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Die galvanischen Erscheinungen – Volta –Ritters Grundlegung der Elektrochemie – Die Voltasche Säule – chemische Zersetzungen durch den Strom – Drei Entwicklungslinien der Elektrochemie – H. Davys Entdeckungen – Die Alkalimetalle – Berzelius und Hisinger – Die Stromleitung bei der Zersetzung – Theorie von Grotthuss – Faradays Gesetze – Elektrolyte und Ionen – Daniell 1– Die Wanderung der Ionen – W. Hittorf – Kohlrauschs Messungen der Leitfähigkeit – Unabhängige Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen – Betrachtungen von Clausius – Die Theorie der freien Ionen von Arrhenius –ihre Folgen – Die Natur der Ionen – Elektromotorische Kräfte – Der Voltasche Fundamentalversuch und seine Theorie – Die chemische Theorie – Kampf der beiden Theorien – Entscheidung durch das Energiegesetz – W. Thomson und Helmholtz – Anwendung der Ionentheorie durch Nernst – Uberblick
Der grosse Einfluss, den die elektrochemische Theorie von Berzelius auf die Gestaltung des Konstitutionsproblems in der Chemie ausgeübt hat, ist aus der vorigen Vorlesung deutlich geworden. Es ist daher von erheblichem Interesse, nicht nur die Entstehungsgeschichte jener Theorie genau zu verfolgen, sondern in allgemeiner Weise den Zusammenhang sich zu vergegenwärtigen, der zwischen den chemischen und den elektrischen Erscheinungen besteht.
Dem heutigen Betrachter erscheint nichts natürlicher, als dass gleich bei der ersten Untersuchung der galvanischen Erscheinungen deren chemischen Zusammenhänge den Beobachtern hätten entgegentreten müssen. Aber hierbei ist dessen zu gedenken, dass in der Periode des sogenannten einfachen Galvanismus, nämlich vor der Erfindung der Zusammensetzung beliebig vieler Elemente zu »Säulen« nur solche elektromotorische Kräfte zur Verfügung standen, welche durch die Kombination zweier Metalle mit einer Flüssigkeit bewirkt werden, also bestenfalls die Spannung von einem Volt nicht erheblich überschreiten. Nun ist anderseits die Polarisation, welche bei den gewöhnlichen Elektrolysen entsteht und ihre Betätigung hemmt, bzw. unterbricht, von gleicher Grössenordnung. Zu einer regulären Elektrolyse kam es daher niemals, und aus den unter diesen Umständen eintretenden schwachen Erscheinungen einen gesetzmässigen Zusammenhang mit den chemischen Vorgängen zu erkennen, war eine sehr schwierige Aufgabe.
Alessandro Volta, der geniale Physiker, welcher GalvanisFroschschenkelversuch zu einer glänzend durchgeführten Theorie der Elektrizitätserregung durch den Kontakt entwickelt hatte, hat sich merkwürdigerweise den chemischen Erscheinungen, auf die er bei seinen Versuchen beständig stiess, ganz und gar verschlossen. Er betrachtete die Oxydation seiner Zinkplatten höchstens als eine lästige Begleiterscheinung seiner Versuche, die ihn nötigte, die Platten immer wieder zu reinigen, nicht aber als einen wesentlichen Bestandteil der Vorgänge. So war es denn einem anderen Forscher vorbehalten, die fundamentale Erkenntnis zu gewinnen, dass die von Volta mit so grossem Scharfsinn aufgestellte und experimentell begründete Spannungsreihe der Metalle nicht verschieden ist von deren Oxydationsreihe: am positiven Ende stehen die Metalle, die sich am leichtesten oxydieren lassen, am negativen die edeln, und zwischen beiden sind die Metalle genau in der Reihenfolge geordnet, wie sie sich gegenseitig aus ihren Lösungen fällen. Der Mann, dem wir diese fundamentale Entdeckung verdanken, heisst Johann Wilhelm Ritter (1776 bis 1810). Sein Name ist wenig bekannt, obwohl er unter den ersten in der Elektrochemie genannt zu werden verdient. Denn er hat ausser dieser Entdeckung noch eine Reihe anderer gemacht, die gleichfalls für die Elektrochemie von grundlegender Bedeutung geworden sind. Unter dem Einflusse des Glanzes der Namen Volta und Davy ist der Ritters in den Schatten getreten. Auch haben andere Gründe, insbesondere die unklare und schwülstige Sprache Ritters, zu dieser unverdienten Vergessenheit beigetragen; doch beginnt die Geschichte der Wissenschaft bereits eine verspätete Gerechtigkeit zu üben, und Ritter wird mehr und mehr als einer der Grossen im Reiche der Elektrochemie anerkannt.
Weder die unerwartete Beziehung, die Ritter aufgedeckt, noch die interessanten Experimente, durch die er sie erläutert hatte, erregten indessen die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Welt, Dies geschah erst, als Volta seine Säule erfand und damit ein Mittel gab, die Spannung einer Kette auf jeden beliebigen Wert zu erhöhen. Es ist sehr spasshaft, die Worte zu lesen, mit denen Volta die Beschreibung seiner grossen Erfindung einleitet. Er betont dabei, dass es sich eigentlich um etwas sehr Überflüssiges handle. Er habe die ganze Theorie der Galvanischen Erscheinungen entwickelt und durch Messungen gestützt. Es, seien allerdings nur kleine Kräfte, die zur Messung gelangten und es gäbe Menschen, die damit nicht zufrieden seien, dass die Strohhalme seines Elektrometers sich um einige Linien auseinander bewegten; sie wollten, dass sie gleich an die Glaswände anschlügen. Und ebenso seien sie nicht zufrieden, einen kleinen elektrischen Funken zu sehen; er müsse auch tüchtig knallen. Um nun solchen ungläubigen Thomasen die Einzelheiten seiner Theorie in grossem Masstabe vorführen zu können, gebe er das Verfahren der Verstärkung der elektrischen Wirkung durch die Zusammensetzung der einzelnen Glieder zu einer Säule an. Und dann beschreibt er seine grosse Erfindung in ihren Hauptformen, der Säule und der Gefässbatterie.
Voltas eigenes Interesse ist hierbei hauptsächlich dahin gerichtet, dass man mittelst eines solchen Apparates die Schläge der elektrischen Fische nachahmen kann, und er hält es für nötig, genau zu beschreiben, wie man eine solche Säule in eine Haut einnähen und mit einem künstlichen Kopf und Schwanz versehen kann, um einen Zitteraal möglichst getreu nachzuahmen. Für uns ist es besonders interessant, hierbei zu erfahren, dass er gelegentlich bei diesen Versuchen die beiden Drähte von den Enden seiner Säule in ein Gefäss mit Wasser brachte. Hierbei muss unzweifelhaft Elektrolyse nebst Gasentwicklung eingetreten sein, doch erwähnt Volta kein Wort hiervon. War er mit Blindheit geschlagen, oder fühlte er voraus, dass die hier auftretenden chemischen Erscheinungen dazu bestimmt waren, seine mit so grossen Scharfsinn entwickelte Theorie der Berührungselektrizität zu vernichten?
Wie dem auch sei, zu einem wirksamen Werkzeuge der Elektrochemie wurde Voltas Säule erst, nachdem sie in andere Hände gekommen war, und zwar sofort. Volta hatte seine Erfindung in einem Briefe beschrieben, den er an Banks, den Präsidenten der Royal Society in London, zur Veröffentlichung in den Philosophical Transactions dieser Gesellschaft gerichtet hatte. Banks liess den Brief, bevor er ihn abdruckte, längere Zeit bei seinen Freunden zirkulieren, die sich ihrerseits beeilten, die von Volta beschriebenen merkwürdigen Versuche zu wiederholen. Bei dieser Gelegenheit bemerkten zwei von diesen, die sich sonst nicht durch wissenschaftliche Entdeckungen ausgezeichnet hatten oder künftig weiter auszeichneten, Nicholson und Carlisle, dass wenn die Leitungsdrähte von den Enden der Voltaschen Säule ohne unmittelbare Berührung sich in einer Wassermasse befanden, eine Gasentwicklung an beiden Enden eintrat. Unter den entwickelten Gasen wurde Wasserstoff alsbald mit Sicherheit erkannt, das andere erwies sich als Sauerstoff. Ebenso konnte die Ausscheidung verschiedener Metalle aus den Lösungen ihrer Salze beobachtet werden, die regelmässig an dem Drahte auftraten, der mit dem negativen Ende der Säule verbunden war.
Diese Versuche waren die Einleitung zu einer Unzahl anderer Experimente, welche nach den verschiedensten Richtungen ausgeführt wurden und die schnelle Entstehung einer eigenen Wissenschaft, der Elektrochemie, bewirkten. Die Wechselwirkung zwischen dieser und der allgemeinen Chemie war sehr verschiedenartig; zuzeiten hat die Tochter ihre Mutter vollkommen beherrscht, zu anderen Zeiten war sie fast verschwunden. Erst in neuester Zeit scheint sich ein dauerndes Verhältnis eingestellt zu haben, indem die Elektrochemie in dem ihr zukommenden Gebiete (dem der Elektrolyte) festen Fuss gefasst hat und unter Verzicht auf überraschende hypothetische Beutezüge in die Nachbarländer in ruhiger Arbeit untersucht, wie weit sie etwa ihren Einfluss noch mit legitimen Mitteln ausdehnen kann.
Es lassen sich vorwiegend drei Richtungen unterscheiden, in denen die Elektrochemie sich entwickelt hat. Erstens ist die Voltasche Säule ein mächtiges Mittel zur Hervorbringung chemischer Reaktionen. In solcher Weise hat es eine präparativeElektrochemie nicht nur am Anfange der hier zu schildernden Periode gegeben, sondern bis auf den heutigen Tag werden mit Hilfe des elektrischen Stromes wissenschaftlich und technisch neue Stoffe und neue Darstellungsweisen entdeckt. Zweitens hat die Untersuchung der elektrischen Stromleitung in den Elektrolyten zu sehr weitgehenden und tiefgreifenden Aufschlüssen geführt. Die hier liegenden Probleme sind stufenweise während einer sehr langen Periode bearbeitet worden, deren Schwerpunkt mehr nach unseren Tagen hin verschoben erscheint. Endlich ist die Frage nach der Quelle der elektrischen Erregung in der Kette ein Problem gewesen, das bereits von Volta aufgeworfen und scheinbar gelöst, immer wieder neue Arbeit erfordert hat, und dessen vollständige Lösung auch heute noch nicht ganz erreicht ist. Wir werden diese drei Linien nebeneinander verfolgen.
