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8.
»Prüske Dickköppe«

Franz Joseph Gall, Anatom und Phrenolog, war auf seiner Rundreise durch die größeren Städte Deutschlands auch nach Münster gekommen, wo Blücher, nach der Besetzung des Münsterlandes, als preußischer Gouverneur residierte.

Er las dort Gläubigen und Ungläubigen ein Kolleg über Dickschädel, Hohlschädel und andere kraniologische Kuriosa vor. An der Hand eines menschlichen Kraniums entwickelte er seine ebenso neue wie aufsehenerregende Lehre, in der er es unternahm, nach der Gestaltung der Schädeldecke auf das Geistesvermögen eines Menschen zu schließen.

Das war im »Staate der Heiligen«, wie Blücher sie nannte, nichts denn ein tollkühnes Beginnen und ein Greuel vor dem Herrn! Zum Entsetzen aller Strenggläubigen unternahm der Herr Physikus ja nichts mehr und nichts weniger als die Seele – die bis jetzt alleinige Domäne der heiligen Kirche – zum Objekt einer profanen Wissenschaft erniedrigen zu wollen!

Man hatte sich wohl, durch die vor kurzem begonnenen Säkularisationen, an vieles gewöhnen müssen! Man hatte gesehen, wie der Kirche Ländereien und Viehherden entzogen worden waren! Man staunte über nichts mehr!

Aber eine Lehre, die die Decke eines ehrsamen Bürgerschädels und bisherige bevorzugte Abladestelle kirchlichen Segens auf die Geheimnisse des darunter gehorsamst schlafenden Seelenlebens untersuchen wollte – die dessen Hügel und Talmulden zum Forschungsgebiet einer ganz gemeinen Neugier erniedrigte und den Geist sozusagen mit den Fingern betasten wollte, die ginge doch, und nicht nur figürlich, über die Hutschnur!

Für Blücher war die Phrenologie ein gefundenes Fressen und eine Belustigung besonderer Art.

Als alter Husar hatte er wohl stets seinen Kopf für sich gehabt und sich wenig darum gekümmert, ob oder inwiefern er ins System der anderen hineinpaßte.

Als Gouverneur mußte er ihn aber von Amts wegen täglich mit so vielen andersgearteten Querköpfen karambolieren lassen, daß er freudig jeden Versuch begrüßte, eine Art Topographie des menschlichen Schädelgeländes zu schaffen.

Es brachte immerhin ein bißchen Ordnung in die Sache hinein und würde am Ende doch noch dazu beitragen, den amtlichen Geschäftsgang zu vereinfachen! Wenn der Herr Gouverneur sich auch nicht verhehlen konnte, daß amtliche Konfusionen mit überflüssigen »Rückfragen« und anderem verfänglichen Geschreibsel, als Ausfluß höchster Beschränktheit, durch nichts mehr zu beschränken seien! –

Immerhin verdiente der Versuch behördliche Beachtung!

Der Herr Gouverneur zählte also zu den eifrigsten und aufmerksamsten Besuchern der Gallschen Vorlesungen, was in der guten Stiftsstadt sehr bemerkt wurde und zu allerlei Vermutungen und Auslegungen Anlaß gab.

Mit ehrfürchtigem Staunen blickten die guten Münsterianer scheu zu seiner hohen Gestalt hinüber, die, in der ersten Stuhlreihe sitzend, alle überragte, und mindestens ebensosehr die Aufmerksamkeit auf sich zog wie die ketzerischen Ausführungen des gelahrten Herrn Physikus.

Weder das noch die wortlose Entrüstung eines ehrsamen Auditoriums entgingen seiner Aufmerksamkeit.

Mit liebkosender Schärfe musterten seine Blicke die Sammlung erlesener Schädel, die sich hier ein Stelldichein gegeben hatten, wie um als unfreiwillige Demonstrationsobjekte zu dienen. Seine Augen leuchteten vor diebischer Freude auf, und es zuckte spitzbübisch schlau um die Mundwinkel hinter dem herabhängenden Schnauzbart, wenn er einen besonders leckeren »Ball« entdeckte.

Am häufigsten schielte er zum Nachbar links hin, dessen kurze stämmige Gestalt den geraden Gegensatz zu ihm selbst ausmachte. Wie Raubvögel umkreisten seine Adlerblicke den gewaltigen Kopf, aus dessen Gesicht, unter buschigen Brauen, eine mächtige Hakennase gebietend hervorsprang.

Schmunzelnd wie ein Gourmet, dem sein Leibgericht aufgetragen wird, saß er mausestill da, stellte aus nächster Nähe seine Untersuchungen an und schien zu ganz merkwürdigen Schlüssen zu kommen. Indessen sein Opfer, in Gedanken versunken, den Vorlesungen kaum zuzuhören schien und noch weniger die Aufmerksamkeit beachtete, deren Gegenstand es war.

Endlich war der Anatomus mit seinen Ausführungen zu Ende, nahm sein Kranium unter den Arm, rollte sein Manuskript zusammen, verneigte sich würdevoll, ging und ließ sein kopfschüttelndes Auditorium sitzen.

