Friedrich Wilhelm Nietzsche
Fragmente 1869-1874, Band 1
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Frühjahr 1873]

[Dokument: Heft]

26 [1]

Thales. Paracelsus. Stelle in den Allegorien Homers. Wasser in der neuen Chemie. Lavoisier. Wolken Eis.

Anaximenes Luft (Paracelsus).

Anaximander. Das Werden als Zeichen der Vergänglichkeit. Nicht das infinitum, sondern das Indefinitum.

Das απειρον Ursache der Welt des Werdens? (Emanationstheorie, Spir.)

Heraclit. Werden als Schaffen, p.347 und früher Kopp.

Voraussetzung von zwei Elementen für jedes Werden.

Anaxagoras. Kreisbewegung. Dynamische Theorie, Durchdringung der Materie, p. 324. Viele Substanzen.

Werden als Herausziehen nicht mehr Schaffen.

Durchdringung zu Punkten.

Empedocles. Attraktion, Repulsion. Affinität. Actio in distans. Vier Elemente. Zwei Electricitäten, p. 340 Kopp. Liebe und Haß –

Empfindung als Bewegungsursache.

Boerhave, p. 310 Kopp.

Democrit. Atome gleichartig. Buffon gegen Newton, p. 311.

Vielgestaltig, Gassendi.

Pythagoreer. 367 Kopp. Der schlafende Reisende im Schiff. Überweg, III 53.

Fortsetzung der Atomistik, alle Bewegungsmechanik ist zuletzt Beschreibung der Vorstellungen. Berührung. Actio in distans.

Parmenides. Bernardinus Telesius.

Beiträge zur Geschichte der Physiologie von Rixner und Siber III.

Definition der Substanz bei Cartesius, siehe Überweg, 111 52.

Gegenseitige Einwirkung bei völliger Verschiedenheit des Cörpers. III 53. Grundlehre Satz vom Widerspruch, Überweg, III 81.

Quidquid est, est: quidquid non est, non est.

26 [2]

Nachahmung der Natur.

"Der weiseste Mensch ist Gott gegenüber ein Affe." Heraclit.

Oedipus der "Weh-mensch" löst das Menschenräthsel.

26 [3]

Die Eleaten sahen den Himmel gleichsam schwarz, wie die Mondbewohner.

26 [4]

Cardanus theilt die Menschen in

1) bloß Betrogene

2) betrogene Betrüger

3) nicht betrogene Nichtbetrüger.

26 [5]

Sennerti physica Viteb<ergae> 1618

Democrit

Magneni Democritus reviviscens Ticini 1646

Empedocles – Maignani cursus philosoph<icus> 1652 und 1673.

26 [6]

Der finstere Ozean der Metaphysik.

26 [7]

Thomas Campanella sagt, der Raum ist beseelt, denn er scheut das Leere und begehrt nach Erfüllung.

26 [8]

Es ist wie in einer Gemäldegalerie, eine Reihe von Philosophen hinter einander anzusehen: sie sind in dem Hause, in das wir sie zur Vergleichung einmiethen, nicht zu Hause; sie sehen daher oft so beliebig und wie ein Luxus aus, wie Erzeugnisse charakterloser Allerweltskünstler. Die Aufgabe dagegen soll sein, nur davon zu erzählen, wie sie selbst von ihren Vorgängern erzählen und mit ihnen sich berühren, also der Kampf untereinander.

26 [9]

Ich will eine Reihe von großen Philosophen beschreiben und hoffe dadurch das Wesen des Philosophen selbst deutlicher zu machen: ob ich es schon auf eine etwas unphilosophische Weise thun werde, da ich mich an den Wirkungen des Philosophen halte. Aber ich vermag nicht direkter von ihrem Wesen zu reden, denn der reine Trieb zur Wahrheit ist so fremd und unerklärlich in dieser Welt, daß ich hoffen darf, wenn ich zeige, wozu er nütze ist, wenigstens etwas gezeigt zu haben. Sollte er dieses Nutzens wegen nicht da sein, so ist es doch gut einzusehen, daß er, wenn er einmal da ist, auch nützlich sein kann: während er seinem Wesen nach so fremd und unmenschlich ist, daß man glauben möchte, er sei nicht nur unnütz, sondern auch schädlich. Denn jener Trieb steht im Widerspruch mit dem, was die Menschen zumeist beglückt.

