Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente Juli 1882 bis Herbst 1885, Band 4
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[November 1882 - Februar 1883]

[Dokument: Heft und Mappe mit losen Blättern]

5 [1]

1. Wille zum Leben? Ich fand an seiner Stelle immer nur Wille zur Macht.

2. Der beständige Feuereifer für eine Sache, und sei es die höchste, die eigene, verräth, wie alle Dinge, die auf unbedingtem Glauben beruhen, einen Mangel an geistiger Vornehmheit: deren Abzeichen ist nämlich immer – der kühle Blick.

3. Ich empfinde alle Menschen als schädlich, welche dem, was sie lieben, nicht mehr Gegner sein können: sie verderben damit die besten Dinge und Personen.

4. Es giebt Personen, welche Jedermann zu einem Ja oder Nein in Bezug auf ihre ganze Person nöthigen möchten: zu ihnen gehörte Rousseau: ihr Leiden am Größenwahn stammt aus ihrem wahnsinnigen Mißtrauen gegen sich.

5. Man muß auch die Jugend in sich überwinden, wenn man wieder Kind werden will.

6. Mit seinen Absichten rationalisirt man sich seine unverständlichen Triebe: wie es z. B. der Mörder thut, der seinen eigentlichen Hang, zum Morde nämlich, damit vor seiner Vernunft rechtfertigt, daß er dabei einen Raub zu machen oder eine Rache zu nehmen beschließt.

7. Das Vergnügen, das alle Moral bisher gewährte und noch gewährt – also das, was sie bisher erhalten hat – liegt darin, daß sie Jedermann das Recht giebt, ohne lange Prüfung, zu loben und zu tadeln. Und wer hielte das Leben aus, ohne zu loben und zu tadeln!

8. Dies ist die crux der moralischen Pessimisten: wollten sie ernstlich den Nächsten in seiner Erlösung fördern, so müßten sie sich entschließen, ihm das Dasein zu verleiden, also sein Unglück <zu> sein; sie müßten aus Mitleid – böse werden!

Wäre es Wahr, daß das Leben nicht verdient bejaht zu werden, so triebe der moralische Mensch gerade durch seine Selbstverleugnung und Hülfsbereitschaft Mißbrauch mit seinem Nächsten, – zu seinem persönlichsten Vortheil.

9. Ich will wissen, ob du ein schaffender oder ein umsetzender Mensch bist, in irgend einem Betrachte: als Schaffender gehörst du zu den Freien, als Umsetzender bist du deren Sklave und deren Werkzeug.

10. Möglichst viel und dies möglichst schnell: das will die große Geistes- und Gefühlskrankheit, welche bald "Gegenwart" bald "Bildung" genannt wird, in Wahrheit aber ein Vorzeichen der Schwindsucht ist.

11. Weib und Genie arbeiten nicht. Das Weib war bisher der höchste Luxus der Menschheit. In allen Augenblicken, wo wir unser Bestes thun, arbeiten wir nicht. Arbeit ist nur ein Mittel zu diesen Augenblicken.

12. Nicht gegen das, was uns zuwider ist, sondern gegen das, was uns gar nichts, angeht, sind wir am unbilligsten.

13. So wie wir auch nur einen Schritt über das Mittelmaaß menschlicher Güte hinausgehen, erregen unsere Handlungen Mißtrauen. Die Tugend ruht nämlich "in der Mitte".

14. Ihr sagt "das gefällt uns" und meint mich zu loben. Oh ihr Narren! Wie sehr ihr mir damit gefallt!

15. Von allein Geschriebenen liebe ich nur das, was Einer mit seinem Blute schreibt. Darin liebe ich das Buch.

Seiner Affekte hat man sich nicht zu schämen, dazu sind sie zu unvernünftig.

16. Für den, der viel von seiner Vernunft beschwert wird, ist der Affekt eine Erholung; nämlich als eine Unvernunft.

17. Dieses Jahrhundert liebt es, den geistigsten Männern einen Geschmack für unreife, geistig arme und demüthige Volks-Weiberchen zuzusprechen, den Geschmack Faustens für Gretchen – dies zeugt wider den Geschmack des Jahrhunderts und seiner geistigsten Männer.

18. Schlimm genug! Die Zeit zur Ehe kommt viel früher als die Zeit zur Liebe: letztere gedacht als das Zeugniß der Reife, bei Mann und Weib.

19. Wenn ein Weib einen Mann angreift, so ist es nur um sich vor einem Weibe zu verteidigen. Wenn ein Mann mit einem Weibe Freundschaft schließt, so meint es, er thue es, weil er nicht mehr erreichen könne.

20. Es ist unmöglich, zu leiden, ohne irgendwen es entgelten zu lassen; schon jede Klage enthält Rache.

21. Meine Brüder und Schwestern, thut mir doch nicht so zärtlich! Wir sind allesammt hübsche lastbare Esel und Eselinnen und wahrlich keine zitternden Rosenknospen, denen ein Tropfen Thau schon ein Zuviel dünkt!

22. Das Leben ist schwer zu tragen: aber wozu hätte man auch Vorinittag<s> seinen Trotz und Nachmittags seine Ergebung?

23. Ich bin erstaunt: mein Hunger kommt oft erst nach der Mahlzeit.

24. An einer Theorie ist es wahrlich nicht der geringste Reiz, daß sie widerlegbar ist.

25. Diesen constitutionellen Königen gab man die Tugend: sie können seitdem nicht mehr "Unrecht thun" – aber man nahm ihnen dafür die Macht.

26. Wenn man das Glück hat, obskur zu bleiben, so soll man sich auch die Freiheiten nehmen, die das Dunkel giebt und namentlich "gut munkeln".

27. Um die unangenehmen Folgen der eigenen Thorheit wirklich seiner Thorheit und nicht seinem Charakter zur Last zu legen – dazu gehört mehr Charakter als die Meisten haben.

28. Der wissenschaftliche Mensch hat Ein Loos mit den Seildrehern: er zieht seinen Faden immer länger, geht aber selber dabei – rückwärts.

29. Nicht in seine Hände zu gerathen ist mir das Schlimmste: sondern in seine Gedanken.

30. Vieles erleben: Vieles Vergangene dabei miterleben; Vieles eigene und fremde Erleben als Einheit erleben: dies macht die höchsten Menschen; ich nenne sie "Summen".

31. Man hat den Tod nahe genug, um sich nicht vor dem Leben fürchten zu müssen.

32. Damit es des Hemmschuhs bedürfe, bedarf es vorerst des Rades. Die Guten sind der Hemmschuh: sie halten auf, sie erhalten.

<33.> Die Biedermännerei geht mir wider den Geschmack.

<34.> Nach 300 Jahren zum Leuchten kommen – ist meine Ruhmsucht.

<35.> Liebe ich die Musik? Ich weiß es nicht: auch hasse ich sie zu oft. Doch liebt mich die Musik, und sobald jemand mich verläßt, springt sie herzu und will geliebt sein.

<36.> Sie lieben mich nicht: ist dies ein Grund, sie nicht zu segnen?

37. "Siehe! Jetzt eben ward die Welt vollkommen": so denkt jedes Weib wenn es aus ganzer Liebe gehorcht.

38. Man soll das Böse schonen, wie man den Wald schonen soll. Es ist wahr, daß durch das Lichten und Ausroden des Waldes die Erde wärmer wurde – –

39. Gegen Mücken und Flöhe soll man kein Mitleid haben. Man thäte recht, die kleinen Diebe, die kleinen Verleumder und Ehrabschneider zu hängen.

