Georges Ohnet
Der Hüttenbesitzer – Erster Band
Georges Ohnet

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Siebentes Kapitel

Das Schloß von Varenne ist eines der schönsten Feudalgebäude, die noch in Frankreich vorhanden sind. Erbaut von Enguerrand d'Estrelles, der sich bei Bouvines auszeichnete, indem er den durch einen flamändischen Pikenier vom Pferde geworfenen König Philipp August rettete, hatte es einst die Ehre, unter den spitzen Türmchen seiner kunstvoll verzierten Bleidächer Kaiser Karl V., als er sich zur Belagerung von Nancy begab, zu beherbergen. Von Turenne während eines Streifzuges, den der berühmte Marschall gegen die Kaiserlichen unternahm, in Trümmer geschossen, lag der Schloßturm von Varenne unter der Regierung Louis XV. und Louis XVI. in Ruinen.

Die Revolution war ohnmächtig über seine Trümmer hinweggeschritten. Es gab hier eben nichts mehr zu verwüsten und die Bürger von Besançon begnügten sich, die Bäume zu fällen, um ihre Oefen zu heizen und die Steine zu stehlen, um sich Häuser zu bauen. Der Rittersitz wurde wie ein Steinbruch ausgebeutet und lieferte für mehr als zwanzig Behausungen Baumaterial. Ein Alteisenhändler hat allein an dreitausend Kilo des von den Dächern herrührenden Bleis fortgeführt und sie ungestraft verkauft.

Die d'Estrelles, die mit dem Grafen Artois im Felde lagen, konnten gegen diese Plünderungen nicht protestieren. Sie kämpften vor Mainz und mit dem heldenmütigen Feuer, das Frankreich Fontenoy eintrug, säbelten sie die Husaren Birons und die Grenadiere Pichegrus nieder. Die wohlorganisierten Diebstähle, an denen die ganze Bevölkerung teilnahm, retteten – seltsames Resultat – die d'Estrelles vom Ruin, denn niemals konnte die Kommune von Besançon die Besitzungen von Varenne als Nationalgüter verkaufen, weil niemand die Domäne zu erwerben gewagt hatte aus Furcht vor der Böswilligkeit der Bauern und Bürger, die gewohnt waren, daselbst wie im Feindesland zu plündern.

Unter dem Direktorium durften die d'Estrelles, Dank der Protektion Barras, nach Frankreich zurückkehren. Sie fanden ihren Besitz verwüstet, aber frei, und richteten sich in einem Wächterhäuschen ein, in das sie zuvor Fenster und Thüren einsetzen ließen. Mit den Trümmern ihres während der Dauer des Kaiserreichs sorgfältig verwalteten Erbteiles stellten sie ihr Vermögen wieder her. In den ersten Tagen der Restauration erschienen sie wieder in Paris und konnten hier eine glänzende Rolle spielen. Unter der Julimonarchie heiratete der letzte der d'Estrelles ein reiches Mädchen mit 200 000 Franken Revenuen, die Tochter des Banquiers Claude Chrétien, welcher für seine der Civilliste geleisteten Dienste eben erst in den Freiherrnstand erhoben worden war.

Der Edelmann, ein leidenschaftlicher Antiquitätenliebhaber, ließ das Schloß mit ungeheuren Kosten wieder ganz so herstellen, wie es in der Zeit seines Glanzes gewesen. Die hohen, mit Zinnen gekrönten Mauern, die prächtigen Türme mit den wunderlich geformten Wasserspeiern erhoben sich wieder über die schattigen Bäume des Parkes. Die Arbeit dauerte zehn Jahre und kostete immense Summen.

Das Mobiliar wurde mit exquisitem Geschmacke erneuert. Herr d'Estrelles kaufte, der Mode voraneilend, feingeschnitzte Credenztische, Spiegel mit prunkvollen Rahmen, Kirchengetäfel, wahre Meisterstücke der Holzschnitzerei des Mittelalters, und wundervolle flandrische Tapeten. Varenne wurde ein wahres Museum, überfüllt mit den zu jener Zeit verachteten und heute so eifrig gesuchten Kunstreichtümern der Provinz. Diese prunkvolle Behausung war für den leidenschaftlichen Sammler, der hier Schätze anhäufte, ein Paradies geworden.

Als Herr d'Estrelles starb, hinterließ er dieses schöne und reiche Besitztum seinem Sohne, einem jungen Gardelieutenant. Nach Verlauf von vier Jahren war das Gut von Varenne mit Hypotheken bis zu zwei Drittel seines Wertes belastet und die unschätzbaren Kunstwerke sollten eben nach Paris gesendet werden, um dort zur Versteigerung zu gelangen, als Herr Moulinet als Käufer der Domäne auftrat.

Der Industrielle, welcher den Plan einer Verbindung des Herzogs mit seiner Tochter stets im Auge behielt, hatte anfangs daran gedacht, das Familiengut der Bligny in der Touraine zurückzukaufen; doch das väterliche Schloß seines künftigen Schwiegersohnes war nach mancherlei Wandlungen endlich in den Besitz eines reichen Fayencefabrikanten gelangt, der alle, noch so glänzenden Anerbietungen Moulinets zurückwies. In Ermangelung des Familiengutes ging der ehrgeizige Vater mit allem Eifer an die Erwerbung von Varenne und nach abgeschlossenem Geschäfte war er entzückt von seiner Acquisition.

Die Nähe von Beaulieu hatte nicht wenig zu seinem Entschluß beigetragen. Man würde sich dann, so dachte er, en famille befinden und die nachbarlichen Beziehungen mußten sich dadurch in der Folge sehr angenehm gestalten. Moulinet, als getreuer Vollstrecker der finsteren Berechnungen, die Athénaïs bei der Wahl ihres Gatten geleitet, jedoch keineswegs imstande, die ganze Hinterlist und Falschheit seiner Tochter zu ermessen, war wohl auf einigen Widerstand von seiten der Verwandten des Herzogs gefaßt.

