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Die Wahlverwandtschaften – Stahls Reaktionsreihe – Bergmann, Verwandtschaftstabellen – Berthollet und die unvollständigen Reaktionen – Das Konzentrationsgeselz von Wenzel – Schicksal dieser Probleme – Zwischentreten der organisch-präparativen Chemie – Begründung der Thermochemie durch Hess – Entwicklung durch J. Thomsen und M. Berthelot – Wiederaufleben der Bergmannschen Lehre – Begründung der richtigen Lehre durch Guldberg und Waage – Carnot und der zweite Hauptsatz – Gesetz des Geschehens – Horstmanns Anwendung der Thermodynamik auf Chemie – W. Gibbs – Die Energetik – Allgemeine Grundsätze der Wissenschaftsentwicklung – Das Phasengesetz – Das Verschiebungsgesetz – Labiles, stabiles und indifferentes Gleichgewicht – Das Gesetz der Massenwirkung – Auflösung alter Probleme – Die Stärke der Säuren – Die Entwicklungskämpfe der modernen physikalischen Chemie – Ihre nächste Zukunft.
Nachdem sich die Auffassung der chemischen Vorgänge als der Ergebnisse einer Wechselwirkung der verschiedenen Stoffe durchgesetzt hatte, entstand naturgemäss die Frage, durch welche Umstände diese Wechselwirkung bestimmt wird. Die grosse Mannigfaltigkeit und anscheinende Willkür in dem gegenseitigen Verhalten der Stoffe legte den Vergleich mit menschlichen Willenshandlungen nahe und in Goethes Meisternovelle: die Wahlverwandtschaften ist nicht nur der damals übliche Name für die Ursache der chemischen Verbindungen und Trennungen als Titel benutzt, sondern eine Schilderung ihrer Wirkungsweise als Vorbild für die gegenseitige Beeinflussung der beteiligten Menschen in den Text verwoben. »In diesem Fahrenlassen und Ergreifen, in diesem Fliehen und Suchen glaubt man wirklich eine höhere Bestimmung zu sehen; man traut solchen Wesen eine Art Wollen und Wählen zu und hält das Kunstwort Wahlverwandtschaften für vollkommen gerechtfertigt … Man muss diese tot scheinenden und doch zur Tätigkeit innerlich immer bereiten Wesen wirkend vor seinen Augen sehen, mit Teilnahme schauen, wie sie einander suchen, sich anziehen, ergreifen, zerstören, verschlingen, aufzehren und sodann aus der innigsten Verbindung wieder in erneuter, neuer, unerwarteter Gestalt hervortreten: dann traut man ihnen erst ein ewiges Leben, ja wohl Sinn und Verstand zu, weil wir unsere Sinne kaum genügend fühlen, sie recht zu beobachten, und unsere Vernunft kaum hinlänglich, sie zu fassen.«
Aus dieser Darstellung ist zunächst ersichtlich, wie weit man sich damals von der Erfassung der einfachen Gesetzmässigkeit entfernt fühlte, die in anderen Gebieten, z. B. dem der Astronomie, erreicht war und die als wissenschaftliches Ideal für alle Naturforschung gilt. Ferner tritt die spezifische Natur dieser Vorgänge, ihre Mannigfaltigkeit je nach der Art der beteiligten Stoffe in sehr anschaulicher Weise in den Vordergrund.
In der Tat nahmen die ersten Versuche, die Bildungs- und Zersetzungsvorgänge der Stoffe gesetzlich zu erfassen, ausschliesslich auf diesen Umstand Rücksicht. Schon E. Stahl, der Schöpfer der Phlogistontheorie, hatte auf die gegenseitigen Verdrängungen der Metalle aus ihren Salzen als eine typische Erscheinung hingewiesen und wir erkennen in der Phlogistontheorie unschwer die Widerspiegelung dieser Erfahrungen auf dem hypothetischen Gebiete der Verbindungen der Stoffe mit dem Phlogiston. Durch französische Forscher sind diese Reaktionsreihen später ausgedehnt und systematisiert worden, allerdings in einer Weise, die den Widerspruch der Zeitgenossen und ihren Spott über die »Tabellendrechsler« hervorrief. Durch Torbern Bergmann (1735 bis 1784) endlich wurden die Auffassungen und Kenntnisse der Zeit gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts zusammengefasst.
Der grundsätzliche Gedanke aller dieser Versuche war, dass durch die Natur der Bestandteile ihre Fähigkeit zu gegenseitiger Bindung bestimmt ist, derart, dass wo die stärkere »Verwandtschaft« besteht, auch die entsprechende Verbindung gebildet wird, unter Aufgabe der frühren Verhältnisse. Andere Faktoren waren bis dahin nicht als wirksam in Betracht gezogen worden; erst Bergmann fand bei der systematischen Zusammenstellung der vorhandenen experimentellen Tatsachen und bei der Ermittelung neuer, dass es oft einen erheblichen Unterschied ausmacht, ob man die Stoffe in wässeriger Lösung oder in der Schmelzhitze aufeinander wirken lässt. Er unterschied daher die Verwandtschaft auf nassem von der auf trockenem Wege.
Dies war die erste Spur der Erkenntnis, dass ausser der Natur der Stoffe noch andere Faktoren für die Ergebnisse der chemischen Wechselwirkung massgebend sind. Das grosse Verdienst, derartige Faktoren ausfindig gemacht und ihre Wirkung durch anschauliche Versuche nachgewiesen zu haben, gebührt Claude Louis Berthollet (1748 bis 1822), dessen Namen uns in anderem Zusammenhange bereits entgegengetreten ist. Der neue Gedanke, welchen Berthollet in das Problem einführte, war der der teilweisen Reaktion. Für die älteren Chemiker gab es nur ein Entweder – Oder; alle Vorgänge sollten in einem oder dem anderen Sinne vollständig zu Ende gehen. Dies war eine natürliche Folge des vorwiegend technischen Interesses an den chemischen Vorgängen, denn in dessen Sinne lag es überall, dass solche Vorgänge ausfindig gemacht wurden, welche die gewünschten Präparate in möglichst reiner und einheitlicher Form ergaben. Die fast ausschliessliche Bekanntschaft mit solchen praktisch vollständigen Vorgängen hat die natürliche Wirkung gehabt, dass man auf dass gesetzmässige Vorhandensein unvollständiger Vorgänge überhaupt nicht aufmerksam geworden war.
Berthollet wies dem gegenüber darauf hin, dass umgekehrt die unvollständigen Vorgänge, bei denen eine Reaktion durch die entgegengesetzte begrenzt wird, welche aus den Produkten wieder die Ausgangsstoffen entstehen lässt, als die allgemeineren aufgefasst werden müssen, und dass die ausschliesslichen Vorgänge diese Beschaffenheit erst durch die Mitwirkung sekundärer Umstände annehmen. Hierbei sprach er das Prinzip der Massenwirkung aus, die zu einem chemischen Gleichgewicht führt, ebenso wie die gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte auf einen Punkt eine Resultierende ergibt, an deren Grösse und Richtung jede beteiligte Kraft ihren Anteil nach Massgabe ihrer Beschaffenheit hat.
Berthollet stützte sich bei der Entwicklung dieser allgemeinen Ansichten einerseits auf Experimente, die er in solchem Sinne angestellt hatte, anderseits auf grundsätzliche Anschauungen, denen er zweifellos die höhere Bedeutung beimass. Er fasste die chemischen Vorgänge als Ergebnisse einer Gravitationswirkung zwischen den Atomen auf und fühlte sich sehr sicher in seiner Hoffnung, dass bald eine chemische Mechanik sich entwickeln würde, die der himmlischen Mechanik vergleichbar wäre. Es ist lehrreich zu wissen, dass T. Bergmann, zu dessen Anschauungen sich Berthollet in scharfem Gegensatze befand, seine eigenen Ansichten gleichfalls auf die Annahme einer Gravitationswirkung zwischen den Atomen begründet hatte. Es ergibt sich hieraus, welche geringe Bedeutung derartige allgemeine Hypothese für die Beschaffenheit der von ihnen abhängigen Schlüsse haben; in beiden Fällen waren für die Gedankenbildung wirksam die tatsächlichen Kenntnisse der beiden Forscher auf dem Boden der Chemie allein.
In bezug auf den Begriff der Massenwirkung hat Berthollet allerdings einen Vorgänger, der ihm nicht nur zeitlich erheblich voranging, sondern auch das quantitative Gesetz der Massenwirkung mit aller wünschenswerten Klarheit aussprach. Es war dies K. F. Wenzel (1740 bis 1793), dessen Namen wir aus Anlass der ihm fälschlich zugeschriebenen Entdeckungen Richters kennen lernten. Wenzel hat 1777 ein Buch über die Verwandtschaft erscheinen lassen, in welchem er nichts weniger versucht, als eine zahlenmässige Messung der chemischen Kräfte, und zwar, was noch mehr sagen will, auf einem grundsätzlich ziemlich einwandfreien Wege. Auch ihn führte eine mechanische Analogie: wie ein Körper sich um so schneller bewegt, je grösser die treibende Kraft ist, so wollte er dem Stoffe eine grössere Verwandtschaft zuschreiben, der eine chemische Reaktion schneller durchführt. Als Beispiel hatte er die Wirkung der Säuren auf Metalle ins Auge gefasst. Er ist ganz klar darüber, dass diese Wirkung der Oberfläche proportional ist und gibt daher den zu vergleichenden Metallen die Gestalt von gleich grossen Zylindern, die er auf allen Seiten ausser an einer Grundfläche mit einem unangreifbaren Überzuge versieht; ja er beschreibt sogar, wie man das flüssige Quecksilber nur in einen gleich weiten Hohlzylinder zu giessen braucht, um damit vergleichbare Messungen anstellen zu können. Dann aber entgeht ihm nicht, dass konzentrierte Säuren viel stärker wirken, als verdünnte, und er spricht ausdrücklich aus, dass die Geschwindigkeit ihrer Wirkung der Konzentration proportional zu setzen sei.