40. Man soll den verächtlichen Menschen nicht durch ein Wort mit dem furchtbaren Menschen zusammenkoppeln.

41. Das Böse und der große Affekt erschüttern uns und werfen alles um, was morsch und klein an uns ist: ihr müßt erst versuchen, ob ihr nicht groß werden könnt.

42. Unser Zartgefühl hält uns in der Verstellung und macht uns gedrückt, sagen wir frei: "so gefällt es mir – was gehn mich Gründe an!"

43. In Bezug auf die meisten Wahrheiten haben Frauen ein Gefühl, als ob einer ihnen unter die Haut gucken wolle.

44. Außer unserer Fähigkeit zu urtheilen besitzen wir auch noch unsere Meinung von unserer Fähigkeit zu urtheilen.

45. Du hast den Muth nicht, dich zu verbrennen und zu Asche zu werden: so wirst du niemals neu, und niemals wieder jung!

46. Die Ehe ist für die durchschnittlichen Menschen ausgedacht, welche weder der großen Liebe noch der großen Freundschaft fähig sind, die Meisten also: aber auch <für> jene ganz Seltenen, welche sowohl der Liebe als der Freundschaft fähig sind.

47. Ihr Liebhaber der Erkenntniß! Was habt ihr denn bis jetzt aus Liebe für die Erkenntniß gethan? Habt ihr schon gestohlen und gemordet, um zu wissen, wie es einem Diebe und Mörder zu Muthe ist?

48. Auch über den Werth des Erkennens ist gelogen worden: die Erkennenden sprachen von ihm stets zu ihrer Vertheidigung – sie waren stets zu sehr die Ausnahmen und beinahe die Verbrecher.

49. Dicht an den Freund herantreten, aber nicht zu ihm übertreten! Man <soll> in seinem Freunde auch den Feind ehren.

50. Je abstrakter die Wahrheit ist, die du lehren willst, um so mehr mußt du auch die Sinne zu ihr verführen.

51. Die Feinheit des Mitleids besteht darin, daß es erräth, ob der Leidende Mitleid wolle.

52. "Gehorsam" und "Gesetz" – das klingt aus allen moralischen Gefühlen heraus. Aber "Willkür" und "Freiheit" könnte am Ende noch der letzte Klang der Moral werden.

53. Das Kind als Denkmal der Leidenschaft zweier Personen; Wille zur Einheit bei Zweien.

54. Man muß seinen Durst abwarten und voll werden lassen: sonst wird man nie seine Quelle entdecken, die nie die eines Anderen sein kann!

55. Du mußt auch deinen Teufel groß erziehen und wachsen lassen: damit du die kleinen Teufeleien los wirst.

56. Die großen Epochen unsres Lebens liegen dort, wo wir den Muth gewinnen, unser Böses als gut umzutaufen.

57. Auch die Wahrhaftigkeit ist nur eins von den Mitteln zur Erkenntniß, eine Leiter – aber nicht die Leiter.

58. Der Wille, einen Affekt zu überwinden ist zuletzt doch nur der Wille eines anderen Affektes.

59. Wer selber den Willen zum Leiden hat, steht anders zur Grausamkeit: er hält sie nicht an sich für schädlich und schlecht.

60. Personen, die man bei einem Unternehmen benutzt hat, das mißrathen ist, soll man doppelt belohnen.

61. Heroismus – das ist die Gesinnung eines Menschen, welcher ein Ziel erstrebt gegen das gerechnet er gar nicht mehr in Betracht kommt. H<eroismus> ist der gute Wille zum Selbst-Untergange.

62. Die ungeheure Erwartung in Betreff der Geschlechtsliebe verdirbt den Frauen alle weiteren Perspektiven.

63, Wer das Große nicht mehr in Gott findet, findet es überhaupt nicht mehr – er muß es leugnen oder schaffen.

64. Die unbedingte Liebe enthält – auch die Begierde mißhandelt zu werden: sie ist dann Trotz gegen sich selber, und aus der Hingebung wird zuletzt selbst der Wunsch der Selbst-Vernichtung: "Gehe unter in dies ein Meere!"

65. Wollust und Selbstverstümmelung sind nachbarliche Triebe. Es giebt auch unter den Erkennenden Selbstverstümmler: sie wollen durchaus nicht Schaffende sein.

66. Es giebt Naturen, welche kein Mittel findet sich zu ertragen als indem sie nach ihrem Untergange streben.

67. Je näher du der völligen Erkaltung kommst, in Bezug auf alles bisher Werthgeschätzte, um so mehr näherst du dich auch einer neuen Erhitzung.

68. Alles Gute ist die Verwandlung eines Bösen: jeder Gott hat einen Teufel zum Vater.

69. "Was muß ich thun, damit ich selig werde?" Das weiß ich nicht, aber ich sage dir: sei selig und thue dann, wozu du Lust hast.

70. Man gewinnt etwas lieb: und kaum hat man es von Grund aus liebgewonnen, so ruft jener Tyrann in uns: "gerade das gieb mir zum Opfer" – und wir geben's.

71. Ich rathe nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe, ich rathe nicht zum Frieden sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer Friede ein Sieg.

72. Ich weckte euch aus dem Schlafe: denn ich sah, daß ein Alp euch drückte. Und nun seid ihr mißmuthig und sagt mir: "was sollen wir nun thun? Alles ist noch Nacht!" – ihr Undankbaren! Schlafen sollt ihr wieder und besser träumen!

73. Jede Kirche ist der Stein am Grabe eines Gottmenschen: sie will durchaus, daß er nicht wieder auferstehe.

Alles am Weibe ist ein Räthsel, alles am Weibe hat eine Lösung: sie heißt Schwangerschaft.

74. Gut und Böse sind die Vorurtheile Gottes – sagte die Schlange. Aber auch die Schlange selber war ein Vorurtheil Gottes.

75. Was kann es helfen! Du verstehst nun einmal nichts anderes als bellen und beißen – so sei denn wenigstens mein Hund – sagte Zarathustra.

76. Ich kenne alles Böse und alles Gute – ich kenne auch, was jenseits des Bösen und des Guten ist – sagte Zarathustra.

77. Heute liebe ich mich wie meinen Gott: wer könnte mich heute einer Sünde zeihen? Ich kenne nur Sünden an meinem Gotte; wer aber kennt meinen Gott?

78. Willst du das Leben leicht haben? So bleibe immer bei der Heerde und vergiß dich über der Heerde. –

79. Im Kriege schweigt die Rache von Person zu Person.

80. Ihr sollt den Frieden lieben als das Mittel zum neuen Kriege!

81. Seht nicht in die Sonne! Der Mond ist noch zu hell für eure nächtigen Augen!

82. Ihr sagt: "das ist dunkel". Und in Wahrheit: ich stellte euch eine Wolke vor die Sonne. Aber seht ihr nicht, wie die Ränder der Wolke schon glühen und licht werden?

83. Man ist nur für das eigene Kind schwanger.

84. Da stehen sie da, die Kleinen, wie Gras und Kraut und Gestrüpp – unschuldig an ihrer Erbärmlichkeit. Und nun schleiche ich mich durch sie hindurch und zertrete so wenig ich kann – aber der Ekel frißt mir dabei am Herzen.

85. Was erhielt mich denn? Immer nur die Schwangerschaft. Und jedesmal wenn das Werk geboren war, hieng mein Leben an einem dünnen Faden.

