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Die Vorbereitungen zur Hochzeit wurden mit unglaublicher Raschheit getroffen und sowohl in Beaulieu als in Pont-Avesnes schien jedermann bemüht, durch seinen Eifer sich als Claires Verbündeter zu erweisen. Philipp reiste selbst nach le Berry, um sich die nötigen Papiere zu verschaffen, und der Marquis begab sich zu demselben Zwecke nach Paris. Die Post und der Telegraph arbeiteten um die Wette, um die zahllosen Aufträge den verschiedenen Lieferanten zu übermitteln. Eine fieberhafte Unruhe, trat an die Stelle des Friedens, welchen Frau von Beaulieu seit zwei Jahren genoß. Die treffliche Frau, durch die Ereignisse niedergedrückt, fügte sich dem raschen Entschluß ihrer Tochter, ohne die nötige Energie zu finden, ihn zu bekämpfen.
In ihrem Vertrauen zu Herrn Bachelin, der ihr über Herrn Derblay so ausgezeichnete Referenzen gegeben und noch mehr von dem uneigennützigen Zartgefühl Philipps gerührt, der durchaus nicht wollte, daß man Claire den Verlust des Prozesses wissen lasse, sah sie mit mehr Erstaunen als Besorgnis diese Verbindung sich vollziehen.
Anfangs hatte sie freilich bedauert, daß Claire nicht einige Zeit gewartet, um einen Gemahl aus ihren Kreisen zu wählen. Aber zugleich fragte sie sich, ob in unserer prosaischen Zeit ein Mann aus der Aristokratie von Reichtum und Stellung Fräulein von Beaulieu ohne Mitgift geheiratet haben würde. Die Antwort schien ihr so zweifelhaft, daß sie nach und nach dahin gelangte, das Anerbieten des Herrn Derblay in dem kritischen Momente als ein seltenes, großes Glück zu betrachten.
Claire that ihrerseits das Möglichste, um das Mißtrauen ihrer Mutter zu beseitigen und sie in vollkommene Sicherheit zu wiegen. Sie zeigte ein fröhliches Gesicht und mit diesem Schein des Glückes täuschte sie ihre Umgebung über ihren wahren Gemütszustand. Die Baronin allein war die Vertraute ihrer Angst und ihrer Reue.
Tagelang blieb Claire in ihrem Zimmer eingeschlossen, und physisch und moralisch tief darniedergedrückt, lag sie mit düster blickenden Augen und gefalteter Stirn unbeweglich auf einer Chaiselongue. Sie vermochte nicht, sich an das plötzliche Entschwinden ihrer teuersten Hoffnungen zu gewöhnen und in ihrem schmerzenden Gehirn wiederholte sie immer und immer wieder all die schrecklichen Einzelnheiten des Bruchs ihres Verlöbnisses. Dann fragte sie sich, ob sie denn ein solches Unglück verdient habe, aber sie fand keinen Anlaß, sich irgend einen Vorwurf zu machen. Ihr ganzes Mißgeschick rührte von dem Hasse ihrer Rivalin und der Feigheit ihres Geliebten her.
Gezwungen, sich als das Opfer erbitterter Feinde, und als Märtyrerin eines unerbittlichen Schicksals zu betrachten, kam Claire allmählich auf Rachegedanken. Das Leben erschien ihr wie eine Schlacht, in der man mit Verachtung gepanzert sein muß, um nicht verletzt zu werden, und mit Kühnheit bewaffnet, um nicht zu unterliegen.
Sie verwünschte die Gewissensskrupel, welche sie mit gebundenen Händen, wehrlos ihren Gegnern überliefert hatten, und schwur es sich zu, von nun an vor keinem Hindernisse zurückzubeben, um ihr Ziel zu erreichen. Ihr Herz verbitterte und ihr Urteil trübte sich. Sie wurde hart, egoistisch, böswillig und bereit, alles ihrer Willkür zu opfern, so daß von der edlen, hochherzigen und zartfühlenden Claire nichts zurückblieb. Es schien, als sei ihr Herz am Feuer des Schmerzes verdorrt, ja selbst ihre Schönheit veränderte sich, sie wurde sozusagen marmorn und nahm die Majestät und Kälte der Statuen an.
