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Es war in Emmerich am Rhein.
Der General Blücher hatte, wie gewöhnlich, seinen Abendspaziergang gemacht, um bei seinem vertrauten Freunde, dem Obersten von Pletz, eine Pfeife zu rauchen.
Sie saßen unter der Linde am Pfarrhofe, wo der Oberst in Quartier war, schmauchten ihren Knaster in aller Ruhe und Gemütlichkeit, labten sich dann und wann aus den großen Römern mit Rheinwein, lauschten bisweilen auf das Jauchzen der spielenden Dorfjugend und spannen dabei gemächlich ihre Unterhaltung weiter.
»Dein Glück war's«, sagte der Oberst schmunzelnd. »Du fingst schon an alt zu werden.«
»Da schlage der Donner drein!«
»Na, nun bist du ja wieder jung – nun sieht man dir wieder die siebzehn Jahre an, trotz der grauen Schläfen. Aber fast wär's schief gegangen! Warst schon dicht dran, in die verkehrte Tonne zu springen!«
»Ins verkehrte Ehebett, sag's nur gerade heraus!«
»Nun ja! Viel hat nicht gefehlt, da wäre es so verrückt gekommen! Weißt du noch, wie du brummtest und fluchtest, als du den Korb von deiner reichen Witwe heimtrugst?«
»Halt's Maul!«
»Nun – der bist du ja glücklich entgangen! Aber geflucht hast du! Und gescheit hast du gesprochen – zum Kotzen gescheit – rein niederträchtig brav – von deinen armen Kindern, denen mit Gewalt eine Mutter besorgt werden müßte, obwohl sie schon erwachsen waren! ›Opfern‹ wolltest du dich –«
Der Oberst schlug auf den Tisch; er ereiferte sich immer mehr zum Ergötzen Blüchers.
»Man heiratet doch nicht wegen der Kinder, die man schon hat,« schrie er, »sondern wegen denen, die man erst kriegen will! Man nimmt eine Frau, um selbst von ihr gepäppelt und verhätschelt zu werden, nicht aber damit sie anderer Frauen Kinder bemuttern soll! Man fragt nicht nach dem Geschäft, zum Donnerwetter! Man heiratet entweder gar nicht, oder man heiratet eine, in die man so verliebt ist, daß man es doch tut!«
»Hab' ich das etwa nicht getan?« lachte Blücher.
»Das ist es eben!« rief Pletz zum großen Gaudium seines Gegenübers. »Das ist es gerade! Du hättest verdient, die alte Witwe heimzuführen, und jetzt hast du – ganz unverdienterweise hast du das große Los gezogen!«
»Trink, alter Brummbär! Nörgler du, hundsgemeiner! Auf die Frauen!« Blücher erhob sein Glas.
»Auf deine Frau!« antwortete der Oberst, trank aus und machte die Nagelprobe. »Auf dein unverdientes Glück!«
»Glück wird eben nicht verdient!« sagte Blücher und stellte sein Glas fort. »Man hat's oder hat's nicht, je nachdem ob man es zu packen versteht!«
»Nun ja – das konntest du meistens. Aber sonderbar ist es doch, daß du gerade sie – –«
»Nun ja, es ist sonderbar. Und ich kann auch heute noch nicht begreifen, wie so'n junges Ding, das meine Tochter sein könnte – wie sie mich so in ihre Gewalt bekam, wie sie mich im Handumdrehen umkrempeln und zum ordentlichen Menschen machen konnte!«
»Das wollen wir nicht hoffen! Das liegt dir nun gar nicht. Du bist und bleibst schon derselbe Windhund, als den ich dich immer kannte, und daran hat auch sie nichts ändern können. Aber sie gab ihre Jugend her, und das verjüngt. Das ist der einzige wahre Jugendbrunnen für uns alte Leute. Ich verstehe bloß nicht, wie du dazu kamst!«
»Ich auch nicht. Ich war eben zum Mittagessen in ihrem Vaterhause geladen. Und sie saß mir gegenüber am Tisch. Das war alles! Anfangs sah ich sie nicht und blickte kaum hin. Man hatte vorzügliche Speisen und Weine aufgetragen – ich hatte einen Mordshunger und hieb auf die Schüsseln ein, wie sich's für einen rechten Husaren gehört. Eben war ich dabei, den Flügel eines Kapauns abzunagen, und genoß es so recht von Herzen, da blickte ich so aus Zufall auf und sah gerade in ein Paar große lachende Augen. Ich sah ein Paar Lippen von feinsten geschwungenen Korallen, um die es schelmisch zuckte, die aber verteufelt ernst wurden, als sie sich von meinen Blicken berührt fühlten. Mir wurde es auf einmal, als wäre ich in der Kirche, als wölbe sich ein himmelhoher gotischer Dom hoch über meinem Haupte – als blicke vom Altar die heilige Mutter Gottes liebreich auf mich Sünder nieder. Ich wurde auf einmal so klein, alles, was mich bisher erfüllt hatte, so nichtig! – Wie ein Verbrecher kam ich mir vor, der, von gieriger Lust getrieben, eben im Begriff war, ihren Altar zu berauben! – Vor bösem Gewissen vergingen mir Hunger und Durst – ich dachte an nichts als nur daran: wie ich alles wieder gutmachen sollte! – Ich betete sie an – nein, ich schwärmte, hol' mich der Teufel, ich glaube, ich hab's ihr sogar gleich ins Gesicht gesagt und ihr auf der Stelle einen Antrag gemacht! Was ich gesagt habe – wie ich's sagte, das wußte ich im nächsten Augenblick nicht mehr, und heute noch weniger. Ich sah nur, wie man ihrer Verlegenheit zu Hilfe zu kommen suchte und sie scherzhaft sofort meine Braut nannte. Aber – wer aus dem Scherz schnell Ernst machte – das war ich. Denn ich war verliebt wie des Küsters Kater. Keine vier Wochen dauerte es, dann war sie mein und die Hochzeit gefeiert!«