Freilich . . . Gaston hätte seine Cousine heiraten sollen . . . Aber mit erstaunlicher Geistesfreiheit hielt der gute Mann dieses Verlöbnis bloß für ein nichtssagendes Kinderspiel. Gaston und Claire waren zusammen erzogen worden, kein Wunder also, wenn sie sich auch als künftige Gatten betrachteten. Er setzte keine tiefere Neigung bei ihnen voraus, da dieselbe zu einer Zeit entstanden war, wo das Herz noch unbewußt und der Geist noch nicht selbständig ist.

Hatte er doch auch als junger Kommis einer dreizehnjährigen Müllerstochter derlei kindische Versprechungen gegeben. Dieses, im Laufe der Jahre vollständig von ihm vergessene Mädchen sah er eines Tages zufälligerweise als wohlbeleibte, rotwangige Gattin eines Fleischers wieder. Welche Beziehung bestand nun heute zwischen ihm, Moulinet, dem ehemaligen Handelsrichter, dem Millionär, der auf dem Boulevard Malesherbes ein prächtiges Hotel bewohnte, und dieser von Gesundheit strotzenden Fleischerin? Das Leben hatte mit den tollen Wünschen aufgeräumt, und indem es beide voneinander trennte, jedes an seinen rechten Platz gestellt. Verhielt es sich nicht gerade so mit Fräulein von Beaulieu und dem Herzog?

Vereint wären sie zu gemeinschaftlicher Mittelmäßigkeit verdammt, getrennt vermochte sich jedes wunderbar aus der Klemme zu ziehen. War der Herzog untergebracht, konnte es auch Fräulein von Beaulieu an einer guten Partie nicht fehlen und er, Moulinet selbst, würde ihr mit allen seinen Kräften dazu verhelfen.

Und schließlich stellte er sein eigenes Belieben allen anderen Rücksichten voran; er erblickte eben einmal in dem Herzog von Bligny den ihm zusagenden Schwiegersohn. Freilich war dies kein Mann wie er, der das Glück bezwungen hatte, auch kein Mann, der sich etwa leicht hätte lenken lassen. Aber er hatte einmal beschlossen, daß seine Tochter Herzogin werden solle, und somit sollte und mußte diese Heirat stattfinden.

Das Schloß von Varenne schmeichelte außerdem durch seine großartigen Verhältnisse der Eitelkeit des Herrn Moulinet. Die Türme mit den Zinnen, die steinernen Schilderhäuser, der Glockenturm, von dem langsam und feierlich die Stunden ertönten, gefielen dem Parvenü ungemein. In seinem Eigendünkel glaubte sich der reich gewordene Kaufmann in dem hohen Ahnensaal an seinem Platze, an dessen Wänden die Wappen aller Familien glänzten, mit denen die d'Estrelles im Laufe der Jahrhunderte sich verschwägert hatten. Das mit peinlicher Sorgfalt, restaurierte Gemach, in dem einst Karl V. nach der Schlacht bei Nancy übernachtet hatte, wählte Moulinet zu seinem Schlafzimmer.

Mit einem Gefühle unvergleichlicher Befriedigung schlief der Schokoladefabrikant auf derselben Stelle, wo der Sieger von Pavia einst geruht. Er hatte dieses Zimmer das Kaiserzimmer nennen hören und vergaß dabei die stattgefundene Restauration und die vollständige Erneuerung des Mobiliars. Er bildete sich ein, daß dies derselbe Fußboden, dieselben Mauern wären, in denen der große Mann einige Stunden verlebt hatte, und behaglich streckte er seine plebejische Person in dem prächtigen Himmelbette aus, das, von kostbaren Vorhängen umgeben, sich auf einer Estrade erhob. Mit hochtrabenden Worten erzählt er: »Meine Uhr wurde einst von Karl dem Fünften aufgezogen.« Er glaubte wirklich, daß sich der große Kaiser während seines ganzen Lebens mit dem Aufziehen der Uhren beschäftigt habe, wie er es später in St. Just that, um die Langeweile zu vertreiben, die seinen reichen Geist verzehrte.

Athénaïs war der Empfindung befriedigten Stolzes weniger zugänglich und sah in dem Schlosse bloß eine sichere Festung, von der aus sie jederzeit über ihre Feindin herfallen konnte. Der größte Vorteil, den Varenne in ihren Augen besaß, war, daß es seine stolzen, prächtigen Türmchen kaum zwei Meilen von Beaulieu erhob. Von hier aus beherrschte sie die Situation und konnte in völliger Sicherheit die Stunde wählen, in der sie diejenige unfehlbar verwunden würde, die sie mit allen Kräften ihrer Seele haßte.

Gleich nach ihrer Ankunft in Varenne zog sie geschickt die sorgfältigsten Erkundigungen über die Schloßbewohner von Beaulieu ein und wußte daher, daß die Baronin Préfont sich dort befinde. Aber eine Gegnerin mehr konnte sie durchaus nicht einschüchtern, sie freute sich vielmehr, vor den Augen der Baronin über die stolze Claire triumphieren zu können.

Seit zwei Tagen bewohnten Athénaïs und Moulinet das Schloß, und nachdem sie einigemal die Runde durch den Park gemacht, die Treibhäuser und Wirtschaftsgebäude wiederholt besucht hatten, fingen sie eben an, sich in ihrer neuen Besitzung zu langweilen als eine Depesche die Ankunft des Herzogs, den man nicht so bald erwartet hatte, meldete.

Dieses plötzliche Eintreffen Gastons kam dem jungen Mädchen höchst ungelegen, denn Athénaïs fürchtete, daß der Herzog ihre feindlichen, böswilligen Absichten durchkreuzen und die berechtigten Empfindungen seiner Familie schonen würde. Jeder Versuch, Fräulein von Beaulieu zu kränken, konnte vielleicht bei dem Herzog auf ernsten Widerstand stoßen, und Athénaïs faßte daher den Entschluß, sich zu rächen, noch ehe Gaston in der Lage wäre, ihr in ihren Schritten entgegentreten zu können. Der Verlobte sollte um drei Uhr nachmittags in Varenne eintreffen; es war also keine Minute zu verlieren.

