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Am anderen Morgen regnete es. Therese hatte die Nacht sehr unruhig verbracht; sie konnte nur schwer einschlafen; es war ihr, als wäre in ihrem Dasein ein Wandel eingetreten. Sie maß dem Geheimnis, das sie in ihrem Innern barg und das sie gestern ableugnete, keine Bedeutung bei, obschon ihr Leben bis dahin so ereignislos dahingeflossen war, daß sie sich durch diese kleine Lüge bedrückt fühlte. Des Morgens war sie um halb sieben Uhr noch schläfrig, ihre Augen brannten, sie hatte das Bedürfnis zu schlafen und dennoch war sie froh, daß der helle Tag da war und sie aufstehen und die Wohnung in Ordnung bringen konnte. Ihre Schuhe waren gereinigt, denn sie durfte nicht schlafen gehen, ehe diese Arbeit getan war; ihr Bett war im Nu in Ordnung gebracht, an die Wand geschoben und mit einer roten Decke versehen. Sodann ging sie in Strümpfen und Pantoffeln in die Küche, wo das frische Wasser, das ihre Mutter vom Korridor hereingebracht, schon im Lavoir vorbereitet war. Als sie mit der Reinigung zu Ende war, blickte sie prüfend in den auf dem Fenster hängenden Spiegel. Sie betrachtete sich, trocknete mit zärtlicher Sorgfalt ihre Hüften und dachte daran, wie ein mit Spitzen besetztes Batisthemd, eine schöne, moderne Toilette sie wohl kleiden würde. Diesen Morgen liebte sie ihren Leib mehr als sonst.
»Was gibt's denn, Therese?« fragte die Mutter. Wie lange willst du dich denn waschen? Es ist bald acht Uhr.«
Therese gab ihr keine Antwort; sie ordnete eilig, mit geschickter Hand ihre Haare und langte nach dem Frühstück. Es gab zwei Tassen Kaffee und vier Kipfel; dieses bescheidene Frühstück führte jeden Morgen Mutter und Tochter zusammen; der ungedeckte Tisch, auf welchem sie es verzehrten, war ein Überbleibsel vergangener guter Zeiten; wohl war die Politur stellenweise schon rissig, doch die Beine hielten noch stand.
»Heute ist der Zehnte des Monats,« meinte die Mutter, mit dem Kipfel im Kaffee herumrührend. »Noch zwanzig Tage, dann müssen wir uns nach einem Posten umsehen. Wirst du bis dahin das Schreiben erlernen?«
»Wie denn nicht, es geht ja schon jetzt ganz gut.«
»Nun, und willst du in eine Bank oder lieber zu einem Advokaten gehen?«
Sie biß in das vom Kaffee triefende Gebäck. Wenn sie aß, ließ die Strenge ihrer Miene etwas nach, als würde sie etwas wie Lebensfreude empfinden. Sie war nicht mehr so steif und saß, der Ruhe pflegend, zufrieden da.
Therese trank nachdenklich ihren Kaffee und sagte endlich:
»Es wird sich schon etwas für mich finden ... Für sechzig bis achtzig Kronen wird irgendein Amt meine Arbeit schon erkaufen.«
»Achtzig Kronen, das ist viel Geld für jemand, der mit einer Pension von hundertzwanzig Kronen ein kümmerliches Dasein fristet,« antwortete die Alte.
Hiermit nahm das Morgengespräch ein Ende. Therese eilte zu Paula König. Als sie bei ihr anläutete, öffnete sich die Tür nicht sogleich, erst nach dem zweiten Klingeln kam die kleine schmutzige Magd zum Vorschein. Fräulein Ladány wollte hinein, allein die kleine Schmutzige übergab ihr einen Brief.
»Den Brief schickt die gnädige Frau und sie läßt Ihnen sagen, Sie möchten ihn draußen lesen.«
Therese ging hinaus und hielt ein mit der Maschine beschriebenes Kuvert in der Hand, in dem Geldmünzen klirrten. Der Briefumschlag war wie folgt adressiert: Fräulein Therese Ladány, hier.
