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Baron Durazzi träumte davon, daß des Henrietterls und Margrets Hochzeit an einem Tage sein sollte. Da würden sie einmal die ganze Verwandtschaft zusammentrommeln und zeigen, was die Durazzi eigentlich waren. In seiner Beschäftigungslosigkeit fuhr er nach Meran, um in jedem Hotel Kostenanschläge einzufordern. Bald darauf liefen in Göllan so viel Preise und Speisefolgen ein, daß der alte Herr an seinem Schreibtisch vergraben saß und nicht mehr aufblickte.
Meinhardt kam jeden Abend herüber. Margret und er redeten nicht von Liebe, aber wenn beim Abschied seine Lippen auf ihrer Wange ruhten, so lag darin mehr als in der heimlichen Küsserei Rudis und des Henrietterls. Die tobten im Garten umher, suchten verschwiegene Stellen auf, und dann wurde das lachende Mädel ganz hintersinnig und rührsam zu Ossanas größtem Spott. Die fühlte sich beiseite gesetzt zwischen den beiden Paaren. Des Henrietterls Augenaufschlag machte sie nach, und ihre schwarzen Pupillen leuchteten dabei, wie es der Mongolenfalte ewig versagt blieb. Um Margret kümmerte Ossana sich nicht. Sie tat, als sei sie nicht mehr auf der Welt.
Eines Abends nun, als die Familie beisammen saß und man von der Zukunft redete, ordnete der alte Baron seine Anerbieten auf dem Tisch. Er setzte den Kneifer auf, schielte darüber hinweg und begann eine große Rede: sie wollten die beiden Freudentage in einen zusammenziehen!
Tante Angiolina schwieg, ihn nicht aus seinen Träumen zu reißen, die ihr Glück und Ruhe bedeuteten, solange er ihnen nachhing.
Graf Meinhardt, trotz aller Zartheit seiner Seele viel mehr auf dem Boden der Wirklichkeit, warf ein, dann müßten Henrietterl und der Rudi warten. Aufgebot und Notwendigkeiten könnten nicht in vierzehn Tagen erledigt werden. Der alte Herr sagte mit der größten Ruhe: »Dann schieben wir eben die Hochzeit hinaus!«
Aber das Henrietterl weinte fast: »I wart' nit, nit zwei Stunden wart' i!«
Und sie strich ihrem ewig lächelnden »feschen« Rudi die Wange.
Baron Durazzi schob seine Papiere zusammen, stand auf und rief, aus den Himmeln seines Glückes gestürzt: »Dann heiratet's, wann's wollt's, i kümmer' mi nit darum, dann müßt's es eben tun unter Ausschluß der Öffentlichkeit.«
Das wollte das Henrietterl aber nicht. Nein, bunt, lebhaft, großartig sollte die Hochzeit sein, Menschen wollte sie sehen, Menschen sollten sie sehen. Meinhardt sagte ruhig: »Henrietterl, du vergißt auf eins: das Trauerjahr!«
So wurden beide Träume nicht erfüllt, und es blieb dabei, Meinhardt würde später heiraten.
Tante Angiolina war es recht, denn im Grunde genommen wußte sie nicht, wie Margrets Hochzeit zahlen. Erst mußte Geld beschafft sein. Als nun die paar Einladungen zu des Henrietterls Hochzeit abgeschickt werden sollten, fragte Meinhardt, ob seine Stiefmutter nicht der Form halber gebeten werden müsse. Tante Angiolina war dagegen, halb aus Ärger, halb doch aus Scham. Er sagte nur:
»Ich hab' die Hochzeit auszurichten, ich stehe als ältester Bruder an Vaters Stelle. Ich möcht' Mama auch nicht übergehen: lassen wir's dabei, die Gräfin Aich wird ja doch nicht kommen. Aber zu meiner Hochzeit möcht' ich sie haben. Ihr erlaubt aber wohl, daß ich die Kosten trage.«
Er reichte ihr ein zusammengefaltetes Papier, einen Scheck. Sie hatte etwas Derartiges im stillen erhofft, aber als sie die hohe Summe las, war sie doch ein wenig beschämt: »Meinhardt, das steht ja in gar keinem Verhältnis zu den Kosten!«
»Tante, ich bin nicht blind. Ich hab' manches gesehen, manches gehört, durch Zufall, im Gespräch, beim Advokaten, auf der Sparkasse.«
Tante Angiolina schlug die Augen nieder: »Ich werd's dem Onkel sagen.«
»Tante, ich hab' ihn gern, aber ich empfehle dir, so was nicht mit ihm zu besprechen. Sonst hält' ich den Scheck ihm gegeben. Und jetzt – unter die ganze Geschichte einen Strich.«
