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Zur Einleitung.
Absolute Ehrlichkeit – bis jetzt fehlend bei Moralisten. Jede Schwäche des Charakters wird sich an der Untersuchung kundgeben.
Sodann historischer Sinn.
Tapferkeit gegen die eigenen Neigungen zur Werthschätzung.
Altes Ziel: die Erzeugung höherer Menschen, die Verwendung der Menschenmassen als Mittel dazu.
Zum Plane.
Jede objektive Verbindlichkeit fehlt. Die Übereinstimmung Aller ein lebensfeindliches Princip.
Es sind Befehle von Individuen: eine unbewußte Sklaverei
es ist eine Forderung der Ehrlichkeit, was man der Nützlichkeit wegen thut, auch als solche zu bezeichnen.
Motive der Ehrlichkeit usw. liegen in den Antrieben der Mächtigen: in derselben Sphäre wächst auch die Emancipation von der Moral.
Unverantwortlichkeit positiv wenden: wir wollen unser Bild vom Menschen durchsetzen. Daß man's kann! – ist die Sache! Wer sich unterworfen fühlt, gehört in die niedere Ordnung. Es muß "Sklaven" geben.
Man übersah bisher das Individuelle als schöpferisch: man sah nur Verbrecher usw. man übersah den Haupt-Verbrecher
Homer Michel Angelo.
Möglichste Verschiedenheit der Individuen! Entfesselung des Kampfes!
Man will zu einer Ethik: und weil man vom Egoismus aus sie nicht glaubt finden zu können, flüchtet man zur Autorität, zum Herkommen.
der sittliche Geschmack ist eine Sache ohne Gründe – aber er ist entstanden einmal als Zwang, in Folge von anderen Trieben, welche ein bestimmtes Urtheil und Werthschätzen aufnöthigten.
Wo wir unsre Gefühle nicht mehr wegen ihrer Complizirtheit der Entstehung abzuleiten wissen, da setzen wir sie an als etwas Anderes: so sind die aesthetischen ethischen moralischen metaphysischen Triebe zu verstehen.
Wir empfinden einen Namen und meinen, ihm entspreche etwas Neues.
NB. Die moral<ische> Denkweise folgt unsrer Handlungsweise, aber führt sie nicht!
Wo kein Trieb zum Gehorchen da ist, da hat ein "du sollst" keinen Sinn.
So wie wir sind – so werden wir widerspenstig bei einem "du sollst". Unsere Moral muß heißen "ich will".
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Der Egoism des Einzelnen greift thatsächlich so weit als er kann und Kraft hat –: es ist Unsinn, sich zu fürchten vor den Folgen des Egoist<ischen> Princips. Niemand wird durch Principien in Schranken gehalten!
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Zu schreiben und nicht zu fragen, welche Dauer jetzt alles Geschriebene hat, wäre sehr oberflächlich!
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Die Sicherheit unsrer Handlungsweise ist außer allem Verhältniß zur Güte unsrer Gründe, so und so zu handeln!
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von Sokrates an die Tugend ohne Scham (in Concurrenz) und als Gegenstand der Klugheit hat sie Scham nicht nöthig! Eine Art Selbst-Erniedrigung der Tugend. –
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Kritik des "Guten", ja des Besten ! Skepsis sehr berechtigt!
Meine Gesamtrichtung geht nicht auf Moral – was ehedem Sünden-Bewußtsein, das wende ich auch gegen den Intellekt, die Tugend, das Glück, die Kraft des Menschen.
Aus einer wesentlich außermoralischen Betrachtungsweise kam ich zur Betrachtung der Moral aus der Ferne.
Die Bedingungen zu errathen, unter denen die zukünftigen Menschen leben – weil ein solches Errathen und Vorwegnehmen die Kraft eines Motivs hat: die Zukunft als das, was wir wollen, wirkt auf unser Jetzt.
Die Unmoralität unserer Zeit in ihrem Besten (z.B. dem Mangel an Pietät gegen Natur)
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Reden an meine Freunde.
Ich habe mich immer darum bemüht, die Unschuld des Werdens mir zu beweisen: und wahrscheinlich wollte ich so das Gefühl der völligen "Unverantwortlichkeit" gewinnen – mich unabhängig machen von Lob und Tadel, von allem Heute und Ehedem: um Ziele zu verfolgen, die sich auf die Zukunft der Menschheit beziehen.
Die erste Lösung war mir die aesthetische Rechtfertigung des Daseins. Indessen: "rechtfertigen" selber sollte nicht nöthig sein! Moral gehört in's Reich der Erscheinung.
Die zweite Lösung war mir die objektive Werthlosigkeit aller Schuld-Begriffe und die Einsicht in den subjektiven, nothwendig ungerechten und unlogischen Charakter alles Lebens.
Die dritte Lösung war mir die Leugnung aller Zwecke und die Einsicht in die Unerkennbarkeit der Causalitäten.
die Erlösung durch den Schein: das principium individuationis mit aller Moral für das Individuum eine erlösende Vision.
Moral Mittel, innerhalb der Individuation zu bleiben und nicht in das Urleiden zurückverschlungen zu werden.
die Kunst als die "eigentlich metaphysische Thätigkeit des Menschen".
daß das "Leben im Grunde der Dinge trotz allem Wechsel der Erscheinungen unzerstörbar mächtig und lustvoll sei" p. 54. als Trost der Tragödie.
Ihn rettet die Kunst (vor einer Verneinung des Willens:) und durch die Kunst rettet ihn sich das Leben.
Ein Protest gegen den Pessimismus: vom Standpunkte der Griechen aus. Der "tiefsinnige" und zum zartesten und schwersten Leiden einzig befähigte Grieche.
Die Musik als die bei weitem lebendigste Kunst.
Die Aufgabe der Musik in einem zer dachten Zeitalter, das denkmüde ist:
p.82 Die Wissenschaft immer wieder an ihre Grenzen geführt muß in Kunst umschlagen – das, was sie führt, ist der Wahn, sie könne das Dasein corrigiren.
Sokrates durch Wissen und Gründe der Todesfurcht enthoben.
die Bestimmung der Wissenschaft, das Dasein als begreiflich und damit als gerechtfertigt erscheinen zu machen: wozu zuletzt, wenn die Gründe nicht reichen, auch der Mythus dienen muß – auf den ist es abgesehen im Grunde!
Wäre jene Summe von Kraft nicht auf Erkenntniß verwendet worden, sondern auf die praktischen Ziele der Völker und Menschen, so wäre die Lust am Leben so abgeschwächt, daß eine Ethik der Vernichtung aus Mitleid hätte entstehen können (Die Inder zu schwach und passiv selbst in ihrem Mitleiden)
die tragische Erkenntniß braucht die Kunst, "die in's Unaufhellbare starrt"
Die Kunst als abhängig dargestellt von der Entwicklung der Erkenntniß: sie bricht dort heraus, wo die Erkenntniß sich selber verzehrt.
Wir sollen die Lust nicht in den Erscheinungen, sondern hinter ihnen suchen.
p. 92 Quintessenz.
p. 102. die Selbstvernichtung der Erkenntniß und Einsicht in ihre letzten Grenzen war das, was mich für Kant und Schopenhauer begeisterte. Aus dieser Unbefriedigung glaubte ich an die Kunst.
Ich meinte, ein neues Zeitalter für die Kunst sei gekommen. Ich empfand das Resultat der Philosophie als ein tragisches Ereigniß: wie aushalten!
Mir schien W<agner> ein Mittel, die D<eutschen> dem Christenthum zu entfremden
sein altersmüdes Werk Parsifal spricht auch nicht dagegen noch weniger die blindwüthigen Verehrer mit ihren geschundenen Knien und Gehirnen.
Glaube an die Wiedergeburt der griechischen Welt p. 117.
"ein anderer Sinn und eine höhere Lust, zu denen sich der kämpfende Held nicht durch seine Siege, sondern durch seinen Untergang vorbereitet" p. 120.
"Erst ein mit Mythen umstellter Horizont schließt eine ganze Culturbewegung zur Einheit ab" p. 132.
p. 136 antichristlich – in diesem Sinne,
p. 142 " " " deutsche Hoffnung
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Das ganze 18te Jahrhundert hatte die tiefste Verachtung gegen die gothische Baukunst Lecky I 199.
Dieses Jahrhundert hatte seinen Geschmack. Der Mailänder Dom als Gegenstand des Spottes.
Unser Jahrhundert muß viele jener Empfindungen wieder gewonnnen haben, aus denen jene Kirchen entstanden sind –
Die Verkennung Homers s. bei – – –
die Beurtheilung des Laokoon bei Winckelmann.
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Mitleiden. Zunächst Nachbilden eines fremden Schmerzes. Darauf muß nun eine Reaktion erfolgen
entweder gewaltsames Sich-aus-dem-Sinne-schlagen, Davon-laufen (wie beim Anblick einer ekelhaften Wunde
oder positives Beseitigen und Vernichten des uns Wehethuenden, also mit Eingriff in die Sphäre des Leidenden, von ihm als Hülfe usw. interpretirt.
Über jedes Leiden sind wir empört, wenn es sinnlos ist, " unverdient" ist (unsre Gewohnheit zu tadeln und strafen wirkt hier als verletzter Trieb: das Bild des Leidenden ist ein Angriff auf die Grundlagen dieses Triebs) Wir reagiren gegen diese Empörung mit "Hülfe" usw.
Sodann: – wir schaudern, wir selber fühlen die Gefährlichkeit, Unsicherheit Plötzlichkeit des Unglücks "es ist unglaublich!" – unser Sinn für das Harmonische und Logische ist empört.
wo wir fühlen helfen zu können, erwacht unser Machtgefühl, daher der Pflichteifer, die Anspannung, der Heroismus bei dem Retten von Verunglückten; die Lust an einer Gelegenheit, tapfer zu sein usw.
Liebe, Zärtlichkeit sind nicht nothwendig dabei!
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Hartmann p.776. die Souveränität des Individuums fällt bei ihm mit egoistischen Klugheitsrücksichten, welche der Willkür Schranken setzen, zusammen! Das charakterisirt!!
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Der Nächste als unser Erzeugniß
die Züge ihm gegeben, auf welche unsre Triebe reagiren. Das ganze Bild ein uns nützliches Erzeugniß: das uns Wohlthätige, Schädliche usw. Ist herausgekehrt – zum Zwecke der Assimilation oder der Flucht.
Was ist also "Nächstenliebe"?
Der Nächste an sich unerkennbar, sondern nur nach uns zu erschließen, und dies gemäß unsrer Feinheit und Grobheit von Beobachtung: unserer Übereiltheit im Schließen (Sache der Furcht oder der Sehnsucht) usw.
Wir bekämpfen in unseren Feinden das uns Schädlich-Scheinende: was unserem Wachsthum, unserem Fortleben hinderlich ist, was uns die Luft verdirbt: wir bekämpfen also unsre Triebe des Mißtrauens, der Spannung – d. h. eine Art Triebe beseitigt eine andre.
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Die Juden durch die aegyptische Gefangenschaft verdorben.
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Die Architektur: das Ferne nahe zu bringen (Peterskirche)
anderes Princip: möglichstes Streben in die Ferne.
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Man haßt den am meisten, der uns zu Empfindungen zurückverführt, über die wir mit größter Anstrengung Sieger wurden: der uns nach dem Siege an unsre Feinde verräth: wie es dem geht, der noch zur Rache verführt wird, nachdem er vergeben hat.
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das Gewissen verändert <sich> nach der Umgebung, in der wir leben; insofern das Gefühl der Nicht-Übereinstimmung der Werthschätzung bei uns den Trieb der Furcht, Skepsis, des Verschweigens, der Verstohlenheit usw. erzeugt: diese Triebe entladen sich allmählich sofort bei unseren Regungen und verwandeln unser Gewissen in ein böses Gewissen.
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Wagner hat viele Wohlthaten von seinen Zeitgenossen empfangen: aber er meinte, die grundsätzliche Ungerechtigkeit gegen Wohlthäter gehöre zum "großen Stile": er lebte immer als Schauspieler und im Wahne der Bildung, wie sie Schauspieler zu haben pflegen. Ich selber bin vielleicht sein größter Wohlthäter gewesen. Es ist möglich, daß in diesem Falle das Bild länger lebt als der, welchen es abschilderte: das liegt darin, daß in meinem Bilde noch Raum ist für eine ganze Anzahl wirkliche Wagners: und vor Allem für viel reicher begabte und reiner wollende.
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Wer unter Deutschen lebt, muß sich schon glücklich schätzen, Einen zu finden, der von jener idealistischen Selbst-Belügnerei und Farbenblindheit sich freihält, welche die Deutschen lieben und beinahe als Tugend selber verehren. (Die Franzosen mit ihrem Montaigne La Rochefoucauld Pascal Chamfort Stendhal sind eine viel reinlichere Nation des Geistes) Dies war meine Freude, als ich Rée kennen lernte: er redete von der Moral, so weit er von ihr wußte, und ohne sich Etwas auf seine Moral-Triebe einzubilden. Freilich: er wußte von ihr nicht viel und dies fast nur aus Hören-sagen: und er meinte zuletzt am Ende, Moral selber sei Hören-sagen.
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Seit Kant ist alles Reden von Kunst, Schönheit, Erkenntniß, Weisheit vermanscht und beschmutzt durch den Begriff "ohne Interesse".
Mir gilt als schön (historisch betrachtet): was an den verehrtesten Menschen einer Zeit sichtbar wird, als Ausdruck des Verehrungs- Würdigsten.
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Es war ein Verdienst des Helvétius, eine Sache der Bravheit, sich der Lust (intérêt) anzunehmen (so Socrates mit dem Nutzen) . ganz wie Epicur (im Gegensatz zu der Lust am Paradoxen, wie bei Mandeville): und es war vielleicht plaisir zu sagen, wie Stendhal wünschte, ihm doch schon zu verletzend (für den moralischen Geschmack, aus dem er selber erwuchs)
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Wie die Optik hinter dem Sehen herhinkt, so die Moralistik hinter der Moralität.
Die Einzelbeobachtungen sind bei weitem das Werthvollste.
Eine moral<ische> Grundfehler-Theorie ist meist der Ursprung der großen philosophischen Systeme: es soll etwas bewiesen werden, wozu die Praxis des Philosophen stimmt (Spinoza z. B.) (Schopenhauer Ausnahme – noblesse darin)
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Meine Forderung: Wesen hervorzubringen, welche über der ganzen Gattung "Mensch" erhaben dastehen: und diesem Ziele sich und "die Nächsten" zu opfern.
Die bisherige Moral hatte ihre Grenze innerhalb der Gattung: alle bisherigen Moralen waren nützlich, um der Gattung zuerst unbedingte Haltbarkeit zu geben: wenn diese erreicht ist, kann das Ziel höher genommen werden.
Die eine Bewegung ist unbedingt: die Nivellirung der Menschheit, große Ameisen-Bauten usw. (Dühring zu charakterisiren als außerordentlich ärmlich und typisch- gering, trotz seinen pathetischen Worten)
Die andere Bewegung: meine Bewegung: ist umgekehrt die Verschärfung aller Gegensätze und Klüfte, Beseitigung der Gleichheit, das Schaffen Über-Mächtiger.
Jene erzeugt den letzten Menschen. Meine Bewegung den Übermenschen.
Es ist durchaus nicht das Ziel, die letzteren als die Herren der Ersteren aufzufassen: sondern: es sollen zwei Arten neben einander bestehen – möglichst getrennt; die eine wie die epikurischen Götter, sich um die andere nicht kümmernd.
Grundsätze: es hat keine moralischen Handlungen gegeben. Und es ist jede Moral unmöglich: ebenso wie jede moralische Handlung.
Aber Geschichte dessen, was bisher als moralische Handlung gegolten hat: und wahre Bedeutung desselben. Und Geschichte der Entstehung dieser Geltungen.
Sie gehen alle vom Glauben aus, daß die Moralität selber da sei, mindestens als bewußter Maaßstab (wie bei Kant), daß es bekannt sei, was gut und böse ist.
Die wesentliche Unerkennbarkeit.
Es wird nothwendig Etwas erreicht: aber schon ein Wissen darum ist unmöglich, also auch ein Vorherwissen!
Wichtigster Gesichtspunkt: die Unschuld des Werdens zu gewinnen, dadurch daß man die Zwecke ausschließt. Nothwendigkeit, Causalität – nichts mehr! Und alles das als Verlogenheit zu bezeichnen, dort von "Zweck" zu reden, wo immer ein nothwendiges Resultat vorliegt! Die Geschichte kann niemals "die Zwecke" beweisen: denn allein klar ist, daß, was Völker und Einzelne gewollt haben, immer etwas wesentlich Anderes war als das, was erreicht wurde – kurz, daß alles Erreichte dem Gewollten absolut incongruent ist (z.B. Kauen als "Absicht" und "Aktion")
Geschichte der "Absichten" ist etwas Anderes als Geschichte der "Thatsachen": – in der Moral. Es ist das gemeinste Vorurtheil, welches von der Handlung nicht mehr sieht als was an ihr sich mit dem Beabsichtigten Zwecke deckt. Es ist dieses Augenmerk auf Zwecke ein Zeichen der tiefen Stufe des Intellekts – alles Wesentliche, die Handlung selber und das Resultat werden übersehen!