86. Der Ekel vor dem Schmutze kann so groß werden, daß er uns hindert, uns zu reinigen.

87. Als Schaffender lebst du über dich hinweg – du hörst auf, dein Zeitgenosse zu sein.

88. Ach, ihr wolltet es besser als gut haben! Das ist eure Thorheit.

89. Man kann nur schweigen, wenn man Pfeil und Bogen hat: sonst schwätzt und zankt man.

90. Daß ihr mitleidig seid setze ich voraus: ohne Mitleid sein heißt krank im Geiste und Leibe sein. Aber man soll viel Geist haben, um mitleidig sein zu dürfen! Denn euer Mitleid ist euch und Allen schädlich.

91. Ich liebe das Mitleiden, das sich unter einer harten Schale birgt: ich liebe das Mitleiden, um des willen man sich einen Zahn ausbeißt.

92. Es geht eine falsche Rede: "wer sich selber nicht erlösen kann, wie könnte der Andere erlösen?" Aber wenn ich den Schlüssel zu deiner Kette habe, warum müßte dein und mein Schloß dasselbe sein?

93. Im Kriege erst seid ihr heilig, und wenn ihr Räuber und grausam seid.

94. ("Eine Form" nennen sie's, was sie tragen: Einförmigkeit ist's was sie damit bedeuten.)

95. Ich liebe etwas: und kaum liebe ich es von Grund aus, so sagt der Tyrann in mir: "gerade das will ich zum Opfer". Diese Grausamkeit ist in meinen Eingeweiden. Seht: ich bin böse.

96. Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage: der Krieg ist es, der jede Sache heiligt!

97. Vernunft ist auch in mir eine Ausnahme, sagte Zarathustra: Chaos und Nothwendigkeit und Wirbel der Sterne – das ist auch in der weisesten Welt die Regel.

98. Man soll aus seinem Tode ein Fest machen, und sei es auch nur aus Bosheit gegen das Leben: gegen dieses Weib, das uns verlassen will – uns!

99. Wir haben Beide etwas für uns: wie schön ist es da zu streiten – du hast die Leidenschaft, ich die Gründe!

100. Ich bin nicht groß genug – diese Empfindungen nicht zu haben: aber ich bin groß genug, mich ihrer nicht zu schämen.

101. "Es lebt Niemand, der mich loben dürfte. Und wen dürfte Zarathustra nicht loben?"

102. Aus meinem eigenen Gifte mache ich Balsam für meine Gebresten: und ich melkte die Milch aus dem Euter meiner Trübsal.

103. Ich habe mich enthüllt und schäme mich nicht, so nackt dazustehen. Scham heißt der Unhold, der sich zu den Menschen gesellte, als es sie über die Thiere hinaus gelüstete. ("Rede an die Thiere")

104. Es steht den Menschen frei, an Zarathustra zu glauben: aber was geht das Zarathustra an?

105. Ich kam euch zu helfen, und ihr beklagt euch, daß ich nicht mit euch weinen will.

106. Jeder Gottmensch schuf seinen eigenen Gott: und es giebt keine ärgere Feindschaft auf Erden als die zwischen Göttern.

107. Bekenne dich zu deinem Willen und sprich zu uns Allen "nur dies will ich sein": hänge dein eigenes Gesetz der Strafe über dich auf: wir wollen ihre Vollstrecker sein!

108. Seid ihr zu schwach, euch selber Gesetze zu geben: so soll ein Tyrann auf euch sein Joch legen und sagen: "gehorcht, knirscht und gehorcht" – und alles Gute und Böse soll im Gehorsam gegen ihn ertrinken.

109. Gieb zurück und vergilt; vergilt reichlich, Gutes und Schlimmes – sei spröde im Annehmen, zeichne aus dadurch, daß du annimmst.

110. Nimm dich vor den Katzen in Acht: sie geben nie, sie vergelten nicht einmal – sie entgegnen nur und schnurren dabei.

111. Sagt mir, ihr Vögel, die ihr weit herum kommt und viele Verborgene seht: wer hat unter allen Menschen die umfänglichste Seele? wie kleine Länder sind die umfänglichsten Seelen

112. Du hast noch die volle Unschuld der Bewunderung: du glaubst nicht daran, je bewundert werden zu können.

113. Ich rede und das Kind spielt: wer kann ernsthafter sein, als wir Beide es sind?

114. Du hast dich selber überwunden: aber warum zeigst du dich mir nur als den Überwundenen? Ich will den Siegreichen sehen: wirf Rosen in den Abgrund und sprich: "Hier mein Dank dem Unthiere, dafür daß es mich nicht zu verschlingen wußte!"

115. Da sitzest du am Strande, frierst und hungerst: es ist nicht genug sein Leben zu retten!

116. Wer würde es mir glauben, sprach Zarathustra, daß ich zum Geschlechte der Jähzornigen gehöre, und zu dem der Wollüstigen, der Glaubens-Wüthigen, der Rachsüchtigen? Aber der Krieg hat mich geheiligt.

117. Das Glück des Mannes heißt "ich will", das Glück des Weibes "ich muß".

118. Unten im Grunde ist auch der beste Mann böse: unten im Grunde ist auch das beste Weib schlecht.

119. Ich muß ein Engel sein, wenn ich nur leben will: aber ihr lebt unter anderen Bedingungen.

120. Wer zu seinem Gotte spricht: ich will dir auch mit all meiner Bosheit dienen – ist der frömmste Mensch.

121. Du sagst, ich solle dein Lehrer sein! Sieh zu, daß ich deine Schwinge sei und nicht dein Hemmschuh.

122. Wie sollte ich auf eine so furchtbare Weise Spaaß machen?

Was kümmert mich das Schnurren dessen, der nicht lieben kann, gleich der Katze?

123. Manche That wird gethan, um eine andere That damit zu vergessen: es giebt auch opiatische Handlungen. Ich bin dazu da, daß ein Anderer vergessen wird.

124. Ich thue mein Liebstes und eben deshalb scheue ich mich, es mit hohen Worten zu nennen: ich will nicht <zu> glauben wagen, es sei ein erhabener Zwang, ein Gesetz, dem ich gehorche: ich liebe mein Liebstes zu sehr als daß ich mich ihm gezwungen zeigen möchte.

125. Nicht eure Sünde – eure Nüchternheit schreit gen Himmel.

126. Ihr seid mir zu arm an Leben geworden: nun wollt ihr, daß die Sparsamkeit die Tugend selber sei.

127. Goldne Zeit, da man den Übermuth für die Quelle des Bösen hielt!

128. Ihr sollt Chaos in euch bewahren: alle Kommenden müssen Stoff haben, um sich daraus zu formen.

129. Laßt euch nicht täuschen! Die thätigsten Völker haben die meiste Müdigkeit in sich, ihre Unruhe ist Schwäche – sie haben zum Warten und zur Faulheit nicht mehr Inhalt genug.

130. Gieb mir heute einmal den bösesten Wurf deiner Würfel, Schicksal. Heute verwandle ich Alles in Gold.

131. Es kommt Niemand mehr zu mir. Und ich selber: ich gieng zu Allen, aber ich kam zu Niemand!

132. Ans Leben zu denken soll die Sache der Erholung sein: sonst nur an unsere Aufgaben!

133. Wir müssen so gut grausam als mitleidig sein: hüten wir uns, ärmer zu werden als die Natur es ist!

134. "Ich konnte nichts entbehren als ich den Übermenschen schuf. In seinem Samen ist noch alles euer Böses und Falsches, eure Lüge und eure Unwissenheit."

