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Enten waren da, die Masse«, sagte der Rittmeister und zwirbelte seinen Schnurrbart. »Aber sie hatten Glück! Der Nebel wollte nicht weichen, die Sonne machte sich's bequem! Und der Hund taugte auch nichts! Weiß der Teufel, was ihm in die Nase gefahren war! Der Nebel hatte ihm wohl den Riecher genommen! Denn er stieß direkt mit der Nase auf den Vogel, ehe er ihn gewahr wurde! Der schoß dann wie ein Pfeil davon, und der dumme Köter stand da und glotzte in sein Kielwasser, wie es luftig durch das Schilf rieselte, bis es zu spät wurde und der Vogel untergetaucht war. Keinen einzigen Aufflug brachte er zustande! Keine Möglichkeit, zum Schuß zu kommen!
Da mußte ich selbst den Hund machen! Beim nächsten Vogel, den wir aufstöberten, sprang ich ins Wasser und machte ein alles andere denn weidmannsgerechtes Hallo, um ihn zum Aufflug zu bringen!
Das gelang nun schon nach Wunsch! Aber alles, was ich vom Vogel bekam, war weiter nichts als sein höhnisches Schnattern und das Rauschen seiner Flügel und, wo er aufflog, eine sonderbare Bewegung im Nebel, die im Dämmerlicht der aufgehenden Sonne Gestalt annahm und zu etwas Menschenähnlichem wurde!«
»Etwas Menschenähnlichem?!« wiederholte die Frau Rittmeisterin und blickte von ihrer Handarbeit auf.
»Ja, eine menschenähnliche Gestalt, eine Nixe, die mich hold anlächelte und die Arme gegen mich ausstreckte. Deine Züge hatte sie!«
»Geh!«
»Auf Ehre!« Sie hatte es! Und ich, nicht faul, gleich hinterher, ohne an den morastigen Boden zu denken! Und plötzlich, ehe ich's mich versah, gab der Grund unter meinen Füßen nach, und im Nu stand ich bis zum Hals im Sumpf!«
»Das geschah dir recht! Warum jagst du Nixen nach!«
»Deine Züge hatte sie!«
»Wer's glaubt. Dann hättest du's sicher nicht so eilig gehabt!«
»So eilig sogar, daß es mir fast das Leben kostete!«
»Dein Leben achtetest du stets gering!«
»In dem Augenblick nicht! Ich gab gehörig Hals! Und zum Glück war der Förster nicht weit!«
»Der Hasse?«
»Ja! Im letzten Augenblick kam er hinzu, reichte mir seinen Flintenlauf, und daran konnte ich mich dann so allmählich aus dem Schlamm herausholen! Es hätte aber schief gehen können!«
»Ja, da siehst du, wohin der Übereifer dich führt! Immer mußt du Leben und Gesundheit aufs Spiel setzen, und sei's nur um eine Wildente – oder, meinetwegen, um eine Nixe zu erwischen!«
»So ist's! Immer aufs Ganze! Nur so erreicht man etwas!«
»Wenn man nicht das Genick dabei bricht!«
»Darum brauchst du nicht zu bangen! Ich komme nicht um! Ich bin fest überzeugt, daß mir gegeben wurde, im Leben etwas Besonderes zu leisten! Das macht fest gegen Schuß und Hieb! Wenn ich auch manchmal etwas abgekriegt habe –, das Leben hat's noch nicht gekostet! Zum Krüppel wurde ich auch nicht! Und heute, wo ich bis zum Hals versank und mich kaum noch bewegen konnte, auch heute verließ mich die Zuversicht nicht, sondern ich dachte: ›Habe ich etwas im Leben zu tun, so bleibe ich wohl am Leben!‹ Und ich blieb! Die rettende Hand war gleich zur Stelle! Das gibt mir Zuversicht. Denn so wie auf der heutigen Jagd, so war mein ganzes bisheriges Leben, seitdem ich den Dienst quittierte. Bis zum Hals im Schlamm versunken, ohne Möglichkeit, mich zu bewegen, wenn nicht bald die Hilfe kommt, mich aus dem Sumpf herausbringt, mich wieder als Soldat einstellt und mich mittun und mitleben läßt! Denn so wie jetzt geht's nicht weiter! So komme ich um! So versumpfe ich ganz und gar!«
»Warst du denn so unglücklich mit mir?«
»Wie kannst du nur fragen? Saumäßig wohl war's mir die ganze Zeit! Ein stolzes Gefühl, als freier Herr auf eigenem Grund und Boden zu schalten und zu walten und zu sehen, wie wir vorwärtskamen und uns wohl dabei standen! Ich trug schon die Nase gehörig hoch bei all der Anerkennung, die mir von allen Seiten zuteil wurde! Das leugne ich gewiß nicht! Aber das ist gewesen, und das soll mich von nichts mehr abhalten dürfen! Alles hat seine Zeit! Das mußte auch erlebt sein, und das habe ich erlebt! Das genügt aber nicht! Das erfüllt mein Leben nicht! So schlafe ich ein, geistig wie leiblich. Und das darf nicht sein! Ich habe den Trieb, mich weit darüber hinaus zu betätigen, und wenn's mir das Leben kosten sollte! Vorwärtsstürmen aufs Unmögliche los, um es möglich zu machen und auch andere dazu treiben! Das habe ich! Das kann ich! Ob's der Abenteurer ist, der mir im Blute liegt – ob's weiter nichts ist als purer Leichtsinn –, jener Trieb muß befriedigt werden, oder ich krepiere!«
Die Frau Rittmeisterin blickte auf.