Er küßte ihre rundliche Hand, auf der ein paar belanglose alte Ringe saßen, von denen sie zu sagen pflegte: »Sie sind zwar nichts wert, aber seit zweihundert Jahren in der Familie.« Man empfand das als Gegengewicht gegen Toilettenpracht und Luxus der Fremden. Die Welt war eben gerecht, der eine konnte dies, der andere das, jeder besaß so sein Teil. –– ––
Die Saison in Meran hatte schon langsam wieder begonnen. Hotels und Pensionen taten die sommerlich verschlafenen Läden auf. Man sah auf der Habsburgerstraße, auf der Kurpromenade, in der Gilf, in der Sommeranlage beim Konzert neue Gesichter oder die alten Stammgäste, die, seitdem sie einmal in die Sonnenstadt gekommen, ewig wiederkehrten. Von Tag zu Tag wuchs die Zahl der Pilger zu den Ausflugsorten, mehr und mehr Wagen begannen hinaufzuklettern nach Tirol, oder durch Mais zur Rametzbrücke, wo sie sich dann trennten, abwechselnd nach Schenna oder zur Fragsburg. Und alle, die jenen Weg hinaufgezogen, auf dem einst Tante Angiolina die erstaunliche Bekanntschaft des norddeutschen Herrn gemacht, schienen verwundert, die alte Nochusburg verändert zu sehen. Die Umfriedungsmauern waren instand gesetzt, im Park die Wege geebnet, Büsche herausgeschlagen, überall Durchblicke hergestellt. Dann erzählte wohl der Kutscher, der junge Graf hätte das geschaffen, denn er würde bald heiraten, und deutete mit der Peitsche hinüber, wo man über dem Tal in herbstlichen Weingärten, von Kastanienhainen überschattet, Göllan liegen sah. Um seine Fahrgäste zu unterhalten, berichtete er gleich welterschütternder Begebenheit, von dort her sei die Braut, Baronin Durazzi, Tochter des alten Barons. Es klang, als müsse jeder wissen, wer der freundliche alte Herr war, den der Kutscher kannte, weil der Baron mit jedem Lohndiener sprach und mit jedem Laufmädel, mit gering und vornehm, groß und klein. Wenn die Wagen dann zurückkehrten bei den schon schräger einfallenden Strahlen der Sonne, so fragten wohl die Fremden nach dem Kirchlein, das dort unten in der Tiefe just unter der Straße wie ein Spielzeug lag, und der auf dem Bock wußte auch das: ja, dort in St. Valentin würde gewiß die Hochzeit sein.
Bald hielten auch ein paar Wagen dort. Nicht gar viele, denn die Hochzeit des Henrietterls war klein. Die Pferde ließen den Kopf hängen, nur ab und zu einmal hoben sie stampfend den Fuß, sich der Fliegen zu erwehren. Die Fiaker standen schwatzend zusammen. Ein Idyll vor der Kapelle. Doch plötzlich ward Leben. Die Kutscher rannten zu ihren Tieren, kletterten auf den Bock und fuhren vor. Das Henrielterl trat heraus, lächelnd, in dem heute rechtmäßig angelegten Kleide, den Myrtenkranz im Haar. Und dann der Rudi Bernburg in seiner Dragoneruniform. Das schmale Gesicht mit dem kleinen blonden Bürstenschnurrbärtchen verschwand unter dem riesigen goldblinkenden Helm. Die anderen Wagen folgten.
Auch Baron Durazzi von Paternell trug Uniform. Die Ärmel waren knalleng und die Ulanka ihm über der Brust so knapp, daß er kaum atmen konnte, denn er war doch etwas stärker geworden in den langen Jahren. Und zu seinen beiden Oberleutnantssternen sah der weiße Bart erstaunlich aus. Der alte Herr blinzelte lustig nach allen Seiten mit seinen stahlgrauen Äuglein. Kaum einen Blick hatte er für das verhutzelte alte Weiblein neben ihm im grauseidenen Kleide: die Sternkreuz-Ordensdame Gräfin Aloysia Maria Gabriele Bernburg.
Dann kam Tante Angiolina. Unter ihrem Riesenhut, den ihr Margret aufgezwungen, klappten ihre Feueraugen, wie ein Nachtvogel geblendet vom hellen Licht. Neben ihr saß Seine Exzellenz Graf Bernburg, der berühmte Erbonkel. Unter den grünen Federn seines Generalshutes sah man ein quittengelbes Gesicht, von weißem Vollbart umrahmt, das Kinn durchrasiert, tiefe Falten auf der Stirn. Die einst gewiß leuchtenden großen Augen blickten jetzt müde und teilnahmlos darein. Ab und zu wandte er sich zu seiner Dame, mit dem weißen Handschuh irgendwo hinausdeutend voll ruhig vornehmer Gelassenheit.
