Georges Ohnet
Der Hüttenbesitzer – Erster Band
Georges Ohnet

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Zweites Kapitel

Zur selben Zeit, als der junge Marquis, mit dem Wildbret belastet, dem Schlosse zuschritt, saßen in dem großen Salon desselben Frau von Beaulieu und Claire, den Abend des schönen Tages genießend. Durch die hohen, offenstehenden Balkonthüren, welche auf den Perron führten, flutete die Sonne herein und schimmerte auf dem gebräunten Gold der breiten Bilderrahmen, aus denen die Ahnen in ihren Ceremonien-Kostümen lächelnd oder ernst herabblickten. Das Mobiliar à la Louis XVI., von weißlackiertem geschnitzten Holz, mit wassergrünen Randleisten, war mit Petit-Point-Stickereien bedeckt, welche die Verwandelungen Ovids darstellten. Ein breiter, niedriger Wandschirm, mit Genueser Samt bespannt, umgab die bequeme Bergère, in der die Marquise es sich bequem gemacht hatte, während sie mit großer Emsigkeit Wollhauben für die kleinen Dorfkinder strickte.

Frau von Beaulieu hatte die Vierzig überschritten. Ihr ernstes, mildes Gesicht war von fast schon weißem Haar gekrönt, das ihr ein sehr vornehmes Aussehen verlieh. Ihre schwarzen melancholischen Augen schienen noch feucht von den Thränen, die sie im geheimen vergossen. Von zartem, schmächtigem Körperbau und delikater Gesundheit, mußte die Marquise eine höchst ruhige, vorsichtige Lebensweise führen. So war auch heute trotz des warmen Tages ein großer Shawl über ihre Kniee gebreitet, der ihre kleinen Füße, die sie aus beharrlicher Koketterie stets mit leichten Atlasschuhen bekleidete, vor der frischen Luft bewahren sollte.

Versunken in einen großen Fauteuil, den Kopf zurückgelehnt, mit müßigen Händen, starrte Claire auf den herrlichen Horizont, der sich vor ihr aufthat, ohne ihn zu sehen. Schon seit mehr als einer Stunde saß sie so regungslos und schweigend da, sich von der Sonne bescheinen lassend, die ihre blonden Haare wie mit einem Glorienscheine umstrahlte.

Die Marquise blickte seit einigen Minuten mit lebhafter Unruhe auf ihre Tochter. Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen, und um Claires Aufmerksamkeit zu erregen, schob sie geräuschvoll den Korb mit den Wollknäueln hin und her, indem sie diese Bewegung stets mit einem bedeutungsvollen: »Hm! hm!« begleitete. Das junge Mädchen, welches mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit ihren Gedanken folgte, blieb jedoch unempfindlich gegen dies indirekte Rufen. Da legte die Marquise verdrießlich die Arbeit nieder und rief mit einem leichten Anfluge von Groll:

»Claire! Claire!«

Fräulein von Beaulieu schloß einen Moment die Augen, wie um ihrem Traume lebewohl zu sagen, und ohne den Kopf zu bewegen, bloß ihre weißen, schönen Hände leicht erhebend, antwortete sie: »Mama!«

»Woran denkst du?«

Claire blieb eine Weile stumm. Eine Falte legte sich auf ihre Stirne. Sie suchte indes sich zu beherrschen und erwiderte mit ruhiger Stimme:

»Ich dachte an gar nichts, Mama. Die warme Luft hatte mich eingeschläfert . . . Weshalb haben Sie mich gerufen?«

»Damit du mit mir sprichst,« sagte die Marquise im Tone zärtlichen Vorwurfes, »damit du nicht so stumm und in dich gekehrt dasitzest.«

Fräulein von Beaulieu wendete ihrer Mutter ihr schönes, trauriges Antlitz zu. Und als wollte sie den Ideengang wieder laut aufnehmen, dem sie früher im stillen gefolgt, sagte sie:

»Wie lange ist es wohl, daß wir keinen Brief von Petersburg erhalten?«

Die Marquise schüttelte den Kopf, was wohl heißen sollte: Ich wußte wohl, um was es sich handelt. Hierauf erwiderte sie mit gezwungener Ruhe:

»Es sind zwei Monate ungefähr.«

»Zwei Monate, ja!« wiederholte Claire mit schmerzlichem Seufzer.

Nun verlor die Marquise die Geduld. Sie erhob sich rasch, setzte sich ans Fenster ihrer Tochter gegenüber und ergriff deren Hände.

»Aber sieh doch, mein Kind, warum unaufhörlich daran denken und deinen Geist vergebens martern?«

»Woran wollen Sie denn, daß ich denke,« erwiderte Claire mit Bitterkeit, »wenn nicht an meinen Verlobten? Und wie sollte ich nicht, wie Sie sagen, meinen Geist martern, um die Beweggründe seines Schweigens zu finden?«

»Ich gestehe,« sagte die Marquise, »daß es schwer hält, dasselbe zu erklären. Nachdem der Herzog von Bligny, mein Neffe, im letzten Jahre acht Tage bei uns weilte, reiste er ab und versprach, im Laufe des Winters wieder hier zu sein. Zuerst schrieb er, daß eine politische Komplikation ihn auf seinen Posten banne. Dann, als der Winter zu Ende war, schützte er vor, den Sommer abwarten zu wollen, um nach Frankreich zurückzukehren. Der Sommer ist gekommen, aber der Herzog kommt nicht. Nun haben wir bereits den Herbst, und Gaston gebraucht nicht einmal einen Vorwand mehr, ja er nimmt sich nicht einmal die Mühe, uns zu schreiben. Nehmen wir an, daß es bloß aus Nachlässigkeit geschehe, so wäre es auch schon zu viel. Meine Tochter, alles entartet: sogar die Männer unserer Gesellschaft haben die Höflichkeit verlernt.«

Die Marquise richtete ihr vorzeitig gebleichtes Haupt empor, das ihr so viel Aehnlichkeit mit den vornehmen gepuderten Damen verlieh, die rings an den Wänden lächelten.

