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VI. Kapitel.
Wie der Hanns zur Martha gekommen

Das Triefauge legte einige Stücke Holz dem Feuer im Kamine nach und machte es neuerdings hoch auflodern; dann räusperte sich der Meister und begann so zu erzählen:

»Ich hatte vergessen zu sagen, dass wohl auch eine andere Ursache mich antrieb, die Rolle eines ehrlichen Menschen zu spielen. Wir werden sie bald kennen lernen.

Ein Häuschen, das gar zierlich an den Höttinger Hügeln liegt und nicht weit von Büchsenhausen entfernt ist, stach mir durch seine reizende Lage immer in die Augen. Seine Fenster glitzerten so freundlich in das Thal hinab, wenn der erste Sonnenstrahl sie traf, als wollten sie die Schläfer in der Stadt drunten zum Tagesleben erwecken; Weinreben umrankten dieselben in lieblicher Einfassung; links neben dem Häuschen stand ein kleiner Blumengarten von sorgfältiger Hand gepflegt, rechts und hinter dem Hause waren schattige Obstbäume gepflanzt.

Ich weiß nicht, warum in mir, wenn ich dies Häuschen anschaute, oft der Gedanke aufstieg, hier müsste es gar friedlich zu wohnen sein; hier im Kreise einer Familie sein Leben sorgenfrei zubringen zu können, erschien mir fast wie ein halbes irdisches Paradies. Und so gieng ich an Feiertagen, wenn das schöne Wetter mich ins Freie lockte, gerne an dem hübschen Häuschen vorüber und blieb oft eine Zeitlang vor demselben stehen und betrachtete es; dann gieng ich sinnend wieder weiter über die Hügel hinauf zum schönen Schlosse Weierburg. In dessen Nähe, unter einen großen Nussbaum mich setzend, schwärmte ich dann von allerhand Dingen. Ich ließ vor meinen Augen eine schöne glückliche Zukunft vorüber wandern; ich dachte an meinen Vater und meine Mutter, es war mir dabei so wohl und so wehe, dass ich manchmal unwillkürlich mir eine Thräne im Auge zerdrückte.« Der Langhanns: »Da haben wir's, der Meister war halt verliebt, nur verliebte Narren seufzen, weinen, träumen, bauen Luftschlösser und hängen dergleichen Thorheiten nach!«

Der Meister: »Gewiss nicht! Denn ich hatte noch nie einer Dirne recht ins Antlitz geschaut. Magst wohl ungläubig den Kopf schütteln, Langhanns! es ist doch so, warum sollte ich lügen? Das Weibsvolk war mir immer ziemlich gleichgiltig – aber nun erst sollte es kommen.

Eines arbeitsfreien Tages saß ich am Brunnen, der vor dem erwähnten Häuschen stand. Das silberhelle Wasser sprudelte gar so einladend aus dem Aste der Brunnensäule heraus, dass ich mich nicht enthalten konnte, hier ein Rästchen zu halten und zu einem Stück Brot, das ich mir in die Tasche gesteckt hatte, erfrischendes Quellwasser zu trinken.

Da öffnete sich die Hausthüre und es rollte ein hölzernes Wassergefäß über die Stufen zu meinen Füßen herab; rasch wurde die Thüre wieder zugeschlagen. Ich wendete mein Gesicht gegen die Hausthüre, jedoch sah ich niemand mehr. Das Ding kam mir fast räthselhaft vor.

Ich schaute lang das zierlich bemalte Wassergefäß an, das in den Koth hineingerollt war, und war unschlüssig, was ich denken oder thun sollte.

War's vielleicht ein Kind, das ob meiner Person erschreckt war, oder was? – ich wusste es nicht, und das Schäfflein konnte ich doch nicht so im Kothe liegen lassen. Ich hob es auf, ließ das sprudelnde Wasser über dasselbe hinabgleiten und bald war das Unreine weggespült und es prangten wieder die gemalten Rosen und Vergissmeinnicht in gar lebhaften Farben auf dem Schäfflein.

›Was kann es schaden‹, dachte ich mir, ›wenn ich das Schäffel in das Häuschen hineintrage, das kann mir doch niemand übel aufnehmen und dabei lerne ich einmal die Hausbewohner kennen; war oft schon neugierig zu erfragen, wem das Häuschen gehöre.‹ Bisher hatte ich noch nie jemand vor der Thüre desselben bemerkt.