26 [10]

Es giebt nur Philosophen, d. h. Freunde der Wahrheit

oder Feinde der Wahrheit

oder Skeptiker.

26 [11]

Ich habe nichts als Empfindung und Vorstellung.

Also kann ich diese nicht aus den Vorstellungs-Inhalten entstanden denken.

Alle jene Kosmogonien usw. sind erschlossen aus den Empfindungsdaten.

Wir können uns nichts denken, das nicht Empfindung und Vorstellung wäre.

Somit auch nicht rein Zeit, Raum Welt existirend, aber ohne das Empfindende und Vorstellende.

Ich kann mir das Nichtsein nicht vorstellen.

Das Seiende ist Empfindung und Vorstellung.

Das Nichtseiende wäre etwas, was nicht Empfindung und Vorstellung wäre.

Das Vorstellende kann sich nicht "nicht vorstellen", wegvorstellen.

Das Vorstellende kann sich nicht als geworden denken, noch als vergehend.

Unmöglich auch die Entwicklung der Materie, bis zum Vorstellenden.

Denn es giebt gar nicht diesen Gegensatz von Materie und Vorstellung.

Die Materie selbst ist nur als Empfindung gegeben. Jeder Schluß hinter sie ist unerlaubt.

Die Empfindung und die Vorstellung ist die Ursache, daß wir an Gründe Stöße Körper glauben.

Wir können sie auf Bewegung und Zahlen zurückführen.

26 [12]

Bewegung in der Zeit

A B

. .

Raumpunkt A wirkt auf Raumpunkt B und umgekehrt.

Dazu bedarf es einer Zeit, denn jede Wirkung hat einen Weg zurückzulegen.

Aufeinanderfolgende Zeitpunkte würden in einander fallen.

A trifft mit seiner Wirkung nicht mehr auf das B des ersten Momentes. Was heißt es nun: B existirt noch und ebenso A existirt noch, wenn sie sich treffen?

Das hieße vor <allem>, A ist unverändert dasselbe in dem und jenem Zeitpunkte. Dann aber ist A keine wirkende Kraft, denn die kann nicht mehr dieselbe sein; denn das hieße, sie hätte nicht gewirkt.

Nehmen wir das Wirkende in der Zeit, so ist das in jedem kleinsten Zeitmomente Wirkende ein Verschiedenes.

Das heißt: die Zeit beweist das absolute Nichtbeharren einer Kraft.

Alle Raumgesetze sind also zeitlos gedacht, das heißt müssen gleichzeitig und sofort sein.

Die ganze Welt in einem Schlage. Dann aber giebt es keine Bewegung.

Die Bewegung laborirt an dem Widerspruch, daß sie nach Raumgesetzen construirt und durch Annahme einer Zeit wieder diese Gesetze unmöglich macht: d. h. zugleich ist und nicht ist.

Hier ist durch die Annahme zu helfen, daß entweder Zeit oder Raum = 0 ist.

Nehme ich den Raum als unendlich klein, so werden alle Zwischenräume zwischen den Atomen unendlich klein, d. h. alle punktuellen Atome fallen zusammen in einen Punkt.

