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In einem indischen Palaste, der zwar etwas verfallen aussah, – er stammte noch aus der Zeit der Mogule, – in dessen Innerem aber noch die ganze sinnverwirrende Pracht des Ostens herrschte, tagte in einem völlig abgeschlossenen Saale eine eigenartige Versammlung.
Schon die Gänge, die zu dem Raume führten, waren mit Wachen besetzt. Riesige Shiks und Gurkhas, wie sie viele der Maharadschas, der vornehmen Inder, noch in ihren Diensten haben, standen Wache. Mächtige, bloße Säbel mit breiten Klingen hielten die nervigen Hände, in den Gürteln staken geladene Pistolen und haarscharfe Dolche. Wild rollten die Augen unter den großen Turbanen, und keiner Maus wäre es wohl geglückt, ohne den Willen der Posten dem Saale sich zu nähern.
Die Wände des letzteren, alle Türen und Fenster waren mit dicken, lautdämpfenden Teppichen verhängt. Den Fußboden deckte ebenfalls ein dicker Teppich, in den der Fuß versank, wie in weichem Moose. An einem Silberdraht hing in der Mitte des Saales eine Milchglasampel in Gestalt einer Taube herab. In ihr brannte ein wohlriechendes Öl, das ein seltsames, magisches Licht auf die Versammlung warf.
In dem Saale selbst lag etwa ein Dutzend Männer auf Polstern und kostbaren Teppichen im Kreise. Sie trugen teils die indische Tracht, teils hatten sie tibetanisch-mongolisches Äußeres in Gesicht und Anzügen. Der Duft feinster Zigaretten kräuselte sich empor, ab und zu gluckste eine Wasserpfeife.
Düsteres Schweigen lag über den Versammelten, die sämtlich starr vor sich hinbrüteten. Da wurde plötzlich eine Tür geöffnet, ein Vorhang schlug zur Seite, ein schöner Inder in der Mitte des Lebens etwa stand vor der Versammlung. Er trug vornehme, europäische Tracht, einen weißseidenen Turban mit Reiherbusch und Diamantagraffe und verneigte sich mit auf der Brust gekreuzten Armen tief vor den Versammelten, die seinen Gruß ebenso ehrfurchtsvoll erwiderten.
Dann nahm ein uralter Inder, anscheinend der Herr des Hauses, das Wort zu folgender Begrüßung:
»Simlah Khan, du mein Enkel, mein Stolz, meine Hoffnung. Ich grüße dich, und Schiwa segne deinen Eintritt. Setze dich zu uns und sprich, was du erfahren hast bei den rothaarigen Teufeln im Lande des Sonnenunterganges!«
»Herr meines Daseins,« erwiderte Simlah Khan, »erlaube deinem Diener, der ich bin, daß ich stehend berichte. Ich eilte ohne Verzug hierher. So konnte ich die verhaßte und geschmacklose Tracht der Europäer nicht ablegen. Ich fürchte aber, ich würde den heiligen Boden Indiens entweihen, wollte ich in ihr auf ihm mich niederstrecken.«
Ein Murmeln des Beifalls ging durch die Versammelten. Der Patriarch winkte mit wahrhaft königlicher Geste Gewährung, und Simlah Khan begann nach abermaliger Verneigung:
»Ich war in der Steinwüste, die sie London nennen und von wo unsere Unterdrücker mit Lug und Trug und erpreßtem Golde die Welt regieren. Ich sah ihre zahllosen, erzgepanzerten Schiffe mit den riesigen Kanonen, ich sah ihre rotröckigen Soldaten, ich schaute in das Getriebe ihrer Werften, wo ihre Arbeitssklaven die unzähligen Schiffe bauen. Alles zeigten sie mir, auch die große Bank von London, wo sie die Schätze aufspeichern, die sie den unterjochten Völkern abpressen. Ich sah ihre Kirchen, in denen sie heuchlerisch zu ihrem Gotte beten.«
»Daß Schiwa sie zermalme,« knirschte der Alte vor sich hin, »fahre fort, mein Enkel, du sprichst gut!«
Und unter dem Beifallsgemurmel der Versammelten sprach Simlah Khan weiter:
»Ich habe aber etwas erlauscht, das weit wichtiger ist, als alles, was sie mir zeigten. Überall habe ich gespäht und gehorcht, bis ich das Geheimnis wußte: Indien droht eine schwere Gefahr!« Er machte eine kurze Pause, als wolle er sich für die Enthüllung, die er zu machen hatte, erst sammeln und stärken. Atemlos hingen die Blicke der Versammelten an seinen Lippen. Dann stieß er flüsternd hervor:
»Die Engländer planen eine neue Expedition auf den Tschomo-lungma! Sie wird von General Russe geleitet, und die Führer, darunter auch zwei Frauen, sind auf demselben Schiffe heute in Bombay gelandet, auf dem ich selbst gekommen bin. Die Expedition wird mit den größten Machtmitteln ausgerüstet. Schon morgen fahren ihre Leiter mit der Eisenbahn nach Nordindien, wo die eigentliche Expedition zusammengestellt wird. Dann wollen sie der Mutter der Erde den Schleier von ihrem geheiligten Antlitz reißen. Dann werden sie unsere Geheimnisse finden, und unsere Freiheit ist für immer dahin!«
Er verneigte sich wieder. Wie ein gereizter Tiger erhob sich sein Ahn und blickte ihn durchbohrend mit seinen Glutaugen an. Dann preßte er zischend die Worte hervor:
»Schwöre bei den Gebeinen deiner Eltern, bei der Seele deines Vaters, daß du dich nicht täuschen ließest!«
»Ich schwöre«, lautete die Antwort. »Wochenlang habe ich Abend für Abend die Gespräche der Engländer belauscht, so daß ich ihr Geheimnis fand. Aber, was wichtiger ist, als alles, ist dieses hier.« Er griff in die Brustlasche seines schwarzen Überrockes und zog eine zusammengelegte Zeitung hervor: das Extrablatt von der Ballnacht beim Minister, wo die Expedition ins Leben gerufen wurde. Durch einen Zufall war der scharf beobachtende Inder am Morgen nach der Ballnacht in den Besitz des Extrablattes gekommen. Sofort hatte er die Bedeutung der geplanten Expedition für sein Vaterland begriffen und war nun mit echt indischer Schlauheit und Zähigkeit den Spuren gefolgt. Gerade das völlige Verstummen der Presse nach der ersten begeisterten Nachricht von der Begründung der Expedition hatte in ihm die Überzeugung sich festsetzen lassen, daß an dem Ganzen doch etwas Wahres sei, und daß die englische Regierung diesmal mit im Bunde arbeite. Die Presse war sicher auf Befehl der Regierung verstummt. Durch Helfershelfer seines Volkes, deren ja genug in London waren, hatte er Russe, Gerving und Kallory beobachten lassen, und ferner waren deren große Aufträge an Hilfsmitteln für die Expedition ausgespäht worden. Da ihm Geldmittel genug zur Verfügung standen, sammelte er immer mehr Material und schiffte sich schließlich mit auf der Viktory mit einigen zuverlässigen Vertrauten ein. Hier suchte er zu erhorchen, was nur anging, und war denn auch Dr. Zönlund aufgefallen.
Simlah Khan hatte seinen Vortrag beendet. Das Extrablatt machte in den Händen der Versammelten, die sämtlich hochgebildet, das Englische fließend lasen und sprachen, die Runde und jeder nahm von dem Inhalte Kenntnis.
Die Orientalen verstehen es, im allgemeinen sich zu beherrschen und ihre Leidenschaften unter scheinbarer Kälte zu verbergen.
Hier aber brachen Zorn und Wut über die empfangene Nachricht alle Dämme der Selbstbeherrschung. Die Gesichter waren von Wut verzerrt, die Fäuste geballt, die Augen sprühten gleichsam Blitze des Zornes.
Die größte Entrüstung aber zeigte der Ahne Simlah Khans! Er erhob sich, hielt beide Arme gen Himmel und betete mit zitternder Stimme: »Brahma, Wischnu, Schiwa! Ihr unfaßbaren, mächtigen Herren der Welt, steht im Kampfe uns bei. Es geht um unser letztes Besitztum, um unsere höchsten Heiligtümer! Wir wollen wieder ein freies Volk sein, nachdem die verhaßten Engländer uns Jahrhunderte lang ausgesogen haben. Unsere besten Jünglinge schleppten sie in den Krieg gegen die Deutschen, die nie uns etwas zu Leide getan hatten. Tausende unserer Kinder sind verblutet, sind siech und elend heimgekehrt aus jenen Ländern voll Eis und Kälte, sie, die Kinder des Landes der Sonne! Helfet, ihr Mächtigen, stehet uns bei!«
Heiße Tränen liefen aus den Augen des Greises über seine gefurchten Wangen, als er geendet hatte und nun wieder sich niedersetzte. In dumpfem Brüten sahen die Männer vor sich hin, keiner sprach ein Wort.