Moulinet, die Depesche des Herzogs in Händen, durchwandelte der Länge und Breite nach das Parterre à la française, das sich vor dem Schlosse ausbreitete, als seine Tochter in reizender Besuchstoilette zu ihm trat und, die Festigkeit ihres Entschlusses unter scheinbarer Sorglosigkeit verbergend, mit süßem Lächeln sagte:

»Weißt du, Papa, daß wir noch heute nach Beaulieu fahren müssen?«

»Und weshalb noch heute?« fragte Moulinet überrascht. »Der Herzog kommt: wäre es nicht schicklicher, ihn zu erwarten? Auch würden wir unter seinem Schutze besser empfangen werden; – er selbst soll uns seiner Familie vorstellen.«

»Das ist es eben, was ich zu vermeiden wünsche,« entgegnete Athénaïs mit ruhigem Gesichte. »Zwischen Claire und mir ist kein Vermittler nötig und sie könnte mit Recht erstaunt sein, wenn sie meine Verlobung nicht zuerst von mir selbst erfährt. Und dann, unter uns gesagt, Papa, die Situation des Herzogs ist nicht ganz so, wie sie sein soll . . . und ich glaube, er wird uns dafür nur Dank wissen, wenn wir ihm die Schwierigkeiten der ersten Begegnung mit seinen Verwandten geebnet haben. Ist die Sache einmal rund heraus erklärt, so wird man dann nicht mehr auf alte Geschichten zurückkommen und alles wird vortrefflich gehen. Du fürchtest doch etwa nicht, schlecht aufgenommen zu werden?«

»Schlecht aufgenommen!« schrie Moulinet, indem er sich in seiner ganzen Länge emporrichtete und mit Entschlossenheit die Hände in die Hosentaschen steckte. »Ein Mann in meinen Verhältnissen, ein ehemaliger Handelsrichter, ein Millionär, wird nirgends schlecht aufgenommen. Wenn wir nicht unter einer so miserablen Regierung lebten und wenn es noch einen Hof in den Tuilerieen oder anderwärts gäbe, so würde ich dort wie in meinem eigenen Hause aus- und eingehen. Das lasse dir gesagt sein. Schlecht empfangen von Leuten, die vielleicht nur 60 000 Franken Renten besitzen. Das möchte ich doch sehen! Warte ein wenig, ich will sogleich Befehl geben, den Galawagen bereit zu machen, auch sollen die Lakaien die große Livree anlegen.«

»Nein, Papa,« unterbrach ihn Athénaïs, »im Gegenteil, wir fahren in einem einfachen Wagen. Nur keinen Prunk mit unserem Vermögen! Je reicher wir sind, desto bescheidener müssen wir uns zeigen. Ueber unseren Luxus würden sie sich lustig machen, unsere Einfachheit wird ihnen imponieren.«

»Glaubst du?« fragte Moulinet mit dem Ausdrucke des Bedauerns. »Es scheint mir doch, die kurzen Hosen und die seidenen Strümpfe hätten einen gewissen Effekt gemacht. Indes vertraue ich deiner besseren Einsicht; du bist ein Mädchen von Geschmack und kennst die Gebräuche der vornehmen Welt . . . Halte dich bereit, ich lasse sogleich anspannen.«

Eine Viertelstunde später rollten Athénaïs und ihr Vater in einem leichten Wagen, von einer Staubwolke umhüllt, auf der Straße nach Beaulieu.

Die in einem Augenblicke der Entmutigung gefaßten Entschlüsse vergessend, war Philipp Derblay wieder in das Schloß zurückgekehrt. In der That hatte es ihm der Baron unmöglich gemacht, sich fern zu halten, denn gleich am Tage nach Herrn Derblays Besuch in Beaulieu war der leidenschaftliche Verehrer der technischen Wissenschaften am frühen Morgen schon im Hüttenwerke erschienen und hatte hier seine Toilette, trotz hinaufgestülpter Hemdärmel, in einen so trostlosen Zustand gebracht, daß Philipp genötigt war, ihm Kleider zum Wechseln zu leihen und ihn dann zum Frühstück zu laden. War es nach all dem dann möglich, ihn nicht selbst wieder ins Schloß zu bitten?

Philipp wußte seine Schwäche mit so triftigen Gründen vor sich selbst zu entschuldigen, daß er ohne Mißvergnügen jene Terrasse wieder betrat, auf der er tags vorher zwei so qualvolle Stunden verbracht hatte. Fräulein von Beaulieu benahm sich ihm gegenüber ebenso kalt und gleichgültig, wie bei der ersten Begegnung; aber anstatt, wie damals, sich eingeschüchtert zu fühlen, reizte das hochfahrende, verächtliche Benehmen des jungen Mädchens den Stolz Philipps und forderte dessen ganzen Mut heraus. Je mehr Fräulein von Beaulieu sich den Anschein gab, ihn nicht zu bemerken, desto mehr wollte er sie zwingen, sich mit ihm zu beschäftigen.

Die Marquise war eine jener glücklichen Frauen, die von der Natur mit einer sanften, sich stets gleichbleibenden Laune bedacht sind. So wie man sie gestern sah, fand man sie morgen wieder. Philipp war ihr vom ersten Momente an sympathisch und die gute Meinung, die sie von ihm hatte, blieb fest und unerschütterlich. Sie empfing ihn daher immer mit derselben wohlwollenden Freundlichkeit und versetzte ihn dadurch in die Lage, sich frei und ungezwungen benehmen zu können. Die Baronin, neugierig, den Charakter desjenigen zu ergründen, den sie sich in ihrer Phantasie wie eine Art von Cyklopen vorgestellt, entfaltete vor Herrn Derblay die ganze Grazie ihres lebhaften prickelnden Geistes. Sie fand Philipp liebenswürdig, ohne daß er Anstrengungen machte, es zu sein, und interessant, ohne daß er Anspruch darauf erhob. Sie erklärte, seine geistigen Eigenschaften für ebenso vollkommen wie seinen Körper und faßte eine besondere Hochachtung für ihn.

