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Nun saßen die Glockengießergesellen und der Meister in tiefem Gefängnisse. Schwere Ketten rasselten an ihren Händen und Füßen, sie sahen kein Tageslicht mehr. Im Finstern konnten sie nun über ihr Leben nachdenken und Betrachtungen anstellen; sie wurden mürbe. Was war hinter ihnen, was stand ihnen bevor? Hinter ihnen ein Leben voll Schandthaten und Greuel, ein Leben ohne Gott, nirgends eine gute Handlung, die ihnen Trost gebracht hätte, höchstens etwa das kleine Zeitchen ihrer Jugend, wo noch das Herz unverdorben gewesen war! Wohl seufzte mancher und hätte sich gerne in die Jugendzeit zurückgewünscht und ein neues Leben begonnen! Aber es gieng nicht mehr; die schöne Zeit der Jugend kehrte nicht wieder und die schwarzen Thaten und ihre Folgen waren einmal nicht mehr zu vertilgen.
Und vor ihnen, was war da für eine Aussicht? Die Lebensstunden waren ihnen nur mehr karg zugemessen. Sie sollten nur noch einmal die freie Gottesnatur und den blauen Himmel sehen, wenn sie nämlich der Henker zum Todesgange abholen würde. Und dann war's aus mit dem schönen Leben! Es war ein Traum und doch kein Traum. Sie hörten in der Jugend sagen, es gebe eine Ewigkeit, einen rächenden ewigen Richter, eine Hölle mit entsetzlichen Strafen und einen herrlichen, herrlichen Himmel.
Wird der aber für sie sein? Die Antwort in ihrem Herzen lautete traurig. »Nein!« sprach es da, »für solche Verbrechen gibt es kein Paradies, der Himmel ist für Euch nicht!«
Dann aber suchten sich die Räuber diese Gedanken wieder auszuschlagen. Fort, fort mit diesen düstern Dingen! Und dennoch kehrten dieselben hundert Mal wieder. O diese langweilige Einsamkeit! Es gelang den Gefangenen nicht, das Gehörte und die Jugendbilder auszumerzen; die Stunden giengen dahin, eine nach der anderen, immer näher rückten die Mörder zum Pförtchen der Ewigkeit.
Triefauge war schon ganz weich. Er bekannte alle seine Verbrechen und die der übrigen, so wie er es wusste; er verlangte einen Pater, um mit ihm noch sein Gewissen in Ordnung zu bringen. »Ist ja Gott barmherzig, verzieh er ja auch einem Mörder selbst am Kreuze noch!« so dachte er ganz richtig.
Triefauge erhielt einen lichteren Kerker als die andern, damit er nach seinem Wunsche in einem frommen Buche lesen konnte. Der Pater hatte ihm auch einen Herrgott und ein Bildchen der Mutter Gottes gebracht.
Als Triefauge die Last seiner Sünden zu den Füßen des Paters niedergelegt hatte, da war es ihm, als ob ein schwerer Stein von seinem Herzen abgewälzt wäre. Er kümmerte sich nun wenig mehr um die Welt. Die magere Kost, die ihm gereicht wurde, war ihm noch viel zu viel. Er fastete, uni) war gerne bereit, zur Sühnung seiner Sünden das Leben hinzugeben. Sein Freund und sein Trost war der Pater. Dieser war so gut mit ihm und sagte von seinen alten Sünden kein Wörtchen mehr, obgleich sie Triefauge immer wieder hervorzog. »Der Himmelvater hat sie vergessen!« sprach der Pater, »er hat Dir vergeben, soll ich sündiger Mensch sie Dir vorhalten? Hätte Gott mir nicht größere Gnaden gegeben als Dir, so wäre ich vielleicht auch ein Räuber und Mörder geworden!« »Glaubt Ihr also wohl, ehrwürdiger Vater,« fragte dann das Triefauge, »dass ich ungeachtet meiner Verbrechen den Himmel doch noch erben kann?« »O ja!« sprach der Pater, wenn Du in den guten Vorsätzen beharrst und Dein früheres Leben bereust, so gehört der Himmel Dein, er gehört Dein!«
»O sagt es mir noch tausendmal!« bat dann weinend das Triefauge, »es klingt so tröstlich und doch fast unglaublich! Wie soll mich der himmlische Vater noch mit gütigen Augen ansehen und in seine Arme aufnehmen können?« »Er thut es, mein Lieber!« sprach dann der Pater wieder, »vertraue und hoffe und senke Deine Sünden in die heiligen fünf Wunden des Gekreuzigten. Der hat ja den Aussatz aller am Kreuze getragen, er ist der Gottessohn, durch ihn werden wir alle geheilt!« »Ja, ich will folgen!« entgegnete hierauf das Triefauge, »Ihr sagt es, Ihr seid der Abgesandte Gottes, Ihr verkündet mir sein Wort, – ich glaube!« Und so war er endlich wieder in der Seele beruhigt.