Berthollet hat zweifellos diesen Versuch einer messenden Inangriffnahme des Verwandtschaftsproblems nicht gekannt, denn es finden sich bei ihm keinerlei Hindeutungen auf diesen Gedanken oder Anwendungen desselben. Seine Aufmerksamkeit war nicht auf den Verlauf der Vorgänge, sondern auf ihr endliches Ergebnis gerichtet; diese statische Anschauungsweise tritt auch in dem Titel seines Hauptwerkes »Statique chimique« hervor. Doch wusste er aus dem einfachen Grundgedanken, dem des chemischen Gleichgewichts, eine ganze Anzahl bemerkenswerter Folgerungen zu ziehen.
Vor allen Dingen die, dass für ein jedes chemische Gleichgewicht die dauernde Anwesenheit aller beteiligten Stoffe notwendig ist. Wo sich einer oder der andere aus dem Gebiete des Wettkampfes entfernt, hat er die Folgen alsbald zu tragen, indem sich nunmehr ein neues Gleichgewicht ohne ihn herstellt. Zwei Arten solcher Entfernung kennt Berthollet: falls der Stoff gasförmig, oder falls er fest wird. Insofern wirken Flüchtigkeit und Kohäsion, wie er die Ursachen dieser Zustände bezeichnet, wie chemische Kräfte für das endliche Ergebnis mit.
Alle diese Gedanken sind richtig; sie haben aber erst sehr spät nach sachgemässer Entwicklung ihre Bestätigung gefunden. Berthollet nahm persönlich eine überaus geachtete Stellung ein; sein Hauptwerk wurde mehrfach übersetzt und alle waren einig darüber, dass darin die massgebenden Gedanken der höheren Chemie vorgetragen waren. Und dennoch sehen wir, dass auf diesen vielversprechenden Anfang keine Entwicklung erfolgt ist, ja dass das Interesse an den Problemen der chemischen Verwandtschaft für beinahe ein Jahrhundert so gut wie völlig verschwindet. Wie ist diese merkwürdige Erscheinung zu erklären?
Ein naheliegender Gedanke ist der folgende. Wir haben bei früherer Gelegenheit gesehen, dass Berthollet durch seine Auffassung des chemischen Gleichgewichts dazu geführt worden war, die Existenz von Verbindungen konstanter Zusammensetzung zu leugnen. Wenn wir das Problem in seiner ganzen Strenge nehmen, so werden wir auch heute sagen, dass er im Grunde recht gehabt hat und dass grundsätzlich die Herstellung eines absolut reinen Stoffes ebenso unausführbar ist, wie die Erreichung irgendeines anderen absoluten Zieles, etwa die Herstellung eines absolut leeren Raumes. Aber dem steht entgegen, dass wir, experimentell gesprochen, eine sehr grosse Anzahl von Stoffen herstellen können, in denen wir die Anwesenheit fremder Stoffe nicht mehr nachweisen können, die also praktisch rein sind. Berthollet hat sich nur über die Grenze getäuscht, bis zu welcher die Trennungen praktisch ausführbar sind, und ist deshalb von Proust widerlegt worden. Dass trotz der experimentellen Widerlegung noch ein Kern Wahrheit in diesen Ansichten sein könnte, konnte aus den übrigen Kenntnissen jener Zeit keineswegs entnommen werden.
Dies war sicher ein nicht unwichtiger Grund für die Unwirksamkeit von Berthollets Werk; dass er aber nicht durchschlagend gewesen ist, ergibt sich daraus, dass Berthollets Ansehen auch nach Beendigung seines Streites mit Proust nicht merklich vermindert erscheint. Sein Werk gehörte aber dauernd zu denen, die jeder lobt und niemand liest. Auch wenn man sich heute in dem Lichte der inzwischen entwickelten Wissenschaft in Berthollets Werk zu vertiefen sucht, wird man es bald enttäuscht auf die Seite legen. Es enthält zu wenig Bestimmtes, experimentell Fassbares, als dass es in einer Wissenschaft, in welcher tagtäglich neue Tatsachen Staunen erregten und Aufmerksamkeit erforderten, von tiefgehendem Einflusse hätte werden können.
Entscheidend aber für den Gang der Entwicklung in der Chemie waren die anderen Entdeckungen, die um jene Zeit, am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts gemacht wurden. Wir haben die wichtigsten von ihnen bereits kennen gelernt. Zunächst die stöchiometrischen Gesetze in dem anschaulichen Gewande der Atomtheorie, die sich überall bestätigten, wo man sie anzuwenden versuchte; dann die erstaunlichen Entdeckungen der Elektrochemie und zuletzt die alles bald an sich reissende Entwicklung der organischen Chemie, welche nicht nur der Wissenschaft ganz neue Arbeitsgebiete öffnete, sondern auch bald die Grundlage einer riesigen technischen Anwendung werden sollte. Alle diese Dinge gaben und verlangten unmittelbare Arbeit und, was das entscheidende war, sie konnten, wenigstens für das erste Bedürfnis erledigt werden, ohne dass man jene alten Probleme löste.
Denn es war nach wie vor präparative Chemie, die hier in den neuen Gebieten getrieben wurde. Immer noch war die Frage nach den Reaktionsbedingungen ausreichend erledigt, wenn es gelungen war, ein vorteilhaftes Darstellungsverfahren ausfindig zu machen und niemand hatte ein Interesse daran, sich in die schlechten Methoden zu vertiefen, bei denen verschiedene Produkte nebeneinander entstehen. Kostete es doch ohnedies oft genug den ganzen Scharfsinn des Forschers, aus dem unmittelbar erhaltenen Reaktionsgemenge das erhoffte Produkt herauszupräparieren. So sehen wir, dass die Entwicklung des Verwandtschaftsproblems spät erfolgt und einen ganz anderen Ausgangspunkt hat: der Faden spinnt sich nicht bei der »reinen« Chemie an, sondern an einer ganz anderen Stelle, derselben Stelle, von welcher aus auch der Physik ein neues Leben zuwuchs.
Es ist die Entdeckung der Energiegesetze, welche dies neue Leben in die Chemie brachte. Allerdings geschah es viel langsamer als in der Physik, denn es waren zu Anfang wesentlich Physiker, welche den neuen Gedanken entwickelten und förderten, wenn er auch jedesmal aus chemischen Problemen erwachsen war. Denn in der Tat, sowohl Mayer und Helmholtz, deren Gedanken durch die Frage nach der Wärmeentwicklung im Tierkörper angeregt waren, wie Joule, der seine Entdeckung im Verfolge seiner Bemühungen gemacht hatte, die chemische Energie Voltascher Ketten zu Arbeitszwecken zu verwenden, waren von den Umwandlungen chemischer Energie in andere Formen ausgegangen. Ja, es besteht sogar der merkwürdige Umstand, dass im Gebiete der Chemie das besondere Gesetz, das sich aus der Anwendung des allgemeinen Energiegesetzes auf die Umwandlung chemischer Energie in Wärme ergibt, früher entdeckt worden ist, als jenes allgemeine Gesetz selbst.
Tatsächlich sprach bereits im Jahre 1840 G. H. Hess (1802 bis 1856) in Petersburg das Gesetz der konstanten Wärmesummen aus, demzufolge die gesamte Wärmeentwicklung für einen jeden bestimmten chemischen Vorgang eindeutig durch den Anfangs- und Endpunkt des Vorganges bestimmt ist, und nicht von den etwaigen Zwischenstufen abhängt. Hess war zu seinem Gesetze auf experimentellem Wege gelangt, doch hatte er es alsbald in seiner ganzen theoretischen Wichtigkeit begriffen und insbesondere gezeigt, wie man es benutzen kann, um indirekt Reaktionswärmen zu berechnen, die dem unmittelbaren Versuch unzulänglich sind. Die bewusste Anwendung des inzwischen entdeckten und in seiner allgemeinen Bedeutung klargestellten Gesetzes von der Erhaltung der Energie auf chemische Vorgänge ist dann in den fünfziger Jahren durch Julius Thomsen (geb. 1826) in Kopenhagen durchgeführt worden.
Da die Wärmeentwicklung bei einem chemischen Vorgange diesem Gesetz gemäss den Energieunterschied ausdrückt, welcher zwischen den Ausgangsstoffen und den Produkten der Reaktionen besteht, so schien das alte Problem der chemischen Verwandtschaft auf diesem Wege thermochemischer Messungen unmittelbar lösbar zu sein. Denn der Vorgang, bei dem mehr Energie frei wird, wird offenbar den Vorzug vor jedem anderen, möglichen Vorgange haben, der zu einer geringeren Energieentwicklung führt. Und da die Energieunterschiede unmittelbar durch die entwickelten Wärmemengen gemessen werden, so hiess die Folgerung einfach: von den möglichen Vorgängen wird der stattfinden, der die meiste Wärme entwickelt.