Im Hotel Erzherzog Johann war der Saal mit weißen Blumen geschmückt, weiße Blumen auch standen auf der Tafel. Weiß sollte alles sein, das hatte sich das Henrietterl gewünscht. Zwei, drei junge Mädchen, zwei, drei junge Herren waren Brautjungfern und Brautführer: bis auf Ossana und Poldi von Bernburgischer Seile. Damit schien die Gesellschaft vollzählig. Die aus Wien und die aus Meran hatten einander zu kurz erst gesehen, so war es still bei Tisch. Doch Baron Durazzi, heute besonders bei Laune, einigte mit seinem Plauschen, Scherzen und Hervorsuchen alter Beziehungen aus Wien bald die Geister. Als nun erst die Rede auf das Brautpaar gehalten war, tönte laut die Unterhaltung bei dem leisen Bedienen.
Graf Bernburg, Seiner Majestät Wirklicher Geheimer Rat, sprach nur wenige Sätze, und wie er dabei die faltigen Wangen gleichsam kauend bewegte, machte es den Eindruck, als fehlten ihm die Zähne. Aber in seiner ansehnlichen Größe und schlanken Gestalt, mit dem vollen schneeweißen Haar, dazu im Funkeln vieler Orden, war er ein gutes Schaustück an der Tafel. Er hielt sich noch ganz aufrecht, nur in den seltsamen, gleichsam gerillten Augäpfeln schien alles Leben erloschen. Die gelbe Haut, die fast schwarzen Adern auf den langen mageren Händen, deuteten hohe Jahre an. Man fragte, wie alt er wohl sei, und unter den Durazzis erregte es staunende Verwunderung, als man von einem der Brautführer, einem entfernten Verwandten der Bernburgs, erfuhr, der alte Herr trüge dreiundneunzig Winter auf seinem weißen Scheitel.
Baron Durazzi, der, die Kurliste durchstöbernd, jedem, falls er im Gotha stehen konnte, nachzuforschen pflegte, meinte: »Das weiß man aus dem Kalender!«
Zu des Henrietterls stiller Empörung halte der Erbonkel nichts geschenkt – aber er musterte sie bei Tisch, die immer lächelnd sich tiefste Geheimnisse mit ihrem Bräutigam mitteilte:
»Liebes Kind, ich bin mit meines Großneffen Wahl zufrieden. Ihr werdet das einmal in meinem Testament ausgedrückt finden.«
Das war das einzige, was er der Braut sagte. Immerhin nickte er ihr mehrmals billigend zu mit einer einzigen Kopfbewegung, einem einzigen langen Schließen der müden Augendeckel, und die Sternkreuzordensdame bestätigte, es sei das höchste Zeichen seiner Anerkennung.
Nach Tisch hielt er sozusagen Cercle, und vor ihm verschwand ein wenig die fröhliche Beredsamkeit des alten Barons Durazzi, wie sein einsames Ritterkreuz des Leopoldordens vor der blinkenden Sternenpracht Seiner Exzellenz verblaßte. Die Worte, die der Besitzer jener großen böhmischen Herrschaft gesprochen, verbreiteten sich, und so kam man wieder auf die Hochzeitsgeschenke. Strahlend erzählte das Henrietterl, daß die Stiefmutter ihr einen großen Kasten herrliches Silber für zwölf Personen geschenkt habe. Damit schien aller Groll gegen die zweite Frau ihres Vaters für den Augenblick gelöscht.
Meinhardt nahm kurz, ehe das Brautpaar ging, seine Schwester beiseite: »Wenn ihr erst euren Honigmond verträumt habt – –«
In Rudis Arm gehängt, der immer lächelnd und wippend dabei stand, unterbrach sie ihren Bruder: »Der geht nimmer vorüber!«
»Nun gut, lassen wir ihn sehr lang dauern. Aber ich erwart' von dir, Henrietterl, daß ihr dann die Mama aufsucht. Du wirst dich für das Geschenk bedanken!«
Sie sagte nicht nein, gab es freilich auch nicht zu. Doch der Rudi antwortete für sie in seiner ewig lächelnden, etwas törichten Art, aber mit einem Male erstaunlich bestimmt:
»Ich werd' schon dafür sorgen!«
Das Henrietterl sah ihn fast erschrocken an. Er zog unter dem Waffenrock die Uhr, und wieder mit einem Lächeln meinte er, beinah noch einen Grad befehlender:
»Zieh dich jetzt um, wir dürfen den Zug net verpassen.«