungen. Trautl raffte alle ihre noch vorhandenen Kräfte mit großer Anstrengung zusammen. Sie hörte auf zu röcheln – dann aber öffnete sie langsam die Augen und blickte den Pfarrer so seelenvoll, so ergeben, so hold und mild an, gleichsam wie mit einem Blicke schon aus der Ewigkeit herüber.

»Ich habe Euch verstanden, mein Seelenhirt!« sagte dieser Blick, »ich bin unschuldig; ich gehe nun hin in die Ewigkeit, in ein besseres, besseres Leben! Lebt wohl, – kommt nach!«

Dieser Blick war ein langer Blick, ein Blick voll des Himmels! Dann aber schloss Trautl wieder sanft lächelnd die Augen – es war, als ob sie sich anstrengte, den Mund zum Beten zu bewegen; der Pfarrer gab ihr inzwischen die hl. Lossprechung. – Dann aber kam wieder das traurige Röcheln. Der Pfarrer ertheilte der Sterbenden die letzte Oelung.

Ob Trautl im Herzen dies hl. Sacrament noch mitgemacht hat, das weiß der Himmel; dem Anscheine nach war sie für die äußere Welt unempfindlich; aber oft scheint es so und doch hört der Sterbende alles.

Wie weinten alle Anwesenden, als der Pfarrer an Trautl die hl. Oelung vornahm und ihr auch den Sterbeablass gab. Die hl. Wegzehrung getraute er sich nicht, ihr zu reichen, da er fürchtete, Trautl möchte sie nicht mehr hinunterschlucken können.

Die Mutter hatte Trautl's seelenvollen Blick auch gesehen, sie war ganz in deren Nähe. Sie hatte daraus gelesen, dass ihr Kind schon mit einem Fuße im Himmel stehe. Sie glaubte diesen Blick in die Worte deuten zu können:

»Mutter, lass mich von hinnen ziehen, halte mich nicht zurück! Was soll ich noch länger in diesem elenden Jammerthale! Vergönn' mir den Himmel! Ja – dort sehen wir uns wieder! Lebe wohl, – sage das allen!«

Und so musste es denn sein, die Angererbäurin sollte das Opfer ihres Kindes bringen. Sie sprach auch bei sich voll Ergebung: »Vater, kann es nicht sein, dass der Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe Dein Wille!«

Darauf wurde sie immer ruhiger. Betend kniete sie an dem Schmerzenslager ihres Kindes. An den Arzt dachte sie nicht mehr.

Da treten fünf Herren in die Stube – es ist die Gerichtscommission. Die Angererbäurin erschrickt zuerst, doch als sie erfährt, warum diese hier sind, beruhigt sie sich. Der Pfarrer und die übrigen Anwesenden entfernen sich aus der Stube und lassen die Herren mit der Mutter allein bei Trautl. Die Bäurin war dageblieben, um etwa nöthigen Beistand zu leisten. Als die Gerichtscommission eintrat, war es zwei ein halb Uhr nachmittags.

Trautl war nicht bei Bewusstsein, als die Gerichtsmänner die Wunden untersuchten. Die Herren verfuhren mit möglichster Schonung, da sie die mit dem Tode ringende arme Jungfrau nicht quälen wollten. Nach geendigter Untersuchung lautete das Urtheil der Aerzte bei der großen Wunde auf absolut tödtlich. (So drückt sich das Gericht aus bei Wunden, die unvermeidlich den Tod herbeiführen.) – Das hatte Trautl's Mutter wohl nicht verstanden, sonst wäre es ihr wie ein Dolchstich ins Herz gefahren.

Als die vorläufige Untersuchung der Wunden beendet und andere nothwendige Erhebungen gemacht waren, entfernte sich das Gericht; denn es hatte heute noch die Hände voll zu thun. – Nun war ja die Hauptsache, den Thäter herauszufinden. Als der Pfarrer die Herren Gerichtsärzte vor ihrem Fortgang fragte, wie lange noch nach ihrer Ansicht der Todeskampf Trautl's dauern werde, erhielt er zur Antwort: »Höchstens bis morgen macht sie es, länger nicht mehr, vielleicht geht sie schon diese Nacht. Eine Stadtnatur wäre diesen Leiden schon längst erlegen.«

Der Pfarrer hatte damit genug gehört. Er beschloss, mit seinem Cooperator an Trautl's Sterbelager ununterbrochen Wache zu halten. Trautl sollte in ihrem letzten Kampfe keinen Augenblick ohne priesterlichen Beistand sein.