Sie öffnete das Kuvert und entnahm ihm sechs Kronen sechsundsechzig Heller und einen mit der Schreibmaschine geschriebenen Brief. Sie wollte ihren Augen kaum trauen, als sie ihn las:
»P. T. Anbei habe ich die Ehre, von dem zehn Kronen betragenden Lehrgeld den nach Abzug von zehn Tagen verbleibenden Rest zurückzusenden, weil ich zu meinem größten Bedauern nicht in der Lage bin, Sie weiter als Frequentantin meiner Schreibmaschinenschule zu betrachten. Sie kennen den Hauptgrundsatz meiner Schule: Nur Maschinenschreiben, sonst gar nichts! Nun sind Sie aber, P. T., gestern abends in der Gesellschaft eines meiner männlichen Schüler auf der Stefaniestraße herumkutschierend gesehen worden, und da dies den guten Ruf des Instituts König schädigen kann, muß ich P. T. bitten, Ihre Schreibmaschinenstudien anderswo zu beenden. Ich werde wahrscheinlich noch diesen Herbst Parlament-Tippfräulein sein und meine Zukunft Ihretwegen nicht aufs Spiel setzen.
Achtungsvoll Paula König.«
Im ersten Augenblick wußte Therese selbst nicht, was sie anfangen sollte. Sie geriet in Wut und wollte mit der Faust auf die Tür schlagen; sie brach in ein Gelächter aus und rief laut: »Tiere, Tiere!« Sie wollte fortgehen, blieb jedoch stehen, um anzuläuten und Paula König ihre Meinung zu sagen. Sie besann sich aber eines andern und wendete sich zum Gehen. Es lohnte nicht! Sie zerriß den Brief und verstreute die kleinen Papierfetzen unterwegs auf der Treppe. Die kleine dicke Klara Guttmann kam ihr entgegen.
»Nun, Fräulein Ladány, Sie gehen schon fort? Sie haben da einen herzigen Mantel ...«
Sie ließ die Wesselényigasse mit der Schreibmaschinenschule der Paula König hinter sich zurück und ging langsamen Schrittes gegen die Ringstraße zu. Vor dem Schaufenster des Yost-Geschäftes stehend, sah sie da oft nette Mädchen auf der Maschine klopfen; das mußte gar nicht so langweilig sein ... vielleicht sollte sie es versuchen.
Der Regen hörte auf, und sie war auf dem Ring angelangt, als sie plötzlich angesprochen wurde:
»Guten Morgen, Ladány ... Lange habe ich Sie nicht gesehen.«
Therese hob den Kopf und sah die Manci Darkács vor sich. Fünf Klassen hatten sie zusammen absolviert, doch in der sechsten war die Darkács plötzlich ausgeblieben. Sie war die Tochter einer Witwe, die Logenschließerin im Lustspieltheater war, und die Mädchen flüsterten bald einander zu, ein reicher Herr wolle die Manci zur Schauspielerin heranbilden lassen. Seither war sie nie mehr in der Schule zu sehen ...
»Schau, schau, Sie sind es, Darkács?«
Früher hatten sie einander geduzt, doch waren sie schon lange nicht beisammen und die Margarete Darkács sah so vornehm aus, daß Therese gar nicht den Mut gehabt hätte, sie zu duzen. Sie trug einen englischen Überzieher à la mode, einen kleinen schmalkrämpigen Biberhut mit einer Paradiesvogelfeder; ihre Füßchen waren mit amerikanischen Halbschuhen bekleidet. Ihre blonden Haare fielen in wohlgepflegten Locken auf ihre Stirne, ihre feine, schmal zugeschnittene Nase verlieh dem ganzen Gesicht einen sehr intelligenten Zug. Sie sah ernst aus, um so lebhafteren Eindruck machten daher ihre lachenden Augen ... Man sah ihr an, wie sehr es sie freute, einer ihrer gewesenen Mitschülerinnen begegnet zu sein.