»So war's recht! Gleich die Festung stürmen! Nur keine lange Belagerung!«
»Ja, so hab' ich's immer gehalten: Immer gleich losschlagen, und nicht erst lange kalkulieren! Wo würden wir hinkommen, wenn wir immer erst auf Befehle warten sollten von Leuten, die sich's erst zehnmal überlegen und dann noch nichts wagen! Wo alles auf dem Spiel steht – wo's das Leben gilt, wo's darauf ankommt, die Sekunde auszunützen, da – hol' mich der Deibel – wenn ich da nicht zuschlage! Wenn ich aber die zaghaften Kerls sehe, die den Entschluß für das Ganze zu fassen haben, wie die sich erst ängstlich nach allen Seiten nach Sicherung umgucken und darüber das feste Ziel aus dem Auge verlieren, da wird mir bange um den nächsten Krieg. Die, die vierundneunzig alles so brav vertrödelten, sie sind seitdem nicht jünger geworden! – Und was an Jugend heranwuchs, kam meistens nicht auf den rechten Platz. Auch nicht da ganz oben! Unser junger Herr –«
»Der wird noch gehörig Lehrgeld zahlen müssen!«
»Und wir mit ihm. Es war ein Jammer, daß der zweite Friedrich Wilhelm so früh sterben mußte!«
»Na, du hast ihm ja vieles zu verdanken. Aber der war auch kein Draufgänger –«
»Sage man, was man will, unter ihm wurde Preußen immerhin verdoppelt. Wir könnten es auch jetzt gut haben, aber dazu gehört vor allem da oben mehr Wagemut, mehr jugendlicher Leichtsinn! Geradeheraus: dazu gehört ein ganz anderer Kerl!«
»Prinz Louis Ferdinand zum Beispiel?«
»Ja, das ist ein Kerl, der hat das rechte Zeug! Ein Held wie wenige, und Glück hat er auch! Wer so wie er die Kugeln verachtet, vor dem biegen sie auch aus. Wenn der nur auf den rechten Platz käme!«
»Das würde dann schon zu spät sein. Leute wie er verludern leicht, wenn sie daneben geraten und sich immer nur ducken müssen!«
»Sage einmal,« sagte der Oberst und klopfte seine Pfeife am Stiefelabsatz aus, »ist das nicht deine Frau, die dort unten den Weg heraufkommt und dem jungen Offizier an ihrer Seite so schöne Augen macht?«
Blücher fuhr auf und blickte hin.
»Ja, das ist sie, und – alle Wetter!« – Er schnallte rasch den Säbelgurt um und stülpte die Mütze auf. »Wenn man den Teufel nennt, kommt er schon gerennt. Auf Wiedersehen, Pletz, ich muß eilen! Wir haben hohen Besuch!«
Damit eilte er den Weg hinunter und den Kommenden entgegen.
Ein schöneres Paar als die mädchenhafte, liebreizende junge Frau und den stattlichen, schlanken, übermütigen jungen Offizier an ihrer Seite konnte man kaum sehen. Lachend und scherzend gingen die zwei ihres Weges und waren in ihre Unterhaltung so vertieft, daß sie Blücher erst bemerkten, als er vor ihnen stand.
»Königliche Hoheit hier in Emmerich?« fragte Blücher salutierend.
»Wie Sie sehen«, antwortete Prinz Louis Ferdinand, denn er war es. »Ich benutze meine freie Zeit, um den Rhein hinunterzureisen, und habe nicht die gute Gelegenheit versäumen wollen, der Generalin Blücher meine Verehrung zu Füßen zu legen. So habe ich auch das Vergnügen, Sie zu sehen, lieber General!«
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite!« antwortete Blücher, gab seiner Frau den Arm und wandte sich wieder zum Prinzen.
»Hoheit reisen doch nicht mutterseelenallein?«
»Leider nicht! Für ein paar Stunden bin ich aber frei. Mein Adjutant ist voraus, um Quartier zu bereiten und für morgen ein Schiff zu besorgen. Er wird mich abends bei Ihnen abholen, solange müssen Sie mich schon behalten.«
»Wenn Hoheit nur vorliebnehmen wollen mit dem, was mein Haus –«
»Machen wir keine Redensarten! Es wird alles gut sein! Übrigens, wenn Sie's wissen wollen – nur zum Vergnügen reise ich nicht den Rhein entlang. Seitdem wir den dummen Lunéviller Frieden haben und der Kaiser es so schön eingerichtet hat, daß alles drüben, auf der linken Rheinseite, nun Frankreich sein soll, sehe ich mir überall am Fluß die Grenze daraufhin an, wo wir's am besten anpacken können, wenn wir darangehen, sie wieder nach Westen hin zu verrücken. Denn das kommt früher oder später!«
»Sicher!« sagte Blücher. »Und hoffentlich recht bald. Denn wir brennen alle darauf.«
»Die drüben im Rheinland auch, nach allem, was ich gesehen habe. Unsere ehemaligen Landsleute sind nicht zufrieden. Sie sind aber zu beneiden.«
»Wieso denn?«
»Statt hundert Herren haben sie jetzt eine Regierung – statt hundert Landesgesetzen eins! Leibeigenschaft, Feudallasten, Kirchenzehnten, Zunft- und Bannrechte sind sie los, Handel, Verkehr und Gewerbe sind frei, die Gedanken auch! Kurz: die ganze neue Zeit, der wir uns so ängstlich verschließen, ist ihnen zuteil geworden.«