Ich trat also ein. Als ich die Stubenthür öffnete, saß eine Alte bei einem Tische am Fenster und nähte, ein junges Mädchen stand in einer Ecke und hielt sich mit beiden Händen das Gesicht zu, als ob sie sich schäme, mich anzublicken.

›Ich war‹, sprach ich, ›eben am Brunnen vor Eurem Hause, um Wasser zu trinken, da rollte dies Schäffel hier von der Hausthüre hinab in die Patsche, und weil ich niemand sah, habe ich es aufgehoben. Es wird Euch gehören, darum bringe ich es!‹

›O!‹ sagte die Alte, ihr Nähwerk beiseite legend und sich erhebend, ›das wird wohl wieder die Martha gethan haben! Ich kann mir's schon denken, sie ist ein gar so scheues Mädel, kommt wenig unter die Leute und darum wird sie Deinetwegen erschrocken sein und das Schäfflein haben fallen lassen. Ich und mein Mann, Gott habe ihn selig, haben sie so erzogen. Brauchst Dich nicht zu schämen, Martha! Der Mann will gewiss nichts Böses; ich habe ihn schon öfter gesehen hier vorbeigehen, auch in der Schlosskapelle zu Büchsenhausen habe ich ihn an Sonntagen oft beobachtet; er muss ein guter Christ sein.‹

›Mütterchen!‹ sprach ich, ›mit dem Kirchengehen ist es bei mir just nicht gar so arg, ich habe bei meinem Handwerk dazu wenig Zeit, jedoch was christlicher Brauch ist, weiß und halte ich schon; das haben mir meine guten Eltern gar oft ans Herz gelegt.‹«

Wolf: »Schaut man nur das fromme Lämmlein an, dass unser Meister sich einmal so bekehrt hatte, hätte ich nicht gedacht, doch weiter!«

Meister Hanns: »Der Martha war ich, wie sie mir später bekannte, nicht gar so fremd, wie sie that. Auch sie hatte mich, wenn ich vor ihrem Hause stand, manchmal beobachtet; sie that jetzt ihre Hände vom Gesichte weg und ich sah, wie noch ihre Wangen vor Scham und Verlegenheit in Purpurroth glühten. Sie wagte nicht den Blick zu mir zu erheben und stotterte einige entschuldigende und dankende Worte heraus.

›Wo bist Du denn, wenn ich fragen darf‹, sagte die Alte zu mir gewendet, ›gewiss nicht weit weg von uns, weil Du so oft bei uns vorüber gehst?‹

›Ich bin‹, sprach ich, ›beim Glockengießer drüben als Altgeselle.‹

›Ah so!‹ sagte die Alte, ›bist Du der Hanns, von dem der Meister mir schon oft erzählt hat; ich wusste das nicht. Du hast es gut bei ihm; er kommt manchmal zu uns herüber, besonders wenn die Birnen reif sind, er sagt, es gäbe im ganzen Innthale keine besseren Birnen als die unsrigen; die Bäumchen hat noch mein seliger Mann gepflanzt. Oft saßen der Meister und mein Mann bis spät in die Nacht in dem Schatten unserer Obstbäume und plauschten vom Kriege und sonst allerhand Zeug, was ich nicht recht verstand. Die Martha hat er auch recht lieb, er ist ihr Firmgöth, sie hat schon manchen blanken Thaler von ihm in der Sparbüchse.‹

Ich weiß nicht, wie ich mir nun in diesem Stübchen vorkam, ich stand wie angewurzelt und meine sonstige Redseligkeit war mir ausgegangen. Ich wäre so gern lange dageblieben und doch wusste ich nichts mehr vorzubringen. Das sanfte bescheidene Wesen der Martha hatte einen solchen Eindruck auf mich gemacht, dass ich, der ich doch sonst alle Rollen gut zu spielen wusste, hier wie ein Tölpel dastand. Die Weibsleute, die ich kennen gelernt hatte, waren alle freche Wesen, deren Betragen mich anekelte. Ihr habt wohl auch die Unverschämtheit der Dirnen gesehen, die sich mit den Landsknechten herumtreiben. Ein solches Mädel, wie Martha, war mir noch nie unter die Augen gekommen und darum meine Befangenheit!