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Bei meiner Wanderung durch die vielen feineren und gröberen Moralen, fand ich gewisse Züge regelmäßig immer mit einander wiederkehrend und an einander geknüpft: so daß sich mir endlich zwei Grundtypen verriethen: es giebt Herren-Moral und Sklaven-Moral. Ich füge hinzu, daß in Zeiten höherer Cultur Versuche der Verurtheilung beider Moralen zum Vorschein kommen, noch öfter ein Durcheinander derselben, ja bisweilen ein hartes Nebeneinander – sogar im selben Menschen, innerhalb Einer Seele.
Erste Frage: wo sind die moralischen Werthschätzungen entstanden? Im Allgemeinen unter Aristokraten, unter einer herrschenden Art, welche sich ihres Unterschieds gegen eine beherrschte bewußt wird.
Im Allgemeinen bedeutet das moralische Werthschätzen, daß sich eine höhere Art Mensch gegen eine niedrigere als höhere bewußt wird.
Die Nöthigung, sie zu bilden, bestand einmal im Verhältniß zu den Unterworfenen, dann im Verhältniß zur Tugend. Im ersten Falle wird an den Eigenschaften das Auszeichnende, Seltene, Edle, Abhebende hervorgehoben, im anderen Falle das Schwere in der Erlangung und Festhaltung des vornehmen Typus, kurz in der Arbeit zur Tugend.
Zweite Frage. Was folgt im Allgemeinen aus der Thatsache, daß die Herrschenden es sind, welche den Begriff "gut" bestimmen?
Es giebt in der That eine Menge von Zügen, die bei den verschiedensten Moralen wiederkehren: der Grund liegt darin, daß die Züge des Mächtigen darin sind.
Der Unmoralische ist im Allgemeinen der Verächtliche (nicht der "Böse").
Dies geht bis in die letzte Consequenz: selbst der, welcher, gleich mir, die moralischen Werthschätzungen selber unter einander abschätzt, will sich damit als einen höheren Menschen abscheiden von denen, welche unter hergebrachten Werthschätzungen es aushalten zu leben.
Es sind die erhobenen stolzeren Zustände, welche als "gut" bezeichnet werden:
Verachtung des Feigen, Ängstlichen
Verachtung des an enge Nützlichkeit Denkenden, Kleinlichen
Verachtung des Mißtrauischen, der Schwüre haben will
Verachtung des Armen, Bettelnden, Sich-Erniedrigenden, Sklaven- und Hunde-Art, welche sich mißhandeln läßt.
Ehre dagegen dem Gefühl der Fülle und des Überströmens. reich genug, um dem Unglücklichen zu helfen,
Ehre für den, welcher Macht über sich selber hat, zu reden und zu schweigen versteht, zu befehlen und zu gehorchen versteht
Ehre der Weisheit, welche den langen Nutzen ins Auge zu fassen versteht und lange Beschlüsse festhalten kann
Ehre dessen, der nicht gefallen will, weil er sich gefällt: des Stolzen.
Ehrerbietung gegen die Älteren
gegen das Herkommen
die Ehrerbietung gegen die Frauen ist modern: es fehlt etwas die Achtung vor dem Alter.
αμυνεσθαι "Abwehr" in der Rache.
Fähigkeit zur langen Dankbarkeit und Rache.
Wiedervergeltung als Wahn der Gerechtigkeit. –
wer gleichgültig gegen eine schwere Kränkung bleibt, ist verächtlich ...... aber: "der ist der beste Mann, der die meisten Beleidigungen zu ertragen weiß" Menander.
aber nicht nachzutragen geneigt! –
vollkommene Verschiedenheit in der Beurtheilung von Handlungen gegen Gleiche und gegen die Wesen niedrigen Ranges.
der Freund
Der Feind gilt nicht als verächtlich: deshalb haben die bösen Handlungen als Feindes-Handlungen eine andere Schätzung.
In sofern Feindschaft noth thut, muß auch der Sinn dazu erhalten bleiben, also in gewissem Sinn gepflegt werden.
(so die Lüge bei den Spartanern)
die Härte, Grausamkeit usw.
Man muß Feinde haben als Abzugsgräben solcher Affekte, wie Neid, Streitsucht – um gut Freund sein zu können.
der Mächtige urtheilt: wer mir schadet, ist an sich schädlich. Er ist der höchste Werthbestimmer.
Das Logische, die Zeit, der Raum müßten von uns produzirt sein: Unsinn! Wenn der Geist ihren Gesetzen sich fügt, so ist es, weil sie thatsächlich wahr sind, wahr an sich! Daß wir an diese Wahrheit glauben, absolut, das ist die Folge davon, daß die Abnormen aussterben: der Fehler an diesen Wahrheiten rächt sich.
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Wie müßte das Gleichartige in der Moral aussehen, wenn die Schwächeren, Beherrschten und Gedrückten moralisiren?
Wenn die Vergewaltigten, Gedrückten, Leidenden, Unfreien, ihrer-selber-Ungewissen, Müden moralisiren: was wird das Gleichartige ihrer moralischen Unterscheidungen sein? Wahrscheinlich wird ein Argwohn zum Ausdruck kommen; vielleicht eine Verurtheilung des Menschen mitsammt seiner Lage.
Ein abgünstiger Blick für die Tugenden der Mächtigeren: feine Skepsis und Mißtrauen gegen alles "Gute" wird dort geehrt und Verkleinerung des Glücks der Mächtigen und des Lebens.
Hervorkehrung der Eigenschaften, vermöge deren sich Leidende das Leben erleichtern: Ruhm des Mitleidens, aber aus anderen Gründen, als wenn die Mächtigen es rühmen (die Nützlichkeit ist der Grund)
Ruhm der Demuth und Verfeinerung dieses Gesichtspunktes in allgemeiner Unterwerfung unter die Gesetze des Daseins: Vorliebe für "Unfreiheit des Willens" – der Mensch durch und durch abhängig.
Eine Art Rache liegt in der Hervorkehrung der entgegengesetzten Tugenden: so wird gelobt Abstinenz, willkürliche Peinigung, Einsamkeit, geistige Armut: und mit der Zukunft verbindet man die Apathie.
Diese ganze Moral-Wendung ist in Europa jüdisch.
Gesetzt, eine solche Gesinnung kommt allmählich zur Herrschaft und Menschen mit ihr werden die Herrschenden: so ist die Folge eine ungeheure moralische Verlogenheit (oder Schamlosigkeit).
(das Plebejische in den griechischen Moralisten Socrates)
Dies geschah im europäischen Priesterthum. Im englischen Utilitarism, in Kant, Schopenhauer.
(Werth der Franzosen-. Ihr Takt hinsichtlich der Scham)
Nun ist eine zweite Wendung möglich: die der Schamlosigkeit: die allgemeine Lust an der Bestie Mensch, an der Thatsache der Illusionen
Unter den Beherrschten wird das Böse " schlecht".
Vorstellung einer großen Rache (Tertullian)
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Da Rée von dem Grundsatze ausgeht, gut sei allein das, was Einer nicht um seiner selber willen thue: so hat er sich in der lächerlichsten Weise selber die Schnur um den Hals gelegt, wenn er der Gesellschaft das Recht geben will, von dem Satze "der Zweck heiligt das Mittel" Gebrauch zu machen. Denn mit allem Strafen von Verbrechen will die Gesellschaft ihre Erhaltung und Förderung – das ist kein Zweifel. Folglich ist ihr Zweck kein guter, kein heiliger: folglich kann ihr Zweck nicht ihre bösen Mittel heiligen.
Wer an "gut" und "böse" hängen bleibt, kann nicht strafen: ebenso wer an "verdient" und "nicht verdient" glaubt: alledem gegenüber muß man die absolute Kausalität aufstellen. – Nur wenn man als höhere Art Mensch sich die Macht nimmt, die geringere zu unterdrücken, in Zaum zu halten, jedenfalls ihr auf alle Weise Feindschaft zu machen: verstehe ich alles "Strafen". Es ist Unterdrückung – mit dem Worte Recht treibt man Pharisäismus. Ich wüßte nicht, woher es abzuleiten wäre, daß das Stärkere, Höhere seine Macht gegen das Geringere ausüben dürfte: noch weniger, warum es das nicht dürfte.
Überall, wo das Höhere nicht das Mächtigere ist, fehlt etwas am Höheren selber: es ist nur ein Stück und Schatten erst.
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Schmerz und Lust sind nur Begleiterscheinungen.
Der Hunger hat nicht als Ziel Befriedigung des Appetits: sondern der Prozeß, dessen Merkmal für uns Hunger heißt, ist überhaupt kein Trieb und kein Zustand der Empfindung: es ist ein chemischer Zustand, in dem die Affinität zu anderen Dingen vielleicht größer ist.
Wie armselig steht es mit unserer Einsicht in alles Wirkliche, wenn wir an Lust und Unlust als die einzige Sprache desselben gebunden sind!
"Trieb" ist nur eine Übersetzung in die Sprache des Gefühls aus dem Nichtfühlenden:
"Wille": das ist das, was in Folge jenes Vorgangs unserem Gefühle sich mittheilt – also bereits eine Wirkung, und nicht der Anfang und die Ursache.
Unser Sprechen ist ein Mischmasch zweier Sphären.
"Zweck und Mittel" – ist nur aus der Sprache des Gefühls genommen.
Also sämmtliche Funktionen gehen ihren Gang: aber wie wenig merken wir davon! – Und doch meinen wir, mit "Zwecken", mit Glückseligkeits-Streben unser Handeln zu erklären!
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Nicht "das Glück folgt der Tugend" – sondern der Mächtigere bestimmt seinen glücklichen Zustand erst als Tugend.
Die bösen Handlungen gehören zu den Mächtigen und Tugendhaften: die schlechten niedrigen zu den Unterworfenen.
Der mächtigste Mensch müßte der böseste sein, insofern er sein Ideal an allen Menschen durchsetzt gegen alle ihre Ideale und sie zu seinem Bilde umschafft – der Schaffende.
Böse heißt hier: hart schmerzhaft aufgezwungen
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Solche Menschen wie Napoleon müssen immer wieder kommen und den Glauben an die Selbstherrlichkeit des Einzelnen befestigen: er selber aber war durch die Mittel, die er anwenden mußte, corrumpirt worden und hatte die noblesse des Charakters verloren. Unter einer anderen Art Menschen sich, durchsetzend hätte er andere Mittel anwenden können und so wäre es nicht nothwendig, daß ein Cäsar schlecht werden müßte.
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Der gemeinen Masse zur Herrschaft zu verhelfen ist natürlich das einzige Mittel, ihre Art zu veredeln: aber erst als herrschende, nicht im Kampfe um die Herrschaft dürfte man darauf hoffen. Der Kampf entfesselt vielmehr ihre tiefste Gemeinheit.
So ist eine zeitweilige Herrschaft der Juden das einzige Mittel, sie zu veredeln.
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"Wir handeln nach Zwecken" (nach Vorstellungen zu erwartender angenehmer Gefühle) – so sagen wir. In Wahrheit geschieht etwas ganz Anderes, Unbewußtes und Unwißbares: den kleinsten Theil dessen, was geschieht, fassen wir in's Auge beim Worte "Zweck und Mittel" – und auch den legen wir erst aus als Zweck und Mittel.
Wir reden so als ob die Gefühle Ursachen wären und Ursachen sein könnten im Reich des Nicht-Fühlenden.
Die Bilder und Reflexe eines Prozesses werden von uns als Prozeß selber verstanden und ausgedeutet.
Das ist unser größter Irrthum, zu meinen, die Wirklichkeit eines Vorgangs werde durch Lust und Schmerz bewiesen, hier gehe es am realsten zu.
Die Gefühle als Begleit-Erscheinungen können uns wohl die Folge der Vorgänge lehren, von denen sie Bilder sind: aber nicht die Causalität dieser Folge.
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Wer Anderen nützt, warum soll der besser sein als wenn er sich nützt? Doch nur, wenn der Nutzen, den er Anderen erweist, in einem absoluten Sinn höherer Nutzen ist als der welchen er sich erweist. Sind die Anderen weniger werth, so wird er, wenn er sich nützt, selbst auf Unkosten der Anderen, Recht handeln.
Alles Gerede von "Nutzen" setzt schon voraus, daß das, was den Menschen nützlich ist, definirt sei: mit anderen Worten, Nützlich wozu! d.h. der Zweck des Menschen ist schon voraus genommen. Erhaltung, Glücklich-machen usw. wenn das Zwecke sind: so sind doch auch unter Umständen die Gegentheile die höheren Zwecke z. B. bei einer pessimistischen Ansicht vom Leben und Leiden.
Also ein Glaube ist schon vorausgesetzt – beim Lobe des Uneigennützigen: daß das ego nicht verdiene, dem ego Anderer vorgezogen zu werden? Dem widerstreitet aber die höhere Taxation des Uneigennützigen: gerade es wird ja angenommen, daß er eine seltnere Art sei. Weshalb soll nun der seltnere höhere Mensch sich aus dem Auge verlieren? – Er soll's gar nicht, es ist eine Dummheit, aber er thut's: und die Anderen haben den Vortheil davon und sind ihm dafür dankbar: sie loben ihn. – Also die Egoisten loben den Unegoistischen, weil er so dumm ist, ihren Vortheil seinem Vortheile voranzustellen: weil er so handelt, wie sie nicht handeln würden – aber zu ihren Gunsten.
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Nach Spinoza: "sofern der Mensch die Vernunft anwendet, hält er nur das für nützlich, was zum Erkennen führt".
7 [32]
Der Alleinherrscher und der Sklave (ersterer zum Gotte geschraubt, letzterer in eben dem Maaße sinkend)
7 [33]
Daß in allen "Sinnes-Eindrücken" wir nicht nur passiv, sondern sehr aktiv sind, auswählend, verbindend, ausfüllend, auslegend – es handelt sich um die Ernährung wie bei der Zelle: um Assimilation und Umstellung des Ungleichartigen.
7 [34]
die engen Mittel der Erkenntniß "der ist beruhigt, bezähmt, entsagend, geduldig, gesammlet" die näheren: Vedastudium, Opfer, Almosen, Büßen, Fasten – ein Mittel zur Erreichung der Erkenntniß.
7 [35]
Spinoza nahm mit seiner Ethik Rache am jüdischen Gesetz: das Individuum kann thun, was es will ähnlich wie Paulus.
7 [36]
Kant suchte die äußerste Gebärde des moralischen Stolzes als er allen Eudämonismus verwarf: das absolute Gehorchen: das Ideal eines Unterworfenen und Gedrückten, der allen Werth dorthinein setzt, wozu die Gehorchenden die beste Vorübung haben – und nur ja keine "Lust"!
7 [37]
"Illusionen sind nöthig, nicht nur zum Glück, sondern zur Erhaltung und Erhöhung des Menschen: insonderheit ist gar kein Handeln möglich ohne Illusion. Selbst jeder Fortschritt der Erkenntniß ist durch die Illusion erst möglich: folglich muß der Quell der Illusion unterhalten werden, falls wir erkennen, gut handeln und wachsen wollen" – so dachte ich einst.
Gäbe es eine absolute Moral, so würde sie verlangen, daß unbedingt der Wahrheit gefolgt werde: folglich, daß ich und die Menschen an ihr zu Grunde gehen. – Dies mein Interesse an der Vernichtung der Moral. Um leben und höher werden zu können – um den Willen zur Macht zu befriedigen, müßte jedes absolute Gebot beseitigt werden. Für den mächtigsten Menschen ist auch die Lüge ein erlaubtes Mittel, beim Schaffen: ganz so verfährt die Natur.
7 [38]
Die Moral der Klugheit bei unterdrückten Naturen ausgebildet: bis dahin, daß das Verbrechen, welches verborgen bleibt und wohlthätige Folgen für den Thäter hat, tugendhaft sei.
Das Erstreben der Lust als Ziel der Moral ist schon charakteristisch für unterdrückte und leidende Naturen.
Die vorhandene Lust schätzt die Dinge ab bei den Mächtigen: das hohe Gefühl wird da intellektuell.
Eudämonism Hedonism Utilitarianism als Zeichen der Unfreiheit, ebenso alle Klugheits-Moral.
Heroism als Zeichen der Freiheit. "Fingerzeige einer heroischen Philosophie."
Zum Heroism gehört dann auch der herzliche Antheil am Kleinen, Idyllischen.
7 [39]
Man muß die Moral nicht bei den Schriftstellern über Moral suchen (noch weniger die Moralität!), die Moralisten sind in der großen Mehrheit Gedrückte Leidende Ohnmächtige Rachsüchtige – ihre Tendenz ist ein Bischen Glück: Kranke, welche meinen, Genesung sei Alles.
7 [40]
Aus La Rochefoucauld schimmert eine sehr noble Denkart der damaligen Gesellschaft hindurch: er selber ist ein enttäuschter Idealist, der nach Anleitung des Christenthums die häßlichen Namen der damaligen Triebfedern hervorsucht.
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Die moralische Complizirtheit der Seele durch Christenthum und Ritterlichkeit gehört mit zum Charakter Louis XIV und seiner Zeit: die Griechen (Homer) erscheinen zu schlicht und einfältig, auch ihren Seelen nach.