So wurde denn auch das Prinzip von J. Thomsen aufgestellt, und nachdem dieser sich bereits davon überzeugt hatte, dass es sicher nicht ohne Ausnahme gültig ist, wurde es von neuem von M. Berthelot proklamiert und mit einem grossen Aufwande von Scharfsinn und, wo dieser nicht ausreichte, von Beredsamkeit gegen die Einwendungen verteidigt, welche nicht ausblieben. Denn man muss sich darüber alsbald klar sein, dass dieses Prinzip nichts weniger bedeutet, als eine Wiederbelebung der alten Stahl-Bergmannschen Affinitätslehre von dem unbedingten Übergewicht des stärksten Stoffes. Der durch Berthollet bedingte Fortschritt, die Erkenntnis, dass ausser der Natur der Stoffe auch seine relative Menge oder genauer seine Konzentration einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis der chemischen Wechselwirkung hat, wurde vergessen. Dies geschah um so widerstandloser, als auch die chemischen Tatsachen, welche im Sinne der Auffassung Berthollets sprachen, wenig bekannt und noch weniger beachtet waren. Allerdings hatte bereits der erste Versuch Thomsens, thermochemische Methoden auf das Problem der Salzbildung und der Konkurrenz mehrerer Säuren um eine Base anzuwenden, eine Bestätigung von Berthollets Auffassung des chemischen Gleichgewichts gegeben, doch lag diese Anschauung dem gesamten Denken der Zeit zu fern, als dass sie damals Aufmerksamkeit erregt und einen allgemeineren Einfluss geübt hätte.
So begann ein langer und hartnäckiger Kampf der schon anscheinend längst gestorbenen Bergmannschen Lehre in ihrer neuen Gestalt gegen die Tatsachen einerseits und gegen die gereiftere Erkenntnis der massgebenden Gesetze anderseits. Es handelt sich nämlich um einen ganz ähnlichen Missgriff, wie er bei der Berechnung der elektromotorischen Kraft einer Kette aus der gesamten Wärmetönung begangen worden war (S. 202), und hier wie dort wurde der Irrtum durch die Erkenntnis beseitigt, dass nicht der Unterschied der Gesamtenergie, sondern der der verfügbaren oder freien Energie die Erscheinungen regelt. In manchen Fällen ist die freie Energie von der gesamten nicht sehr verschieden; dann gibt die unmittelbare Betrachtung der Wärmeentwicklung Resultate, die sich von der Wahrheit nicht weit entfernen. Solche Fälle hatten eben auch den Glauben an die Richtigkeit des allgemeinen Satzes erweckt und trotz der sich mehrenden Widersprüche aufrecht erhalten. Aber für den mehr und mehr hervortretenden Einfluss der Massenwirkung hatte jene Theorie keinen Ausdruck und keine Erklärung, und diese Fälle bewirkten denn auch schliesslich das Verlassen derselben.
Dieser Vorgang vollzog sich von zwei Seiten. Einerseits erwies sich das früher für unlösbar gehaltene Problem, in einem homogenen Gebilde den chemischen Zustand messend zu bestimmen, ohne den vorhandenen Gleichgewichtszustand zu stören, als zugänglich, nachdem man gelernt hatte, die Hilfsmittel der Physik statt der der Gewichtsanalyse darauf anzuwenden. In dem Masse, wie die Anwendung solcher physikalisch-chemischer Methoden sich mehrte und vermannigfaltigte, trat auch immer deutlicher zutage, dass eben in homogenen Gebilden der von Berthollet angenommene Gleichgewichtszustand, bei welchem jeder vorhandene Stoff seine Verwandtschaften befriedigt, nur entsprechend seiner Menge in verschiedenem Masse, durchaus die Regel ist, und dass die anscheinend ausschliesslichen Reaktionen in der Mehrzahl der Fälle ihre Ursache darin hatten, dass sich die betreffenden Stoffe als Gase oder Niederschläge aus dem Reaktionsgebiete entfernen. So kamen Berthollets tiefe Gedanken wieder langsam zu Ehren, insbesondere als Guldberg und Waage in Christiania sie 1867 zum ersten Male in eine so zulängliche mathematische Form gebracht hatten, so dass eine messende Bestätigung der theoretischen Voraussicht der Chemikerwelt vorgelegt werden konnte. Kants berühmter Vorwurf, dass die Chemie deshalb keine Wissenschaft sei, weil sie nicht der mathematischen Behandlung zugänglich war, wurde hierdurch zum ersten Male im eigentlichen Sinne erledigt.
Die fundamentale Arbeit von Cato M. Guldberg (1836 bis 1902) und Peter Waage (1833 bis 1900) erregte nur geringe Aufmerksamkeit. Im Jahresberichte der Chemie ist sie nicht referiert und als zwölf Jahre später die Entdecker auf die gleiche Angelegenheit in einer neuen Veröffentlichung zurückkamen, konnten sie nur weniger als ein Dutzend inzwischen erschienener Arbeiten namhaft machen, aus denen sich Beobachtungsmaterial für die weitere Prüfung ihres Ansatzes entnehmen liess. Erst durch eine 1869 veröffentlichte Arbeit von Julius Thomsen wurde der Fortschritt etwas bekannter. Thomsen hatte entsprechend den Ansätzen seiner Jugendarbeit die Wärmeerscheinungen bei der Salzbildung dazu verwendet, um über den Zustand in homogener Lösung Aufschluss zu erhalten, und hatte dabei gefunden, dass seine Resultate durch Guldberg und Waages Theorie sich völlig ausreichend darstellen liessen. Es muss betont werden, dass hierbei die Wärmetönungen nur als Kennzeichen für den jeweiligen Zustand verwertet wurden, und dass von dem oben kritisierten Satze, dass die mit grösster Wärmetönung verbundene Reaktion notwendig stattfinden müsse, gar kein Gebrauch gemacht worden war. Somit sind die Ergebnisse von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit jenes Satzes ganz unabhängig und haben sich auch in der Folge bei unabhängiger Kontrolle als ganz zutreffend bewährt. Umgekehrt enthalten diese Arbeiten experimentelle Widerlegungen jenes falschen Prinzipes, denn sie beweisen, dass die Schwefelsäure eine schwächere Säure ist als Salz- und Salpetersäure, obgleich sie bei der Salzbildung bedeutend mehr Wärme entwickelt als diese. An die Arbeiten Thomsens schlossen sich später ähnliche, die mit anderen Hilfsmitteln zu dem gleichen Ergebnisse führten und die Richtigkeit des Guldberg-Waageschen Massenwirkungsgesetzes von mehreren Seiten bestätigten.
Neben dieser experimentellen Entwicklung des Problems lässt sich eine theoretische verfolgen, deren Beginn ganz ausserhalb der Chemie liegt. Es ist bereits berichtet worden, dass der erste Versuch, die neu entdeckten Gesetze der Energie auf die Lösung des Affinitätsproblems anzuwenden, gescheitert war, weil er auf der falschen Voraussetzung beruhte, dass ausser chemischer Energie und Wärme gar keine andere Energieart bei den chemischen Vorgängen beteiligt sei. Wie die verwickelteren Probleme der Energieumwandlung zu behandeln seien, hatten Clausius und William Thomson am Beginn der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gezeigt, indem sie sich auf einen Gedankengang stützten, der schon lange vor Mayers Entdeckung, nämlich 1824 durch einen jung gestorbenen Artillerieoffizier, Sadi Carnot (1796 bis 1832) veröffentlicht worden war. Carnot hatte sich die Frage gestellt, von welchen Gesetzen die Gewinnung mechanischer Arbeit aus Wärme durch die damals gerade aufblühende Dampfmaschine abhängig ist, und war zu der folgenden Überlegung gekommen. Eine Wärmemaschine kann nur dann in Betrieb gesetzt werden, wenn ein Temperaturunterschied vorliegt. Alle Wärme von gleicher Temperatur ist völlig wertlos für den Zweck, denn mit dem Mangel des Temperaturunterschiedes fehlt jede Ursache für die Wärme, sich von einem Orte zum anderen zu begeben. Wenn somit eine Wärmemaschine arbeitet, so wird dabei eine gewisse Wärmemenge von einer höheren Temperatur auf eine niedere fallen, ähnlich wie eine Wassermasse, um z. B. in einer Mühle Arbeit zu leisten, von einer höheren Stelle auf eine niedere fallen muss. Anderseits leistet Wärme, welche einfach durch Leitung auf niedere Temperatur geht, keine Arbeit; eine Wärmemaschine muss also derart beschaffen sein, dass in ihr die Temperaturerniedrigung nur durch Arbeit erfolgt und wenn sie vollkommen sein soll, so darf gar keine Wärme durch Leitung auf niedrigere Temperatur gelangen, d. h. alle Temperaturänderungen müssen ohne Wärmeleitung und alle Wärmeübergänge müssen bei gleicher Temperatur erfolgen. Hierdurch gewinnt eine vollkommene Wärmemaschine das weitere Kennzeichen, dass sich ihr Betrieb umkehren lässt, da Wärmeübergänge zwischen gleichtemperierten Stellen in beiderlei Sinn unter gleichen Bedingungen erfolgen. Betreibt man eine Wärmemaschine im umgekehrten Sinne, so wird in ihr Arbeit verbraucht, um Wärme von niederer Temperatur auf höhere zu bringen und eine vollkommene Wärmemaschine würde gerade die Arbeit, die durch einen bestimmten Wärmefall von ihr geleistet ist, wieder verbrauchen, um die gleiche Wärmemenge auf die frühere höhere Temperatur zurückzubringen.
