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Konnte der Herr reden! Ich verstand lange nicht alles, was er sagte, aber es schien mir auch nicht nötig: Es waren lauter Redensarten, die sich meistens mit seiner werten Person beschäftigten. Nachdem er gegangen war, hätte ich gern an Marguerite gesagt, daß sie nicht mehr traurig sein sollte, weil dieser aufgeblasene und eitle Mensch ihr nicht die Treue gehalten hätte; aber es kam mir vor, als empfände sie denselben Gedanken. Wenigstens schüttelte sie einige Male den Kopf und lächelte ein trauriges kleines Lächeln, wie die Menschen es vorrätig haben wenn es andere kommt als sie denken, und dies andere eigentlich ein Segen ist. Jedenfalls weinte sie nicht mehr, pflegte ihre Madame und besorgte alles, was es zu besorgen gab. Sie hatte wenig Zeit, in ihrem Zimmer zu sitzen und mit sich zu sprechen, daher kann ich nicht viel von ihr berichten. Nur einmal, es mögen etliche Monate nach dem ersten Besuch des Herrn von Renneton verstrichen sein, da erschien er plötzlich wieder und stand vor Fräulein von Gerard in ihrem eigenen Zimmer. Er war nicht mehr so siegesgewiß, wie das erstemal, auch nicht mehr so fein gekleidet. Er sprach von Feinden, die er hätte, von Intrigen gegen ihn, von der Ungnade des Kaisers, die er nicht verdient habe, und die von einem Bericht des Generals herrühre, der ihn nicht leiden könne. Und er bat Mademoiselle Marguerite, ein gutes Wort für ihn bei dem General einzulegen, damit er nicht abgesetzt würde. Man drohe ihm sogar mit dem Gefängnis, wo er doch ein ausgezeichneter und ehrlicher Mann sei, der immer nur das Beste gewollt habe.

Herr von Renneton sprach noch eine Weile; ich verstand nicht alles, und sah nur, daß Marguerite ihn sehr ernsthaft anhörte und nicht viel erwiderte. Wie er nun schwieg und sie wohl nicht recht wußte, was sie sagen sollte, faßte er ihre Hand.

Mademoiselle, ich weiß, daß ich mich, als wir beide jung waren, und die böse Zeit kam, daß ich mich damals nicht ganz richtig benommen habe. Ich hätte Sie nicht verlassen sollen, da wir eigentlich verlobt waren. Aber, wahrhaftig Mademoiselle, es ging uns allen miserabel, und jedermann mußte sehen, wie er durchkam. Ich will auch mein Unrecht gut machen und mich, falls Sie es wünschen, von meiner Frau scheiden lassen, um Sie zu heiraten. Legen Sie nur ein gutes Wort bei dem General ein, der das Ohr des Kaisers hat. Ganz ungerechterweise, aber manchmal wird das Laster belohnt und die Tugend muß leiden.‹

Er wollte noch weiter sprechen, aber Marguerite stand auf.

›Glauben Sie, daß Sie tugendhaft sind, Herr von Renneton?‹

›Ich bin immer ein braver Mann gewesen!‹ erwiderte er, und verdrehte die Augen. Da lachte Marguerite laut auf und zeigte auf die Tür. ›Mit Ihnen will ich niemals mehr etwas zu schaffen haben: Sie sind ein gemeiner Mensch!‹

Als der Spitzbube gegangen war, faltete mein Fräulein die Hände, und sprach mit sich selbst, wie zu alten Zeiten.

›Gott sei Dank, daß ich mein Leben nicht an diesen Elenden binden konnte. Ich hätte es getan, wahrhaftig, ich glaubte an ihn! Wie konnte ich so viel Gemeinheit ahnen! Treulos ist er und schlecht. Seine arme Frau! Wenn ich an ihrer Stelle wäre, wie würde ich mich schämen!‹

So redete sie, und war so aufgeregt, daß sie ein Klopfen überhörte, und dann trat der General ein, ohne daß sie Herein rief. Er war in großer Uniform, und wollte sich verabschieden, da der Kaiser ihn auf einen anderen Posten berief. Er setzte sich, auf Marguerites Einladung, und spielte mit seinem Federhut.

›Ich wollte fragen, ob Sie und ihre Dame noch einen Wunsch haben, den ich erfüllen könnte, Mademoiselle. Es hat mir hier im Haus sehr gut gefallen, und ich möchte meine Dankbarkeit beweisen!'

Marguerite schwieg einen Augenblick.

›Vielleicht bestrafen Sie den Herrn von Renneton nicht allzu hart‹ sagte sie zögernd.

Der General blitzte sie mit seinen schwarzen Augen an.