»Dafür müssen sie die Republik nach Belieben Rekruten ausheben lassen, und zahlen Steuern bis über den Kirchturm. Dafür müssen sie französisch denken und fühlen und sich ihre deutsche Seele verwelschen lassen!«
»Das ist eben gut!«
»Der Teufel auch!«
»Denn je mehr sie leiden müssen, je mehr Haß sie gegen die Gewalthaber ausbringen, die ihnen die neue Ordnung aufzwingen, um so eher haben wir sie wieder. Und die neue Ordnung auch. Die haben wir bitter nötig. – Aber leider können wir sie nur von draußen bekommen. Von selbst bringen wir nicht die Entschlußkraft auf, das Alte und Überlebte abzustreifen. Sehen Sie bloß auf die Armee hier und drüben. Was hat aus den lumpigen ›Ohnehosen‹ im Handumdrehen eine Armee gemacht, von deren Ruhm die ganze Welt widerhallt? Was gab ihnen die Kraft? Sind sie etwa besser als wir? Haben sie die größere Ausdauer, die besseren Knochen oder mehr Mut und Tapferkeit und Todesverachtung?«
»Nein, zum Kuckuck!« rief Blücher. »Den möchte ich sehen, der das zu behaupten wagt!«
»Ich auch«, sagte der Prinz. »Und doch sind sie uns voran. Weil sie das Söldnertum abgestreift und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt haben. Wie sieht's dagegen bei uns aus? Mannschaften, zum großen Teil aus der Hefe aller Welt aufgelesen, Gauner und lose Leute, die nur mit Gewalt und entehrenden Strafen zusammengehalten werden, immer dem Volk fremd bleiben und ihm feindlich gegenüberstehen müssen! Offiziere, die mehr Unternehmer als Diener des Staates sind – die aus ihren Bataillonen und Regimentern große Einnahmen herauswirtschaften wollen und das nur können, wenn ihre Leute beurlaubt sind und sie ihre Löhnung in die eigene Tasche stecken können. Die brauchen den Frieden wie das liebe Brot! Solchen Kriegern ist der Krieg das größte Unglück. Wir können heilfroh sein, wenn wir keinen ernsthaften Kampf zu bestehen haben werden, ehe diese Zustände mit Stumpf und Stiel ausgerottet sind. Und dazu können wir, Sie und ich, nichts tun, als immer wieder die Stimme erheben – um nicht gehört zu werden. Die Widerstände sind zu groß. Wir haben, wenn nicht die Revolution, so doch zum mindesten ein großes Unglück nötig, um diese Leute und Zustände, die nicht mehr taugen, fortzufegen!«
»Nee, nee!« rief Blücher eifrig. »Wir brauchen keine Revolution, die alles kaputt macht. Das Gute, was sich bewährt hat, muß bleiben – und viel Gutes steckt in unserer Armee! Das Schlechte muß zum Teufel! Dazu haben wir bloß ein paar richtige Kerls an richtiger Stelle nötig. – Ein paar Donnerkerls am Kommando, mit klaren Augen und derben Fäusten, die zupacken können. Und dann bloß ein bißchen mehr Entschlußkraft da oben! Das Weitere besorgt schon die preußische Armee. Die nimmt's noch mit jedem auf. Noch hat sie ihren alten Ruhm. Der wiegt mehr, als mancher hier zu Hause denkt – weit mehr als der ganze welsche Kram. Sorgen Hoheit nur dafür, daß wir nicht immer mit Ketten am Fußgelenk marschieren müssen, dann ist auch kein weiterer Grund zur Schwarzseherei. Außer für den Franzmann!«
»Hätte ich die Entscheidung,« sagte der Prinz, und es blitzte in seinen blauen Augen auf, »dann könnte es schon morgen losgehen. Darüber hatte ich mich übrigens schon mit Frau Gemahlin geeinigt«, fügte er hinzu, sie galant ins Gespräch hineinziehend.
»Du willst doch nicht auch –?« drohte ihr Blücher scherzhaft.
»Die Frau Generalin ist ganz für die Kriegspartei gewonnen, lieber Blücher. Da hilft Ihnen kein Sträuben!«
»Aber Malchen! Da haben wir am Ende schon den häuslichen Krieg?«
»Hoffentlich!« lachte der Prinz. »In mir werden Frau Generalin jedenfalls dabei einen stets kampfbereiten Bundesgenossen haben.«
»Sieh nur, sieh nur! Der Bund wäre denn wohl bereits geschlossen?« fragte ihr Mann.
»Ja, sieh dich nur vor!« drohte sie. »Alle Tage schneien einem die Märchenprinzen nicht ins Haus!«
»Nun – ich nehme immer den Kampf auf!« lachte Blücher. »Fahre du auf, was du in Küche und Keller an Munition hast – ein paar Batterien vom besten Rheinwein lassen wir spielen –, wollen sehen, Königliche Hoheit, wer von uns zuerst ins Gras beißt!«
»Topp!« sagte der Prinz.
Er küßte leicht ihre Hand und empfing als Gegengabe einen dankbaren Blick.
Blücher lächelte. Aber ein schlauer, hinterlistiger Zug zuckte irgendwo hinter dem Schnauzbart, und seine Augen leuchteten hart auf wie beim Jäger, wenn er das Wild gestellt hat und das Gewehr anlegt.
»Hoheit haben sich wohl bei der Rheinfahrt auch die Entschädigungen angesehen, die wir diesseits des Flusses für Preußen herausholen werden, für das, was uns der faule Friede drüben geraubt hat?« fragte Blücher dann im Weitergehen.