Wird dies zugegeben, so kann man beweisen, dass die Leistung einer vollkommenen Wärmemaschine nur vom Temperaturunterschiede, über den sie arbeitet, abhängt, und in keiner Weise von ihrer sonstigen Beschaffenheit. Denn gäbe es zwei vollkommene Maschinen A und B, von denen etwa A zwischen den gleichen Temperaturen aus derselben Wärmemenge mehr Arbeit entstehen lässt als B, so brauchte man nur B vorwärts, A aber mittelst der aus B erhaltenen Arbeit rückwärts gehen zu lassen, damit A beständig mehr Wärme auf die höhere Temperatur bringt, als B für die erforderliche Arbeit verbraucht. Man könnte mit anderen Worten beliebig grosse Wärmemengen von niederer auf höhere Temperatur bringen und mit diesen beliebig viel Arbeit erzeugen, d. h. man hätte ein Perpetuum mobile konstruiert. Da ein solches sich aber nicht konstruieren lässt, so ist die Annahme falsch. Auf gleiche Weise beweist man, dass auch B nicht vorteilhafter als A arbeiten kann. So bleibt nur übrig, dass beide Maschinen ein gleiches Verhältnis zwischen Wärmefall und Arbeit aufweisen, was zu beweisen war.
Wie man sieht, ist bei dieser Überlegung überhaupt kein Gebrauch von dem Gesetze von der Erhaltung der Energie gemacht, denn es ist ganz unbestimmt gelassen worden, auf welche Weise die Arbeit aus der Wärme entsteht. Carnot dachte anfangs, dass der blosse Temperaturfall der Wärme hierzu ausreichend sei, ebenso wie der Fall des Wassers, ohne dass eine Verminderung der Wärme- bezw. Wassermenge eintritt. Später scheint er, wie sich aus hinterlassenen Aufzeichnungen entnehmen lässt, sich der richtigen Auffassung, dass hierbei ein Teil der Wärme verbraucht wird, genähert zu haben, doch sind jene Aufzeichnungen erst ans Tageslicht gekommen, als die ganze Angelegenheit bereits durch die späteren Forscher aufgeklärt war. Wesentlich aber ist, dass die Schlussweise Carnots in der Tat ohne die Kenntnis des Gesetzes von der Erhaltung der Energie oder des ersten Hauptsatzes ausführbar ist. Das Perpetuum mobile, welches durch Carnots Überlegung ausgeschlossen wird, ist daher ein anderes als das, welches durch Erschaffung von Energie betrieben werden könnte, denn es ist ja von der Geltung des ersten Hauptsatzes ganz unabhängig. Ein Carnotsches Perpetuum mobile würde sich z. B. ergeben, wenn man die Wärme einer gleichtemperierten Wassermasse veranlassen könnte, sich teilweise in andere Energie, z. B. in elektrische zu verwandeln. Dies ist erfahrungsmässig ebensowenig möglich, wie die Erschaffung von Energie. Es liegt hier also ein anderes, vom ersten Hauptsatze unabhängiges Gesetz vor, welches der zweite Hauptsatz heisst, und welches im Anschluss an die eben durchgeführten Betrachtungen in verallgemeinerter Gestalt so ausgesprochen werden kann: ruhende Energie setzt sich nicht freiwillig in Bewegung. Oder wenn man das eben beschriebene Carnotsche Perpetuum mobile ein solches zweiter Art nennt: ein Perpetuum mobile zweiter Art ist unmöglich.
Carnots grosser Gedanke blieb zunächst ebenso ohne Wirkung, wie viele andere Gedanken, die ihrer Zeit zu weit voraus waren. Das kleine Büchlein, in dem er veröffentlicht worden war, geriet ganz in Vergessenheit. Dies änderte sich auch nicht, als zehn Jahre später ein Ingenieur namens Clapeyron den Gedanken aufnahm und ihm eine elegante analytische Darstellung gab, und ebensowenig, als wieder etwa zehn Jahre später Poggendorff jene Abhandlung von Clapeyron, die französisch erschienen war, in seinen weitverbreiteten Annalen mit einem besonderen Hinweis auf ihre Bedeutung nochmals deutsch abdruckte. Erst R. Clausius und W. Thomson waren (1850) fähig, die Tragweite des Gedankens zu beurteilen, und insbesondere der erste wies nach, dass er wie oben dargestellt, unabhängig vom ersten Hauptsatze ist und daher trotz der unrichtigen Annahme von Carnot, dass keine Wärme in den Wärmemaschinen verbraucht wird, zu richtigen Resultaten führt, wenn man ihn in angemessener Weise mit dem ersten Hauptsatze verbindet. Ebenso war W. Thomson imstande, ihn zu wichtigen Schlüssen zu benutzen, ohne sich damals über die Frage zu entscheiden, ob der erste Hauptsatz gültig ist oder nicht.
Hierdurch kam es, dass während der erste Hauptsatz leichtverständlich ist und gegenwärtig einen Bestandteil des elementaren Unterrichts bildet, der zweite Hauptsatz einen Charakter von Schwerverständlichkeit, ja fast eine geheimnisvolle Beschaffenheit erhielt. Seine Anwendungen waren durch die beiden genannten grossen mathematischen Physiker an gewisse mathematische Operationen geknüpft, deren Richtigkeit man einsehen und deren Erfolge man bewundern konnte, ohne dass man aber begriff, warum gerade diese zweimaligen Differentiationen erforderlich sein sollten, um unter Verschwinden der zweiten Differentiale die endlichen einfachen Beziehungen zu ergeben. Anderseits beweist gerade die Entdeckung des zweiten Hauptsatzes zwanzig Jahre vor dem ersten, dass in ihm eine ähnliche, allgemeine Beziehung steckt, wie in dem Erhaltungsgesetze. Erst in neuerer Zeit hat sich herausgestellt, dass erstens der zweite Hauptsatz nicht nur, wie ihn Clausius und Thomson noch allein verwendet hatten, auf die Wärmelehre beschränkt ist, sondern sich bei allen Arten Energie betätigt, und zweitens, dass er die allgemeine Bedingung oder Definition dafür darstellt, dass überhaupt etwas geschieht. Der erste Hauptsatz besagt ja nur: wenn etwas geschieht, so stehen die verschwindenden und die erscheinenden Energiemengen im Äquivalenzverhältnisse, er gibt aber keine Auskunft darüber, ob und wann etwas geschieht, sondern setzt das Stattfinden eines Geschehens voraus. Hier tritt nun der zweite Hauptsatz ein und stellt die Voraussetzung fest, unter welcher etwas geschieht, und zwar auf Grund ganz ähnlicher Überlegungen, wie sie Carnot für die Wärme angestellt hat. Ebenso wie ein Temperaturunterschied bestimmt, ob seitens der Wärme etwas geschieht, so bestimmt ein elektrischer Spannungsunterschied, ob seitens der elektrischen Energie etwas geschieht, und ein Druckunterschied bestimmt einen entsprechenden mechanischen Vorgang. Für jede Energie lässt sich, wie die eingehende Untersuchung lehrt, solch ein Wert, bestimmen, welcher für sie die gleiche Bedeutung hat, wie die Temperatur für die Wärme und für jede Energieart gelten demgemäss die Betrachtungen Carnots. So gibt es insbesondere auch für die chemische Energie ein solches »chemisches Potential«, und dieses ist der exakte Ausdruck für das, was man unter dem Namen der chemischen Verwandtschaft mehr gesucht als gekannt hat. Dieses chemische Potential steht unter Vermittlung der Verbindungsgewichte mit der Grösse, die vorher als freie Energie bezeichnet worden ist, in nächster Beziehung und damit chemisch etwas geschieht, muss ein Unterschied des chemischen Potentials vorhanden sein.
Zunächst war die Chemie allerdings sehr weit davon entfernt, an den Fortschritten teilzunehmen, welche die Physik durch die Entdeckung und Anwendung der Energiegesetze erfuhr. Es war, entsprechend der Entstehungsgeschichte dieser Probleme, in erster Linie die Theorie der Dampfmaschine und der anderen Wärmemaschinen, welche ausgebildet wurde. Clausius wies zwar gelegentlich darauf hin, dass die von ihm ausgebildeten Begriffe und die mit ihrer Hilfe gefundenen Gesetze auch in der Chemie Anwendung finden könnten, doch hat er selbst den Weg hierzu nicht gewiesen. Dies geschah zuerst durch August Horstmann (geb. 1842) im Jahre 1870, und zwar in einer grundsätzlich vollkommen ausreichenden Weise. Horstmann wendete die Formeln von Clausius, insbesondere sein Prinzip der maximalen Entropie auf den Fall chemischer Vorgänge in Gasen an, wo die von diesem eingeführten allgemeinen Funktionen eine rechnerische Auswertung ermöglichen und fand auf diesem Wege unter anderem dasselbe Massenwirkungsgesetz, welches Guldberg und Waage auf experimentellem Wege entdeckt hatten. Allerdings galt Horstmanns Ableitung zunächst nur für Gase; er hat aber ausdrücklich ausgesprochen, dass nach den vorhandenen Tatsachen gelöste Stoffe eine übereinstimmende Gestalt der massgebenden Funktion aufweisen, so dass die für Gase gefundenen Gesetze auf sie übertragen werden können. Es ist dies eine Bemerkung, die bei weiterer Verfolgung auf die durch van 't Hoff eingeführten Gedanken leitet.
Unabhängig von Horstmann wurden ähnliche Gedanken etwas später von französischen Forschern entwickelt, wenn auch in engerem Umfange. Bei weitem die umfassendste und tiefgehendste Arbeit wurde aber durch einen amerikanischen Forscher geleistet, Willard Gibbs (1839 bis 1904), welcher gleichfalls auf Clausius fussend der ganzen weiteren Entwicklung der chemischen Energetik eine dauernde Form gegeben hat.