Von all den verschiedenen Forschern, die sich zunächst mit der Feststellung und Aufklärung der chemischen Wirkungen der Voltaschen Säule beschäftigen, erreichte keiner glänzendere Erfolge, als Humphry Davy (1778 bis 1829), ein junger Physikochemiker, der vor kurzem zum Professor an der Royal Institution Die Royal Institution ist nicht mit der Royal Society zu verwechseln, von der oben die Rede war. Letztere ist eine gelehrte Gesellschaft, vergleichbar den wissenschaftlichen Akademien des Kontinents, während die Royal Institution ein privater Verein ist, dessen Mitglieder aus ihren Jahresbeiträgen eine Anstalt unterhalten, in welcher ihnen wissenschaftliche Vorträge, meist gemeinverständlichen Inhalts, geboten werden. Zur besseren Ausführung dieser Vorträge ist die Anstalt mit einem Laboratorium verbunden und es wurde ein Gelehrter (später mehrere) angestellt, welcher jene Lehrzwecke wahrzunehmen hatte und sich daneben in seinen Mussestunden mit eigener Forschung beschäftigen konnte. In der Wahl dieser Männer hat die Gesellschaft dauernd eine sehr glückliche Hand bewährt. ernannt worden war. Durch seine Tätigkeit und die seines mittelbaren Nachfolgers Faraday ist der Fortschritt der Elektrochemie während längerer Zeit in engen Zusammenhang mit dem schlichten Laboratorium dieser Gesellschaft gebracht worden.
Davys Arbeiten nahmen einen sehr bescheidenen Anfang. Es war sehr bald beobachtet worden, dass sich die Umgebung des negativen Poldrahtes nachdem der Strom einige Zeit durchgegangen war, alkalisch reagierte, während die des positiven saure Reaktion aufwies. Dies schien auch einzutreten, wenn man nicht Salzlösungen, sondern reines Wasser nahm, und von phantasiereichen Leuten waren darauf abenteuerliche Theorien gegründet worden. Davy stellte sich zunächst die Aufgabe, das Tatsächliche hierbei klarzustellen, und erhielt anfangs in der Tat Ergebnisse, die auf die Entstehung solcher Stoffe aus Wasser hinzudeuten schienen, denn auch sein reinstes Wasser zeigte die Erscheinung, wenn auch ziemlich schwach. Der letzte Umstand bestärkte ihn in der Überzeugung, dass es sich nur um eine Verunreinigung handeln konnte, denn je reiner das Wasser war, um so weniger Säure und Basis trat auf. Da aber bereits ganz unglaublich geringe Verunreinigungen ausreichen, um die Reaktion zu zeigen, – Glasgefässe gaben z. B. bereits hierfür genug lösliche Stoffe an Wasser ab, – so waren besondere Vorsichtsmassregeln erforderlich, um diese Störungen auszuschliessen. Durch Arbeiten in goldenen Gefässen (Platingerät war damals noch unbekannt) gelangte Davy indessen schliesslich dahin, dass keine Säure oder Alkali mehr beim Stromdurchgang auftrat, und somit war jenes Problem gelöst.
Wir können Davy nicht durch alle weiteren Stufen seiner Arbeiten folgen. Er erkannte bald, welch einen kräftig zerlegenden Einfluss der elektrische Strom auf chemische Verbindungen allerart ausübt und unterwarf einen Stoff nach dem anderen diesem neuen Agens. Schliesslich benutzte er es, um eine alte Frage zu lösen. Die Alkalien waren bis dahin nicht in einfachere Bestandteile zerlegt worden, obwohl sie sich in vielen Beziehungen den Metalloxyden ähnlich verhalten. Davy unterwarf sie dem Strome und konnte in der Tat eine Zerlegung nachweisen: an der einen Seite erschien Sauerstoff, wie erwartet, an der anderen Seite aber ein Metall von völlig unerwarteten, ja unerhörten Eigenschaften. Es war nicht nur äusserst leicht, sondern entzündete sich an der Luft, insbesondere wenn es auf Wasser geworfen wurde. Es war daher recht schwer, eine zur Untersuchung ausreichende Menge dieses wunderbaren Stoffes zu sammeln, doch erhielt Davy genug, um die wichtigsten Eigenschaften des Kaliums und des Natriums festzustellen.
Diese Versuche erregten ungeheures Aufsehen und machten ihren Entdecker alsbald zu einer europäischen Berühmtheit. Sie wurden überall wiederholt und bestätigt und bildeten damals ebenso einen Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, wie in unseren Tagen die X-Strahlen und das Radium.
Die spätere Entwicklung dieser Seite der Elektrochemie hat weitere grosse Überraschungen oder theoretisch einflussreiche Entdeckungen nicht gebracht. Etwa ein halbes Jahrhundert später zeigte Bunsen, dass man eine Anzahl schwer zugänglicher Metalle durch Elektrolyse der geschmolzenen Halogenverbindungen gewinnen kann, und seit im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts die schnelle Entfaltung der Elektrotechnik auch dem Chemiker diese lenksame Energie in reichlicher Menge wohlfeil zur Verfügung stellte, hat sich eine umfangreiche und wichtige technische Elektrochemie ausgebildet. Aber neue leitende Gedanken sind im Zusammenhange mit diesen Fortschritten nicht zutage getreten, vielmehr wird beispielsweise jetzt wieder Natrium in derselben Weise fabriziert, wie Davy es zum ersten Male erhalten hatte. –
Ungefähr gleichzeitig mit den glänzenden Entdeckungen Humphry Davys wurde eine andere Arbeit veröffentlicht, die damals kaum beachtet wurde, weil sie sich auf sehr harmlose Vorgänge bezog, die aber in der Folge einen bedeutenderen Einfluss ausüben sollte als jene. Sie war von zwei jungen schwedischen Gelehrten, Berzelius und Hisinger veröffentlicht worden und bezog sich gleichfalls auf die Zerlegung von zusammengesetzten Stoffen durch den elektrischen Strom. Es waren hauptsächlich die bekanntesten Salze, wie Salpeter, Glaubersalz, Kochsalz u. dergl. untersucht worden, und die bereits erwähnte Tatsache, dass sich Säure am positiven, Alkali am negativen Poldraht ansammelt, hatte sich als allgemein ergeben. Auf Grund dieser Beobachtung (die keineswegs allgemein gültig ist, denn aus den Salzen der Schwermetalle werden nicht deren Hydroxyde, sondern die Metalle selbst abgeschieden), betrachtete Berzelius, wie wir gesehen haben, Säure und Basis nicht nur als zwei Stoffe, aus denen man Salze herstellen kann, sondern allgemein als die Bestandteile der Salze, die auch noch in den fertigen Verbindungen eine gewisse Selbständigkeit besitzen. Konnten so die Salze als aus einem positiven und einem negativen Teil bestehend angesehen werden, so wurde die gleiche Betrachtungsweise alsbald auf alle anderen Stoffe ausgedehnt. Jede Verbindung bestand in Berzelius' Auffassung aus einem positiven und einem negativen Bestandteile. Die beiden entgegengesetzten Eigenschaften hoben sich aber zufolge dieser Theorie nicht genau gegenseitig auf, so dass die entstehende Verbindung immer noch positiv oder negativ war, je nach der Natur ihrer Bestandteile, und in solcher Eigenschaft in Verbindungen höherer Ordnung eintreten konnte. Für diese galt das gleiche, nur dass die übriggebliebenen positiven oder negativen Eigenschaften immer schwächer sein mussten, je höher die Ordnung der Verbindung war. Dies ist die berühmte elektrochemische Theorie von Berzelius.
Der Geschichte der eigentlichen Elektrochemie gehört die elektrochemische Theorie von Berzelius nicht an. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie zu keiner weiteren Untersuchung auf dem gemeinsamen Gebiete der Elektrik und der Chemie Anlass gegeben hat, wie denn auch Berzelius später nie wieder auf derartige Experimente zurückgekommen ist. Ihre Bedeutung lag ganz und gar im Gebiete der chemischen Systematik und wir haben sie in dieser Beziehung eingehend kennen gelernt.
Aber auch die glänzenden Experimentaluntersuchungen von Davy waren nicht imstande eine zusammenhängende Periode elektrochemischer Forschung hervorzurufen. Die Chemie ging andere Wege und die Stoffe, welche hier das Interesse mehr und mehr fesselten, die organischen Verbindungen, zeigten keine deutlichen Beziehungen zu elektrischen Fragen. Anderseits entwickelte sich die Elektrik zunächst wesentlich unter dem Einflusse der Anschauungen Voltas, dessen Theorie von der Entstehung der Elektrizität in seiner Kette durch die Berührung der verschiedenen Leiter wegen ihrer formalen Zulänglichkeit nicht nur bei den Physikern zu unbedingter Herrschaft gelangte, sondern auch die wenigen Chemiker, die sich noch mit den hergehörigen Fragen beschäftigten, in ihren Bann zog.