135. Der Mensch sei der Ansatz zu etwas, das nicht Mensch mehr ist! Arterhaltung wollt ihr? Ich sage: Art-Überwindung!

136. Will ich denn Lammseelen und schwärmerische Jungfräulein schaffen? Löwen will ich und Ungeheuer an Kraft und Liebe.

137. So weit soll es kommen, daß die obersten Feste des Menschen die Zeugung und der Tod sind!

138. Wir müssen nicht nur die Erde, sondern auch Thiere und Pflanzen für den Übermenschen bereit machen.

139. Die besten Dinge taugen nichts ohne einen Schauspieler, der sie erst "aufführt".

140. "Man muß euch mit dem Wahnsinn impfen" – sagte Zarathustra.

141. Ich habe alle diese wilden Hunde noch bei mir, aber in meinem Keller. Ich will sie nicht einmal bellen hören.

142. Ans Leben zu denken soll Sache der Erholung sein: sonst soll man nur an Aufgaben denken.

143. Ehret mir die Schauspieler und sucht die besten ja nicht auf der Bühne!

144. Wenn ich nicht die Menschen liebte, wie hielte ich Zarathustra aus?

145. Ihr führt Krieg? Ihr fürchtet euren Nachbar? So nehmt doch die Grenzsteine weg: so habt ihr keinen Nachbarn mehr. Aber ihr wollt den Krieg: und darum erst setztet ihr die Grenzsteine.

146. "So will ich leben, bestrahlt von den Tugenden einer Welt, die noch nie da ist."

147. Jedes Ding hat zwei Gesichter, eins des Vergehens, eins des Werdens.

148. Dieser gute feine strenge Sinn im Erkennen, aus dem ihr durchaus euch keine Tugend machen wollt, ist die Blüthe vieler Tugenden: aber das "du sollst" ist nicht mehr zu sehen, aus dem er entsprang, die Wurzel ist unter der Erde.

149. Die Liebe ist die Frucht des Gehorsams: aber oft liegen Geschlechter zwischen Frucht und Wurzel: und die Freiheit ist die Frucht der Liebe.

150. Je freier und fester das Individuum ist, um so anspruchsvoller wird seine Liebe: endlich sehnt es sich nach dem Übermenschen weil Alles Andere seine Liebe nicht stillt.

151. Gebt euch nicht zu erkennen! Und müßt ihr es, so erzürnt, aber beschämt nicht!

152. Kam ich denn euch zu rathen, wie man sich gegen Einbrecher und Halsabschneider wehrt? Ich rede zu solchen, die ihrer Tugend müde sind und welche sich wohl einmal auch bestehlen und tödten lassen.

153. Und hast du den Menschen nichts mehr zu sagen? fragten seine Jünger. "Nein, sagte Zarathustra, der Becher ist leer." Und als er das gesagt hatte, gieng er seines Weges, allein. Die ihn aber gehen sahen, weinten.

154. Hütet euch den Einsiedler zu beleidigen: er vergiebt nie. Der Einsiedler ist wie ein tiefer Brunnen: es ist leicht, einen Stein in ihn zu werfen: wie aber wolltest du den Stein wieder herausholen, wenn er erst auf den Grund fiel?

155. Seid menschlich gegen die Schaffenden! Es ist in ihrer Art, daß sie arm an Nächstenliebe sind.

156. Bevor man vergeben kann, muß man erst erleben, was einem angethan ist: und bei tiefen Menschen dauern alle Erlebnisse lange.

157. In jeder Handlung eines höheren Menschen ist euer Sittengesetz hundertfach gebrochen.

158. Ich kann auf der schmalsten Stufe des Lebens noch stehen: aber wer wäre ich, wenn ich diese Kunst euch zeigte? Wollt ihr einen Seiltänzer sehn?

159. Ah, wie weich seid ihr gebettet! Ihr habt ein Gesetz – und einen bösen Blick gegen den, der gegen das Gesetz auch nur denkt. Wir aber sind frei: was wißt ihr von der Qual der Verantwortlichkeit gegen sich selber! –

160. Ich lehre euch die Erlösung vom ewigen Flusse: der Fluß fließt immer wieder in sich zurück, und immer wieder steigt ihr in den gleichen Fluß, als die Gleichen.

161. Dies lehrte ich mich: die Menschen haben sich alle Moral gegeben: obschon sie jetzt glauben, sie hätten sie nur genommen. Wohlan! Auch wir können uns noch ein Gutes und ein Böses geben!

162. Was ist dem Menschen am schwersten zu thun? Die zu lieben, die uns verachten: von unserer Sache lassen, wenn sie ihren Sieg feiert: um der Wahrheit willen der Ehrfurcht widersprechen; krank sein und den Tröster abweisen; in kaltes und schmutziges Wasser steigen; mit Tauben Freundschaft schließen; dem Gespenste die Hand reichen, wenn es uns fürchten macht: – dieß Alles, sagte Zarathustra, habe ich gethan und trage es auf mir: und dies Alles gebe ich heute weg um ein Geringes – um das Lächeln eines Kindes.

163. Erkennen wollte ich: grausam mußte ich sein. Floh ich die Rache? Wußte ich nicht um die stummen Augen aller Verletzten?

164. Man soll auch als Thier vollkommen sein – sagte Zarathustra.

165. Man ist stolz anzubeten, wenn man nicht Götze sein kann.

166. Ich liebe die freien Geister, wenn sie auch freie Herzen sind. Mir ist der Kopf wie der Magen des Herzens – aber man soll einen guten Magen haben. Was das Herz annimmt, das muß der Kopf verdauen.

167. Ein Talent haben ist nicht genug: man muß auch die Erlaubniß haben, es zu haben!

168. Mitleid eine Höllen-Empfindung: Mitleid ist selbst das Kreuz, an das der geschlagen wird, der die Menschen liebt.

169. Haltet euch die Seele frisch und kühl und rauh! Die laue Luft der Gefühlvollen, die matte schwüle Luft der Sentimentalen sei ferne von euch!

170. "Eingehüllt in dicker Schwermuth: mein Leben hängt an kleinen Zufällen." Der Einsiedler.

171. Wenn man sehr leidet, so wird man wohl selbst bescheiden genug, einmal eitel zu sein – sagte der Einsiedler: er hob mit Unlust seine Zähne auseinander, die er sonst verbissen hatte.

172. "Ich gebe nicht Almosen – dazu bin ich nicht arm genug" – sagte Zarathustra.

173. Ich bin eine Stütze und ein Geländer am Strom: fasse mich, wer mich fassen kann! – Eine Krücke bin ich nicht.

174. "Der Mensch soll die Mitte zwischen der Pflanze und dem Gespenst sein."

175. Blut ist ein schlechter Zeuge für Wahrheit: Blut vergiftet eine Lehre, so daß sie ein Haß wird.

176. An mitleidigen Menschen ist die Härte eine Tugend.

177. Morden-Wollen, Hassen, Mißtrauen sind jetzt begleitende Phänomene körperlicher Erkrankung: so sehr sind die moralischen Urtheile uns einverleibt. – In wilden Zeitaltern erscheint vielleicht die Feigheit und das Mitleid als Symptom der Erkrankung. Vielleicht können auch Tugenden Symptome sein; – – –

178. Das ist der Mensch: eine neue Kraft, eine erste Bewegung: ein aus sich rollendes Rad; wäre er stark genug, er würde die Sterne um sich herumrollen machen.

179. Mit festen Schultern steht der Raum gestemmt gegen das Nichts. Wo Raum ist, da ist Sein.

180. Ihr habt mir gesagt, was der Ton und das Ohr ist: aber was geht dies die Künstler der Töne an? Habt ihr die Musik damit erklärt – oder gar widerlegt?