Willard Gibbs hatte seine ausgedehnten Forschungen in einer fast unbekannten und sehr wenig verbreiteten Zeitschrift, den Transactions der Connecticut Academy, veröffentlicht. Da er ausserdem ganz und gar dem klassischen Typus des Gelehrten angehört, dem die Genauigkeit und Strenge seiner Darlegungen über alles geht, und dem meist das Mitteilungsbedürfnis und damit die Fähigkeit und Neigung zu anregender Darstellung abgeht, so hat er auch keine unmittelbare Schule gegründet, wodurch seinen Forschungen eine weitere Möglichkeit der Verbreitung entzogen wurde. So kann es nicht wundernehmen, dass auch diese genialen Arbeiten zunächst ganz unbekannt blieben, und dass erst durch einzelne andere Forscher, welche mehr oder weniger zufällig der hier verborgenen Schätze gewahr wurden und sie den Mitarbeitern zugänglich zu machen suchten, verhältnismässig spät Kunde und Anwendung von ihnen ans Licht kam.
Der gesamte Inhalt von Gibbs' Entdeckungen lässt sich in allgemeinverständlicher Gestalt noch nicht darstellen, weil er noch nicht Gemeingut des wissenschaftlichen Denkens geworden ist. Er ist ausserdem so reich und mannigfaltig, dass auch die Fachmänner ihn noch bei weitem nicht erschöpft haben, so reiche und mannigfaltige Anwendung bereits von ihnen gemacht worden ist. Es muss daher genügen, in ganz allgemeiner Weise den Charakter des von Gibbs bewirkten wissenschaftlichen Fortschrittes zu kennzeichnen.
Von allen Gebieten der theoretischen Physik ist das der Thermodynamik, oder, da dieser Name zu eng ist, der Energetik, bei weitem das sicherste und geordnetste. Auf Grund der beiden Hauptsätze der Energetik, die wir vorher kennen gelernt haben, und unter Benutzung anderer allgemeiner Gesetze, wie des Gasgesetzes, des Faradayschen Gesetzes usw. kann man zwischen den verschiedenartigsten Eigenschaften physikalischer Gebilde bestimmte, zahlenmässige Beziehungen aufstellen. Von diesen waren viele experimentell noch unbekannt, als sie auf theoretischem Wege gefunden wurden; die auf Grund der Theorie angestellten Versuche haben dann jedesmal nicht nur eine allgemeine, sondern auch eine zahlenmässige Bestätigung dieser Gesetze gegeben. Um nur ein Beispiel anzuführen, sei der Einfluss des Druckes auf den Schmelzpunkt erwähnt. Bunsen hatte gefunden, dass gewisse Stoffe, wie Wachs, Wallrat usw., die er untersucht hatte, ihren Schmelzpunkt durch starken Druck erhöhen. Kurze Zeit darauf wurde die Theorie auf die Frage angewendet; sie ergab eine Beziehung zwischen dem Einflusse des Druckes auf den Schmelzpunkt, der Schmelzwärme und der Volumenänderung beim Schmelzen, die zu dem unerwarteten Ergebnis führte, dass beim Wasser sich die Sache umgekehrt verhalten müsse, als Bunsen sie bei seinen Stoffen gefunden hatte: die Schmelztemperatur des Wassers sollte durch Druck fallen statt zu steigen. Der Versuch ergab nicht nur eine Bestätigung der Theorie dem Sinne nach, sondern auch die vorausberechnete (sehr geringe) Schmelzpunktserniedrigung wurde so genau gefunden, als die Versuchsfehler dies erwarten liessen.
Somit gestattet die Anwendung der beiden Hauptsätze, die experimentelle Naturgeschichte solcher Gebilde, deren Energieverhältnisse man kennt, zu einem Anwendungsgebiete der Kombinatorik zu machen. Die von Clausius, Thomson und Gibbs angeführten Methoden brauchen nur erschöpfend auf alle denkbaren Kombinationen der beteiligten Energien angewendet zu werden, um alle zwischen ihnen möglichen gesetzlichen Beziehungen zu ergeben. Das höchste Ideal, welches sich ein Leibniz für die Wissenschaft ersinnen konnte, findet sich auf dem von der Energetik beherrschten Gebiete verwirklicht.
Die Bedeutung von Gibbs' Arbeiten liegt nun gerade darin, dass er für die Lehre vom chemischen Gleichgewicht diesen Zustand geschaffen hat. In der Physik ist es seit langem anerkannt, dass die Thermodynamik nicht nur eines der fruchtbarsten Gebiete ist, sondern auch das exakteste. Es steht in dieser Beziehung der theoretischen Mechanik nicht nach, der es anderseits vermöge seines viel engeren Anschlusses an die Erfahrung weit überlegen ist. Gibbs hat den Zugang zu dem entsprechenden Gebiete der Chemie durch seine Arbeiten eröffnet und seitdem die Chemiker gelernt haben, sich seiner Methoden und Entdeckungen zu bedienen, ist eine reiche Ernte von wissenschaftlichen Ergebnissen gewonnen worden. Das Feld ist dabei, entsprechend der viel grösseren Mannigfaltigkeit der chemischen Erscheinungen den thermodynamischen gegenüber, so wenig erschöpft, dass vielmehr fast täglich neue Früchte eingebracht werden und es überall an Händen fehlt, um die in erreichbarer Nähe hängenden zu pflücken.
Um die Beschaffenheit des durch Gibbs bewirkten Fortschrittes zu kennzeichnen, will ich eines der vielen von ihm entdeckten Gesetze, das Phasengesetz, etwas eingehender darstellen. Es ist dasjenige, dessen Bedeutung am frühesten erkannt worden ist, und das deshalb, insbesondere durch die Bemühungen von Bakhuis Roozeboom (1854 bis 1906) die mannigfaltigste Anwendung gefunden hat. An diesem Beispiele wird gleichzeitig der umfassende Charakter der Beziehungen ersichtlich, welche Gibbs aufzudecken wusste.
Betrachtet man einen homogenen Körper, gleichgültig ob fest, flüssig oder gasförmig, in bezug auf seine möglichen Änderungen durch Wärme und mechanische Beeinflussung (wobei wir uns auf einen gleichförmigen Druck beschränken wollen), so finden wir, dass sein Zustand eindeutig und unveränderlich bestimmt ist, wenn man seine Temperatur und seinen Druck kennt. Dies wird unmittelbar deutlich bei einem Gase, für welches die Gleichung pv=RT gilt; hier können von den drei Veränderlichen zwei beliebig angenommen werden; die dritte ist dann zahlenmässig festgelegt. Gleichzeitig erkennt man, dass es nicht gerade Temperatur und Druck sein müssen, die man wählt; es können vielmehr beliebige zwei von den drei Veränderlichen sein, es müssen aber zwei, nicht mehr und nicht weniger sein. Ganz ebenso verhalten sich Flüssigkeiten und feste Körper: ihr Volumen ist bestimmt, wenn Druck und Temperatur gegeben sind, und zwei Veränderliche sind im allgemeinen für sie frei, die dritte nicht mehr.
Man sagt daher, dass ein jeder homogene Körper zwei Freiheitsgrade oder kurz zwei Freiheiten hat.
Nun kann man über diese Freiheiten noch anders verfügen, als durch die Bestimmung von Druck, Temperatur oder Volumen, u. a. dadurch, dass man eine Flüssigkeit neben ihrem Dampf, einen festen Körper neben seiner Schmelze usw. zu haben verlangt. Man nennt nach Gibbs diese verschiedenen Teile des Systems, wo dieses andere Eigenschaften, insbesondere eine andere Dichte aufweist, Phasen. Ein Gebilde aus Wasser und Dampf besteht daher aus zwei Phasen, der flüssigen und der gasförmigen. Man kann also allgemein die Forderung aufstellen, dass zwei Phasen nebeneinander bestehen sollen.
Nun ist es offenbar nicht möglich, zwei Phasen nebeneinander im Gleichgewicht zu haben (und auf Gleichgewichte bezieht sich ausdrücklich unsere ganze Untersuchung), wenn nicht ihre Temperaturen und ihre Drucke gleich sind.
Solch eine Forderung ist, wie Gibbs beweist, immer gleichwertig mit der Verfügung über eine Freiheit. Mit der Anzahl der Phasen, die nebeneinander bestehen sollen, nimmt somit die Anzahl der Freiheiten ab, die für das Gebilde übrigbleiben. Bei einem einheitlichen Stoffe, bei dem sich eine jede Phase vollständig in die andere verwandeln lässt, wird somit nur eine Freiheit bestehen, wenn zwei Phasen nebeneinander vorhanden sind, und gar keine, bei drei Phasen.
Anderseits liegt eine weitere Reihe von Freiheiten vor, wenn die Stoffe zusammengesetzt sind. Jeder neue unabhängige Bestandteil bedingt eine Freiheit mehr. Fasst man alle diese Umstände zusammen, und nennt F die Anzahl der Freiheiten, P die der Phasen und B die der Bestandteile, so gilt die Gleichung
P + F = B + 2;
die Summe der Phasen und Freiheiten ist gleich der Anzahl der Bestandteile plus zwei.