So bedurfte es neuer, wesentlicher Entdeckungen, um den Anstoss zu erneuern. Ja, wir werden sehen, dass einer nicht genügte, sondern eine ganze Anzahl von erneuten Anstössen erforderlich war, bis endlich die wissenschaftliche Elektrochemie entstehen konnte. Erst vor zwei Dezennien war die Zeit so weit gediehen, dass der immer wieder bearbeitete Boden zu regelmässiger Ernte bereitet war, nachdem eine ganze Anzahl führender Männer vergeblich das Ihrige getan hatten, um dies Ziel zu erreichen. –
Wir wenden uns nun zu den Untersuchungen des Leitungsvorganges in zersetzbaren Flüssigkeiten. Bereits Volta hatte Leiter erster und zweiter Klasse unterschieden. In die erste Klasse gehören die Metalle, die den Strom leiten, ohne eine Veränderung irgendwelcher Art zu erfahren, während Leiter zweiter Klasse solche sind, welche gleichzeitig chemisch zersetzt werden. In diese zweite Klasse gehören vorwiegend wässerige Lösungen von Salzen, Säuren und Basen.
Schon die ersten Untersuchungen von Nicholson und Carlisle ergaben, dass die Tatsache der chemischen Zersetzung durch den elektrischen Strom nicht die einzige Merkwürdigkeit hierbei war. An den Stellen, wo die zuführenden und abführenden metallischen Leiter in die wässerige Flüssigkeit tauchten, entwickelten sich die Gase; an der einen Seite reiner Sauerstoff, an der anderen reiner Wasserstoff. Dies erwies sich als unabhängig davon, wie lang der Weg in der Flüssigkeit zwischen den beiden Stellen war, und es entstand alsbald das Problem: wenn an der einen Seite der Sauerstoff des zerlegten Wassers sich entwickelt, wie kommt der zugehörige Wasserstoff dazu, augenblicklich an der anderen Seite zu erscheinen? Dass er auf irgendeine Weise durch die ganze Länge der Flüssigkeit schlüpft, war kaum denkbar; auch erwies sich, dass man beliebige andere Leiter zweiter Klasse dazwischen schalten kann, selbst solche, die mit Wasserstoff oder Sauerstoff reagieren, ohne dass die Gase am Erscheinen verhindert werden.
Der erste Versuch, dies Rätsel zu lösen, wurde von Theodor von Grotthus (1785 bis 1822) gemacht, der die Theorie, welche seinen Namen in der Geschichte der Elektrochemie erhalten hat, als zwanzigjähriger Jüngling veröffentlichte. Sie kam darauf hinaus, dass sich die Atome in Ketten anordnen sollten, die abwechselnd aus Sauerstoff und Wasserstoff bestehen und auf die die elektrische Ladung der metallischen Leiter dann induzierend wirkt. Durch ein abwechselndes Spiel von Verbindungen und Zersetzungen, das nach dem Schema der »grande chaine« in der Polonaise vor sich geht, ergab sich anschaulich, dass die Elemente nur an den metallischen Leitern ausgeschieden werden, während die innerhalb der Flüssigkeit gleichzeitig vor sich gehenden Zersetzungen immer wieder von Verbindungen gefolgt werden, so dass dort schliesslich die unveränderte Flüssigkeit wiedergefunden wird.
Diese Theorie stand sehr lange in gutem Ansehen, und sie enthält in der Tat neben vergänglichen Bestandteilen einige gesunde und dauerhafte. Vor allen Dingen den Gedanken, dass wenn man die Bestandteile des zersetzbaren Leiters gegeneinander sich verschieben lässt, so dass die einen im Sinne des positiven Stromes, die anderen im entgegengesetzten wandern, die mittleren Gebiete des Leiters diese Bestandteile hernach im unveränderten Verhältnisse enthalten werden, und Veränderungen oder Zersetzungen nur an den Enden, wo der Strom aus und ein tritt, zutage treten können. Wir werden später sehen, dass die weitere Entwicklung der Angelegenheit sich gleichfalls innerhalb dieser Vorstellung bewegt, wenn auch in freierer Weise, als dies Grotthus gemäss den wissenschaftlichen Begriffen seiner Zeit tun konnte.
Allerdings waren durch diesen Gedanken nur Möglichkeiten einer Erklärung angedeutet; zur Gewinnung einer wirklichen Einsicht waren noch genauere tatsächliche Kenntnisse erforderlich.
Bald wurde denn auch das Problem auf experimentellem Wege weiter bearbeitet, und zwar war es Davys Nachfolger an der Royal Institution, Michael Faraday (1791 bis 1867), dem wir den nächsten grossen Fortschritt verdankten. Faraday hatte sich bereits durch seine Entdeckung der elektrischen und elektromagnetischen Induktion einen hoch angesehenen Namen gemacht, als er im Zusammenhange mit allgemeinen Aufgaben sich der Erforschung der Voltaschen Elektrizität zuwandte. Es handelte sich zunächst um die Frage, ob ausser dem wohlbekannten Unterschiede der positiven und negativen Elektrizität noch andere, von der Herkunft abhängige Unterschiede an der Elektrizität vorhanden seien, etwa wie beim Licht ausser den Intensitätsunterschieden noch Unterschiede der Farbe, bezw. der Schwingungszahl beobachtet werden können. Zu diesem Zwecke war es nötig, die verschiedenen Wirkungen der Elektrizität zu messen und sich zu überzeugen, ob diese einander proportional blieben, wenn die Herkunft der Elektrizität gewechselt wird. Hierzu dienten einerseits die bekannten physikalischen Wirkungen, wie die Ablenkung der Magnetnadel, die Wärmeentwicklung usw., anderseits sollte die chemische Wirkung benutzt werden. Bei dieser war indessen nur die allgemeine Tatsache der chemischen Zersetzung durch den Strom bekannt, dagegen nicht, von welchen Faktoren deren Betrag abhängt. Die Untersuchung dieser Frage führte alsbald zu den beiden sehr merkwürdigen Gesetzen, die Faradays Namen tragen, und die folgendes aussagen. Erstens ist in jedem Falle der Betrag der Zersetzung proportional der durchgehenden Elektrizitätsmenge, welcher Stoff auch der Zersetzung unterworfen werden mag. Zweitens verhalten sich beim Durchgange der gleichen Elektrizitätsmenge die aus verschiedenen Verbindungen ausgeschiedenen Stoffmengen wie die Verbindungsgewichte dieser Stoffe, bezw. wie einfache Bruchteile der Verbindungsgewichte. Die durch die gleiche Elektrizitätsmenge ausgeschiedenen Stoffmengen sind nämlich den Äquivalentgewichten dieser Stoffe proportional, sie heissen daher die elektrochemischen Äquivalente.
Es ist schon in einer früheren Vorlesung dargelegt worden, dass es sich hier um ein Gesetz handelt, das eine grosse Ähnlichkeit mit dem Gesetz der Gasvolume hat, insofern als auch hier der Kapazitätsfaktor einer bestimmten Energieart, der elektrischen Energie, für chemisch vergleichbare Mengen verschiedener Stoffe den gleichen Wert annimmt. Es gibt noch mehrere andere Gesetze vom gleichen Typus.
Die Faradayschen Gesetze führen zu der Vorstellung, dass mit gegebenen Stoffmengen bestimmte Mengen positiver oder negativer Elektrizität verbunden sind und dass beide sich gemeinsam beim Stromdurchgange bewegen, entspricht insofern der Theorie von Berzelius. Man hätte daher erwarten können, dass dieser die unerwartete Hilfe aus dem physikalischen Lager mit Freuden annehmen würde, doch ging es hier ebenso, wie mit Dalton und dem Gesetze von Gay-Lussac. Berzelius bezweifelte das Gesetz und bekämpfte es sogar später mit grosser Entschiedenheit als irrig. Sein Grund hierfür beruhte auf einem Irrtum, der übrigens für jene Zeit ganz verzeihlich war. Er deutete nämlich Faradays Behauptung, dass durch den gleichen Strom äquivalente Mengen der verschiedenartigsten Verbindungen ausgeschieden wurden, in solchem Sinne, als sei die gleiche Arbeit für die Zersetzung dieser verschiedenen Verbindungen erforderlich und wandte dagegen ein, dass doch zweifellos die verschiedenen Salze durch ganz verschiedene Verwandtschaften zusammengehalten seien. Erst viel später stellte sich heraus, dass die Verschiedenheit der Verwandtschaften in dem verschiedenen Betrage der elektromotorischen Gegenkraft oder der Polarisation bei der Elektrolyse ihren Ausdruck findet, während der andere Faktor der elektrischen Energie, die Elektrizitätsmenge, den gleichen Betrag unabhängig von der Natur des Stoffes behält. So verkannte Berzelius ebenso wie es Dalton bezüglich des Gesetzes von Gay-Lussac getan hatte, gerade den Fortschritt, der sich später als die Grundlage einer Erneuerung seiner eigenen Lehre erweisen sollte; aber gleich Dalton fand er kein Gehör mit seinem Widerspruch und Faradays Gesetz kam schnell zu allgemeiner Anerkennung.
In einer wichtigen Beziehung tat übrigens Faraday seinem eigenen Gesetz unrecht, nämlich bezüglich dessen Ausschliesslichkeit und Genauigkeit. Er hielt es für möglich, und glaubte auch Beispiele dafür zu haben, dass neben der mit chemischer Zersetzung verbundenen oder elektrolytischen Leitung auch noch eine ohne Zersetzung erfolgende oder metallische Leitung in den Elektrolyten stattfinde. Dann würde die zersetzte Stoffmenge der durchgegangenen Elektrizität nicht genau proportional sein. Die späteren genauen Forschungen haben die strenge Gültigkeit des Faradayschen Gesetzes bis zu sehr weiten Grenzen ergeben.
Aus dem Umstande, dass in Leitern zweiter Klasse die chemischen Vorgänge nur dort stattfinden, wo der Strom in den Leiter eintritt oder ihn verlässt, schloss Faraday weiter, dass die Elektrizität innerhalb dieser Leiter der Elektrolyte, durch deren elektrisch geladenen Teilstücke befördert wird, und dass an den Ein- und Austrittsstellen des Stromes, an den Elektroden, die Elektrizität sich allein weiter bewegt, während ihr chemischer Träger zurückbleibt und durch seine Ausscheidung im unelektrischen Zustande den chemischen Vorgang bewirkt. Diese Teilstücke der Elektrolyte, welche mit dem Strom oder gegen ihn wandern, nannte er Ionen oder Wanderer, und zwar Kation den Wanderer im Sinne des positiven, Anion den im Sinne des negativen Stromes. Welche Teilstücke als die Ionen zu betrachten sind, hat Faraday nicht ganz konsequent und eindeutig entschieden; er sah als solche einerseits die Metalle und die Halogene an – in geschmolzenen Chlorsilber, das ein Lieblingsobjekt seiner Experimente war, kann man ja ausser Silber und Chlor keine anderen einfachen Ionen annehmen – aber bei den Alkalisalzen war er auch bereit, Säure und Base als Ionen anzusehen und ebenso in den Ammoniaksalzen das Ammoniak, NH3.