»Man soll das Leben nur für etwas einsetzen, was des Lebens wert ist!«
»Wer nicht bereit ist, es stets und immerdar für seine Sache einzusetzen, wie gering sie auch anderen scheinen mag, der ist nicht wert, zu leben!«
»Du wirfst es aber hin, wie wenn du Geld auf eine Karte setzest.«
»Und gewinne es zehnfach wieder!«
»Wenn du nicht Pech hast, wie meistens – Pech beim Spiel, Pech auf der Jagd, Pech in der Liebe –«
»Wie kannst du das sagen?«
»Wieso nicht?! Wo du mit einer Frau leben mußtest, die dir weiter keine Empfindungen eingeben konnte als das Gefühl, an ihrer Seite im Sumpf zu versinken!«
»Verdrehe meine Worte nicht! Versteh mich recht: ich fühle mich zurückgesetzt, ausgestoßen, zu nichts nutz! Bloß als Brotverdiener auf der Welt und weiter nichts! Mein Leben geht dahin, und ich leiste nichts! Die Zeit schwindet, und ich stapfe noch immer auf demselben Fleck! Wenn ich sehe, wie weit es meine ehemaligen Kameraden inzwischen gebracht haben – –«
»Da solltest du dem Himmel danken, daß du des Königs Rock beizeiten auszogst! Denn das machte dich zum freien Mann und erhielt deinen Sinn unabhängig! Gott behüte, daß du heute da stehen solltest, wo deine Kameraden jetzt sind. Keinen Schritt könntest du machen ohne Befehl –, keine Bewegung außer der reglementierten! Das kannst du aber jetzt –«
»Das kann ich jetzt erst recht nicht, wo ich die Rücksicht auf die Familie und auf unser täglich Brot über alles andere stellen muß. Ich ziehe jedenfalls das soldatische Reglement dem der Ehe vor! Verzeihe mir, aber es mußte einmal klar und deutlich ausgesprochen werden.«
»Ich glaube,« sagte die Frau Rittmeisterin, ohne die geringste Bewegung zu verraten, »ich glaube, daß unsere Ehe dir genug Bewegungsfreiheit für deine persönlichen Neigungen ließ. Jedenfalls nahmst du sie dir mehr als reichlich!«
»Das tat ich! Und das hätte ich auch als Offizier getan. Ich war dumm, als ich den Dienst quittierte!«
»Du warst weder dumm noch klug, du warst ein aufrechter Mann. Und niemals habe ich dich mehr geliebt als in dem Augenblick, wo du Manns genug warst, deine Würde zu wahren. Denn Unrecht geschah dir, als ein Fürstensprößling dir vorgezogen wurde, der dir sowohl an Meriten wie an Dienstjahren nachstand. Und du tatest recht, als du dem König daraufhin deinen Degen vor die Füße warfst! Jetzt aber, wo du jahraus, jahrein dem König schreibst und ihn um Wiedereinstellung als Offizier anbettelst, jetzt schäme ich mich deiner! An die zehnmal schriebst du ihm! An die zehnmal gab er dir den Fußtritt, der dir ob solchen kläglichen Gewinsels gebührte!«
»Hör auf!«
»Hörtest du wohl auf mit deinen Bettelbriefen? Schriebst du nicht unter jeden Brief: ›in allertiefster Devotion ersterbend, Eurer Königlichen Majestät alleruntertänigst gehorsamer Knecht‹? –«
»Phrasen, weiter nichts!«
»Habe ich einen Phrasendrescher zum Mann genommen? Habe ich einem alleruntertänigst gehorsamen Knecht die Hand gegeben, der ›in allertiefster Devotion erstirbt‹? Oder war's ein Mann, der aus Ehrgefühl zum Rebellen werden konnte?«
Er nahm sie in seine Arme und küßte sie herzlich.