Ich machte mehrere Knixe, als ob ich vor einem gnädigen Fräulein gestanden wäre und gieng endlich, ohne ein Wörtchen zu sagen, zur Thüre hinaus und wagte es kaum noch einmal nach Martha zu schielen, die eben so schweigsam, wie ich, dastand.«

Langhanns: »Hoho! Welch' zimpferliches Thun von einem alten Gurgelabschneider, warst Du denn verrückt, Meister? Vor Martha hast Du solche Grimassen gemacht? Diese engelgleiche Jungfrau Martha wird wohl dieselbe sein, welche vor kurzem noch als Frau Meisterin hier unter uns verweilte, und wenn sie auch besser war, als wir, so habe ich doch an ihr nie den Engelglanz beobachtet, wie Du, Meister, oder hast Du vielleicht damals durch gefärbte Gläser sie angeschaut?«

Triefauge: »Unter uns war die Meisterin wohl ein Engel! Wie gut muss sie erst gewesen sein, als sie noch in dem Heiligthume ihres Elternhauses und nicht in einer Mörderhöhle war?«

Langhanns: »Da habt Ihr wieder den langweiligen Sittenprediger! Triefauge, geh' hinab zu den Patres nach Hall, kommst gerade recht zur Metten, bitte um die Kutte, vielleicht reibt sie Dir Deine Blutflecken vom Leibe, die Du auf dem Gewissen hast! Als Laienbruder nehmen sie Dich schon an, verstehst Dich ja auch auf das Ministrieren und etliche lateinische Brocken hast Du als Studios auch erschnappt.«

Triefauge schwieg, weil er wusste, dass mit Langhanns nichts anzufangen war, und dass, wenn er etwas erwidere, es noch immer dicker käme.

Meister Hanns: »Zankt Euch nicht immer, Ihr Burschen und unterbrecht mich nicht stets mit Euren abgedroschenen Witzen, sonst erzähle ich Euch nicht mehr weiter, Ihr mögt dann schlafen gehen!«

Wolf: »Der Langhanns kann aber niemand ungeschoren lassen! Meister, fahrt nur weiter, wir horchen!« Meister Hanns: »Als ich im Freien war, da fiel mir so Vieles ein, was ich hätte sagen können und sollen, ich schalt mich selbst den größten Einfaltspinsel, aber ich hatte nicht das Herz nochmals umzukehren; ich wanderte gedankenvoll hinauf zum alten Nussbaume nach Weierburg. Wie lange ich dort gesessen, weiß ich nicht; nur das weiß ich, dass ich zum erstenmale, seit ich beim Büchsenhausner Meister im Dienste stand, das Nachtessen versäumt habe. Der Meister machte ein unwilliges Gesicht. ›Draußen in der Küche,‹ sagte er etwas barsch, ›hast Du Dein Essen, mich würde es sehr verdrießen, wenn auch Du, Hanns, anfangen würdest, mir einen Ausreißer zu machen, Du weißt schon, dass ich meine Leute abends gerne bei mir sehe.‹ – Ich wurde über und über roth.

›Ich war nicht im Wirtshause, Meister,‹ sagte ich, ›ich war beim alten Nussbaume in Weierburg droben und habe mich versäumt; der Abend war so schön.‹

›Nun, wenn Du nicht so lange beim Zechtische warst, will ich es angehen lassen,‹ wurde mir als Antwort zutheil, ›sage der Köchin, sie möge Dir das Essen und Deinen Krug Wein hieher bringen in die Essstube; wir wollen mitsammen etwas plaudern, die anderen Gesellen sind schon fort.‹

Als ich das Essen vor mir hatte und ich und der Meister allein waren, konnte ich mein Geheimnis nicht mehr bei mir behalten; es drückte mich zu sehr. ›Ich wills Euch wohl offen sagen, Meister,‹ sprach ich, ›warum ich heute zu spät gekommen bin‹ und nun rückte ich mit der Geschichte wegen des Wasserschäffels heraus.

›Hm, hm!‹ murmelte der Meister den Kopf schüttelnd vor sich hin, ›das hat schon Wurzeln geschlagen, drüben früher als hier. Hätte etwa deswegen das Mädel mich so ausgeforscht, ob ich den fremden jungen Mann nicht kenne, der immer an Sonn- und Feiertagen gern nach Weierburg hinaufwandle und ihr Häuschen so anschaue. Ich dachte nicht daran, dass sie den Hanns meinte. Nun, das ist just nicht eine Sache zum Halsbrechen. Das Mädel ist brav und rechtschaffen und Du Hanns auch, ein paar Groschen hat sie auch, ich bin Göth, habe auch ein Wörtl drein zu reden. Wir wollen's überlegen, hat noch Weile!‹

›Was sagt Ihr, Meister?‹ fragte ich.