Octave hatte in Susannen eine sehr angenehme Gesellschafterin gefunden und beide vertieften sich in so endlose Billardpartieen, daß kein ernsthafter Mensch daran hätte teilnehmen können.

An dem Tage, als Moulinet und seine Tochter sich auf den Weg nach Beaulieu machten, wurde im Schloßhofe auf einem großen Rasenplatze sehr eifrig Croquet gespielt. Philipp und Bachelin waren die Schiedsrichter, während der Baron, Octave, Susanne und die Baronin einander sehr lebhaft bekämpften. Durch die offenen Fenster des Salons hörten die Marquise und Claire, die sich am Spiele nicht beteiligten, die Schläge der Klöpfel und die munteren Jubelrufe der Spieler, je nachdem ein geschickter oder mißratener Wurf den Sieg dem einen oder dem andern Lager näher brachte. Eben war ein gewissenhaft und aufmerksam befolgter Schiedsspruch zu gunsten des Barons und Susannens erfolgt, als plötzlich ein Wagen vor dem Schloßthore hielt, der die Aufmerksamkeit der Gesellschaft ablenkte und sie im Nu das Interesse an ihre Spielpartie vergessen ließ.

Wie eine Schar aufgescheuchter Vögel stoben die Spielenden in einem Augenblick auseinander, erstiegen rasch den Perron und traten in den Salon ein, während ein Diener der Marquise eine Karte überreichte. Mit erstauntem Kopfschütteln las Frau von Beaulieu:

»Herr und Fräulein Moulinet.«

Ein langes Stillschweigen folgte diesen Worten, als ob die Anwesenden geahnt hätten, welch ernstes Ereignis unerbittlich nahe.

Die Baronin erholte sich zuerst und die Hände ineinanderschlagend rief sie:

»Das ist denn doch etwas zu stark!«

»Was wollen diese Leute von uns?« fragte ruhig die Marquise.

Da niemand antwortete, ergriff der Notar das Wort.

»Ich vermute, Frau Marquise, daß Herr und Fräulein Moulinet der Sitte gemäß als Neuangekommene ihre Besuche bei den Nachbarn machen. Sie fangen in Beaulieu an und das ist nur recht und billig, da Ihre Familie zu den ältesten und angesehensten der Provinz zählt. Auch sagte Herr Moulinet, daß seine Tochter Fräulein von Beaulieu schon seit Jahren kenne; das sind Gründe genug, um ihr heutiges Erscheinen zu erklären.«

»Ich hoffe, liebe Tante,« rief ungestüm die Baronin, »daß Sie sich die Vertraulichkeit der Familie Moulinet nicht gefallen lassen werden. Was gehen Sie diese Leute an? Er ist einer der gewöhnlichsten Menschen, und seine Tochter kenne ich als eine der gefährlichsten Personen, die es je gegeben. Da kommen nun diese Parvenus und bilden sich ein, daß sie sich gesellschaftliche Beziehungen verschaffen können, wie sie sich mit Hilfe ihrer Millionen ein Schloß gekauft haben. Weisen Sie diese Ansprüche zurück, liebe Tante, und widerstehen Sie dieser Aufdringlichkeit.«

»Ich denke, liebes Kind,« sagte kalt der Baron, »daß Ihre Tante es versteht, selbständig zu handeln und daß es überflüssig ist, ihr Ratschläge zu erteilen.«

Der Marquise war die Sache sichtlich höchst unangenehm. Sie wendete sich an ihre Tochter, die bis dahin gleichgültig und teilnahmslos geschwiegen.

»Claire,« sagte sie, »wie denkst du darüber?«

»Mein Gott, Mama,« antwortete ruhig das Mädchen, »ich finde es sehr schwierig, Herrn und Fräulein Moulinet geradewegs die Thüre zu verschließen. Man brauchte dazu einen Vorwand, doch welchen? Sich verleugnen lassen? Von ihrem Wagen aus haben sie diese Herren und Damen im Hofe spielen und uns am Fenster stehen sehen. Ihnen einfach sagen lassen, daß wir nicht empfangen, hieße ein im Grunde artiges Benehmen mit einer Unhöflichkeit erwidern. Wäre dies unserer würdig? Ich glaube nicht. Man muß heute diesen Besuch ertragen und es dann ein- für allemal dabei bewenden lassen. Sind Sie nicht auch derselben Meinung Mama?«

»Ja mein Kind, du hast recht, und ich will mich danach richten. Octave, sage, daß wir empfangen.«

Eine Minute später betraten Herr und Fräulein Moulinet den großen Empfangssaal des Schlosses.

In allen Frauen ist eine gewisse Dosis Schauspielertalent vorhanden. Trotz ihrer großen Aufregung und ihres hochklopfenden Herzens besiegte Athénaïs die Verlegenheit des ersten Moments mit einem kühnen Manöver. Ein süßes Lächeln auf den Lippen, ein freudiges Aufleuchten in den Augen, schritt sie mit offenen Armen rasch auf Fräulein von Beaulieu zu, fiel ihr um den Hals und sie gleich einer zärtlich geliebten Freundin umarmend, rief sie dreist aus: »O, meine schöne Claire, wie glücklich bin ich, dich wieder zu sehen!«

Das Erstaunen über diese unerwartete Zärtlichkeit und Vertraulichkeit war bei Fräulein von Beaulieu so stark, daß sie, trotz ihrer gewohnten Geistesgegenwart, kein Wort der Erwiderung fand. Athénaïs nützte den errungenen Vorteil rasch aus, wendete sich sofort zu Frau von Beaulieu und mit vollendeter Artigkeit und Bescheidenheit grüßend sagte sie:

»Es gereicht mir zur unaussprechlichen Freude, Frau Marquise, mich Fräulein von Beaulieu nähern zu dürfen. Seitdem ich sie kenne, und es ist dies schon sehr lange her«, fuhr sie fort, indem sie lächelnd nach Claire blickte, »war es stets mein heißestes Bestreben, ihr in allem zu gleichen und ich glaube, daß es schwer fallen dürfte, sich ein vollendeteres Vorbild zum Muster zu nehmen.«

»Mir bloß zu gleichen?« versetzte ruhig Claire, »du bist bescheiden.«

»Und das passiert ihr wohl zum erstenmal,« murmelte die Baronin zwischen den Zähnen, indem sie herantrat.