Den andern Mördern blieb nichts mehr übrig, als ihre Verbrechen einzubekennen, da das Triefauge schon alles gesagt hatte und die gefundenen Leichen am Glockenhofe und erst jene im Rosengärtlein zu laut gegen sie sprachen.
Und der Meister?
Er leugnete nicht! Er sah, dass das, was sein guter Vater vorausgesagt hatte, nun leider in Erfüllung gehe. Nach dem ersten Verhöre bat er, dass man ihn drei Tage und Nächte allein lassen möchte. Es wurde ihm bewilligt. Meister Hanns wurde allein in eine Keuche eingesperrt. Hier ließ er nun alle Bilder seines Lebens vor seinem Geiste vorüberziehen.
Ach, wie schaute es da aus! Das erste Jugendleben war wie ein schönes, tröstliches, liebliches Blumengärtchen, ganz klein und mit einem Rosenzaun umgeben! Da war Hanns als Kind drinnen und wuchs zum Knaben und Jüngling heran. Plötzlich ertönten außerhalb des Gärtchens verlockende Stimmen. Die Wurzeln der schützenden Rosenstauden wurden von gefräßigem Gewürm abgenagt, sie fielen um und wurden dürr. Der Jüngling gieng dann, durch die süßen Stimmen verlockt, aus dem lieblichen Garten heraus. Er fand aber draußen nur stechende Disteln und Dornen, und als er in das Gärtchen zurückkehren wollte, konnte er es nicht mehr finden, ja das Paradies war seinen Augen ganz und für immer entschwunden; und nun gieng er hinaus in die wüste Welt und gerieth hinein in einen Sumpf von Kröten, Schlangen und anderem Ungethier bewohnt. Aus dem schlammigen Wasser konnte er nicht mehr loskommen.
Da sah der Jüngling einmal am Rande des Sumpfes ein anderes schönes Paradiesgärtchen voll der herrlichsten Blumen und Früchte hervorgezaubert. Er wollte aus dem Sumpfe herauskommen und arbeitete und mühte sich ab, sich an dem Zaune des Gärtchens anzuklammern und gerettet zu werden; doch er war noch voll Schlamm, er riss den Zaun weg und zog auch das Gärtchen hinab mit in den Sumpf. – Es war das Bild Marthas, das dem Meister vorschwebte. –
Der Meister sah sich hierauf als Mann. Er kam in eine lange, wüste, hässliche Gegend, wo überall Denkzeichen an greuliche Mordthaten standen; hier und an diesem Tage, in diesem Jahre wurde dieser schlafend im Bette erdolcht, jener im Walde erschossen. So viele waren es, sie hatten nicht Zeit, sich für den Schritt in die Ewigkeit vorzubereiten!
Nun steht endlich der Meister am letzten Schauerbilde des Glockenhofes. – Nochmals durchläuft er sein ganzes Leben; die dritte Nacht seiner Einsamkeit ist zu Ende. Der Meister verlangt nun den Pater und kniend, seufzend und weinend wiederholt er vor dem Pater das Bekenntnis seines Lebens. Nichts, nichts verschweigt er! Es hatte ihn einen schweren Kampf gekostet, alles über seine Zunge zu bringen. Jetzt ist's heraus! Alles? – Nein, noch nicht alles! Das auch noch und das. – Aber jetzt endlich weiß er nichts mehr.
Der Pater war bis Mittag bei dem Meister im Kerker. Freudig geht er hinaus. Konnte er doch getrost sagen: »Ich spreche Dich von Deinen Sünden los im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen!« »Alle diese Sünden stehen nicht mehr im großen Schuldenbuche des Meisters. Sie sind ausgelöscht! O wunderbare Güte des himmlischen Vaters! Sei gepriesen und angebetet! Ein weit abgeirrtes Schäflein hast Du in Deiner unendlichen Barmherzigkeit auf Deinen Schultern in den Schafstall zurückgetragen, und ich, elender, unnützer Knecht, ich war Dein Werkzeug. O welch' einen Frieden hast Du dieser Seele gegeben, die Welt könnte ihr einen solchen nimmer geben. Vater im Himmel, erhalte sie standhaft, um das bitte ich Dich!« Das waren die Gedanken des Paters, als er von dem Gefängnisse des Meisters in sein Klösterlein zurückkehrte; dieser Tag war, wie er sagte, einer der schönsten Tage seines Lebens!