»Das war mit ein Hauptziel meiner Reise«, antwortete der Prinz. »Und nur um das zu verdecken, mache ich noch einen Abstecher ins Holländische hinein. Ich spiele ja am Hofe die Rolle des ungebetenen Mahners, den man nicht gern in der Nähe wissen möchte, wo große Entschlüsse zu fassen sind! Man hat mich gern ziehen sehen! Ich komme aber wieder. Und nachher sitze ich den königlichen Kabinettsräten, wie immer, feste im Nacken! Und mein Vetter, der König, wird auch keine Ruhe vor mir haben! Es steht aber auch viel auf dem Spiel – es gilt, rasch zuzugreifen!«
»Das meine ich auch! Das Bistum Münster ist wohl das wenigste, was wir verlangen können, und dann –«
»Hannover«, sagte der Prinz und senkte die Stimme. »Die Frucht ist längst reif. Wenn ich nur zu befehlen hätte! Aber es sieht wieder aus, als würde die gute Gelegenheit verpaßt werden, wie schon sooft bei uns.«
»Ein Wort nur,« rief Blücher, »und ich nehm's! Ich laure ja nur darauf! Hannover müssen wir haben. Die Engländer können's nicht halten, und nehmen wir's nicht, so nehmen's die Franzosen. Und die können wir nicht ein paar Tagemärsche von Berlin gebrauchen!«
»Nein, das können wir nicht!« rief der Prinz. »Wenn Sie und ich und noch ein paar solche Leute, die das und vieles andere einsehen, auch freie Hand hätten, dann wäre es im Handumdrehen besorgt! Aber bei uns geht alles nach der Schablone! Was alt und verknöchert ist, sitzt oben und gebietet, nur weil es von alters her Tradition war. Und Jugend und Wagemut müssen die Zähne zusammenbeißen und tatenlos beiseitestehen. Herrgottsakrament!« platzte er mit einem Soldateneid heraus, ohne an die Anwesenheit der jungen Frau zu denken. »Ich liebe die Franzosen nicht. Aber auf die Kerls bin ich doch neidisch! Es war ja scheußlich, wie sie in den acht Jahren der Revolution das Oberste zu Unterst kehrten, wieviel Wertvolles und Unersetzliches sie in Trümmer schlugen und im Sumpf und Blut erstickten. Aber das hat manche tüchtige Kraft zum Wohl der Gesamtheit auf den rechten Platz im Staate gestellt! Denken Sie nur an den Advokatensohn von Korsika, der heute als Erster Konsul gebietet. Was hat er nicht in den paar Jahren geleistet, seit wir zum erstenmal den Namen Bonaparte hörten! Glauben Sie aber nicht, wir, Blücher, Sie und ich, hätten das Zeug zu gleich Großem, hätten wir nur die Gelegenheit?«
»Die Gelegenheit ist da, zum Greifen nahe! Sie war immer da! Nur wagt man nicht, sie auszunützen! Man verwehrt uns das Losschlagen! Hier stehe ich schon, Gott weiß wie lange, auf demselben Fleck in Emmerich auf Vorposten und fluche und schmöke meinen Knaster und blicke über den Rhein, ob nicht der Franzmann mir bald den Gefallen tun wird, in Schußweite zu kommen! Statt übers Wasser zu setzen, in Frankreich hineinzumarschieren, den Parisern bon jour zu sagen und dem Herrn Bonaparte zu zeigen, daß Preußen noch auf der Welt ist! Der hätte dann anderes zu tun gehabt, als über die Alpen zu kraxeln und sich bei Marengo billige österreichische Lorbeeren zu kaufen! Dafür hätte ich gesorgt! Das kommt aber noch, und das ist meine feste Überzeugung!«
Der Prinz antwortete nicht. Sie waren jetzt vor dem in einem Garten gelegenen Wohnhause des Generals angekommen.
Der hohe Gast wurde durchs Haus geführt, alle Räume wurden ihm gezeigt – auch die Wohnräume der jungen Frau. Denn in einer Zeit, wo das schöne Geschlecht noch im Bett zu empfangen pflegte, weil es die Sitte so gebot, war ihr Allerheiligstes ein Raum, auf den jeder Gast, der nicht unwillkommen erscheinen wollte, ein Anrecht hatte. Und der Prinz ließ es sich auch nicht nehmen, ihrem wohlverhängten Bett seine Huldigung darzubringen.
Die junge Frau am Arm, wanderte er so, von dem vorangehenden Hausherrn geleitet, leicht plaudernd, von Raum zu Raum. Im Zimmer des Generals bewunderte er mit Kennerblicken dessen reichhaltige Waffensammlung, ließ es zu, daß Blücher, bei Vorzeigung seiner Schätze, seine unvermeidliche kurze Pfeife ansteckte, scherzte nur über den Qualm, den er produzierte, und meinte, es käme ihm vor, als ob er in Vulkans Schmiede zu Gast wäre, um im Rauch und Qualm der unterirdischen Gewölbe Waffen, Rüstungen und andere kostbare Erzeugnisse seiner kunstfertigen Hand zu bewundern!
»Um so eher,« sagte er, galant der jungen Frau die Hand küssend, »da es mir wie dem Kriegsgotte Mars ergeht, als er in der gleichen Lage war.«
»Wie denn?« fragte die Generalin lächelnd.
»Ihm schwanden auf einmal die soeben angestaunten Schätze. Das Gold verlor seinen Glanz, die Edelsteine erloschen, die Blitze der blanken Waffen trafen nicht mehr, sondern verpufften ihre Funken umsonst! – Alles verblaßte, denn aus dem Innersten Gewölbe trat ihm Vulkans hehrster Schatz entgegen: die Göttin Venus selbst, lebendigen Leibes – und er war geblendet.«
»Aber – wie's scheint – doch nicht stumm!« lachte Blücher und ließ sich's gefallen, daß sein Matchen, ihre Verlegenheit durch einen plötzlichen Hustenanfall verbergend, ihm die Pfeife aus dem Munde riß.
»Pfui, du verqualmst uns ja das ganze Haus! Kommen Sie, Hoheit – gehen wir aus diesem Raum hinaus, wo er allein zu gebieten hat! – Ich führe Sie in mein Reich!«
Und sie zog ihn mit. Blücher folgte. Und der Prinz, jetzt schon wie zu Hause, forderte sie, draußen im Salon, auf, gleich den Tanzboden mit ihm zu probieren.
Freudig willigte sie ein und ließ sich von ihm die neueste Tour der Gavotte zeigen, die man jetzt am Hofe der Königin Luise so gern zu tanzen pflegte, damit sie nicht unwissend sei, wenn sie einmal zu Hofe käme!