Da aber die Zeit unendlich theilbar ist, so ist die ganze Welt möglich rein als Zeitphänomen, weil ich jeden Zeitpunkt mit dem einen Raumpunkt besetzen kann, somit ihn unendliche Mal setzen kann. Man müßte sich somit als Wesen eines Körpers Zeitpunkte distinkt denken, d. h. den einen Punkt in bestimmten Zwischenräumen gesetzt. Zwischen jedem Zeitzwischenraum haben noch unendliche Zeitpunkte Platz: also könnte man sich eine ganze Körperwelt denken, alle aus einem Punkte bestritten, aber so, daß wir Körper in unterbrochene Zeitlinien auflösen.

: :

.

Jetzt ist nur

: :

.

. :

. :

ein reproduzirendes Wesen nöthig, welches frühere Zeitmomente neben den gegenwärtigen hält. Darin sind unsere Körper imaginirt.

Es giebt dann kein Nebeneinander, als in der Vorstellung.

Alles Nebeneinander wäre erschlossen und vorgestellt. Die Gesetze des Raumes wären sämmtlich construirt und verbürgten nicht das Dasein des Raumes.

Die Zahl und die Art der Aufeinanderfolge jenes einen oft gesetzten Punktes macht dann den Körper aus.

Die Realität der Welt bestünde dann in einem verharrenden Punkte. Die Vielheit enstünde dadurch, daß es vorstellende Wesen gäbe, welche diesen Punkt in den kleinsten Zeitmomenten wiederholt dächten: Wesen, welche den Punkt auf verschiedenen Zeitpunkten als nicht identisch annehmen und jetzt diese Punkte gleichzeitig nehmen.

Übersetzung aller Bewegungsgesetze in Zeitproportionen.

Das Wesen der Empfindung bestünde darin, allmählich solche Zeitfiguren immer feiner zu empfinden und zu messen; die Vorstellung construirt sie als ein Nebeneinander und erklärt jetzt diesem Nebeneinander gemäß den Fortgang der Welt: reine Übertragung in eine andere Sprache, in die des Werdens.

Die Ordnung der Welt wäre die Regelmäßigkeit der Zeitfiguren: doch müßte man dann jedenfalls die Zeit mit einer constanten Kraft wirkend denken, nach Gesetzen, die wir uns nur aus dem Nebeneinander deuten können. Actio in distans temporis punctum.

An sich haben wir gar kein Mittel ein Zeitgesetz hinzustellen.

Wir hätten dann eine punktuelle Kraft, welche zu jedem späteren Zeitmomente ihrer Existenz eine Relation hätte, d. h. deren Kräfte in jenen Figuren und Relationen bestünden. In jedem kleinsten Moment müßte die Kraft verschieden sein: aber die Aufeinanderfolge wäre in irgendwelchen Proportionen und die vorhandene Welt bestünde in der Sichtbarwerdung dieser Kraft-Proportionen, d.h. Übersetzung ins Räumliche.

Gewöhnlich nimmt man in der atomistischen Physik in der Zeit unveränderliche Atom-Kräfte an, also οντα im parmenideischen Sinne. Diese können aber nicht wirken.

Sondern nur absolut veränderliche Kräfte können wirken, solche die keinen Augenblick dieselben sind.

Alle Kräfte sind nur Funktion der Zeit.

Je größer die Langsamkeit, um so größer die Zwischenräume der Zeit, um so größer das distans.

Also Relation entfernter Zeitpunkte ist Langsamkeit: alle Langsamkeit ist natürlich relativ.

Zeitlinie.

Real: ein Raumpunkt.

Relationen seiner verschiedenen Zeitlagen.

Wo bestehen die Relationen.

Keine Bewegung in der Zeit ist stetig.

Wir messen an etwas Räumlichbleibendem die Zeit und deshalb setzen wir voraus, daß zwischen Zeitpunkt A und Zeitpunkt B eine stetige Zeit sei. Die Zeit ist aber gar kein continuum, sondern es giebt nur total verschiedene Zeitpunkte, keine Linie. Actio in distans.

Es ist nur von Zeitpunkten zu reden, nicht mehr von Zeit.