Blücher stand auf, und sein Nachbar ebenso, den er jetzt, im Stehen, um Haupteslänge überragte.

»Wissen Sie was, Baron?« fragte er lächelnd und strich seinen langen Schnurrbart hoch. »Als der Physikus soeben den Totenschädel aufhob, da dachte ich: ›Nun geht das Kegelschieben los! Nun schmeißt er ihn nach den anderen Köpfen!‹ Die wackelten auch schon bedenklich! Die wären durcheinandergekollert, daß es eine Lust wäre! An seiner Stelle hätte ich den Wurf getan! So 'ne Sammlung Dösköppe war noch nicht da! Sehen Sie sie nur an!« flüsterte er. »Ausschaun tun sie wie ein Haufen ›Marterln‹ von allen möglichen Stoppelfeldern hierherverpflanzt! Und statt der gewohnten Krähen und Dohlen schwirren ihnen lauter funkelnagelneue Gedanken um die Köpfe, daß sie nicht mehr wissen, woran sie sind, und der Herr Physikus noch weniger.

Keine Ahnung hat er – keine Ahnung! Was er da schwefelt, mag vor die Franzosen gut genug sein, ihnen die Würmer aus der Nase und das Geld aus den Taschen zu ziehen – was ich übrigens den Geizhälsen gönne! Aber so'n richtiger preußischer Dickkopp, wie ich einer bin, und Sie erst recht, Baron, der wird nimmermehr zugeben, daß man den Schädel erst befühlen muß, um zu wissen, ob einer lange Finger hat oder nicht. Der wird nicht sein ›Bekämpfungsvermögen‹, wie die Ochsen, mit dem Schädel dartun, sondern mit blanken Hieben und derben Maulschellen, wenn's not tut. Und was das ›Eigentumsvermögen‹ betrifft, das er auch vom Schädel ablesen will – –«

»Da«, lachte der Baron, »setzen Sie sich an den Spieltisch und verlieren Sie und weisen es so – negativ nach!«

»Ich gewinne auch, mein Verehrtester, und nicht zu knapp! Und das liegt bei den Karten und hat mit dem Schädel nichts zu tun!«

»Soweit ich ihn verstanden habe,« sagte der Baron, »gingen seine Ausführungen auch nicht so weit auf das Gebiet des praktischen Lebens ein. Er wollte, meines Erachtens, nur rein theoretisch dartun, wie eine geistige Fähigkeit mit den Hirnpartien, in denen sie ihren Sitz hat, ab- oder zunimmt, und nachher durch die dadurch entstehenden Unebenheiten des Schädels nachzuweisen ist.«

»Das ist eben falsch«, sagte Blücher bestimmt. »Die Erhöhungen des Schädels besagen gar nichts – bei den meisten Menschen jedenfalls nicht mehr als: ›Hier ist beim gewöhnlichen Rindvieh der Platz für die Hörner!‹ – Da können Sie sich auf mich, als alten Landwirt, verlassen! Sehen Sie sich nur in den Spiegel, Baron!«

Der Baron blickte ihn an.

»Ich möchte doch sehr bitten!« sagte er scharf.

»Sehen Sie sich nur in den Spiegel!« lachte Blücher. »Nach den Theorien Galls müßten Sie ein gutmütiger, braver Spießer sein – sanft, fromm und nachgiebig – das Muster eines Familienvaters! Nach meinen dagegen – und ich verstehe etwas von Köppen – ich habe mein Lebtag so ville eingeseift – nach meinen Theorien also, und wenn ich nicht wüßte, daß Sie der Reichsfreiherr vom Stein sind und Oberpräsident der Westfälischen Domänenkammer – da würde ich sagen: das ist ein Raufbold schlimmster Sorte!«

»Um Gottes willen!«

»Oder zum mindesten ein geheimer Raubmörder!«

»Das auch noch!«

»Gestehen Sie's nur, Sie haben so etwas auf dem Kerbholz!«

»Nicht einmal im Traum!«

»Sie werden doch unter Ihren reichsritterlichen Ahnen wenigstens einen von der Sorte haben?«

»Kann schon sein!«

»Nun, sehen Sie! Da werden Sie von ihm ebensoviel geerbt haben, wie ich von dem meinigen, und mit mir eines Sinnes sein und eine Schädellehre haben, und die ist nun die nämliche: wenn all die Dickköppe und Strohköppe und Hohlköppe und Dösköppe und Schafsköppe und Quasselköppe, von denen der Schädelgelehrte da nichts wußte, obwohl wir hier im Lande einen Überfluß daran haben – wenn die alle im Staate mitreden sollten, wie Sie es wollen, oder sich gar zu einem Parlament zusammentun dürften, um Geschrei und allerlei Konfusion zu machen – wie drüben in Paris –, das wäre weit schlimmer als eine allgemeine Kopflosigkeit! Da hilft nur ein Mittel dagegen, und das ist nun das nämliche, was die Jakobiner so gut zu handhaben wußten, nämlich: die Guillotine! Aber auf die richtige Art angewandt – an den Jakobinern selbst. Runter mit dem Salat, das hilft! Nachher wird kein unnütz Stroh gedroschen!«

»Der Meinung bin ich nun nicht!« antwortete der Baron energisch. »Es schadet nicht, daß die Leute ihr Stroh dreschen, wenn sie nur mittun und mitempfinden lernen. Nur wenn sie sich auch verantwortlich fühlen, nur dann wird das eingeschlafene Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Vaterland wieder wachgerüttelt. Und kein Fremder darf dann wagen, an deutsche Gaue Hand legen zu wollen, wie er es jetzt wieder versucht!«

Sie waren inzwischen aus der Akademie herausgekommen und gingen langsam durch die Straßen der alten Stadt nach Hause.