»Haben Sie was Dringendes vor, Ladány?«
»Nein, nichts,« erwiderte Therese.
Und sie sprach die Wahrheit. Nach dem Vorgefallenen hatte sie zwar das Bestreben, in einem anderen Schreibmaschinenkurs Unterkunft zu finden, doch sie erblickte eine Schicksalsfügung darin, daß man sie aus dem Institut König hinauskomplimentiert hatte. Als hätte das Schicksal nicht gewollt, daß sie Schreibmaschinenfräulein werde und für 60 bis 80 Kronen monatlich tippe. Mit gierigen und neidischen Blicken betrachtete sie die Margarete Darkács, die Theaterschülerin war ... Warum sollte nicht auch sie es werden können? Wiederum klang ihr das Lob im Ohr: sie ist wirklich ein sehr talentiertes Kind.
»Wissen Sie was?« sprach Margarete in aufgeregter Hast, »kommen Sie mit mir in die Schule hinauf. Jetzt haben wir gerade die Kulturstunde, lauter Dummheiten, die mit der Schauspielkunst nichts zu schaffen haben, wir können da ungestört plaudern.«
»Darf ich denn dort hinaufgehen? Ich bin ja keine Schülerin ...«
»Na, hören Sie! Wenn ich hundertundzwanzig Kronen monatlich Schulgeld zahle, werde ich doch eine Freundin mitbringen dürfen. Sputen wir uns, der Regen geht wieder los.«
Therese war glücklich, ihr Gesicht war hochgerötet vor Freude und Neugierde. Sie pries den Zufall, daß sie gerade heute Vormittag frei war und mit ihrer alten Schulkollegin zusammentraf, die nicht aufhörte zu plaudern.
»Denken Sie sich, der Rudolf trägt Literatur auch in der Theaterschule vor.«
Schon in der Bürgerschule hatte Rudolf die Mädchen unterrichtet. Er war ein gestrenger Lehrer, doch auch ein Schwärmer, erfüllt von den Idealen seines Berufes. Über seine sommerlichen Ferienreisen pflegte er schwärmerische Berichte zu veröffentlichen, und er fand einen sicheren Zusammenhang zwischen dem Stil und dem Charakter. In der Bürgerschule waren alle Mädchen in ihn verliebt.
»Ist er auch da so streng?«
»Aber nein ... da kann er uns nichts vormachen ... er kann predigen, so viel er will, niemand schert sich darum. Auch die Jászai hat keine Literaturgeschichte gelernt und doch ist sie die Jászai, auch die Fedák tanzt mit ihren Beinen und nicht mit Franz Kazinczy ...«
Beide lachten laut über die schnurrige Idee, und gleich zwei ausgelassenen Kindern bogen sie in eine Seitengasse der Tabakgasse ein, wo sich die Theaterschule der Rosa Ligeti befand ...
Ein gelbes, einstöckiges Haus. Im ersten Stock war neben der Tür eine Tafel mit der Aufschrift:
Rosa Ligetis
behördl. konzession. Theaterschule.
Die Tür war angelweit geöffnet, im Vorzimmer sah man auf dem Kleiderrechen Männerhüte und Frauenhüte in buntem Durcheinander. Indessen machte alles dieses trotz der Unordnung einen ganz andern Eindruck als das Vorzimmer der Paula König. Sonderbarerweise waren steife Männerhüte kaum zu sehen, zerdrückte und breitkrämpige Artistenhüte hingen neben den kleinen Damenhüten, die allesamt modern, ja hochmodern waren. Kokette, runde Dingerchen, Farben und Formen, die wöchentlich und monatlich wechseln. Nur die Modelaune, die sorglose Leichtfertigkeit konnte dafür Geld ausgeben.
Manci hängte ihren Mantel auf einen leeren Kleiderrechen und sagte zu Therese, die schüchtern, zögernd hinter ihr stand:
»Rici, leg ihn ab, die Mutter mag die Hüte nicht ...«
Sobald das Tor der Theaterschule hinter ihr war, duzte sie auch schon ihre gewesene Schulkollegin Therese, die sie vertraulich Rici nannte.