Indem sie über die ihr bevorstehende Veränderung ihres Lebens nachdachte, zeichnete sie sich ihren künftigen Standpunkt vor, dem sie unwandelbar treu bleiben wollte. Gegen Philipp empfand sie die äußerste Gleichgültigkeit und wußte ihm keinen Dank für seine blinde Ergebenheit. Sie kannte Herrn Derblays großmütige Gesinnungen nicht und schrieb dessen Willfährigkeit nur seinem Ehrgeize zu. Warum hätte auch der junge Mann nicht einwilligen sollen, ein Mädchen mit so großem Vermögen und aus so vornehmer Familie zu heiraten? Sie fühlte sogar etwas wie Verachtung bei dem Gedanken, wie leicht sich Philipp in die demütigende Komödie gefügt, die sie vor dem Herzog gespielt hatte. Die bewunderungswürdige Großmut Philipps erschien Claire als Niedrigkeit.
Claire sagte sich, daß sie in ihm einen schwachen, leicht zu lenkenden Gatten haben würde, und das eben war es, was sie wollte. Würde sich Herr Derblay fügsam erweisen, so wollte sie sich für seine Zukunft interessieren, und, gestützt auf ihre mächtigen Verbindungen, ihn zu einer sehr hohen Stellung emporbringen, um auf diese Weise den Mangel seiner Geburt auszugleichen. Lebte man doch ohnehin im Zeitalter der Parvenüs!
Die kleine Baronin war beunruhigt von der entsetzlichen Kaltblütigkeit, mit der ihre Cousine sich zu einer Verbindung vorbereitete, die unmöglich mit frohem Herzen geschlossen werden konnte und bemühte sich, in die Gedanken Claires einzudringen. Sie befragte das junge Mädchen ernstlich, und Claire machte vergebliche Anstrengungen, auch vor ihr die Gleichgültige zu spielen.
Die Bitterkeit, die ihre Seele erfüllte, stieg unwillkürlich zu den Lippen empor und sie ließ ihre Freundin die grausame Wunde sehen, die auf dem Grunde ihres Herzens blutete. Die Baronin erfuhr so alle Qualen des stolzen, jungen Mädchens, und wenn sie einerseits den Mut Claires bewunderte, so blickte sie doch auch mit ahnungsvollen Befürchtungen auf deren Entschlüsse für die Zukunft. Mit den Erfahrungen, die sie in einer dreijährigen Ehe erworben, begriff sie die ernste Gefahr der Haltung, die Claire sich vorgezeichnet, und sie versuchte, ihr das Leben in seiner Wirklichkeit zu zeigen, doch stieß sie dabei auf einen unbeugsamen Willen.
Claire hatte sich nach ihrem Belieben eine Art Wiedervergeltungsgesetz konstruiert. Weil sie durch die Schuld anderer litt, so sollten die andern nun um ihretwillen leiden; gleichviel, ob sie schuldig waren oder nicht. War denn sie etwa schuldig? Da die Ungerechtigkeit nun einmal die Richtschnur der Menschheit sei, so wollte auch sie um Recht und Pflicht sich nicht weiter kümmern, sondern alles ihren Zwecken opfern. In ihrer Anschauungsweise sanken alle Geschöpfe zu Hilfsmitteln für ihre Zwecke herab und sie war entschlossen, Alle, Männer wie Frauen gleich Schachfiguren zu dirigieren, um die Partie zu gewinnen.
An Athénaïs sich rächen, den Herzog demütigen, das war ihr Ziel, dieser traurigen Rachebefriedigung sollte alles dienen, und das erste Opfer wurde der großmütige, edeldenkende Philipp, er, der nur davon träumte, seiner angebeteten Claire den gestörten Frieden und das verlorene Glück wiederzugeben.
Frau von Préfont konnte sich nicht enthalten, diese despotischen Absichten ihrer Freundin ernstlich zu tadeln. Diese grausame Vermengung von Recht und Unrecht, die Claire zur Befriedigung ihres kalten Egoismus erdacht hatte, schien der jungen Frau dermaßen unsinnig, daß sie dieselbe auf Rechnung einer Nervenüberspannung schob, die mit der Zeit von selbst vergehen müsse.