Und der Meister? – Wie war ihm? »Das habe ich nicht verdient, guter Gott!« rief er aus, »ich habe Gnade gefunden, der Himmel ist wieder in mein Herz eingekehrt! O Martha, ich danke Dir! Das hast Du mir erbetet, Gott lohne es Dir! Nun werde ich Dich doch noch wiedersehen, wenigstens dort oben im Himmel!« Und die Thränen flossen von des Meisters Auge reichlich, wie wohlthätiger Thau. Wie lange hatte er wohl solche Thränen nicht mehr geweint? Das war gewiss lange her, viele, viele Jahre!
»Aber Martha!« rief der Meister wieder, »Du sollst im Leben noch einen Trost haben, die Hoffnung, dass wir wenigstens dort oben nicht auseinandergerissen werden. Du sollst wissen, dass der Hanns sich bekehrt hat!« Und nun verlangt er vom Gefängniswärter Feder, Tinte und Papier und schreibt folgenden Brief:
Liebe Martha!
Da ich dieses schreibe, hängen schwere Ketten an meinen Händen und Füßen. Ich sitze im Gefängnisse. Wenige Tage noch, und Dein Hanns ist nicht mehr; die Gerechtigkeit hat ihn ereilt, das Schwert des Henkers wird sein Antheil sein.
Ich weiß wohl, wenn Du diese Zeilen liest, wird das Papier Deinen Händen entsinken, das Bewusstsein wirst Du vor Schrecken verlieren und mit Bitterkeit wird Deine Seele getränkt werden.
Doch nimm das Blatt wieder auf und lies es zu Ende, ich bitte Dich!
Vor allem, liebe Martha, verzeihe mir alles, was ich Dir im Leben Böses gethan habe! O verzeihe und vergiss es, ich bitte und beschwöre Dich durch die Liebe des gekreuzigten Heilandes und Unserer Lieben Frau, der schmerzhaften Mutter! Gott hat mir verziehen, ich bin jetzt mit ihm ausgesöhnt, ganz ausgesöhnt, ich kann wieder zu ihm rufen: »Vater unser!« Und Du allein willst mir nicht vergeben, theure Martha, Du allein nicht? – O ich kenne Dein edles Herz, ich höre Dich aus der Ferne sagen: ›Ja, ich verzeihe Dir‹ – Dank Dir, gutes Weib, fromme Dulderin, Du büßest es hart, dass Du Dich an mich Elenden gekettet hast! O wie ganz anders würde ich jetzt leben, wenn ich könnte! Ich danke Dir auch für Dein heißes Gebet! Es wirkte, es durchdrang die Wolken, es hat die Gnade für mich herabgerufen und hat mein diamant-hartes Herz aufgeweicht. Ewigen Dank Dir, Gott lohne es Dir mit dem Himmel! Tröste Dich und trauere nicht lange wegen meiner! Ich gehe, wie ich hoffe, in den Himmel, obgleich ich es nicht verdiene, und gerne gebe ich mein Leben hin. Wenn ich noch leben wollte, so wäre es wegen Deiner und der Kinder, und um meine Greuelthaten doch in etwas abbüßen zu können.
Leide, dulde noch eine kurze Zeit, es ist bald vorüber, dann wirst Du mich wiedersehen! Ich werde verklärt sein und werde Dir mit reinem, schuldlosem Auge entgegenschauen und Dich freudig begrüßen können.
Dann wollen wir mitsammen ewig im Himmel wohnen und die große, übergroße Barmherzigkeit Gottes ewiglich preisen; und dann werden auch Deine Thränen abgetrocknet sein. Du wirst mir versöhnt die Hand reichen und mir nicht mehr böse sein. – Nun noch eines! Sorge für unsere Kleinen, wie Du bisher es gethan, sie sollen andere Wege wandeln als ihr Vater, dass sie auch einstens zu uns kommen! Mache gut, was ein schlechter Vater verdorben, Du bist jetzt ihr Schutzengel. Der Kaplan ist auf seiner Pilgerreise bei mir eingekehrt und wird Dir von mir berichten; Dein Gnadenbild trage ich jetzt mit dem Kreuze meines guten Vaters auf der Brust und werde beides noch in Händen haben, wenn mein Kopf unter dem Schwerte fällt. Nun Martha, lebe wohl. Auf ein glückliches Wiedersehen dort! Küsse und segne statt meiner unsere Kinder! Doch jetzt fängt mir meine Hand zu zittern an, ich kann nicht mehr weiterschreiben. Diese Thränen auf dem Papiere seien Dir das Merkmal, dass das, was ich schrieb, die lautere Wahrheit ist!
Und nochmals, liebes Weib, theure Martha, küsse ich Dich im Geiste! Es ist in diesem Leben zum letzten Male. Lebe wohl! Vergiss meiner nicht im Gebete. Wenn Du kommst, dann komme ich Dir entgegen. Lebe wohl!