»Aber wenn er krank wäre?« wagte Claire, sogleich zur Verteidigung des Geliebten bereit. »Wenn es ihm unmöglich wäre, uns Nachrichten zukommen zu lassen?«

»Das ist nicht anzunehmen,« versetzte ohne Mitleid die Marquise. »Die Gesandtschaft würde uns davon benachrichtigt haben. Sei versichert, daß er sich sehr wohl befindet, frisch und fröhlich ist und daß er während des ganzen Winters in der hohen Petersburger Gesellschaft den Kotillon geleitet hat.«

Ein nervöses Zucken entstellte das Gesicht Claires. Sie erblaßte, wie wenn alles Blut ihrer Adern zu ihrem Herzen zurückgeströmt wäre. Nach einer kurzen Pause sagte sie mit erzwungenem Lächeln:

»Er versprach mir mit Gewißheit, den Winter in Paris zu verbringen: wie freute ich mich, an seiner Seite in der Gesellschaft zu erscheinen! Ich hätte über seine Erfolge triumphiert. Vielleicht würde er dann auch die meinigen bemerkt haben. Uebrigens muß ich gestehen, Mama, daß er durchaus nicht eifersüchtig ist, und doch hätte er vielleicht Ursache, es zu sein; denn überall, wo wir hinkamen, wurde ich stets mit Huldigungen überhäuft, ja, selbst hier, in unserem einsamen Beaulieu, werden sie mir dargebracht und bis auf unsern Nachbar, den Hüttenbesitzer, der sich dreinmengt . . .«

»Herr Derblay?«

»Herr Derblay, ja, Mama. Sonntag, während der Messe – Sie haben es nicht bemerkt, Sie sind zu andächtig – las ich in meinem Buche, aber ohne zu wissen, weshalb, fühlte ich mich beunruhigt. Eine Gewalt, mächtiger als mein Wille, zog meine Aufmerksamkeit an sich. Widerstrebend wendete ich mich um und im Schatten einer Säule bemerkte ich Herrn Derblay.«

»Er betete.«

»Nein, Mama, er sah mich an. Unsere Augen begegneten sich und ich las in den seinen stumme Bewunderung. Ich neigte den Kopf und bemühte mich, nicht mehr hinzusehen. Beim Hinausgehen fand ich ihn in der Vorhalle. Er getraute sich nicht, mir Weihwasser anzubieten, und als wir vorbeigingen, verbeugte er sich tief und ich fühlte, daß sein Blick mir folgte. Wie es scheint, war dies heuer das erste Mal, daß man ihn in der Messe sah.«

Die Marquise erhob sich und indem sie zu ihrer Bergère zurückkehrte, sagte sie:

»Gut, auch das eine Mal wird zu seinem Seelenheil beitragen. Aber statt dir verliebte Augen zu machen, sollte er uns lieber für die Eingriffe entschädigen, die er an unsern Grenzen sich zu machen erlaubte. Ich finde ihn höchst lächerlich mit seinen stummen Huldigungen, und du mußt wirklich sehr gelangweilt sein, um dich mit den Seufzern dieses Eisenschlägers zu beschäftigen, der uns eines Tages mit seinem Hämmern noch taub machen wird.«

»Mama, die Huldigungen des Herrn Derblay sind ehrerbietig und ich habe keine Ursache, mich über dieselben zu beklagen. Ich gedenke des Hüttenbesitzers nur, um ihn den andern anzureihen. Schließlich, das Frauenherz ist veränderlich, sagt man . . . Der Herzog ist nicht hier, um sein Gut zu verteidigen . . . Und ich, in der Rolle der Penelope, unaufhörlich die Rückkehr desjenigen erwartend, der nicht kommt, könnte endlich derselben müde werden. Gaston sollte wohl daran denken . . . aber er denkt nicht daran . . . Und ich bleibe vereinsamt, geduldig, treu . . .«

»Damit hast du eben unrecht!« fiel die Marquise lebhaft ein. »Ich, wenn ich an deiner Stelle wäre . . .«

»Nein, Mama,« unterbrach sie, mit ernster Festigkeit Claire. »Ich habe nicht unrecht, aber ich habe auch keinerlei Verdienst dabei, denn ich liebe den Herzog von Bligny.«

»Du liebst ihn!« rief die Marquise mit unverhehlter Erregung. »Wie du nur immer überspannt bist! Aus einer Jugendfreundschaft eine tiefe Herzensneigung, aus einem Verwandtschaftsbande eine unzerreißbare Kette machen zu wollen! Gaston und du, ihr seid miteinander aufgewachsen, und du glaubtest, daß dieses gemeinschaftliche Leben sich verewigen müsse und daß du ohne den Herzog nicht glücklich sein könntest . . . Thorheiten all dies, mein Kind!«

»Mama!« schrie Claire auf.