Auf dem Domhof kam ihnen eine goldstrotzende Prozession entgegen mit wehenden Fahnen, Blumen und Weihrauch und der gesamten Geistlichkeit in prachtvollen Gewändern.

»Was nützt uns das Wachrütteln,« sagte Blücher, »wenn die da die Macht haben, die Geister wieder einzuschläfern?«

Der Freiherr zog seinen Hut, und Blücher salutierte, bis die Prozession vorbei war.

»Haben Sie gesehen, wie bös die Kerle mich anschielten?« fragte er dann den Baron. »Die giften sich gewaltig, weil ich hier die Freimaurerloge wieder aufgemacht habe. Een ›prüsken Windbüdel‹ – een ›lutherschen Dickkopp‹ haben sie mich genannt. Der Windbüdel setzt ihnen aber noch ganz was anderes als die Loge auf die Nase!«

»Da drüben hält eine andere Prozession«, sagte der Freiherr und zeigte auf drei Soldaten, die einen gefangenen Deserteur transportierten und ebenfalls von der Prozession aufgehalten worden waren. Sie blieben noch stehen, um den General zu salutieren.

»Antreten! Melden!« rief Blücher sogleich, als er sie sah. Und die Leute kamen über die Straße, grüßten ihn nochmals und gaben ihren Rapport ab.

Blücher blickte den Gefangenen unwillig an. Er war ein junger, kräftiger Bursche. Die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt.

»Schämst du dich nicht, Bursche?« rief Blücher ihm zu. »Siehst, wie der Franzos überall in der Welt haust und wie er seine langen Finger nach immer mehr deutscher Erde ausstreckt – hast zwei kräftige Arme zum Dreschen und willst dich drücken, willst nicht helfen, deine Heimat von den Schuften zu säubern?! Abführen!« rief er, und die Leute salutierten und zogen mit ihrem Gefangenen ab.

»Vaterlandsloser Gesell!« kam es noch verdrießlich aus dem Gehege seiner Zähne hervor.

»Das ist er wohl. Aber nicht durch eigene Schuld!« sagte Stein energisch. »Und das dürfen Sie ihm darum auch nicht vorwerfen!«

»Das wäre wohl auch!«

»Der, wie die meisten seinesgleichen, hat kein Vaterland! Der hat nur einen Herrn, der von ihm möglichst viel Steuern herauspreßt und ihn womöglich noch zum Kriegsdienst aushebt. Und hat er nicht den einen Herrn, so hat er den andern. Wer's ist, ist ihm gleich – ob Preuße, ob Franzose, was schert das ihn, wenn er ihn nur möglichst wenig bedrückt! Das vaterländische Gefühl ist eben überall bei uns im Aussterben. Ich sagte es ja schon, und auch, wie es zu bessern wäre, wenn nicht zu spät damit angefangen wird!«

»Ein Glück, daß die Fahnenflüchtigen unter meine Gerichtsbarkeit fallen! Denn wenn Sie, Herr Präsident, ihn abzuurteilen hätten –«

»Ich würde in dem Falle versucht sein, Milde walten zu lassen – ich gestehe es! Übrigens werde ich bald hier nichts mehr zu richten haben!«

»Sie sind schon amtsmüde? Nach kaum zwei Jahren?«

»Das nicht! Man hat mich nach Berlin in die Regierung berufen. Ich soll Minister werden.«

»Und Sie? Haben Sie angenommen?«

»Ich habe – bedingt angenommen. Ich möchte mir wohl die Gelegenheit nicht entgehen lassen, zum Besten meines Vaterlandes tätig zu sein. Aber – ich möchte sie auch gehörig ausnutzen können!«

»Das traue ich Ihnen schon zu. Der König liebt es aber nicht, wenn man ihm Bedingungen stellt!«

»Ist mir gleich!«

»Was hat er denn geantwortet?«

»Er hat – bedingt zugestimmt!«

»Das ist bei ihm schon viel! Mehr erreichen Sie sicher nicht!«

»Das genügt mir aber nicht. Entweder ich bekomme die Befugnisse, die ich brauche, um etwas leisten zu können, oder ich gebe mich mit dem ganzen Kram nicht ab!«

»Was haben Sie denn verlangt?«

Der Freiherr blieb stehen, faßte Blücher an einem Rockknopf und zwang ihn so, auch stehenzubleiben. Ohne sich um die Blicke der Vorübergehenden zu kümmern, fing er dann an, seine Pläne zu entwickeln, durch die er dem alten Schlendrian den Garaus zu machen gedachte und das alte Preußen von Grund aus umgestalten wollte.