181. Es giebt keine sittlichen Triebe, aber alle Triebe sind durch unsere Werthschätzungen gefärbt.

182. Was ist Leben? Ein beständiges Lob und Tadeln.

183. Wenn zum Schädlichen sich das Grauen gesellt, entsteht das Böse; wenn der Ekel, das Schlechte.

184. Zarathustra: So lange eure Moral über mir hieng, athmete ich wie ein Erstickender. Und so erwürgte ich diese Schlange. Ich wollte leben, deshalb mußte sie sterben.

185. Was ist der Mensch? Ein Haufen von Leidenschaften, welche durch die Sinne und den Geist in die Welt hineingreifen: ein Knäuel wilder Schlangen, die selten des Kampfes müde werden: dann blicken sie in die Welt, um da ihre Beute zu machen.

186. Man kann nicht leben, ohne zu schätzen: aber man kann leben ohne zu schätzen, was ihr schätzt.

187. Da liegt nun das Blei ihrer Schuld auf ihnen: sie sind so unbehend, so steif: wenn sie nur den Kopf schütteln könnten, würde es herab rollen. Aber wer bewegt diese Köpfe?

188. Ich will euch zwingen, menschlich zu denken: eine Nothwendigkeit für die, welche <als> Menschen denken können. Für euch würde eine Nothwendigkeit der Götter nicht wahr sein.

189. Ungeheuer ist die Kraft des Lobens und Tadelns: aber wo ist das Ziel, in welches diese Kraft verschlungen werden könnte?

190. Und was zu schlecht war zum Fraß der Hunde – das gerade warft ihr noch eurem Gotte vor. Starb er vielleicht an eurer Nahrung?

191. Euren Seelen fehlt der Weihrauch der Scham: aber zum guten Apfel gehört auch sein Flaum.

192. Wenn Unwetter heraufziehn, sollst du deine Beschlüsse schlafen legen.

193. Man soll nur da Götter befragen, wo allein Götter antworten können.

194. Bevor das Schicksal uns trifft, soll man es führen wie ein Kind und – ihm die Ruthe geben: hat es uns aber getroffen, so soll man es zu lieben suchen.

195. Gottlos schien es den Älteren von uns und unersättlich gierig, in den Eingeweiden der Erde nach Schätzen zu wühlen.

196. Hüte dich Todte zu erwecken, daß dich nicht der Blitz treffe.

197. Der größte Frevel ist der Frevel am Menschen, nachdem es keine Götter mehr giebt: und für die Eingeweide der unerforschbaren Dinge das Menschliche geringschätzen.

198. Werde nothwendig! Werde hell! Werde schön! Werde heil!

Dieser liebt den Vogel in seinem Fluge und jener sieht nur Morgenröthen und Meere.

199. Hütet euch die Särge der Lebenden zu versehren

200. sich um der großen Gegenstände willen regen und sonst langsam sein und – – –

201. Liebe ich die Vergangenheit? Ich vernichtete sie um zu leben. Liebe ich die Gegenwärtigen? Ich sehe von ihnen weg, um leben zu können.

202. Nicht glauben können auf lange!: das Wissen verliert im Augenblick der Eroberung seinen Werth. Also Schaffen!

203. Ein höheres Wesen als wir selber sind zu Schaffen, ist unser Wesen. Über uns hinaus schaffen! Das ist der Trieb der Zeugung, das ist der Trieb der That und des Werks. – Wie alles Wollen einen Zweck voraussetzt, so setzt der Mensch ein Wesen voraus, das nicht da <ist>, das aber den Zweck seines Daseins abgiebt. Dies ist die Freiheit alles Willens! Im Zweck liegt die Liebe, die Verehrung, das Vollkommensehen, die Sehnsucht.

Lob des Waldes. Heilig sei dieser Baum, wo ich dich dachte

Gewöhnung zur Dankbarkeit.

ihr sollt nicht tödten, bevor das Thier nicht nickt.

Verurtheilt dazu, Henker zu sein, ihr Gelehrten!

204. Ich fürchtete mich unter Menschen: es verlangte mich unter Menschen und nichts stillte mich. Da ging ich in die Einsamkeit und schuf den Übermenschen. Und als ich ihn geschaffen, ordnete ich ihm den großen Schleier des Werdens und ließ den Mittag um ihn leuchten.

205. Unsterblich ist der Augenblick, wo ich die Wiederkunft zeugte. Um dieses Augenblicks willen ertrage ich die Wiederkunft.

206. Was ist es, das den Dingen Sinn, Werth, Bedeutung verlieh? Das Schaffende Herz, welches begehrte und aus Begehren schuf. Es schuf Lust und Weh. Es wollte sich auch mit dem Wehe sättigen. Wir müssen alles Leiden, das gelitten worden ist, von Menschen und Thieren, auf uns nehmen und bejahen, und ein Ziel haben, in dem es Vernunft erhält.

207. Es giebt keine Erlösung für den, der am Dasein leidet als nicht-mehr-an-seinem-Dasein-zu-leiden. Wie erreicht er das? Durch den schnellen Tod oder durch die lange Liebe.

208. Jede Handlung schafft uns selber weiter, sie webt unser buntes Gewand. Jede Handlung ist frei, aber das Gewand ist nothwendig. Unser Erlebniß – das ist unser Gewand.

209. Begehren ist das Glück: Sättigung als Glück ist nur der letzte Augenblick des Begehrens. Ganz Wunsch sein ist Glück, und immer wieder ein neuer Wunsch.

210. Ich rede mit dir, meine Weisheit, unter 4 Augen: ich will, ich begehre, ich liebe – und darum lobe ich das Leben. Wenn ich nicht schüfe, sondern nur erkannte, würde ich es hassen.

211. Die Nicht-That, das Gehen-Lassen, das Nich-schaffen, das Nicht-Zerstören – das ist mein Böses. Der Erkennende als der Nicht-Begehrende auch.

212. Das Leere, das Eine, das Unbewegte, das Volle, die Sättigung, das Nichts-Wollen – das wäre mein Böses: kurz: der Schlaf ohne Traum.

213. Erkennen ist ein Begehren und Durst: Erkennen ist ein Zeugen. Liebe zum Leiblichen und zur Welt ist die Folge des Erkennens als eines Willens. Als ein Schaffen ist alles Erkennen ein Nicht-erkennen. Das Durch-schauen wäre der Tod, der Ekel, das Böse. Es giebt gar keine Form des Erkennens als die des Erst-Schaffens. Subjekt sein –

214. Die größte Gefahr ist der Glaube an das Wissen und Erkanntsein d. h. an das Ende des Schaffens. Dies ist die große Müdigkeit. "Es ist nichts."

215. Alles Erkennen hat als Schaffen kein Ende. Jedem Menschen müßte eine Erklärung der Welt entsprechen, die ganz ihm gehörte: ihm als einer ersten Bewegung. Wir wollen immer uns nicht zu uns bekennen und schielen nach der Heerde.

216. Unrecht wird erst recht dort gethan, wo wir jemandem Wohl thun: Recht und Unrecht hat nicht mit Wohl und Wehe, sondern mit Nutzen und Schaden zu thun.

217. Man wird euch die Vernichter der Moral nennen: aber ihr seid nur die Erfinder von euch selber.

218. Das sind meine Feinde: die wollen umwerfen und sich selber nicht aufbauen. Sie sagen: "alles das ist ohne Werth" – und wollen selber keinen Werth schaffen.

219. "der Erwachte" bin ich: und ihr – kaum seid ihr geboren, so fangt ihr auch schon an zu sterben.