Dein
Hanns.
Und der Meister schloss zitternd das Blatt, küsste es und übergab es dem Gefängniswärter mit der inständigen Bitte, es nach der Hinrichtung an den Ort der Bestimmung abzusenden.
Alle Gesellen hatten wie der Meister ihr Sündenbekenntnis abgelegt; denn das nahe Stündlein hatte sie aus ihrem Lasterleben aufgeschreckt. Sie hörten die Stimme des herannahenden Richters und sie benahmen sich alle reumüthig. Sie waren nicht mehr zu erkennen. Ihre Sprache war jetzt eine ganz andere geworden.
Nur der Langhanns blieb sich gleich, er lachte und scherzte über seine Kameraden, all' ihr Predigen und das Zureden des besorgten Paters half so gut wie nichts.
»Redet einmal, Ihr Kopfhänger!« sprach er zu seinen Genossen im Gefängnisse, »Ihr thut alle, als ob Ihr stumm wäret und Euch mit dem Pater gegen mich verschworen hättet. In dem finsteren Hundsloche ist es, wenn niemand den Mund öffnet, gar so langweilig. In der Hölle kann es nicht langweiliger sein, da hat man doch wenigstens Kameradschaft; das Feuer dort fürchte ich nicht. War es mir ja immer so angenehm, wenn es wild im Ofen prasselte, ich dachte mir schon, dass ich einmal in ein solches zu sitzen käme. Wenn denn doch einmal die letzten drei Tage kämen, da kriegt man einmal wieder etwas Rechtes zum Essen und Wein genug, das Wasser thut mir gar nicht gut, es will nicht hinunter! Ich bin schon froh, wenn der Nachrichter einmal uns zu begrüßen ins Gefängnis tritt, vor Freude werde ich ihm um den Hals fallen!«
»Fürchtest Du Dich nicht,« entgegnete ihm der Meister ernst, »in die Ewigkeit so hinüber zu gehen? Denke, eine Ewigkeit, eine ewige Hölle!«
»Ei was, Ewigkeit, Hölle, – das sind Fabeln!« erwiederte lachend Langhanns, »mich wundert nur, wie der kluge Meister sich auch noch von dem Pfaffen am Narrenseile führen lässt. Mich kriegt der braune Kuttenmann nicht. Kommt er noch einmal, mich mit seinen Dummheiten zu plagen, so erdrossle ich ihn mit meinen Ketten. Nicht einmal im Gefängnisse hat man von diesen Blutegeln eine Ruhe. Da ist der Scharfrichter ein ganz anderer Mann; den lob ich mir, er ist gar höflich und bedient uns noch mit Wein genug, bevor er uns die Kehle abschneidet! Mit schönen und hässlichen Bildern einer Ewigkeit füllt man meinen Magen nicht, der schon lange nach einem guten Bissen und einem labenden Trunke lechzt! Ich begreife nicht recht, was sie mit uns haben! Schon lange weiß der grießgrämige Aktenwurm, der Richter, wie vielen wir den Garaus gemacht haben. Er quälte uns lange genug, um zu erfahren, wie wir bei jedem Stoße das Messer geführt haben, was wir redeten und wer der erste gewesen sei. Es wunderte gar den Federfuchser, wie viel Thaler jeder der Gemordeten im Sacke gehabt hat; ja sogar nach den Pfenningen fragte er und den Tuchfetzen, die sie anhatten! Fast hätte ich lieber dem Kuttenmann meine Sünden gesagt, er wäre gewiss nicht so heikel gewesen! – Und doch geht noch nie ein Ende her. Froh bin ich, wenn es einmal heißt: ›Auf, Langhanns, zum Blocke!‹ – Wäre ich Landesherr, ich ließe zuerst diesen Richter baumeln, ich würde kürzern Prozess machen. Ich schickte ihm gewiss keinen Kuttenmann an den Hals, der ihn mit seinen Abgeschmacktheiten so lange zu quälen die Aufgabe hätte. Wie, Kameraden, wacht einmal auf, singen wir wieder das Lied: ›Wie lustig ist des Räubers Leben,‹ hier muss es sich gut ausnehmen, – und dann sehen doch diese überzuckerten Memmen, dass wir zu sterben wissen.«
Doch niemand stimmte in des Langhanns Ton ein. Es schnitt dieser Hohn auf alles menschliche und religiöse Gefühl den andern tief in die Seele. Sie bedauerten gar sehr die Unbußfertigkeit ihres Sündengenossen und schwiegen trauernd.