Das ganze Dorf Tulfes nahm innigen Antheil an den Leiden der Trautl und des Angererhofes; so mancher gieng hinüber zum Judenstein, um für die Erlösung Trautl's bei dem unschuldigen Märtyrlein zu beten. War es doch sonderbar! Kaum eine halbe Stunde von dem Grabe des sel. Anderle entfernt, sollte eine zweite Märtyrin der Unschuld ihm nach 354 Jahren nachfolgen. Hatte das Anderle sich diese reine Lilie als Nachfolgerin ausersehen und sich nacherbetet? Fast scheint es so. – –

*

Der 24. März, der Vorabend des Festes Mariä Verkündigung – ein Freitag – brach an. Die ganze vorhergegangene Nacht hindurch war Trautl bewusstlos und im Kampfe dagelegen.

Der Tag schleicht träge dahin. Wie mit bleiernen Füßen wandern die Minuten und Stunden durch den unsichtbaren Zeitenraum.

Der Zustand Trautl's änderte sich von früh morgens bis zum Sonnenuntergang nur wenig. Endlich werden die Pulse der Sterbenden unregelmäßiger. Sie zucken bald in einzelnen leisen Schlägen, bald wieder mit krampfhaften, wilden Fiebern durch die Adern. Das Röcheln unterbricht sich von Zeit zu Zeit. Der Athem bleibt oft lange aus, kommt dann wieder, um bald neuerdings lange auszusetzen. – Schon rückt die zweite Leidensnacht heran – es schlägt sieben, acht, neun Uhr. Da geht plötzlich in dem Gesichte Trautl's eine merkliche Veränderung vor. Das Antlitz wird länger, die Nase spitziger, eine Thräne fließt aus dem linken Auge Trautl's – das Röcheln hört auf. – Trautl holt noch einen tiefen – tiefen Athemzug – dann wird es still. Nichts regt sich mehr an der Jungfrau. – Doch nein – noch ein Athemzug – dann lässt Trautl ihr Haupt nach links sinken. Alle in der Stube richten die Augen auf die Sterbende. Man erwartet noch einmal, dass sie athme – man wartet lange – doch Trautl bleibt ruhig liegen. Sie ist bereits in dem Herrn aufgelöst, – sie ist für diese Welt – nicht mehr, sie hat ausgelitten! Gott sei Lob und Dank!

Als der Pfarrer das Unterbrechen des Röchelns an Trautl bemerkt hatte, ließ er die geweihte Kerze anzünden und er betete, mit der Stola um die Schultern, die Gebete der Kirche für die Sterbenden:

»Ziehe hin, christliche Seele, von dieser Welt im Namen des allmächtigen Gottes, des Vaters, der Dich erschaffen, im Namen Jesu Christi, des lebendigen Gottessohnes, der für Dich gelitten hat, im Namen des heiligen Geistes, der in Dir ausgegossen worden ist!«

Ja, freilich, in diesem Namen will Trautl's Seele ausziehen; sie hört die Stimme des rufenden Bräutigams, der zur Hochzeit kommt.

»Ziehe hin,« fährt der Pfarrer fort, »im Namen der Engel und Erzengel, im Namen der Throne und Herrschaften im Namen der Fürstenthümer und Gewalten, im Namen der Cherubim und Seraphim, im Namen der Patriarchen und Propheten, im Namen der heiligen Apostel und Evangelisten, im Namen der heiligen Märtyrer und Bekenner, im Namen der heiligen Mönche und Einsiedler, im Namen der heiligen Jungfrauen und aller Heiligen Gottes. Heute schon sei Dein Aufenthalt im Orte des Friedens und Deine Wohnung im heiligen Sion, durch ebendenselben Christum, unsern Herrn. Amen!«

»Ja!« spricht die Seele Trautl's. »Ich ziehe aus dieser Welt, ich will hinziehen ins himmlische Vaterland!«

Der Pfarrer betet weiter:

»Liebste Schwester! Deiner Seele möge bei ihrem Ausgange aus dem Leibe entgegenkommen der glänzende Chor der Engel. Es soll Dich empfangen die Schar der Apostel, unserer Richter. Es begegne Dir das siegreiche Heer der weißgekleideten Märtyrer; die lilientragende Schar der leuchtenden Bekenner umgebe Dich, der Chor der jubelnden Jungfrauen nehme Dich in seine Mitte und die Umarmung der seligen Ruhe im Schoße der Patriarchen halte Dich umschlungen und Jesus Christus erscheine Dir mit seinem holden und hehren Angesichte. Er lasse Dich unter jenen ewig weilen, die ihn im Himmel umgeben!«