Doch die Marquise war zu weit gegangen und die Gelegenheit, ihr Herz zu erleichtern, zu günstig, als daß sie dieselbe entschlüpfen lassen wollte.

»Du machst dir große Illusionen über den Herzog . . . Er ist in Wirklichkeit jedoch leichtsinnig, frivol; er hat, wie du weißt, Unabhängigkeitsgelüste, die er nicht wird ändern können, und ich sehe in der Zukunft viele Enttäuschungen für dich voraus. Höre! willst du alle meine Gedanken kennen? Nun, ich sehe nicht ohne tiefe Besorgnis dieser Verbindung entgegen!«

Claire hatte sich emporgerichtet und eine glühende Röte stieg in ihre Wangen. Die beiden Frauen blickten eine Weile einander schweigend an. Es schien, als ob das erste Wort, das zwischen ihnen gesprochen werden sollte, eine ungewöhnliche Bedeutung haben würde. Fräulein von Beaulieu vermochte nicht, an sich zu halten, und mit erregter Stimme sagte sie:

»Mama, es ist das erste Mal, daß Sie in dieser Weise zu mir sprechen. Es scheint, als wollten Sie mich auf eine schlechte Nachricht vorbereiten. Sollte die Abwesenheit des Herzogs Beweggründe haben, die Sie mir verbergen? Sollten Sie erfahren haben . . .«

Die Marquise schrak vor der heftigen Aufregung ihrer Tochter zurück. Mehr denn je begriff sie, wie tief und unerschütterlich die Neigung Claires sei. Sie sah, daß sie zu weit gegangen und trat sogleich den Rückzug an:

»Nein, mein Kind, ich weiß nichts; man hat mir nichts gesagt. Ich finde sogar, daß man mir nicht genug sagt. Ein so langes Stillschweigen meines Neffen befremdet mich . . . Gaston scheint die Diplomatie etwas zu weit zu treiben.«

Claire beruhigte sich. Sie schrieb den heftigen Ausfall ihrer Mutter einer momentanen Indignation zu, welche sie selbst gerecht zu finden nicht umhin konnte. Indem sie sich bemühte, ihre Heiterkeit wieder zu gewinnen, erwiderte sie:

»Habe noch ein wenig Geduld, Mama! Der Herzog denkt an uns, ich bin dessen gewiß. Und er wird, um uns zu überraschen, unangemeldet aus Petersburg zurückkehren.«

»Ich wünsche es, meine Tochter, weil es dein Wunsch ist. Jedenfalls kommt heute mein Neffe, von Préfont, mit seiner Frau aus Paris. Vielleicht sind sie besser unterrichtet als wir.«

»Sehen Sie, Mama, Octave ist schon zurück, er betritt eben mit Herrn Bachelin die Terrasse,« sagte lebhaft Claire, während sie eiligst aufstand, froh, der peinlichen Unterredung zu entschlüpfen.

Das junge Mädchen verließ den Salon. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt und stand im Vollglanze ihrer Schönheit. Ihre hohe Gestalt war von auserlesener Eleganz und ihre Arme, an prächtige Schultern bewunderungswürdig schön gefügt, endeten in königliche Hände. Ihre goldblonden Haare in einen Knoten gefesselt, ließen einen runden Nacken von rosiger Weiße sehen. Wie sie so mit leicht geneigter Haltung, den Arm auf das Eisengeländer des Perrons gestützt, dastand, mechanisch eine der Blumen zerpflückend, die sich dort hinaufrankten, stellte sie die lebendige Verkörperung der Jugend in ihrer ganzen Kraft und Anmut dar.

Frau von Beaulieu blickte eine Weile mit bewundernden Augen ihrer Tochter nach, dann schüttelte sie schweigend den Kopf und stieß einen schmerzlichen Seufzer aus.

Die Schritte der beiden Ankommenden knirschten auf dem Sande der Terrasse und ihre Stimmen klangen verworren bis zum Salon herauf. Der Notar Bachelin war ein kleines Männchen von ungefähr sechzig Jahren, hübsch abgerundet durch die gezwungene Inaktivität seines Büreaulebens. Die Haare silberweiß, das rote Gesicht sorgfältig rasiert, schwarz gekleidet, mit blendend weißen Handkrausen war er der vollendete Typus eines Dorfnotars unter dem alten Regime. Er war seinen vornehmen Klienten treu ergeben, sprach das »Frau Marquise« stets mit devoter Salbung aus und führte erbrechtlich die Angelegenheiten der Familie von Beaulieu. Vom Vater auf den Sohn waren die Bachelins die Notare der Gutsherren, und mit Stolz bewahrte der letzte dieser ehrenwerten Beamten in seiner Schreibstube Urkunden aus der Zeit Louis XI., auf denen die schwerfällige Unterschrift des Marquis Honoré Oufroy, Jacques, Octave neben dem zierlichen Namenszuge des königlichen Notars Joseph Antoine Bachelin prangte.