Um dieses Problem der Elektrizitätsleitung in den Elektrolyten hat sich von nun ab ein sehr wichtiger Teil der Entwicklung der Elektrochemie konzentriert, und zwar in konsequentem Ausbau von Faradays Grundanschauungen, und unter Verbesserung der von ihm begangenen sekundären Missgriffe.
Zunächst wurde der Begriff des Ions einheitlich festgestellt durch die Arbeiten von John Frederic Daniell (1790 bis 1845). Dieser englische Chemiker ist der Nachwelt hauptsächlich durch die von ihm konstruierte Kupferzinkkette im Gedächtnis geblieben, und der kleine Apparat hat in der Tat eine sehr erhebliche Rolle in der späteren Entwicklung der Wissenschaft gespielt. Es war die erste konstante Kette und hat als solche nicht nur als Grundlage für die genauere Messung elektromotorischer Kräfte gedient, sondern nicht weniger als Typus des idealen elektrochemischen Apparates. Man darf es aussprechen, dass erst seitdem man gelernt hat, an Stelle des Voltaschen Fundamentalversuches die Daniellsche Kette zum Ausgangspunkte der Lehre von der Berührungselektrizität zu machen, eine konsequente wissenschaftliche Behandlung dieses Kapitels möglich geworden ist.
Nicht minder erheblich war die begriffliche Klärung, welche Daniell durch seine Analyse des elektrolytischen Leitungsvorganges bewirkt hat. Es ist eben dargelegt worden, dass im Falle binär zusammengesetzter Salze die Frage nach den Ionen dieser Salze eindeutig entschieden werden kann. Daniell griff nun entgegen der damals üblichen Unterscheidung zwischen Halogensalzen und Sauerstoffsalzen auf die bereits von H. Davy vertretene Anschauung zurück, dass auch in den sogenannten Sauerstoffsalzen das Metall das eine Ion bildet, und die übrigen vorhandenen Elemente zusammen das andere Ion. Nach der damaligen, wesentlich durch Berzelius ausgebildeten Theorie besteht z. B. Magnesiumsulfat, MgSO4, aus der Base MgO und der Säure SO3, wobei es also nötig war, die Anhydride der beiden Stoffe Mg(OH)2 und H2SO4 als Base und Säure anzusehen. Nach Davy und Daniell sind dagegen die Salzbestandteile das Metall Mg und die Gruppe SO4, das Sulfanion, wie es Daniell nannte, oder Sulfation, wie wir es heute nennen.
Es ist sehr bemerkenswert, dass ungefähr um dieselbe Zeit durch rein chemische Betrachtungen gleichfalls die Sauerstoffsäurentheorie von Berzelius durch die Wasserstoffsäurentheorie von Davy ersetzt wurde. Liebig wies überzeugend nach, dass nur durch die letztere Auffassung die verwickelten Verhältnisse der mehrbasischen Säuren eine einfache Darstellung erfahren können. Doch bewirkte der Umstand, dass jene reformatorische Arbeit wesentlich im Interesse der organischen Chemie ausgeführt wurde, ein verhältnismässig langsames Eindringen dieser Idee in die Kreise der Anorganiker und Elektrochemiker, die an den Anschauungen von Berzelius noch lange festhielten.
Daniell entwickelte seine verbesserte Auffassung des Ionenbegriffs in einer Reihe von Arbeiten, die einer besonderen Tatsache gewidmet waren, nämlich der auffälligen Ansammlung bezw. Verarmung bestimmter gelöster Elektrolyte an den Elektroden oder Zersetzungsstellen. Es gelang ihm nicht, zu vollständiger Klarheit hierüber zu kommen; dies war erst den Forschungen von Wilhelm Hittorf (geb. 1824) vorbehalten, der nicht nur die eben berührten Fragen aufklärte, sondern einige erhebliche weitere Schritte in der sachgemässen Auffassung der elektrolytischen Leiter tat.
Geht man nämlich von Faradays Grundanschauung aus, dass die Elektrizität mit den Ionen sich durch den Elektrolyt bewegt, so kann man nach den Geschwindigkeiten fragen, mit welchen diese Bewegungen stattfinden. Diese Geschwindigkeiten müssen sich gerade in den Erscheinungen zum Ausdruck bringen, welche Daniell untersucht hatte. Sei K das Kation und A das Anion eines Elektrolyts, so können wir folgende Betrachtung anstellen. Im Falle das Kation allein wandert, das Anion dagegen in Ruhe bleibt, muss nach einem bestimmten Stromdurchgange die Konzentration des Anions überall die frühere geblieben sein, während vom Kation an der Anode eine Menge fortgegangen ist, die dem Faradayschen Gesetz entspricht, und die sich an der Anode als gleich grosser Überschuss vorfinden muss. Natürlich muss, da die Ionen nach Abgabe der elektrischen Ladung meist nicht bestehen können, dafür gesorgt sein, dass an den Elektroden passende chemische Vorgänge mit den Teilstücken des Elektrolyts eintreten können, welche die Bestimmung der fraglichen Mengen ermöglichen. Wandert umgekehrt allein das Anion, so muss die Konzentration des Kations überall unverändert bleiben und die des Anions die entsprechende Änderung an den Elektroden erfahren. Wandern endlich beide Ionen, so wird an der Anode ein bestimmtes Minus des Kations, an der Kathode ein entsprechendes Minus des Anions beobachtet werden, und diese Verluste stehen in dem Verhältnis der Geschwindigkeiten, mit denen diese beiden Ionen wandern.
Dies ist der einfache und durchschlagende Grundgedanke Hittorfs. Man kann durch die Analyse der Lösungen, welche die Elektroden umgeben, zu einer Bestimmung des Verhältnisses der Geschwindigkeiten gelangen, mit welchen sich die Ionen durch den Elektrolyten bewegen.
Hittorf bestimmte in einer Reihe von klassischen Arbeiten diese Geschwindigkeitsverhältnisse für eine grosse Anzahl von Elektrolyten, wobei sich vielerlei Aufklärung über damals strittige chemische Fragen ergab. Man hätte denken sollen, dass die grosse Vereinfachung, welche sich aus diesen Betrachtungen für das ganze Problem ergab, alsbald zu einer allgemeinen Annahme dieser Gesichtspunkte hätte führen sollen. Dies war aber durchaus nicht der Fall. Hittorf war ein junger, unbekannter Mann und an dem vorliegenden Problem hatten damals eben einige führende Gelehrte ihre Kräfte vergeblich versucht. Infolge einer zwar nicht hübschen, aber sehr menschlichen, d. h. allgemein verbreiteten psychischen Reaktion trat nicht die Freude am erlangten intellektuellen Fortschritt, sondern die Eifersucht auf die bessere Leistung der Unbekannten in den Vordergrund und durch ein stillschweigendes Abkommen der Beteiligten, welche die öffentliche Meinung in der Wissenschaft, wenigstens zeitweilig, beherrschten, blieben Hittorfs Resultate zunächst ganz unbeachtet.
Dies wurde erst anders, als F. Kohlrausch ein Verfahren zur leichten und genauen Messung der Leitfähigkeit der Elektrolyte ausgearbeitet hatte und mittelst desselben eine grosse Anzahl von Untersuchungen anstellte. Hierbei fand er folgendes. Nennt man diejenige Leitfähigkeit, welche sich zwischen zwei um ein Zentimeter entfernten Elektroden zeigt, wenn ein Mol (d. h. ein Molekulargewicht in Grammen) des betreffenden Elektrolyten nebst seinem Lösungsmittel sich in diesem Raume befindet, die molekulare Leitfähigkeit, so gilt für diese, dass sie sich bei den verschiedenen Salzen additiv aus zwei Konstanten zusammensetzt, die durch die beiden Ionen des Salzes bestimmt werden. Fasst man diese Konstanten als die Wanderungsgeschwindigkeiten dieser Ionen auf, so kann man auch sagen, dass die Geschwindigkeit jeder Art Ionen unabhängig ist von den anderen Ionen, mit denen es Salze bildet. Kohlrausch bezeichnete daher sein Gesetz als das Gesetz von der unabhängigen Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen.
Jetzt hatte man über die Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen zwei ganz unabhängige Daten zur Verfügung. Die Versuche von Hittorf ergaben das Verhältnis je zweier Wanderungsgeschwindigkeiten, während die von Kohlrausch die Summe von je zwei Wanderungsgeschwindigkeiten ergaben. Infolge dessen müssen offenbar ganz bestimmte Zahlenverhältnisse zwischen den »Überführungszahlen« von Hittorf und den Leitfähigkeitszahlen von Kohlrausch bestehen. Bezeichnet man die Wanderungsgeschwindigkeit der Kationen K1, K2, K3 usw., mit u1, u2, u3 usw., und die der Anionen A1, A2, A3 usw. mit v1, v2, v3 usw., so ergeben die Messungen Hittorfs die Verhältnisse u/v und die Kohlrauschs die Summen u + v. Ist für ein Paar Ionen, z. B. für K1 und A2 das Verhältnis u1/v1 durch Überführung bestimmt worden, so kann man dessen Leitfähigkeit u1 + v1 in diesem Verhältnis teilen und erhält so die Wanderungsgeschwindigkeiten der einzelnen Ionen A1 und K1. Durch die Bestimmung weiterer Leitfähigkeiten der Salze A1K2, A1K3, A1K4 usw. und A2K1, A3K1, A4K1 usw. erhält man die Werte u1 + v2, u1 + v3, u1 + v4 usw. sowie u2 + v1, u3 + v1, u4 + v1 usw., d. h. man kann durch Subtrahieren von u1 bez. u2 die Wanderungsgeschwindigkeiten beliebiger anderer Ionen bestimmen. Mittelst dieser kann man wieder die entsprechenden Verhältnisse u/v berechnen und kann diese Zahlen mit den unmittelbaren Messungen Hittorfs vergleichen. Ebenso kann man die Leitfähigkeiten aller anderen Kombinationen zwischen jenen Ionen, d. h. der entsprechenden anderen Salze vorausberechnen und sie mit der unmittelbaren Messung vergleichen. Es handelt sich mit einem Worte um eine Gruppe von Beziehungen, die ganz ähnlich den von Richter für die Äquivalentgewichte der Säuren und Basen gefundenen sind, und eine entsprechende Prüfung an der Erfahrung gestattet. Kohlrausch hat nachgewiesen, dass alle diese Beziehungen wirklich zutreffen und hat dadurch die Fruchtbarkeit von Hittorfs Anschauungen auf das überzeugendste klargestellt.