Trautl's Seele: »Sie kommen schon alle, mich abzuholen, ich sehe sie. O, wie schön sind sie, wie überaus schön ist Jesus Christus, mein Herr und Heiland!«

Pfarrer: »Du sollst nicht kennen lernen, was in den Finsternissen schreckt, was in den Flammen knirscht, in den Qualen peinigt!«

Trautl's Seele: »Das werde ich nicht an mir erfahren, ewig nicht!«

Pfarrer: »Es weiche der abscheuliche Satan mit seinen Gesellen; wenn Du in Begleitung der Engel daherkommst, zittere er und fliehe hinab in den schrecklichen Abgrund der ewigen Nacht. Gott erhebe sich und seine Feinde sollen zerstreut werden, sie sollen fliehen vor seinem Angesichte! Wie der Rauch verschwindet, sollen sie vergehen. Gleich dem Wachse, das vor der Flamme schmilzt, sollen die Sünder vor Gottes Angesicht verzehrt werden!«

Trautl's Seele: »Der böse Feind getraut sich nicht mir zu nahen, er zittert – er flieht heulend in den schrecklichen Abgrund!«

Der Pfarrer betet: »Nimm auf, o Herr, Deine Dienerin in den Ort jener Seligkeit, den sie von Deiner Barmherzigkeit erhoffen soll!«

Seele: »Amen!«

Pfarrer: »Bewahre, o Herr, die Seele Deiner Dienerin vor allen Gefahren des Unterganges in der Hölle und den Banden der ewigen Strafen und allen Drangsalen.«

Seele: »Amen!«

Pfarrer: »Bewahre, o Herr, die Seele Deiner Dienerin, wie Du den Henoch und Elias vor allgemeinem Sterben bewahrt hast!«

Seele: »Amen!«

Pfarrer: »Errette, o Herr, die Seele Deiner Dienerin, wie Du Noe vor der Sündflut gerettet hast!«

Seele: »Amen!«

Pfarrer: »Befreie, o Herr, die Seele Deiner Dienerin, wie Du Job von den Leiden befreit hast!«

Seele: »Amen!«

Pfarrer: »Errette, o Herr, die Seele Deiner Dienerin, wie Du Loth aus Sodoma und den Feuerflammen gerettet hast!«

Seele: »Amen!«

Pfarrer: »Befreie, o Herr, die Seele Deiner Dienerin, wie Du den Daniel aus der Löwengrube befreit hast!«

Seele: »Amen!«

Pfarrer: »Errette, o Herr, die Seele Deiner Dienerin, wie Du Susanna vor fälschlicher Beschuldigung gerettet hast!«

Seele: »Amen!«

Pfarrer: »Und wie Du die sel. Thekla, Deine Jungfrau und Märtyrin, von drei der grausamsten Qualen befreit hast, so wollest Du auch die Seele dieser Deiner Dienerin befreien, und sie mit Dir an den himmlischen Gütern Antheil nehmen lassen!«

Seele: »Amen!«

So betete der Pfarrer die Kirchengebete für die sterbende Trautl, dann bückte er sich prüfend über dieselbe. – Sie war todt. – Hierauf betete er weiter: »Kommet zu »Hilfe, ihr Heiligen Gottes. Kommet entgegen, ihr Engel »des Herrn, nehmet auf ihre Seele und bringt sie hin vor »das Angesicht des Allerhöchsten! Herr, gib ihr die ewige »Ruhe und das ewige Licht leuchte ihr! Herr, lass sie ruhen »im Frieden! Amen. Dir, o Herr, empfehlen wir die Seele »Deiner Dienerin, damit sie, nachdem sie der Welt nun abgestorben ist, ganz Dir lebe. Was sie aus menschlicher »Schwachheit in ihrem Leben hier gesündigt hat, verzeihe »ihr gnädigst nach Deiner unendlichen Barmherzigkeit, durch »Christus, unsern Herrn! Amen!«

Dann besprengte er die Leiche mit Weihwasser, verrichtete mit den Anwesenden noch fünf »Vater unser« und »Ave Maria« und schloss mit dem Glaubensbekenntnisse und nochmaligem Friedenswunsche.