Die Rückkehr der Besitzer von Beaulieu in ihr Stammschloß machte dem trefflichen Manne große Freude. Er, der lange genug über die Abwesenheit seiner adeligen Klienten geseufzt, war wieder in Gnaden aufgenommen. In dem eifrigen Bemühen, seine Kenntnisse geltend zu machen, bot er der Marquise seine Dienste an, um die arg verwickelten Fäden des Prozesses in England zu entwirren. Seit sechs Wochen stand er mit dem Sollicitator in lebhafter Korrespondenz, welche den ins Stocken geratenen Prozeß wieder in Fluß brachte, und hatte in dieser kurzen Zeit die Sache überhaupt mit solchem Nachdruck betrieben, daß er mehr geleistet als die andern Advokaten in zehn Jahren. Trotz der fatalen Befürchtungen, die der gesetzeskundige Mann über das Resultat des Prozesses hegte, war die Marquise entzückt von der Hingebung und dem Eifer des Notars. Sie erkannte in ihm einen jener treu ergebenen Diener, welche würdig sind, zum Range eines Freundes erhoben zu werden, und sie behandelte ihn demgemäß auch als solchen.

Auf dem Wege zum Schlosse war der Notar dem jungen Marquis begegnet und als er dessen reichgefüllte Jagdtasche bemerkte, nahm er ihm mit Gewalt das Gewehr ab, welches er nun in der linken Hand trug, indes sein rechter Arm eine umfangreiche, mit Briefschaften gefüllte Mappe festhielt.

»O, mein armer Herr Bachelin, wie arg behemmt müssen Sie sich fühlen!« rief Claire heiter dem Notar zu, der, während er eiligst die Stufen des Perrons hinanstieg, den Hut zu lüften versuchte und gleichzeitig einige ceremonielle Verbeugungen machen wollte.

»Meine Hochachtung, gnädiges Fräulein! Wie Sie sehen, vereinige ich in diesem Momente die Attribute des Rechtes mit denen der Stärke . . . Das Gesetzbuch unter dem einen Arm, die Flinte unter dem andern . . . doch, die Flinte unter dem linken Arm . . . Cedant arma togae! . . . Verzeihung, Fräulein, Sie verstehen mich alten Schulfuchs gewiß nicht?«

»Nun, so viel Latein versteht meine Schwester schon,« rief lachend der Marquis. »Und nun bitte, geben Sie mir meine Flinte wieder . . . So, ich danke . . .«

»Du scheinst heute ganz besonderes Jagdglück gehabt zu haben,« sagte Fräulein von Beaulieu, indes sie ihren Bruder an der Schwelle des Salons anhielt und ihm die schwere Jagdtasche abnahm.

»Ich will bescheiden sein und mich nicht mit fremden Federn schmücken . . . Dies Wildbret wurde nicht von mir erlegt.«

»Von wem sonst?«

»Das weiß ich nicht. Wahrhaftig nicht!« bestätigte der Marquis, da seine Schwester eine erstaunte Miene machte. »Ich hatte mich in den Waldungen von Pont-Avesnes verirrt, als ich auf einen Jäger stieß, der mich anhielt und mich in ziemlich barschem Tone fragte, wer ich sei. Kaum nannte ich jedoch meinen Namen, als er nicht nur versöhnlich, sondern sogar sehr liebenswürdig that und mir, fast mit Gewalt, den Inhalt seiner Jagdtasche aufdrängte.«

»Das ist in der That höchst seltsam,« sagte Fräulein von Beaulieu. »Wollte dieser Mann nicht etwa sich über dich lustig machen?«

»Meiner Treu, nein, ich glaube nicht, es schien weit eher, als sei ihm viel daran gelegen, mir angenehm zu sein . . . Nachdem er seine Höflichkeit angebracht, entfernte er sich so rasch, daß es mir unmöglich wurde, sein Anerbieten zurückzuweisen.«

»Wollen Sie mir eine Frage gestatten, Herr Marquis?« sagte der Notar, der dieser Erzählung aufmerksam gefolgt war.

»O gewiß, ich bitte Sie darum, mein lieber Bachelin.«

»Wie sah denn der besagte Jäger aus?«

»Er war ein großer, robuster Mann, sehr brünett, mit einem alten grauen Filzhute und einer Bluse bekleidet.

»Ah! So! Das ist er!« sagte der Notar. »Ich bin in der Lage, Herr Marquis, Ihnen über den geheimnisvollen Geber Auskunft zu erteilen. Es ist Herr Derblay.«

»Wie! Herr Derblay?« rief der Marquis aus, »in einer Bluse wie ein Bauer und mit einem zerknüllten Hute wie ein Wilddieb? Unmöglich!«

»Vergessen Sie nicht, Herr Marquis,« sagte mit feinem Lächeln der Notar, »daß wir hier eigentlich alle bäuerliche Jäger sind. Ich, der ich doch gewöhnlich viel darauf halte, gut gekleidet zu sein, wenn Sie mir auf der Jagd bei der Wendung eines Waldpfades begegnen, ich würde Ihnen sicherlich Schrecken einflößen. Es ist Herr Derblay, seien Sie dessen gewiß. Und würde ich ihn nicht an ihrer getreuen Schilderung erkennen, so würde das liebenswürdige Anerbieten, das er ihnen gemacht, genügen, jeden Zweifel in mir zu zerstreuen. Er war es gewiß!«