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Bei der Freizügigkeit des Verkehrs können Gruppen gleichartiger Menschen sich zusammenthun und Gemeinwesen gründen. Überwindung der Nationen.
Die Raubthiere und der Urwald beweisen, daß die Bosheit sehr gesund sein kann und den Leib prachtvoll entwickelt. Wäre das Raubthierartige mit innerer Qual behaftet, so wäre es längst verkümmert und entartet.
Der Hund (der so viel klagt und winselt) ist ein entartetes Raubthier, ebenso die Katze. Eine Unzahl gutmüthiger gedrückter Menschen beweisen, daß die Gutartigkeit mit einem Herunterkommen der Kräfte verbunden ist: die ängstlichen Empfindungen überwiegen! und bestimmen den Organismus.
Man muß also das Böse, welches als Überfeinerung und Stimulans, als Folge physischer Entartung auftritt (Grausamkeits-Wollust usw.) und den moralischen Stumpfsinn bei moral insanity nicht in den Vordergrund stellen!
Das Gute zu betrachten, wie es als Zeichen der Entartung auftritt – als religiöser Wahnsinn z. B. als Philanthropie usw.: überall wo der gesunde Egoismus nachläßt und Apathie oder Ascese erstrebt werden. Der "Heilige" als Ideal leiblicher Verkümmerung, auch die ganze Brahman-Philosophie ein Zeichen der Entartung.
ihr "Böses".
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Stendhal citirt als Sprüchwort der Coulissen: "Telle trouve à se vendre, qui n'eût pas trouvé à se donner."
"Niemand will sie geschenkt: so muß sie sich schon verkaufen!" – sagte ich
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Ich betrachte die griechische Moralität als die höchste bisherige; was mir bewiesen damit ist, daß sie <es> mit ihrem leiblichen Ausdruck auf das Höchste bisher gebracht hat.
Dabei aber meine ich die thatsächliche Volks-Moralität, – nicht die von den Philosophen vertretene: mit Socrates beginnt der Niedergang der Moral: es sind lauter Einseitigkeiten in den verschiedenen Systemen, die ehemals Glieder eines Ganzen waren – es ist das auseinandergefallene ältere Ideal. Dazu kommt der vorherrschend plebejische Charakter, es sind Menschen ohne Macht, bei Seite Gestellte, Gedrückte usw.
In der neueren Zeit hat die italienische Renaissance den Menschen am höchsten gebracht: " der Florentiner" – aus ähnlichen Gründen. Man sieht auch da die einzelnen Bedingungen, neben den vollkommenen und ganzen Menschen, wie Bruchstücke: z.B. "der Tyrann" ist ein solches Bruchstück: der Kunstliebhaber.
Vielleicht war der Provençale schon ein solcher Höhepunkt in Europa – sehr reiche, vielartige, doch von sich beherrschte Menschen, die sich ihrer Triebe nicht schämten.
7 [45]
Luther verräth in der Art, wie er Feind ist, seine bäurische Abkunft und Gemeinheit, Mangel an Vornehmheit.
7 [46]
Napoleon corrumpirt im Kampf um die Macht, wie Bismarck. Ich hoffe auf kleine "Tyrannen" für's nächste Jahrhundert.
7 [47]
" Moral als Zeichensprache."
7 [48]
Die Anfänge des moralischen Urtheilens (also der Moral welches spät, vielleicht um Jahrtausende später gekommen ist als die Moralität, kann man sich gewiß nicht leicht ärmlich genug denken: daher hatte ich Vergnügen, zu sehen, wie R<ée> auf ein paar Klugheiten, ein paar Irrthümer, ein paar Vergeßlichkeiten das ganze wundervolle gothische Bauwerk der Moral aufzubauen unternahm! ich selber hatte andere Grundlagen: aber die Tendenz, daß es möglichst schlechte sein müßten, hatten wir gemeinsam.
7 [49]
Wie vernagelt und unwissenschaftlich da noch alles zugeht – siehe die erste Seite Lecky!
7 [50]
Kriegstüchtig und gebärtüchtig: das entscheidet zunächst und zuhöchst.
7 [51]
Es ist die Forderung der noblesse, daß Gleiches mit Gleichem vergolten wird, auch in der Rache: die Sache eines Solchen, der auch im Affekte sich noch Grenzen setzt – ebenso noch in der Dankbarkeit. Aber was hat der Staat mit dieser noblesse zu schaffen!
7 [52]
Die freieste Handlung ist die, wo unsre eigenste stärkste feinstens eingeübte Natur hervorspringt und so, daß zugleich unser Intellekt seine dirigirende Hand zeigt. – Also die willkürlichste und doch vernünftigste Handlung!
7 [53]
das Argument gegen die Rache aus dem unfreien Willen wäre auch ein Argument gegen die Dankbarkeit: man vergilt Wohlthaten nicht, weil der Thäter unfrei war.
7 [54]
Lohn und Strafe verderben den Blick für die natürlichen Folgen jeder Handlung.
7 [55]
Wie kann der Staat Rache übernehmen! Erstens ist er kalt und handelt nicht im Affekt: was der Rache-Übende thut. Dann ist er keine Person, am wenigsten eine noble Person: kann also auch nicht im Maßhalten (im "Gleiches mit Gleichem") seine noblesse und Selbstzucht beweisen. Drittens nimmt er gerade das weg an der Rache, was zur Wiederherstellung der verletzten Ehre dient: das freiwillige Preisgeben des Lebens, die Gefährlichkeit um der Ehre willen. Er würde also nur dem unnobel denkenden Verletzten eine Genugthuung bieten, dem Nobleren im Gegentheil die Wiederherstellung seiner Ehre rauben. – Endlich: er setzt Schamlosigkeit des Verletzten voraus: der von seiner Verletzung öffentlich reden muß! Die "Klage" ist ja eine Forderung, die der Staat macht! Aber der edle Mensch leidet schweigend. – Also nur die gemeinen Naturen können im Staate das Werkzeug der Vergeltung sehen. Daher der erbitterte Kampf für die Blutrache gegen den Staat. – Pasquale Paoli mußte deshalb die Hingebung an das Ganze als das Noblere – als ein Opfer! – hinstellen und das Verzichtleisten auf die Blutrache fordern, als eine höhere Selbstüberwindung: deshalb setzte er Beschimpfung auf den, der sich rächt.
Der Staat gewährt Schutz dem Schwächeren, der sich selber gegen den Übelthäter nicht schützen kann: also Strafen sind zuerst Sicherheitsmaßregeln, auch insofern sie abschrecken. Er will nicht, daß man sich selber wehrt – er fürchtet nicht die Rache, sondern die souveräne Gesinnung!
Also: die Unterordnung unter die Gerechtigkeit des Staates ist eine Aufopferung, nicht eine Nützlichkeit für edlere Menschen. Somit muß der Staat selber als eine höhere Empfindung gewirkt haben: kurz, älter als die Einordnung unter die Gerechtigkeits-Übung des Staates muß der Glaube an die Heiligkeit (Ehrwürdigkeit) des Staates sein: älter und stärker! In Bezug auf Kinder und Sklaven hält der Vornehme lange seine Hoheit fest: seine Souverainetät also. – Nicht Gesichts-Punkte der Klugheit, sondern Impulse des Heroismus sind in der Entstehung des Staates mächtig gewesen: der Glaube, daß es etwas Höheres giebt als Souverainetät des Einzelnen. Da wirkt die Ehrfurcht vor dem Geschlechte und den Ältesten des Geschlechts: ihm bringt der Jüngere sein Opfer. Die Ehrfurcht vor den Todten und den überlieferten Satzungen der Vorfahren: ihnen bringt der Gegenwärtige sein Opfer. – Da wirkt die Huldigung vor einem geistig Überlegenen und Siegreichen: das Entzücken, seinem Musterbilde leibhaft zu begegnen: da entstehen Gelöbnisse der Treue. – Es ist nicht der Zwang, und nicht die Klugheit, welche die älteren Staatsformen aufrecht erhält: sondern das Fortströmen nobler Regungen. Der Zwang würde gar nicht auszuüben sein, und die Klugheit ist vielleicht noch zuwenig individuell entwickelt. – Eine gemeinsame Gefahr giebt vielleicht den Anlaß zum Zusammenkommen: und das Gefühl der neuen gemeinsamen Macht hat etwas Hinreißendes und ist eine Quelle nobler Entschließungen.
7 [56]
Einstmals hatte man die Theorie vom Staat als einer berechnenden Nützlichkeit: jetzt hat man die Praxis dazu! – Die Zeit der Könige ist vorbei, weil die Völker ihrer nicht mehr würdig sind: sie wollen nicht das Urbild ihres Ideals im Könige sehen, sondern ein Mittel ihres Nutzens. – Das ist die ganze Wahrheit!
7 [57]
Der Mensch möchte gern etwas haben, wie höchsten Zweck, letztes Ziel, absolute Pflicht, <absolutes> Soll: das Verlangen darnach ist die Ursache der vielen Moralen. Aber was ist die Ursache dieses Verlangens? Wohl Vielerlei z.B. – jeder einzelne Trieb des Menschen hat wohl das Verlangen, wenn er sich des Intellekts bemächtigt hat, als letzter Herr und Zwecksetzer aller menschlichen Dinge zu gelten. In den Moralen haben sich die verschiedensten Triebe ihre Denkmäler gesetzt.
7 [58]
Es giebt Moralen, welche ihren Urheber vor Anderen rechtfertigen sollen: andere sollen ihn beruhigen und zufrieden machen; mit anderen will er sich selber an's Kreuz schlagen; mit anderen will er an den Anderen Rache üben; mit anderen will er sich verstecken; mit anderen will er sich verklären, sei es vor sich oder anderen; mit anderen will er sich empor und vorwärts bringen; mit anderen will er an der Menschheit Macht und Schöpferkraft ausüben; mit anderen will er gehorchen, mit anderen herrschen und demüthigen. Mit anderen will er vergessen oder sich vergessen machen. Genug, die Moralen sind auch nur eine Zeichensprache der Affekte.
7 [59]
nicht die Absicht, sondern gerade das Unabsichtliche daran macht den Werth oder Unwerth einer Handlung aus.
7 [60]
Die Moralen als Zeichensprache der Affekte: die Affekte selber aber eine Zeichensprache der Funktionen alles Organischen.
7 [61]
Ganz abgesehen vom Werthe solcher Behauptungen: wie "es giebt einen kategorischen Imperativ!" kann man immer noch fragen: was sagt eine solche Behauptung von dem Behauptenden aus.
7 [62]
Jetzt erst dämmert es den Menschen auf, daß die Musik eine Zeichensprache der Affekte ist: und später wird man lernen, das Trieb-system eines Musikers aus seiner Musik deutlich zu erkennen. Er meinte wahrlich nicht, daß er sich damit verrathen habe. Das ist die Unschuld dieser Selbstbekenntnisse, im Gegensatz zu allen geschriebenen Werken.
Aber es giebt auch bei den großen Philosophen diese Unschuld: sie sind sich nicht bewußt, daß sie von sich reden – sie meinen, es handle sich "um die Wahrheit" – aber es handelt sich im Grunde um sie. Oder vielmehr: der in ihnen gewaltigste Trieb bringt sich an's Licht, mit der größten Schamlosigkeit und Unschuld eines Grundtriebes – er will Herr sein und womöglich der Zweck aller Dinge, alles Geschehens! Der Philosoph ist nur eine Art Gelegenheit und Ermöglichung dafür, daß der Trieb einmal zum Reden kommt.
Es giebt viel mehr Sprachen als man denkt: und der Mensch verräth sich viel öfter als er wünscht. Was redet nicht! – aber es giebt der Hörenden immer noch Wenige, so daß der Mensch seine Bekenntnisse gleichsam in den leeren Raum hinein plaudert: er ist ein Vergeuder mit seinen "Wahrheiten", wie die Sonne es mit ihrem Lichte ist. – Ist es nicht Schade, daß der leere Raum keine Ohren hat?
Es giebt Ansichten, da empfindet der Mensch: "das ist allein wahr und richtig und wahrhaft menschlich; wer anders denkt, irrt" – das nennt man religiöse und sittliche Ansichten. Es ist klar, daß hier der souveräne Trieb redet, der stärker ist als der Mensch. Jedesmal glaubt hier der Trieb, die Wahrheit und den höchsten Begriff "Mensch" zu haben.
Es giebt wohl viele M<enschen>, in denen ein Trieb nicht souverän geworden ist: in denen giebt es keine Überzeugungen. Dies ist also das erste Characteristicum: jedes geschlossene System eines Philosophen beweist, daß in ihm Ein Trieb Regent ist, daß eine feste Rangordnung besteht. Das heißt sich dann: " Wahrheit". – Die Empfindung ist dabei: mit dieser Wahrheit bin ich auf der Höhe "Mensch": der Andere ist niedrigerer Art als ich, mindestens als Erkennender.
Bei rohen und naiven Menschen herrscht die Überzeugung auch in Betreff ihrer Sitten, ja ihrer Geschmäcker: es ist der bestmögliche. Bei Culturvölkern herrscht eine Toleranz hierin: aber um so strenger hält man fest an seinem höchsten Maßstab für Gut und Böse: darin will man nicht nur den feinsten Geschmack haben, sondern den allein berechtigten.
Dies ist die allgemein herrschende Form der Barbarei, daß man noch nicht weiß, Moral ist Geschmacks-Sache.
Im Übrigen wird in diesem Bereiche am meisten gelogen und geschwindelt: die moralistische Litteratur und die religiöse ist die verlogenste. Der herrschende Trieb, er mag sein welcher er wolle, handhabt List und Lüge gegen die anderen Triebe, um sich oben zu erhalten.
Neben den Religionskriegen her geht fortwährend der Moral-Krieg: d.h. Ein Trieb will die Menschheit sich unterwerfen; und je mehr die Religionen aussterben, um so blutiger und sichtbarer wird dies Ringen werden. Wir sind im Anfange!
7 [63]
Die Apperzeption ist zuerst nur Thätigkeit ("willkürliche" Bewegungen!)
7 [64]
Meine Theorie: in jeder Handlung eines Menschen wird die ganze Entwicklung des psychischen Lebens durchgemacht
schon die Sinneswahrnehmungen sind Handlungen: damit etwas wahrgenommen werden kann, muß eine aktive Kraft bereits fungiren, welche den Reiz annimmt, wirken läßt und als solchen Reiz sich anpaßt und modifizirt.
Es ist eine Thatsache, daß sich immerfort etwas absolut Neues erzeugt. "Ursache und Wirkung" ist nur die populäre Verallgemeinerung von "Mittel und Zweck" d. h. einer noch populäreren logischen Funktion, der Nichts in der Wirklichkeit entspricht. Es giebt keine Enderscheinungen, außer für ein Wesen, welches schon Anfang und Ende geschaffen hat.
Es erzeugt sich auch in der geistigen Entwicklung immer etwas Neues. Die Empfindung und die Vorstellung sind absolut nicht aus einander ableitbar. Gedanke und Gefühl!
7 [65]
Die "willkürliche" Bewegung der niedersten Organismen ist – – –
7 [66]
Erstens: wie macht man den Menschen herrschend über sich?
zweitens: wie – – –
7 [67]
Es ist durchaus nicht das Wünschenswertheste, alles verdauen zu können, was die Vergangenheit hervorbrachte: so wünschte ich, Dante gienge uns gründlich wider Geschmack und Magen.
7 [68]
Hamlet für eine Spitze des menschlichen Geistes anzusehen – das heiße ich bescheiden über Geist und Spitzen urtheilen. Vor allem ist es ein mißrathenes Werk: sein Urheber würde es mir wohl lachend eingestehen, wenn ich‘s ihm ins Gesicht sagte.
7 [69]
Warum hat sich neben dem Straf-Recht nicht auch ein Lohn-Recht entwickelt? Warum übernahm der Staat nicht auch die Dankbarkeit der Einzelnen gegen die Anderen?
"Recht", nach Jhering, die Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft in der Form des Zwanges.
Nicht an sich ist eine Handlung böse, sondern insofern usw.
z. B. der Friedlose kann bußlos getödtet werden das Martern und Foltern von Seiten des Staates das Stehlen bei Aegyptern
Collectiv-Gewissen und - Verantwortlichkeit.
Nicht die Schuld wird gestraft.
Das Verbrechen als Mißgeschick.
Schlecht (verächtlich) und böse zu unterscheiden.
Die Moral bei den Mächtigen und den Unterworfenen.
Ungeheure Complizirtheit der Entstehung der gegenwärtigen moralischen Werthbestimmung: aber Einheit als Gefühl.
Wer nicht strafen will wegen Freiheit des Willens, darf auch nicht loben, danken, zürnen: der Grundglaube aller Affekte im Verkehre ist – – –
7 [70]
Rachegefühl ist Bewußtsein des Geschädigtseins, einmal thatsächlich, zweitens in seinem Glauben an seine Macht (Vernunft, Furchtbarkeit usw.) Beides will einen Gegenakt, also: 1) Abwehr, 2) Ersatz, und 3) Herstellung des Machtgefühls: ganz abgesehen noch vom Glauben an die Schuld des Thäters. Das Rachegefühl hat mit dem Glauben an Freiheit des Willens nichts zu thun.