Der Zeitpunkt wirkt auf einen anderen Zeitpunkt, also dynamische Eigenschaften vorauszusetzen.

Zeitatomenlehre.

Es ist möglich,

1) die vorhandene Welt auf punktuelle Raumatomistik zurückzuführen,

2) diese wieder auf Zeitatomistik zurückzuführen,

3) die Zeitatomistik fällt endlich zusammen mit einer Empfindungslehre. Der dynamische Zeitpunkt ist identisch mit dem Empfindungspunkt. Denn es giebt keine Gleichzeitigkeit der Empfindung.

26 [13]

Vielleicht hat Jeder einmal in seiner Jugend jenen leidenschaftlichen Moment erlebt, in dem er zu sich sagte: "Könntest Du doch deine ganze Vergangenheit auslöschen! Und du ständest, rein und unbeschrieben, im Angesicht der Natur, und wie der erste Mensch, um von nun an weiser und besser zu leben". Es ist ein thörichter und schrecklicher Wunsch: denn sollte wirklich die ganze Vergangenheit des Wünschenden von der Tafel des Seins ausgelöscht werden, hieße dies nicht weniger als mit seinem ärmlichen Paar Lebensmonden auch zahllose frühere Geschlechter auszutilgen: deren Nachklang und Überrest nun einmal unsre Existenz ist, so gern sich das Individuum als etwas ganz Neues und Unerhörtes zu empfinden geneigt ist. Inder That giebt es kaum ein selbstsüchtigeres Verlangen, als ganze frühere Generationen noch a posteriori zu vernichten, weil irgend ein Späterer Grund hat, mit sich unzufrieden zu sein. Sollte aber wirklich Jemand, in der Leidenschaft, ausrufen: Fluch allen Generationen, denen mein Dasein – – –

26 [14]

Wunderbar die Unbesorgtheit der Natur um die Kultur. Sie .hängt an zu wenig Individuen.

Bakunin, der im Haß gegen die Gegenwart, die Geschichte und die Vergangenheit vernichten will. Nun wäre um alle Vergangenheit zu tilgen freilich nöthig, die Menschen zu vertilgen: aber er will nur die bisherige Bildung, das ganze geistige Weiterleben, vernichten. Die neue Generation soll ihre neue Kultur finden:

Der Mensch ist nur der Kunst werth, die er selbst schafft.

Die Bildung überträgt sich nicht einfach durch die Generation. Sie ist viel gefährdeter: sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werden.

Es ist möglich die Bildung zu vernichten.

Sie zu ruiniren ist sogar sehr leicht und das Werk weniger Menschen und Jahre.

Die Natur hat nicht solche Vorsichtsmaßregeln getroffen

Da die Bildung so wandelbar ist, so ist sie auch leicht zu verbessern.

26 [15]

<Goethe> über gute Handlanger 3 p. 59

Eckerm<ann> 3 p. 164 der griechische Stil.

3 p. 37 durch Zeitungen Halbkultur der Massen 3 p. 45 über Reformen ohne Gott

der Grad dessen, was ein Mensch leiden kann, bestimmt seine Tiefe und seinen Ernst, aber auch seine Freude.

26 [16]