Sie bemühte sich indes, ihrer Freundin begreiflich zu machen, daß lebende und denkende Wesen tyrannisieren zu wollen nicht gar so leicht sei, als Claire glaubte. Sicherlich, Herr Derblay konnte sich nur höchst geschmeichelt fühlen, in eine Familie, wie die der Beaulieus, aufgenommen zu werden, und es konnte ihn kein Opfer kosten, ein so viel umworbenes Mädchen wie Claire zu heiraten. Als Ersatz für den Dienst, den Philipp dem jungen Mädchen geleistet, indem er ihr beistand, ihre Feinde in dem Momente niederzuschlagen, als diese sie gedemütigt und besiegt glaubten, dafür reichte ihm Claire die Hand. Das war ganz in Ordnung. Doch welche Zukunft gedachte sie nun diesem Manne zu bereiten? Und was würde Philipp dazu sagen, wenn er, mit offenen Armen, mit Worten der Zärtlichkeit auf den Lippen sich seiner jungen Frau nähernd, diese kalt und abweisend finden würde?
Claire schrieb die Bewerbung des Herrn Derblay einzig dem Ehrgeize zu: doch konnte diese nicht auch durch Liebe erklärt werden? Gewiß, die Spekulation spielt heutzutage eine wichtige Rolle in den Eheschlüssen und man beschäftigt sich gern mit dem »Haben« der zukünftigen Gattin, aber schließlich gibt es denn doch noch Männer, die ihre Frauen aus Liebe heiraten, und warum sollte Herr Derblay nicht auch zu diesen Ausnahmen gehören?
Claire hatte die Sache einseitig betrachtet und die Baronin bestand darauf, ihr dieselbe von allen Seiten zu beleuchten. In der Ehe sei die Frau höchst selten die Herrin und der Mann schon seinem Charakter nach gewöhnlich zum Befehlen geneigt. Wenn Herr Derblay, der sehr wohl zu wissen schien, was er wolle, sich empören und alle von Claire gefaßten Pläne niederwerfen würde, was konnte dann nicht aus dem Aufeinandertreffen dieser sich begegnenden Willenskraft entstehen? Es handle sich nicht um eine flüchtige Verbindung von einigen Stunden, wie man sie im Salon hinter dem Fächer schließt, um irgend eine Intrigue glücklich zu beenden, sondern um einen Bund fürs ganze Leben, und dabei könne man den Genossen nicht verabschieden, indem man ihm als Lohn für den geleisteten Beistand die Fingerspitzen zum Kusse reiche.
Darüber müsse man nachdenken, so lange es noch Zeit sei: Einmal verheiratet, könne man sich nicht mehr lossagen, denn die Ehe sei keine Komödie, die sich in wenigen Minuten abspielt, und leicht könne eine Tragödie daraus werden, wenn man die Vorsicht außer acht lasse, und vielleicht wäre es deshalb besser, zurückzutreten, bevor es zu spät sei.
Alle diese Gründe machten jedoch auf Fräulein von Beaulieu keinen Eindruck und sie war eher bereit, alles zu wagen, als ihre Pläne zu ändern. Sie wollte den Anschein erregen, als ob sie den Herzog verschmäht habe, und darum wollte sie früher verheiratet sein, als er. Der Hochzeitstag war bereits festgesetzt und nichts konnte sie in ihrem Entschluß wankend machen. Sie begriff indes, daß es unklug gewesen, der Baronin die geheimsten Gedanken ihrer Seele eröffnet zu haben und fand es daher angemessen, von nun an vor ihrer Freundin gleichfalls zu heucheln.
Sie zwang ihre krampfhaft zusammengezogenen, harten Züge zu einem Lächeln und beklagte in leichtem scherzenden Tone Herrn Derblay, welcher in der ihm bevorstehenden Verbindung kaum die Vorteile finden dürfte, die ihn für die kapriziöse und etwas tyrannische Laune seiner Frau entschädigen könnten. Die Baronin ließ sich täuschen und hoffte, daß die Zukunft die düstere Melancholie ihrer Freundin zerstreuen und deren schmerzliche Aufregung beruhigen werde. Zudem sagte sie sich, daß ja die Ehe voller Ueberraschungen für ein junges Mädchen sei und daß dieselbe auch die heftigsten Charaktere zu mildern pflege. Einmal mit ihrem Gatten allein, ist auch die Widerspenstigste gezwungen, Vernunft anzunehmen und ein Mann, der sehr verliebt und dabei nicht ganz dumm ist, vermag wohl die Ansichten einer Frau merkwürdig umzugestalten. Und später, wenn ein Kind kommt, ist die Situation mit einemmal vollständig verändert: aus der Tigerin wird das sanfteste und geduldigste Lamm.