»So! Nun, dann war ich meinerseits keineswegs artig! Ich sagte, von ihm selber sprechend, daß er ein unbequemer Nachbar sei . . . und dergleichen unangenehme Dinge mehr . . . Ich muß wahrlich zu ihm gehen, um mich zu entschuldigen . . .«

»Sie werden das gar nicht nötig haben, Herr Marquis, und wenn Sie meinen Besuch Ihrer Frau Mama melden wollen, so werde ich in deren Gegenwart Ihnen über gewisse Thatsachen berichten, die gewiß Ihre Meinung über Herrn Derblay ändern werden.«

»Desto besser; ich verlange es gar nicht anders,« sagte Octave, während er sich seines Jagdgerätes entledigte. »Dieser Hüttenbesitzer hat ganz das Aussehen eines liebenswürdigen Kameraden.«

Der Marquis trat hierauf in den Salon ein, und Frau von Beaulieu ehrfurchtsvoll die Hand küssend, sagte er:

»Herr Bachelin ist da, Mama, und wünscht Sie zu sprechen.«

»Warum kommt er denn nicht herein?« erwiderte lebhaft die Marquise. »Seit zehn Minuten höre ich euch schon auf dem Perron plaudern. Guten Tag, mein lieber Bachelin . . .«

Der Notar verbeugte sich so tief, als ihm dies seine gedrungene Gestalt erlaubte.

»Bringen Sie mir gute Nachrichten?« fügte die Marquise hinzu.

Das lächelnde Gesicht Bachelins veränderte sich, es wurde ernst und kummervoll. Und die ihm gestellte Frage umgehend, antwortete der Notar mit ernstem Tone:

»Ich bringe Ihnen Nachrichten, ja wohl, Frau Marquise . . .« Und als wolle er rasch einen andern Ideengang aufnehmen, fuhr er fort:

»Ich war heute Morgen in Pont-Avesnes bei Herrn Derblay. Alle Schwierigkeiten, die zwischen Ihnen und ihm in der Frage über die beiderseitigen Grenzen bestanden, sind geebnet. Mein ehrenwerter Freund nimmt alle Bedingungen an, welche Sie ihm zu stellen belieben und ist glücklich, sich Ihrem Ermessen fügen zu können.«

»Oh, wenn dem so ist,« sagte die Marquise mit leichter Verlegenheit, »dann wollen wir ihm gar keine Bedingungen machen. Von dem Momente, wo es keinen Streit gibt, gibt es auch weder Sieger, noch Besiegte. Die Angelegenheit soll Ihrem Schiedsspruche unterbreitet werden und ich billige im voraus alles, was Sie für gut finden.«

»Das ist ein Entschluß, der mich entzückt, und ich bin glücklich darüber, daß das gute Einvernehmen zwischen dem Hüttenwerk und dem Schlosse wiederhergestellt ist. Es bleibt nur noch die Unterfertigung der Friedenspräliminarien. Zu diesem Zwecke will sich Herr Derblay mit seiner Schwester in Beaulieu vorstellen, um Ihnen, Frau Marquise, zugleich seine Ehrerbietung zu bezeigen, wenn Sie überhaupt geruhen, ihn dazu zu autorisieren . . .«

»Gewiß, gewiß! Er möge nur kommen! Es wird mir sehr angenehm sein, ihn endlich einmal zu sehen, diesen Cyklopen, der das ganze Thal schwärzt . . . Doch ich vermute, daß es nicht dieser Friedensvertrag allein ist, der Ihr Portefeuille so anschwellt,« sagte Frau von Beaulieu, auf die Mappe des Notars deutend. »Sie bringen mir wahrscheinlich neue Dokumente für unsern englischen Prozeß?«

»Ja, Frau Marquise, ja,« erwiderte Bachelin mit sichtlicher Unruhe. »Wenn Sie wünschen, so wollen wir von Geschäften reden . . .«

Der Notar sah die Marquise mit bittendem Blicke an und wies dabei auf ihren Sohn und ihre Tochter. Die Marquise verstand ihn. Eine unbestimmte Besorgnis bedrückte ihr Herz. Was hatte ihr Vertrauensmann ihr denn so Wichtiges mitzuteilen, daß er eine geheime Sitzung für nötig erachtete? Doch die Marquise war eine entschlossene Frau, ihr Zögern währte nicht lange und, sich zu ihrem Sohne wendend, sagte sie:

»Octave, sieh doch nach, ob Befehl gegeben wurde, nach dem Bahnhofe zu fahren, um unsere Gäste abzuholen, die um fünf Uhr ankommen.«

Bei diesen Worten erhob Claire den Kopf, ihr Bruder zitterte, denn die Absicht der Marquise war nicht mißzuverstehen; sie gebrauchte einen Vorwand, um ihren Sohn zu entfernen. Zwischen diesen drei Wesen, die sich zärtlich liebten, herrschte eine geheime Befangenheit, die sie sich gegenseitig zu verbergen suchten. Claire und Octave, ohne weiter zu fragen, lächelten ihrer Mutter zu und zogen sich zurück, indem jedes eine entgegengesetzte Richtung einschlug.