»Wenn ich aber nicht eintreten darf!« meinte Therese zaghaft.
»Dumme Gans! Hier ist alles erlaubt ...«
Und schon hatte sie ihr Hut und Mantel aus der Hand genommen ...
Aus dem Innern vernahm man den Gesang einer unangenehm kreischenden Stimme.
»O weh! Die Zsazsa Rombauer singt ... Sie zahlt hundert Kronen Extralehrgeld und die Mutter will für das Geld um jeden Preis eine Stimme aus ihr herauspressen ... aber da kann sie sich auf den Kopf stellen. Mir scheint, nicht der Rudolf ist da, sondern die Mutter ... man hält Probe fürs Theater ... Gehen wir ...
Und sie faßte ihre Freundin beim Arm und schob sie hinein. Im Zimmer mochten es ihrer Dreißig bis Vierzig sein, doch niemand kümmerte sich um die beiden. Ihr Eintritt wurde gar nicht beachtet. Im Hintergrunde des großen Raumes befand sich eine kleine Bühne, vor der ein Tisch mit einem Stuhl stand, ferner ein Klavier, von dessen Tasten das Elfenbein allmählich abgesprungen war, so daß die Tastenreihe den Eindruck einer schlecht gepflegten Zahnreihe hervorrief. Das Zimmer war angefüllt mit Stühlen, rechts saßen die jungen Leute, links die Mädel ... In der Mitte war eine meterbreite Gasse freigelassen. Die Jungen und Mädchen scharten sich jetzt um das Klavier, wo ein bärtiger Herr, der Gesangslehrer der Schule, mit einem Finger die Tasten bearbeitete; er spielte bloß die nackte Melodie. Vor ihm stand die Zsazsa Rombauer, eine hübsche Person mit einem Puppengesicht, blonden Haaren, lebhaften Augen; ihre ganze Erscheinung verriet, daß sie sich sorgsam hegte und pflegte. Ihr Kostüm mußte aus einem sehr feinen Atelier stammen; die leichte Bluse war am Halse geöffnet, damit sie freier singen konnte.
Am Tische saß eine schon alternde Dame, die indes durchaus nicht den Eindruck einer Männerverächterin machte. Ihre schwarzen Haare, in die sich schon einige graue Fäden mengten, waren hochgekämmt, ihre Lippen stark gefärbt, ihre Gestalt rundlich; zwischen ihren wogenden Brüsten tanzten kleine Perlmutterknöpfe hin und her.
Ihre Stimme war schrill und scharf. Es war Rosa Ligeti, die Direktrice der Anstalt.
»Meine Damen,« schrie sie mit gedehnter, dünner Stimme, »beginnen wir von vorn ... Bitte, Herr Professor!«
Es wurde still. Die Köpfe lehnten sich ein wenig nach vorn, und die Lippen öffneten sich wie unbewußt in Erwartung des Zeichens zum Beginne. Der Herr Professor erhob die linke Hand, sein Zeigefinger wies gleich einem kleinen Dirigentenstab auf die Zsazsa Rombauer, während seine rechte fünfmal niederfuhr, und während der Marterkasten ächzte und stöhnte, wiederholte er immer wieder:
»Fis! ...Fis! ... Fis!«
»Fis, Zsazsa, fis!« rief die Rosa Ligeti, die noch nie im Leben eine Taste berührt und keine Ahnung vom Unterschied zwischen der Musik und dem Gerassel eines Karrens hatte.
Aber die Rücksicht auf ihr Ansehen und das Extralehrgeld veranlagte sie, beharrlich zu wiederholen:
»Fis, Zsazsa, fis!«
Die linke Hand des bärtigen Professors fuhr nieder und Zsazsa Rombauer quiekte:
»Meine Schönheit, meine Anmut
Spottet jeder Beschreibung.