Aber noch viel folgenreicher sollten die Ergebnisse dieser Messungen werden. Die Tatsache, dass ein bestimmtes Ion gleich schnell wandert, welches auch die anderen Ionen seien, mit denen es zu Salzen »verbunden« ist, beweist, dass der Umstand dieser »Verbindung« auf die Beweglichkeit der Ionen gar keinen Einfluss ausübt. Dies ist ganz unverständlich, wenn man sich in der damals üblichen Weise vorstellt, dass die Ionen miteinander durch eine chemische Verwandtschaft verbunden sind, die von Fall zu Fall sehr verschieden gross angenommen wurde. So wandert z. B. Kaliumion ebensoschnell, wie Ammoniumion in allen entsprechenden Salzen, während man doch die Kaliumsalze als durch die stärksten, die Ammoniumsalze dagegen als durch sehr schwache Affinitäten gebunden ansah. Schon Hittorf hatte auf derartige Widersprüche mit den üblichen Anschauungen hingewiesen. Kaliumsalze leiten von allen Salzen am besten, werden also anscheinend am leichtesten in ihre Ionen gespalten, während Quecksilbersalze sehr schlecht leiten, also einen starken Zusammenhang ihrer Ionen erkennen lassen. Dies ist gerade das Gegenteil der üblichen Auffassung über die entsprechenden chemischen Verwandtschaften.
Ferner war bekannt, dass solange die Polarisation an den Elektroden nicht in Betracht kommt, das Verhalten der elektrischen Leitung in den Elektrolyten von dem in den Metallen nicht verschieden ist: die allergeringste elektromotorische Kraft bewirkt einen entsprechenden Strom, der nur noch von der Leitfähigkeit abhängt. Mussten erst die Salze des Elektrolyts durch die Wirkung des Stromes in die Ionen getrennt werden, so würde hierzu eine gewisse elektromotorische Kraft erforderlich sein, und erst nachdem diese erreicht ist, könnte die Stromleitung beginnen. Da dies der Erfahrung widerspricht, hatte schon R. Clausius im Jahre 1857 auf Grund der Molekularhypothese angenommen, dass einige wenige Salzmolekeln schon durch ihr gegenseitiges Zusammentreffen in ihre Ionen gespalten würden, und dass diese die Stromleitung besorgen. Indessen würde aus dieser Annahme folgen, dass die molekulare Leitfähigkeit um so geringer werden müsste, je verdünnter man die Lösung macht, weil das Zusammentreffen und die davon abhängige Spaltung um so weniger erfolgen müsste, je entfernter die Molekeln infolge der zunehmenden Verdünnung voneinander sich bewegen. Nun zeigt die Erfahrung aber gerade das Gegenteil: die molekulare Leitfähigkeit nimmt bei steigender Verdünnung zu und nähert sich dabei einem Maximum, das für viele Salze bereits bei messbaren Verdünnungen praktisch erreicht wird. Man müsste also im Sinne dieser Hypothese vielmehr annehmen, dass die Ionen in der verdünnten Lösung voneinander ganz getrennt sind, und sich um so mehr verbinden, je häufiger sie sich in konzentrierteren Lösungen begegnen.
Clausius konnte diesen Schluss noch nicht ziehen, da er die letzterwähnte Tatsache nicht kannte. Dagegen ist er von Svante Arrhenius (geb. 1859) im Jahre 1887 gezogen worden, und mit ihm hat die neue Periode der Elektrochemie begonnen.
Zunächst kann man diese Annahme von ihren hypothetischen Bestandteilen befreien, indem man sich auf das Gesetz der chemischen Massenwirkung stützt. Betrachtet man die Ionen als Stoffe, die unter gewissen Bedingungen selbständig bestehen können, so folgt aus dem erwähnten Gesetz unmittelbar, dass mit steigender Konzentration eine zunehmende Verbindung, mit steigender Verdünnung eine zunehmende Spaltung eintreten muss. Ja, das Gesetz lässt sogar den Zusammenhang des gespaltenen Anteils mit der Verdünnung voraussehen, und die Erfahrung hat die Voraussicht in einer sehr grossen Anzahl von Fällen exakt quantitativ bestätigt.
Ebenso hat sich in Übereinstimmung mit der Theorie ergeben, dass Kohlrauschs Gesetz von der unabhängigen Wanderung der Ionen eine genaue Geltung erst bei sehr grosser Verdünnung erreicht, wo die Ionenspaltung oder elektrolytische Dissoziation praktisch vollständig ist. Bei geringeren Verdünnungen gilt es annähernd, wenn man solche Elektrolyte miteinander vergleicht, deren Dissoziation annähernd übereinstimmt.
Aber die glänzendste Bestätigung erfuhr die Theorie von Arrhenius im Zusammenhange mit van 't Hoffs Theorie des osmotischen Druckes (S. 98). Während nämlich diese von den Verhältnissen der organischen Verbindungen völlig befriedigende Rechenschaft gab, versagte sie scheinbar hoffnungslos in dem überaus wichtigen Falle der wässerigen Salzlösungen. Die osmotischen Drucke, Erniedrigungen des Gefrierpunkts und Erhöhungen des Siedepunkts, welche man bei solchen Lösungen beobachtete, erwiesen sich als viel zu gross. Sie waren bei Salzen vom Typus des Chlorkaliums fast doppelt so gross, als sie sein sollten und stiegen beim Kaliumsulfat und ähnlichen Salzen bis in die Nähe des dreifachen theoretischen Wertes. Bei Salzen von übereinstimmendem Typus waren die Abweichungen von gleicher Grösse und Beschaffenheit.
Die Annahme einer Polymerisation des gelösten Stoffes war unzulässig, denn sie hätte gerade das Gegenteil: zu kleine Werte des osmotischen Druckes und der davon abhängigen Grössen, ergeben. Die Annahme einer Dissoziation schien ausgeschlossen, da es sich bereits um die einfachsten Formeln handelte, die man schreiben konnte. Da die Konstante des Gesetzes von van 't Hoff mit der Gaskonstante übereinkam, war auch die Möglichkeit ausgeschlossen, etwa bei den als Typen benutzten organischen Verbindungen Polymerisation anzunehmen, um für die Salze richtige Werte zu erhalten; ausserdem ergaben die verschiedenen Salztypen verschiedenartige Abweichungen und verhinderten so eine einheitliche Rechnung in solchem Sinne. Kurz, die Widersprüche waren so gross, dass van 't Hoff sie ungelöst lassen musste, indem er als Ausdruck für das irrationale Verhalten dieser Stoffe einen Irrationalkoeffizienten i einführte und für sie die Gleichung des osmotischen Druckes in der Gestalt pv = iRT schrieb.
Hier nun zeigte Arrhenius, dass der ominöse Koeffizient i stets und nur bei solchen Lösungen auftritt, welche den elektrischen Strom leiten und also Elektrolyte sind. Nimmt man an, dass in solchen Lösungen nicht die Salze als solche bestehen, sondern dass sie mit steigender Verdünnung zunehmend in ihre Ionen zerfallen, so erklären sich alle die Widersprüche auf einmal. In einer Lösung, welche ein Mol oder 74,5 g Chlorkalium enthält, ist nicht ein Mol gelöster Substanz vorhanden, sondern es sind bei grosser Verdünnung, wo das ganze Salz in die Ionen Chlor und Kalium zerfallen ist, zwei Mole da. Daher ist auch der osmotische Druck doppelt so gross, als man ihn unter der Annahme des unzerlegten Bestehens des Chlorkaliums berechnet, und ebenso die von ihm abhängigen Änderungen des Gefrier- und Siedepunkts. Bei weniger verdünnten Lösungen ist der Zerfall unvollständig und sind die Abweichungen entsprechend kleiner. Salze vom Typus des Kaliumsulfats, K2SO4, zerfallen in drei Mole Ionen, 2 K und SO4 und bewirken daher im Grenzfalle eine dreifache Abweichung. Kurz, alle scheinbaren Widersprüche gegen die Theorie des osmotischen Druckes verschwinden durch die Annahme der elektrolytischen Dissoziation und verwandeln sich in ebensoviele Bestätigungen dieser Theorie und der Theorie der elektrolytischen Dissoziation.
Endlich erklärt diese Theorie, altbekannte aber niemals verstandene chemische Tatsachen. Die analytische Chemie der salzartigen Verbindungen ist dadurch gekennzeichnet, dass die verschiedenen Reagentien niemals das einzelne Salz anzeigen, sondern nur die übereinstimmenden Bestandteile oder Ionen beliebiger Salze erkennen lassen. So werden alle salzartigen Chloride durch Silbersalze gefällt, unabhängig von dem Metall oder Radikal, mit welchem das Chlor verbunden ist (oder vielmehr war). Und als Reagens auf solche Chlorverbindungen braucht man nicht etwa gerade das übliche Silber nitrat zu nehmen: jedes beliebige Silbersalz tut es, wenn es nur im Wasser löslich ist. Wieso diese einfache Beziehung besteht, konnte früher nie begriffen werden, und man hatte nur deshalb aufgehört, sich darüber zu wundern, weil man es alle Tage erlebte. Jetzt war plötzlich alles klar geworden: die analytischen Reaktionen erfolgen zwischen Ionen, und damit sie eintreten, müssen eben nur die betreffenden Ionen vorhanden sein. Silberion ist ein Reagens auf Chlorion, und wenn diese beiden innerhalb einer Lösung zusammentreffen, so entsteht der Chlorsilberniederschlag, unabhängig davon, welche andere Ionen zugegen sein mögen. Denn diese haben keinen Einfluss, weil sie frei neben den genannten Ionen bestehen.