»Halte dich nicht über Äußerlichkeiten auf. Der althergebrachten, von der Gewohnheit, oder sagen wir: vom Zeremoniell geheiligten Form muß ein jeder genügen, hoch oder niedrig, der sich dem Träger der Krone naht! Das ist weiter nichts als eine Redensart!«
»Mag sein! Aber eine Redensart, die entwürdigt. Ich würde mich schämen, sie zu gebrauchen!«
»Und ich –, ich schreibe sie ihm nochmals und nochmals, bis er nachgibt und mir meinen Willen tut. Wenn ich bloß ans Ziel komme, wenn ich erreiche, tätig sein zu können, was kümmert's mich, wie ich dazu komme? Jeder Weg ist mir da recht! Und wäre er noch so holperig, ich gehe ihn doch ohne Zögern! Das ist nichts als einfache Pflicht, der Macht gegenüber, die mir anheimgab, eine Aufgabe über das Alltägliche zu suchen! Und daran hindert mich nichts – deine Verachtung nicht, und erst recht nicht dein Schelten! In einem gebe ich dir aber jetzt recht: das Schreiben von Bittgesuchen war dumm! Das werde ich künftig lassen. Es gibt andere und bessere Wege! Wo ich Deputierter der Landschaft bin, kann ich auch so an den König heran. Das nächste Mal, wenn er hier Revue abhält, sorge ich dafür, daß ich die Landschaft vertrete. Da bedarf es keines Audienzgesuches! Und das Weitere wird sich ergeben. Aber von meinem Vorhaben lasse ich nicht ab. Soldat bin ich mit Leib und Seele, und Soldat bleibe ich! Du sollst es schon sehen: eher als du denkst, wirst du als Frau Majorin aufwachen!«
»Gott verhüte es! Dann müßte ich unser schönes Groß-Raddow verlassen und in der Garnisonsstadt leben!«
»Das schon!«
»Das wäre mein Tod! Das kann ich nicht! Ich würde ersticken. Ich würde ohne Licht und Luft zugrunde gehen! Bin ich dir denn kein Opfer wert? Ist dir der Traum, dem du nachjagst, mehr als eine ruhige, gesicherte Wirklichkeit an meiner Seite? Wozu jetzt noch einmal dein altes Leben von vorne anfangen? Vierzehn Jahre warst du schon außer Dienst, und du bist nicht mehr der Jüngste, hast nicht mehr das Ungestüm der Jugend, das vorwärts über alle Hemmnisse hinwegtreibt. Du wirst nur Enttäuschung über Enttäuschung erleben und bitter bereuen, unser Glück um ein Hirngespinst geopfert zu haben. Du hast ja ohnehin Tätigkeit übergenug! Hast ja die Güter – unser schönes Groß-Raddow und Sassenhagen, das du eben angekauft hast! Ein ganzes Leben brauchst du, um die hochzubringen. Wie kannst du nur daran denken, daneben noch als Offizier zu dienen? Entweder die Güter werden vernachlässigt, oder der Dienst wird es!«
»Dann lieber die Güter«, dachte der Rittmeister. »Die kann man ja verkaufen, wenn sie im Wege sein sollten!«
Aber er sagte es nicht laut. Er sah, wie sie mit ganzer Seele daran hing, ihr Leben in der bisherigen Weise weiterleben zu können, dachte an ihre zunehmende Kränklichkeit, fühlte ein menschliches Rühren, wurde großmütig, opferbereit und schwang sich sogar auf, den Verzicht auszusprechen. Das beruhigte sie.
Aber er selbst fühlte, als hätte er seiner ureigensten Natur Gewalt angetan und das Heiligste verleugnet. Ein brennendes, sickerndes Verlangen nach dem großen Abenteuer seines Lebens, das er haben mußte, wenn er nicht elendiglich verkümmern sollte, bemächtigte sich seiner ungestümer denn je und ließ ihm keine Ruhe mehr.
*
In Sanssouci endete zu gleicher Zeit ein einsamer Mann, von Arbeit ermüdet, von Krankheit zerrüttet und von aller Welt verlassen.
Ein Leben erlosch, das Kampf gewesen war, Kampf und, Sieg gegen eine ganze Welt – ein Leben voll treuester Pflichterfüllung und Strenge gegen sich selbst und alle anderen. Der alte Adler starb und schloß seine Augen für immer.