Bewundert doch meines Busens
Klassisch-plastische Rundung.«
In diesem Augenblicke stimmte die ganze Schar von Zöglingen im Chor ein:
»Ich kann es länger fürwahr
nicht mehr aushalten, aushalten, aushalten ...«
Die Alt- und die Baßstimme wiederholte fortwährend: klassisch-plastische Rundung, während der lustige Tenor und der ausgelassene Sopran im Duett sangen: aushalten, aushalten, aushalten. Der Professor schlug mit der Rechten den Takt der Melodie, mit der Linken dirigierte er, und die Mutter hörte nicht auf, zu wiederholen: »Fis, Zsazsa, fis ...«
Das war die Theaterschule der Rosa Ligeti, und der Saal, in den die beiden eintraten, war für den Lehrkurs der Fortgeschrittenen und der Fertigen bestimmt. Die Inhaberin-Direktrice stand mit einem Budapester Operettentheater in einem Vertragsverhältnis, sie lieferte dem Theater die männlichen Statisten und die showgirls. Das war die künstlerische Aufgabe des Instituts, während die realistische die war, der Rosa Ligeti, die ehedem eine Provinzschauspielerin war, ferner ihrem arbeitsscheuen Manne, der den ganzen Nachmittag im Café Abbazia Karten spielte, und ihren beiden Söhnen, die Mitglieder des Schriftstellerklubs Otthon waren, ein glänzendes Auskommen zu sichern. Die Zöglinge rekrutierten sich aus den Niederungen Budapests. Niemand kümmerte sich um die Vergangenheit der Mädchen; jene, die mehr Lehrgeld zahlten, waren die talentierten, wer noch mehr zahlte, konnte sogar in den vierteljährlich stattfindenden Prüfungskonzerten auftreten. Eine ganze Reihe von Mädchentypen drängte sich um das Klavier herum.
Niemand kümmerte sich um Therese. Es kam hier ja oft vor, daß Mädchen auftauchten, die nach einigen Tagen verschwanden. Auch die Rosa Ligeti hatte sie nicht bemerkt, sie war mit den Mädchen beschäftigt, denn die neueste Operette wurde probiert, die ein Schlager der Saison zu werden versprach. Zsazsa Rombauer hatte die Partie der Primadonna, während die anderen den Chor sangen. Es wurden die schönsten Mädchen ausgesucht, von denen acht mit der Primadonna zusammen den Marsch der Milliardärmädchen und den Bettlerwalzer sangen und tanzten. Wenn in dem Theater die Proben beginnen, bleiben nur die Zöglinge des ersten Jahrganges in der Schule zurück. Sie sind es, denen die Professoren Vorträge halten, sie haben Wordsworths Gedicht »Wir sind unser sieben« zu deklamieren, sie müssen die Schicksaltragödie der Atriden studieren und diese armen Mädchen und verkommenen Jungen, die kaum lesen und schreiben können, hören Vorträge über das ungarische Heldenepos an.
Heute kommt übrigens auch der Autor, der steife und leise sprechende Veszprémy, um die Schülerin auszuwählen, die den Fisch verkörpern soll. Dieser glänzende Einfall kommt im Finale des zweiten Aktes vor, wo der alte Wüstling Marquis Trarieux in Paris eine Soiree gibt, in deren Verlauf sein Sohn den Verlobungsring der Tochter des Sardinenkönigs Worchester ins Gesicht wirft, weil diese ihm sagt, er wolle sie nur zur Frau nehmen, um den schäbig gewordenen Namen Trarieux mit ihren Millionen zu vergolden. In diesem dramatischen Augenblick wird der Fisch serviert. Die glänzend livrierten Lakaien öffnen angelweit die Türen, das Orchester spielt aus Leibeskräften den Walzer »Mein Herz, mein Herz, brich nicht«, da bringen vier Lakaien auf einer goldenen Schüssel den Fisch: ein wunderschönes junges Mädchen in Trikot, mit der sich der junge Trarieux plötzlich verlobt, um der Miß Worchester zu zeigen, daß er ihr Geld nicht brauche.