Ich kann unmöglich die ganze Mannigfaltigkeit von Aufklärungen auf den verschiedensten Gebieten hier zusammenstellen, die wir jener genialen Theorie verdanken. Ich brauche es auch nicht, denn heute lernt jeder Anfänger bereits die Grundzüge der Lehre von den freien Ionen kennen und sie anwenden, und es hat sich erwiesen, dass gerade der elementare Unterricht in der Chemie durch sie ausserordentlich an Klarheit und Interesse gewinnt. Es genügt also anzugeben, dass es kaum einen Teil der Chemie der Salze gibt, der nicht durch die Theorie von Arrhenius Aufklärung und Förderung erfahren hätte. Was die elektrochemische Theorie von Berzelius nicht erreicht hatte, eine Theorie der chemischen Vorgänge selbst zu sein, ist durch die Theorie der elektrolytischen Dissoziation erreicht worden. Gleichzeitig aber ist auch ihre Grenze zutage getreten, deren Nichtbeachtung für die Anschauungen von Berzelius so verhängnisvoll geworden war. Die Theorie findet ihre Anwendung zunächst ausschliesslich auf elektrolytisch leitende Gebilde, also in erster Linie auf wässerige Salzlösungen, in zweiter auf geschmolzene Salze. Auf Nichtleiter, die den grössten Teil der organischen Verbindungen bilden, darf die Theorie in ihrem gegenwärtigen Zustande nicht angewendet werden, denn ihre Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es ist nicht undenkbar, dass auch die Ester, Alkohole, Ketone usw. später einmal Anwendungen der Theorie gestatten werden, da sie nicht ganz ohne Leitfähigkeit sind und diese fast sicher elektrolytischer Natur ist, also die Anwesenheit von Ionen voraussetzt. Aber diese Fragen verlangen vor allen Dingen eine genaue experimentelle Untersuchung, die wegen des enormen Einflusses geringer Verunreinigungen grosse Schwierigkeiten bietet.
Zum Schlusse dieser Betrachtungen sind noch einige Worte über die Natur der Ionen zu sagen. Im Sinne der Atomhypothese hat man sie als elektrisch geladene Körperchen betrachtet, die vermöge einer besonderen Eigentümlichkeit nur ganz bestimmte Elektrizitätsmengen oder einfache Multiple dieser Menge enthalten können. Und zwar haben die physikalischen Forschungen der neuesten Zeit über die Elektrizitätsleitung in Gasen zu der Ansicht geführt, dass diese Elektrizitätsmengen Elementarquanten der »Elektrizität« seien, die sich nicht weiter teilen lassen, sondern ähnlich den ponderabeln Atomen die letzte Grenze der möglichen Verkleinerung der Elektrizitätsmengen darstellen. Wir können diese Betrachtungen hier auf sich beruhen lassen; so interessante Ergebnisse sie auf dem Gebiete der Gasleitung geliefert haben, für die Leitung in Elektrolyten haben sie keine neuen Gesichtspunkte von Belang ergeben. Von unserem allgemeinen Standpunkte aus werden wir nur sagen können, dass der Durchtritt von Elektrizitätsmengen durch die Grenzflächen von Elektrolyten erfahrungsmässig mit dem Freiwerden entsprechender Stoffmengen verbunden ist. Darüber, wie innerhalb des Elektrolyten die Beziehung zwischen diesen Stoffen und der elektrischen Energie aufzufassen ist, gibt die Erfahrung keinen Anhaltspunkt, ausgenommen, dass ein stromdurchflossener elektrolytischer Leiter sich in jeder Beziehung nach aussen genau ebenso verhält, wie ein stromdurchflossener Leiter erster Klasse von gleicher Gestalt und Leitfähigkeit. Man bedarf daher auch keiner besonderen Annahme hierüber.
Die chemische Auffassung der Ionen ist durchaus die, dass sie spezifischer Stoffe mit spezifischen Eigenschaften sind. Es hat in der ersten Zeit der Ionentheorie viel Erörterung darüber gegeben, dass die elementaren Ionen von den betreffenden Elementen so ganz verschieden seien. Die voraussetzungsloseste Auffassung ist, beide als allotrop anzusehen, etwa wie Sauerstoff und Ozon oder roten und weissen Phosphor. Denn die einzige hypothesenfreie Definition der Allotropie besteht darin (S. 155), dass es sich um Stoffe von gleicher Zusammensetzung, aber verschiedenem Energieinhalt handelt. Diese Definition trifft auch für die Verschiedenheit zwischen Chlorgas und Chlorion zu, doch ist sie nicht erschöpfend. Alle Ionen haben ausserdem die Eigenschaft, dass sie nur gleichzeitig mit äquivalenten Mengen entgegengesetzter Ionen vorkommen. Von welcher chemischen Beschaffenheit diese anderen Ionen sind, ist ganz gleichgültig; wesentlich ist nur, dass stets gleichzeitig äquivalente Mengen von Kation und Anion in einer Flüssigkeit anwesend sein müssen. Nur wenn diese Flüssigkeit elektrische Ladungen als Ganzes trägt, darf und muss man die Anwesenheit eines Überschusses entsprechender Ionen annehmen, die gleichzeitig mit der Ladung an der Oberfläche des Leiters angeordnet sind. Doch sind diese Mengen unter allen Umständen äusserst klein, da geringen Stoffmengen sehr grosse Mengen Elektrizität entsprechen. Man gelangt somit zu einer zusammenfassenden Vorstellung von der Beschaffenheit der Ionen, wenn man sie als Stoffe ansieht, die mit bestimmten, sehr grossen Elektrizitätsmengen verbunden sind, und deshalb andere Energieverhältnisse und auch andere physikalisch-chemische Eigenschaften besitzen, als die gleich zusammengesetzten, nicht ionisierten Stoffe. Ähnlich wie der Gaszustand durch die Behaftung mit grossen Volumen gekennzeichnet ist, so ist es der Ionenzustand durch die Behaftung mit grossen Elektrizitätsmengen, und in beiden Fällen bedingt das Vorwalten der bestimmten Energieart (Volumenenergie und elektrische Energie) ganz bestimmte, einfache und allgemeine Eigenschaften.
Wir wenden uns nun zum dritten grossen Problem der Elektrochemie, zu der Frage nach dem Sitze und der Quelle der elektromotorischen Kraft in der Kette.
Das grosse Verdienst Voltas bei der Bearbeitung der von Galvani entdeckten Erscheinungen war, dass er den rein physikalischen Teil aus ihnen aussonderte und die Darstellung und Messung der elektrischen Erregungen bei der Zusammenstellung verschiedener Leiter experimentell soweit klarstellte, dass man dem Wissen seiner Zeit gemäss die Frage als grundsätzlich gelöst betrachten konnte. Volta wies nach, dass mindestens drei verschiedene Leiter zum Zustandekommen elektrischer Wirkungen erforderlich sind, und zwar zwei metallische und ein flüssiger. Der Nachweis, dass auch ein metallischer Leiter und zwei flüssige oder gar drei Flüssigkeiten elektrische Erregungen geben können, liess übrigens gleichfalls nicht lange auf sich warten.
Ordnet man zwei Metalle M1 und M2 mit einer Flüssigkeit F zu einer Kette, so bestehen drei Berührungen, nämlich zwei zwischen Metall und Flüssigkeit und einer zwischen beiden Metallen. Der Sitz der elektrischen Erregung kann an jeder dieser Stellen liegen, und Volta stellte sich die Aufgabe, auszumachen, wo er ist.
Zunächst überzeugte er sich, dass es nicht möglich ist, aus Metallen allein wirkende Ketten herzustellen. Keine Anordnung irgendwelcher Leiter erster Klasse ergab irgendwie elektrische Wirkung und somit lag der Schluss nahe, dass an den Berührungsstellen der Metalle keine elektromotorische Kraft entsteht. Sie wäre demgemäss an den Berührungsstellen Metall : Flüssigkeit zu suchen.
Dem widersprach aber ein Versuch, der seitdem als der Voltasche Fundamentalversuch ein regelmässiger Bestandteil der physikalischen Lehrbücher und eine Sorge der Physiklehrer geworden ist; letzteres, weil er so oft nicht auskommt. Volta stellte ihn ursprünglich so an, dass er zwei Platten aus verschiedenem Metall, insbesondere aus Zink und Kupfer, die gut aufeinander geschliffen waren, miteinander in Berührung brachte, sie möglichst parallel voneinander entfernte und nun ihren elektrischen Zustand untersuchte. Wenn der Versuch gelingt, so erweist sich das Zink positiv, das Kupfer negativ.
In reinerer Form, in welcher er auch zu Messungsversuchen ausgebildet worden ist, hat Volta seinen Versuch derart angestellt, dass man die beiden Platten isoliert einander nahe parallel aufstellt, sie einen Augenblick mit einem durch einen Draht aus einem der beiden Metalle leitend verbindet und sie nach der Entfernung des Drahtes trennt. Beide Platten erweisen sich dann geladen, und zwar in der angegebenen Weise. Misst man die elektrische Spannung, die zwischen ihnen während der Gegenüberstellung bestand, so erhält man ungefähr dieselben Werte, die gefunden werden, wenn man beide Metalle in eine wässerige Flüssigkeit taucht, und die Spannung dieser Kette misst.