Die Tour wurde durchgenommen – der Prinz sang die Melodie dazu. Und Blücher, der auch ein gewaltiger Tänzer war, wurde gleich Feuer und Flamme, revanchierte sich sofort mit einem polnischen Tanz, den er beim letzten Feldzug in Polen gelernt hatte, komplimentierte den Prinzen ans Spinett, trällerte ihm selbst die Melodie vor, bis er sie spielen konnte, und tanzte ihm dann mit seiner Frau einen feurigen Krakowiak vor, daß die Dielen dröhnten und die junge Frau nur so durch die Luft schwirrte. Im Tanzen stand er noch seinen Mann.
Als der Prinz aber in voller Begeisterung ein wahres Feuerwerk von Komplimenten über die junge Frau losließ, machte Blücher dem rasch ein Ende, schickte sie fort, um nach den Anordnungen für die Mahlzeit zu sehen, und führte seinen Gast solange durch den Garten.
»Zur Abkühlung!« wie er nicht ohne einen Nebengeschmack von Ironie sagte.
Statt der schönen Frau mußte der gute Prinz also die Pferde des Generals bewundern, die aber auch erstklassig waren und es gleichfalls verdienten, vor einer Königlichen Hoheit Gnade zu finden. Blücher versäumte es nicht, dabei in den Sattel zu steigen, um ihre Vorzüge recht anschaulich zu machen, aber auch um zu zeigen, wie gut sie, trotz ihrer Wildheit, ihm doch parierten, wenn auch sie, wie er nicht ohne Ironie beifügte, bisweilen mannstolle Sprünge versuchten.
Dann ging's durch den Garten, an den Fernblick über den Rhein, und zuletzt um das Haus herum, wobei der Prinz sich genau nach allem erkundigte und besonders von dem Efeu entzückt schien, dessen armdicke Stämme sich an der Wand emporschlängelten, um mit dunklem Grün die Fenster zu umrahmen. Er zeigte hinauf nach dem Fenster der jungen Frau – denn wo das war, hatte er gleich heraus – und fragte leicht, den Efeu mit der Hand prüfend umfassend: »Daran klettern Sie wohl manchmal hinauf, Blücher, wenn Sie's eilig haben?«
»Das wohl nicht, Hoheit«, lachte der General. »Denn ich pflege nicht den Schlüssel zu vergessen, wenn ich abends aus bin. Aber – zu machen wäre es wohl!«
Und gewandt wie ein Jüngling, packte der hohe Fünfziger den Stamm des Efeus und kletterte halbwegs hinauf.
Da kam die junge Frau eben auf die Treppe heraus, um zu sagen, daß alles zum Essen bereit sei, sah die lange Gestalt ihres Herrn und Gebieters zwischen Himmel und Erde schweben und schrie leicht auf.
»Hat keine Gefahr, Malchen,« rief Blücher herunter, »mach' man ja kein Geschrei!«
»Ihr Herr Gemahl ist ein liebenswürdiger Hausherr!« lachte der Prinz. »Er zeigt seinen Gästen den nächsten Weg ins Allerheiligste!«
»Ich zeige höchstens – wie sie herunterkommen, wenn sie den Kletterversuch unternehmen!« bekam er zur Antwort, und Blücher sauste herunter und zeigte dann lachend seinem Gast den Weg in den Speisesaal.
Man nahm um den runden Tisch am offenen Fenster Platz, durch das man über den Rhein hinausblicken konnte, ließ sich die Gerichte der Frau Gemahlin gut schmecken, begoß sie mit goldigem Rebensaft aus den Kellern des Generals und war bald froh und guter Dinge.
Der General trank seinem hohen Gast zu und vergaß auch nicht, ihm einen Trinkspruch zu widmen, da er ja gern und ausgiebig zu reden pflegte und man das also wohl von ihm erwarten mochte.
»Hoheit gestatten?« sagte er, seinen Römer ergreifend. »Ich erhebe mein Glas auf den alten, guten, preußischen Offensivgeist, dessen glanzvollster jugendlicher Vertreter uns die Ehre antut, heute unser Gast zu sein. Selten habe ich jenen Geist des Drauflosgehens mit solcher Lust walten sehen, wie eines schönen Julitages vor sechs Jahren – bei Edesheim war es –, Hoheit wissen noch! Und selten wurde ich trotzdem so enttäuscht wie nach jenem Vorfall!
Meine braven Leute hatten sich den ganzen Tag wacker geschlagen und in den Weinbergen einem an Menschen und Artillerie vielfach überlegenen Feind standgehalten. Sie fingen schon an, müde und marode zu werden, und ich mußte schon zweifeln, ob sie bis zur Dunkelheit noch aushalten würden. Da kam soutien! Ein paar frische Bataillone Infanterie, an ihrer Spitze ein junger Offizier, mit dem ich sofort einig wurde, dem Feind gleich auf die Pelle zu rücken. Entschluß und Tat waren bei ihm eins. Kaum gesprochen, war er sofort vom Pferd herunter und stürmte allen voran auf den Feind los, der sich schon Sieger glaubte. Es war eine Augenweide zu sehen. Und meine Roten säumten auch nicht, einzugreifen, den Erfolg auszunützen und alles zusammenzuhauen, was da kreuchte und fleuchte.
Da – kaum daß wir gesiegt hatten – kam der Befehl, zurückzugehen, alles war umsonst gewesen! Denn anderswo lief nicht derselbe Feuergeist an der Spitze! Da hatten sich die Österreicher abdrängen lassen, und da half uns kein Fluchen. Heute aber, wo jener junge Held mein Gast ist, heute möchte ich mit ihm mein Glas darauf leeren, daß der Offensivgeist und die Entschlußfreudigkeit, die uns beide damals beseelten, immer mehr maßgebend werden und nimmermehr in so schmachvolle Abhängigkeit kommen mögen!«
Sie stießen an und tranken. Der Prinz dankte, schlug aber ab, für seine Person irgendeine Ehrung zu empfangen. Die gebühre der Vertreterin des schönen Geschlechts. Er brachte dann auch a tempo einen Trinkspruch auf sie aus, so glutvoll und stürmisch, daß ihr das Blut in die Schläfen trat, und ihr Mann, um abzulenken, wieder das Wort nahm.