Es ist jetzt durch die öffentliche Meinung fast verboten, von den schlimmen Folgen des Krieges, zumal eines siegreich beendeten Kriegs zu reden, weshalb die Schriftsteller, die außer jener Meinung keine Meinungen besitzen, um die Wette das Lob des Kriegs, überhaupt sein Verdienst um Kultur, Kunst und Sittlichkeit zu singen beflissen sind. Trotzdem sei es gesagt: von allen schlimmen Folgen, die der letzte mit Frankreich geführte Krieg im Gefolge hat, ist vielleicht die schlimmste eine schnell um sich greifende und jetzt fast allgemeine Täuschung, als ob die deutsche Kultur in jenem Kriege über eine fremde Kultur gesiegt habe und deshalb vor allem den Lorbeer verdiene, der einem so außerordentlichen Kriege gemäß sei. Einmal wäre immer, selbst angenommen daß jene Kulturen mit einander gekämpft hätten, der Maßstab für die siegende immer noch ein sehr relativer und unter Verhältnissen noch gar zu keinem Siegesjubel oder Selbstglorifikation berechtigend; denn es käme darauf an, was jene unterjochte Kultur werth gewesen wäre, vielleicht sehr wenig, in welchem Falle auch der Sieg, selbst bei pomphaftestem Waffenerfolge, für die siegende Kultur keine Aufforderung zum Triumph enthielte. Andrerseits ist in unsrem Falle davon gar nicht die Rede. Strenge Kriegszucht, wissenschaftliche Überlegenheit der Führer, Einheit und Gehorsam unter den Geführten, kurz wesentlich Elemente, die nichts mit der Kultur zu thun haben, haben gesiegt, und nur darüber kann man sich wundern, daß die Kultur so wenig hemmend in diese militärischen Erfordernisse dazwischengetreten ist: daß sie entweder so ohnmächtig war oder so zugehörig dienstfertig. Genug, daß nach dem Krieg die Sache anders erscheint und überall anders betrachtet wird. Die Kultur soll es sein, die gesiegt hat; alle Gewerbe, alle Wissenschaften feiern ihre Mitbetheiligung daran und selbst eine Versammlung von Philologen und Schulmännern läßt sich das populäre Thema nicht entgehen und feiert ihren Stand als den am Siege mit Betheiligten. Ich will gar nichts darüber sagen, in wie weit mit Recht. Nur scheint mir darin eine allgemeine Gefahr zu liegen, daß eine höchst zweideutige, unfertige, unnationale Kultur, eine wahre Verlegenheits-Cultur plötzlich den Triumphator-Mantel sich umlegt. Um Gottes Willen, seht euch um und nehmt euch in Acht. Noch ein solcher Sieg und das deutsche Reich besteht, aber das Deutsche selbst ist vernichtet! Ich habe schon jetzt kaum den Muth, irgend eine Eigenschaft als eine speziell deutsche zu reklamiren. Die deutsche Sitte, die deutsche Geselligkeit, die deutschen Verwaltungen und Vertretungen, alles hat einen ausländischen Beigeschmack und sieht aus wie eine Nachahmung ohne Talent, von der noch dazu vergessen ist, daß sie Nachahmung ist: überall Originalität aus Vergeßlichkeit. In dieser Noth halte ich mich an die deutsche Sprache, die wahrhaftig bis jetzt allein sich durchgerettet hat, durch all die Mischung von Nationalitäten und Wechsel der Zeiten und Sitten, und meine, daß ein metaphysischer Zauber, Einheiten aus Vielheiten, Einartiges aus Vielartigem zu gebären, in der Sprache liegen müsse. Eben deshalb müssen wir die strengsten Wächter über diese unificirende, unsre zukünftige Deutschheit verbürgende Sprache setzen. Unsere großen Autoren haben ein heiliges Amt, als Wächter dieser Sprache; und unsere deutsche Schule hat eine fruchtbare ernste Aufgabe, unter den Augen solcher Wächter zur deutschen Sprache zu erziehen. (Neue Eigenschaft der d<eutschen> Sprache: alles anzunehmen und nachzuahmen, europäisches Mosaik.)