Da knarrten wieder die Schlösser und Riegel, man vernahm Waffengeklirr vor der Gefängnisthüre. Es war, als ob man Büchsenkolben auf das Pflaster niederstellte.
»Auf, zum Richter!« hieß es. »Alle?« fragte Langhanns den Gefängniswächter.
»Ja, alle!« antwortete dieser.
»Werden wir in dies Krötennest wiederkehren?« fragte Langhanns weiter.
»Vermuthlich nicht mehr!« antwortete der Wächter, hinter ihnen die Thüre absperrend. »Willst Du noch den Pater? Er hat mir aufgetragen, Dich zu fragen.«
»Warum nicht gar!« antwortete Langhanns, »er mag seine salbungsreichen Worte und Thränen für sich behalten. An meiner Panzerbrust gleiten sie ab Ich finde den Weg zum Blocke schon allein. Der Scharfrichter ist zum Ueberflusse auch noch da, er wird mir den Weg weisen und sagen, was ich zu thun habe. Den Pater brauche ich nicht!«
»Nun, zwingen kann man Dich nicht!« sprach der Gefängniswächter, »wenn Du gerade in die Hölle fahren willst, so fahre zu! Ich einmal möchte mit Dir nicht fahren.«
»So, nicht?« sagte spöttisch Langhanns, »ja freilich, Dich würde Dein Schmerbauch reuen, den Du Dir auf Kosten der Gefangenen angemästet hast; Du verdienst auch gehängt zu werden!«
»Bedanke mich für Deine gute Meinung!« sprach der Gefängniswächter.
Nun standen die Gefangenen vor einer erhöhten Bühne des Gerichtshauses; Bewaffnete bildeten um sie einen Kreis; hinter diesen drängte sich eine unzählige Menge Neugieriger.
Da öffnet sich die Thür des Gerichtshauses. Der Richter in schwarzem, langem Mantel mit einem Actuar tritt heraus und steigt auf die Bühne hinauf; er gebietet mit der Hand Ruhe.
Es ist mäuschenstille. Da liest nun der Actuar die Urtheile über die Räuber herab. Sie lauten alle auf Tod durch das Schwert. Als der Actuar die Worte: »Tod durch das Schwert!« aussprach, da brachen alle Verurtheilte in sich zusammen, todtenblass standen sie da, wie ein Blitzstrahl hatte sie das Wort getroffen.
Nur der Meister stand unerschüttert da, nicht das geringste Anzeichen von Bestürzung konnte man an ihm bemerken. Bloß seinen Blick und das Haupt hielt er gesenkt, gleichsam wie zum Zeichen, dass er die verdiente Strafe gerne über sich ergehen lasse.
Der Richter bricht den schwarzen Stab entzwei und wirft ihn den Verbrechern zu den Füßen hin.
Nun geht es in die Armensünderstube; drei Tage sollen sie da den Blicken des zu- und abströmenden Volkes als warnendes Beispiel ausgesetzt sein.
O, in dieser Stube schaute es ganz anders aus als in der Zechstube des Glockenhofes! Ein Kruzifix mit zwei brennenden Lichtern stand auf einem Tische. Auf einem andern mit einem weißen Tuch bedeckten Tische stand das Armensündermahl, – Wein und verschiedene Speisen. Eine Schar Bewaffneter bildete eine lebendige Schranke vor den Verbrechern, andere waren draußen im Gange, damit die Uebelthäter ja nicht entkommen konnten.
Von den Räubern sprach keiner ein Wort, nur hie und da hob sich ein schwerer Seufzer aus ihrer gepressten Brust; dann beteten sie wieder still für sich hin und achteten nicht auf die Leute, welche kamen und giengen; denn die Augenblicke, die ihnen noch gegönnt waren, galten ihnen als kostbar zur Vorbereitung auf ihr baldiges Ende.
Nur Langhanns schwätzte in einemfort, stürzte einen Krug Wein um den andern durch seine Gurgel und machte sich mit wahrem Heißhunger über das her, was aufgesetzt wurde.
»Wundert Euch nicht, Leutchen!« sprach er zu den Neugierigen, »dass ich so esse und trinke. Fürs erste ist dazu nur kurze Zeit mehr. Was hätten die Raben an mir, wenn ich schon als Todtengerippe auf den Schindanger käme. Fürs zweite hat mich der Schurke von einem Kerkermeister so knapp gehalten, dass an mir nur mehr die Gebeine blieben. Gesundheit Euch allen! Nicht wahr, lustig ist des Räubers Leben! Dann fang er das bekannte Lied weiter oder pfiff die Arie auf- und abgehend, und dann griff er wieder zum Kruge.