Diese Erwägungen beruhigten die Baronin. Außerdem war sie auch die Frau nicht, sich lange mit einer Idee zu beschäftigen, und nachdem sie während eines ganzen Tages ernst und gründlich überlegt hatte, überließ sie sich für den Rest der Woche ihrer gewöhnlichen Sorglosigkeit.
Mittlerweile war Herr Derblay von seiner Reise zurückgekehrt und hatte den Verlobungsring, einen herrlichen dunkelroten Rubin, von Diamanten umgeben, mitgebracht. In tiefer Erregung bat Philipp Fräulein von Beaulieu um die Erlaubnis, ihr denselben anstecken zu dürfen.
Claire würdigte das wahrhaft fürstliche Geschenk kaum eines Blickes und reichte Herrn Derblay mit stolzer Gleichgültigkeit und ohne ein Wort des Dankes ihre weiße Hand hin. Dieser Ring, das Symbol ihrer Verlobung, war ihr verhaßt und schon am nächsten Tag bemerkte Philipp mit beklemmtem Herzen, daß sie denselben nicht mehr trug; doch fühlte er sich so eingeschüchtert von ihr, daß er nicht wagte, etwas zu sagen; nur seine Augen richteten sich mit so zwingender Beredsamkeit auf die Hand Claires, daß das junge Mädchen nicht umhin konnte, zu sagen: »Sie entschuldigen, ich trage nie einen Ring.«
Diese Worte beruhigten den Hüttenbesitzer wieder. Er hatte in dieser Beseitigung des Ringes eine offenbare Abneigung Claires gegen alles, was von ihm kam, zu sehen vermeint. Allerdings war er über die Gefühle des jungen Mädchens durchaus nicht im unklaren und wußte, daß seine Bewerbung nur aus Trotz gegen das Geschick angenommen wurde. Er fühlte sich jedoch von so heftiger Leidenschaft, von so hingebender Liebe erfüllt, daß er sicher zu sein glaubte, dieses verirrte Herz einst gewinnen zu können. Konnte denn eine Frau für eine so treuergebene, so innige und zärtliche Neigung auf die Dauer unempfindlich bleiben? Fräulein von Beaulieu hatte sich, als ihre Hoffnungen gescheitert waren, schmerzerfüllt in sich selbst zurückgezogen; aber sollte sich mit zwanzig Jahren das Herz schon für immer verschließen? In der Blüte der Jugend kalt und unzugänglich verbleiben, taub gegen alle Lockrufe des Lebens, das Auge geschlossen für jeden Hoffnungsschimmer? War dies möglich?
Philipp, in seiner grenzenlosen Liebe zu Claire, zweifelte nicht, daß es ihm gelingen müsse, ihre Liebe zu erringen; wenn auch das junge Mädchen glauben machte, ihr Herz sei tot, so war es doch wohl nur eingeschlummert und nach und nach würde es sich wieder beleben, wieder in Glück und Lebensfreude zu schlagen beginnen. Und für wen dann sonst, als für ihn, der es dieser Lethargie entrissen? Wenn er diese Seele rettete, müßte er nicht heilige Rechte auf sie besitzen? Und müßte nicht Claire, dem Leben wiedergegeben, die Augen der Wahrheit wieder geöffnet, den Unterschied zwischen der Liebe, die sie verloren, und derjenigen, die sie gewonnen, erkennen; müßte sie nicht Philipp mit einem ganzen Leben voll Glück für diese Erlösung belohnen?