Er ist ein Dieb und ein Betrüger! Er hat Gelder unterschlagen, die dem Staat gehören, und auch sonst Unredlichkeiten begangen. Welches Interesse nehmen Sie an ihm, Mademoiselle?

Er hat einstmals meinem Elternhaus nahe gestanden, und außerdem hat er eine Frau und einen kleinen Sohn von zwei Jahren. Wie schrecklich wird es dereinst für dies Kind sein, einen Vater zu haben, der einen Makel auf seinem Namen hat!‹

›Herr von Renneton hätte früher an diese Dinge denken sollen!‹

›Selig sind die Barmherzigen!‹ sagte Marguerite ganz leise, und der General schwieg eine Weile. Dann stand er auf, und küßte Marguerites Hand.

›Mademoiselle, der Kerl hat wirklich nicht verdient, daß Sie für ihn bitten. Aber ich will mein Möglichstes versuchen. Die Worte, die Sie eben sprachen, werde ich im Gedächtnis behalten, und Sie vielleicht später einmal daran erinnern!‹

Dann ist er gegangen und Marguerite hat mit sehr freundlichen Augen hinter ihm hergesehen.«

»Und dann?« fragte die Laute, aber der Mond ergriff jetzt das Wort.

»Laß das Fragen, liebe Laute, denn die kleine Schäferin weiß nichts mehr zu berichten. Am anderen Abend, gerade, als ich hell in das behagliche Zimmer an der Alster schien, sind Diebe gekommen, und haben viele Dinge weggenommen, die dort, und im angrenzenden Gemach, umherstanden. Unter anderem auch die kleine Schäferin, die sie in einen groben Korb packten, der später in einen Diebeskeller kam, dort vergessen wurde, und erst vor einigen Jahren, als das Haus abgebrochen wurde, seine Auferstehung feierte. Ich muß ja leider fast ebensoviel böse Taten wie gute sehen, und ich habe nicht die Macht, sie zu verhindern, wenn ich auch den schlechten Menschen manchen Schabernack spiele. Nein, die arme kleine Schäferin hat viele Jahre im Keller schlafen müssen, und kann nicht sagen, was aus Marguerite geworden ist, die einstmals ein störrisches, verwöhntes Kind war, die das Leben in seine Hand nahm und aus ihr ein prachtvolles Menschenkind formte: eins von denen, die nicht an sich, sondern nur an andere denken: Und solche Menschen gibt es auch bei den Franzosen, wenn auch nicht sehr häufig. Und ich will gleich sagen, daß es wohl die deutsche Luft gewesen ist, die Marguerites gute Eigenschaften zur Entfaltung brachte, oder, wenn das zuviel gesagt ist, die Schicksale, die sie so bildeten, daß ich sie später immer mit Freude betrachtete. Auch, als sie eine ganz alte Frau geworden war, ihr Französisch fast verlernt hatte, und in ihrem kleinen Stübchen für die Armen strickte und nähte.«

Der Mond wollte weiter sprechen, da aber erklang die kleine Spieldose, die bis dahin geschwiegen hatte, und sie hatte eine so kräftige, trotzige Stimme, daß alle, die bis dahin geredet hatten, still schwiegen und sie reden ließen.

Ich spiele Militärmärsche und ich bin in Amsterdam gemacht! Wie ich hierher komme? Das ist eine lange Geschichte, und ich kann sie nicht mehr ganz erzählen. Der Mond beginnt müde zu werden; dann wendet er sein Gesicht von uns, und wir verlieren wieder alle die Sprache. Ich habe dem General gehört, demselben General, der damals Mademoiselle Marguerite die Hand küßte. Irgendein vornehmer Herr aus Holland brachte mich mit und gab mich dann für einige Goldstücke an den General. Damals hatte er noch Goldstücke, es gab aber eine Zeit, da erging es ihm nicht mehr gut.

Wißt ihr euch der Schlacht bei Leipzig und nachher der bei Belle Alliance zu erinnern? Wahrscheinlich nicht: Ihr hattet eure Behausung, euer Unterkommen, ich aber machte alles mit. Im Koffer des Generals lag ich, und mit ihm ging ich nach Frankreich, aber, um nicht lange dort zu bleiben. Es wehte ein anderer Wind im Lande: der große Kaiser Napoleon war heimtückisch von den Engländern gefangengenommen und saß gefangen auf der Insel Sankt Helena, und mein General hatte in der Schlacht von Belle Alliance ein Bein verloren, und als er nach Frankreich zurückkehrte, wurde er sehr bald ausgewiesen. Weil er für den Kaiser und nicht für den dicken Bourbonenkönig war, der jetzt dort wieder regierte. Geld hatte er auch nicht, niemand gab ihm eine Pension, wie er es doch verdient hatte, und wenn es nach der französischen Regierung gegangen war, hätte er des Hungers sterben können. Dazu aber hatte er keine Lust; er grübelte lange, horchte auf meine Weisen und packte zusammen, was ihm sonst noch gehörte. Auch ich lag eine Zeitlang im Koffer und wurde erst herausgenommen, als mein General in einer großen Stadt angelangt war, die, wie ich bald erfuhr, Hamburg hieß. Dort stand ich in einem kleinen Zimmer auf dem Tisch, und mein General betrachtete mich aufmerksam, rieb an mir, denn ich war aus vergoldetem Messing und konnte sehr schön glänzen. Dann wickelte er mich ein und löste erst das Papier, als er vor einer freundlichen Dame stand, die ihm die Hand reichte und einige Willkommensworte sprach.