Bei dem Anblicke der Frau von Préfont schien die Freude des Fräuleins Moulinet keine Grenzen mehr zu kennen. Aber sie wagte nicht, die Baronin ebenfalls zu umarmen. Diese kleinen Hände hatten sie einstens zu oft zu Boden geschlagen, als daß es geraten schien, heute öffentlich ein derartiges Abenteuer zu versuchen. Diese tolle, launische Sophie war wohl imstande, ihr vor aller Augen einen Schimpf anzuthun, der das mühsam aufgeführte Gebäude ihrer Pläne zerstören und mit einem Schlage alle Fäden der künstlich gesponnenen Intrigue zerreißen konnte. Die kluge Athénaïs begnügte sich daher, der Baronin einen kräftigen Händedruck zu geben, der ihre Armbänder klingen machte, und verbarg in geschickter Weise ihre Zurückhaltung mit überströmenden Freundschaftsbeteuerungen.

Das war heute ein doppeltes Glück für sie! Wie, diese teure d'Hennecourt ebenfalls anwesend! Da sie nicht zur Vermählung der Baronin geladen war, gab sie sich den Anschein, als wüßte sie nichts davon und zwang dadurch Frau von Préfont, ihr den Baron vorzustellen, was Athénaïs wieder Gelegenheit zu einer reizenden Phrase gab, mit welcher sie Herrn von Préfont zu einer so ausgezeichneten Gefährtin beglückwünschte.

Auf dem mit Hindernissen und Fallen reich besäeten Kampfplatze mit der Geschicklichkeit und Sicherheit eines großen Taktikers sich bewegend, lähmte Fräulein Moulinet durch ihre Kühnheit die Kraft ihrer Gegnerinnen, verblüffte ihren Vater durch ihre Geistesgegenwart und gab allen Anwesenden einen hohen Begriff von ihrer Intelligenz. Sie erschien der Baronin und Claire als eine viel gewaltigere Feindin, als sie bis dahin geahnt hatten. Das kleine Mädchen hatte sich seit zwei Jahren auf wirklich überraschende Art entwickelt. Sie war sehr hübsch geworden. Von etwas untersetztem Wuchse, mit einer leichten Neigung zum Embonpoint, was ihr übrigens sehr gut stand, besaß sie Haare von dunkelstem Schwarz und sehr ausdrucksvolle blaue Augen.

Nur die in schwedischen Handschuhen steckenden Hände und die unter dem sehr kurzen Kleide sichtbaren Füße verrieten durch auffallende Plumpheit ihre plebejische Abstammung. Einer aufmerksamen Prüfung mußte sie überhaupt etwas gewöhnlich erscheinen, aber auf den ersten Blick machte sie entschieden einen guten Eindruck.

Papa Moulinet verstummte vor Entzücken. Er gestand sich selbst, daß seine Tochter wirklich ein höheres Wesen und unbestreitbar zur Herzogin geboren sei. Im Uebermaße seiner Bewunderung überkam ihn eine tiefe Rührung und er dachte, wenn seine Selige das erlebt hätte, wie entzückt und erstaunt sie über die kleine Athénaïs wäre. Diese eheliche Erinnerung brachte eine Thräne in die Augen des ehemaligen Handelsrichters, so daß er sein großes Taschentuch herausziehen und sich laut schneuzen mußte. Ein vernichtender Blick seiner Tochter brachte ihn rasch wieder zur Erkenntnis der Situation und machte ihm begreiflich, daß in der Welt, in der er sich jetzt befand, alles mit Mäßigung und Selbstbeherrschung geschehen müsse.

Hierauf verneigte er sich vor der Marquise und den Hut fest an sein Herz drückend, begann er:

»Fräulein von Beaulieu und Madame« – dabei deutete er mit der Hand nach der Baronin – »waren Mitschülerinnen meiner Tochter im Sacré-Coeur. Ich war stets stolz darauf und bin es heute mehr als jemals, daß ich meine Tochter in diesem Institute erziehen ließ, das doch sicherlich eines der besten in Paris ist. Die jungen Mädchen erhalten dort eine glänzende Erziehung und gelangen zu sehr vorteilhaften Verbindungen.«

Die Marquise lächelte, indem sie Herrn Moulinet vom Kopf bis zum Fuß musterte. »Ich bemerke es,« sagte sie mit einem Anfluge von Ironie, die der Industrielle nicht verstand, die aber bei Athénaïs ihre Wirkung nicht verfehlte.

»Was mich betrifft,« fuhr Herr Moulinet fort, »bin ich sehr gerührt, Frau Marquise, von der großen Gunst, die Sie mir erweisen, indem Sie mir gestatten, Ihnen meine Hochachtung darzubringen. Ich schulde sie Ihnen erstens als Neuangekommener in dieser Provinz, in welcher ich eine Besitzung gekauft habe . . .«

Die Marquise wechselte mit dem Notar einen Blick des Einverständnisses.