7 [71]
Organisch – moralisch.
Freiheit des Willens.
Böse als die Vorstufe einer Güte.
7 [72]
"Was für mich gut ist, ist an sich gut" ist nur das Urtheil des Mächtigen, der gewohnt ist, Werth zu geben.
7 [73]
Daß überhaupt moralisirt wird, ist vielleicht noch nie als Problem gefaßt worden. Ist es nothwendig, daß die Menschen immer moralisiren werden? Oder könnte nicht Moral aussterben, wie das astrologische und das alchemistische Nachdenken ausgestorben sind oder aussterben? Nothwendig wofür? Für das Leben? Aber daß man ohne moralisches Urtheilen leben könne, beweisen die Pflanzen und die Thiere. Oder für das Glücklich-leben? Die ebengenannten Thiere beweisen, daß man jedenfalls glücklicher leben könne als Mensch – auch ohne Moral. Also kann die Moral weder nothwendig sein für das Leben überhaupt, noch für das Glücklicher-werden: um nicht schon so weit zu gehen, die Moral verantwortlich zu machen dafür, daß der Mensch mehr leidet als das Thier: – das Mehr-leiden könnte ja andere Gründe haben und die Moral vielleicht ein Mittel sein, das sehr-viel-mehr-Leiden zu verhüten. Aber sicher ist, daß wenn Glücklicher- und Leidloser-werden das Ziel wäre, das wir uns zu stecken hätten: die langsame Verthierung rationell wäre: wozu jedenfalls auch das Ablassen von den moralischen Urtheilen gehörte. Wenn der Mensch also nicht nur leben und nicht glücklicher leben will: was will er denn? Nun sagt die Moral: so und so soll gehandelt werden – warum "soll"? Also die Moral muß es wissen: dies Warum, dies Ziel, welches weder Leben überhaupt noch Glücklicher-werden ist. – Aber sie weiß es nicht! sie widerspricht sich! Sie befiehlt, aber sie vermag sich nicht zu rechtfertigen. – Das Befehlen ist das Wesentliche daran!
Also wozu Moral? Weg mit allem "du sollst"!
7 [74]
Das Gefühl der " Schlechtigkeit" ist ganz anders auf jener Stufe, wo die Schuld nicht eigentlich an die Absicht geknüpft wird: Oedipus (mehr Befleckung und Unglück)
Eigentlich giebt es bei der vornehmen Moral kein "Schlechtes": "das Böse" aber hat immer noch etwas Ehrfurcht oder Mitgefühl-Einflößendes.
7 [75]
Handlungen z. B. Stehlen werden mit ganz anderen Gefühls- und Urtheilsgruppen begleitet, wenn sie als erlaubt gelten.
Man kann durch Vergleichung der Völker beweisen, daß dies hier als gut und dort als schlecht empfunden wird: aber der Gegensatz selbst von "gut" und "schlecht" ist überall vorhanden: nur daß die Handlungen anders einrubrizirt werden. – Doch giebt es auch Verschiedenheiten des Gesammt-Urtheils gut und schlecht!
7 [76]
Die Thiere folgen ihren Trieben und Affekten: wir sind Thiere. Thun wir etwas Anderes? Vielleicht ist es nur ein Schein, wenn wir der Moral folgen? In Wahrheit folgen wir unseren Trieben, und die Moral ist nur eine Zeichensprache unsrer Triebe? Was ist "Pflicht" "Recht" das "Gute", das "Gesetz" – welches Triebleben entspricht diesen abstrakten Zeichen?
Wenn die Moral sagt: "du sollst besser werden" – warum "besser"? – Es läßt sich weder aus dem Leben noch dem Glücklicherleben beweisen. Folglich der unbeweisbare Imperativ der Befehl ohne Zweck – das wäre Moral?
Aber "besser" – ist ohne Zweck gar nicht zu denken.
7 [77]
Woraus wird gehandelt? Das ist meine Frage. Das wozu? wohin? ist etwas Zweites. Entweder aus Lust (überströmendem Kraftgefühl, welches sich austhun muß) oder aus Unlust (Hemmung des Machtgefühls, welches sich befreien oder entschädigen muß) Die Frage: wie soll gehandelt werden? wird gestellt: als ob mit dem Handeln erst etwas erreicht werden solle: aber das Nächste ist das Handeln selber als der Erfolg, das Erreichte, abgesehen von den Folgen das Handelns.
Also nicht um des Glücks wegen oder Nutzens wegen oder um Unlust abzuwehren handelt der Mensch: sondern eine gewisse Kraftmenge giebt sich aus, ergreift etwas, woran sie sich auslassen kann. Das, was man " Ziel", " Zweck" nennt, ist in Wahrheit das Mittel für diesen unwillkürlichen Explosions-Vorgang.
Und Ein und dieselbe Kraftgefühls-Menge kann sich auf tausend Weisen entladen: dies ist "Freiheit des Willens" – das Gefühl, daß im Verhältniß zu der nothwendigen Explosion hundert von Handlungen gleich gut dienen. Das Gefühl einer gewissen Beliebigkeit der Handlung in Betreff dieser Spannungs-Erleichterung.
Meine Lösung: der Grad des Kraftgefühls befruchtet den Geist; der führt viele Ziele vor, wählt sich ein Ziel aus, dessen Folgen für das Gefühl ausspannend sind: also giebt es eine doppelte Entladung: einmal in der Vorwegnahme eines ausspannenden Ziels, sodann im Handeln selber.
"wenn ich Jenes thäte, so würde ich mich verachten, so würde ich unglücklich sein." Dies wäre also: eine That nicht thun wegen der Folgen für meine Empfindung.
Helvétius meint, wir fragen im Grunde, wenn uns die Möglichkeit einer Handlung aufsteigt, "was werden die Folgen dieser Handlung für meine Empfindung sein?"
Stendhal sur l'amour v. p. 252.
Aber das erste Faktum ist, daß ihm diese Möglichkeit auftaucht: der Edle sieht Etwas, wovon eine gemeine Seele keine Idee hat.
Ein überströmendes geladenes Kraftgefühl ist da: das vorgestellte Ziel der Handlung giebt eine Vorwegnahme der Ausspannung und reizt dadurch noch mehr zur Entladung; die folgende Handlung giebt die eigentliche Ausspannung.
So ist es! Das vorgestellte Ziel steigert die Begierde der Entladung auf's Höchste.
Also: das Glück, "le plaisir" als Ziel des Handelns ist nur ein Steigerungsmittel der Spannung: es darf nicht verwechselt werden mit dem Glück, das in der Action selber liegt. Das finale Glück ist sehr bestimmt; das Glück in der Action würde durch hundert solche bestimmte Glücksbilder zu bezeichnen sein.
Also: das "damit" ist eine Illusion: "ich thue dies, um davon das Glück einzuernten". So steht es nicht. Der Handelnde vergißt die eigentliche treibende Kraft und sieht nur das "Motiv".
"Das Glück im erreichten Ziele" ist selber eine Ausgeburt der Kraft-Spannung: ein gleichnißweises Vorwegnehmen und sich-selber-Steigern. Der Eudämonismus ist also eine Folge ungenauer Beobachtung. Man handelt nicht um des Vergnügens willen: das ist aber die Illusion des Handelnden.
7 [78]
Dühring Cursus p. 147, "der mechanische Zustand des Körpers ein Theilzustand der kosmischen Mechanik"
7 [79]
"Ich darf nicht strafen – denn er kann nichts dafür" – dies "ich darf nicht" heißt: ich würde unvernünftig handeln, wie als ob ich einen Baum strafen wollte, der jemanden getödtet hat.
7 [80]
Die Furchtsamen, mit starker Phantasie, welche bereit wären, sich selbst zu unterwerfen und sehr leicht zu versöhnen – treiben aus Furcht und aus Phantasie der Furcht den Gedanken ihrer Gefährdung immer weiter und nehmen deshalb leicht eine übermäßige, vernichtende Rache – die Rache für ein zum größten Theil nur gefürchtetes Leiden.
7 [81]
Das organische Wesen hat 1) die Kraft, chemisch sich anzueignen 2) gewisse Explosionen, welche diese chemischen Prozesse reguliren. Wenn sich zufällig dies Beides zu einander findet, daß das zeitliche Eintreten und <die> Kraft dieser Explosionen wirkt als Regulativ der aneignenden und ausscheidenden Prozesse, so entsteht ein organisches Wesen. Dies ist also die Folge von jenen älteren Arten von Wesen: solchen regelmäßig Explodirenden und solchen Wachsthums-Prozessen.
7 [82]
Der Klagende will sich nicht eingestehen, wie nützlich ihm der Schmerz war. Darin zeigt sich sein Rachetrieb: er will mit Worten dem wehethun und an dem seine Macht auslassen, was ihn verwundete.
7 [83]
Wie viel mehr wir im Wohlgefühle leben, verräth sich darin daß der Schmerz so viel stärker empfunden wird als die einzelne Lust.
7 [84]
Wahrheit und Muth nur bei Freien. (Wahrheit eine Art von Muth)
Der Übelthäter als ein Unglücklicher: Form der Humanität.
Knechtschaft macht schlecht.
auf die meisten Verletzungen reagirt man nicht, sondern unterwirft sich. (Fehlt bei Dühring!)
7 [85]
vornehm – gut
Eigenschaften von Personen – später auf die Handlungen übertragen.
7 [86]
den Vorsprung haben immer die, welche bei leichterer Affinität sich leichter regeneriren und weniger verbrauchen
bessere Fähigkeit, sich zu ernähren und geringerer Verbrauch für die eigenen Bedürfnisse – moralisch zu wenden! – günstige Vorbedingungen des Wachsthums und somit der Alleinherrschaft.
Bei Nahrungsmangel werden die am ersten aussterben und verhungern, die am meisten Nahrung verbrauchen.
Vorsprung bei denen, welche bei der Reizeinwirkung am wenigsten rasch sich verzehren, vielmehr wo die Assimilation der Nahrung und Regeneration dadurch gestärkt werden, ja durch den Reiz bis zur Übercompensation gekräftigt werden.
Moralisch: der Werth des Schmerzes, der Verletzung Widerstandsfähigkeit gegen Druck giebt Vorrang
7 [87]
Muth, Scham, Zorn haben nichts an sich mit Begriffen zu thun
physiologische Thatsachen, deren Name und seelischer Begriff nur Symbol ist
Was sagt die Sprache aus von den Namen der Affekte ?
ira
Was heißt es: einen Menschen umändern durch Moral? also physiologisch durch häufige Furcht oder hohe Wallungen Ermattung
Die Einwirkungen der Krankheiten auf die Affekte zu studiren.
7 [88]
meine Aufgabe: die guten Triebe so zu stellen, daß sie Hunger bekommen und sich bethätigen müssen.
7 [89]
über das Vorhandensein höchst vollkommener Anpassungs-Mechanismen Roux p. 43 Übergang der Thiere aus dem Wasser
7 [90]
Erst im Manne wird das Familien-Typische völlig sichtbar; am wenigsten bei leicht erregbaren, anregbaren Jünglingen. Es muß erst Stille eingetreten sein und die Zahl der Einwirkungen von außen her kleiner: oder andrerseits die Anregbarkeit bedeutend nachgelassen haben. – So sind altwerdende Völker beredt über ihr Typisches und geben es deutlicher zu erkennen als in ihrer Jugendblüthe.
7 [91]
Der Kampf führt zum Übrigbleiben der Besten.
7 [92]
Wetteifer der Staatsbürger unter einander, immer die Tüchtigsten gelangen zu einem durchgreifenden Einflusse: so besteht der Staat.
Relative Selbständigkeit der Theile selbst in den höchsten Organismen Roux p 65.
7 [93]
Über die thatsächliche vorhandene Ungleichheit Roux. 69.
7 [94]
Wie Zelle neben Zelle physiologisch steht, so Trieb neben Trieb. Das allgemeinste Bild unseres Wesens ist eine Vergesellschaftung von Trieben, mit fortwährender Rivalität und Einzelbündnissen unter einander. Der Intellekt Objekt des Wettbewerbes.
7 [95]
Wenn eine Qualität der Zelle chemisch so beschaffen ist, die Assimilation die Zersetzung übersteigt, also Übercompensation des Verbrauchten, Wachsthum eintritt: so begründet diese wichtige Eigenschaft die Herrschaft über die anderen Q<ualitäten>.
Wir kennen keinen Organism, keine Zelle, welche nicht in einem Stadium ihres Lebens diese Kraft hätte: ohne sie könnte sich das Leben nicht ausbreiten.
Der Kampf um Nahrung und Raum findet in der Zelle statt, sobald eine Ungleichheit in den Bestandtheilen ist.
Prozesse, die durch Zufuhr von Reizen in ihrer Lebensfähigkeit erhöht werden, in der Assimilation namentlich: wo also der Reiz eine trophische, die Ernährung hebende Wirkung hat – Grundbedingung bei den Pflanzen, deren Ernährung ganz von Sonnenlicht und Wärme abhängt (auch das elektrische Licht bringt rasche Entfaltung und Fruktifikation.
Also Einfluß der Reize auf die schnellere Assimilation – in der Moral: Vermehrung der Macht da, wo eine Fülle feinster Verletzungen vorkommen und dadurch das Bedürfniß der Aneignung gesteigert wird. (Vielmehr mit fremden ausländischen Vorstellungen – Griechen.)
Die leichter erregbare Substanz nimmt mehr Reiz auf.
7 [96]
Recht – der Wille ein jeweiliges Machtverhältniß zu verewigen. Zufriedenheit damit ist die Voraussetzung. Alles, was ehrwürdig ist, wird hinzugezogen, das Recht als das Ewige erscheinen zu lassen.
7 [97]
Praktische Consequenz. Umänderung der Charactere. Züchtung an Stelle des Moralisirens.
mit direkter Einwirkung auf den Organism zu arbeiten statt mit der indirekten der ethischen Zucht. Eine andere Leiblichkeit schafft sich dann schon eine andere Seele und Sitte. Also Umdrehen!
das plebejische Mißtrauen gegen die Affeckte bei Socrates: sie sind häßlich, wild – also zu unterdrücken – deshalb hat Epicur die Vornehmheit voraus, vor den Stoikern. Diese aber sind populärer verständlich.
Ebenso ist der christliche Heilige ein plebejisches Ideal.
7 [98]
Es entstehen Prozesse, wo der Reiz nothwendig wird, zum Lebensreiz wird: sonst tritt Schwinden und Verfall ein.
Es sind die höchsten Prozesse.
Alles dies geschieht ohne den Kampf der Individuen.
Das Auslesen im Kampf der Individuen wird diejenigen Eigenschaften zur dauernden Erhaltung auswählen, welche sich für das ganze Individuum nützlich erweisen.
Also: es müssen viele Arten Moral entstehen – der Kampf ihrer Träger und der Sieg bringt die Art Moral zu dauernder Erhaltung, welche dem Mächtigsten zum Leben nützlich und unentbehrlich ist.
Unzählige Ansätze zu moralischen Werthschätzungen müssen gemacht worden sein, je nach der Ausbildung einzelner starker Grundgefühle.
Absolute Forderung, daß die beste Moral mit den mächtigsten Individuen verbunden sein muß: wer sind diese?
Alle Staaten und Gemeinden sind etwas Niedrigeres als das Individuum, aber nothwendige Arten seiner Höherbildung.
7 [99]
Die " höhere Vernunft" in der Klage ist, daß der Mensch einen Schmerz immer noch vertieft: daß er nicht zu schnell ihn fahren läßt – um so höhere Kräfte zieht er dann heran, der plastische Bildner seiner selber!
7 [100]
Fein wissen, was uns wehethut und wie leicht ein Anderer uns wehethut, und gleichsam seine Gedanken vorherbestimmen, daß er auf keine uns schmerzhaften Wege geräth: dies ist bei vielen Liebenswürdigen die Hauptsache: sie machen Freude und lassen den Anderen Freude ausströmen – weil sie sehr den Schmerz fürchten. "Zartgefühl" heißt man's. – Wer eine abweichende härtere Natur hat, hat keine Nöthigung, sich dergestalt in den Anderen zu versetzen und thut ihm öfter wehe; er setzt diese leichte Schmerzfähigkeit nicht voraus.
7 [101]
das aristokratische Princip sich selber steigernd erfindet immer eine höhere Art unter den Höheren. Der Mächtige wird immer mehr zu dem Seiner-selber-Mächtigen, Kraftausströmenden: man sieht, daß die Vornehmheit viele Grade hat – und etwas im Einzelnen Menschen selbst Wachsendes ist.
7 [102]
Die Macht in der Vorstellung derer, die sie zu fürchten hatten.
7 [103]
Die Lust an Seines-Gleichen, als seinen Vervielfältigungen, ist nur möglich, wenn man an sich selber Lust hat. Je mehr dies aber der Fall ist, um so mehr geht das Fremde uns wider den Geschmack: der Haß und Ekel am Fremden ist gleich groß wie die Lust an sich.
Aus diesem Haß und Ekel ergiebt sich, daß man vernichtet und kalt bleibt gegen alles Fremde.