220. Was können Alle? – Loben und tadeln. Dies ist die Tugend des Menschen, dies ist der Wahnsinn des Menschen.

221. Man thut immer Unrecht – sagt die Gerechtigkeit – und nicht nur wenn ihr euch wehethut, sondern auch wenn ihr euch wohlthut, liebt und nützt. Man vergilt nicht, man schadet durch Lob und Liebe, weil sie nicht vergelten.

222. Was wißt ihr davon, wie ein Wahnsinniger die Vernunft liebt, wie ein Fieberkranker das Eis liebt!

223. In der Wissenschaft, im Erkennen sind die Triebe heilig geworden: "der Durst nach Lüsten, der Durst nach Werden, der Durst nach Macht". Der erkennende Mensch ist in der Heiligkeit weit über sich hinaus.

224. Ich war in der Schule: ich lebte zur Erkenntniß. Da reinigte sich meine Seele, Alle Begierden wurden heilig. Es ist die Vorschule: die Einsamkeit des Erkennenden. So wie zu den Sachen sollt ihr euch zu den Menschen verhalten: eure Liebe soll über allen einzelnen Sachen und einzelnen Menschen sein.

225. Der Wille zum Leiden: ihr müßt zeitweilig in der Welt leben, ihr Schaffenden. Ihr müßt beinahe zu Grunde gehen – und hinterdrein euer Labyrinth und eure Verirrung segnen. Ihr könnt sonst nicht schaffen, sondern nur absterben. Ihr müßt eure Auf- und Untergänge haben. Ihr müßt euer Böses haben und zeitweilig wieder auf euch nehmen. Ihr ewig Wiederkehrenden, ihr sollt selber aus euch eine Wiederkehr machen.

226. Schaffen ist Erlösung vom Leiden. Aber Leiden ist nöthig für den Schaffenden. Leiden ist sich-Verwandeln, in jedem Geborenwerden ist ein Sterben. Man muß nicht nur das Kind, sondern auch die Gebärerin sein: als der Schaffende.

227. Man muß vergehen wollen, um wieder entstehen zu können – von einem Tage zum anderen. Verwandlung durch hundert Seelen – das sei dein Leben, dein Schicksal:

Und dann zuletzt: diese ganze Reihe noch einmal wollen!

228. Seht ihn an, ob er ein reines Auge und einen Mund ohne Verachtung hat. Seht ihn an, ob er geht, wie ein Tänzer.

229. Ihr müßt oft Alles verlassen, euer Weib, euer Land, eure Nützlichkeit: ihr müßt in eurem Leben die Sonne stillstehen heißen.

230. Euer Leben in den Lüsten ist eine Selbstpeinigung: und beides sind Krankheiten und Unwürdigkeiten.

231. Dem soll man dienen, der durch unseren Dienst zunimmt an Geist Selbstüberwindung und Erfindung neuer Aufgaben: – so wirst du als Dienender dir selber am besten genützt haben.

232. Zürnt denen nicht, welche denken, wie es untergehenden Menschen ziemt zu denken: sie hängen an ihrem Strohhalm von Leben und wissen wenig vom Leben, als daß man dran hängt und daß es wenig Sinn hat dran zu hängen: die Untergehenden haben wenig Werth – das ist der Kern ihrer "Weisheit"

233. Ihr habt euch noch gar nicht entschlossen zum Leben, sondern fürchtet euch und zittert, wie Kinder vor dem Wasser, in das sie tauchen sollen. Und inzwischen verläuft eure Zeit, und ihr trachtet nach Lehrern, die euch sagen: "fürchtet und zittert vor dem Meere, welches Leben heißt" – und ihr heißt dies Lehren gut und sterbt frühe.

234. Der Werth des Lebens liegt in den Werthschätzungen: Werthschätzungen sind Geschaffenes, nichts Genommenes, Gelerntes, Erfahrenes. Das Geschaffene muß vernichtet werden, um dem neu-Geschaffenen Platz zu machen: zum Lebenkönnen der Werthschätzungen gehört ihre Fähigkeit, vernichtet zu werden. Der Schöpfer muß immer ein Vernichter sein. Das Werthschätzen selber aber kann sich nicht vernichten: das aber ist das Leben.

234. "Das Leben ist ein Leiden?" – Habt ihr Recht: nun, so ist euer Leben ein Leiden! – so sorgt, daß ihr aufhört; daß das Leben aufhört, welches nichts als Leiden ist. Eure Moral heißt: "du sollst dich selber tödten", "du sollst dich selber davon stehlen".

235. Und auch jene, welche sich vom Leben abwandten und Freude und Frieden, dadurch fanden – – – sie fanden es, indem sie ein Bild eines solchen Lebens schufen, als Schaffende! – – – als Schaffende machtet ihr eurem Leiden ein Ende! Und liebtet so euer Leben!

236. Ihr wähnt frei zu sein von den Sätzen der Erkennenden: aber ihr vermögt euch nicht zu bewegen ohne nach unseren Schätzungen zu greifen, ihr Hülflosen! Noch weniger daß ihr Schaffen könntet! Es gehört zum Glück der Armut, dieser Wahn einer Freiheit! Ein Trost für Gefangene! Eine Wohlthat für Blindgeborene!

237. Das Thier weiß nichts von seinem Selbst, es weiß auch nichts von der Welt.

238. Ich bin zu voll: so vergesse ich mich selber, und alle Dinge sind in mir, und nichts giebt es mehr als alle Dinge. Wo bin ich hin?

239. Die fest verknoteten Empfindungen, die immer wieder kehren ("relativ eine Zeit zusammenhalten") werden von uns als die rohen Dinge und Wirklichkeiten angesehn: zunächst unser Leib. Aber "alle Eigenschaften dieser Dinge bestehn aus unseren Empfindungen und Vorstellungen".

240. Wir sollen ein Spiegel des Seins sein: wir sind Gott im Kleinen.

241. Das Zukünftige ist eben so eine Bedingung des Gegenwärtigen wie das Vergangene. "Was werden soll und werden muß, ist der Grund dessen, was ist."

242. Sollte ich das Alles geschaffen haben? War es die Bewegung meines Ich, die dies ordnete, wie sie die Bewegung eines Leibes geordnet hat? Bin ich nur ein Tropfen von dieser Kraft?

243. Ich begreife nur ein Wesen, welches zugleich Eins ist und Vieles, sich verändert und bleibt, erkennt, fühlt, will – dies Wesen ist meine Urthatsache.

244. Als ich die Lust an der Wahrheit haben wollte, erfand ich die Lüge und den Schein – das Nahe und Ferne, Vergangene und Künftige, das Perspektivische. Da legte ich in mich selber die Dunkelheit und den Trug und machte mich zu einer Täuschung vor mir selber.

245. Vieles am Menschen ist zu lieben: aber der Mensch ist nicht zu lieben. Der Mensch ist eine zu unvollkommene Sache: Liebe zum Menschen würde mich tödten.

246. Nicht diesen Menschen den ich liebte verwarf ich: sondern das, um dessentwillen ich ihn liebte, verwarf ich.

247. Blicke in die Welt, wie als ob die Zeit hinweg sei: und dir wird Alles Krumme gerade werden.

248. Wenn du blau siehst, was nützt es dir dich selber zu überwinden und zu dir zu sprechen: du sollst nicht blau sehn!

249. Diese wollen Würfel spielen und jene wollen zählen und rechnen, und diese dort wollen tanzen sehn: sie nennen's Wissenschaft und schwitzen dabei. Aber es sind Kinder, die ihr Spiel wollen – und wahrlich, es ist eine schöne Kinderei, und etwas Lachen würde dem Spiele nicht Schaden.