»Eine herrschaftliche Besitzung,« fuhr Moulinet fort, einen Moment durch die Augensprache der Marquise mit dem Notar außer Fassung gebracht. »Es ist Varenne, ehemals den d'Estrelles gehörend. Ich hielt nicht sehr viel darauf, aber meine Tochter, die sehr verständig ist, überzeugte mich, daß bei einem so großen Vermögen, wie das meinige, der Besitz eines Landgutes nötig sei. Und lassen Sie es mich nur gestehen, Frau Marquise, in politischer Hinsicht bin ich liberal, aber in Bezug auf den Verkehr halte ich es nur mit der Aristokratie.«

Bei diesen Worten blickte Moulinet, den Umschlag seiner weißen Weste mit der Zimperlichkeit des achtzehnten Jahrhunderts mit den Fingern schnellend und wohlwollend lächelnd, die Anwesenden der Reihe nach an. Ein tiefes Staunen über die monumentale Dummheit des ehemaligen Handelsrichters bemächtigte sich der ganzen Gesellschaft und Athénaïs, vernichtet von dieser Erkenntnis, ließ sich seufzend in einen Fauteuil niedersinken.

Die Marquise zeigte bei dieser Gelegenheit den feinen Takt der Frau eines vornehmen Hauses und die verschleierte Impertinenz einer wirklich großen Dame.

Sie wollte ebensowenig, daß Moulinet bemerke, wie ungünstig sie ihn beurteile, noch mochte sie sich die Befriedigung versagen, ihm einige feine Spöttereien anzuhängen. Sie spielte daher für jene, die sie verstehen konnten, eine köstliche Komödie.

»Glauben Sie, mein Herr,« sagte sie zu Moulinet, »daß ich sehr gerührt bin von den Gefühlen, die Sie mir mit ebensoviel Bescheidenheit als Ungezwungenheit ausdrücken, sie sind eines Mannes in einer Stellung, wie Sie sich dieselbe durch ihre Intelligenz errungen haben, würdig.«

Moulinet, entzückt von dieser Antwort und keinerlei Bosheit darin erblickend, dachte bei sich, die Marquise müsse doch eine gar gutmütige Frau sein, und nahm sich vor, ihr ganz besondere Ehrerbietung zu beweisen. Er sah bereits eine Intimität zwischen sich und dieser vornehmen Familie angebahnt und meinte, man brauche sich nur noch die Hände zu reichen.

»Ja, sehen Sie, so bin ich,« rief er überschwenglich aus; »und wenn mein Charakter Ihnen paßt, Frau Marquise, so hoffe ich, daß wir viel Vergnügen an unserer Nachbarschaft finden werden.«

Die Baronin, welche das Lachen kaum mehr unterdrücken konnte, erhob sich rasch, zog Herrn Derblay zu einer Fensternische und flüsterte, um sich zu erleichtern:

»Aber dieser Mensch ist ja ein wirkliches Ungeheuer.«

Moulinet merkte wohl, daß er eine gewisse Sensation errege, doch konnte er sich keine Rechenschaft darüber geben, ob dies in gutem oder schlechtem Sinne geschehe und plauderte ganz ungeniert weiter:

»Die Besitzung von Varenne ist sehr bedeutend. Sie kennen gewiß das Schloß und wissen, daß es historisch ist. Ich bewohne ein Zimmer, in welchem, wie man mir sagt, Karl V. übernachtete. Ja, Frau Marquise, ich schlafe in einem kaiserlichen Bette.«

Mit bescheidener Miene fügte der ehemalige Handelsrichter hinzu:

»Aber, du lieber Himmel, deshalb bin ich doch nicht im mindesten stolzer!«

Nun konnte Athénaïs sich nicht mehr zurückhalten, sie sah ihren Racheplan ernstlich bedroht und sich rasch emporrichtend, sagte sie mit verändertem Gesichte und einem bösen Blicke in den Augen:

»Papa, bitte doch die Frau Marquise, dir die berühmte Terrasse des Schlosses zu zeigen, die, wie es scheint, einen herrlichen Ausblick gewährt.«

Um die weiteren väterlichen Herzensergüsse kurz abzuschneiden, schritt sie entschlossen auf die Thüre zu, die auf den Perron hinausführte.

Die Marquise erhob sich und Herrn Moulinet den Weg weisend, ging sie, gefolgt von ihren Gästen, voran. Claire blieb verdrießlich und verstimmt einen Augenblick zurück, doch kaum wollte sie gleichfalls hinaustreten, als sie sich Athénaïs gegenübersah, die sich geschickt von der Gesellschaft getrennt hatte, um in den Salon zurückzukehren. Die Blicke der jungen Mädchen kreuzten sich, Claire sah erstaunt und nachdenklich, Athénaïs ernst und sichtlich beunruhigt aus.

»Möchtest du nicht ein wenig hier bleiben?« fragte Fräulein Moulinet, indem sie in den Salon trat.

»Recht gerne,« antwortete Claire mit einer plötzlichen Beklemmung. »Du willst mich sprechen?«

In der Gewißheit, daß das lang geahnte Unheil unabwendbar geworden, fand Claire ihre ganze Ruhe und Kaltblütigkeit wieder. Ihre hohe Gestalt richtete sich empor, und vollständig Herrin ihres Geistes wie ihres Herzens, erwartete sie mit stolzer Zuversicht den Angriff derjenigen, die sie als ihre unversöhnliche Feindin kannte.

»Du kannst dir die Freude kaum vorstellen, die ich empfinde, mich mit dir allein zu sehen,« begann Athénaïs. »Während der zwei Jahre unserer Trennung habe ich viel erlebt und viel nachgedacht. Ich habe ein wenig an Erfahrung gewonnen und demgemäß haben sich auch meine Ansichten und Gefühle bedeutend verändert. Ehemals konnte man gerade nicht sagen, daß wir gute Freundinnen waren.«

»Doch . . .« meinte Claire mit einer Gebärde stolzen Widerspruchs.