Erst den Beamtenkörper neuordnen, die ganze Verwaltung vereinfachen, die eigene Jurisdiktion und Finanzverwaltung der Provinzen aufheben und einschlägige Fachminister für das ganze Land einsetzen, so dem Reich den fast föderativen Charakter nehmen und seine Teile zu einem Ganzen verschmelzen – die Regierung vereinfachen; statt Generaldirektion und Justizministerium und dem allein mit der Person des Königs verkehrenden »Kabinettsministerium« ein Konseil einführen, dessen Mitglieder sämtlich direkt mit dem König verkehren könnten – dann durch Städte- und Landgemeindeordnungen Rechte und Pflichten der Bürger und der Landbevölkerung festlegen, ihnen Selbstverwaltung geben, das Gewerbe frei machen, den Besitz ebenso, die Fessel des Handels beseitigen, die Armee neuordnen auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht, so daß das Werbesystem abgeschafft würde und ein jeder es als eine Ehre statt als einen Zwang empfände, das Vaterland zu verteidigen. Zuletzt eine Volksvertretung einsetzen, mit gesetzgebender Gewalt, die die Haushaltung des ganzen Staates zu regeln haben würde – –«

»Das ist schlau von Ihnen, Baron, die Volksvertretung zuletzt zu nennen«, sagte Blücher. »Ich hatte schon Angst, Sie würden damit den Anfang machen wollen! Die Jakobiner und ihr Gequassel hätten wir sowieso früh genug! Wenn die bei Ihren Reformplänen mitreden sollten – Sie würden sich wundern, was dabei alles herauskäme! – Sie würden Ihr eigenes Kind nicht mehr wiedererkennen und all Ihre schönen Pläne ins Wasser fallen sehen! Am besten lassen Sie die Redebude ganz fahren. Die vertrödelt bloß die Zeit, weiter nichts! Wozu denn! Machen Sie's lieber ganz allein! Machen Sie's mit der königlichen Verordnung – die schafft's, wenn der richtige Mann sie handhabt. Das sah man beim Alten Fritzen! Beschließen – befehlen, und die Sache ist da! Und ist sie gut und ist sie richtig gemacht, dann erst lassen Sie die Leute reden, wenn's durchaus sein muß! Da ändert an einer rechten Sache auch ein ganzes Parlament von Hohlköpfen nichts!«

»Das Volk muß,« sagte der Freiherr energisch, »und das ist das allerwichtigste und davon gehe ich nicht ab – das Volk muß wissen, daß es in seinen eigenen Lebensangelegenheiten mitzureden hat! – Es muß fühlen, daß es nicht nur dazu da ist, um ausgebeutet zu werden. So wie jetzt, ist es ganz teilnahmlos. Wenn heute alles zugrunde ginge – es würde sich nicht im geringsten dafür interessieren. Denn der Staat ist sein Feind – oder er ist ihm zum mindesten gleichgültig! Das Volk empfindet nicht, daß es selbst der Staat ist! Gelingt es nicht, ihm das zum Bewußtsein zu bringen, so sind wir als Staat verloren und als Volk erst recht.«

»Verehrter Freund,« antwortete Blücher, »es kann sein, daß Sie recht haben! Wir haben aber keine Zeit, kostspielige Versuche zu machen. Die Welt brennt jetzt an allen Ecken und Enden – sollen wir da Kinder und unerfahrene Leute mit dem Feuer spielen und unser eigenes Dach in Brand setzen lassen? Was sagte ich vorhin – den reinen Verbrecherkopf, den reinen Verbrecherkopf haben Sie!«

Stein lachte. Aber Blücher faßte ihn beim Arm und zeigte auf den Turm der Lambertikirche.

»Sehen Sie da hinauf«, sagte er. »Da oben baumelten vor etlichen Jahrhunderten – wie viele ist mir Wurst – zwischen Himmel und Erde, in den drei eisernen Käfigen, je ein solcher Neuerer wie Sie! Sie wissen: der Schneidermeister und König vom ›Neuen Zion‹, Johann von Leiden, Knipperdolling, sein Kanzler und Henker, und Krechting – denn so hieß wohl der Dritte im Bunde! Die hingen da, bis die Vögel des Himmels ihnen das Fleisch von den Knochen gerissen hatten. Und das waren Leute, die auch – in ihrer Weise – das Volk ›frei‹ machten, das Alte, Bewährte in Trümmer schlugen, mit Feuer und Schwert vertilgten und ›das Neue Reich‹ aus dem Schutthaufen aufrichteten. Vergessen Sie nicht: wir stehen hier auf dem klassischen Boden solcher Revolutionen, mitten im ehemaligen Reiche der Wiedertäufer.«

»Für blutige Revolutionen,« sagte der Baron ruhig, »wie damals die der Wiedertäufer und heute die Französische, ist hier bei uns kein dauernder Boden. Die Methode führt bei uns zu weiter nichts, als zu stärkster Gegenwirkung. Wir müssen das anders machen, wenn wir uns verbessern wollen – und das möchte ich eben versuchen.«

»Das tun Sie nur, Baron. Gehen Sie nach Berlin! Ich behielte Sie wohl am liebsten hier, aber da sind Sie uns viel nötiger! Gehen Sie nach Berlin – – seien Sie frech –!«

»Frech nicht, aber entschieden!« lächelte der Baron.