Fräulein von Beaulieu stieg langsam in den Garten hinab. Der Gedanke überkam sie plötzlich, daß der Notar Nachrichten von dem Herzoge bringen könne. Und in dieser Erregung, unfähig, in dem Wirrsale der in ihrem Gehirne stürmenden Ideen eine einzige festzuhalten, wandelte sie, ohne zu wissen wie lange, unter den hohen Bäumen auf und nieder.

Im Salon blieben die Marquise und Herr Bachelin allein zurück. Der Notar bemühte sich nicht mehr, seinem Gesichte einen lächelnden Ausdruck zu verleihen. Er war nun ernst und gesammelt. Frau von Beaulieu verblieb einen Moment schweigend, als wolle sie bis zur letzten Minute die Ruhe genießen, die sie noch besaß; dann fragte sie gefaßt:

»Nun, mein lieber Bachelin, was haben Sie mir mitzuteilen?«

Der Notar schüttelte traurig das weiße Haupt.

»Nichts Gutes, Frau Marquise, und das ist für mich alten Diener Ihrer Familie Ursache lebhaften Bedauerns. Der Prozeß, den bei seinen Lebzeiten der selige Marquis von Beaulieu, Ihr Gemahl, gegen die Seitenlinie in England angestrengt hatte, ist ernstlich bedroht.«

»Sie sagen mir nicht die volle Wahrheit,« unterbrach ihn die Marquise. »Wenn Sie noch einen einzigen Hoffnungsschimmer hätten, wären Sie nicht so niedergeschlagen. Sprechen Sie, ich bin stark, ich kann alles hören. Die englischen Gerichte haben entschieden? Der Prozeß ist verloren?«

Der Notar fand nicht den Mut, zu antworten. Er machte eine Gebärde, die dem trostlosesten Geständnisse gleichkam. Die Marquise biß krampfhaft in ihre Lippen, eine Thräne glänzte am Rande ihrer Wimpern, von der heißen Glut, die ihr zu Gesichte stieg, sofort getrocknet.

Herr Bachelin, sehr bestürzt, begann mit raschen Schritten das Gemach zu durchmessen. Er hatte allen Respekt verloren, vergaß völlig, wo er sich befand, und von seiner Erregung fortgerissen, lebhaft gestikulierend, als studiere er in seinem Arbeitskabinett eine schwierige Angelegenheit, rief er:

»Der Prozeß ist schon zu Beginn verpfuscht worden! Diese Sollicitatoren sind Esel! Und dabei habgierig! Sie schreiben Ihnen einen Brief, das muß bezahlt werden . . . Sie antworten ihnen, sie lesen die Antwort, muß gleichfalls bezahlt werden . . . Wenn der Marquis nur mich um Rat gefragt hätte! Doch er weilte damals in Paris und sein Sachwalter hat ihn irre geführt . . . Auch Esel, diese Pariser Sachwalter! Leichtsinnige Gesellen, die nur ihren eigenen Vorteil im Auge haben!«

Plötzlich stehen bleibend, schlug er die Hände zusammen: »Das ist ein schrecklicher Schlag für das Haus Beaulieu.«

»In der That, ein schrecklicher Schlag,« sagte die Marquise, »der den Ruin meines Sohnes und meiner Tochter nach sich zieht. Es wird nicht weniger als zehn Jahre strenger Sparsamkeit brauchen, um mit meinem Vermögen unsere zerrütteten Finanzen wieder herzustellen!«

Herr Bachelin hatte aufgehört, im Salon umherzurennen. Seine Ruhe war wiedergekehrt und er hörte nun mit achtungsvoller Rührung der Marquise zu. Er wußte, daß der Verlust des Prozesses unwiderruflich sei; er hatte soeben das Urteil erhalten, gegen das keine Appellation möglich war. Die geringschätzige Sorglosigkeit des Marquis hatte seinen Gegnern so bedeutende Vorteile gebracht, daß der Prozeß unhaltbar geworden war.

»Ein Unglück kommt selten allein,« fing die Marquise wieder an. »Haben Sie mir etwa noch mehr schlimme Dinge zu berichten? Sagen Sie mir lieber gleich alles,« fügte sie mit resigniertem Lächeln hinzu. »Ich glaube nicht schwerer getroffen werden zu können, als ich es schon bin.«

»Ich wünschte, diesen Glauben teilen zu können, Frau Marquise. Das, was ich Ihnen noch zu sagen habe, würde mir weniger peinlich fallen . . . Aber ich kenne das Zartgefühl Ihres Herzens und befürchte, daß von den beiden Unglücksfällen der Geldverlust Ihnen weniger schmerzlich scheinen dürfte . . .«

Die Marquise erbleichte, eine außerordentliche Aufregung erfaßte sie. Sie ahnte, was ihr Notar ihr sagen wollte und unfähig, an sich zu halten, rief sie:

»Sie haben Nachrichten vom Herzog von Bligny?«

»Ich wurde von Ihnen, Frau Marquise, beauftragt, mich über das jeweilige Thun und Lassen Ihres Herrn Neffen zu informieren,« sagte der Notar mit einem Anfluge von Geringschätzung, charakteristisch genug bei einem so eifrigen Verehrer der Aristokratie. »Ich bin Ihrem Befehle von Fall zu Fall nachgekommen, und die jüngsten Erkundigungen lauten: Der Herzog von Bligny weilt seit sechs Wochen in Paris.«