»Nein, es ist, wie ich sage!« rief Athénaïs lebhaft, »ich liebte dich nicht, denn ich war eifersüchtig auf dich. Heute darf ich es dir wohl gestehen, denn ich habe mich zu hoch über jene Zeit erhoben, um heute nicht das Recht zu haben, offenherzig zu sein, ohne mir etwas zu vergeben. Unbewußt habe ich dich indes stets geliebt, bewundert, und mein Ideal war, dir zu gleichen.

»Mir zu gleichen! Mein Gott,« sagte Claire mit bitterem Lächeln, »ich bin doch so wenig! Du übertriffst mich, ich versichere es dir, und zwar um vieles! Beurteile dich doch selbst gerechter! Schönheit, Eleganz, Luxus, du besitzest ja alles . . .«

»Ja alles,« entgegnete kalt Athénaïs, »nur keinen Namen . . .«

»Nun,« meinte Claire ruhig, »ein Name? Heutzutage kann man sich doch einen kaufen. Es gibt welche zu allen Preisen, kleine, mittelmäßige, große. Wenn dir an dem Adel gelegen ist, so vermagst du doch dir einen von der besten Sorte zu verschaffen. Deine Mittel erlauben es dir.«

»In der That,« antwortete Athénaïs, indem sie sich bemühte, ihrer vor Zorn zitternden Stimme Festigkeit zu verleihen, »in der That handelt es sich in diesem Augenblicke um einen mir gemachten bedeutenden Heiratsantrag.«

»Ah, das trifft sich ja reizend. Ich bringe dir meine aufrichtigsten Glückwünsche dar.«

»Ich erwarte etwas ganz anderes von dir als Glückwünsche.«

»Ja, was denn?« fragte erstaunt Claire.

»Deinen Rat.«

»Meinen Rat? Und worüber?«

»Ueber die Wahl, welche ich treffen will.«

»Wirklich, du bringst mich mit deinem Vertrauen in Verlegenheit. Wir kennen uns doch so wenig! Könntest du dich nicht ohne meine Meinung behelfen?«

»Nein, unmöglich!« versetzte Athénaïs.

»Ich verstehe nichts von alledem,« entgegnete Claire, mit wachsender Besorgnis.

»Höre mich aufmerksam an,« sagte Fräulein Moulinet. »Die Sache lohnt wohl der Mühe. Die Heirat, um die es sich handelt, ist eine sehr große, die meine Stellung hoch überragt und meine kühnsten Hoffnungen übertrifft. Es handelt sich dabei um eine Krone . . .«

»Eine Königskrone?« fragte Claire, sich zu einem Lächeln zwingend.

»Nein, nur eine Herzogskrone,« erwiderte Äthénaïs, indem sie ihren Blick tief in die Augen ihrer Rivalin senkte. »Ich soll Herzogin werden.«

Bei diesen Worten erbebte Fräulein von Beaulieu. Es schien ihr, als ob plötzlich ein Schleier vor ihren Augen entzweirisse; in einem Momente erriet sie alles, was die ihrigen ihr mit soviel Sorgfalt verheimlichten, und sie zweifelte keine Sekunde, daß von Gaston die Rede sei. Seine Entfernung, sein Stillschweigen, alles war erklärt. Ein unermeßliches Weh ergriff ihre Seele, eine Blutwelle quoll mächtig, fast erstickend zu ihrem Herzen, während ihr schönes Antlitz erbleichte und ein schmerzlicher Seufzer auf ihren Lippen verhauchte.

Mit grimmiger Freude sah Athénaïs die plötzliche Veränderung in Claires Zügen und ergötzte sich an deren Qualen. Rachetrunken zählte sie die unregelmäßigen wild klopfenden Pulsschläge dieser Schläfen und in vollen Zügen genoß sie die Genugthuung, dem stolzen Mädchen mit einemmale alle Demütigungen vergelten zu können, die sie selbst seit Jahren und seit einer Viertelstunde neuerdings erlitten hatte.

Da sie Claire regungslos, fast erstarrt ansah, fürchtete sie, ihre Rivalin konnte ohnmächtig werden und ihrem Rachedurst entschlüpfen. Nein, das durfte nicht geschehen, Claire mußte noch die zweite Hälfte ihrer unseligen Eröffnungen ertragen.

»Du fragst mich nicht einmal um den Namen meines Verlobten?«

»Nein,« stammelte Clane, in peinliche Gedanken versunken, kaum wissend, was sie antwortete.

»Du mußt ihn jedoch kennen lernen, es ist meine Pflicht, ihn dir zu nennen,« versetzte Athénaïs. Und weit ausholend, langsam, als wollte sie genau die Stelle wählen, wo sie am sichersten treffen würde, sagte sie: »Es ist der Herzog von Bligny.«

Claire erwartete den Stoß, sie machte sich keine Illusionen mehr und war des Verrates des Herzogs gewiß. Und doch! Der Name des geliebten Mannes, von den Lippen ihrer Rivalin ausgesprochen, ließ sie neuerdings schmerzlich zusammenzucken, und mit zitternden Händen, trockenem Munde, die Augen von dunklen Ringen umgeben, fürchtend, daß jedes Wort ihre Aufregung verraten könnte, verharrte sie unbeweglich in ihrem Schweigen, den bittern Kelch der Enttäuschung bis auf die Neige leerend.

»Der Herzog von Bligny ist dein Verwandter,« fuhr Athénaïs fort, »dein Jugendfreund. Man hat sogar von gewissen Heiratsplänen zwischen euch gesprochen. Das lag mir am Herzen, nun verstehst du mich wohl? Ich komme daher, dich ehrlich davon zu benachrichtigen und dich zu befragen . . .«

In den falsch edelmütigen Worten Athénaïs' sah Claire etwas wie einen Hoffnungsschimmer leuchten. Vielleicht waren die Dinge noch nicht so weit gediehen, als man sie es glauben machen wollte. Sie faßte neuen Mut und beschloß, sich bis zum äußersten zu verteidigen.