»Wie, Triefauge, thust Du mir nicht Bescheid?« sprach er nun zu diesem gewendet, »hast doch den Doktorhut erlangt und machst jetzt ein Gesicht wie ein winselndes Weib!«
Und so gieng es in einem fort, das freche Benehmen des Langhanns machte einen widerlichen Eindruck.
Da winkte der Meister den Gefängniswärter zu sich und sagte ihm etwas ins Ohr. Es dauerte nicht lange, so wurde er aus der Armensünderstube abgeholt.
»Wie Meister!« sprach Langhanns wieder, »verlässt Du uns? Das ist gar nicht schön von Dir. Ich möchte Dich gerne vor mir am Messer sehen, wäre ein Vergnügen anzusehen, welche Grimassen Dein vom Rumpfe getrennter Kopf schneidet! Möchte wissen, ob Deine Lippen dann auch noch den Rosenkranz herschnattern!«
Der Meister hatte sich zum Richter melden lassen, er hatte noch etwas vorzubringen. Bald stand er vor demselben.
»Nun, was willst Du noch?« sprach dieser. »Hast Du noch etwas auf Deinem Gewissen? Sage es, es ändert Deine Strafe nicht mehr!«
»Nein!« antwortete der Meister, »das ist es nicht, warum ich vor Euch zu erscheinen begehrte und auch nicht, um Gnade zu erflehen, kam ich. Aber es fiel mir ein, dass ich zu Hause im Glockenhofe noch einiges Metall habe. Von Mils herauf hörte ich manchmal ein paar elende Glöcklein tönen. Die armen Leute dort vermögen sich nicht ein besseres Geläute zu verschaffen. Nun, wie wäre es, wenn ich ihnen aus dem noch übrigen Metalle eine Glocke gösse, die mir mein Grablied sänge. Alle meine Kunst will ich auf den Guss verwenden, dass die Glocke so wohltönend wird, als ob sie von Silber wäre. Erwirkt mir einen Aufschub der Todesstrafe, es soll Euch nicht gereuen. Das Opfer entflieht der Gerechtigkeit doch nicht!«
Das Urtheil zu verschieben war schwer, doch es gieng; der Richter selbst verwendete sich und sandte einen Eilboten nach Innsbruck, er kannte des Meisters herrliche Glocken.
Und so mussten denn die sechs anderen allein zum Blocke wandern. Sie starben alle bis auf einen voll Ergebung und Reue. Der eine Unbußfertige war Langhanns.
Dieser bewahrte seinen teuflischen Geist bis zum letzten Augenblicke. Als die anderen hinknieten, um sich die Augen verbinden zu lassen und den tödtlichen Streich zu empfangen, da rief ihnen Langhanns noch zu:
»Nun, Kameraden, werde ich zuschauen, was ihr für grässliche Gesichter schneidet! Nichts für ungut – ich bin der Letzte!«
Sobald das Blutgericht an seinen fünf Genossen vollbracht war und die Reihe an ihn kam, sagte der unverbesserliche Spötter: »Der Wein war gut; jetzt bin ich köstlich aufgelegt, aus dem Leben zu tanzen!« Die letzten Worte des Langhanns waren ein schrecklicher Fluch. –
Wie wird dem Unbußfertigen gewesen sein, als auf einmal der Schleier der Zeit von seinen Augen gerissen wurde und er vor dem schrecklichen Richter stand, dem Richter, den er noch im letzten Augenblicke gelästert hatte. – Die Langmuth Gottes war zu Ende, das Maß der Sünden übervoll. Was für ein Urtheil ergieng wohl über den verstockten Frevler? – Es konnte nur auf »Ewige Verdammnis!« lauten.
Wie sehr erschütterte es den Meister, als er hörte, dass Langhanns unbußfertig gestorben sei; er war darüber fast untröstlich; denn er gab davon auch sich die Schuld.
*
Der Meister wurde wieder hinaufgeführt in den Glockenhof, um dort sein Werk zu beginnen. An den Händen wurden ihm die Ketten abgenommen, nur die Füße waren gefesselt. Zwei Bewaffnete standen immer an seiner Seite; nachts wurde er wieder in sein Gefängnis zurückgebracht.
Wie sonderbar kam es ihm jetzt in der Gießerei vor, wie leer und öde! Wo sind jene munteren, rüstigen Männer, die hier vor ein paar Monaten noch übermüthigen Scherz trieben? – Sie sind alle nicht mehr, schon modern ihre Gebeine, und ihre Seelen – wo sind sie?
Hanns hatte jetzt nicht mehr viel Gelegenheit, traurige Betrachtungen anzustellen; denn er musste sich beeilen, um die Glocke für die Milser innerhalb der ihm gewährten Frist fertig zu bringen. Das Gericht hatte ihm nur vier Wochen Aufschub seiner Todesstrafe bewilligt.