›Nun, ich habe so meine Gedanken. Wenn die Martha drüben will und Du mir versprichst, sie glücklich zu machen und ordentlich und christlich zu bleiben, wie Du bisher es warst, so habe ich nichts entgegen, dass Ihr junge Leutchen Euch heiratet. Mit der Mutter werde ich schon fertig werden, aber verstehst Du, halte jetzt noch reinen Mund und lass Dir nichts merken, ich muss mich zuerst noch versichern, wie es mit Martha steht.‹

Die Martha heiraten, – dies Wort fuhr mir wie ein Blitz durch den Kopf und das Herz. ›Ja, Meister!‹ sprach ich, ›wenn Ihr mir die Martha zum Weibe verschafft, so fühle ich, dass Ihr mich für ein ganzes Leben glücklich macht, Ihr handelt da als Vater, ich werde Euch gewiss dankbar sein.‹«

»War Dir wohl ernstlich so zu Muthe, Meister?« fragte der Langhanns spöttisch.

»Ja, ernstlich!« erwiderte der Meister, indem er seine Stirne in tiefe Falten zog, ein Zeichen, dass Langhanns ihn nicht mehr weiter unterbrechen durfte. Dann fuhr er fort:

»›Nun Hanns!‹ sprach der Meister zu mir, ›arbeite in der Werkstätte fleißig fort, schlage Dir für heute die verliebten Grillen aus dem Kopfe; morgen abends gehe ich zur Martha hinüber, um alles ins Reine zu bringen. Trinke heute noch ein Krügelchen Extrawein mit mir.‹

Wir tranken und redeten gar vertraulich mitsammen, es kam mir vor, als wäre mein Vater aus dem Grabe erstanden; so weich wurde meine Seele, doch ein Stein blieb schwer über mein Herz gelagert, den ich selbst vor den Augen meines lieben Meisters nicht wegheben durfte, nämlich mein Vorleben. Da fühlte ich etwas entsetzlich Bitteres in meinem Herzen, so etwas, was man Reue nennt. Was hätte ich hingegeben, wenn ich diesen schweren Stein für immer in das Meer der Vergessenheit hätte versenken und meine frühere Geschichte aus dem Buche meines Lebens hätte auswischen können.

Doch das Geschehene ungeschehen machen, geht nicht, und so blieb denn eine düstere Wolke an meiner Stirne; der Meister glaubte, ich fürchte mich, Martha nicht zu bekommen; und daher redete er mir ermunternde Worte zu und behauptete, bemerkt zu haben, dass Martha mich nicht ungern sähe.

Da ertönte von dem Schlossthurme zu Büchsenhausen herab die neunte Stunde, die Stunde, wo der Meister pünktlich in seine Schlafkammer gieng; er reichte mir die Hand und sagte: ›Hanns, geh' nun unbesorgt schlafen, ich will bei Martha drüben Dein Sachwalter sein! Bursche, Du verdienst es!‹

›Du verdienst es!‹ klang es in meinen Ohren nach, als ich schon lange im Bette war. Ich wälzte mich unruhig hin und her, ich hörte zehn Uhr, elf Uhr, ja noch mehr schlagen und ich hatte noch kein Auge geschlossen. So unruhig war ich nicht einmal nach jener blutigen Nacht im Schlosse; ein fürchterlicher Kampf gieng in mir vor. Soll ich den Ehrlichen fortspielen, der Martha mich in einem Lichte zeigen, das meinem Vorleben ganz widersprach? Soll ich ihr verhehlen, dass ich ein Mörder, ein Räuber, ein zum Tode Gesuchter, ein Geächteter sei? ›Ja!‹ rief mir das Bild meiner bevorstehenden Glückseligkeit zu, ›Martha weiß nichts davon, sie kann, sie wird glücklich sein und Du auch, das furchtbare Geheimnis geht mit Dir ins Grab.‹

›Aber!‹ rief Dir eine andere innere Stimme zu: ›Ein gutmüthiges, ehrliches Mädchen so zu betrügen! Sie, den Engel der Unschuld, an ein Scheusal der Menschheit zu ketten, ist das ehrlich? Hast Du nicht mehr soviel Gefühl der Rechtlichkeit und Barmherzigkeit in Dir, hast Du alles Menschliche schon so sehr ausgezogen?‹ – Das hatte ich noch nicht ganz. Als die Mitternachtsstunde schlug, hallte der langsame Ton der Glocke so ernst, so feierlich an mein Herz, wie eine Mahnstimme aus der Ewigkeit herüber; es war, als hätte mein Vater mit hohler Stimme aus seinem Grabe herauf mir zugerufen: ›Flieh' – flieh' – weh! weh! Fluch Dir! Flieh' – flieh' – weh! weh! Fluch Dir! –‹