Man sieht es dieser schlichten Gleichung nicht an, welchen unabsehbaren Inhalt sie besitzt. Wir prüfen zunächst, ob sie dem einfachen Fall genügt, von dem wir ausgingen. Haben wir einen Bestandteil in einer Phase, so ist P = 1 und B = 1; somit ist F = 2: die Anzahl der Freiheiten ist zwei, ganz wie wir gesehen haben. Liegt ein Bestandteil in zwei Phasen vor, so folgt F = l, es besteht nur eine Freiheit. Haben wir beispielsweise Flüssigkeit neben Dampf, so kann man nur eine Grösse frei bestimmen, z. B. die Temperatur; dann ist der Druck nicht mehr wahlfrei. In der Tat hat eine reine Flüssigkeit bei einer bestimmten Temperatur einen bestimmten Dampfdruck und bei keinem anderen Druck kann Dampf neben ihr bestehen. Denn wenn der Druck grösser gemacht wird, so verschwindet der Dampf und wird zu Flüssigkeit komprimiert; macht man ihn kleiner, so verschwindet die Flüssigkeit und geht in Dampf über.
Um weiter die Anwendung des Phasengesetzes zu zeigen, können wir nach dem Verhalten einer Lösung neben einem festen Körper, z. B. einem Salze fragen. Wir haben zwei Bestandteile und zwei Phasen, nämlich Lösung und festes Salz; ist F = 2, es gibt zwei Freiheiten. Wir können beispielsweise eine bestimmte Temperatur wählen, alsdann wissen wir aber, dass sich die Lösung mit dem festen Körper sättigt, d. h. dass sich ein ganz bestimmtes Verhältnis zwischen beiden in der Flüssigkeit herstellt und es sieht so aus, als wäre keine zweite Freiheit mehr vorhanden, welche das Phasengesetz gewährt. Indessen hat die Forschung gezeigt, dass noch die Konzentration der gesättigten Lösung verändert werden kann, wenn man den Druck verändert. Dann verschiebt sich auch die Sättigung. Allerdings ist diese Veränderlichkeit nur sehr gering, aber sie ist vorhanden, und das Phasengesetz hat in derartigen Fällen bereits mehrfach die experimentelle Forschung auf die Existenz solcher Veränderlichkeiten geführt, die wegen ihrer Kleinheit der bisherigen Beobachtung entgangen waren.
In solcher Weise, die um so mannigfaltiger wird, je zahlreicher die Bestandteile sind, kennzeichnet das Phasengesetz die formalen Eigenschaften aller möglichen chemischen Gebilde, insofern diese im Gleichgewicht sind. Es dient daher als Einteilungsprinzip für die wissenschaftliche Behandlung der ganzen Frage und eine Zusammenstellung unserer gegenwärtigen Kenntnisse, die sich auf das Phasengesetz beziehen, würde eine ganze Anzahl starker Bände umfassen.
Endlich darf nicht unterlassen werden zu betonen, dass sich der Begriff der Phase als ein grundlegender bei theoretischen Untersuchungen über die Grundbegriffe der Chemie überhaupt erwiesen hat. Er ist allgemeiner, als der des Stoffes, da er sowohl reine Stoffe wie Lösungen umfasst und mit seiner Hilfe lassen sich die Grundgesetze der Stöchiometrie allgemeiner und hypothesenfreier entwickeln, als auf irgendeinem anderen Wege. Hier hat insbesondere Franz Wald (geb. 1861) grundlegende Arbeit geleistet, auf welcher soeben eifrig weiter gebaut wird.
Dieser kurze Überblick über die Tragweite eines einzigen von den vielen Ergebnissen der Arbeit von Willard Gibbs mag ein Bild davon geben, welche Bedeutung ihr zukommt. Durch sie ist die mathematische Chemie auf die gleiche Stufe der Exaktheit und der Mannigfaltigkeit gehoben worden, wie sie die mathematische Physik seit mehr als einem Jahrhundert eingenommen hat. Es ist charakteristisch, dass während früher die Lehrbücher der Thermodynamik mit der Theorie der Dampfmaschine zu schliessen pflegten, in der sich die einzelnen Ergebnisse der Theorie zu rechnerischer Anwendung vereinigten, es gegenwärtig üblich geworden ist, die Hauptergebnisse der mathematischen Chemie als Paradepferd der Thermodynamik vorzureiten.
Die Bedeutung des Phasengesetzes liegt, wie bereits bemerkt, ausschliesslich auf der formalen Seite. Es gibt uns ein Schema, dem alle möglichen Gleichgewichte unterworfen sind, sagt uns aber nichts Bestimmteres über die Beschaffenheit dieser Gleichgewichte. Hier tritt ein anderes Gesetz ein, welches sich aus der allgemeinen Auffassung des Gleichgewichts ergibt. Es reicht zwar gleichfalls nicht aus, um ein Gleichgewicht an sich vollständig zu definieren. Wohl aber gibt es an, wie ein einmal vorhandenes Gleichgewicht sich ändert, wenn man die Bedingungen verschiebt, unter denen es besteht. Es gibt mit anderen Worten Auskunft über den gegenseitigen Zusammenhang der an demselben Gebilde möglichen Gleichgewichte. Seine Geschichte ist eine recht verwickelte; man kann sie, wenn man will, bis in die mechanischen Prinzipien des kleinsten Zwanges und der kleinsten Wirkung zurückverfolgen. Seine Anwendung im chemisch-physikalischen Gebiete ist von verschiedenen Seiten mehr oder weniger klar versucht und ausgeführt worden; am klarsten wieder von van 't Hoff.
Man versteht den Satz am besten, wenn man ihn als eine erweiterte Definition des Gleichgewichtszustandes auffasst. In der Mechanik unterscheidet man bekanntlich das stabile, labile und indifferente Gleichgewicht. Das Gleichgewicht im engeren und eigentlichen Sinne ist durchaus das stabile; es hat die Eigenschaft, dass es sich jeder Störung widersetzt, indem jede Störung die Beschaffenheit hat, solche Änderungen des Gebildes hervorzurufen, die alsbald den Erfolg der Störung wieder zu vernichten oder ihre Wirkung auszugleichen suchen. Betrachten wir beispielsweise eine schwere Masse, die an einem Seil aufgehängt ist und zur Ruhe gekommen ist. Jede mögliche Bewegung, die man der Masse erteilen kann, ist mit ihrer Hebung verbunden, denn die Ruhelage senkrecht unter dem Aufhängepunkte ist ja die denkbar niedrigste, die vorkommen kann. Daher wird die Masse aus jeder anderen Lage ausser der Ruhelage noch sich senken können und müssen. Man erkennt, dass die Ruhe- oder Gleichgewichtslage eben dadurch gekennzeichnet ist, dass jede andere, benachbarte Lage aus ihr nur durch Aufnahme von Arbeit erreicht werden kann, und dass daher jede andere Lage die Eigenschaft hat, dass sich die Masse aus ihr in die Ruhelage zu bewegen strebt, und wenn sie beweglich ist, auch sich tatsächlich bewegt.
Der vorliegende Fortschritt liegt nun in der Erkenntnis, dass derartige stabile Gleichgewichtszustände auch für alle anderen Gebilde, nicht nur die mechanischen bestehen. Hieraus etwa den Schluss zu ziehen, dass daher alle Gebilde mechanischer Natur seien, ist offenbar logisch nicht gerechtfertigt, weil erst bewiesen sein müsste, dass keine anderen Gebilde ausser den mechanischen, diese Eigenschaft haben. So fassen wir den Tatbestand allgemeiner und besser in solchem Sinne auf, dass wir sagen: es handelt sich um eine sehr allgemeine Eigenschaft aller energetischen Gebilde, und es ist dafür gleichgültig, welche Formen der Energie vorliegen.
Was nun das labile und das indifferente Gleichgewicht anlangt, so ist das erstere nur eine theoretische Abstraktion, die in einem wirklichen Gebilde niemals realisiert ist und die daher hier nicht betrachtet zu werden braucht. Bekanntlich definiert man ein labiles Gebilde als ein solches, das zwar nach keiner Seite einen Antrieb hat, sich zu ändern, das einen solchen aber bei der allerkleinsten Änderung seines Zustandes erlangt, und zwar in solcher Weise, dass dieser Antrieb immer stärker wird, je weiter das Gebilde sich aus der Ruhelage entfernt. Da wir physisch nie ein Gebilde herstellen können, das von jeder Störung absolut frei wäre – mechanische, thermische, elektrische Schwankungen der Umgebung sind nie vollkommen auszuschliessen –, so haben wir es tatsächlich nie mit labilen Gebilden im strengen Sinne zu tun.
Indifferente Gleichgewichte gibt es dagegen in grosser Zahl, und die Eigenschaften des stabilen und des indifferenten Gleichgewichts schliessen sich gegenseitig nicht aus. Indifferent ist nämlich jedes stabile Gleichgewicht gegen solche Änderungen, welche keine Arbeiten der in Betracht kommenden Art bewirken. So ist unsere am Seile hängende Masse indifferent gegen Änderung der Temperatur und des elektrischen Zustandes usw. Man bezeichnet indessen mit dem Namen indifferent vorwiegend solche Gleichgewichte, bei denen Änderungen, die bei ähnlich aussehenden Gebilden Arbeiten bedingen, keine solchen verursachen. Man nennt beispielsweise eine auf einer Ebene ruhende Kugel im indifferenten Gleichgewicht befindlich, weil Ortsbewegungen, die bei anderen schweren Gebilden im allgemeinen Arbeiten bedingen, dies hier nicht tun.