So dachte Philipp während stundenlanger stummer Betrachtungen. Seit vielen Jahren gezwungen, seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit den schwierigsten Geschäften zu widmen, war er wenig in Gesellschaft gekommen, und er war daher Frauen gegenüber im allgemeinen schüchtern, bei Fräulein von Beaulieu insbesondere war er vollends befangen und konnte sich ihr niemals ohne heftiges Herzklopfen nähern. Diese kalte, ernste Claire brauchte bloß ihr ruhiges Auge auf ihn zu richten, und er verlor sofort seine ganze Haltung, so daß er oft kaum ein paar Phrasen zu stammeln vermochte und sich verzweifelt fragte, warum er nicht imstande sei, dem jungen Mädchen sein Herz zu eröffnen und sie all die geheimen Schätze, die es enthielt, sehen zu lassen.
Mit den ersten Novembertagen war Kälte eingetreten, so daß man sich nicht mehr gruppenweise auf der Terrasse unterhalten konnte und die Gäste des Schlosses sich nunmehr im großen Salon zusammen fanden. In diesem engeren Kreise fand Philipp öfters Gelegenheit, sich in günstigem Licht zu zeigen, nicht etwa, indem er von seiner Liebe sprach, denn sobald es sich um ihn selbst handelte, blieben seine Lippen geschlossen, sondern, wenn er sich über allgemeine Fragen äußerte, in denen er, von dem Baron und Octave unterstützt, die Richtigkeit seines Urteils und die Gründlichkeit seiner Kenntnisse offenbaren konnte. Doch Frau von Beaulieu hörte nur mit halbem Ohre zu und Claire arbeitete an ihrer Stickerei, ohne die Augen zu erheben. Durch die weitgeöffnete Thüre des Billardsaales ließ sich das fröhliche Lachen Susannens und des Marquis vernehmen, die mit Leidenschaft das Salon-Croquetspiel betrieben. Die beiden waren die einzigen, welche etwas Licht in das düstere Bild brachten. Vom ersten Tage an vereinigten sie sich zu gemeinsamer Unterhaltung und vergnügten sich miteinander wie zwei Kinder.
Tief ergrimmt, ihre schlauen Berechnungen mißlungen zu sehen, war Athénaïs mit ihrem Vater und dem Herzog nach Paris zurückgekehrt. Herr Moulinet machte noch einen Abschiedsbesuch in Beaulieu und wurde dabei von der Marquise höchst freundlich aufgenommen. Auf Claires Bitte erhellte sich die umdüsterte Stirn der Marquise, ihr Mund bemühte sich, zu lächeln und sie empfing den ehemaligen Handelsrichter mit all jener Rücksicht, wie sie dem Schwiegervater eines geliebten Neffen zukommt.
Damit übernahm auch die Mutter ihre Rolle in der von ihrer beleidigten Tochter arrangierten Komödie. Die Moulinets und der Herzog sollten der von Fräulein von Beaulieu öffentlich abgegebenen Erklärung vollen Glauben schenken und jeden Gedanken, als sei Claire die Beleidigte, von sich weisen. Der Herzog war höchlich erstaunt, sich urplötzlich unschuldig zu finden, nachdem er sich so tief schuldig gefühlt. Athénaïs bewunderte im stillen die Seelenstärke ihrer Rivalin, und da sie statt des erhofften Sieges eine Niederlage erlitten hatte, begann sie von neuem, auf Rache zu sinnen.
Ihre Vermählung, welche sie in Varenne mit großem Pomp in der Schloßkapelle zu feiern gehofft, sollte nun nach reiferer Ueberlegung in Paris stattfinden. Sie wußte, daß die von ihrem Vater geladene Bürgerschaft nicht in die Provinz kommen würde, um sich am Hochzeitszuge zu beteiligen, und die großen Familien des Landes, welche der Herzog einlud, würden sicherlich ferne bleiben. Sie befürchtete eine Blamage, der sie sich nicht aussetzen wollte. Zur Hochzeitsfeier ihrer künftigen Cousine, der »guten Claire«, wie sie dieselbe stets nannte, beschloß sie jedoch, nach Varenne zurückzukehren.
Die Abreise ihrer Rivalin war für Claire eine große Erleichterung und es schien ihr, als wäre die Luft dadurch rings umher reiner geworden. Ihr schönes Gesicht erheiterte sich und zeigte beinahe eine freudige Regung.
Philipp benützte diesen Sonnenstrahl guter Laune, um Frau von Beaulieu zu veranlassen, die künftige Wohnung ihrer Tochter in Augenschein zu nehmen.