Schon war ich angekleidet und hatte meine wenigen Habseligkeiten zusammengepackt, um fort, fort, weit fort zu gehen und vor Schmerzen in einem abgelegenen Winkel der Erde zu sterben, da fragte mich einer der Mitgesellen, der meine lauten Seufzer gehört und mein Herumtappen im Finstern bemerkt haben musste:

›Was hast Du denn, Hanns! Ist Dir nicht wohl, soll ich den Meister rufen?‹

›O nein!‹ sprach ich, ›ich kann nur nicht schlafen, es ist nur so fürchterlich heiß, die Kammer wird mir zu enge.‹

Ich hatte schon das Bündel geschnürt und wollte gehen, da stand der Mitgeselle auf und wollte den Meister wecken. ›Du bist krank oder nicht recht bei Kopfe!‹ sprach er. ›Bleibe hier!‹ Der Würfel war nun für mich vom Verhängnisse geworfen. Die Sache war entschieden, ich musste bleiben, es wäre das ganze Haus in Alarm gekommen.

›Sei nur unbesorgt!‹ sprach ich zu dem Gesellen, ›weck' den Meister nicht; ich werde ruhig sein, ich werde mich wieder niederlegen, lass mich!‹ Und ich legte mich wieder nieder, ich kämpfte gegen meine Bedenken an, ich drückte sie gewaltsam nieder, wie unter einen schweren Stein und ließ sie nie mehr herauf. Ich hatte beschlossen, auf der einmal angetretenen Bahn fortzuwandeln. Mein Unstern wollte es so, ich wollte es anfangs nicht, ich hatte mich dagegen gesträubt, aber wer A gesagt hat, muss auch B sagen.«

Als der Meister dieses erzählte, da war es in der Glockenhoferzechstube mäuschenstill geworden, sogar der kalte, steinharte Langhanns schwieg still und schaute ernst in die Glut hinein, das Triefauge hatte vergessen Holz zuzulegen; selbst den steinernen Räuberherzen entstiegen Seufzer, welche andeuteten, dass auch sie die Geschichte ergriffen hatte. Alle hatten ihre Köpfe gesenkt oder machten es wie Langhanns, sie blickten ernst in den Kamin hinein. Es war ein sonderbares Spiel, das hier in der Räuberhöhle die Macht des ewigen göttlichen Rechtes mit von Grund aus verdorbenen Seelen trieb. Das Halbdunkel erhöhte noch den Ernst der Scene.

Selbst der Meister schien von seiner Erzählung angegriffen; erst nach einer längern Pause fuhr er in seiner Rede fort:

»Am andern Tage stand ich schon an der Arbeit, als der Meister, der auch immer einer der ersten war, daherkam.

›Hast Du rothe Augen!‹ sprach er zu mir. ›Hast gewiss wenig geschlafen oder gar geweint? –‹

›Das eben nicht!‹ sagte ich, ›aber schlafen konnte ich nichts, gar nichts!‹

›Wie das junge Volk thöricht ist, wenn es sich etwas in den Kopf setzt!‹ sagte der Meister, ›doch frisch jetzt an die Arbeit! Abends wirst Du Dein Schicksal erfahren!‹

Das Arbeiten an jenem Tage gieng mir gar nicht vonstatten und der Meister lächelte oft, wenn er mir zusah, wie ich manches verkehrt angriff; dieser Tag kroch, wie mir schien, den Schneckengang. Endlich war Feierabend, es gieng zum Essen. Mein Appetit war gering, es wollte nichts den Hals hinab.

Nach Tische wusch sich der Meister das Gesicht und die Hände, zog sein Wams an, setzte den Hut auf und gieng, noch einen bedeutsamen Blick auf mich werfend, zur Thüre hinaus.

Wohin er gieng, wusste nur ich allein, ein ›Ja!‹ und ein ›Nein!‹ von Martha, das er bringen würde, war für mich gleich verhängnisvoll.