250. Alle Zeichen des Übermenschlichen erscheinen als Krankheit oder Wahnsinn am Menschen.

251. Man muß schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom in sich aufzunehmen, ohne unrein zu werden.

252. Als ich den Zweck dachte, dachte ich auch den Zufall und die Thorheit.

253. Ihr seid mir zu grob: ihr könnt nicht an kleinen Erlebnissen zu Grunde gehen.

254. Nicht wo euer Auge aufhört zu erkennen, sondern schon dort wo eure Redlichkeit aufhört, da sieht das Auge nichts mehr.

255. Was der Affe für uns ist, ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham: das soll der Mensch für den Übermenschen sein.

256. Wie müßte man zu euch reden, damit ihr verstündet! Erst wenn ihr krank werdet, bekommt ihr Ohren.

257. Sobald der Wille auftritt, hat das Gefühl den Eindruck der Befreiung. Das Gefühl ist nämlich leidend – und sobald der Wille auftritt, pausirt es und leidet nicht. Das nennt man Freiheit des Willens.

258. Wie schwer ward mir da die Welt – dem Thier gleich, das im Meer gelebt hat und nun ans Land mußte: wie soll es nun seinen eignen Körper schleppen!

258. Habe ich nicht eine neue Farbe und einen neuen Geruch erfunden?

259. Wo man euch zwingt, klein zu empfinden, da sollt ihr nicht leben. Man vergeudet sein Leben nicht schlimmer als mit kleinen Umgebungen.

260. Seid ihr zu weich und ekel, Fliegen und Mücken zu tödten, so geht in die Einsamkeit und die frische Luft, wo es keine Fliegen und Mücken giebt: und seid selber Einsamkeit und frische Luft!

Euer armer Leib – Unwissenheit der Gesetze der Natur.

261. Die Krankheit ist ein plumper Versuch, zur Gesundheit zu kommen: wir müssen mit dem Geiste der Natur zu Hülfe kommen.

262. Meine Brüder, die Natur ist dumm: und so weit wir Natur sind, sind wir alle dumm. Auch die Dummheit hat einen schönen Namen: sie nennt sich Nothwendigkeit. Kommen wir doch der Nothwendigkeit zu Hülfe!

263. Was liegt daran, daß möglichst viele Menschen möglichst lange leben? Ist ihr Glück eine Rechtfertigung alles Daseins? Und nicht viel mehr eine verächtliche Sache?

264. Und wenn du das Dasein rechtfertigen willst, so mußt du nicht nur des Teufels Anwalt, sondern auch Gottes Anwalt vor dem Teufel sein.

265. Rede an den Felsen. Ich liebe es, daß du nicht sprichst. Deine Schweigsamkeit hat Würde. (Alles moralisch empfinden in der Natur: aller Werth liegt darin)

Rede an einen König.

266. Die Welt steht fertig da – eine goldne Schale des Guten. Aber der Schaffende Geist will auch das Fertige noch schaffen: da erfand er die Zeit – und nun rollte die Welt auseinander und rollt wieder in großen Ringen in sich zusammen, als das Werden des Guten durch das Böse, als die Gebärerin der Zwecke aus dem Zufalle.

267. Es giebt genug, die nichts Besseres wissen auf Erden als mit einem Weibe zusammen zu liegen. Was wissen die vom Glück!

Mit unsichtbaren Fäden wird man am festesten gebunden.

268. Wenn ich ein Gefühl ehre, so wächst die Ehre in das Gefühl hinein.

269. Was liegt an eurer Tugend, wenn ihr nicht den Moment erlebt habt, wo ihr den Menschen in euch tief verachtetet, aus Liebe zu dem Übermenschen? Und eure Tugend mit verachtetet?

270. In der Geschichte der Menschheit sind die großen Verachtungen die Ereignisse: als die Quelle der großen Begehrung nach dem Übermenschen. Laßt euch nicht betrügen – ehemals wollte man denn wohl in das Jenseits oder Nichts oder mit Gott eins werden!? Alle diese bunten Worte dienten um auszudrücken, daß der Mensch seiner satt sei – nicht seiner Leiden, sondern seiner gewöhnlichen Art zu empfinden.

271. Die Stunde der großen Verachtung erwarten: das ist die Auszeichnung. Die Anderen dienen nur zur Bildung des letzten Menschen.

272. Der Gedanke ist nur ein Zeichen, wie das Wort nur ein Zeichen für den Gedanken ist.

273. Einstmals war das Ich in der Heerde versteckt: und jetzt ist im Ich noch die Heerde versteckt.

5 [2]

Zweierlei lehre ich euch; ihr sollt den Menschen überwinden, und ihr sollt wissen, wenn ihr ihn überwunden habt: ich lehre euch den Krieg und den Sieg. (Cap<itel>)

5 [3]

Es ist kühl, die Wiese liegt im Schatten, die Sonne gieng. Ist es nicht ungereimt zu leben?

Müßte man nicht mehr Vernunft haben, um aus dem Leben eine Vernunft zu machen?

Meine Brüder, verzeiht der Seele Zarathustra's, daß es Abend ist.

5 [4]

Verwerfe ich denn eure Tugenden? Ich verwerfe eure Tugendhaften.

5 [5]

Ich erkläre auch eure Tugenden aus dem Zukünftigen.

5 [6]

So bald in der Heerde das Gefühl wächst und schwillt, nähert es sich der Heerde.

Zuerst wurde das "Für Alle" heilig, dann das "Für den Anderen" endlich das "für meinen Gott".

5 [7]

Ich liebe die verschwenderischen Seelen: sie geben nicht zurück und wollen auch keinen Dank – denn sie schenken immer.

5 [8]

Ich lehre euch den Übermenschen: wo ist mein Bruder, der ihn die große Verachtung lehrt?

5 [9]

Sie werfen die Bilder um und sagen: es giebt nichts Hohes und Anbetungswürdiges – weil sie selber kein Bild und keinen Gott schaffen können.

Erbarmt euch ihrer! Hört doch die Verachtung aus ihrer Wuth gegen die Bilder – die große Verachtung gegen sich selber!

5 [10]

(cap<itel>) "die Bruderschaft der Rechtfertiger."

5 [11]

Es ist furchtbar, im Meere vor Durst zu sterben: müßt ihr denn eure Weisheit so salzen, daß sie nicht wie gutes Wasser schmeckt?

5 [12]

Schwanger geht die Menschheit, wunderlich sind ihre Schmerzen.

5 [13]

Unsere Verachtung des Menschen trieb uns hinter die Sterne und ließ uns nach einem Gotte herumsuchen.

5 [14]

Der Gelehrte soll ein Büßer des Geistes sein

5 [15]

Sie sagten "laßt uns der Welt absterben", sie suchten ihr Heil hinter den Sternen, sie fanden das Wort nicht vom Übermenschen.

5 [16]

Dein Leben sei ein hundertfältiger Versuch: dein Mißlingen und Gelingen sei ein Beweis: und sorge dafür, daß man wisse, was du versucht und bewiesen hast.

5 [17]

Ich liebe den, der die Zukünftigen rechtfertigt und die Vergangenen erlöst: während er an den Gegenwärtigen zu Grunde geht.

Ich liebe den, der aus seiner Tugend seine Pflicht und sein Verhängniß macht.

Ich liebe den, der nicht einen Tropfen Geist übrig behält und ganz der Geist seiner Tugend ist:

Ich liebe den, der seine Seele verschwendet, der nicht Dank haben will und nicht zurückgiebt, weil er immer schenkt.