Hat man aber an sich selber Unlust, so kann dies als Brücke zu einem allgemeinen Menschen-Mitleid und Annäherung benutzt werden 1) man verlangt nach dem Anderen, daß wir uns über ihm vergessen: Geselligkeit bei Vielen 2) man vermuthet, daß der Andere auch Unlust an sich habe: und nimmt man es wahr, so erregt er nicht mehr Neid "wir sind gleich" 3) wie wir uns ertragen, trotz der Unlust an uns, so gewöhnen wir uns, auch "unsersgleichen" zu ertragen. Wir verachten nicht mehr; Haß und Ekel nehmen ab: Annäherung. So ist auf die Lehre der allgemeinen Sündhaftigkeit und Verwerflichkeit der Mensch sich näher gerückt. Selbst die thatsächlich Mächtigen werden mit anderer Phantasie angesehen: "es sind arme elende Menschen im Grunde".
7 [104]
Menschen, die wandelnde Gesetzgebungen sind
7 [105]
als Geschmack tritt das Urtheil "gut" in uns auf: so tyrannisch und sicher, wie ein Geschmack für saure Gurken oder wie ich es in der Nähe eines spuckenden Menschen nicht aushalte.
7 [106]
nicht den Affekt der Distance verlieren!
7 [107]
Erobern – ist die natürliche Consequenz einer überschüssigen Macht: es ist dasselbe wie das Schaffen und Zeugen, also das Einverleiben seines eigenen Bildes in fremden Stoff. Deshalb muß der höhere Mensch schaffen d.h. sein Höhersein Anderen aufdrücken, sei es als Lehrer, sei es auch als Künstler. Denn der Künstler will sich mittheilen und zwar seinen Geschmack: ein Künstler für sich ist ein Widerspruch. Ebenso steht es mit den Philosophen: sie wollen ihren Geschmack an der Welt herrschend machen – deshalb lehren und schreiben sie. Überall wo überschüssige Macht da ist, will sie erobern: dieser Trieb wird häufig Liebe genannt, Liebe zu dem, an welchem sich der erobernde Instinkt auslassen möchte. – Der Eitle will gefallen, er will nach dem Geschmack Anderer sein: darin zeigt sich der Mangel an schaffender Kraft – er ist "leer". Der Unwahre der Heuchler fürchtet sich vor dem Geschmack Anderer, selbst der Kluge, Vorsichtige: ein Mangel an überschüssiger Kraft ist hier die Voraussetzung. Während das Unbedenkliche Übermüthige Trotzige Unbesorgte Aufrichtige Übereilte Unvorsichtige leicht bei der Menge der Kraft sind, welche die Spannung zu groß macht und die Handlungen schnell heraustreibt – wider die Nützlichkeit. Hieraus erklärt sich auch, warum die Klugheits-Rücksicht nicht in gutem Rufe bei den Mächtigen steht: es ist leicht ein Anzeichen von Kraft-Mangel, klug zu sein. Andrerseits ist die unkluge Handlung unter Umständen nobel: und daher vielleicht auch das Lob des Uneigennützigen: der Uneigennützige d. h. der welcher nicht klug und vorsichtig handelt, sondern wie Einer, der überströmt – was liegt ihm daran, wohin? Der Berechnende wird verachtet: aber der, welcher für das Ganze der Gemeinde berechnet, um so mehr bewundert. Denn man nimmt an, daß man nicht überflüssiger Weise "klug" ist: denken gilt als schwer.---
So entsteht das Lob der Weisheit: als das Lob dessen, der viel gut und leicht denkt, rechnet, abwägt, und nicht aus Klugheit um des Nutzens willen, sondern aus Liebe zur Gemeinde, zur Verewigung ihrer Gedanken und Institutionen. Es ist etwas Seltenes!
7 [108]
Die Furcht vor der Macht als produktive Gewalt. Hier ist das Reich der Religion. Andererseits erscheint es als höchstes Streben des Menschen, mit dem Mächtigsten, was es giebt, Eins zu werden. Dies ist der Ursprung z.B. des Brahmanismus: erzeugt innerhalb der Kaste der Herrschenden, als phantastische Weiterbildung des Machtbedürfnisses, wahrscheinlich, weil seine Entladung in Kriegen fehlt.
Die Verschmelzung mit der Gottheit kann Gier nach der höchsten Wollust sein (weiblich-hysterisch bei manchen Heiligen) oder Gier nach höchster Ungestörtheit und Stille und Geistigkeit (Spinoza) oder Gier nach Macht usw. Oder selbst die Consequenz der rathlosesten Furchtsamkeit: es ist die einzige Rettung und Flucht, sich in Gott zu flüchten. Das Raffinirteste ist wohl "Überwindung der Gnade" bei den Mystikern.
7 [109]
Das bewußte Beabsichtigen wird bei einer schädlichen Handlung in's Auge gefaßt, an sich nicht als "böse", sondern insofem es die Gefährlichkeit des Fremden, des Feindes viel größer erscheinen läßt. "Er will mir böse", oder "er will böse".
So lange der Feind empfunden wird, fehlt noch das Merkmal des Schmählichen Verächtlichen in der bösen Handlung. Erst wenn der Übelthäter zugleich sich als schädlich und erbärmlich beweist, wird eine Handlung moralisch verworfen. Die Moral beginnt also mit der Verachtung.
7 [110]
Der, welcher viel und mit Bewußtsein lügt, und in Lagen lebt, wo es gefährlich und schwer ist zu lügen, ist eben deshalb auch in einem außerordentlichen Grade verfeinert für die Wahrheit: während Idealisten und Alltags-Gute fortwährend in einem Nebel über sich und ihr Wollen leben und im Grunde niemals die Wahrheit sagen können: – ihr "Geschmack" ist nicht fein genug dazu.
7 [111]
Wer als Dichter mit baarem Golde zahlen will, muß mit seinen Erlebnissen zahlen: deshalb verbittet sich aber der Dichter seine nächsten Freunde als Interpreten – sie errathen, indem sie zurückrathen. Aber sie sollten bewundern, wohinaus einer kommt, auf dem Wege seiner Leiden – sie sollten vorwärts und hinauf blicken lernen und nicht zurück, hinab. –
7 [112]
Gesetzt, daß die Strafen proportional wehe thun sollen der Größe des Verbrechens, müßten sie auch proportional der Empfindlichkeit für Schmerz jedem Verbrecher zugemessen werden d.h. es dürfte eine vorherige Bestimmung der Strafe für ein Vergehen gar nicht geben!
7 [113]
"Der Gute" entsteht nur am Gefühl eines Gegen satzes: das ist der zugleich ihm Schädliche und doch Verächtliche. Das Bemühen der Gesetzgeber ist, vielen Handlungen diesen Charakter zu verleihen, daß sie verächtlich erscheinen, mit Schmach verbunden sind: daß in Einem Gefühl eine Handlung und die an sie geknüpfte Schmach erscheint. – Bei uns ist im Ganzen das gesamte Verbrecherthum so empfunden. Anders ist es, wo der Verbrecher bewundert wird oder durch großen Heroismus und Verachtung von Gefahr einen Überschuß zu seinen Gunsten gewinnt. Der Ketzer z. B. und alle Sektirer erwerben sich oft Achtung, gegen die Verachtung, welche ihnen zuerst entgegenkommt. Man sieht: man hat mit einer Macht zu thun.
7 [114]
Die Gemeinsucht ist älter als die Selbstsucht, jedenfalls lange Zeit stärker. Die Verschiedenheit der Gesinnung war in der That nicht groß: und so rechnete man bei dem Werthe der Handlungen gar nicht nach Gesinnungen, sondern nach Folgen. Die Art glaubte an sich und ihre Gesinnung wie an eine Naturthatsache: man setzte sich ohne Weiteres bei jedem Nächsten voraus – man dachte über Handlungen gar nicht weiter nach, "sie verstanden sich alle von selber".
7 [115]
Die Menschen handeln ganz anders als sie reden: auch die Moralisten machen es so. Wozu Moralisiren? Seid doch ehrlich! Die Hauptsache ist, daß wir es müssen. Alle " wozu's" sind Spiegelfechterei und Hinzugelogenes.
7 [116]
"stellvertretende Tugend"
7 [117]
Die Natur will nichts, aber sie erreicht immer Etwas: wir wollen Etwas und erreichen immer etwas Anderes. Unsre "Absichten" sind nur "Zufälle". –
7 [118]
Wenn die Menschen Alles thun für ihr Glück und doch thatsächlich wenig Geist darauf verwenden, was ihnen Glück bringt: so ergiebt sich, daß ihnen Nachdenken eine große Unlust ist.
7 [119]
Große Menschen wie Cäsar Napoleon sind lebendige Arten! Alles Andere Regieren ist nachgemacht.
7 [120]
39) Unsre Handlungen formen uns um: in jeder Handlung werden gewisse Kräfte geübt, andre nicht geübt, zeitweilig also vernachlässigt: ein Affekt bejaht sich immer auf Unkosten der anderen Affekte, denen er Kraft wegnimmt. Die Handlungen, die wir am meisten thun, sind schließlich wie ein festes Gehäuse um uns: sie nehmen ohne Weiteres die Kraft in Anspruch, es würde anderen Absichten schwer werden, sich durchzusetzen. – Eben so formt ein regelmäßiges Unterlassen den Menschen um: man wird es endlich Jedem ansehn, ob er sich jedes Tags ein paarmal überwunden hat oder immer hat gehn lassen. – Dies ist die erste Folge jeder Handlung, sie baut an uns fort – natürlich auch leiblich.
40) Zu jeder Handlung gehört nun auch eine Meinung bei uns über uns in Bezug auf diese Handlungen. Unsre Meinung über uns ist ebenso eine Folge jeder Handlung – sie baut an der Gesammtschätzung, die wir von uns haben, ob schwach, stark usw. lobenswerth tadelnswerth, ob wir das Urtheil Anderer zu scheuen haben, ob wir uns in jedem Lichte zeigen können. Vielleicht gewöhnt man sich, sich selber zu belügen: die Folge davon, die absichtlich fehlerhafte Taxation und die Verrenkung des Auges, das Falschsehen, muß sich natürlich zuletzt wieder in den Handlungen zeigen. Die Falschheit gegen uns, der Mangel an Vertrauen gegen uns, die Furcht vor uns, die Verachtung von uns – alle die Affekte der ohnmächtigen Naturen verändern fortwährend auch den Leib. Das Bewußtsein des Mangels an Selbst-Beherrschung, der unnoble Ausdruck kommt hinein – und selbst wenn Einer allein auf einer Insel lebte.
7 [121]
38) Vollkommen abgesehen von allen Mitmenschen giebt es eine fortwährende Veränderung im Werthe des Menschen, ein Besser- oder Schlechterwerden:
1) weil jede Handlung an seinem Affekt-Systeme baut
2) weil die mit jeder Handlung verbundene Taxation an ihm baut und wieder die Ursache der späteren Handlungen wird.
Das Gemeine, Unnoble wächst – oder nimmt ab usw.
Der Gemeinheit entspricht ein vollkommnes leibliches Substrat, und wahrlich nicht bloß in Gesichtszügen!
7 [122]
NB. Absurdität alles Lebens und Tadelns
7 [123]
der Stolz der Schwachen ist so fein, weil sie fürchten, man glaubt nicht an ihre Energie und Kraft.
7 [124]
Wie kurz ist das her, daß Kant allen Ernstes vorschlug, man solle nur Handlungen thun usw.!
7 [125]
Ich habe mich für meine eigene Person daran gewöhnt, in allem moralischen Urtheilen eine stümperhafte Art Zeichensprache zu sehen, vermöge deren sich gewisse physiologische Thatsachen des Leibes mittheilen möchten: an solche, welche dafür Ohren haben. Aber wer hatte bisher dafür Ohren!
Daß nun in der That bisher die Ohren dafür fehlten oder falsche Ohren und Falsche Auslegungen <da waren>, und das Bewußtsein sich Jahrtausende vergeblich bemüht hat und sich selber auslegte – dies ist ein Beweis dafür.
Und so glaube ich, daß es eine Zukunft für das Verständniß der Moral giebt, und daß an dieses bessere Verstehen sich Hoffnungen für die Verbesserung des menschlichen Leibes anhängen dürften.
7 [126]
37) Wer einigermaßen sich vom Leibe eine Vorstellung geschaffen hat – wie viele Systeme da zugleich arbeiten, wie viel für einander und gegen einander gethan wird, wie viel Feinheit in der Ausgleichung usw. da ist: der wird urtheilen, daß alles Bewußtsein dagegen gerechnet Etwas Armes und Enges ist: daß kein Geist nur annähernd ausreicht für das, was vom Geiste hier zu leisten wäre und vielleicht auch daß der weiseste Sittenlehrer und Gesetzgeber sich plump und anfängerhaft inmitten dieses Getriebes von Krieg der Pflichten und Rechte fühlen müßte. Wie wenig wird uns bewußt! Wie sehr führt dies Wenige zum Irrthum und zur Verwechslung! Das Bewußtsein ist eben ein Werkzeug: und in Anbetracht, wie viel und Großes ohne Bewußtsein geleistet wird, nicht das nöthigste, noch das bewunderungswürdigste. Im Gegentheil: vielleicht giebt es kein so schlecht entwickeltes Organ, kein so vielfach fehlerhaftes, fehlerhaft arbeitendes: es ist eben das letzt-entstandene Organ, und also noch ein Kind – verzeihen wir ihm seine Kindereien! Zu diesen gehört außer vielem Anderen die Moral, als die Summe der bisherigen Werthurtheile über Handlungen und Gesinnungen der Menschen.
Also müssen wir die Rangordnung umdrehen: alles Bewußte ist nur das Zweit-Wichtige: daß es uns näher und intimer ist, wäre kein Grund, wenigstens kein moralischer Grund, es anders zu taxiren. Daß wir das Nächste für das Wichtigste nehmen, ist eben das alte Vorurtheil. – Also umlernen! in der Hauptschätzung! Das Geistige ist als Zeichensprache des Leibes festzuhalten!
7 [127]
Moralität ein Versuch der Affekte, sich einander bewußt zu werden.
7 [128]
34) Die Schätzung der Autorität nimmt zu im Verhältniß der Abnahme schaffender Kräfte
7 [129]
35) Die falschen Gegensätze. Alle Stufen sind noch neben einander vorhanden (oder viele) – aber die höhere will nicht die niedere Stufe als Weg und Mittel anerkennen – sie soll ihr Gegensatz sein! Dies ist der Affekt der Distanz! Wer ihn nicht besitzt oder zeigt, erregt die größten Verwechslungen z. B. Epicur.
7 [130]
36) Dasselbe z. B. Selbstbeherrschung eines Menschen erweckt bei dem Einen den Gedanken "vor dem mußt du dich vorsehen, der denkt kalt an Nutzen und Hinternutzen" – und ein Anderer denkt dabei "vor dem darfst du dich gehen lassen und dich zeigen, wie du bist – er wird nicht maßlos werden" Mehrdeutigkeit aller Eigenschaften, je nach Klugheits- oder Schönheits-Hoheits-Rücksichten.
7 [131]
Die Zukunft der Moral-Wissenschaft
Indem ich für einige Zeit Abschied von den moralischen Problemen nehme, will ich, um der Gefahr willen, daß ich selber nicht mehr Zeit finde, auf dieses Gebiet zurückzukommen, denen einige Winke geben usw.
7 [132]
ob sich denn die höhere Art nicht besser und schneller erreichen lasse als durch das furchtbare Spiel von Völkerkriegen und Revolutionen? –
ob nicht mit Ernährung
Züchtung
Ausscheidung bestimmter Versuchs-Gruppen
7 [133]
Unser Leib ist etwas viel Höheres Feineres Complicirteres Vollkommneres Moralischeres als alle uns bekannten menschlichen Verbindungen und Gemeinwesen: die Kleinheit seiner Werkzeuge und Diener ist kein billiges Argument dagegen! Was Schönheit betrifft, so steht seine Leistung am höchsten: und unsre Kunstwerke sind Schatten an der Wand gegen diese nicht nur scheinende, sondern lebendige Schönheit!
7 [134]
Die Expansion im Zustande der Lust (bei Mainländer, p. 64). Es will "seinen Zustand zeigen und sich Anderen – wenn es gienge der ganzen Welt – enthüllen" Umarmen, Hüpfen, Tanzen, Springen, Lachen, Schreien, Jauchzen, Singen, Sprechen – Ich sehe eine überschüssige Kraft, die sich ausgeben will
In der Unlust circa so: "der Glanz der Augen erlöscht, die Mienen werden weiß, die Glieder regungslos oder ziehen sich zusammen. Die Stirnhaut runzelt sich, die Augen schließen sich, der Mund wird stumm, die Hände ballen sich, der Mensch kauert, fällt in sich ein."
Die Temperatur verändert sich: die Extremitäten werden kalt: in Lust und im Zorne heißer.
7 [135]
Cardinale Fragen: lassen sich die Temperamente verändern?
33) Die Willensqualitäten sind "Einritzungen zu vergleichen, in welche der Wille beim geringsten Anlaß fließt: sie haben sich zu Kanälen erweitert" "Aber schon der Säugling zeigt, unter bloßen Einritzungen, große Vertiefungen: Charakter (seine Form der Temperamente)"
7 [136]
Willensqualitäten.