»Es ist ja zu verstehen,« sagte er, ruhig lächelnd, »daß ein junger Mann in seiner Huldigung der holden Weiblichkeit sich in Lobsprüchen ihrer körperlichen und geistigen Vorzüge ergehen und den ganzen Wortschatz der Galanterie aufbieten muß, um ihres Liebreizes Herr zu werden. Es gibt aber Augenblicke, wo die Huldigung vor einer Frau keine Worte findet – wo sie uns, durch ihr bloßes Dasein, derartig in den Staub vor ihrer Hoheit zwingt, daß wir verstummen müssen. Wer einmal sein eigenes Kind an der Brust der Mutter sah – wer erblicken durfte, wie es gesättigt, still daliegt, ihre Brust mit seiner kleinen Hand sanft streichelt und sie dankbar anlächelt, mit einem Blick voll tiefster Verehrung –, wer einmal diese Weihe empfinden durfte –«
»Der scheint doch auch Worte dafür zu finden«, sagte der Prinz rasch, dem General ins Wort fallend. Denn er wußte, daß dessen jetzige Ehe kinderlos war, und sah einen Schatten über das Gesicht der jungen Frau huschen.
Ein dankbarer Blick aus ihren Augen lohnte es ihm.
Der General sah es und verstand wohl, wie sehr er sich in Nachteil gesetzt hatte. Er ließ sich aber nichts merken, schenkte die Gläser voll, trank seinem Gast zu, und so allmählich fing man wieder an, alles rosenrot zu sehen, vergaß alle wirklichen und eingebildeten Sorgen, lachte, scherzte und freute sich wie ein Kind über jede Kleinigkeit. Und als die Sonne schon im Westen sank und man sich anschickte, auf die Terrasse zu gehen, um sie hinter den Hügeln drüben verschwinden zu sehen, da war's dem Prinzen so gegangen, wie seinem Gastgeber selbst bei dem denkwürdigen Essen im Hause seiner nachmaligen Schwiegereltern – er hatte zu tief in die großen Augen der jungen Frau geblickt. Ihr Lächeln hatte es auch ihm schon angetan. Und – als die letzten Strahlen der Sonne die leichten Abendwolken zu vergolden anfingen und den Himmel in Brand setzten, da loderte sein leicht entzündbares Herz schon lichterloh. Er wurde blind und taub, sah nicht die finsteren Blicke seines Gastgebers, hörte nicht den verhaltenen Unmut, der, trotz allen schuldigen Respekts, in seiner Stimme zitterte.
Er flüsterte ihr zärtliche Worte zu, verliebte Blicke flogen hin und her. – Denn die Märchenprinzen waren nicht allzu häufige Gäste, und die gute Erziehung gebietet Höflichkeit! Komplimente aus hohem Munde werden also selten anders als mit dankbarer Rührung empfangen.
Kurz, der Prinz war auf dem besten Wege, seine kurz vorher so beredt dargelegte Absicht auch praktisch zu bestätigen, daß er's schon verstehen würde eine Gelegenheit auszunützen – sobald er sie hätte!
Schließlich merkte die junge Frau an den Blicken ihres Mannes, daß sie das Spiel zu weit hatte gehen lassen.
Schnell suchte sie der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben und erbat sich vom Prinzen die Gnade, sich an seiner weit und breit gerühmten Fertigkeit im Klavierspiel ergötzen zu dürfen.
Der Prinz, dem die Lebenslust schon weit erlesenere Freuden vorgaukelte, sagte leicht seufzend zu, und man ging in den Salon. Er setzte sich ans Spinett und ließ sein Ungestüm über die Saiten dahinbrausen.
Die Spannung legte sich. Die fiebernde Unruhe wich aus den Gemütern. Langsam sanken die Menschenkinder aus den rosenroten Wolken, in denen sie soeben hoch über allem Erdgebundenen geweilt hatten, zurück zur Alltagserde.
Der Prinz merkte es. Die Gelegenheit war nahe daran, ihm aus den Händen zu schlüpfen. Das durfte nicht sein. Er schloß mitten im Stück, sprang auf und setzte sich der Generalin zu Füßen.
»Hier ist der einzige Platz, von dem aus man Ihnen Ritterdienste widmen darf!« sagte er feurig. »Ihnen zu Füßen, Ihnen zu Ehren, Ihnen zuliebe singen und dichten, um aus Ihrer Hand den Sängerpreis zu empfangen.«
»Hoheit bringen mich in Verlegenheit!«
»Sie waren ebenso grausam, mich in die größte Verlegenheit zu bringen! Denn so befangen war ich noch nie. Meine Hände spielten – mein Herz nicht! – Mein Herz lag hier vor Ihnen im Staube – und hat mir meinen Platz gezeigt! Hier habe ich wieder die Macht über mich gewonnen – hier singt wieder alles in mir. Und wenn Sie befehlen, flechte ich aus meinen Gefühlen für Sie einen Kranz, ziere ihn mit Reimen und biete ihn Ihnen auf den Knien als eine Gabe der Hochachtung dar. Genehmigen Sie's gnädigst?«
»Sag' du ruhig ja, Malchen, geniere dich nicht und danke für die Gnade«, fiel ihm Blücher in die Rede. »Dichtung ist Dichtung und hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun!«
»Sagen Sie das nicht, General«, antwortete der Prinz. »Die Dichtung führt manchmal die Wirklichkeit herbei – auch wenn sie ihr noch nicht entnommen werden könnte! Seien Sie nur nicht sicher!«
Er lächelte übermütig und trommelte dabei wie suchend einen Rhythmus auf der Erde vor sich hin. »Hören Sie erst, und dann entscheiden Sie! Darf ich anfangen?« wandte er sich an die junge Frau.
»Ich bitte darum, Hoheit!«
Der Prinz blickte verstohlen lächelnd zu Blücher hin, wandte sich dann an sie.
»Hier in Vulkans Schmiede kann man ja nur von Mars und Venus singen«, sagte er und fing an:
»Mars, von Siegen übersättigt,
kehrt in Venus' Liebesgarten
ein, der Göttin aufzuwarten.