Bei chemischen Gebilden sind derartige indifferente Gleichgewichte nicht selten. Zwei Phasen eines einheitlichen Stoffes, die nebeneinander bestehen können, sind beispielsweise alsdann in einem indifferenten Gleichgewichte in bezug auf ihre relative und absolute Menge. Wenn ich Eis und Wasser bei 0° nebeneinander habe, so kann ich beliebig einen Teil des Eises in Wasser oder einen Teil des Wassers in Eis verwandeln, ohne dass hierdurch das Gleichgewicht gestört wird. Ebenso ist Wasser und Wasserdampf bei 100° und Atmosphärendruck im indifferenten Gleichgewichte. Ich kann das Volumen des Gefässes, in dem beide sich befinden, beliebig vergrössern und verkleinern; sorge ich durch passende Zu- oder Abfuhr von Wärme dafür, dass Temperatur und Druck des Gebildes sich nicht ändern, so bleibt dieses in jedem derartigen Zustande stehen, ohne das Bestreben zu haben, ihn zu verlassen und den früheren wieder zu erreichen.
Schliesse ich dagegen das Gebilde gegen Wärmezu- und -abfuhr ab, so wird es stabil. Denn beim Verkleinern des Volumens erhitzt es sich, und es tritt eine Druckzunahme ein, die sich der weiteren Verkleinerung des Volumen widersetzt. Umgekehrt kühlt es sich bei Volumenvergrösserung ab, und die eintretende Druckverminderung widersetzt sich ebenso einer Fortsetzung dieser Störung. Halte ich umgekehrt das Volumen konstant und führe Wärme zu, so verdampft Flüssigkeit; hierzu wird Wärme verbraucht und auch diese Änderung widersetzt sich dem ausgeübten Zwange der Temperaturerhöhung. Entziehe ich Wärme, so verflüssigt sich Dampf und die freiwerdende Verdampfungswärme widersetzt sich gleichfalls der drohenden Temperaturerniedrigung.
Durch diese Betrachtungen sind wir nun bereits inmitten unseres Satzes und seiner Anwendungen. Wir sehen wieder: stabiles Gleichgewicht ist dadurch gekennzeichnet, dass bei versuchten Störungen solche Reaktionen eintreten, welche die Folgen dieser Störungen abschwächen und das Gebilde wieder in den früheren Zustand zurückzutreiben bestrebt sind. Und wir sehen gleichfalls, dass es sich nicht um eine geheimnisvolle und mit anderen Tatsachen nicht zusammenhängende Besonderheit handelt, sondern um die physische Definition des Gleichgewichtes, auf welches sich unser Satz bezieht.
Eine der hübschesten Anwendungen des Satzes ist die zur Bestimmung der Löslichkeitslinie. Bekanntlich lösen sich die Stoffe in ihren Lösungsmitteln mit steigender Temperatur bald reichlicher, bald spärlicher auf; der letztere Fall tritt verhältnismässig seltener ein. Es besteht mit anderen Worten zwischen dem Lösungsmittel und dem anderen Stoffe ein Gleichgewicht, das mit der Temperatur veränderlich ist. Betrachten wir es bei einer bestimmten Temperatur und fragen wir uns: was wird geschehen, wenn wir durch Wärmezufuhr die Temperatur erhöhen wollen? Die Antwort ist gemäss unserem Satze: das, was sich der Temperaturerhöhung widersetzt. Erfolgt also die weitere Auflösung des Stoffes in der Flüssigkeit unter Temperaturerniedrigung, so wird eine Mehrauflösung stattfinden. Ist umgekehrt der Umstand vorhanden, dass durch die Auflösung von weiteren Mengen des Stoffes eine Erwärmung stattfinden würde, so wird dieser sich bei Temperaturerhöhung ausscheiden. Bei der experimentellen Prüfung des Satzes trat noch der besonders interessante Fall ein, dass ein Beispiel gefunden wurde, das sich gerade umgekehrt zu verhalten schien, nämlich Kupferchlorid in Wasser. Aus den Untersuchungen von Thomsen ging nämlich hervor, dass sich dieser Stoff unter schwacher Wärmeentwicklung in Wasser löst, und dennoch vermindert er nicht seine Löslichkeit mit steigender Temperatur, sondern vermehrt sie. Dieser anscheinende Widerspruch klärte sich dahin auf, dass die Wärmeentwicklung allerdings stattfindet, wenn man das Salz in vielem reinen Wasser löst. Darum handelt es sich aber nicht, sondern, wie das Prinzip auch ausgesprochen wurde, darum, ob eine weitere Lösung von Salz unter den vorhandenen Bedingungen, nämlich in der bei niederer Temperatur gesättigten Lösung, Wärme verbraucht oder entwickelt. Der Versuch zeigte, dass ersteres der Fall ist, und so verwandelte sich die scheinbare Widerlegung des Prinzipes in eine besonders eindringliche Bestätigung.
Gibt uns somit das Verschiebungsprinzip Auskunft über alle Vorgänge, die mit einer Verschiebung der Gleichgewichtsbedingungen verbunden sind, so gewinnen wir endlich die Gleichgewichtsbedingungen selbst bis auf eine Konstante aus dem Massenwirkungsgesetz. In der Geschichte dieser Frage wurde vorher dargelegt, wie dies Gesetz, dass die Wirkung eines jeden Stoffes seiner Konzentration proportional ist, zunächst von Wenzel für Reaktionsgeschwindigkeiten und von Berthollet für Gleichgewichte vermutungsweise aufgestellt und dann sehr viel später von Guldberg und Waage sowie Julius Thomsen und seinen Nachfolgern experimentell bestätigt worden ist. Die Anwendung der Thermodynamik auf die chemischen Gleichgewichte an Gasen ergab das gleiche Gesetz, wie zuerst Horstmann und dann ausführlicher und eingehender Willard Gibbs nachwies. Durch van 't Hoffs Entdeckung, dass die Gasgesetze unverändert für gelöste Stoffe und ihren osmotischen Druck gelten, ergab sich eine ausserordentliche Erweiterung des Geltungsbereiches dieses theoretischen Nachweises, denn statt nur für die wenigen Gase war nun das Massenwirkungsgesetz für die zahllosen gelösten Stoffe anwendbar geworden.
Allerdings ergab sich gleichzeitig die Grenze für die Anwendung des Gesetzes. Da die Ableitung auf der Anwendung der Gasgleichung pv = RT beruht, so gilt sie nicht mehr für solche Zustände der Gase oder Lösungen, für welche jene Formel nicht mehr der Ausdruck der messbaren Eigenschaften ist, d. h. das Massenwirkungsgesetz gilt nur für verdünnte Gase und Lösungen, und zwar um so genauer, je verdünnter sie sind; es ist mit anderen Worten ebenso ein Grenzgesetz, wie die Gasformel selbst.
Es liegt nahe, hier an die Theorie von van der Waals und ihre Anwendung auch auf diesen Fall zu denken; jedoch kommen hier grössere Mannigfaltigkeiten in Frage, als bei einfachen Gasen, da mindestens zwei von ihnen nebeneinander vorhanden zu sein pflegen. Die Theorie dieser Zustände ist noch nicht hinreichend entwickelt, um eine sichere und einfache Grundlage für derartige Fragen zu geben.
Liegt nach dieser Richtung eine Beschränkung vor, so wurde nach anderer Seite eine sehr erhebliche Erweiterung des Anwendungsgebietes der eben besprochenen Gesetze erzielt, als es sich herausstellte, dass auch die Ionen sich in bezug auf die Gesetze des osmotischen Druckes und der Massenwirkung genau wie andere Stoffe behandeln lassen. Hierdurch konnte das gesamte Verhalten der Salzlösungen den Gesetzen der chemischen Mechanik unterstellt werden, und es ergaben sich Aufklärungen für zahlreiche Tatsachen, die bis dahin zwar bekannt gewesen waren, die man aber nur als unzusammenhängende Einzelheiten beobachtet und den Annalen der Wissenschaft einverleibt hatte. Neben allgemeinen oder theoretischen Fortschritten wurden bei dieser Gelegenheit auch praktische Ergebnisse erzielt; insbesondere gelang es, eine ausreichende und umfassende Theorie der Reaktionen zu geben, deren man sich nur qualitativen und quantitativen Bestimmung der Stoffe in der analytischen Chemie bedient.
Auch von diesen Fortschritten kann nur eine ungefähre Anschauung an dem einen oder anderen Beispiel gegeben werden, da tatsächlich gegenwärtig fast die ganze anorganische Chemie sich als ein frisches Anwendungsgebiet dieses Teils der chemischen Mechanik, der Ionengleichgewichte oder der elektrochemischen Gleichgewichte darstellt.
Als erstes Beispiel betrachten wir das Problem von der Stärke der Säuren und Basen, welches, wie sich aus der geschichtlichen Darstellung ergab, von Anfang an im Mittelpunkte der hier auftretenden Fragen gestanden hat. Es ist schon erzählt worden, dass Thomsen zuerst den Zustand einer homogenen Lösung ohne Störung des Gleichgewichts mittelst thermochemischer Methoden zu bestimmen lehrte. Er hatte auf solche Weise festgestellt, dass in der Tat verschiedene Stärken der Säuren vorhanden sind, und dass beispielsweise Salzsäure ungefähr doppelt so stark ist wie Schwefelsäure. Dabei entstand natürlich die Frage, ob dies von der Base abhängig ist, um welche die Säuren konkurrieren, und Thomsen hatte eine solche Abhängigkeit aus seinen Versuchen erschlossen. Als indessen ähnliche Versuche nach anderen, schnelleren und teilweise auch genaueren Methoden angestellt wurden, ergab sich, dass diese Abhängigkeit von der Base nur scheinbar und infolge besonderer Komplikationen aufgetreten war, dass aber im übrigen sich die Stärke der Säuren, wie sie sich durch die verschieden starke Beanspruchung einer Base bei gleichzeitiger Einwirkung zweier Säuren herausstellt, eine spezifische Eigenschaft der Säuren und von der Base unabhängig ist.