»Das ist bei mir ein und dieselbe Chose!« sagte Blücher, nahm ihn beim Arm und zog ihn weiter mit.

»Eins bitte ich mir aber aus«, sagte er dann im Gehen. »Wenn Sie dabei sind, alles neu zu machen – von der Armee lassen Sie die Finger! Die besorgen wir vom Bau besser!«

»Ihr vom Bau hängt zu sehr am Althergebrachten, um Neuerungen die rechte Unbefangenheit entgegenzubringen!«

»Man muß wohl, wie Sie, unabhängiger Reichsritter gewesen sein, keine Armee zu kommandieren und kein Land zu regieren gehabt haben, um beides besser zu verstehen – nicht wahr?« lachte Blücher.

»Ganz gewiß. Da behält man eben den Kopf frei, hat keine Scheuklappen vor den Augen und ist an nichts gebunden als an sein gesundes, natürliches Urteil!«

»Sehen Sie – das gefällt mir bei Ihnen, Baron! Aber trotzdem mag ich nicht, daß die Zivilisten an der preußischen Armee herummäkeln! Es ist ja viel daran zu bessern, das stimmt. Aber es steckt ein guter Kern darin, der erhalten zu werden verdient –«

»Eben weil der Kern in der preußischen Volkskraft ruht«, sagte der Freiherr. »Aber nur wir Eingeweihte empfinden das. Das Volk müßte sich dessen auch bewußt werden, damit es an unserer Wehr mitschafft und so seine Kraft verdoppelt!«

»Wer würde das nicht wünschen? Sie wollen aber alles wegwerfen und von Grund aus neu aufbauen.«

»Auf altem Grund neu – –«

»Das geht zu weit. Was gut und wertvoll ist vom alten Gemäuer, das müssen wir mit hinübernehmen – wie unsere Vorfahren bei ihren Kirchenbauten. Die fingen oft romanisch an – sehen Sie nur die alten Kirchen im Lande an – und bauten ruhig gotisch weiter, sobald die Zeit es verlangte, und schlugen so in einem Bau Brücken von Zeitalter zu Zeitalter. So eine Brücke ist unsere Armee. Werft sie ab – und drüben bleibt der Geist der Ordnung, der Tapferkeit und des unbeugsamen Mutes, der sie immer auszeichnete, und kann nicht zu uns herüber.«

»Der braucht nicht herüberzukommen, denn er ist da, wie er immer in unserem Volke da war. Er wird uns täglich neu geboren!«

»Aber auch täglich wieder totgeschlagen«, erwiderte Blücher ernst. »Und das eben möchte ich vermieden wissen! Solch einen Totschlag am Geist der Ordnung und Tapferkeit wollt ihr Herren vom Zivil eben begehen, wenn ihr die Hände nach dem preußischen Heere ausstreckt! Ihr sollt mir aber die preußische Armee nicht kaputt machen wollen. Ich habe mit in ihren Reihen gekämpft im Siebenjährigen Kriege – ich war mit ihr in Polen, in den Niederlanden, am Rhein Anno dreiundneunzig und vierundneunzig –, ich habe gesehen, was der preußische Soldat kann, wenn die Führung taugt. Ich verstehe etwas von der Sache und weiß, solch eine Waffe wirft man nicht ohne weiteres fort! Schwerenot! Wenn ich einen guten, scharfgeschliffenen Säbel habe, der mir gut in der Hand liegt und mir vertraut ist, den werf' ich nicht zum alten Eisen und hole mir einen neuen, der mir am Ende weniger zusagt, sondern ich hau' feste zu! Aufs Dreinhauen kommt's heute noch an wie immer! Der richtige Kerl muß nur da sein, der die Waffe der Väter zu führen versteht, dann taugt sie auch!«

»Das weiß ich ebensogut wie Sie!« versetzte der Freiherr ein wenig gereizt.

»Nun, was wollen Sie denn!« rief Blücher nicht weniger heftig. »Wenn Sie das wissen, da müßten Sie sich auch sagen, daß unsere Waffe nicht verrosten kann! Da müßten Sie doch sehen, daß heute, wie immer, Leute genug dabei sind, sie frisch zu polieren, den Geist und die Bildung beim Offizier zu heben, das Untaugliche hinauszuwerfen und mit dem Schlendrian reinen Tisch zu machen! Und auch, daß uns nichts fehlt als der Befehl zu rascher Tat!«

»Das alles sehe ich wohl!« sagte der Baron. »Aber auch das viele Überlebte, das leider Gottes die Macht hat, jede Entwicklung zum Besten aufzuhalten. Da hilft nicht allein der Mann, der befehlen kann – denn was nützen mir Befehle, wo der Gehorsam fehlt?! Der Geist, der sich bereitwillig dem Ganzen unterordnet, der fehlt oben wie unten! Erst muß da Wandel geschaffen – erst muß von Grund aus alles neu geordnet werden. Und der Grund kann nur die allgemeine Wehrpflicht sein, die jedem Staatsbürger das Recht, aber auch die Ehrenpflicht gibt, das Land zu verteidigen, und jede Anwerbung von ausländischem Gesindel ausschließt! Da müßten die Leute den Hebel ansetzen, die, wie Sie sagen, auch in der Armee dabei sind, mit dem alten Schlendrian aufzuräumen –«

»Am Ende haben sie's längst getan!« rief Blücher und blickte den Freiherrn schalkhaft an. »Passen Sie nur auf, Baron! Sie werden noch von denen überholt!«

»Das würde mich der Sache wegen freuen«, antwortete Stein ruhig. »Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe und nach dem, was ich zu meinem Erstaunen soeben auch von Ihnen hören mußte, glaube ich aber nicht recht daran.«

Blücher lächelte.