›Fräulein Marguerite,‹ sagte da mein General, ›Sie erschrecken gewiß, daß ich wiederkomme, nicht wahr? Ich habe es allerdings immer im Sinne gehabt, wieder zu kommen, aber nicht als elender Krüppel und mit einem zerrissenen Rock: ich wollte Marschall von Frankreich werden und Sie dann fragen, ob Sie meine Marschallin sein wollten. Aber es ist alles anders geworden, und es wäre sehr frech von mir, wollte ich Sie an mein Schicksal binden. Außerdem würden Sie sich wohl bedanken! Von solchen Dingen wollen wir also nicht reden: ich möchte Sie nur um einen Rat bitten! Sie haben mir damals erzählt, daß Sie als armes Mädchen hierher kamen, und aus eignem Fleiß sich ein gutes Leben schafften: möchten Sie mir nicht auch einen Rat geben, wie ich es anfangen soll, mir etwas zu verdienen?‹

Während der General sprach, war Fräulein Marguerite sehr rot geworden, aber dann zeigte sie auf einen Stuhl, auf den der General sich setzen mußte, und nahm neben ihm Platz. Dann griffen ihre Hände nach mir.

›Wie hübsch ist sie!‹ sagte sie, und ich merkte, daß sie etwas zitterte. ›Ja, es ist ein wertvolles kleines Ding, fast der einzige Überrest aus der Zeit, da ich noch etwas bedeutete. Eigentlich wollte ich sie verkaufen, aber dann sollten Sie sie doch lieber haben. Ihr Erlös würde mich nicht lange ernähren. Nehmen Sie die Dose, und Sie geben mir einen Rat dafür!‹

›Mein General,‹ Fräulein Marguerite war wieder ruhig geworden. ›Von heute auf morgen wüßte ich keinen Rat für Sie, aber vielleicht übermorgen, oder in acht Tagen. Und wenn Sie hier bleiben wollen, dann müssen Sie Deutsch lernen: die Deutschen haben allerdings noch immer eine Vorliebe fürs Französische, obgleich sie viel Böses von unserem Volk erdulden mußten; aber wenn Sie etwas erreichen wollen, müssen Sie die Sprache des Landes lernen!‹

›Glauben Sie, daß ich hier irgendeine Stellung erhalten könnte?‹ fragte der General wieder und Marguerite sah ihn sehr freundlich an.

›Ich werde mir alle Mühe geben, Ihnen zu helfen!‹«

»Sie war eine tüchtige Person geworden!« schob hier der Mond ein. »Frau Timmermann war zwar gestorben, und ihre gute Stellung hatte sie verloren; aber sie hatte ein bedeutendes Legat erhalten und hatte, um nicht müßig zu sein, eine kleine Schule begonnen, in der Knaben und Mädchen die Anfangsgründe der Wissenschaften lernten. Dann verfertigte sie sehr schöne Handarbeiten, und schließlich war sie unter die Schriftsteller gegangen und hatte ein kleines Kochbuch geschrieben, das sie selbst verkaufte. Dieses Kochbuch erstanden sich alle die Mütter ihrer Schüler und verbreiteten es weiter, und hin und wieder kam eine fremde Hausfrau und ließ sich in diesem und jenem von Marguerite belehren. Also hatte sie alle Hände voll zu tun und konnte bald hier, bald dort helfen, hatte einen weiten Freundeskreis und empfand eine große Befriedigung. Denn es ist nichts schöner, als mitten im Leben zu stehen, und es andere merken zu lassen, daß man ihnen gern hilft. Sei es auch nur mir einem neuen Stickmuster oder mit einem neuen Kochrezept. Und weil Marguerite so viele Freunde hatte, so ist es ihr auch leicht geworden, dem armen einbeinigen General zu einem Platz zu verhelfen. Er wurde französischer Korrespondent in einer großen Firma, und dort hat er manches Jahr gearbeitet. Bis ...«


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