Zustände des Willens
Doppelbewegungen
Zorn, Wuth (der Wille strömt erst zurück, concentrirt sich (Haß), und strömt plötzlich dann nach der Peripherie, um zu zerstören)
7 [137]
30) Der Ausgangspunkt des Lobens und Tadelns : der schwache Mensch lobt und tadelt, weil so und so gelobt und getadelt wird: der starke legt sich als Maaßstab an. Ebenso spricht es für die Moralisten und ihr eigenes Gefühl von Macht – ob sie Gesetzgeber sich fühlen oder als Lehrer von gegebenen Gesetzen. Bei dem Utilitarier-Kampf sind beide Parteien einmüthig Bentham fühlt sich als Gesetzgeber, Rée als Beherrschter.
7 [138]
"Der Zustand unsrer Muskeln bestimmt in weiterer Ausdehnung unser Gemeingefühl der Gesundheit und Kraft, der Müdigkeit, Krankheit und Schwäche – bei allen Bewegungen unseres Körpers wissen wir mit erstaunlicher Genauigkeit (wie beim Sehakt) die Größe der Contraktion, zu welcher wir unsre Muskeln zwingen, zu schätzen. Wir kennen auch die verschiedenen Lagen der Muskeln, selbst wenn sie in Ruhe sind: das ermüdete und besonders das gelähmte Glied fühlen wir schwer."
7 [139]
Kalte Gegenstände scheinen schwerer zu wiegen als warme vom selben Gewicht (nach Weber)
Wenn 2 Empfindungen in hinreichend kürzerem Zwischenraum auf derselben Stelle folgen, so werden sie mit einander verschmolzen: ebenso wenn Empfindungen an zu nahe aneinandergelegenen Stellen der Haut entstehen.
7 [140]
Liebe: das kräftigste Ausströmen, der Wille möchte seine Sphäre durchbrechen, zur ganzen Welt werden.
7 [141]
Die fehlerhaften Vereinfachungen: z. B. als Mittel Etwas sehen, wobei man 100 dabei übersieht.
7 [142]
NB. ein moralisches Gefühl etwas sehr Complicirtes. Darin liegt es, daß es so anders wirkt, "gut" zu sagen als "nützlich", weil so 50 Ingredienzien noch eingemischt sind.
7 [143]
Das Unbedingte ist nur logisch gezogen aus dem Bedingten, wie das Nichts aus dem Sein. – Als "unbedingend" –
7 [144]
27) Die ganze Ehrfurcht, die wir bisher in die Natur gelegt haben, müssen wir auch empfinden lernen bei der Betrachtung des Leibes: es ist erbärmlich, sich von "groß" und "klein" so tyrannisiren zu lassen! Was der Wald, das Gebirge uns zu sagen hätten – und die fernen Himmelskörper "die uns in die Einsamkeit rufen" (Emerson) – "diese Entzückungen sind heilsam, sie machen uns nüchtern".
7 [145]
28) Der Sinn unsrer Gärten und Palläste (und insofern auch der Sinn alles Begehrens nach Reichthümern) ist, die Unordnung und Gemeinheit aus dem Auge sich zu schaffen und dem Adel der Seele eine Heimat zu bauen.
Die Meisten freilich glauben, sie werden höhere Naturen, wenn jene schönen ruhigen Gegenstände auf sie eingewirkt haben: daher die Jagd nach Italien und Reisen usw.
alles Lesen und Theater-besuchen. Sie wollen sich formen lassen – das ist der Sinn ihrer Cultur-Arbeit!
Aber die Starken Mächtigen wollen formen und nichts Fremdes mehr um sich haben!
29) So gehen auch die Menschen in die große Natur, nicht um sich zu finden, sondern um sich in ihr zu verlieren und vergessen. Das " Außer-sich-sein " als Wunsch aller Schwachen und Mit-sich-Unzufriedenen.
7 [146]
Vortheil der kalten Naturen: sie folgen ihrem Interesse als einer kälteren Sache.
7 [147]
Nichts annehmen, wogegen wir nichts zurück zu geben haben und die Scham und Lust bei allem Guten, das wir erfahren – ist vornehm. "Sich lieben lassen" ist gemein.
7 [148]
Das Mitleiden der Mutter mit dem Kinde ist fast das mit uns selber: so fühlt der Künstler mit seinem Werke und dessen Schicksalen. Da giebt es nichts Vornehmes: es giebt auch Mitleiden mit uns selber – es ist etwas vollkommen Verschiedenes vom Leide selber!
7 [149]
Mit "Zwecken und Mitteln" redet man eine Zeichensprache: man bezeichnet aber nur das Nebensächliche der Handlung damit (ihr Verhältniß zu den Begleit-Erscheinungen Lust und Schmerz)
7 [150]
24) Die Verachtung des Körpers ist die Folge der Unzufriedenheit mit ihm: und die Überschätzung des Geistes und der moralischen Gesetze ist der Zustand solcher, welche gern etwas Höheres werden wollen und im Wandeln unter "ewigen Werthen" glauben, größer zu werden. Alles dies Verlangen nach Unvergänglichem ist die Folge der Unzufriedenheit – hier ist der Wille zur Cultur, als ein Verlangen des "Unzufriedenen mit sich".
7 [151]
25) Schönheit des Leibes – das ist von den Künstlern zu oberflächlich gefaßt worden: dieser Oberflächen-Schönheit müßte eine Schönheit im ganzen Getriebe des Organismus nach folgen – insofern reizen die höchsten Bildner zur Erschaffung schöner Menschen: das ist der Sinn der Kunst – sie macht unzufrieden, wer sich vor ihr beschämt fühlt, und Schaffenslustig, wer Kraft genug hat. Die Folge eines Dramas ist: "so will ich auch sein, wie dieser Held" – Anregung der schöpferischen, auf uns selber gewendeten Kraft!
Epicur verhält sich zur Stoa, wie Schönheit zur Erhabenheit: aber man müßte mindestens Stoiker sein, um diese Schönheit überhaupt erst erblicken zu können! um auf sie neidisch sein zu können!
7 [152]
26) Unsre Zeit mit ihrem Streben, den zufälligen Nöthen abzuhelfen, vorzubeugen und die unangenehmen Möglichkeiten vorweg zu bekriegen, ist eine Zeit der Armen. Unsere "Reichen" – das sind die Ärmsten! Der eigentliche Zweck alles Reichthums ist vergessen
7 [153]
Teichmüller p. 204 das Ich vergleicht seinen ideellen Vorstellungsinhalt und findet das Bewußtsein des Vorher (oder eines in der Erinnerung gegebenen Inhaltes)
Also bei allen Zeitempfindungen ist das Ich thätig. "Die aktive Erinnerung Empfindung und Erwartung unzeitlich zusammenfassen und vergleichen – das ist Thätigkeit des Ich."
7 [154]
Gegen Kant. Natürlich bin ich auch mit dem Schönen, das mir gefällt, durch ein Interesse verbunden. Aber es liegt nicht nackt vor. Der Ausdruck von Glück Vollkommenheit Stille, selbst das Schweigende, Sich-Beurtheilen-Lassende des Kunstwerks – redet alles zu unsren Trieben. – Zuletzt empfinde ich nur als "Schön", was einem Ideal (" dem Glücklichen") meiner eigenen Triebe entspricht z. B. Reichthum, Glanz, Frömmigkeit, Machtausströmung, Ergebung kann verschiedenen Völkern zum Gefühle "Schön" werden.
7 [155]
20) Groß genug, um das Verachtete zu vergolden: geistig genug, um den Leib als das Höhere zu begreifen – das ist die Zukunft der Moral!
Wir müssen die Erhabenheit, vor der wir uns in der Natur beugen, in unsern Absichten und Willen begehren – wir sollen die Erlöser der Natur und nicht ihre Vergöttlicher sein! "Vergöttlichung der Natur" – das ist die Folge der Armut, Scham, Angst, Thorheit!
Unsre Handlungen sollen falsch verstanden werden, wie Epicur Falsch verstanden wird! Es charakterisirt jeden Propheten, daß er bald verstanden wurde – es setzt ihn herab! Wir müssen erst Menschen haben, deren Bedeutung nach Jahrhunderten sichtbar wird – unser "Ruhm" bisher war etwas armseliges! – Ich will lange nicht verstanden sein.
Andrerseits müssen wir es tragen, falsch zu verstehen und mehr zu sehen als da ist: oh ihr, die ihr nicht mehr thut als den "großen Menschen" zu verstehen! Eure Kraft sollte die sein, noch hundert Meilen höhere Wesen über ihm zu sehen! Und das nenne ich Idealität: einen Sonnenaufgang zu sehen, wo – eine Kerze angezündet wird!
Das wäre der höchste Glanz auf dem Tode, daß er uns weiter führt in die andre Welt, und daß wir Lust haben an allem Werdenden und darum auch an unsrem Vergehen!
7 [156]
21) Die vornehme Empfindung ist es, welche verbietet, daß wir nur Genießende des Daseins sind: sie empört sich gegen den Hedonismus – wir wollen etwas dagegen leisten! Aber der Grundglaube der Masse ist es, daß für Nichts man leben müsse – das ist ihre Gemeinheit.
7 [157]
Das Urtheil über den Menschen vom Standpunkt des Thieres aus! Sind wir nicht ihm Parasiten?
7 [158]
22) Das Parasitische als Grundkern der gemeinen Gesinnung.
das Gefühl, nichts zu empfangen, ohne zurückzugeben oder damit etwas zurückzuempfangen, ist die vornehme Gesinnung. Nichts umsonst! Keine "Gnaden"! Aber auch keine Leiden, keine – – –
7 [159]
23) "Für den Weisen verwandelt sich die Natur in ein ungeheures Versprechen" Emerson. Nun, du selber bist Natur und versprichst mit ihr das Ungeheure und hütest dich wohl, dein eignes Geheimniß vorschnell auszukundschaften!
7 [160]
18) Die Götter als Ursache des Bösen (Sünde und Leid) I 232 Woher kam denn das Schlechte bei "den Guten"? Aus einer Verdunkelung der Einsicht – und diese häufig Werk der Götter.
7 [161]
19) Aidos ist die Regung und Scheu, nicht Götter, Menschen und ewige Gesetze zu verletzen: also der Instinkt der Ehrfurcht als habituell bei dem Guten. Eine Art Ekel vor der Verletzung des Ehrwürdigen.
Die griechische Abneigung gegen das Übermaß, in dem freudigen I<nstinkt der> Hybris, <gegen> die Überschreitung seiner Grenzen, ist sehr vornehm – und altadelig! Es ist die Verletzung des Aidos ein schrecklicher Anblick für den, welcher an Aidos gewöhnt ist.
χορος = υβρις Übersättigung, Berauschtsein vom Glück Hybris und Zorn schließen sich aus (Eudem. Ethik 1146 b), denn Hybris setzt eine freudige, Zorn eine schmerzliche Beschaffenheit voraus.
Die Freien, Mässigen erfanden den Wettkampf als die immer wachsende Verfeinerung jenes Macht-Äußerungsbedürfnisses: durch den Wettkampf wurde der Hybris vorgebeugt: welche durch lange Unbefriedig<ung> des Machtgelüstes entsteht.
Neid – der Schmerz über das gegenwärtige oder vergangene Glück der Freunde: ganz griechisch gedacht!
Wenn Zorn "süßer als Honig" ist – süßer als Zorn – – –
7 [162]
Wer sehr leidet, auf den wird der Teufel neidisch und weist ihn hinaus in den Himmel.
7 [163]
14) Wenn Sclaven Philosophie treiben
Was sind sklavische Naturen? Solche die nicht wissen, was gut und gerecht ist, sagt Sokrates. Nach Theognis ist einen Freien verrathen Zeichen einer sklavenhaften Gesinnung.
Ihre Abhängigkeit macht es ihnen unmöglich, wahrhaft zu sein I, 266
7 [164]
Sehr merkwürdig. Plato, Timaeus p. 86 usw. (1281) die Krankheiten der Seele durch fehlerhafte Beschaffenheit des Körpers veranlaßt: Aufgabe der Erzieher und Staaten sei, hier zu heilen. Wenn die Heilung nicht rechtzeitig bewirkt werde, seien die Erzieher und Staaten und nicht die Kranken verantwortlich zu machen.---
7 [165]
"Krankhafte Neigung zum Tempelraube" griechisch.
7 [166]
Wie wenig Phantasie haben wir für das Leid, das wir Anderen anthun!
7 [167]
16)Die Sklaverei in der Gegenwart: eine Barbarei! Wo sind die, für welche sie arbeiten? – Man muß nicht immer Gleichzeitigkeit der beiden sich complementirenden Kasten erwarten.
Der Nutzen und das Vergnügen sind Sklaven-Theorien vom Leben: der "Segen der Arbeit" ist eine Verherrlichung ihrer selber. – Unfähigkeit zum Otium.
7 [168]
15) Greisenhafte Denkungsart: nach Aristoteles Mißtrauen, Mangel an Stärke der Empfindung, Furchtsamkeit, bei allem nach dem Nutzen und nicht nach der moralischen Würdigkeit zu fragen.
Die wahre Freude des Alters besteht in dem Geehrtwerden sagt Pericles. (Simonides meinte in der Lust am Gewinn.)
7 [169]
Die Herkunft der Moral.
7 [170]
Kampf der verschiedenen Moralen ein Mittel ihrer Ausbildung. Stehenbleibende Moralen (chinesische)
7 [171]
12) Mitleid: von mir zurückgeführt auf unwillkürliche Nachahmung der Zeichen, die man sieht.
7 [172]
13) Die Handlungen, welche das Wohl der Gemeinde, des Organismus constituiren, sind nicht um dieses Zweckes willen entstanden: alle moralischen Gewohnheiten haben eine Vorgeschichte – jede Art Handlung hat ursprünglich einen anderen Zweck und Sinn.- Wie das Sehen nicht die Absicht bei der Entstehung des Auges war, und wie das Auge wieder benutzt worden ist zum Ausdruck des Gefühls
7 [173]
Mittel, sich auszudrücken, sich mitzutheilen – ursprünglich aber war nicht die Absicht da, sich mitzutheilen, sondern alles Mittheilen ist eigentlich ein Annehmen-Wollen, ein Fassen und Aneignen-wollen (mechanisch). Den Anderen sich einverleiben – später den Willen des Andern sich einverleiben, sich aneignen, es handelt sich um Eroberung des Andern. Sich mittheilen, ist also ursprünglich seine Gewalt über den Anderen ausdehnen: diesem Trieb ist eine alte Zeichensprache zu Grunde liegend – das Zeichen ist das (oft schmerzhafte) Einprägen eines Willens auf einen anderen Willen
sich zu verstehen geben durch Stöße (Ameisen)
NB. Auch die Verletzungen des Anderen sind Zeichensprache des Stärkeren
So ist Verstehen ursprünglich eine Leidempfindung und Anerkennen einer fremden Macht. Schnell, leicht verstehen wird aber sehr rathsam (um möglichst wenig Püffe zu bekommen)
das schnellste gegenseitige Verständniß ist das wenigst schmerzhafte Verhältniß zu einander: deshalb wird es erstrebt (
negative Sympathie – ursprünglich die Schöpferin der Heerde.
7 [174]
8) Moralische Betrachtungsweise der Handlungen – die organischen Funktionen der Individuen, bei welchen nicht das I<ndividuum> Zweck ist, sondern ein höheres Princip (das höhere Princip kann eine Gemeinde sein): oder vielmehr: Versuch einer Umbildung in organische Funktionen. Fortwährend, wo Lebendiges zusammenkommt, entsteht das Einwirken auf einander und ein Zusammentreten mit dem Versuche, ob da ein Organismus sich bilden kann. So M<ensch> zu M<ensch>.
Man soll aber auch die schlechten Handlungen auf diese Funktions-Eigenschaft ansehen! ihre Nützlichkeit in diesem außerindividuellen Sinne! Der Organismus besteht durch Kampf!
10) NB. Die Begleit-Erscheinungen haben sich vielfach verwandelt: manches ist jetzt mit Unlust verbunden, ehedem mit Lust. Auch die großen Einfälle der Klugheit mögen ehemals den Eindruck der Inspiration gemacht haben: ganz andere Taxation der Klugheit, als dämonisch.
11) Die Lust im Schaden-Thun; Bosheit, Verleumdung, Verfeindung aus Passion. Mord-Lust. Unter welchen Umständen natürlich? Wann pathologisch? Atavismus?
7 [175]
9) Sind denn die Gesetze gegen die Bösewichter gemacht? Gegen die Neuerer und nicht gegen die Bösewichter und Schlechten!
Der "Schlechte" ist erst das Contrast-Erzeugniß des Guten.
So ist auch das moralische Gewissen etwas Spätes, gleichzeitig mit dem schlechten Gewissen das gute (beständiges Wohlgefühl an seinen Impulsen) also aktiv!
7 [176]
Das Streben nach Glück wird alberner Weise von den Menschen als Streben nach Genuß interpretirt; und die erlahmende Genußfähigkeit gilt als Argument gegen den Egoismus. Hartmann p 501.