Auf die Frage: Was berechtigt
Ihn, hier einzudringen? gibt
er die Antwort: weil er liebt
– nach dem blutigen Entsetzen
andrer Kämpfe – das Ergötzen!
Liebt zu sehn, wie kleine Füße
kunstvoll sich im Tanze winden,
Netze knüpfend, die ihn binden, –
Fessel, die mit ganzer Süße
den Gefangenen bedrückt,
wonneschauernd ihn beglückt,
läßt in Liebesbanden schmachten
ihn, den großen Herrn der Schlachten!
Amorinen, schnell geschäftig,
mühn sich um des Gottes Waffen,
salben seine Glieder, schaffen
Labung, deren er bedürftig,
schnell herbei mit vielem Fleiß,
bringen ihm den Siegespreis,
winden um sein Haupt die Myrten,
helfen alles loser gürten.
So gerüstet tritt der Heros
an der Göttin Lager, – findet
sie in Tränen. Klagend windet
sich der zarte Leib, und Eros,
sonst ihr Helfer, abseits steht,
blind und taub, wie sie auch fleht,
ihre Fessel schnell zu brechen,
eilt nicht, ihre Schmach zu rächen.
Mars, behende, packt mit schnellen
Griffen zu, die Fesseln fallen,
sausen durch die weiten Hallen,
an den Felsen sie zerschellen.
Ihrem Retter sittig dankt,
sich erhebend, Venus, wankt
auf ihn zu, reicht, lieblich flötend,
ihm die Hände, sanft errötend.
Eros rasch nach seinen Pfeilen
greift. Er zielt, und hinterrücklings
trifft den Helden er – – –«
»Um Vergebung, Hoheit, wenn ich unterbreche«, fiel ihm Blücher hier plötzlich in die Rede.
»Bitte!« sagte der Prinz etwas nervös und hörte jäh mit der Improvisation auf. Auch die junge Frau schien nicht besonders erbaut von der Störung zu sein.
Blücher aber fuhr unentwegt fort:
»Ich würde mich schon sehr dafür interessieren, zu hören, welchen wunderbaren Reim Hoheit auf das häßliche Wort ›hinterrücklings‹ finden würden –«, sagte er.
»Warum häßlich?« warf der Prinz gestochen ein.
»Weil mir alles zuwider ist, was nicht offener Kampf Auge in Auge ist! Aber davon wollte ich nicht reden! Ich wollte nur, ehe wir – im Gedicht – so weit wie bis zur Untreue kommen, mir erlauben, an einen Umstand zu erinnern –«
»Welchen?«
»Die holde Dame, Venus, hatte doch bekanntlich einen Gatten.«
»Gewiß!«
»Daß er seinen Liebesgarten so schlecht bewachen würde, daß ihm der erste beste Buschklepper ins Gehege fallen konnte, erscheint mir doch sonderbar! Wo mag er wohl bei der Gelegenheit geweilt haben?«
»Was weiß ich? Nehmen wir an, er war damit beschäftigt, dem Kriegsgott Waffen zu schmieden!«
»Sehr wohl. Als alter Schmied seines Glückes hatte er aber sicher gelernt, sich nicht vom Lärm der Schmiede sein Gehör so betäuben zu lassen, daß er nicht merkte, wenn fremde Vögel in seinem Neste Liebeslieder sangen.«
»Ich denke auch nicht. Die Fabel belehrt uns ja darüber. Vulkan wartete, bis er die beiden Verliebten in flagranti ertappen konnte, fesselte sie dann in einem kunstvoll geknüpften Netz und zeigte sie so aller Welt. Ob auf ihre oder seine Kosten gelacht wurde, meldet die Fabel nicht. Ich nehme aber das letztere an.«
»Wenn er es so weit gehen ließ, daß er überhaupt nötig hatte, seine Geschicklichkeit im Knüpfen von Netzen zu zeigen, so verdiente er allenfalls, ausgelacht zu werden«, sagte Blücher ruhig. »Ich hätte diesen Ehrgeiz nicht!«
»Von dir ist doch nicht die Rede«, fiel die junge Frau ein, der es bei dem Rededuell sonderbar zumute wurde.
»Hoffentlich nicht!« antwortete ihr Mann. »Von mir würde in dem Sinne nicht die Rede sein können. Denn ich ziehe es für gewöhnlich vor, vorzubeugen – ohne mit meiner Geschicklichkeit darin zu prahlen. Ich habe nur den Ehrgeiz, in der Sache selbst obzusiegen und lade nicht ein, darüber zu lachen oder zu schwatzen.«
»Sie sind eben sehr rücksichtsvoll, lieber Blücher«, sagte der Prinz und sprang von seinem Platz zu ihren Füßen auf. »Mir scheint aber, mein Wagen fährt jetzt vor. Es wird Zeit, an den Aufbruch zu denken!«
Die beiden Gatten erhoben sich. Die Tür öffnete sich für den Adjutanten des Prinzen, der sich zur Stelle meldete. Der Prinz küßte galant die Hand der Frau Generalin, nahm Säbel und Mütze von seinem Adjutanten entgegen und wandte sich seinem Gastgeber zu.
»Fahren Sie ein Stück mit, General, so plaudern wir noch ein wenig und stechen bei mir eine Flasche aus?«
»Vielen Dank, Hoheit. Der Dienst ruft. Ich muß noch heute abend die Posten inspizieren!«
»Nun denn, auf Wiedersehen!«
Noch ein Gruß der gnädigen Frau, und er ging, von Blücher bis an den Wagen geleitet.
»Ich bringe Ihrer Frau noch eine Rose für das unterbrochene Gedicht!« sagte er, indem er sich in den Wagen setzte. »Das wird meine Rache Ihnen gegenüber sein, General! Es muß alles seine Ordnung und seinen gehörigen Abschluß haben!«
Lachend und gnädigst grüßend fuhr er ab.