Der Meister bestellte sich ein paar Gesellen von Büchsenhausen, die mit ihm rüstig arbeiteten. Es wurde die sogenannte Dammgrube in gehöriger Tiefe ausgegraben und darin die Glockenform hergestellt. Als dies geschehen war, begab man sich an die Vorbereitungen zum Gusse. Das vorhandene Metall kam in den Schmelzofen und wurde dort durch die vom Schürofen herüberprasselnden Flammen in wenigen Stunden zu einem glühenden Brei gekocht. Hanns rührte von Zeit zu Zeit die brodelnden und quirlenden Massen mit einer Holzstange um, oder zog die obenauf schwimmenden Schlacken hinweg; dann nahm er wieder einen langstieligen eisernen Löffel und schöpfte ein wenig Metall aus dem Gussofen, um damit im Sande ein Stäbchen zu formen, aus dessen Bruch er die Beschaffenheit der feurigen Mischung ersehen konnte. Die beiden Gesellen aus Büchsenhausen lösten ihn bei dieser Beschäftigung öfters ab.
Endlich war die Glockenspeise zu ihrer Bestimmung geeignet. Nun kniete man nieder zu einem kurzen Gebete und dann ergriff Meister Hanns die eiserne Anstichstange und stieß damit den eisernen Zapfen aus dem Anstichloche in das Innere des Gussofens. Sogleich drängte sich mit Ungestüm der rauchende und glühende Brei aus seinem heißen Gefängnisse heraus und floss durch das Rinnwerk in den über der Glockenform bereit gestellten Gusstrichter. Unter betäubendem Pfeifen der verdrängten Luft stürzten dann die kochenden Metallmassen in die Glockenform hinab.
»Gott sei Lob und Dank! Die Glocke ist fertig!« rief der Meister freudig aus, als er die Form gefüllt und den Ueberschuss der Glockenspeise in die sogenannte Wolfsgrube rinnen sah. – Der Guss schien glücklich vollendet zu sein.
Am nächsten Tage wurde die Glocke von ihren Hüllen befreit und blank gefegt. Tadellos hieng sie da, schön und glänzend, fast wie Silberthaler, die eben den Prägstock verlassen haben, – wahrhaft ein Werk, worauf Meister Hanns stolz sein konnte. Gar hübsch waren die Heiligenbilder und Inschriften gelungen. In einem umkränzten Vierecke stand zu lesen:
»Mich goss Hanns Gatterer, Glockengießer-Meister Anno 1628.«
Verklärten Antlitzes stand Hanns vor dem letzten Werke seiner kunstfertigen Hände. Nachdem er es lange und genau betrachtet hatte, nahm er davon Abschied und ließ sich nach Hall zurück in den Kerker führen, ohne dass er zuvor noch den Ton der Glocke geprüft hatte. Er wollte erst in seinem Sterbstündlein den Klang derselben vernehmen.
Auf den nächsten Freitag um 9 Uhr morgens war seine Todesstunde vom Richter festgesetzt worden. An diesem Tage sollten die Milser ihre neue Glocke zum erstenmale läuten und zwar zur genannten Stunde, in der ja rings herum die Glocken ertönten, um an »des Herrn Scheidung« zu mahnen.
»Ich verlange,« sagte Meister Hanns vor seinem Weggehen, »keinen andern Dank von den Milsern, als dass sie in jener Stunde, in der ich vor Gottes Richterstuhl trete, ein ›Vater unser‹ beten und ein ›Gott gnad' seiner Seele und geb' ihm die ewige Ruhe!‹ Vielleicht werden dieselben auch später noch meiner im Gebete gedenken, wenn ich schon lange nicht mehr bin; denn die Glocke wird in ihnen meinen Namen stets wachrufen, so lange sie wohlklingend in das Thal hinaus schallt.«
*
Der Tag der Hinrichtung des Glockengießers war angebrochen; Meister Hanns machte seinen letzten Gang. – Er wurde in die Nähe des Glockenhofes geführt; denn nahe am Orte seiner Verbrechen sollte er sterben. So lautete das Urtheil. Betend stieg Hanns an der Seite seines Beichtvaters – eines Franziskanerpaters – zur Richtstätte hinauf.
»Jesus, – Barmherzigkeit!« rief er oft aus und küsste dann inbrünstig das Bild des gekreuzigten Heilandes, welches er in seinen gefesselten Händen trug. Es war das Sterbkreuzlein seiner Mutter.
Die den traurigen Zug begleitende Volksmenge weinte und seufzte. Sie hatte mit dem reuigen Sünder inniges Mitleid und erbaute sich an seiner Buße.