7 [177]
Complicirtheit des jetzigen Moral<ischen> Gefühls. Im jetzigen Gefühl: "sittlich" ist vorhanden: der verehrende Trieb, der hülfreiche, der vornehme, der ergebene, der muthige, der fromme, der Trieb zum Nützlichen Zweckmäßigen, zum Gemeinnützlichen
7 [178]
4) Vom moralischen Instincte. Am größten bei sehr alten unveränderten Völkern.
Wir erben nicht die Kenntnisse unsrer Vorfahren, wie die Thiere: in Folge großen Wechsels der Lebensweise Roux 37 – aber bei allen stehenbleibenden Völkern ist doch Etwas derart vorhanden, gerade die moralischen Instinkte sind Resultate vieler gleichartiger Erfahrungen, innerhalb von wenig bewegten Völkern. Geht die große Bewegung los, so gehen die Instinkte bald flöten. Es sind eine Anzahl erprobter Verhaltungsmaßregeln (Haltungen und Gebärden zunächst, wie der Vertheidigung, Ehrfurcht usw.), auf die man instinktiv geräth.
7 [179]
Epicurische Theorie. Schmerz tritt ein, wenn ein Begehren, ein Wunsch in seiner Befriedigung gehemmt wird. Lust, die Wegräumung des Hindernisses – negativ. Lust suchen – wäre Unsinn, etwas Negatives suchen! Sondern nicht-leiden wäre das Ziel! Wo Lust ist, ist eine frühere Unlust vorauszusetzen.
7 [180]
6) Wo die Machtmittel nicht groß genug sind, tritt die Einschüchterung auf, Terrorismus: insofern ist alles Strafen um der Abschreckung willen ein Zeichen, daß die positive ausströmende Tugend der Mächtigen nicht groß genug ist: ein Zeichen der Scepsis an der eigenen Macht.
7) Eine Macht muß fest auf den Füßen stehen und ihren Schwerpunkt haben. Gegenstück dazu: Schmidt, II 269. Dem entspricht eine Art Moralität. –
7 [181]
5) Thatlosigkeit: Aufathmen ist schon das Höchste! Otium besten Falls – nicht Schaffen!
7 [182]
NB. Der Egoismus ist kein Moralprincip, kein "Du sollst!" denn es ist das einzige "Du mußt".
7 [183]
Das Problem vom Kampfe verschiedener Moralen: der hellenische Gedanke im Kampfe mit dem athenischen. Die Gemeinde und die Großmacht. II p. 273.
1) Kampf der Moralen
Die Mannhaftigkeit der Nation geht unter p. 274: wie sich das in der Cultur ausdrückt. Epicur.
7 [184]
Die Schönheit theilt der anschauenden Seele die Schwungkraft mit, die zur Erzeugung edler Gedanken befähigt. Plato.
7 [185]
II 353 es ist schimpflich, nach Socrates, wenn man Gutes nicht vergelten könne. Es giebt also "kein harmloses Hinnehmen" in der griechischen Freundschaft. Seine Freundschaften durch Erweisen von Gutem gründen! Pericles – Athen. wichtig!
2) Macht-Moral.
7 [186]
Es giebt eine fortlaufende Kette von Verletzung aus Verletzung, auch im Kleinen: in Kriegen weiß man nicht mehr, wer der Übelthäter ist. Blutrache ist nur der stärkste Ausdruck aller solchen Vorgänge unter Gleichen.
3 Vergeltung
7 [187]
Über das Leiden der Feinde sich freuen ist nicht ungerecht – Socrates II p. 357.
7 [188]
Diogenes: man bedürfe zur Tugend entweder tüchtiger Freunde oder heftiger Feinde.
7 [189]
Der Haß moralisch, der Neid nicht.
Das Glück in der Schädigung der Feinde p 362.
7 [190]
Kampf der Gewebe muß zum Gleichgewicht zwischen den Theilen führen, oder das Ganze geht zu Grunde.
Gewebe welche zu lebenskräftig sind, auch wenn sie noch so nützlich wären, richten das Ganze zu Grunde. Die Geschwülste z. B. sind solche mit abnormer Lebenskraft ausgestattete Gewebe: sie entfalten sich auf Kosten der Nahrung und des Raumes der Anderen und zerstören das Ganze.
Schon durch abnorme Schwächung des einen Gewebes kann das andere das Übergewicht erhalten.
Mangel an Gleichgewicht zwischen den Geweben führt rasch zum Tode der Individuen und zur Elimination derselben und ihrer nachtheilhaften Qualität aus der Reihe der Lebenden: bloß Zustände des Gleichgewichts bleiben übrig: so würde eine harmonische Einheit des ganzen Organism gezüchtet durch Selbst-Elimination des Abweichenden.
Der Kampf der Gewebe wird zu einem regulirenden Princip : Princip der funktionellen Selbstgestaltung der zweckmäßigsten Größenverhältnisse.
7 [191]
Zu den mächtigsten Faktoren des Fortschritts eines Staates gehört nicht nur der Kampf mit Nachbarvölkern und die Entwicklung zur Wehrfähigkeit: sondern auch die Concurrenz der Mitglieder eines Standes und die Concurrenz der Stände selber
7 [192]
Das Stille-werden vor dem Schönen ist ein tiefes Erwarten, ein Hören-wollen auf die feinsten, fernsten Töne – wir benehmen uns einem Menschen ähnlich, der ganz Ohr und Auge wird: die Schönheit hat uns etwas zu sagen, deshalb werden wir stille und denken an nichts, an was wir sonst denken. Die Stille, jenes Beschauliche, Geduldige ist also eine Vorbereitung, nicht mehr! So steht es mit aller Contemplation: –
Aber die Ruhe darin, das Wohlgefühl, die Freiheit von Spannung? Offenbar findet ein sehr gleichmäßiges Ausströmen von unserer Kraft dabei statt: wir passen uns dabei gleichsam den hohen Säulengängen an, in denen wir gehen, und geben unsrer Seele solche Bewegungen, welche durch Ruhe und Anmuth Nachahmungen dessen sind, was wir sehen. So wie uns eine edle Gesellschaft Inspiration zu edlen Gebärden giebt.
7 [193]
Zuerst Assimilation an das Werk, später Assimilation an dessen Schöpfer, der nur in Zeichen redete!
7 [194]
"Bisher hat man alle guten Eigenschaften eines Organismus bloß aus der Auslese im Kampf ums Dasein unter den Individuen abgeleitet!"
7 [195]
Die Abwehr des Fremden, den Reiz nicht gestaltend wirken lassen – sondern eine harte Haut, ein feindseliges Gefühl dagegen stellen: für die Meisten eine Nothdurft zur Erhaltung. Aber der reichste Heilige lebt unter Verbrechern wie in seinem Elemente.
– die Freisinnigkeit der Moral hat also ihre Grenze dort, wo einer den Reiz des Fremden nur schädigend empfindet, nicht anregend.
Wer reich ist in seiner Heiligkeit, der ist unter den Bösesten gut zu Hause: und alles Neinsagen gehört den Armen.
7 [196]
der aktiven quantitativen und qualitativen Nahrungs-Auswahl der Zellen, welche die ganze Entwicklung bestimmen, entspricht, daß der Mensch sich auch die Ereignisse und Reize auswählt, also aktiv verfährt unter all dem zufällig auf ihn Eindringenden – gegen Vieles also abwehrt. Roux p. 149.
7 [197]
Der Parasit zwingt den Wirth, ihn mit einem Capillarnetz und zugehörigen größeren Gefäß zu umspinnen p. 151.
7 [198]
Triebe sind höhere Organe, wie ich's verstehe: Handlungen Empfindungen und Gefühlszustände in einander verwachsen, sich organisirend, ernährend – – –
7 [199]
Die Bösen als rudimentär Schneider p 29.
7 [200]
Eitelkeit und Trieb zur Auszeichnung entgegengesetzten Ursprungs.
Wie das Wort als congruent galt mit dem Dinge, so galt auch das, was man redet von einem Menschen, für congruent mit ihm: man zweifelte nicht an der absoluten Erkenntniß (Erkanntheit) eines Menschen. Deshalb war die Meinung über Einen absolut bestimmend: und Eitelkeit ist jetzt nur ein Atavismus: ursprünglich war der Trieb noch nicht so erniedrigt (der Eitle ist jetzt gegen sich selber skeptisch) Ehemals gab es den Gedanken nicht, daß einer einen Werth für sich, einen verborgenen Werth haben könne. Sich um die gute Meinung bemühen – war identisch mit "gut sein". – Der Eitle ordnet sich unter und will gefallen; der nach Auszeichnung Trachtende will als sich überordnend empfunden werden, er will bewundert werden.
7 [201]
Moral für Moralisten.
Die bisherigen Moralisten lassen sich nach ihrem vorwiegenden Hange so von einander unterscheiden: die Einen haben ihr Augenmerk darauf, wie unter Menschen gehandelt wird; die Andern, wie gehandelt werden soll. Aber was diesen beiden Arten gemeinsam ist erkennt man, sobald man das Wörtchen wie? sich von ihnen Allen erklären läßt. "Nach welchen Motiven wird gehandelt? Das fragen wir": so sagen die Einen. "Nach welchen Motiven soll gehandelt werden: das fragen wir" so sagen die Andern. Daß nach Motiven gehandelt wird, wo überhaupt gehandelt wird, das ist ihre gemeinsame Voraussetzung: das ist ihr gemeinsamer Irrthum. Sie Alle haben den Vordergrund der ganzen moralischen Landschaft am schlechtesten beobachtet ja übersehen – die Thatsache, daß gehandelt wird, und werden muß, und daß die sogenannten Motive nicht dafür die Erklärung abgeben.
7 [202]
Die thatsächliche Moralität ist unendlich feiner, complicirter, geistiger, als die theoretische; letztere steht noch plump und verlegen in den Anfängen.
7 [203]
Alle erhaltenden Mächte haben Jesuitism an sich: sie glauben, die Wahrheit ist da, es darf nicht gesucht werden. "Das Recht" z. B. soll da sein!!
7 [204]
Die Nützlichkeit ein sehr hohes Princip! Ja nicht zu unterschätzen! Aber sie bezieht sich auf die Mittel (" Unterzwecke") – die Werthschätzung und die Gütertafel muß schon da sein!
7 [205]
Aus Hunger ein vergiftetes Brod lieber essen als nicht essen!
7 [206]
Wille als Streben nach Lust: setzt voraus, daß Wollen selber nach seinem Ende begehrt. Hartmann.
7 [207]
Das, was durch eine Handlung erreicht wird, wird ins Auge gefaßt: das Motiv soll liegen in der Vorstellung vom Resultat der Handlung (z.B. einem erreichten Gemüthszustand)
7 [208]
"Was der Mensch ohne Reflexion ohne Weiteres will, ist Lust: , Glück‘ eine vielseitige, erschöpfende und andauernde Lust." (Hartmann).
7 [209]
Bei Epicur kommt alles auf das richtige Abwägen von Lust gegen Unlust an: folglich ist φρονησις die Haupttugend, das Fundament: Klugheits-Moral.
Die Bedeutung der sinnlichen Lust ist, uns von Begierden und Bedürfnissen zu befreien, welche die αταραξια der Seele stören.
Glückseligkeit als Endzweck des Einzellebens. Aristoteles und Alle!
Also es ist die Herrschaft des Zweckbegriffs, die alle Moralisten bisher verdorben hat. "Es muß doch ein ,Wozu?‘ des Lebens geben!"
Daß auch das vernünftige bewußte Leben hinein gehört in die Entwicklung des zwecklosen Lebens – ego.
7 [210]
Die eigentliche Schätzung des Lebens hängt von den überwiegend herrschenden Stimmungen ab: die Arier, als sie nach dem asiatischen Süden kamen, empfanden alles Handeln als Leiden und alle Gefühle ebenso: tiefe Ruhe im Schatten höchster Balsam. Es ist eine fehlerhafte Entscheidung über den Wohnort bis ins höchste verfeinert und zur Entscheidung über den Werth des Lebens gemacht. (Selbst die Entstehung des Staats eine Sache der Ermüdung!)
7 [211]
Es bilden sich auf Grund der Triebe höhere Organe aus und diese Organe kämpfen mit einander um die Nahrung, die Reize – – –
Die Hand des Klavierspielers, die Leitung dorthin und ein Bezirk des Gehirns bilden zusammen ein Organ (welches sich abschließen muß, um sich stark contrahiren zu können). Getrennte Theile des Körpers telegraphisch verbunden – d.h. Trieb.
Schopenhauer hat noch den unbewußten Zweck dazu gebracht!
7 [212]
Das Wesentliche an allem Handeln ist zwecklos oder indifferent gegen eine Vielheit von Zwecken.
7 [213]
Verzicht auf irdische Glückseligkeit zu Gunsten der himmlischen tausendfach größeren ist ein gutes Geschäft. Christenthum und seine Klugheit!
gut bei Hartmann p 26.
Lohn und Strafe bei Christus.
Es ist eine Thorheit, nicht das Christenthum anzunehmen.
7 [214]
Man soll Gutes im Verborgenen thun, damit es nicht hier belohnt werde Lucas 14 (12-14) – es könnte einem sonst der himmlische Lohn entschlüpfen.
7 [215]
Je hoffnungsloser und wilder die irdischen Zustände, um so besser wird an die jenseitige Vergeltung geglaubt: da einer auf irdisches Glück nicht rechnen kann. Je abergläubischer das Volk, um so besser wird an die Hölle geglaubt.
7 [216]
Strafe bei Unfreiheit des Willens unsinnig? Aber dann dürften wir auch nichts versprechen, uns zu nichts verpflichten usw. nichts thun. Daß wir mit Sicherheit von uns viel versprechen können, darauf hin giebt man uns Rechte d. h. Vortheile. Man giebt uns Nachtheile, wenn wir nicht halten, was wir versprachen: oder man compensirt die früher darauf hin gegebenen Vortheile nachträglich. (Strafe hier als nachträgliche Compensation der uns erwiesenen Vortheile, ein Zurücknehmen der gesellschaftlichen Sicherheit usw., Versetzung in den Zustand der Feindschaft. Die Gesellschaft ist bei ihrer Rechnung betrogen: sie nimmt so viel als sie nehmen kann von der Macht des Frevlers zum Entgelt, z.B. Zwangsarbeit usw.)
7 [217]
Ich sagte heute "oh das ist ein guter Mensch!" Dabei hatte ich das Gefühl als ob ich einen schönen reifen vollen Apfel mit sanfter Haut in der Hand hätte: ein Gefühl der Zärtlichkeit, wie als ob es mich zu ihm zöge: ein Gefühl der Sicherheit, wie als ob ich hier unter einem Baume ruhen dürfe: ein Gefühl der Verehrung, als ob ein Gegenstand da sei, den man nur mit den saubersten Händen fassen dürfe: ein Gefühl von Sattwerden, wie als ob ich aus einer Unbefriedigung mit Einem Male erlöst werde. Also entsprach dein moralischen Urtheile "gut" ein Zustand an mir, welcher beim Denken an einen gewissen Menschen eintrat. Es ist dasselbe, wie wenn ich einen Stein "hart" nenne.
7 [218]
Wenn Glückseligkeit unmöglich ist (Hegesias), so ist das Ziel des Lebens Leidlosigkeit: ohne Zweck konnte man's nicht fassen!
7 [219]
Gemeinsam das Streben aller antiken Philos<ophen> nach Geistesfreiheit und Abbrechen jeder Sklavenkette. Es ist der Atavism der Vornehmheit der Müssigen, die nichts mehr zu thun haben und sich selber zersetzen.
7 [220]
Den Ursachen des Schmerzes bis zur letzten Consequenz ausweichen – das ist die Praxis. Da behält man das ganz leere Leben übrig und das Denken darüber. Da fragt sich: dann giebt es keine Erlösung vom Leben?
7 [221]
Dieser Glaube an Zwecke führt zum Pessimismus.
Umdrehung: der Zweck ist, sich nicht glücklich zu fühlen; der Mensch wird von den Irrwegen des Lebens zurückgeführt; je mehr man leidet, wird der wahre Zweck erreicht "ein Anstrich von Absichtlichkeit ist hierin nicht zu erkennen" Schopenhauer. Hartmann p. 42 "Moralität ein Palliativ vor der Entschließung zur Radicalkur" p. 43 "die bösen Handlungen an uns eigentlich eine Wohlthat".
7 [222]
Die Werthlosigkeit des Lebens ist erkannt im Cynismus, aber hat sich noch nicht gegen das Leben gewendet.
Nein: viel kleine Überwindungen und ein loses Maul befriedigen da!
7 [223]
Teichmüller: die Gefühle der Lust oder Unlust sind Zeichen für die Stellung, welche das Ich als Ganzes der einzelnen Thätigkeit gegenüber einnimmt: alles dies ist Wille, so fern wir auf das Ich als den Einen Beziehungspunkt hinblicken: die beiden gegensätzlichen Grundformen: das Begehren und das Verabscheuen. Blicken wir auf den Anderen Beziehungspunkt hin, so bleibt die Thätigkeit selber als solche unbewußt, ihr zugehöriges Was wird aber jedesmal bewußt, und so wird dies Was zum Zeichen für das, was wir bezeichnen wollen. Entsprechend dem Verabscheuen und Begehren nennen wir den zugehörigen ideellen Beziehungspunkt ein Übel oder ein Gut und bezeichnen ihn durch den Inhalt der zugehörigen Empfindungen oder Anschauungen. Alle Bilder unsrer Anschauung und alle unsere Thätigkeiten stehen in gewissen regelmässigen Beziehungen z.B. das Anschauungsbild der Rose und die Empfindung des Duftes. So bezeichnet schon das Kind das Eine als Mittel, das Andere als Erfolg.