»Mich befragen?« sagte sie, »und worüber denn?«

»Mein Gott, über das wirkliche Verhältnis des Herzogs zu dir,« antwortete Fräulein Moulinet. »Wenn es wahr ist, daß ihr insgeheim verlobt seid, könntest du mich anklagen, dir deinen Verlobten entrissen zu haben. Der Herzog hat um meine Hand angehalten, aber ich liebe ihn nicht, ich kenne ihn kaum . . . Er oder ein anderer, was liegt mir daran . . . Höre . . . sei einmal aufrichtig gegen mich. Liebst du ihn? Würde meine Heirat mit ihm dich kränken? Sprich ein einziges unumwundenes Wort und ich verpflichte mich, mit ihm zu brechen.«

Vielleicht, wenn Claire mutig ihre Liebe gestanden hätte, würde Athénaïs sich die höchste Befriedigung, die Großmütige spielen zu können, gegönnt haben und hätte entsagt, um Fräulein von Beaulieu in ihrem Stolze desto tiefer zu verletzen. In einem Augenblicke mußte sich das Geschick der beiden jungen Mädchen entscheiden. Aber von alledem, was Athénaïs gesprochen, behielt Claire nur den einzigen Satz: Der Herzog hat um meine Hand angehalten . . . Eine heiße Glut stieg ihr ins Gesicht und bereit, eher zu sterben, als ihre Neigung zu dem Herzog zu gestehen, verstand sie es, durch ein Wunder von Willenskraft, ihrem Blicke, ihrer Stimme zu gebieten und eine ruhige Haltung anzunehmen.

»Ich danke dir,« erwiderte sie mit eisigem Lächeln. »Sei aber versichert, daß ich die Frau nicht bin, die man verschmäht und verläßt. Wenn der Herzog mir gegenüber verpflichtet wäre, glaube nicht, daß er eine andere heiraten würde. Nein! Mein Gott, unter Verwandten ist es alltäglich, daß man die Kinder verlobt, Cousins miteinander verheiratet, ehe man zwei zählt; das sind Kinderspiele; aber man wächst heran, man kommt zur Vernunft und die Ansprüche des Lebens vernichten derlei Pläne. Der Herzog hat um deine Hand angehalten, sagst du? Heirate ihn! Es wäre jammerschade, wenn ihr nicht vereinigt würdet . . . Ihr seid eines des andern würdig!«

Athénaïs erbebte unter dem Schimpf der letzten Worte. Claire hatte ihr mit einem Schlage alle Bitternis wiedergegeben, die sie von ihr hatte erdulden müssen.

Die beiden Freundinnen sahen einander lächelnd an, aber mit tödlichem Lächeln. Ihr Kampf hielt sich stets in den Formen der ausgesuchtesten Höflichkeit. Es war ein Gefecht mit goldenen Nadeln, die sich spitz und schneidig wie Dolche ins Fleisch bohrten, ein Duell mit Fächern, lächelnd geführt, aber jede Bewegung perfid und beschimpfend wie Ohrfeigen, ein Damenkrieg mit schlau berechnetem Angriff, mit raffinierter Strategik, in welchem der heißbestrittene Sieg beide Gegnerinnen, gleich grausam verletzt, auf dem Schlachtfelde lassen mußte.

»Diese Heirat hat also nichts unangenehmes für dich?« begann Fräulein Moulinet wieder. »Wie glücklich machst du mich dadurch, denke doch, welch unverhofftes Glück! Deine Verwandte, deinesgleichen, diesmal in Wirklichkeit . . . und . . . Herzogin.«

»Alles, was du verdienst,« gab Claire mit tiefer Ironie zurück.

»Laß dich umarmen!« rief Athénaïs und warf sich dabei um Claires Hals, als wollte sie dieselbe erwürgen.

Fräulein von Beaulieu, unfähig, sich zu bewegen, ließ sie gewähren und Athénaïs konnte auf die Wange ihrer Feindin den heuchlerischsten Kuß drücken, den je ein Weib gegeben.

»Wisse, daß du in mir eine aufrichtige und ergebene Freundin hast.«

Claire besaß nur noch die Kraft, zu erwidern:

»Du hast mir soeben den Beweis davon geliefert.« Dann ließ sie sich mit zitternden Knieen auf ein Sofa niedersinken. Glücklicherweise trat eben die Baronin ein, die unruhig über das Wegbleiben der jungen Mädchen und irgend eine Bosheit des Fräuleins Moulinet vermutend, dieselben aufsuchte. Sie sah Claire totenbleich und gebrochen, Athénaïs aufrecht und strahlend und erriet sofort, was vorgefallen. »Was macht ihr denn hier, seid einer halben Stunde?« sagte sie. Und sich angstvoll über Claire neigend: »Was gibt's denn?«

Fräulein von Beaulieu antwortete nicht. Mit herzzerreißendem Blicke wies sie auf ihre Rivalin, die kalt ihre Handschuhe zurechtrückte, wie ein Duellant, der soeben seinen Gegner getötet. Dieser stumme, bittende Hilferuf brachte die Baronin außer sich. Sie fühlte einen entsetzlichen Zorn ihr zu Kopfe steigen, ihre kleinen Ohren wurden rot wie Feuer und mit drohender Gebärde auf Athénaïs zuschreitend, wies sie nach der Thüre, indem sie den bedeutungsvollen Satz begann:

»Geh hinaus . . .«

Mit seltener Geistesgegenwart schnitt Athénaïs so rasch die Beschimpfung ab, daß es scheinen konnte, als habe sie dieselbe nicht verstanden . . .

»Ja freilich werde ich gehen, um meinen Vater auf der Terrasse aufzusuchen;« dann wendete sie sich zu Claire: »Auf Wiedersehen!«

Und ohne ihren Schritt zu beschleunigen, wie um zu beweisen, daß sie sich siegreich vom Kampfplatze entferne, verließ sie den Salon.



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