Am Richtplatze angekommen, kniete Hanns nieder. Der Pater sagte ihm nochmals kurz Liebes- und Reueseufzer zu Gott vor, – da ertönt plötzlich von Mils herüber der tiefe feierliche Klang der neuen Glocke. O, wie traurig-ernst und doch lieblich-rein sendet Hannsens Glocke ihre Klänge über das Thal hin.
Das Herz des Meisters pocht vor Freude ganz laut in der Brust. Thränen der Wonne entquellen den Augen des Glockengießers. Sein Werk war gelungen, – herrlich gelungen! Es kam Hanns vor, als seien die Töne seiner Glocke der Ruf des barmherzigen Gottes von der Ewigkeit herüber: »Nun komme, ich habe Dir verziehen, – alles verziehen!«
Der Augenblick der Hinrichtung war erschienen. Der Scharfrichter befahl dem Meister, sich zum Tode bereit zu machen.
»Henker, thut Euer Amt!« entgegnete ihm Hanns. »Ich bin schon fertig; verbindet mir die Augen! Martha draußen im Bayerlande, lebe wohl, auf Wiedersehen im Himmel! Pater, gebt mir noch das Bild der schmerzhaften Mutter zu küssen! Mutter der Barmherzigkeit, steh mir bei im letzten Streit! Jesus, Maria und Josef, in Eure Hände empfehle ich meinen Geist!«
Das waren die letzten Worte des Meisters.
Jetzt zischte das Schwert des Henkers.
»Jesus! – Maria!« schrie die Volksmenge auf.
»Amen!« sprach der Pater.
Hanns hatte seine Schuld gebüßt, der irdischen Gerechtigkeit war Genüge gethan!
Die Glocke in Mils drunten läutete noch, sie klang so schauerlich in den Herzen der Zuschauer wieder. Es war das Grablied für Hanns.
Draußen im Bayerlande kniete in eben dieser Stunde ein blasses Weib mit zwei Kinderchen vor dem Gekreuzigten und hob die Hände zum Herrn empor; auch dort tönte die Sterbeglocke unseres Heilandes von dem Thurme. Das Weib war Martha; sie wusste nicht, dass ihr Hanns zur selben Zeit am Glockenhofe endete. Hätte sie es gewusst, sie wäre leblos niedergesunken.
Dem Wanderer weist heute noch ein hölzernes Bildstöckchen in der Nähe des Glockenhofes die Stelle, wo die Hinrichtung des Meisters Hanns stattfand. Dasselbe zeigt den Glockengießer, im Vordergrunde kniend. Hinter diesem ist zu dessen linker Hand der Scharfrichter zu sehen, wie er mit dem Schwerte weit ausholt. Unmittelbar hinter Meister Hanns erblickt man den Beichtvater und zur Rechten den Gehilfen des Scharfrichters. Ganz rückwärts ist die allerseligste Jungfrau mit dem Jesukinde sichtbar. Unter dieser Darstellung liest man folgende Verse:
Hochberühmt und kunsterfahren,
Lange Zeit gar sehr geehrt.
Starb vor dritthalb hundert Jahren
Ein Verbrecher durch das Schwert.
Glockengießer und daneben
Räuber war er – welche Schmach! –
Führte hier ein wüstes Leben,
Bis man ihm das Urtheil sprach.
Bei des Urtheils traur'ger Kunde
Bat er nur um eine Gunst:
Einmal vor der Sterbestunde
Noch zu zeigen seine Kunst.
Eine Glocke soll noch werden,
Die zu Mils mit lautem Schall'
Melden sollt, wann hier auf Erden
Er ein Leben schloss zumal.
Und die Glocke ward vollendet,
Meisterhaft ihr Guss gelang,
Ihre ersten Klänge sendet
Sie zu Meisters Todesgang:
Diese hört der Glockengießer,
Ist zufrieden, geht zum Tod,
Stirbt durch Henkershand als Büßer
Ausgesöhnt mit Welt und Gott.
*
Hanns Gatterer, Glockengießer 1628.
Renoviert
anno 1878.
*
Die Glocke Hannsens in Mils ist nicht mehr. Beim Brand der Kirche und des Thurmes am 23. August des Jahres 1791 ist sie leider geschmolzen. Aber trotzdem lebt heute noch im Volke die Erinnerung an diese Glocke und an Meister Hanns und dessen Mordgesellen unversehrt fort. Wenn Dich einmal, freundlicher Leser, Dein Weg zum erwähnten Bildstöckchen und zum Glockenhofe führt, so bleibe dort ein wenig stehen und erwäge ein paar Augenblicke hindurch, wie sich das Walten der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes gegenüber den großen Sündern zeigte, von deren Leben und Tod ich Dir soeben erzählt habe.