Volta und mit ihm unzählige Naturforscher der Folgezeit deuteten diese anscheinend widersprechenden Versuche folgendermassen. Aus der Tatsache, dass aus Metallen allein keine wirkende Kette gebaut werden kann, scheint zu folgen, dass zwischen ihnen, keine elektromotorische Kraft besteht; der Fundamentalversuch dagegen ergibt, dass die ganze elektromotorische Kraft der Kette dem Metallkontakt zuzuschreiben ist, denn hierbei kommt kein flüssiger Leiter in Wirkung. Um beide Ergebnisse zu vereinigen, muss man annehmen, dass allerdings zwischen den Metallen elektromotorische Kräfte bestehen, dass diese aber miteinander so verknüpft sind, dass sie sich bei Ketten aus Metallen allein aufheben. Haben wir also die drei Metalle A, B und C, und ordnen sie zur geschlossenen Kette, so sind in dieser die drei elektromotorischen Kräfte A:B, B:C und C:A; es muss also A:B + B:C + C:A = 0 oder auch A:B + B:C = A:C sein, da A:C = -C:A gesetzt werden muss, weil sich der Sinn der Spannung mit der Richtung umkehrt: ist C um ein Gewisses negativer als A, so ist A um so viel positiver als C. Die Gleichung A: B + B:C = A:C besagt aber, dass die Spannung zwischen zwei Metallen gleich gross wird, gleichgültig ob die Metalle sich unmittelbar berühren, oder ob ein andres Metall (oder auch beliebig viele andere Metalle, wie sich leicht beweisen lässt) dazwischen geschaltet wird.
Somit bestand Voltas Theorie der Galvanischen Kette darin, dass die elektromotorische Kraft der Kette an der Berührungsstelle der beiden Metalle zustande kommt, und dass an der beiden Berührungsstellen Metall: Flüssigkeit keine, oder keine erheblichen Kräfte vorhanden sind. Die späteren Forschungen haben dazu geführt, auch das Vorhandensein elektromotorischer Kräfte an diesen Stellen anzunehmen, wenn sie meist auch viel kleiner seien, als die vom Metallkontakt herrührende.
Trotz ihrer Künstlichkeit errang Voltas Theorie alsbald die allgemeine Zustimmung. Dies mag zum Teil an den grossen äusseren Ehren liegen, die Volta damals empfing; doch dürfte der Grund für ihre Annahme seitens der Physiker hauptsächlich in ihrer formalen Abrundung liegen. So hatten weder die glänzenden elektrochemischen Entdeckungen Davys noch die allgemeine Annahme der elektrochemischen Theorie der chemischen Verbindungen von Berzelius den Erfolg, eine chemische Theorie der Galvanischen Erscheinungen zur Entwicklung zu bringen.
Auch ein Feldzug, den der Genfer Physiker De la Rive zugunsten einer chemischen Theorie der Kette unternahm, verlief resultatlos. Nachdem nämlich der erste blendende Glanz der Voltaschen Theorie verblasst war, entstanden halbbewusste Zweifel an ihr, weil sie zwar vom Orte, nicht aber von der Quelle der elektromotorischen Kraft in der Kette Auskunft gab. Heute würden wir nicht lange im Zweifel sein, zu erklären, dass eine blosse Berührung ohne irgendwelche begleitende Änderung niemals den elektrischen Strom erzeugen kann, den wir in der Kette fliessen und Arbeit verrichten sehen; es muss notwendig an irgendeiner Stelle die Energie für diese Vorgänge aufgebracht werden, und diese kann man nur in den chemischen Vorgängen zwischen den Metallen und der wässerigen Flüssigkeit suchen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die eben geschilderten Vorgänge in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts liegen, wo das Gesetz der Erhaltung der Energie nur als undeutliche Ahnung in einigen wenigen vorgeschrittenen Köpfen bestand. Einen gewissen instinktiven Widerwillen gegen flagrante Verletzungen dieses Gesetzes hatten einige Forscher allerdings bei sich bereits als unbewusste Summierung entsprechender Erfahrungen ausgebildet; doch wenn damals die berühmte Frage: Instinkt oder Überlegung? gestellt worden wäre, so hätte die Antwort immer nur: Instinkt lauten dürfen.
Da nun aber die Gegengründe der Vertreter der chemischen Theorie des Galvanismus nicht aus diesem dunkeln Gebiet genommen werden konnten, so musste sie sich mit weniger durchschlagenden Argumenten begnügen, gegen welche sich die Kontaktisten erfolgreich verteidigen konnten. Vergeblich machten z. B. die »Chemiker« gegen den Voltaschen Fundamentalversuch geltend, dass infolge der unvermeidlichen Anwesenheit von Luft und Feuchtigkeit eine chemische Wirkung keineswegs ausgeschlossen sei. Die Gegner erwiderten mit Recht, dass es Sache der »Chemiker« sei, deren Einfluss nachzuweisen; die experimentellen Hilfsmittel jener Zeit waren aber hierzu noch nicht ausreichend. Erst in neuester Zeit haben diese sich soweit entwickelt, dass jener Nachweis erbracht werden konnte. Anderseits fehlte es den Chemikern an einer klaren Theorie, in welcher Weise der chemische Vorgang mit dem elektrischen verbunden oder verkoppelt sein müsse. Zwar hatte bereits Ritter klar ausgesprochen, dass nur solche chemische Vorgänge, die ohne den elektrischen überhaupt nicht zustande kommen, diesen letzteren bedingen können und er hatte an einigen Beispielen diese allgemeine Forderung in konkrete Gestalt übertragen. Doch war dieser Hinweis mit den übrigen Arbeiten Ritters in Vergessenheit geraten und musste in neuester Zeit von neuem entdeckt werden, wobei freilich auch die allgemeine Bedingung bestimmter ausgesprochen werden konnte.
Einstweilen nahm man allgemein an, dass wenn an einer Stelle der Kette eine chemische Reaktion vor sich ging, an dieser Stelle auch die Elektrizität erzeugt würde. Wenn man z. B. Zink und Kupfer in verdünnte Schwefelsäure taucht, so wird das Zink aufgelöst und dort sollte sich daher die Elektrizität entwickeln. Diese Annahme, die nicht richtig ist, führte denn auch zu einer experimentellen Widerlegung der chemischen Theorie, die so überzeugend aussah, dass sogar Berzelius sie als bindend annahm, obwohl er früher neben seiner elektrochemischen Theorie der chemischen Verbindungen auch die chemische Theorie der Kette als richtig angesehen hatte.
Bringt man nämlich das Zink in irgendein neutrales Salz, das Kupfer dagegen in Salpetersäure (die durch eine poröse Scheidewand oder durch den Unterschied der Dichten vom Zink ferngehalten wird), so findet eine stürmische chemische Reaktion nicht beim Zink, sondern beim Kupfer statt. Eine solche Kette mit verkehrtem chemischem Vorgange kehrt aber keineswegs ihren Strom um, sondern zeigt die gleiche Stromrichtung, wie die Zinkkupferkette in Schwefelsäure, und der Strom ist sogar stärker, als wenn der chemische Vorgang beim Zink ist. Hieraus geht hervor, wie die Vertreter der Kontakttheorie schlössen, dass der chemische Vorgang keinen Einfluss auf den Strom hat, sondern nur die Natur der Metalle, gemäss ihrer Theorie.
Man muss gestehen, dass vom Standpunkte der damaligen Kenntnisse gegen diesen Schluss nichts zu sagen war, und dass Berzelius berechtigt war, in diesem Versuche den Beweis für die Kontakttheorie zu sehen. Dass der stürmische chemische Vorgang am Kupfer mit der Entstehung des Stromes nichts zu tun hat, und dass trotz der neutralen Beschaffenheit der das Zink umgebenden Flüssigkeit während des Stromdurchganges in dieser Zink aufgelöst wird, wusste man damals nicht, und erst auf der Grundlage einer grossen Anzahl späterer Entdeckungen und Aufklärungen konnte die Theorie dieses Versuches im Sinne der chemischen Anschauungen gegeben werden.
Einen wesentlichen Fortschritt gegenüber diesem ergebnislosen Hin und Wieder brachten erst die Entdeckungen Faradays über den untrennbaren Zusammenhang zwischen Leitung und Zersetzung beim Durchgang der Elektrizität durch Leiter zweiter Klasse. Es bedarf kaum der ausdrücklichen Versicherung, dass Faraday sich ganz entschieden auf die Seite der Chemiker stellte. Auf die vielen Experimente, die er zur Stütze seiner Ansicht beibrachte, wollen wir nicht eingehen; auch ihnen gegenüber bewährte sich die formale Konsequenz der Voltaschen Theorie, und es war ihr immer möglich, durch passende Annahmen, wenn diese auch meist recht künstlich ausfielen, die Tatsachen nach ihrem Schema zu deuten. Dies liegt daran, dass in allen Versuchen immer die Summen mehrerer Spannungen an verschiedenen Berührungsstellen in Betracht kamen. Die Folge davon ist, dass die Anzahl der Einzelspannungen immer grösser ist, als die der unabhängigen Messungen, so dass man über eine Einzelspannung eine beliebige Annahme machen darf, der gemäss dann die übrigen Spannungen berechnet werden, ohne dass man mit den Tatsachen in Widerspruch zu geraten braucht.
Erst am Ende seiner elektrochemischen Untersuchungen bringt Faraday einen Gedanken vor, der oben bereits als der durchschlagende erwähnt wurde. Er betont, dass der Galvanische Strom Arbeit leisten kann. Wenn nun durch die blosse Berührung, wie dies Volta behauptete, die Ursache des Stromes gegeben sei, so wäre dies gleichbedeutend mit einer Schaffung von Arbeit aus nichts; dies aber sei widersinnig.