»Seit sechs Wochen,« wiederholte verblüfft die Marquise. »Und wir wissen es nicht?«

»Ihr Herr Neffe wird sich wohl gehütet haben, es Sie wissen zu lassen . . .«

»Und er ist nicht zu uns gekommen! Und kommt noch immer nicht, obwohl er das Unglück, das uns betroffen, kennt! Denn er kennt es, nicht wahr?«

»Er war einer der ersten, Frau Marquise, die es erfahren haben!«

Frau von Beaulieu machte eine Gebärde schmerzlicher Ueberraschung und sagte im Tone tiefer Betrübnis:

»Ja, Sie haben recht, Bachelin, diese Nachricht berührt mich grausamer als der Geldverlust. Der Herzog sagt sich von uns los. Er ist nicht gekommen und wird nicht kommen, ich ahnte es. Was er von uns wollte, war das Vermögen . . . Das Vermögen ist verschwunden, der Verlobte zieht sich zurück . . . Das Geld ist die Parole unseres feilen, habgierigen Zeitalters. Die Schönheit, die Tugend, die Intelligenz, sie zählen nicht mehr! Man sagt nicht mehr: Platz dem Würdigsten! man ruft: Platz dem Reichsten! Gestern arm geworden, kennt man uns heute nicht mehr!«

Bachelin hörte gelassen den heftigen Ausbruch dieses tief gekränkten Mutterherzens an. Wider seinen Willen konnte der Notar jedoch einer geheimen Befriedigung sich nicht erwehren. Seine rote Gesichtsfarbe war wiedergekehrt und mechanisch rieb er sich die Hände hinter dem Rücken.

»Frau Marquise,« sagte er, »ich glaube, Sie thun unserer Zeit Unrecht. Gewiß, die positiven Ideen sind gegenwärtig die herrschenden und die natürliche Habgier des Menschengeschlechtes hat beträchtliche Fortschritte gemacht; aber man muß darum noch nicht alle Zeitgenossen in Bausch und Bogen verdammen. Es gibt noch uneigennützige Männer, denen die Schönheit, die Tugend und die Intelligenz Güter sind, welche eine Frau über alles begehrenswert machen. Ich sage nicht, daß ich gerade viele solcher Menschen kenne, aber ich kenne immerhin einen . . . und das genügt.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte erstaunt die Marquise.

»Einfach dies,« fuhr der Notar fort, »daß nämlich ein sehr ehrenwerter Mann, einer meiner Freunde, Fräulein von Beaulieu nicht sehen konnte, ohne sich sterblich in sie zu verlieben. Ihr Verhältnis zum Herzog kennend, würde er nie gewagt haben, seine Gefühle zu offenbaren; doch heute, da er sie frei weiß, wird er sich äußern, wenn Sie geruhen, es zu gestatten.«

Die Marquise blickte Herrn Bachelin unverwandt an. »Es ist Herr Philipp Derblay, nicht wahr?«

»Ja, Frau Marquise, er ist es,« antwortete kühn der Notar.

»Ich kenne die Gefühle, welche meine Tochter dem Hüttenbesitzer eingeflößt,« erwiderte Frau von Beaulieu, »er macht kein Geheimnis daraus.«

»Deshalb, weil er Fräulein von Beaulieu liebt und aufrichtig liebt!« rief eifrig der Notar. »Aber Sie kennen Herrn Derblay nicht und vermögen daher nicht seinen Wert zu beurteilen.«

»Ich weiß, daß er überall in der ganzen Umgebung sehr geachtet ist. . . . Doch Sie, mein lieber Bachelin, Sie sind mit seiner Familie befreundet?«

»Ich sah Herrn Philipp und seine Schwester Susanne zur Welt kommen. Sein Vater würdigte mich, sein Freund zu heißen . . . Dies, Frau Marquise, erklärt Ihnen die Kühnheit, mit welcher ich Ihnen von den Gefühlen des Herrn Derblay sprach. Ich hoffe, daß Sie es mir verzeihen. In meinen Augen hat mein Klient nur einen Fehler; seinen Namen nämlich, der nur mit einem Worte geschrieben wird, ohne Apostroph. Doch, wenn man ordentlich nachforscht, wer weiß? Seine Familie ist sehr alt. Unter der Revolution schlossen sich die ehrlichen Leute eng aneinander; warum sollte es mit den Buchstaben nicht ebenso gegangen sein?«

»Behalte er nur seinen Namen wie er ist,« sagte traurig die Marquise. »Er trägt ihn in Ehren, und in der Zeit, in der wir leben, genügt dies. Sehen Sie den Herzog, der sich von Claire zurückzieht, weil sie ihr Vermögen verloren; dann vergleichen Sie ihn mit Herrn Derblay, der das verarmte Mädchen sucht, und sagen Sie mir, welcher von den beiden, der Adelige oder der Bürgerliche, ist der Edelmann!«

»Herr Derblay wäre glücklich, könnte er Sie hören.«

»Wiederholen Sie ihm nicht, was ich Ihnen eben sagte,« unterbrach ihn ernsthaft die Marquise. »Fräulein von Beaulieu nimmt niemands Großmut an. Bei ihrem Charakter ist es nur zu wahrscheinlich, daß sie unvermählt bleibt. Wollte Gott, daß der doppelte Schlag, der sie treffen wird, sie stark und gefaßt finde!«