Ich liebe den, der das Unrecht solcher auf sich nimmt, die es nicht tragen können

Ich liebe den, der lebt, damit er erkenne und der erkennen will, damit der Übermensch lebe.

Ich liebe den, welcher der Welt nicht absterben will und nicht hinter den Sternen sein Heil sucht: den der das Wort vom Übermenschen verstanden hat.

Ich liebe den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung und der an einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann.

Ich liebe den, der zu voll ist, so daß er sich selber vergißt, und alle Dinge in ihm sind: aber er wird zu Grunde gehen.

Ich liebe den, der freien Geistes ist, wie er auch freien Herzens ist: und der Kopf sei ihm nur das Eingeweide des Herzens.

Ich liebe den, der so mitleidig !ist, daß er aus der Härte seine Tugend und seinen Gott macht.

Ich liebe den, der goldne Worte seinen Thaten vorauswirft und immer noch mehr hält als er verspricht.

Ich liebe den, welcher sich schämt, daß die Würfel immer zu seinen Gunsten fallen und welcher sich fragt: bin ich denn ein falscher Spieler?

Ich liebe den, welcher seinem Gegner nicht nur seine Fehlgriffe verzeiht, sondern auch seinen Sieg.

Ich liebe den, welcher seinen Gott züchtigt, weil er seinen Gott liebt.

Ich liebe den, welcher nicht Lohn, sondern Strafe und Untergang von seiner Tugend erwartet.

Ich liebe den, welcher im Nächsten den leidenden Gott sieht, der in ihm versteckt ist und sich des Thiers schämt, welches an ihm sichtbar war.

5 [18]

Ihr sollt nicht zu viele Tugenden haben wollen. Eine Tugend ist schon viel Tugend: und man muß reich genug sein auch nur für Eine Tugend. Damit sie lebe, sollt ihr zu Grunde gehen.

5 [19]

Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden: Giftmischer sind es und Verächter des Lebens: ob sie es wissen oder nicht Absterbende sind es und Selbst-Vergiftete.

Einst war der Frevel an Gott der größte Frevel: aber Gott starb, und damit starben auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste, und die Eingeweide der unerforschlichen Dinge höher zu achten als den Sinn der Erde.

5 [20]

Dein Leben sei ein hundertfältiger Versuch: dein Mißlingen und Gelingen sei ein Beweis; und sorge dafür, daß man wisse, was du versucht und bewiesen hast.

5 [21]

Es giebt Wollüstlinge des Geistes – es giebt Büßer des Geistes.

5 [22]

Nicht wo das Auge aufhört zu erkennen, sondern schon dort wo eure Redlichkeit aufhört, da sieht das Auge nichts mehr.

5 [23]

Diese wollen Würfel spielen und jene wollen zählen und rechnen, und diese dort wollen tanzen sehen: sie nennen's Wissenschaft und schwitzen dabei

Aber es sind Kinder, die ihr Spiel wollen, – und wahrlich, es ist eine schöne Kinderei, und etwas Lachen würde den Spielenden lieblich zu Gesichte stehn.

5 [24]

Wenn ihr den Zweck denkt, müßt ihr auch den Zufall und die Thorheit denken.

5 [25]

Der Einwand, das Mißtrauen, der Seitensprung sind Zeichen des gesunden Geistes. Alles Unbedingte verräth den Kranken.

5 [26]

Als ich die Lust an der Wahrheit haben wollte, da erfand ich die Lüge und den Schein, das Nahe und das Ferne, das Vergangene und das Künftige; da legte ich in mich selber den Trug und die Dämmerung.

5 [27]

Ich war in der Wüste, ich lebte nur als Erkennender. Dem Erkennenden reinigte sich die Seele, und der Durst nach Macht und alle Begierde wurden ihm heilig. Als Erkennender stieg ich weit über mich hinaus in der Heiligkeit und Tugend.

5 [28]

Unheimlich ist das menschliche Sein und immer noch ohne Sinn: ein Hanswurst kann ihm zum Verhängniß werden.

Wozu lebt dieser? Wozu stirbt jener? Niemand kann es wissen, denn es giebt kein Wozu darin.

Ehedem hielt man die Hand auf, wenn der Tod kam, und sagte "ein Geschenk von Oben".

Es gab diesen Geber gar nicht, ein Ziegelstein vom Dach war das Geschenk. Unwissenheit war alle Vernunft im Sterben.

Ich will die Menschen den Sinn ihres Lebens lehren: welches ist der Übermensch.

5 [29]

Liebe und Gerechtigkeit gegen die Dinge sei eure Schule.

5 [30]

Ihr verhüllt eure Seele: Nacktheit wäre Schande für eure Seele. Oh daß ihr lerntet, warum ein Gott nackt ist! Er hat sich nicht zu schämen. Er ist mächtiger nackt!

Der Körper ist etwas Böses, die Schönheit ist eine Teufelei; mager, gräßlich, verhungert, schwarz, schmutzig, so soll der Leib aussehen

Am Leibe zu freveln das gilt mir als ein Freveln an der Erde und am Sinn der Erde. Wehe dem Unseligen, dem der Leib böse und die Schönheit teuflisch scheint!

5 [31]

Hinter deinen Gedanken und Gefühlen steht dein Leib und dein Selbst im Leibe: die terra incognita. Wozu hast du diese Gedanken und diese Gefühle? Dein Selbst im Leibe will etwas damit.

5 [32]

5 [33]

Es genügt nicht, etwas wieder gut zu machen: man muß sich selber wieder gut machen, sich selber wieder gut werden, z. B. durch eine kleine überflüssige Bosheit oder Wohlthat. Bevor man vergeben kann, muß man erst erleben, was einem angethan ist. Und bei tiefen Menschen dauern alle Erlebnisse lange. Es ist leichter seinem Feinde zu vergeben als seinem Freunde.

Ich soll vergeben? Aber ich mache dir nicht zum Vorwurfe, was du dir vorwirfst: wie könnte ich also vergeben?

Nicht daß du mich belogst, sondern daß ich dir nicht mehr glaubte hat mich erschüttert.

Aus seiner Erbitterung gegen einen Menschen macht man sich seine moralische Empörung zurecht – und bewundert sich dabei; und aus dem Müdewerden seines Hasses macht man sich die Vergebung zurecht – und bewundert sich noch einmal.

Er that mir Unrecht, das ist schlimm. Aber daß er nun gar noch sein Unrecht von mir abbitten will, das ist schlimmer, das ist zum Aus-der-Haut-fahren.

Hütet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Der vergiebt nie! Der Einsiedler ist wie ein tiefer Brunnen – es ist leicht, einen Stein in ihn zu werfen. Wie aber willst du den Stein wieder herausholen, wenn er erst auf den Grund fiel?

5 [34]

Alle Ziele sind vernichtet: die Werthschätzungen kehren sich gegen einander, man nennt den gut, der seinem Herzen folgt, aber auch den, der nur auf seine Pflicht hört

5 [35]

ich begreife nicht, wozu man nöthig hat, zu verleumden. Will man jemandem schaden, so braucht man ja nur über ihn irgend eine Wahrheit zu sagen.

Man weiß von Jedermann immer zu viel.

Wir loben nur was nach unserem Geschmack ist d. h. wir loben nur unseren Geschmack.

die geistreichste Leidenschaft

Antipathie gegen eine Person sich zur Tugend machen

In der Flam<me> der Eifer<sucht> wendet man den vergifteten Stachel gegen sich selber, gleich dem Skorpion – doch ohne S<einen> Erfolg

Wenn ich merke daß jemand mich belügt, so erzürnt mich nicht, daß er mich belügt, sondern daß er lügt.

 


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