»Sehen Sie sich nur die jungen Leute an, wenn Sie nach Berlin kommen! Da werden Sie gleich am Hofe einen finden, der nach Ihrem Sinne ist – ein junger Kerl, der beim Prinzen August Adjutant ist –, Clausewitz heißt er – kein Windhund, leider, aber sonst ganz mein Fall! Ein Gesicht hat er, das nach sehr gutem Rotspon aussieht – geht nicht aus sich heraus, außer wenn's eine Sache gilt, dann aber auch gehörig! Den nehmen Sie sich vor! Sagen Sie ihm weiter nichts als das eine Wort: ›Scharnhorst‹, da sollen Sie sehen, wie er wie eine Pulvermine auffliegt und gleich Feuer und Flamme ist. Auf den Scharnhorst schwören sie, all die jungen Leute, die er bei der Kriegsschule ausgebildet hat. Und recht haben sie. Denn er taugt was, er kann was, und er weiß, was er will. Aber ehe es so weit ist, daß man allerhöchsten Ortes auf ihn hört, da wird er wohl auch steinalt sein und nichts mehr wollen können! Es ist leider Gottes nicht allen gegeben, ihr Leben lang siebzehn Jahre alt zu bleiben.«

»Deshalb sollen die, denen es gegeben wird,« sagte der Baron mit Betonung, »sich nicht dagegen sträuben, voranzugehen, wo es not tut!«

»Sträube ich mich etwa?« rief Blücher lebhaft. »Wissen Sie, ob ich nicht schon eine Denkschrift in der Sache fertig habe?«

»Bei Ihrer Aversion gegen alles Geschreibsel?« lächelte der Baron.

»Nun – wenn die Armee so heruntergekommen ist, wie Sie sagen, warum sollten die Generäle dann nicht auch zur Feder greifen und Tinte verspritzen statt Blut? Taugen wir weiter nichts – dazu taugen wir sicher! Da stehen wir auch unseren Mann, besser als die meisten von den Herren Diplomatikern!«

Und ohne die Entgegnung des Barons abzuwarten, zeigte er auf das Rathaus, an dem sie jetzt vorbeigingen, und fragte plötzlich:

»Waren Sie drin?«

»Wiederholt!«

»Haben Sie den Friedenssaal gesehen, wo der Westfälische Friede gemacht wurde?«

»Ich war drin!«

»Haben Sie sich die Bilder von all den Gesandten genau angesehen, die jenen sauberen Frieden gemacht haben, deren Namen längst vergessen sind? Die hängen da mit Recht zur ewigen Schande der Zunft. Weil sie unser armes, verwüstetes, entvölkertes und ausgeplündertes Deutschland beim Friedensschluß noch mehr zerstückelten und dem Fremden verschacherten, damit er es auf Jahrhunderte hinaus als Tummelplatz für seine Kriegsvölker gebrauchen konnte. Haben Sie sie gesehen?«

»Man zeigte sie mir!«

»Nun – haben Sie jemals so 'ne Sammlung Schafsköpfe beisammen gesehen? Diplomatiker, wie nur wir sie noch heute haben – Schlauberger ihrer eigenen Meinung nach, die so gut wissen, wie alles verkehrt gemacht werden muß, nachdem die Welt sich verblutet hat! Und nachher müssen wir wiederum bluten – weil die so überschlau waren, so saudumm zu sein! Sehen Sie sich die noch einmal an! Und nachher gehen Sie nach Berlin, und lassen Sie sich zum Minister machen! – Räumen Sie mit dem Gesindel auf, rotten Sie's mit Stumpf und Stiel aus! Da rennen Sie mit Ihrem harten Verbrecherschädel das ein, was zuerst herunter soll! Da haben Sie morsches Gemäuer genug für Ihren Bedarf! Kreuzelement, was die Leute bloß alles anrichten! Was die an guten Gelegenheiten vorübergehen lassen – wie die uns allmählich von allen Freunden trennen und die ganze Welt gegen uns aufbringen! – Weil das Schlappschwänze sind, müssen wir auch dafür gelten! Ihretwegen wagt man sich an uns heran! Da müßte schleunigst einer an die Spitze – ein ganzer Kerl, der nichts versteht als nur das eine: die Wut loszulassen, die in uns allen kocht, daß wir endlich einmal wie das heilige Donnerwetter dreinsausen können und reinen Tisch machen! Wie würden wir dann in der Welt dastehen! Ich müßte da vierundzwanzig Stunden zu befehlen haben! Vierundzwanzig Stunden nur!«

»Ja, wenn Sie nur nicht zu jung wären«, sagte der Baron, über den Eifer Blüchers schmunzelnd.