Wer soll der Fisch sein? Diese wichtige Frage beschäftigte die ganze Theaterleitung. Der Autor empfahl, eine schön gewachsene Theaterschülerin auszuwählen. Er meinte, es werde viel mehr auf die Sinne wirken, wenn ein unbekanntes, schönes, junges Mädchen auf der Platte gebracht werde, als eine Schauspielerin, deren Figur schon Gemeingut ist. Es mußte eine ausgewählt werden, die niemand kannte und bei deren Anblick das ganze Publikum wie ein Mann fragt: »Wer ist das?«
Das Klavier spielte unermüdlich die Melodie, der Chor brüllte aus Leibeskräften, da ging die Tür auf und Veszprémy trat ein, begleitet von dem Theaterdirektor und von einem dicken Schauspieler, der überall dabei sein mußte und immer alles besser wußte als jeder andere. Es hieß von ihm, er werde nie sterben, denn der liebe Gott wolle nicht, daß er an dem Jenseits Kritik übe.
»Willkommen, Dezsö! Haben Sie schon gehört? Wir haben gerade Ihre Musik probiert. Der Erfolg ist sicher.«
Lächelnd hörte der Direktor die schmeichelhaften Äußerungen und zufrieden rieb er sich die Hände; der dicke Schauspieler blickte begeistert um sich, er suchte die kleine Betti Várnai, der er versprochen hat, sie für die Rolle des Fisches vorzuschlagen, wenn sie ihn erhöre.
»Wir sind gekommen, um zu fischen,« sagte endlich Veszprémy.
»Nun, da gibt es genug Fische zu angeln,« stieß der Kapellmeister hervor.
Lautes Gelächter folgte diesen Worten. Die Mädchen wandten sich mit koketten Gebärden, in herausfordernder Haltung den Männern zu. Jede war von der Sehnsucht besessen, die Auserwählte zu sein, jede wollte nackt, nur mit einem Trikot angetan, vor dem Publikum erscheinen. Es bedurfte nur eines glücklichen Augenblicks und die Grundlage ihrer Zukunft war schon gelegt.
Die drei Männer prüften forschenden Blickes den Markt, auf dem junge Mädchenleiber ausgeboten wurden. Die Augen der Schülerinnen winkten ihnen gleich elektrischen Strömen zu: Mich! ... mich! ... In diesen Blicken war Verheißung, Aufforderung, Enttäuschung zu lesen, eine im voraus betätigte, erniedrigende, tierische Dankbarkeit.
»Vielleicht die kleine Várnai ...«
Der dicke Schauspieler war es, der diese Worte sprach. Er war sehr bestrebt, seine Stimme gleichgültig erscheinen zu lassen, immerhin zitterte sie ein wenig, denn schon lange vorher hatte er sich dieses Mädchen ausersehen. Vor gespannter Erwartung schien das Herz der Betti Várnai stillzustehen.
»Das gerade nicht!« scherzte der Direktor, den Bauch des dicken Schauspielers streichelnd. »Liebesanträge bleiben da ausgeschlossen!«
Schallendes Gelächter.
»Sie alter Lump!« sagte die Direktrice, ihm scherzhaft mit den Fingern drohend. »Ein klein wenig Backhuhn wäre nicht so ohne, wie?«
Jeder lachte, am lautesten der Schauspieler; die Jungen kneipten die Mädchen, die vor den Gästen nicht zu schreien wagten. Die Stimmung war eine ausgelassene. Auch der Autor ließ die Blicke herumschweifen und dachte daran, sich eine neue Geliebte für die Saison auszusuchen. In jedem Theaterjahre eine andere Freundin. Die einfachste und billigste Art, seinen Dank zu betätigen, war die, einem der Mädchen eine Rolle zuzuschanzen.
Nach längerem Forschen wies er auf Therese:
»Vielleicht das Fräulein ... Ihre Figur ... Ich glaube ...«
Das Gekicher und Geschäker hörte plötzlich auf, und aller Blicke fielen auf das fremde Mädchen.