Während dieser schönen Gebete blieb kein Auge trocken, kein Herz ungerührt.

Dulderin! Du bist nun wahrhaft heimgegangen und wie schön bist Du in Deinem Heimgange. Ich und alle beneiden Dich um Dein Glück!

Der Pfarrer hielt zum Schlusse eine kurze Anrede an die Anwesenden und legte ihnen darin ans Herz, welch' schönen Theil Trautl erwählt habe; deren schöner Tod sei die Frucht eines frommen, züchtigen Lebens gewesen. Nun sei sie eine Märtyrin Christi geworden und werde einst als solche bei der Auferstehung glänzen.

»Ja, nicht auf diese Welt, sondern dorthin, nach unserer wahren Heimat, wollen wir unsere Blicke richten, dann werden wir Trautl glückselig wiedersehen und uns nie mehr von ihr trennen.« So endete der Pfarrer seine Rede. Er vermochte kaum die letzten Worte noch über seine Lippen zu bringen, da übermannte ihn ein Thränenstrom, den er lange nicht bemeistern konnte. Endlich raffte er sich auf, sprengte nochmals Weihwasser auf Trautl und gieng dann heim zur Ruhe, da ihn morgen schon in aller Frühe der Beichtstuhl erwartete.

Die Mutter Gottes war am Vorabende ihres Verkündigungsfestes gekommen, um Trautl abzuholen von dieser Erde, damit sie dieses Fest im Himmel feiern könne. – Das war es, was das Liebfrauenbild in der Waldaufkapelle zu Hall drunten zur Trautl hatte sagen wollen.

*

Am Feste Mariä Verkündigung selbst kam nochmals die Gerichtscommisson von Hall heraus zum Angererhofe und nahm dort eine eingehende Untersuchung der Wunden Trautl's vor. Man fand die sehr dicken Haare der lieben Verstorbenen mit vielem Blut, zum Theil auch mit Gehirn verklebt. An dem linken Seitenwandbeine des Hauptes entdeckte man zwei tiefe Wunden, die ungefähr einen halben Zoll von einander abstanden. Die hintere dieser Wunden hatte eine Länge von ein und einem halben Zoll. Die vordere war nahezu drei Zoll lang und einen halben Zoll breit und gieng durch die ganze Hirnschale und harte Hirnhaut bis unmittelbar auf das Gehirn selbst. Diese letzte Wunde wurde – wie bei der ersten Untersuchung – so auch jetzt als unbedingt todbringend erklärt, zumal, da die Hirnschale ganz gespalten und ungefähr ein Löffel voll Gehirn verloren gegangen war. Es wurde aus der Gestalt der eben beschriebenen Verletzungen auch mit Sicherheit erkannt, dass beide Wunden mit einem schneidigen Werkzeuge versetzt worden sein mussten.

*

Die Nachricht von der entsetzlichen That, welcher Trautl zum Opfer fiel und die Kunde vom Tode der jugendlichen Tugendheldin verbreitete sich mit Blitzesschnelle in der ganzen Umgebung. Allgemeine Trauer herrschte überall, man hatte inniges Mitleid mit Trautl und der ganzen Angerer'schen Familie, ebensogroß war aber auch die Erbitterung gegen den noch unbekannten Thäter.

Zu Trautl's Leichenbegängnis strömten Leute aus weit und breit zusammen. Tulfes hatte noch nie ein Begräbnis gesehen, zu dem sich so viele Menschen einfanden.

Dass der Mutter und der ganzen Familie Herz tief niedergebeugt war und dass gar vielen Thränen auf das Grab der lieben Trautl flossen, ist leicht begreiflich. Die Familie Angerer betrug sich aber doch christlich. Ihr Schmerz war nicht maßlos wie der der alten und neuen Heiden. Die Religion, die Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen, das Bewusstsein, dass sie nun aus ihrer Familie ihre nächste Angehörige als Fürbitterin im Himmel hatten, linderte den Schmerz der Angererischen.

Die Leiche Trautl's wurde auf dem Friedhofe in Tulfes im Schoße der Erde beigesetzt. Wenn Du, freundlicher Leser, das Grab Trautl's besuchen willst, so wandere hin zum Gottesacker in Tulfes. Dort wirst Du zwischen der östlichen Kirchenmauer und der Todtenkapelle einen ansehnlichen, bläulich-grauen Marmor-Grabstein sehen, auf welchem an der einen Seite folgende Gedenkworte angebracht sind:

 

»Hier ruht die tugendhafte Jungfrau
Gertraud Angerer.