7 [224]
Meine Ansicht: die Absichten Wünsche Zwecke sind sekundär – "das Streben nach Glück" ist thatsächlich gar nicht allgemein da aber gar ein Streben nach fremdem Glück und Nicht streben nach eigenem (" Verläugnung") ist erst gar nicht möglich, während ein theilweises Streben nach eigenem Glück möglich ist.
Bei allem Handeln kommt Viel heraus auch für die Andern!
Der einzelne Wille verfolgt den Zweck: Glück – unmöglich, es zu finden!
Also hat der einzelne Wille einen anderen Willen sich als Zweck vorzusetzen, er ist Mittel für einen Zweck eines Anderen –
Aber, Herr von Hartmann! Sofern er einen Willen überhaupt fördert, sei es den des Nächsten oder des Weltprozesses – so arbeitet er ja an der Verlängerung des Elends : und zwar nachdem er begriffen hat, daß aller Wille wesentlich elend ist! Somit ist seine Förderung entweder Wahnsinn oder Bosheit.
Hier ist aber der zweite Unsinn vorausgesetzt, daß ein unegoistisches Handeln möglich ist.
Der erste Unsinn: alles Handeln ist ein Wollen von Befriedigungen
der zweite Unsinn: es giebt ein unegoistisches Handeln ein Handeln als Nichtwollen des eigenen Selbst, aber Wollen eines fremden Selbst!
7 [225]
Das Ziel – setzen selber ist eine Lust – eine Masse Kraft des Intellektes giebt sich aus im Mittel-Zweck-denken!
7 [226]
Wollen ein drängendes Gefühl sehr angenehm! Es ist die Begleit-Erscheinung alles Ausströmens von Kraft.
ebenso schon alles Wünschen an sich (ganz abgesehen vom Erreichen)
7 [227]
Man verkenne doch ja nicht den tiefen Mangel an noblesse
des Gefühls in Christus, sein Jüdisches, das gute Geschäft und den Ärger über die Dummheit, es sich entgehen zu lassen! Die Europäer haben so viel edlere Gefühle hinein gelegt
7 [228]
Wir wählen die facta aus, wir interpretiren sie – unbewußt. Die Wünsche, die an uns hängen bleiben –
Gegen unsre Zwecke gerechnet und gegen alles bewußte Wollen, giebt es eine gewisse größere Vernunft, in unserem ganzen Handeln, viel mehr Harmonie und Feinheit als wir bewußt uns zutrauen.
7 [229]
Wir haben uns von der logischen Mania der Alten noch nicht freigemacht, sie schätzten nichts mehr als die Dialectik – so auch "Absichten" "Zwecke".
7 [230]
Die meisten Menschen sind gar keiner Erlebnisse fähig: sie lebten nicht genug in der Einsamkeit – das Ereigniß wird durch Neues gleich fortgespült. Der tiefe Schmerz ist selten und eine Auszeichnung. Im gewöhnlichen Leben steckt mehr Klugheit als im Stoicismus. – Die Abwehr des Schmerzes.
7 [231]
alle unsere Zwecke nehmen sich, aus einer gewissen Ferne gesehen, als Versuche und Würfe aus – es wird experimentirt.
Wir müssen am Willkürlichen Unlogischen in unseren besten Zwecken festhalten!
Wir würden nie handeln, wenn wir alle Folgen uns vorstellten.
7 [232]
Willens-Schwäche als Folge der Desorganisation und Zeichen des Verfalls.
7 [233]
Kant sagt: diese Sätze des Grafen Verri (1781 sull'indole del piacere e del dolore) unterschreibe ich mit voller Überzeugung
il solo principio motore dell'uomo è il dolore. Il dolore precede ogni piacere
il piacere non è un essere positivo.
7 [234]
"Sein Leben fühlen, sich vergnügen – sich continuirlich getrieben fühlen aus dem gegenwärtigen Zustand herauszugehen, der also ein ebenso oft wiederkehrender Schmerz sein muß.-
7 [235]
"Der vernünftige Wille darf nur Schmerz vermindern und Bedürfnisse unterdrücken." –
7 [236]
Cardanus schloß, man müsse soviel als möglich Leiden aufsuchen, um durch ihre Beseitigung sich eine größere Summe von Lust zu schaffen.
7 [237]
"Alle Handlungen der Larven kurz vor der Verpuppung gehen nicht auf die eigene Erhaltung, sondern auf die des fertigen Insektes hinaus, sie entsprechen nicht den Bedürfnissen des Larvenstadiums, sondern denen des vollständig entwickelten Thiers" usw. Schneider I p. 58
7 [238]
Der höchste Gesichtspunkt des Jesuitismus auch des socialistischen:
Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Beglückung
Beglückung der Menschheit durch Aufrechterhaltung der Illusion, des Glaubens
Dazu meine Gegenbewegung: –
Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Überwindung.
Überwindung durch Lehren, an denen sie zu Grunde geht, ausgenommen die welche sie aushalten
Grundirrthum bisher: "alle Handlungen des Menschen sind zweckbewußt."
"der Zweck des Menschen ist die Arterhaltung und nur in sofern auch die Erhaltung seiner Person" – jetzige Theorie.
So steht es auch bei sehr individuellen Menschen wir sorgen für unsere zukünftigen Bedürfnisse!
7 [239]
Urform aller Schutzbewegungen, bei unangenehmer Berührung sich zusammen zu ziehen, alle Theile an sich zu ziehen. Was entspricht dem psychologisch? Die Sammlung: der Schmerz concentrirt uns.
Der Trieb, etwas zu verstecken ist Scham, ein Schutztrieb: auch sich verstecken wollen, wo Colibri z.B. roth werden dabei (ist Wirkung der Angst!)
Der Mensch wird durch seine Instinkte geleitet: die Zwecke sind nur im Dienste der Instinkte gewählt. Instinkte aber sind alte Gewohnheiten des Handelns, Arten, seine vorhandene Kraft auszugeben.
Man soll das Resultat, was ein Instinkt erreicht, nicht "Zweck" nennen!
Seinen Trieben völlig freien Lauf lassen: häufig aber widerstreben sie sich. Das thatsächliche Leben ist ein Ringen der Instinkte, ein Wachsen der Einen, ein Abnehmen der Anderen.
"Verbrauch der aufgespeicherten Nervenkraft."
"Welche Vorstellung führt zur Aktion? Die, welche den stärksten Trieb erweckt. Welche ist das? Die, welche die größten Annehmlichkeiten verspricht, die angenehmste. Das ist nicht eine Regel, die Ausnahmen zuläßt, sondern ein Gesetz, und hierin beruht die Abhängigkeit des menschlichen Willens" Schineider p. 75
!!Aber der Trieb selber rief erst diese Vorstellung hervor! – sage ich.
Also: die Triebe entscheiden über die Verwendung der aufgehäuften Kraft, nicht darüber, daß überhaupt gehandelt wird. Das wie? ist Sache der Triebe.
Also: wenn der Trieb ins Bewußtsein tritt, so verspricht er Lust. Die versprochene Lust als Ursache der Handlung? - Nicht des Handelns überhaupt, sondern nur der bestimmten Richtung des Handelnden! So auch Stendhal.
Also: wo Vorstellungen zur Aktion führen, da muß der Mensch der Vorstellung folgen, welche am meisten Lust verspricht: der stärkste Trieb entscheidet über die Wahl.
Demnach ist die Moral zu verändern 1) es muß zuerst die Kraftvermehrung ins Auge gefaßt werden 2.) zu zweit die Kraft-Verwendung, das Wie?
Der erste Gesichtspunkt bisher übersehen.
7 [240]
Erste Thatsache: die Gesellschaft tödtet, foltert, beraubt der Freiheit, des Vermögens: übt Gewalt durch Beschränkung der Erziehung; durch Schulen; lügt, trügt, stellt nach (als Polizei) – alles dies kann also nicht an sich als schlecht gelten. – Sie will ihre Erhaltung und Förderung – das ist kein heiliger Zweck: sie kämpft darum gegen andere Gesellschaften. – Also um des Nutzens willen geschieht dies Alles. Aber toll! Gerade diese Handlungen sollen mit besonderer Würde und Ehrerbietung angesehen werden: als "Recht", Sittlichkeit, Erhaltung und Pflege des Guten. Daß hier Vieler Nutzen über den Weniger gesetzt wird, das hätte nur Sinn bei der Voraussetzung, daß der Einzelne nicht mehr Werth haben könne als die ganze Gesellschaft! Von vornherein ist aber hier die Absicht, solche Einzelne gar nicht entstehen zu machen: das Bild des Menschen ist schon da, welches man als Maaßstab für die Erhaltung des gemeinen Nutzens nimmt. Die Voraussetzung der Gesellschaft muß sein, daß sie den höchsten Typus "Mensch" repräsentire und daraus ihr Recht ableitet, alles ihr Feindliche als das an sich Feindliche zu bekämpfen. – Ohne diesen Glauben an sich ist die Gesellschaft " unmoralisch" in jedem Sinne. Im Glauben aber bestimmt sie erst, was moralisch sein soll, – so hat es Sinn!
7 [241]
(Zweck heiligt das Mittel.)
Es giebt Handlungen, die wir niemals uns erlauben werden, auch nicht als Mittel zum höchsten Zweck z.B. Verrath eines Freundes.
Lieber zu Grunde gehen und einiges Vertrauen haben, daß es günstigere Lagen giebt, unseren höchsten Zweck durchzuführen. – Nun aber was ist denn das für ein höchster Zweck, eine Gemeinde, einen Staat zu erhalten! Die Handlung eines Menschen, der den Staat opfert, um nicht Verräther an seinem Ideal zu sein, kann die höchste Leistung sein, derentwegen die ganze Existenz dieses Staates erst für die Nachwelt in Betracht kommt!
7 [242]
Voraussetzung des bisherigen Staates: " der Mensch soll sich nicht entwickeln, das Maaß ist da!" Die katholische Kirche (die älteste aller Staatsformen in Europa) repräsentirt den alten Staat jetzt am besten!
7 [243]
Zum Handel gehört Patriziat : also ein Gegengewicht.
7 [244]
Beseitigung der parasitischen Menschen ist Sinn der Strafe.
Vögel, welche einem Büffel die Parasiten abwehren, davon leben, – dankbar dadurch, daß sie ihm die Ankunft eines Feindes anzeigen. – Bedeutung der Polizei. Espinas p. 159.
7 [245]
Ohne Unterlaß beschäftigt auf einander zu hören und zu achten und dabei das Gefühl der Sicherheit – p 162.
7 [246]
Zuneigung die Folge eines dringenden Bedürfnisses
7 [247]
Strafen auf den Krieg zurückzuführen in ihrer Art und Wesen oder auf Opferkulte (Menschenopfer)
In einem Fall ist Rückkehr zum Vor-Gemeindezustand, im anderen die Verhöhnung der Götter der Grundgedanke der Strafe. Post I, 201
Eine Strafe, welche Unfreie trifft, wird dadurch entehrend z. B. Prügelst<rafe>. Die, welche Freie trifft, wird dadurch lange geadelt. Post I, 214.
7 [248]
" – die einzige direkte Werthschätzung, welche man voraussetzt, ist die des sinnlichen Wohlbefindens, und alles Andere glaubt man bloß durch Anknüpfung an diesen direkten Willen indirekt zur Effektivität zu bringen. Befolgung des Rechtes, der Moral, der Religion soll durch Hinweis auf diesseitige oder jenseitige Wohlfahrt hervorgebracht werden" Baumann p. 32.
Allgemeiner Glaube an den Werth des sinnlichen Wohlbefindens: alles Handeln soll ein Weg und Umweg dahin sein.
7 [249]
Die Verbote der Gesetze haben nur Sinn, wenn es überflüssig ist, etwas auf diesem Wege, der verboten ist zu erreichen: also wenn es einen anderen Weg giebt, – d. h. zu allen Verboten gehören ganz bestimmte Versprechungen und Gewährungen.
7 [250]
Das Schwergewicht verschiebt sich im Wort, im Gebrauch, im Respekt –
7 [251]
"das Wohl Aller mit Ausschluß des eigenen." Hartmann P 405 erbärmliche Hypokrisie!
7 [252]
Daß zwischen einem Schurken und einem Ehrenmanne der Unterschied nicht nur in ein paar verschieden gedrillten Gehirnbewegungen besteht –
7 [253]
Charakter-Stärke. Sehr viel Reize annehmen und sie tief wirken lassen, sehr viel sich bei Seite ziehen zu lassen, fast bis zum Verlieren, sehr viel leiden und – trotzdem seine Gesammtrichtung durchsetzen.
Die gewöhnlichen Charakter-Starken sind kalt, flach und ohne Mitempfindung: sie nehmen auch keinen Menschen in Besitz. Plastische Kraft.
7 [254]
Unsere Willkür ist da am größten, wo unsere Übung und unsere spontane Kraft am größten ist: es ist die schnellste Folgsamkeit und Gewandtheit des Gehorchenden (freier Wille am stärksten empfunden, wo wir am schöpferisch-unbedingtesten sind) Baumann p. 18.
7 [255]
Ein Sentenzen- und Citaten-Buch
ein Anekdoten-Buch.
Ein Thatsachen-Buch.
Scherze.
7 [256]
Egoismus ist kein Princip, sondern die Eine Thatsache.
7 [257]
Vom Zwecke aus gesehen ist bei jeder Handlung so viel verschwendet wie bei der Sonnenhitze, die in das Weltall strahlt.
7 [258]
Das Individuum als Frucht des Gemeinwesens, nicht immer als Mittel.
7 [259]
Jeder Zustand erlaubt eine Betrachtung, als ob er Zweck gewesen sei, oder als Mittel oder als Irrweg beim Experiment.
7 [260]
Befriedigung des Triebes ist nicht im Resultat der Thätigkeit, sondern im Thun zu suchen.
Glück wäre das Gleichgewicht der auslösenden Thätigkeiten aller Triebe.
7 [261]
Experiment als wirklicher Charakter unseres Lebens und jeder Moral: etwas Willkürliches muß daran sein!
7 [262]
Ursprung des Christenthums unter Armen-Vereinen. Baumann p. 22 göttliche Hülfe und gegenseitige Unterstützung.
7 [263]
Die Vorstellung eines freudigen nützlichen Resultats der Handlung wirkt freudig, anregend, das Blut strömt lebhafter. Insofern hat der Zweck einer Thätigkeit noch eine anregende, lusterregende Kraft während des Handelns.
Also: die Thätigkeit des Triebes ist mit Lust verknüpft. Das Ziel der Thätigkeit wird vorgestellt und wirkt ebenfalls Lust, auch Vermehrung der Thätigkeit (das Ziel ist die Thätigkeit eines anderen Triebes). Aber der Trieb selber will nicht ein Resultat seines Thuns. Unser Verstandes-Trieb freilich hat im Setzen des Zwecks seine Lust – das ist seine Thätigkeit; ebenfalls in dem Ausdenken der Mittel – logische Lust in allem Handeln.
In jeder Handlung sind viele Triebe thätig.
Mindestens
Der Trieb befriedigt sich d.h. er ist thätig, indem er sich der Reize bemächtigt und sie umbildet. Um sich ihrer zu bemächtigen, muß er kämpfen: d. h. einen anderen Trieb zurückhalten, dämpfen. In Wahrheit besteht er immer als Thätiger: aber seine Ernährung bringt größere Kraftmengen mit sich, so daß auch seine Kraftleistung verschieden sein muß. Der Trieb selber ist aber nichts Anderes als ein bestimmtes Thätig sein: eine Personification.
7 [264]
Wirkung von Lohn und Strafe p. 31 Baumann.
7 [265]
Der Reiz ist an sich weder Lust noch Unlust, wohl aber kann er von Lust oder Unlust begleitet sein ein Mittleres das nicht Lust und nicht Unlust wäre kann es nicht geben! – was " nicht Lust" ist ist dann eben nicht Lust
7 [266]
Wille als das Gestaltende?
7 [267]
Befriedigung: das Wort setzt Unfrieden voraus und erweckt ein Vorurtheil.
7 [268]
7 [269]
Viel weniger Absicht in unseren Thaten als wir vorgeben (Eitelkeit in der Annahme von Zwecken!). Emerson, p. 99.
7 [270]
Die Zukunft der Menschlichkeit nicht jener zärtliche Begriff. Dagegen p. 599.
7 [271]
Mit einem "um zu" bringt man die Handlung um ihren Werth.
7 [272]
Hartmann, p. 593. "Gut" "schlecht" entspricht Zuständen des Urtheilenden.
7 [273]
Das Individuum als Vielheit.
7 [274]
Ausgang: die Leugnung der moralischen Bedeutsamkeit – Geburt der Tragödie.