Als der Meister in Marthas Häuschen trat, sprang das Mädchen vom Tische auf und rief der Mutter, die eben in der Küche war, zu: ›Mutter, der Göth' ist da! Mutter – der Göth'‹ und dabei ergriff sie dessen Hand und nöthigte ihn hinter den Tisch hinein. ›Jetzt könnt Ihr mit uns halten, ist zwar nichts Seltenes, was wir haben, eine Milchsuppe. Ich aber esse sie sehr gern, Ihr seid freilich etwas besseres gewöhnt, aber ein paar Löffel voll verschmäht Ihr doch nicht, nicht wahr, lieber Göth?‹

›Vergelt es Dir Gott, Kind!‹ sagte der Meister, ich komme soeben vom Nachtmahle.‹

›Aber ein Paar Aepfel von Eurem Göthenkinde werdet Ihr nicht zurückweisen, Väterchen!‹ fragte Martha, ›ich will gleich in den Keller hinab, sie zu holen. Sie schauen unten auf der Bühne zwischen dem Stroh so gelb und rothbackig heraus, dass es eine Lust ist, und gerade die schönsten habe ich für Euch beiseite gelegt.‹

›Ich will sie in die Tasche stecken und mitnehmen,‹ sagte der Meister, ›mein Altgeselle Hanns soll auch ein Paar bekommen; nicht wahr, Du hast nichts dagegen?‹

Als der Meister mich nannte, da war es, als ob er dem Mädel eine Hand voll Blut ins Gesicht gegossen hätte. Martha schlug scheu ihren Blick auf den Boden, gerade so, als ob der Göth sie über ein Verbrechen ertappt hätte.

›Warum wirst Du denn so roth,‹ fragte der Meister, ›da ich von Hanns spreche, kennst Du ihn vielleicht von Angesicht?‹

Und auf diese Frage wurde Martha noch verwirrter, sie wusste nicht, was antworten. Hatte der Göth ihr Geheimnis aus dem Herzen gelesen? Wie grausam war es von ihm, ihr es zu entlocken, und doch hatte es der Göth schon heraus, er brauchte weiter nichts mehr. War er ja theilweise selbst Schuld, dass Martha auf Hanns ein Auge geworfen, hatte er ja so viel Gutes oft von ihm erzählt, und die Geschichte von gestern hatte diesen Hanns, den Martha schon oft gesehen hatte, gar in ihre Wohnung geführt, und er war so schüchtern, so bescheiden; nun steckte er erst recht in Marthas Herzen, obwohl sie sich bestrebte, sein Bild sich aus dem Kopfe zu schlagen.

›Geh' nur, Martha!‹ sprach der Meister, ›hole die Aepfel, ich werde inzwischen zur Mutter in die Küche gehen.‹ Jedoch diese trat eben in die Stube. Martha war froh, aus ihrer Klemme herauszukommen. Sie gieng in den Keller und hatte dort lange zu suchen und zu schaffen. Sie wollte sich von ihrer Verwirrung erholen und vor dem Göth gleichmüthig erscheinen.

›Gevatter, kommt Ihr endlich wieder einmal nach so langer Zeit!‹ sagte die Mutter, ›dies freut mich!‹

›Gott zum Gruß'!‹ Und der Meister streckte ihr die Hand zum Gruße hin. ›Setz' Dich her zu mir!‹ sagte der Meister, ›ich habe heute ein sehr wichtiges Geschäft mit Dir abzumachen.‹

›Was wäre das?‹ sprach die Alte, ›ich bin neugierig, womit ich Euch gefällig sein könnte!‹

›Siehst Du!‹ sprach der Meister, ›Du hast eine Tochter, sie hat jetzt so ihre Jahre, wo man daran denken kann, sie zu verheiraten. Wenn Du eines Tages Dein Haupt zur Ruhe niederlegen würdest, so wäre sie allein, und für ein junges Mädel bei der jetzigen Welt allein zu sein, ist ziemlich gefährlich. Hast Du noch nie daran gedacht?‹

›Wohl habe ich daran gedacht!‹ sprach die Mutter, ›jedoch Martha hat noch nie daran gedacht, sie scheut den Umgang mit Männern; ja, denkt Euch nur, als gestern Euer Altgeselle vor dem Hause am Brunnen saß, um Wasser zu trinken, und Martha, die eben Wasser holen wollte, ihn erblickte, ließ sie das Wasserschäfflein fallen und lief davon. Der Altgeselle brachte dann das Schäfflein in die Stube und Martha stand da wie eine arme Sünderin. Seitdem kenne ich auch Euren Altgesellen, den Hanns näher. Gesehen habe ich ihn früher schon oft. Sein eingezogenes Wesen gefällt mir.