Man muss bedenken, dass diese Betrachtung im Jahre 1840 ausgesprochen wurde, also zwei Jahre, bevor die erste Aufstellung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie durch J. R. Mayer erfolgte. Was uns gegenwärtig trivial erscheint, war damals nicht nur ein neuer, sondern ein bestrittener Gedanke; wurde doch zu jener Zeit von dem eifrigsten Vertreter der Voltaschen Theorie in Deutschland, dem Kieler Physikprofessor Pfaff, die Unerschöpflichkeit ausdrücklich als zum Wesen einer wahren Naturkraft gehörig erklärt. Um so grössere Achtung schulden wir Faraday, der mit sicherem Instinkt diese Anwendung des Prinzips von der Erhaltung der Energie vorausgesehen hatte, obwohl wir aus seinen späteren Veröffentlichungen erkennen können, dass er keineswegs zur vollständigen Klarheit hierüber sich durchzuringen vermochte. Den Gedanken von der gegenseitigen Umwandelbarkeit der verschiedenen Naturkräfte hat er allerdings als allgemeinen Leitgedanken bei seinen vielen und weitverzweigten experimentellen Forschungen stets benutzt.
Binnen kurzer Zeit trat nun auch die bewusste Anwendung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie auf die Kette ein. William Thomson und Helmholtz entwickelten unabhängig voneinander den gleichen Gedanken, der sich folgendermassen darstellen lässt. Die elektrische Energie ist das Produkt aus Elektrizitätsmenge und Spannung; nun ist der erstere Faktor durch das Faradaysche Gesetz gegeben, demzufolge beim Durchgang gleicher Elektrizitätsmengen durch irgendwelche Ketten äquivalente Mengen der beteiligten Stoffe sich chemisch umwandeln. Die Verschiedenheiten der chemischen Energie dieser Vorgänge in der Kette, die in der verschiedenen Wärmeentwicklung zutage treten, welche diese Vorgänge beim unmittelbaren Verlauf ergeben, müssen somit in den verschiedenen Werten der elektromotorischen Kraft zutage treten. Dividiert man demnach die Wärmeentwicklung der Reaktion durch die Elektrizitätsmenge, welche der betrachteten Menge der Stoffe nach dem Faradayschen Gesetze entspricht, so erhält man die elektromotorische Kraft.
William Thomson führte diese letztere Rechnung auch aus, was damals wegen der vielfältig verschiedenen Einheiten nicht ganz einfach war, und zwar an der Daniellschen Kette. In dieser besteht die chemische Reaktion darin, dass sich Kupfersulfat und metallisches Zink in Zinksulfat und metallisches Kupfer umsetzt. Man kann die Wärmeentwicklung dieses Vorganges bestimmen, wenn man einfach Zink in Kupfersulfat einträgt; dann geht die chemische Energie nicht in elektrische, sondern unmittelbar in Wärme über. Joule führte diese Bestimmung aus und die Berechnung ergab eine glänzende Bestätigung der Theorie.
In der Folge hat sich gezeigt, dass diese einfache Theorie unvollständig ist und durch eine etwas verwickeltere ersetzt werden muss, und dass ferner ein Korrektionsglied welches die vollständigere Theorie als nötig nachweist, zufällig beim Daniellschen Element gleich Null ist, so dass die an diesem beobachtete Übereinstimmung bei den meisten anderen Beispielen, die man später untersuchte, ausblieb. Immerhin war es doch ein sehr bedeutender Fortschritt, der endgültig die chemische Theorie der Kette feststellte.
Merkwürdigerweise sahen die beiden Männer, denen wir jenen endgültigen Beweis für die chemische Theorie der Kette verdanken, hierdurch die Anschauungen Voltas keineswegs für widerlegt an. Es wurde geltend gemacht, dass wenn auch zweifellos die Energie des Stromes in der Kette von dem chemischen Vorgange herrührt, doch die Spannungen ganz wohl in der Weise angeordnet sein könnten, wie Volta sie angenommen hatte. Sie brauchten eben nur eine solche Summe zu ergeben, dass jene theoretische Beziehung befriedigt ist. Da man die einzelnen Spannungen nicht kennt, so kann man sie immer so annehmen, dass jene Voraussetzung erfüllt wird. So stark wirkt die Tradition selbst bei den selbständigen Geistern, den führenden Männern!
Das Wesentliche bei diesem Fortschritt war indessen doch die bestimmte und eindeutige Beziehung der elektromotorischen Kraft auf den chemischen Prozess. Es entstand für jede Anordnung, die als Kette wirkt, die Frage, welcher chemische Vorgang hier wirksam ist, wobei sich ergab, dass in Ketten, wo dieser Vorgang unbestimmt oder wechselnd ist, auch keine konstante Spannung beobachtet werden kann. Die Daniellsche Kette verdankt mit anderen Worten ihre Konstanz dem Umstande, dass in ihr ein ganz bestimmter, mit dem Stromdurchgange verbundener Vorgang, nämlich die Ausfällung des Kupfers durch Zink, an den erforderlichen Stellen die erforderlichen Stoffe vorfindet. Man kann beliebig viele konstante Ketten konstruieren, wenn man dafür Sorge trägt, dass diese Bedingung erfüllt ist.
Wie ist aber nun diese Bedingung allgemein auszusprechen? Hier hat wieder die Theorie der freien Ionen, welche so viele chemische Fragen erklärt hatte, die endlichen Aufklärungen gegeben, deren Entwicklung wir W. Nernst (geb. 1864) verdanken. Wir führen die Betrachtung wiederum an der klassischen Daniellschen Kette durch.
Diese besteht, wie erwähnt, aus einer Kupferplatte, die in Kupfersulfat und einer Zinkplatte, die in Zinksulfat taucht; die beiden Lösungen stehen durch ein poröses Gefäss in leitender Berührung. Ein unmittelbarer chemischer Vorgang kann in dieser Anordnung nicht stattfinden, wohl aber ein mittelbarer. Das Zink ist bestrebt, in Lösung zu gehen. Dies geschieht, indem sich das metallische Zink in Zinkion verwandelt, wozu letzteres der positiven elektrischen Beladung bedarf, durch welche sich die Ionen von den Elementen im gewöhnlichen Zustande unterscheiden. Bringt man das Zink unmittelbar in die Kupfersalzlösung (welche das Kupfer als Ion enthält), so entzieht es dem Kupferion diese erforderliche Ladung, verwandelt sich in Zinkion und das Kupfer wird ungeladen, d. h. als Metall ausgeschieden. In der offenen Daniellschen Kette kann dies nicht geschehen, weil das Zink mit dem Kupferion nicht in Berührung kommt. Schliesst man aber die Kette, d. h. stellt man eine leitende Verbindung zwischen beiden Metallen her, so kann das Kupferion seine Ladung durch den Leiter hindurch an das Zink abgeben, welches dementsprechend in Lösung geht, während das Kupferion, das seine Ladung abgegeben hat, als metallisches Kupfer ausfällt. Es geht also derselbe Prozess, wie bei unmittelbarer Berührung, hier mittelbar vor sich, und zwar in dem Masse, als Elektrizität durch den verbindenden Leiter fliesst. So wie man die Leitung unterbricht, wird auch der Vorgang unterbrochen.
Warum entzieht nun aber das Zink dem Kupferion seine Ladung? Dies rührt daher, dass beim Übergang von Zink in Zinkion viel mehr Energie frei wird, als beim Übergang von Kupfer in Kupferion. Man kann sachgemäss die Tendenz der Metalle, in den Ionenzustand überzugehen, mit dem Dampfdrucke der flüchtigen Flüssigkeiten vergleichen. Denken wir uns einen beiderseits geschlossenen luftleeren Zylinder, der einen beweglichen Kolben enthält, und einerseits mit einem Kessel voll Wasser, anderseits mit einem, der Äther enthält, in Verbindung steht. Da der Äther einen viel grösseren Dampfdruck hat, so wird er den Kolben zurücktreiben und der Wasserdampf wird verflüssigt werden. Ebenso hat das Zink einen viel grösseren Ionendruck als das Kupfer; daher wird sich Zinkion auf Kosten von Kupferion bilden; die Stelle des Kolbens spielt hier die Elektrizitätsmenge und dem Druckunterschied entspricht die elektromotorische Kraft.
Dieses einfache und anschauliche Schema, erweist sich in der Tat als ausreichend zur Aufklärung der ganzen Mannigfaltigkeit der Ketten von der Art der Daniellschen. Durch passende Erweiterung, indem man nämlich berücksichtigt, dass zufolge des Faradayschen Gesetzes jede Ionenbewegung (nicht nur die Bildung und Rückbildung von Ionen) mit entsprechenden Elektrizitätsbewegungen verbunden ist, deren elektromotorische Kraft man aus den dabei geleisteten Arbeiten (meist osmotischer Beschaffenheit) berechnen kann, gewinnt man auch noch die Theorien der anderen Ketten, so dass wenigstens grundsätzlich das Voltasche Problem als gelöst angesehen werden darf. Die experimentelle Untersuchung solcher Fälle, die gemäss dieser Theorie berechenbar sind, hat eine solche Fülle von Übereinstimmungen ergeben, dass an der allgemeinen Brauchbarkeit der Theorie nicht gezweifelt werden kann.
Überblicken wir zum Schlusse die ganze Entwicklung der Elektrochemie, so sehen wir, dass nach allen drei Richtungen, der präparativen Elektrolyse, der Lehre von der Stromleitung und der von den elektromotorischen Kräften die reine Chemie aus den Ergebnissen der Schwesterwissenschaft die reichsten Früchte geerntet hat. Wenn auch die ausschliessliche Herrschaft elektrochemischer Anschauungen vorüber ist und sich schwerlich wiederholen wird, so ist doch ein ganz erheblicher Anteil unserer gegenwärtigen allgemeinen Vorstellungen durch die elektrochemischen Tatsachen bestimmt, und zwar bemerkenswerterweise durch solche, die zur Zeit der Alleinherrschaft der elektrochemischen Theorien nicht bekannt waren. Die Lehre von den elektromotorischen Kräften hat endlich zu einer sichereren und allgemeineren Auffassung des Problems der chemischen Affinität geführt, der Frage, welche Arbeiten durch chemische Vorgänge geleistet werden können, und welches die Bedingungen hierzu sind. Die Geschichte dieser letzteren Probleme wird uns in der, nächsten Vorlesung beschäftigen.