Der Notar schwieg eine Weile, dann sagte er mit vor Aufregung zitternder Stimme:

»Was auch kommen möge, Frau Marquise, erinnern Sie sich, daß Herr Derblay der glücklichste der Menschen sein würde, wenn es ihm vergönnt wäre, zu hoffen. Er wird warten, denn er gehört nicht zu denen, deren Gefühle wechseln. Ich sehe in diesen Ereignissen großen Kummer für uns alle voraus, denn Sie erlauben mir wohl, mich zu jenen zu zählen, die auserwählt sind, mit Ihnen zu leiden. Und nun, wenn es mir gestattet wäre, einen Rat zu geben, so würde ich Ihnen empfehlen, Fräulein von Beaulieu von dem Vorgefallenen nichts zu sagen. Vielleicht wird der Herzog sich noch eines Bessern besinnen. Und schließlich wird es für Fräulein Claire immer noch Zeit genug zum Leiden sein.«

»Sie haben recht. Meinem Sohne muß ich jedoch das Unglück mitteilen, das ihn trifft.«

Und zu dem Perron schreitend, winkte die Marquise den jungen Mann herbei, der auf der Terrasse saß und geduldig das Ende der Unterredung abwartete.

»Nun,« rief er fröhlich, »ist die Sitzung schon aufgehoben oder ruft Ihr mich, um gleichfalls daran teilzunehmen?«

»Ja,« antwortete sanft die Marquise, »ich will dir wirklich wichtige Eröffnungen machen, welche mich tief betrüben.«

Der Marquis wurde sofort ernst. »Wovon ist die Rede?« fragte er.

»Mein Sohn, Herr Bachelin, hat von unserem gerichtlichen Vertreter in England einen entscheidenden Bericht erhalten.«

»In betreff des Prozesses?«

»Ja.«

Octave näherte sich der Marquise und zärtlich ihre Hand erfassend, sagte er:

»Er ist verloren, nicht wahr?«

Die Marquise, betroffen von der Kaltblütigkeit, mit welcher der Marquis die Unglücksbotschaft hinnahm, blickte Herrn Bachelin fragend an, wie, um von ihm eine Erklärung zu fordern; da der Notar jedoch ganz ruhig blieb, wendete sie sich wieder ihrem Sohne zu.

»Du wußtest es also schon?« fragte sie mit einem tiefen Atemzuge, wie selbst erleichtert von der ruhigen Resignation des Marquis.

»Ich wußte es nicht geradezu,« antwortete der junge Mann, »doch ich ahnte es. Ich wollte nichts sagen, weil ich Ihre Illusionen achtete . . ., aber ich war vollkommen überzeugt, daß der Prozeß unhaltbar sei, und bin demgemäß schon lange auf seinen Verlust vorbereitet. Ich befürchtete ihn bloß meiner Schwester wegen, deren Mitgift auf dem Spiele stand. Es gibt indes ein sehr einfaches Mittel, die Sache zu arrangieren. Sie geben Claire den Teil, der mir aus Ihrem Vermögen zukäme, und was mich betrifft, so seien Sie ohne Sorge, ich werde mir schon allein durchzuhelfen wissen.«

Bei diesen großmütigen Worten errötete die Marquise vor Stolz. Zum Notar gewendet rief sie:

»Wie konnte ich mich beklagen, wenn ich einen solchen Sohn habe.« Dann öffnete sie dem Marquis ihre Arme.

»Du bist ein braves Kind. Komm, laß dich umarmen!«

»Ich habe kein Verdienst dabei,« sagte gerührt der Marquis, »ich liebe meine Schwester und werde alles thun, daß sie glücklich werde. Aber da wir nun daran sind, von traurigen Dingen zu reden, glauben Sie nicht, daß das Stillschweigen unseres Cousins Bligny mit dem verlorenen Prozesse zusammenhängt?«

»Du irrst, mein Kind,« sagte lebhaft die Marquise mit einer Gebärde, als wolle sie ihren Sohn zurückhalten . . . »Und der Herzog . . .«

»Oh, fürchten Sie nichts, Mama,« unterbrach sie Octave; »wenn Gaston zögern sollte, sein Wort zu halten, heute, da Fräulein von Beaulieu nicht mehr mit einer Million in jeder Hand sich präsentiert, so sind wir, wie ich glaube, die Leute nicht, um ihn beim Kragen zu nehmen und ihn zur Achtung seines Versprechens zu zwingen. Falls der Herzog meine Schwester nicht heiratet, so wird der Schaden lediglich auf seiner Seite sein.

»Sehr gut, mein Sohn!« rief die Marquise.

»Vortrefflich, Herr Marquis!« bestätigte Herr Bachelin. »Und wenn Fräulein von Beaulieu nicht mehr reich genug ist, um einen Mitgiftjäger anzulocken, so wird sie stets vollkommen genug sein, um einen Mann von Herz zu bezaubern.«

Mit einem strengen Blicke legte die Marquise dem Notar Schweigen auf. Und dieser, glücklich, so günstig eine Krise beendet zu sehen, vor der ihm sehr bange gewesen, empfahl sich mit gewohnter Ehrerbietung seinen vornehmen Klienten und eilte, so rasch als ihm dies seine alten Beine gestatteten, nach Pont-Avesnes zurück.



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