»Zu jung?! Sechzig durch!«

»Werden Sie erst siebzig – toben Sie sich erst aus! Sonst werden Sie uns mit Ihrem jugendlichen Ungestüm alles kaputt machen, wenn Sie das Heft in die Hand bekommen!«

»Davor brauchen Sie keine Angst zu haben. Man ist allerhöchsten Ortes nicht so schlau, mich als Berater zu nehmen! Sonst würden wir nicht alle Tage Sachen erleben, bei denen einem Dutzende von Läusen über die Leber kriechen! Schwerenot, wenn ich bloß an das Letzte denke, wie wir nun glücklich nach vielem Hin und Her die Franzosen doch in Hannover stehen haben – alles, weil unsere klugen Herren da oben wieder so schlau waren und so gerne möchten und doch nicht zuzugreifen wagten! Himmeldonnerwetter, wie war's mir, als ich davon Wind bekam! Ich bin kopfüber nach Berlin gereist, ich habe gefleht, ich habe geflucht – nichts hat geholfen! ›Gehen Sie nach Münster, General‹, war alles, was man mir antwortete. ›Dort haben Sie Ihr Kommando!‹ Und ich ging – und – an der hannoverschen Grenze in Diepbolz, da empfingen mich schon französische Gendarmen und scharwenzelten und parlierten und machten die Honneurs, als wären sie dort zu Hause! Und Herr Mortier troff von Freundlichkeit und falschem gallischen Gemüt über! Hol' ihn der Teufel! Wenn ich den nur wieder herausschmeißen darf! Jetzt sieht's der König schon ein! Jetzt möchte er auch gern die Parlezvous wieder heraus haben! Aber statt mir den Befehl zu geben, sie zum Teufel zu jagen, betraut er seine Diplomatiker damit, und da wird's noch gute Weile haben. Die Leute müßte man dem Physikus Gall in Behandlung geben. Der müßte ihnen die Schädel ordentlich befingern!«

»Ich möchte gern,« sagte Stein und lachte in sich hinein, »ich möchte gern wissen, was Sie sagen würden, wenn Sie, als ganz Unbeteiligter, Ihren eigenen Kopf in die Finger bekämen, um ihn auf seine Fähigkeiten zu untersuchen! Ob Sie wohl wie ich denken würden?«

»Wie denn?«

»Lauter Gegensätze! Schlau und gerissen – und ein Dickkopf erster Güte! Feuer und Flamme für alles lebensfähige Neue – und doch zäh am Althergebrachten festhaltend! Allen voranstürmend, wenn es eine Sache gilt, aber mit einem Ungestüm, das Sie oft aus dem Sattel wirft! Pech im Kleinen, Glück im Großen – nicht wahr, so würde die Rechnung lauten?«

»Wie sie lauten würde, weiß ich nicht. Das weiß ich aber: ich gäbe gern meinen Kopf darum, daß da oben, auf der entscheidenden Stelle, der richtige Kopf zwischen den richtigen Schultern säße!«

Der Baron schwieg. Er blickte zum Residenzschloß auf, vor dem sie jetzt standen und in dessen einem Flügel er residierte, in dem anderen Blücher.

»Hier trennen sich unsere Wege, General«, sagte er. »Sie sind die militärische Macht – ich die zivile. Wir wollen voneinander nichts wissen – wir wohnen jeder in seinem eigenen Flügel des gemeinsamen Baues. In der Mitte sind die Räume der Krone!«

»Und da,« sagte Blücher gallig, »da drin können Sie vor leeren Wänden reden! Denn da wohnt für gewöhnlich – niemand! Statt einem, der einigend über uns beiden steht und uns manchmal zu gemeinsamer Beratung zu sich einlädt – ein leerer Raum, der uns trennt!«

»Das stimmt«, sagte der Baron. »Dafür einigen wir uns aber – im Küchengarten! Den haben wir gemeinsam, trotz der getrennten Magen!«

»Die Jagd habe ich allein«, nickte Blücher.

»Und geben mir doch manchen Braten ab!«

»Nun, in der Magenfrage begegnen sich eben verständige Leute!«

Stein antwortete nicht. Er bückte sich nur, nahm ein paar Falläpfel auf und reichte Blücher einen.

»Da – beißen Sie in den sauren Apfel, General!«

»Det ist von Ihren Appelbäumen, Baron! Drüben stehen meine – dort gibt's saure Äpfel genug.«

»Ich seh's! Ich werde mich auch nicht von Ihnen nötigen lassen – wenn wir drüben bei Ihnen sind. Sie aber machen ein Gesicht, als wäre ich die Schlange im Paradiese!«

»Die stelle ich mir, aufrichtig gesagt, anders vor! Zum Sündenfall gehört übrigens auch eine Eva. Ohne sie hat die Schlange im Paradiese keine Bedeutung. Immerhin – geben Sie den Appel her! Ich bin keen Kostverächter!«

»Essen Sie ruhig – wenn er auch sauer sein sollte. Der Baum ist gut!« sagte der Baron und biß selbst gierig in seinen Apfel hinein.