Ein Aufatmen –, ein Gefühl der Erleichterung ging durch das ganze Volk. Die wenigsten gedachten bei der Todesbotschaft der großen Lebensleistung, deren Zeugen sie gewesen waren. Die erlittene Bedrückung zitterte noch bei allen nach.
Auch nach Pommern drang rasch die Kunde des großen Ereignisses. Hier wie dort im ersten Augenblick ein Aufjauchzen, das die Größe dessen, der zu Grabe getragen wurde, total verwischte.
Auch Blücher ging es nicht anders. Aber zugleich fühlte er etwas wie ein Rauschen großer Flügel um sein Haupt und wurde von einer seltsamen Empfindung beschlichen, als sei ihm ein Erbe überkommen.
»Jetzt ist's vorbei mit dem schmählichen Beiseitestehenmüssen! Jetzt ist meine Zeit da!«
So jauchzte er auf bei der Trauerkunde. Und seine Frau schwieg. Sie sah es ein, daß er nicht mehr zu halten sein würde. Der stille Verbündete, den sie in dem alten König gegen ihn gehabt hatte, war nicht mehr! Keine Macht gab's mehr auf Erden, die seinen Tatendrang, der stets ihr Eheglück sprengen wollte, eindämmen konnte! Sie mußte es über sich ergehen lassen, wie es auch kommen würde!
Und Tränen der Wehmut, nicht des Stolzes, waren in ihren Augen, als sie beim darauffolgenden Durchzug des neuen Königs durch Stargard ihren Mann, hoch zu Roß, in der kleidsamen Uniform der pommerschen Landschaft, dem königlichen Wagen voraussprengen sah. Und auch als er siegestrunken zurückkehrte und ihr vom Gelingen seines Unternehmens und von der Audienz beim Könige erzählte, sowie von dessen gnädiger Zusage, ihn bei Gelegenheit mit voller Anciennität als Major in sein altes Regiment wiedereinstellen zu wollen – auch dann vermochte sie nur mit Mühe die qualvollen Seufzer niederzuhalten, die sich ihrer Brust entringen wollten.
*
Einige Jahre später stand er vor ihr in ihrer kleinen Wohnung im pommerschen Städtchen Rummelsburg, hatte den Feldzug in Holland hinter sich, hatte den Verdienstorden um den Hals und war im Begriff, sich wieder von ihr zu verabschieden, um in den Krieg gegen Österreich zu ziehen.
Er sah ihre bleichen Wangen, ihr abgezehrtes Gesicht, ihren müden Blick, sah mutlose Resignation in ihrer ganzen Art, sich zu geben, und sein Herz schnürte sich zusammen. Seinem Beruf zuliebe hatte sie auf das Landleben verzichtet. Ihre Güter, an denen sie hing, die aber aus der Entfernung nicht bewirtschaftet werden konnten, waren verkauft. – Groß war das Opfer, das er von ihr verlangt hatte – er sah es ein. Aber er hatte nicht anders handeln können. Und jetzt galt es wieder Abschied nehmen.
»Diesmal wohl für immer«, sagte sie wehmütig lächelnd. »Ich dachte es schon damals, als du in den holländischen Feldzug gingst. Und einmal muß es ja sein! Es ist ja auch besser so. Ich sehe es ein – ich bin dir im Wege und muß fort. Ich beklage mich nicht. Du warst immer gut, immer lieb zu mir. Du kannst wohl aber nicht aus deiner Haut heraus. Dein Beruf muß dir ja über alles gehen, und mir kommt es zu, ihn nach Kräften zu fördern. Ich gehe also hinüber zu den Kindern! Es muß auch nach ihnen geschaut werden! Sie rufen mich schon oft, viel lauter als die Lebendigen. Bleib du denen ein guter Vater. Und hab' Dank für alles. Es war schön mit dir. Und wenn ich nochmals mein Leben anfangen könnte, ich würde dich wieder nehmen!«
Er schloß sie in seine Arme und küßte sie. Seine Tränen mischten sich mit den ihren.
Dann riß er sich los, eilte hinaus, stieg in den Sattel und zog an der Spitze seines Regiments sang- und klanglos zur Stadt hinaus.
»Wenn i kumm, wenn i kumm, wenn i wiederum kumm – –« summte er dabei leise das alte Lied.
Als er aber wiederum kam – da war die Hochzeit gewesen. Ein anderer Freier, der nirgends ungehört anzuklopfen pflegt, hatte ihr das Brautbett gerüstet und sein Liebstes in kühler Erde zur letzten Ruhe gebettet.
Die Kinder kamen zu den Großeltern, und nichts war mehr da, was ihn fesselte.
Der junge Adler war aus dem Nest heraus und hob seine Schwingen zum Flug.