Sein Vorschlag wurde mit Vergnügen angenommen und am nächsten Morgen fuhren die Schloßbewohner von Beaulieu nach Pont-Avesnes hinab.
Der erste Eindruck, den Fräulein von Beaulieu empfing, war ein günstiger. Der große Hof mit den alten Linden, das Schloß mit seinem Kranz von Obstbäumen gefielen Claire. Der Park mit seinen langen, düsteren Alleen versprach ihr Sammlung und Ruhe und die feierliche Oede der weiten Gemächer schien dem jungen Mädchen mit ihrer eigenen Melancholie zu harmonieren. Die Baronin, welche alle Zimmer der Reihe nach durchflog, schrie laut auf vor Freude und Ueberraschung, als sie die reichen Kunstschätze gewahrte, welche der Vater Philipps gesammelt; das Mobiliar à la Louis XIV. entzückte sie, und außer sich vor Bewunderung stand sie vor den prächtigen Gobelins, welche die Schlachten Alexanders darstellten. Seit die Antiquitätensucht zur Modekrankheit geworden ist, gehört es zum guten Ton, ein wenig sachverständiger in diesen Dingen zu sein und die Baronin, die oft bei Auktionen gewesen war, wußte mit wunderbarer Geläufigkeit die kostbaren geschnitzten Möbel und altsächsischen Bonbonnièren abzuschätzen.
Susanne und Octave waren nicht ins Schloß eingetreten, sondern hatten plaudernd einen Rundgang durch den Park gemacht und waren beim Karpfenteiche stehen geblieben, wo sie sich damit vergnügten, den Fischen Brotkrumen zuzuwerfen. Der Baron konnte der Anziehungskraft, welche die Nähe des Hüttenwerkes auf ihn ausübte, nicht widerstehen, und durch eine kleine, ihm wohlbekannte Allee schreitend, schlug er den Weg zu den Werkstätten ein.
Während die Baronin die Möbel vom Schlosse Pont-Avesnes inventierte und Philipp der Marquise die Honneurs machte, blieb Claire allein zurück. Sie gewahrte eine auf einen Perron hinausführende Balkonthüre, trat durch dieselbe ins Freie und stieg in den Park hinab. In der Ferne schlugen die Eisenhämmer lustig auf die Ambosse los, die Hochöfen glühten und pusteten, dicke Rauchwolken zum Himmel emporsendend, während der Park in geheimnisvoller Stille dalag. Dieser Kontrast gefiel Claire, und mit langsamen Schritten unter dem von den Herbststürmen geröteten Laub der hohen Bäume dahin wandelnd, verlor sie sich in ernstes Träumen.
Dieser düstere, öde Park erschien ihr der passende Rahmen für ihr künftiges Leben. Die abgestorbenen Zweige, die unter ihren Füßen knisterten, waren von den Bäumen abgefallen, wie die Hoffnungen von ihrem Herzen, und ihre Glücksträume waren verflogen, wie dies welke Laub, das sich nach allen Richtungen zerstreute. Mit bitterer Freude bemerkte sie die Traurigkeit der sie umgebenden Natur.
Wie diese dunkeln Alleen, die stumm und verlassen vor ihr lagen, so war auch ihr Inneres vereinsamt und öde. Bei einer Biegung des Weges sah sie plötzlich durch eine weite Lichtung die von der Herbstsonne hell beschienene Landschaft mit ihren fernhin sich erstreckenden fruchtbaren Gefilden wie ein plötzlich enthülltes Gemälde vor sich. Claire empfand eine heftige Erschütterung, denn sie hatte sich seit einigen Minuten so vollständig mit dieser traurigen Natur eins gefühlt, daß diese jähe Veränderung einen tiefen Eindruck auf ihre Sinne machte. War es möglich, daß die Heiterkeit so unmittelbar der Traurigkeit folgen konnte? Nach diesem düstern Park sonnige, heitere Ebenen! Sollte es mit ihr ebenso gehen? Konnten die Gefühle, die sie heute empfand, einen ähnlichen raschen Wechsel erleiden? Zornig wendete sich das junge Mädchen von der lachenden Aussicht hinweg, und in die Einsamkeit der finstern Alleen zurückkehrend, wies sie hartnäckig jede Glücksverheißung, die ihr die Zukunft zu machen schien, zurück.