Weiterhin stellte sich heraus, dass noch eine grosse Anzahl anderer Arten, wie die Säuren ihre sauren Eigenschaften betätigen, durch die gleichen Zahlen gekennzeichnet werden. Es war mit einem Worte möglich, für die Stärke der Säuren ähnliche Konstanten aufzustellen, wie für ihr Äquivalentgewicht, und die gegenseitige Verwandtschaft zwischen Säure und Base konnte durch das Produkt ihrer beiderseitigen Stärken ähnlich ausgedrückt werden, wie das Äquivalentgewicht der Salze durch die Summe der Äquivalentgewichte von Säure und Base.
Dies war der Stand der Sache, als Arrhenius seine ersten Veröffentlichungen begann, die ihn später zur Aufstellung der Ionentheorie führen sollten. In diesen früheren Arbeiten hatte er wesentliche Bestandteile jener Theorie bereits vorausgenommen und so unter anderen geschlossen, dass die Stärke der Säuren und Basen ihrer elektrischen Leitfähigkeit proportional sein müsse.
So gering war damals (um 1885) die Kenntnis dieser letzteren Eigenschaft, dass Arrhenius kaum ein halbes Dutzend Säuren aus der Literatur sammeln konnte, für welche beide Grössen, die Stärke und die Leitfähigkeit festgestellt waren. Bei diesen stimmte jene Voraussage wenigstens der Reihenfolge und Grössenordnung nach. Indessen blieb es nicht lange so. Von anderer Seite war man gleichfalls auf den Parallelismus zwischen beiden Grössen aufmerksam geworden, und bald konnten über dreissig Fälle vorgelegt werden, aus denen hervorging, dass jene allgemeine Eigenschaft der Säuren, die ihre »Stärke« genannt wurde, in der Tat der elektrischen Leitfähigkeit so genau proportional ist, als man nur erwarten konnte.
Hier aber entstand eine neue Schwierigkeit. Die Leitfähigkeit der Säuren in der früher (S. 181) gegebenen Definition ist keine bestimmte Grösse, sondern ändert sich mit der Verdünnung. Diese Änderung ist nicht die gleiche für alle Säuren; die starken (oder gutleitenden, was im Sinne des eben dargelegten Parallelismus das gleiche ist) behalten ihre Stärke und Leitfähigkeit fast unabhängig von der Verdünnung bei; die schwachen aber vermehren sie bedeutend. Hierbei stellte sich heraus, dass diese Vermehrung in allen Fällen nach dem gleichen Gesetz erfolgt, indem der Verdünnungseinfluss für alle Säuren durch eine einzige Kurve in den Koordinaten Leitfähigkeit und Verdünnung darstellbar ist; nur muss die Einheit der Verdünnung für jede Säure besonders gewählt werden. Stellt man mit anderen Worten zwei Säuren so ein, dass sie gleiche Leitfähigkeit zeigen (wofür ihre Verdünnungen entsprechend verschieden zu wählen sind), so bleibt diese Gleichheit bestehen, wenn man beide Säuren in gleichem Verhältnis weiter verdünnt oder konzentriert. Eine besondere Versuchsreihe zeigte dann weiter, dass diese Gesetze nicht nur für die Leitfähigkeit der Säuren bestehen, sondern allgemein für ihre »Stärke« in dem oben angegebenen Sinne. Dies musste auch erwartet werden, aus den gleichen Gründen, wie aus dem Volumengesetz von Gay-Lussac die Geltung der allgemeinen Gasgleichung vorausgenommen werden konnte (S. 75).
Für alle diese Gesetzmässigkeiten fand sich nun auf einmal eine Erklärung, als Arrhenius 1887 seine Theorie der elektrolytischen Dissoziation (S. 185) veröffentlichte. Betrachtet man die Ionen als selbständige Stoffe, so kann man nach den Gesetzen der chemischen Massenwirkung das chemische Gleichgewicht zwischen den Ionen und dem nichtzerfallenen Teil einer Säure in eine Formel fassen. Diese Formel zeigt nun alle die Eigenschaften, welche erfahrungsmässig über den Einfluss der Verdünnung auf die Leitfähigkeit und Stärke einer einzelnen Säure, sowie über die gegenseitigen Beziehungen verschiedener Säuren gefunden worden waren. Dass alle Säuren in bestimmter Beziehung gemeinsame Eigenschaften haben, z. B. sauer schmecken und Lackmus röten, ergab sich als die Eigenschaft ihres gemeinsamen Bestandteils, des Wasserstoffions; der verschiedene Grad, in welchem verschiedene und verschieden verdünnte Säuren diese gemeinsamen Eigenschaften betätigen, oder ihre Stärke liess sich einfach als ihrem Gehalt an freiem Wasserstoffion entsprechend definieren. Kurz, es hat selten in der Geschichte der Wissenschaft einen Fall gegeben, in welchem Erfahrung und Theorie, nachdem sie unabhängig voneinander entstanden waren, so gut und genau zusammenstimmten, wie es sich hier zeigte.
Solche Ergebnisse waren denn auch geeignet, den Ungläubigsten zu überzeugen und die Anzahl der Chemiker, die sich entschlossen, in diesen Forschungen nicht blosse »theoretische« Gedankenspiele, sondern wirkliche, und dazu recht erhebliche erfahrungsmässige Beiträge zur Wissenschaft zu sehen, vermehrte sich schnell. Allerdings waren es zunächst ganz ausschliesslich junge Männer, die sich der seit 1887, dem gemeinsamen Geburtsjahre der Theorien von van 't Hoff und Arrhenius, der neuen Bewegung anschlossen. Wenn es ihnen auch nicht so schlimm ging, wie seinerzeit Harvey, dem Entdecker des Blutkreislaufes, der infolge seiner Entdeckung und des gegen ihn betätigten aktiven Widerspruches seiner Kollegen seine blühende Praxis als Arzt verlor und keinen Fachgenossen, der älter war als vierzig Jahre, zu seinen Anschauungen zu bekehren vermochte, so waren es doch einige Jahre hindurch ziemlich heftige Kämpfe, welche geführt werden mussten, um für die neuen Arbeiten überhaupt nur ernsthafte Beachtung zu gewinnen. Aber unsere schnellere Zeit zeigt hierin neben ihren Fehlern auch neue Vorzüge: es ist nicht mehr nötig, dass ein grosser Entdecker verkannt stirbt, damit hernach die Bedeutung seiner Forschungen ans Licht kommt. Zwar ist auch noch heute für wesentliche Fortschritte, namentlich wenn es sich nicht um die Entdeckung neuer und auffallender Tatsachen, sondern um grundsätzliche Aufklärung alter und scheinbar wohlbekannter handelt, eine gewisse Latenz- und Karenzzeit üblich, und ich habe beinahe zu jedem derartigen Geschenk an die Menschheit in meiner Geschichtserzählung bemerken müssen, dass es zunächst bei den unmittelbar Beteiligten ganz unbeachtet blieb, aber diese Zeit ist doch im allgemeinen sehr viel kürzer geworden als früher und wir sind meist in der glücklichen Lage, unseren geistigen Führern, wenn wir ihres hohen Amtes endlich inne geworden sind, noch bei Lebzeiten unseren Dank für die erwiesene Förderung aussprechen zu können.
Es war keineswegs ausschliesslich nur das Problem von der Affinität der Säuren, das auf solche Weise gelöst, d. h. der Berechnung auf Grundlage einiger Konstanten zugänglich gemacht wurde, sondern das ganze Problem der Gleichgewichte bei Salzen. Ebenso wie sich für die Stärke der Säuren als allgemeine Definition die Konzentration an freiem Wasserstoffion ergab, so gilt die entsprechende, auf Hydroxylion bezogene Definition für Basen. Bei Salzen endlich, wo der Dissoziationsgrad ziemlich übereinstimmend ist, tritt die Löslichkeit, deren Bedeutung bereits Berthollet eingesehen hatte, als massgebender Faktor in den Vordergrund.
Man muss natürlich fragen, ob es nicht ebenso einen Übergang von den Salzen zu allen chemischen Verbindungen im allgemeinen gibt, wie ein solcher bezüglich der Verbindungsgewichte (S. 53) sich herausgestellt hatte. In der Tat ist es möglich, die Gleichgewichtsbedingungen formal für alle beliebigen chemischen Gebilde aufzustellen. Aber während für den verdünnten Zustand der Stoffe die Massenwirkungsfunktion, von welcher das Gleichgewicht abhängt, einfach der Konzentration proportional gesetzt werden kann, so fehlt eine Kenntnis dieser Funktion bei dichten Gebilden, wie konzentrierten Lösungen oder Gemischen reiner Stoffe ohne alles Lösungsmittel. Hier sind wir vorläufig noch auf empirische Beziehungen angewiesen, die uns nur eine verhältnismässig rohe Skizze der Verhältnisse zu entwerfen gestatten. Hier ist Raum vorhanden, zunächst für geduldige Forschung, die uns mit dem erforderlichen Material versieht, sodann aber wohl auch künftig für grosse Entdeckungen, die uns gestattet, zahlreiche Einzelheiten zusammenzufassen und sie als Sonderfälle allgemeiner Gesetze erscheinen zu lassen. Überlegen wir, dass die systematische Untersuchung der chemischen Gleichgewichte nur von wenigen Händen und seit kurzer Zeit ausgeführt wird und die wissenschaftliche Massenarbeit, wie sie z. B. in der organischen Chemie besteht, hier noch gar nicht einmal organisiert ist, so erkennen wir, dass die nahe Zukunft uns noch sehr erhebliche Überraschungen bringen mag.