Den Mund voll, nickten sie einander zu und gingen so ein jeder in seinen Flügel des gemeinsamen Baues hinein – Blücher lang, schlank und rüstig ausschreitend –, Stein vierschrötig, breit und behäbig segelnd wie ein weitbauchiger, vollbeladener Koff, dem keine Sturzwelle das Gleichgewicht nehmen kann, der nicht stampft und schlingert oder zickzack kreuzt, sondern, ohne auch nur einen Zoll auszubiegen, gerade auf das Ziel zusteuert und wenn er darum auf Grund setzen müßte.

»Ein verfluchter Querkopf«, brummte Blücher, an dem freiherrlichen Apfel kauend. »Ein kreuzverdammter, eigensinniger Dickschädel! Hol' ihn der Teufel! Aber ein ganzer Kerl! Der täte uns bitter not, da oben, in der Konfusionsbude! Aber von der Armee soll er mir die Finger gefälligst lassen! Ja, wenn der Kerl nur nicht recht hätte! Aber so! Und so'n Zivilist! Das geht nicht! Das geht im Leben nicht! Da müssen wir sehen, ihm beizeiten das Wasser abzugraben!«

Und schmunzelnd, als plante er wieder einen rechten Husarenstreich, riß er die Tür seines Dienstzimmers auf und stürmte hinein.

»Schumann!« rief er sein Faktotum mit Donnerstimme. »Schumann, alte Schreiberseele, bring' mir Tinte und Papier! Heute sollst du deine Freude an mir haben! Heute sollst du etwas erleben! Nee – keene Briefbogen – Kanzleipapier! Jawoll! Oogen machste?! Schneid' mir den Gänsekiel zurecht und glotz' nicht! Weh, wenn er kratzt oder gar spritzt! So! Her mit dem Mordinstrument! Kehrt! Marsch! Himmeldonnerwetter, Kerl! Feixt der auch noch?! Raus!«

Und der alte Wachtmeister Schumann, der sonst die ganze verpönte Schreibarbeit allein besorgen mußte, eilte still in sich hineinlachend hinaus, nachdem er dem General alles Verlangte zurechtgelegt hatte. Blücher nahm den Federkiel, kratzte sich bedächtig damit hinters Ohr, stieß ihn ins Tintenfaß, rückte einen Bogen Papier zurecht, setzte an und ritzte in seiner scharfen, eckigen Handschrift Zeile um Zeile nieder.

Zuerst, wie sich's gebührt, den Titel:

»Gedanken über Formulierung einer deutschen Nationalarmee.«

» Die Gedanken habe ich zu haben und die anderen Offiziers auch!« brummte er im Schreiben. »Aber so'n Quasselkopp von einem Diplomatiker! So'n Satanskerl! Wie kann er nur auf den rebellischen Gedanken kommen, da mitplärren zu wollen? So'n Kerl, der nicht einmal in sein eigenes System hineinpaßt! – So'n Reichsfreiherr, der keinem untertan war und keinen Herrn hatte! Der und Rebellion! Und gar eine unblutige! Ich werde ihm schon zeigen, wie das gemacht wird!«

In kurzen, knappen Sätzen und in der merkwürdigsten Orthographie von der Welt legte er dann seine Anschauung nieder, wie er sich die allgemeine Wehrpflicht dachte, verlangte eine kürzere Dienstzeit, größere Löhnung, bessere Behandlung der Soldaten – –

»Mir wird ganz fade im Hals von all dem ekelhaften Geschleime!« brummte er dabei, als er bei der »besseren Behandlung« anlangte, rauchte dabei wie ein Schornstein, spuckte, fluchte, kratzte sich den Kopf und stampfte auf den Boden.

»Wie 'ne Fastnachtspredigt schaut's aus! Verdamm' mich, sobald einer mit Tinte schreibt, statt mit Blut, wie's sein soll – da ist's aus – da – hol' mich der Teufel – ich glaube, da wächst mir schon der Heiligenschein zum Kopfe 'raus!«

Er flog auf und packte seinen Kopf mit beiden Händen.

»Ich reiße dich noch los und fange mit dir das Kegelschieben an! Ich werfe noch ›alle neune‹ mit dir, schmeiße dich dem König mitten in die Visage, daß er umfällt und det ganze Bataillon mit – det ganze Bataillon! Aber Schreiben – dazu bringst du mich nicht nochmals, oller Döskopp!«

Er lachte laut auf – rief schleunigst seinen getreuen Wachtmeister Schumann wieder herbei, drückte ihn auf den Stuhl und steckte ihm den Gänsekiel in die Hand.

»So,« sagte er, »mach' du das Gekritzel fertig, mein Sohn! Aber aufgepaßt, daß du mir kein X für ein U machst! Det besorge ick alleene! Vorwärts!«

Und mit großen Schritten ging er auf und ab und diktierte, und Schumann bemühte sich nach Kräften, gleichen Schritt mit ihm zu halten beim Sturm auf den alten Schlendrian.


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