Sie starb im 19. Jahre ihres Alters, den 24. März 1816 an den Wunden, die ihr tagsvorher am Heimwege von Hall die Hand eines Wüstlings schlug, weil sie lieber sterben wollte, als sündigen.

 

In der Hand den Lilienkranz
Und die Marterpalme,
Strahlst Du nun im Himmelsglanz!
Singest Dankespsalme
Vor dem Lamm bei Gottes Thron
Mit den Seraphinen!
Möchten gleichen Siegeslohn
Wir durch Kampf verdienen!«

Ueber diesen Worten steht ein Wappenschild, worauf man einen Löwen und einen gepanzerten Henker erblickt. Letzterer trägt ein Schwert an seiner Linken und ein Richtbeil in seiner Rechten.

Rückwärts am Grabsteine liest man folgende Inschrift:

 

»Ihr zur Seite ruht das fünfzehnjährige Mädchen Maria Noarin, die nach langen Leiden den Folgen ihrer Flucht vor demselben Seelenmörder, an seinem Hinrichtungstage, den 3. August 1816, ihm liebevoll verzeihend, starb.

Glücklich bist Du, Gotteskind,
Noch dem Wolf entlaufen!
Doch Du musst die Flucht der Sünd'
Mit dem Tod erkaufen.
Nicht darf dieser Kampf Dich reu'n!
Gar kurz ist dieses Leben!
Ewig wirst Du dort Dich freu'n,
Dass Du's hast hingegeben.«

 

Zur Erklärung der ersteren Grabschrift sei hier angemerkt, dass der Löwe den unbesiegbaren Heldenmuth Trautls, dagegen der gepanzerte Henker die strafende irdische Gerechtigkeit versinnbilden soll. Zum besseren Verständnis der letzteren Inschrift, worin von Maria Noar, einem fünfzehnjährigen Mädchen, die Rede ist, sei Folgendes hiehergesetzt:

Nicht lange vor dem 23. März des Jahres 1816, an welchem die entsetzliche Mordthat an Trautl geschah, wanderte eines Morgens vom Erler-Hofe auf dem Tulferberg gar flink ein Mädchen herab – es war die in der Grab-Inschrift genannte Maria Noar (Naar). Die hurtige Wandererin trug einen Korb auf dem Kopfe und wollte nach Hall auf den Grünzeug-Markt gehen. Sie schlug aber nicht den Weg ein, auf welchem sich Trautl in der Frühe des 23. März zum Markte begab, sondern stieg von ihrer Heimat zu den Gschleinshöfen herab und wanderte dann auf der Tulferstraße dahin bis zur Säge am Lavirenbache. Von hier schritt Maria jenseits des Baches den Pfad hinauf, der nach Gasteig führt, von wo man dann auf kürzestem Wege bei Taschenlehen und der Sonnenkapelle vorbei zur Haller Brücke gelangt.

Das Mädchen war den eben erwähnten steilen Pfad schon ein Merkliches emporgestiegen, da trat ihm plötzlich Bugazi, von der Hohe herabkommend, entgegen. Der Unhold griff rasch nach dem Korbe der Maria, die auf's höchste erschrocken zur Seite sprang und wie ein gehetztes Edelwild durch den Wald hinabflüchtete. Auf ihrer Flucht wurde sie von Bugazi nicht verfolgt, wohl aber stieß ihr ein Unglück zu, wodurch sie monatelang an's Krankenbett gefesselt wurde, bis am 3. August des Jahres 1816 der Tod ihren schweren Leiden ein Ende machte. Bei ihrem Springen über den Waldabhang hinab strauchelte sie nämlich und zog sich durch den Fall eine Gedärmeverwicklung zu, deren Folgen sie ins Grab brachten.