›Nun denn!‹ sprach der Meister, ›wenn der Hanns Deine Martha zum Weibe nähme, hättest Du etwas entgegen?‹

›Der Hanns meine Martha?‹ fragte überrascht die Mutter, ›wird der geschickte Glockengießergeselle, der einstens einmal ein braver Meister werden wird, ein Bauernmädl mögen? Und dann weiß ich auch nicht, ob etwa Martha geneigt ist, so lange ich lebe, zu heiraten! Zwar kommt sie mir seit einiger Zeit etwas sonderbar vor, sie ist nicht mehr so heiter als gewöhnlich; sie sucht gern einsame Plätze und seufzt, und gerade seit der gestrigen Geschichte mit Eurem Hanns hat es mit ihr gar nicht mehr das Rechte. Nun, wenn Hanns und Martha wollen, kann ich nicht entgegen sein; denn Ihr habt immer Euren Hanns als so brav angerühmt.‹

›Ich meine, Gevatterin!‹ sprach nun der Meister, ›die Leute passen für einander. Der Hanns hat mich angeredet, ich möchte für ihn um die Hand der Martha werben. Fragen wir Martha, ich höre sie eben die Kellerstiege heraufkommen!‹

Martha tritt ein, in der Schürze die schönsten Aepfel tragend, die sie im Keller gefunden hat, sie legt die goldgelben Dinger vor den Göth' auf den Tisch hin, ohne es nur zu wagen, ihn anzusehen.

›Sag' mir, Martha!‹ sprach der Meister, ›wie wäre es denn, wenn der Hanns da wäre, und Du ihm die Aepfel selbst geben würdest, würdest Du sie auch fallen lassen, wie das Schäfflein?‹

›Quält mich nicht länger, lieber Göth'!‹ sprach das Mädchen, ›wenn Ihr wüsstet, wie schmerzlich Eure Worte in meine Seele hineinschneiden, so würdet Ihr es unterlassen‹ Martha fieng dann an zu weinen und bedeckte ihr Antlitz mit der Schürze.

›Kind, so bös ist es nicht gemeint!‹ sagte jetzt der Meister. ›Höre nun, was würdest Du sagen, wenn der Hanns Dich zum Weibe nähme und ich und Deine Mutter dazu Ja sagen würden?‹

›Mich der Hanns zum Weibe nehmen?‹ fragte Martha ungläubig und traurig den Kopf schüttelnd, ›der Hanns wird ein so einfältiges Mädl, wie ich bin, nicht mögen, ich wäre für ihn weit zu schlecht! Göth', Ihr habt mir das Geheimnis abgelockt, das mich drückt! Seid damit zufrieden und martert nicht ein Mädchen, das ihr Herz vielleicht zu wenig bewachte! Aber, lieber Göth', ich will schon zur Mutter Gottes beten, dass sie mir diese Gedanken vergessen helfe, und dass ich mein Herz bemeistere, wenn es auch hart geht; das verspreche ich Euch!‹

›Wenn mich aber der Hanns selbst geschickt hätte, um Deine Hand zu werben?‹ fragte der Meister, ›würdest Du dann noch zweifeln?‹

›Ist's möglich?‹ rief rasch Martha, ›der Hanns hätte Euch geschickt?‹ Und ein Strahl der Freude goss sich einen Augenblick über ihr Antlitz aus, dann aber wurde sie wieder traurig, und fuhr fort: ›Ihr scherzt nur, Göth'! Ich kann Euch aber sagen, das ist ein grausamer Scherz, Ihr stört meiner Seele den Frieden.‹

›Kennst Du den alten Glockengießer, Deinen Göthen, so wenig?‹ sprach nun ernst der Meister, ›ich scherze in solchen Dingen nicht, Deine Mutter wird es mir bezeugen!‹

Als der Meister dieses sagte, da glaubte es Martha endlich, sie blickte bald die Mutter, bald den Göth' unter Thränen lächelnd an. Sie drückte ihre Hände zusammen. Man sah es ihren glänzenden Augen an, dass der innigste Wunsch ihrer Seele dadurch erfüllt würde.

›Also ist es Dir recht, Martha?‹ fragte der Meister weiter.

›Ja!‹ lispelte Martha, ›wenn es meiner Mutter und auch Euch Göth' recht ist! Ohne Euch thue ich nichts!‹

›Du bist doch ein braves Kind!‹ sagte der Glockengießer, ›der Herr wolle Dir einst Glück und Segen und fröhliche Tage schenken, ich gönne sie Dir! Nun, Gevatterin, haben wir's in Ordnung, nicht wahr? Die Hand her!‹

›Ja, Meister!‹ sprach die Mutter, ihm die Hand reichend, ›Ihr habt immer väterlich für meine Martha gesorgt, ich lege das zeitliche und ewige Glück meines einzigen Kindes in Eure Hände.‹

›Nun will ich dem Hanns die Botschaft bringen!‹ fuhr der Meister fort, ›er wartet mit Sehnsucht auf mich. Welche Freude wird er haben. Martha, der gute Bursche dauerte mich! – Nun lebt wohl, gute Nacht! Morgen bin ich mit Hanns bei Euch, er soll Euch dann selbst mehr sagen!‹

Der Meister gieng, und in dem einsamen Häuschen war es diesen Abend ganz anders geworden. Martha ließ die Mutter in ihrem Herzen wie in einem Spiegel lesen. Martha und die Mutter redeten über die Zukunft fast bis Mitternacht, dann aber knieten sie sich nieder zum kurzen Nachtgebete und begaben sich zu Bette.