An einer Biegung des Weges, als sie schon außer Sicht vom Hause des Generals waren, ließ der Prinz halten, sprang aus dem Wagen, befahl dem Adjutanten, weiterzufahren und erklärte, allein durch die Felder nach Hause gehen zu wollen.
Der Wagen fuhr weiter, der Prinz streckte sich hinter einem dichten Gebüsch aus und blickte hinaus in die blaue Sommernacht.
Vom Wege tönte lauter Gesang einer Männerstimme zu ihm herauf und das Geräusch von sich nähernden Schritten.
»Wir haben ihn aufs Haupt geschlagen
und täten ihn aus dem Felde jagen,
der Schimpf, der wird sich ma–achen.
Mit Gottes Hilf' und unserm Schwert
ihm teuer gemacht sein La–achen,
ja Lachen.«
Der Sänger war jetzt gerade vor ihm. Der Prinz erhob vorsichtig sein Haupt und blickte auf den Weg hinunter.
Es war Blücher.
Die kurze Pfeife im Mundwinkel blieb er, den Rücken zugekehrt, einen Augenblick stehen und blickte über den Fluß hinaus. Nahm dann die Pfeife in die Hand und setzte den Weg fort, weitersingend.
»Es gab ein blutig Retirad,
dabei auch noch gar mancher hat
sein jung frisch Leben verloren,
den nun sein Mütterlein beweint,
die ihn mit Schmerzen geboren,
ja geboren.«
»Inspiziere du ruhig deine Posten«, sagte der Prinz halblaut. »Inzwischen bringe ich mein unterbrochenes Gedicht zu Ende!«
Mit einem Sprung war er auf dem Weg, eilte schnell wie der Wind zurück nach dem im Halbdunkel liegenden Hause des Generals, riß eine der schönsten Rosen an sich und schlich um das Haus herum nach der Seite, wo er das Fenster der jungen Frau wußte.
Das Fenster stand offen.
Schnell entschlossen packte er den Stamm des Efeus und enterte hoch, die Rose im Mund.
Eine Manneslänge trennte ihn noch vom Fenster, da hörte er unter sich ein Fluchen und Wettern.
»Da schlage doch der Donner drein! Wer klettert mir da an der Wand. Schockschwerenot, herunter oder –«
Es war Blücher, der, von seltsamer Unruhe ergriffen, seine Inspektion hatte fahren lassen und umgekehrt war.
Der Prinz fand sich sofort in die Situation, hielt sich mit einer Hand in seiner schwebenden Lage fest, nahm mit der anderen die Rose aus dem Mund und winkte.
»Seien Sie still, Blücher, wecken Sie Ihre Frau nicht – ich will ihr nur die versprochene Rose durchs Fenster werfen! Gnädige Frau!« sagte er entschuldigend zur Generalin, die jetzt am Fenster erschien. »Genehmigen Sie huldvollst diesen duftenden Gruß als angemessenen Abschluß unseres unterbrochenen Gedichtes!«
Noch ein paar Klimmzüge, und er war so weit oben, daß er die Rose überreichen konnte. Die junge Frau nahm sie.
»Hierher die Rose!« kam es scharf von unten. Die Blume flog gehorsamst Blücher zu Füßen. Fast ebenso schnell war auch der Prinz unten, stand aufrecht vor ihm und blickte ihn herausfordernd an.
»So schnell geht's abwärts, wenn ich dabei mitwirke!« sagte Blücher, jetzt vollkommen ruhig. »Darf ich bitten, die Rose!« Er reichte dem Prinzen die Blume. »Sie hat sich als Wegweiser vortrefflich bewährt!«
Der Prinz machte eine abwehrende Handbewegung.
»Machen wir uns nicht lächerlich!«
»Ich sorge nur für mich«, sagte Blücher und steckte sich in aller Seelenruhe die Rose ins Knopfloch.
»Guten Abend, General!« sagte der Prinz kurz, machte kehrt und verschwand mit raschen Schritten in dem immer mehr zunehmenden Dunkel des Abends.
Blücher wandte sich zu seiner Frau, die jetzt herauskam und ihre Hand auf seinen Arm legte.
»Hier hast du die prinzliche Rose, Malchen«, sagte er launig und steckte sie ihr an den Busen. »Behalt' sie nur. Ich nehm's dir nicht krumm, wenn dir ihr Duft ein wenig zu Kopfe steigt. So muß es ja sein: alles muß dir zu Füßen liegen, alles in dich verrückt sein. Fürsten und Könige müssen um deine Gunst buhlen und ihre Knochen riskieren um einen Blick deiner Augen. Nimm du's ruhig an. Daß sie dir nicht zu nahe kommen – dafür sorge ich schon, wie du siehst! In dem Kriegshandwerk nehme ich's auch mit jedem auf. Ich war selbst kein Kostverächter, als ich jung war!«
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und blickte zu ihm auf.
»Du hättest das von dem Kinde nicht vor ihm sagen müssen«, sagte sie leise vorwurfsvoll.
»Werd' nur nicht sentimental, Malchen«, sagte er und gab ihr einen herzhaften Kuß. »Das steht dir nicht, und ich mag's nicht leiden. Meine Tochter nehme ich jetzt ins Haus, da bist du nicht allein. Viel jünger wie du ist sie nicht, ihr werdet euch gut anfreunden, denke ich! Und so kriege ich sie von ihren Großeltern fort. Die verziehen sie mir nur. Und ich kann für meinen Tod nicht all diese welsche Erziehung der jungen Weiber leiden, wie sie nur Französisch parlieren und sich mythologisch vorschwärmen lassen können.
Die Rike mußt du in Behandlung nehmen, Malchen, wenn sie kommt, und ihr das Welsche gehörig wieder austreiben! Versprich mir das! Und wenn sie auch französisch frisiert sein sollte, wofür sie der Deibel holen soll, so kämm's ihr nur schleunigst aus! Kämm's aus, Malchen, sonst lasse ich mich von dir scheiden!«
Damit nahm er sie unter den Arm und ging mit ihr ins Haus hinein.