Endlich erhob sich ein Mann von seltsamem Aussehen. Er war ziemlich groß, sehr schlank, gelb von Hautfarbe. Seine Gesichtszüge trugen den typisch mongolischen Charakter mit hervorstehenden Backenknochen und schräg geschlitzten Augen. Der Kopf war kahl rasiert, und der gesamte Körper so fettarm, daß die Haut wie Leder über die Schädelknochen gespannt erschien. Ein langes, sandfarbenes Gewand von feinster Seide fiel, über den Hüften von einer geflochtenen Schnur zusammengehalten, in langen Falten von den Schultern bis zu den Knöcheln, die Füße waren mit feingearbeiteten Stiefeln aus rotem Saffianleder bekleidet, deren Nähte mit grüner Seide verziert und deren Schäfte mit kostbarem Pelzwerke besetzt waren. Die Fingernägel des Mannes waren fein gepflegt und poliert und zu langen, krallenartigen Spitzen ausgebildet. Das Alter dieses Mannes ließ sich nach seinem ganzen Äußeren nur schwer bestimmen, doch mußte er wohl etwa fünfzig Jahre alt sein.
Er verneigte sich tief vor dem Haupte der Versammlung und sprach dann mit wohlklingender Stimme, der man sofort den geübten und geschulten Redner anhörte:
»Brüder! Söhne des Wunderlandes der Erde! Hört meine bescheidenen Worte. Ihr wißt, ich kam im Auftrage des großen Dalai Lhama, dessen erhabenen Namen hier auszusprechen er mich hieß. Ihr wißt alle, welch große Auszeichnung das für euch bedeutet, denn niemand darf sonst, ohne Martern und schimpflichem Tode zu verfallen, seinen geheiligten Namen nennen. Er ist euer Bundesgenosse. Aber er mahnt zur Vorsicht! Auch wir wissen von der drohenden Gefahr und rüsten uns zur Abwehr. In allergrößter Stille muß dies geschehen, niemand darf etwas merken! Ich habe zunächst gesprochen!«
Nach tiefer Verneigung setzte sich der Lhamapriester, denn das war der Redner, auf seinen Platz und sah mit scheinbar geschlossenen Augen vor sich hin, hörte aber um so aufmerksamer zu, was weiter gesprochen wurde.
Jetzt nahm der greise Hausherr wieder das Wort und sprach:
»Wir müssen auf unsere Machtmittel uns besinnen. Ganz wehrlos sind wir nicht. Geld steht uns genug zur Verfügung. Wir müssen die Zeitungen erkaufen und damit das Volk, vor allen andern die Gurkhas aufpeitschen. Haben wir doch gesehen, wie von 1914 an die Engländer und ihre Bundesgenossen die Presse und den Nachrichtendienst handhabten. Immer wieder wußten sie allen Völkern einzureden, daß nur die Deutschen die Schuld am Kriege trügen, während wir doch selbst wußten, wie England seit Jahren schürte, hetzte und rüstete. Deutschland war ihm unbequem auf dem Weltmarkte geworden, und darum mußte es klein gemacht werden. Wie haben sie von den belgischen Greueln geschrieben, wie haben sie unseren Brüdern erzählt, daß die Deutschen die Gefangenen martern: kein Wort ist davon wahr! Unsere Brüder, die als Gefangene, Verwundete oder Kranke in Deutschland waren, sind nur des Lobes voll, wie gut sie behandelt worden sind! Ihr seht, Brüder, was zielbewußte Lüge fertig bringen kann! Ich weiß es, vor den Gurkhas haben die Engländer Furcht. Sie gilt es zunächst zu bearbeiten. Simlah Khan, Trost meines Alters, Wonne meiner Augen! Du kennst die Lande des Westens. Sprich du zuerst!«
Der junge Inder hatte mit seinen glänzenden, schwarzen Augen an des Ahnen Lippen gehangen. Aber, je mehr der Alte sprach, desto trauriger wurde der Ausdruck in den schönen Gesichtszügen des jungen Fürsten. Ja, einem aufmerksamen Beobachter konnte es nicht entgehen, daß er einige Male bei den Vorschlägen des Greises mit dem Kopfe schüttelte. Jetzt blickte er bescheiden zu Boden, sann einige Zeit nach und begann dann leise, erst allmählich wieder lauter werdend:
»Möge der ehrwürdigste Vater mir verzeihen, wenn ich es wage, anderer Ansicht zu sein, als mein hoher Gebieter. Bei den alten Plänen, die General Russe zur Eroberung des Tschomo-lugma machte und die er durchzusetzen suchte, stand er mit seinen Gefährten allein. Damals konnten die Leiter des indischen Freiheitskampfes seine Pläne durchkreuzen, konnten leicht die ergebenen und dienstwilligen Gurkhas dahinbringen, Widerspruch zu erheben, und Tibet selbst verweigerte den Durchzug. Bei dieser Expedition aber, vor deren Beginn wir heute stehen, ist es anders. Hinter Russe und seinen Begleitern steht die englische Regierung! Machtmittel an Geld, Instrumenten und vor allen Dingen an politischem Einflusse werden eingesetzt, wie sie noch niemals für ein solches Unternehmen zur Verfügung standen. Es handelt sich, das ist meine Überzeugung, nicht nur darum, das Antlitz der Mutter der Erde von ihrem Schleier frech zu entblößen, nein, es soll der russische Einfluß auf Tibet, der deutsche auf Afghanistan gebrochen werden. Das ist der Einsatz für das hohe Spiel, das jetzt beginnt! Und darum müssen wir zunächst still beobachten. Vielleicht kommt England mit Afghanistan in Kämpfe. Die ersten Funken des Brandes loderten schon auf. Rußlands vorzügliche rote Armee, China greifen möglicherweise mit ein: dann schlägt die Stunde unserer Freiheit. Zunächst aber halte ich Abwarten, Aufpassen, Bereitmachen für das Einzige, was das Gebot der Stunde ist. Ich bitte nochmals um Verzeihung, wenn ich anderer Ansicht bin, als die Väter und Lehrer hier, aber ich redete nur mit Erlaubnis des erhabenen Herrn meines Daseins.«
Stille, Schweigen lag über dem Saale. Man hörte nur die tiefen Atemzüge der Versammelten, sonst keinen Laut. Minuten vergingen so.
Da erhob sich noch einmal der Lhamapriester und sprach mit seinem schönen, klangvollen Organ:
»Ihr ehrwürdigen Väter, Söhne edler Häuser des freien Inderlandes und -volkes. Hört mich an! Ein Geheimnis sei euch enthüllt, wenn auch nicht ganz ich es heute entblößen darf! Wisset, die Tschomo-lugma, die Mutter der Erde, wird ihre und unsere Geheimnisse selbst verteidigen. Unsere Propheten wissen es, und ich darf es euch sagen! Verzaget nicht! Wenn die Europäer, die verruchten Engländer, es wagen, über die ewigen Eisfelder hinaufzudringen zur goldglänzenden Spitze, zum Gipfel unseres heiligen Berges, dann wird er selbst sich wehren. Rasende Stürme werden daherbrausen und jedes Leben in den Höhen unmöglich machen. Sie werden umkehren müssen und weichen vor der Macht der Götter. Schneemassen werden sie begraben, unter denen ihre Gebeine modern werden mit samt ihren Zauberwerkzeugen, die sie bei sich führen! So wehrt sich Tschomo-lugma selbst! Ruhen aber die Götter, so wissen wir noch zwei Mittel, uns zu helfen und die Feinde zu vernichten! Die darf ich erst enthüllen, wenn in letzter Not in Schiwas heiligem Grottentempel unser Vater uns wieder zusammenruft. Simlah Khan hat Recht: jetzt nur Stille!«
Mit hoffnungsfreudigen Mienen hatten die Versammelten dem Redner gelauscht. Der Hausherr umarmte ihn und rief dann mit fast jugendlichem Feuer:
»Tschomo-lugma wird sich verteidigen. Im Kampfe wird der Riese siegen!«