Martha träumte sich mit Hanns am Altare. Die Mutter aber träumte von ihrem seligen Mann, wie sie noch jung war und er sie auch zum Altare geführt hatte. Als sie erwachte, wischte sie sich eine Thräne aus den Augen und betete für seine abgeschiedene Seele.

Wie klopfte mir das Herz, als der Meister in die Essstube trat, ich war noch allein da!

›Gute Botschaft!‹ rief mir der Meister zu, ›die Martha ist Dein, ich habe ihr und ihrer Mutter Jawort!‹

Da war es mir, als gieße man mir geschmolzenes Erz in meine Adern, ich fühlte mich selig und doch stach mich ein Stachel heftig und bitter unter dem Stein des Herzens. Der Knoten sollte geknüpft werden, ich sollte die unschuldige Martha mit mir schrecklichem Scheusal zum Altar schleppen. O wenn ich schuldlos gewesen wäre, was wäre das für eine schöne Zeit gewesen, als Martha am andern Tage mir vor dem Meister und ihrer Mutter verschämt ihr Ja wiederholte und mir ihre Hand reichte! Sie blickte mich so vertrauensvoll, so beseligt an, dass ich hätte in die Erde hineinsinken mögen. Sie erwartete von mir ein Leben voll Glück und rosiger Freude, ich aber war gewiss, dass ich ihr mit meiner Hand den bittersten Wermuthskelch reichen werde. Ich getraute mir nicht, ihr länger ins Auge zu schauen; denn ihr Auge war engelrein, und ich meinte, sie hätte in meine schwarze Seele hinabgesehen, wenn ich ihr meinen Augenspiegel vorgehalten hätte.

Unter allen Unthaten meines Lebens bereue ich am meisten dieses, dass ich so eine unschuldige Seele heuchlerisch um ihr ganzes Leben betrog.

Unsere Heirat verzögerte sich; denn bald nach unserer Verlobung wurde Marthas Mutter zu Grabe getragen. Martha war über diesen Verlust so niedergebeugt, dass ich ihre Wunde durch den Lauf der Zeit vernarben lassen musste. Bald darauf starb auch mein guter Meister, wie ich Euch schon erzählt habe; in Büchsenhausen war nun meines Bleibens nicht mehr; denn ein Fremder trat nach ihm den Besitz der Glockengießerei an, und mit diesem kam ich nicht zu fahren. Ich beschloss daher, selbst eine Meisterei anzufangen. Da Martha auch nichts an ihre Heimat fesselte, sondern dort nur ihr Schmerz über den Verlust ihrer Mutter immer wieder aufgefrischt wurde, verabredeten wir, ihr Anwesen zu verkaufen und hier uns anzusiedeln. Ich kaufte den Glockenhof hier. In Volders wurde ich dann mit Martha getraut. Wie schön war sie, als sie in ihrer jugendlichen Blüte wie eine zarte Rose am Altäre stand und zuletzt noch an der Stufe desselben innig um des Himmels Segen flehte. – O hätte ich sie doch damals verlassen und doch konnte ich nicht mehr zurück, es war zu spät! – Wir waren Mann und Weib, und ich führte sie als Hausfrau in den Glockenhof ein.

Was später geschah, sollt ihr ein anderes Mal hören. Für heilte geht so manches in meinem Kopfe um, dass ich den Faden der Geschichte nicht mehr recht finde.«

Nach diesen Worten des Meisters giengen die Gesellen wie gestern in ihre Kammer zur Ruhe. Aber man hörte heute bei ihnen droben kein rohes Gelächter mehr, wie es sonst gewöhnlich vor ihrem Einschlafen zu ertönen pflegte.

Jeder machte sich über das vom Meister Erzählte seine eigenen Gedanken. Nur dem Langhanns war das Ding bald aus dem Gedächtnisse, er schnarchte zuerst auf seinem Lager.


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