»Wer ist sie? Wer mag sie sein?« fragte man im Flüstertone.
»Aber ich kenne ja das Fräulein gar nicht!« meinte die Rosa Ligeti ganz verwundert. »Wieso ist sie hierher gekommen?«
»Sie ist meine Freundin ... Wir haben zusammen die Bürgerschule besucht ...« sagte eilig Margarete Darkács, die stolz darauf war, daß ihre Freundin mit einem Schlage das Interesse aller wachrief.
Therese errötete, doch ihre Augen glänzten vor Freude, ihre Lippen wurden trocken, während ihr Busen von der plötzlichen Erregung stürmisch gehoben wurde. Sie wußte nicht, wie sie sich verhalten solle. Am liebsten wäre sie nicht dort gewesen. Der Direktor streichelte sanft ihre Schulter und fragte sie in einschmeichelndem Tone:
»Wer sind Sie, mein Kind?«
»Ich heiße Therese Ladány ...« lispelte sie in befangenem Tone.
»Möchten Sie Schauspielerin werden?« frug nun der Direktor.
Sie antwortete, fast ohne nachzudenken:
»Ja ...«
Ihre Knie zitterten vor Erregung, und sie mußte sich an einen Stuhl klammern, um aufrecht zu bleiben. Ihr Austritt aus der Maschinenschreibschule, das Zusammentreffen mit ihrer ehemaligen Freundin kam ihr wie ein Traum vor, es war ihr, als hätte sie das Klavierspiel und den Gesang hier schon seit vielen Monaten gehört; nur die Frage, ob sie Schauspielerin sein möchte, war ihr neu.
»Wer sind Ihre Eltern? Können sie das Lehrgeld bezahlen?«
Mechanisch erwiderte sie:
»Pensionistin, Witwe ...«
»Tut nichts, mein Kind, talentierte Mädchen bilde ich auch unentgeltlich aus.
Und die Augen der Direktrice blickten verständnisvoll in jene des Autors ...
»Nur die Zustimmung Ihrer Mutter ist dazu erforderlich ...«
»Ich fürchte, meine Mutter wird sie nicht geben,« meinte Therese schüchtern.
»Das können Sie getrost mir überlassen, liebes Fräulein ... Ich werde Sie nach Hause begleiten und Ihrer Mama erklären, daß es keinen Sinn hätte, ein begabtes Mädchen zu Hause hocken zu lassen.«
Dieser Antrag wurde von dem dicken Schauspieler gestellt, der überall dabei sein wollte.
»Ich danke,« antwortete Therese.
Somit war die Frage des Fisches erledigt. Die Schülerinnen trugen die neue Sensation nach allen Windrichtungen, und am Nachmittag war der Fall im Artistenklub jedermann bekannt. Tags darauf brachten vier große Blätter kleine Plaudereien über eine neue Künstlerin namens Therese Ladány.
Nur die Witwe Dezsö Ladány war etwas beunruhigt. Es berührte sie eigentümlich, als ihre Tochter mit dem dicken Schauspieler nach Hause kam, der ihr beteuerte, die Therese habe ein großes Talent und müsse unbedingt Schauspielerin werden. »Wie weit kann sie es denn als arme Maschinenschreiberin bringen? Sechzig bis achtzig Kronen Monatsgehalt und zum Schluß wird sie einen kleinen Beamten heiraten, wogegen sie als Künstlerin einer glänzenden Zukunft entgegengeht. Heute ist die Schauspielkunst nicht mehr die liederliche Laufbahn von ehedem. Klara Küry ist die Tochter eines Advokaten, Sári Fedák die eines Arztes.«
Therese erklärte weinend, nie mehr eine Maschinenschreibschule betreten zu wollen. Die arme Alte wollte schließlich dem Glücke ihrer Tochter nicht im Wege stehen und gab, wenn auch mit innerem Widerstreben, ihre Einwilligung dazu, daß ihre Tochter in die Theaterschule der Rosa Ligeti eintrete.