Nun hat der Krieg die unselige Wirkung gehabt, daß auch die deutschen Schriftsteller sich glorificirt fanden und jetzt ein Zutrauen zu sich bekamen, als hätte schon die strengste Nachwelt ihnen die Unsterblichkeit zuerkannt. Kecklich wagte eine ganze Reihe von neuen Klassikern sich ans Licht: die Zeitschriften und europäischen Zeitungen trugen ihnen das Krönungsdiadem voran und das Ausland geräth bei der immer erneuten Versicherung, daß wir eine große Kultur und große Classiker besäßen, in staunende Verwirrung. Denken wir uns einen gebildeten Engländer, der mit unsren großen Deutschen sich vertraut gemacht hat und nun über den Kanal her immer von neuem es hören muß, daß wieder deutsche Classiker und Musterschriftsteller existiren, als die wahren Helfer und Ursachen so gewaltiger Kriege und Siege, und dadurch höher gestellt als jene älteren, denen am wenigsten kriegerische Kränze dargebracht worden sind. Unser Engländer liest z. B. davon, daß man sich in verbreiteten Zeitschriften darüber unterhält, ob David Strauß der größte Stilist der Gegenwart sei oder noch einer Anzahl von Seinesgleichen beisitze: und jetzt steigt sein Verlangen aufs Höchste, sich mit dieser modernen Klassicität bekannt zu machen und verlangt das Werk, das in einem Vierteljahr viermal, in starken Auflagen, zur Welt kam, "Der alte und der neue Glaube."

Damit haben wir alles gesagt, was als Einleitung für den von nun an selbst redenden Engländer gesagt werden mußte: dieser liest, liest wieder, staunt, fragt, horcht, untersucht – und endlich ergreift er, in Verzweiflung, die Feder, um das ihn so Beängstigende in einem Briefe loszuwerden – er wendet sich eben direkt an David Strauß.

Erster Brief.

Ein Ausländer hat Einiges voraus, wenn er sich mit dem berühmten David Strauß in ein Gespräch über das einläßt, was Deutsch ist, zumal er – – –

26 [17]

Wenn ein moderner Mensch wie Strauß an einem so großen Alten Fehler zu rügen hätte, so sollte es billig nicht anders geschehen, als auf den Knien, um mit Goethe zu reden, 3, p. 137.

26 [18]

Die plötzliche Bereicherung eines Volkes birgt dieselben Gefahren wie die plötzliche Überfüllung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Weg von der Einsicht zum Leben, vom Kennen zum Können, von der Kunde zur Kunst wird vergessen: ein luxuriöses Schwelgen im Wissen beginnt. Das ruhige Fortarbeiten derjenigen, welche die Kultur produziren, wird plötzlich durch die Erkenntnißstolzen überfluthet: niemand will die kleinen Wege mehr praktisch gehen, sondern beschränkt sich egoistisch ein Besserwissen zu haben. Und so wie man neuerdings fürchtet, daß die berühmten fünf Milliarden zum Fluch ausschlagen könnten, so scheint der Überschuß an Wissenschaftlichkeit ein Fluch für unsere Kultur zu werden.

26 [19]

Die Illusion des Kultursieges.

Der Kampf dagegen nöthig, Ausgang unwahrscheinlich durch jene Illusion.

Es fehlt das Gefühl daß es schlimm steht.

26 [20]

Über Lesen und Schreiben.

1. Das Viellesen.

2. Das Vielschreiben.

3. Der Stil.

4. Die Rede.

26 [21]

Griechisch und deutsch.

Kampf des Römischen und des Griechischen.

26 [22]

Stil. Autoren, welche zuerst schlecht schreiben und nachher formen und künsteln.

Autoren, welche nur schlecht schreiben.

Die Herablassung der populären Schriftstellerei.

26 [23]

Geburt der Tragödie.

Die Philosophen des tragischen Zeitalters.

Die Zukunft unserer Bildungsanstalten.

Über Lesen und Schreiben.

Der Wettkampf.

Rhythmus.

Griechisch und Deutsch.

Bayreuther Horizont-Betrachtungen.

26 [24]

Gegen David Strauss.

Er ist einheitlich.

Der Stilist.

Die Kunstanschauung.

Die Lebensbetrachtung.

Die philiströse Impotenz dieser Bildung. Resignation und erkünstelte Heiterkeit.

Gefühllos für das Deutsche.

Von

Pacific Nil.


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