Als erstaunt und beunruhigt über das lange Wegbleiben Claires die Marquise, Philipp und die Baronin nach ihr suchten, kam diese ihnen langsam aus dem Park entgegen. Sie sah ruhig und lächelnd aus und nur ihre noch feuchten Augen erzählten von ihren schmerzlichen Herzenskämpfen. Die Gesellschaft war bald wieder vereint und kehrte zum Diner nach Beaulieu zurück.
Nur acht Tage noch trennten Philipp und Claire von ihrem Hochzeitsfeste, das von dem Stolze der einen und von der Liebe des andern gleich heiß ersehnt wurde. Je näher der bestimmte Zeitpunkt kam, desto aufgeregter und nervöser wurde Claire, und wer sie in dieser letzten Woche sah, mußte glauben, daß diese Verbindung sie in der That glücklich mache, sosehr wollte sie dieselbe beschleunigt wissen. Sie schien fortwährend von der Furcht erfüllt, daß noch im letzten Momente ein Hindernis eintreten könnte.
Als man die Einladungskarten versenden sollte, faßte Fräulein von Beaulieu einen Entschluß, der ihre Umgebung in das höchste Staunen versetzte. Sie wünschte nämlich, daß die Trauungsceremonie ohne jeden Pomp in der kleinen Kirche von Pont-Avesnes um Mitternacht stattfinden solle, und daß außer den Familienmitgliedern niemand zugegen sein möge.
Claire bestand, ohne Gründe für ihren Beschluß anzuführen, fest auf ihrem Willen und ertrug ruhig, aber ohne nachzugeben, die Bestürmungen der Ihrigen.
Eine Trauung um Mitternacht! Das war schon sonderbar genug, obwohl diese Mode im Faubourg Saint-Germain noch herrschte. Eine nächtliche Messe! Kein Zweifel – das sollte Trauer bedeuten. – Claire betrachtete sich als die Witwe des Herzogs. Indes mit dieser nächtlichen Ceremonie konnte man sich schließlich noch befreunden, aber niemand dazu einladen? Das war zu arg!
Würde es nicht scheinen, als fürchte man sich vor der Welt und als ob Fräulein von Beaulieu sich ihrer Wahl schäme? Auch könnte dies ja Unglück bringen!
Dieser letzte Punkt wurde von der Baronin zur Geltung gebracht, hatte aber ebenso wenig Erfolg, als alle andern Gründe.
Philipp erklärte, als man ihn um seine Meinung befragte, daß ihm alles, was Fräulein von Beaulieu wünsche, vortrefflich erscheine und daß er in ihrem Verlangen nichts Unzukömmliches finde.
Da der Hauptbeteiligte keine Schwierigkeiten erhob, legte sich auch bald die Opposition der andern. Nur die Baronin war sehr verdrießlich – sie hatte aus Paris eine prachtvolle Robe zu dieser Gelegenheit kommen lassen – und meinte, »daß dies eine Heirat wäre, wie sie in den Volksdramen vorkomme, wenn der zum Tode Verurteilte vom Könige die Erlaubnis bekommt, seine Geliebte, bevor er das Schaffot besteigt, im Kerker heiraten zu dürfen.«
Die Unterzeichnung des Kontraktes fand am Vorabend des großen Tages statt und Herr Bachelin bewies beim Lesen des Ehekontraktes eine außerordentliche Geschicklichkeit. Der alte Praktikus stotterte so unverständliches Zeug zusammen, daß Claire, selbst wenn sie aufmerksam zugehört hätte, über den Inhalt nicht klar geworden wäre. Fräulein von Beaulieu blieb demnach in vollständiger Unkenntnis über den Verlust ihres Vermögens, und als ihr der Notar, der aufgeregter und mehr gerührt war als sie selbst, die Feder darbot, unterzeichnete sie ein Aktenstück, das ihr, ohne daß sie es ahnte, die Hälfte des Vermögens des Herrn Derblay zusicherte.
Nach der Unterzeichnung des Kontraktes fühlte sich Philipp bedeutend erleichtert, doch gestand er später, daß er erst dann wirklich ruhig geworden sei, als Claire auf die Frage des Maire mit fester Stimme ihr Jawort gab.