*

An der Stelle, wo Trautl mit dem Mörder mehr um das Leben ihrer Seele als um das ihres Leibes tapfer gekämpft und auch das Leben ihrer Seele dem Wütherich wirklich abgerungen hat, steht eine einfache gemauerte Kapelle. Darin befindet sich ein ebenso schlichtes Oelgemälde. Dieses zeigt in der Höhe ein Bild Unserer Lieben Frau vom guten Rathe. Unten ist dargestellt, wie die tödtlich verwundete Trautl vom Plattnermädl aufgefunden wurde. Im Hintergrunde sieht man ein Schäflein einen Hügel hinansteigen, auf dessen Gipfel das Lamm Gottes steht. Das Schäflein bedeutet die Seele Trautl's; neben dem Hügel schwebt auf der einen Seite die hl. Aebtissin Gertraud, mit der einen Hand Krummstab und Lilie als Abzeichen ihrer Würde und Jungfräulichkeit tragend, mit der andern Hand aber eine Lilie für Trautl bereithaltend. Gegenüber ist das sel. Märtyrlein Andreas von Rinn zu sehen. Dasselbe sitzt auf einer Wolke und hält in seinem rechten Händchen einen Palmenzweig, mit der Linken aber einen Lorbeerkranz, welcher ebenfalls der Trautl gilt.

Im Jahre 1878 wurde ein paar Schritte nördlich vom Angererhofe eine hübsche, geräumige Kapelle errichtet. In derselben erfolgte am 12. Mai des gleichen Jahres mit Bewilligung der geistlichen Obrigkeit die Einsetzung der heiligen Kreuzwegstationen. Im Innern dieser so recht zur Andacht stimmenden Gebetsstätte befindet sieh vorne ein hübsches Altärchen, das mit einem schönem Maria-Hilf-Bilde geziert ist. In einer Ecke der Kapelle sieht man hinter Glas und Rahmen eine niedliche Lourdes-Grotte. zum Andenken an Gertraud Angerer, die heldenmüthige Märtyrin der Unschuld, ist gegenüber dem Altärchen an der Südwand, gerade über der Eingangsthüre, ein ziemlich großes Oelgemälde angebracht. Darauf erblickt man in der Mitte die Trautl, todtenblass und regungslos im Bette liegend. An ihrer Linken steht der Ortspfarrer in seinem weißen Ordenskleide – er gehörte so wie alle früheren und späteren Seelsorgspriester von Tulfes dem vom hl. Norbert gegründeten Orden der Prämonstratenser-Chorherren an, welche weißgekleidet sind. Der Pfarrer trägt über dem Ordensgewande eine violette Stola und hat seine Rechte segnend erhoben. Neben ihm, zu seiner Linken, steht der Vater Trautl's. Er ist ganz getreu nach einem alten Bilde dargestellt, das heute noch im Angererhofe mit dem Bilde der Mutter Trautl's aufbewahrt wird. Der Bauer hält dem Pfarrer in der rechten Hand ein Weihwasserkrüglein vor, in der anderen Hand hält er eine angezündete Kerze. Er beweint mit bitteren Schmerzensthränen sein sterbendes Kind. Sein Weib weint noch heftiger; – es ist ja die Mutter, bei der Trautl am meisten von allen Kindern gegolten hatte. Die Angererbäurin steht zur Rechten Trautl's und hält ebenfalls eine brennende Kerze in ihrer Hand. An sie schmiegt sich ein kleines Mädchen an, während ein größeres am Bette kniet. Links vom Vater Trautl's sieht ein drittes Mädchen mit einem Rosenkranz in den Händen. Es sind Anna, Rosina und Maria, die drei damals lebenden Schwestern der Sterbenden. Man sieht auch noch in der Nähe der Mutter einen Knaben am Boden und zwei andere hinter dem Pfarrer auf einer Bank am Studentische knien. Dies sind Josef, Johann und Andreas, die drei damals lebenden Brüder Trautl's. Die Kinder schluchzen laut auf vor innigem Herzeleid. In der Höhe über dem Bette schwebt der hl. Schutzengel Trautl's. Er trägt in seiner Linken einen Palmzweig und eine Lilie und zeigt mit der Rechten zum Himmel empor. Unten in der rechten Ecke des Bildes liest man die Worte: Otto Bartinger, C. W. pinx. 1878 (d. i. Otto Bartinger, Chorherr von Wilten, hat dies im Jahre 1878 gemalt). Wahrscheinlich rührt das schöne Altarbild auch von demselben eifrigen Maler her, der so manche Kirche und Kapelle um Gotteslohn mit Gemälden seines geschickten Pinsels geschmückt hat. Er starb am 31. October des Jahres 1891 im Alter von 67 Jahren als Supprior im Prämonstratenser-Chorherren-Stifte Wilten.


 << zurück weiter >>