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›So ein elender Emporkömmling!‹ sagte sie laut vor sich hin, schürzte die Lippen und lachte wieder. ›Sein Vater hat meinem Vater die Stiefeln geputzt und den Zopf geflochten. Und der will mir eine Gnade erweisen!‹

Aber sie hütete sich doch, ihre Gedanken anders als in ihrem Zimmer laut werden zu lassen, und auch Madame Timmermann bemühte sich, den Gast zufriedenzustellen, ihm gutes Essen und seinen Wein zu geben und ihn jeden Morgen nach seinen besonderen Wünschen zu fragen. Das gefiel dem Herrn, und er legte sein bärbeißiges Benehmen ab und wurde ganz zutraulich. Erzählte dann unaufgefordert, daß er aus derselben Stadt wie Fräulein Marguerite stamme, und daß er als Junge niemals gedacht habe, er würde einst ein General des Kaiserreiches und ein vornehmer Mann werden. Das war die Folge der Republik, die alle Menschen gleich machte, und dann kam es von dem großen Kaiser Napoleon, der eigene Tüchtigkeit zu belohnen wußte. Oh, er prahlte recht, war aber sonst nicht so sehr schlimm, wenigstens sagten dies die beiden Damen, und ich mußte es wohl glauben. Mich beachtete er gar nicht, obgleich er öfters in Fräulein Marguerites Zimmer saß und dort Kaffee trank. Denn dies Zimmer mit der Aussicht auf die Alster hatte es ihm angetan, und er fragte nicht viel, wem es gehörte, sondern verfügte frei über alle Zimmer im Hause. Hier in diesem Raum wollte er auch eine kleine Gesellschaft geben. Einige Herren, die zu seinem Stabe gehörten, dazu einige Beamte, die im Auftrage des Kaisers in Hamburg weilten, wollte er zu einem Glase Wein und zu schönem Kuchen einladen.

›Wir machen Ihnen keine Umstände, Mademoiselle!‹ sagte er zu Marguerite.‹

›Sie haben nur den Wein zu liefern und den Kuchen, sowie guten Tabak und anständige Pfeifen. Wir trinken und rauchen, genießen dabei die schöne Aussicht auf den Fluß und machen nachher ein Spielchen.‹

Alles geschah nach seinem Wunsch. Madame Timmermann freute sich, daß sie mit Wein und Kuchen und starkem Tabakrauch davonkam. In anderen Häusern verlangten die Offiziere ein großes Mittagessen, und man mußte es ihnen natürlich bereiten. Es war ein heller Frühlingstag, und die Sonne schien auf das Alsterwasser, daß es blau wurde wie der Himmel, da erschienen die eingeladenen Herren und saßen bald beim Wein, aßen Kuchen, lachten und schwatzten, wie nur Franzosen schwatzen können. Der General machte den Wirt und hatte seinen Diener weggeschickt, damit man ungestört war. Ich aber stand auf dem Schreibtisch und konnte mit Muße die Herren betrachten, die jetzt um den Tisch saßen und immer wieder lachten. Ihnen war entschieden sehr wohl zumute, und man konnte merken, wie sie sich freuten, in Hamburg zu sein und diese reiche Stadt als ihre Beute zu betrachten. Von Steuern sprachen sie, von Geld, das sie nehmen wollten, immer nur von Haben und Kriegen. Angenehm anzuhören war es gerade nicht, und ich freute mich, daß Marguerite und ihre Herrin still in einem Hinterzimmer sahen und nicht ahnten, was geredet wurde. Am meisten sprach ein Herr, der nicht Offizier zu sein schien, sondern elegant in einen goldbraunen Anzug gekleidet war. Mit langen schwarzen Haaren und einem schneeweißen Brusttuch, das ihm sehr gut stand.

Er redete vom Kaiser, als kennte er ihn sehr gut und auch von der Kaiserin Marie Luise, die, wie ich erfuhr, eine Prinzessin aus Österreich war und eine Nichte der armen Marie Antoinette, der die Franzosen den Kopf abschlugen. Es wunderte mich recht, daß man diese Dinge so schnell vergessen konnte, aber wenn man ein lebendiger Mensch ist, dann hat man wohl ein anderes Gedächtnis als eine Schäferin aus Porzellan, die Zeit hat, über vieles nachzudenken. Und ich hörte doch, wie Fräulein Berthe und Marguerite über das Entsetzliche sprachen, das damals in Frankreich geschah. Wie oft weinten sie über das Schicksal von Marie Antoinette und vielen anderer Menschen; diese Herren aber waren sehr zufrieden mit dem, wie es jetzt in Frankreich aussah. Einen Kaiser hatten sie, der ehemals ein einfacher Leutnant gewesen war, und eine Kaiserin, die aus dem alten und vornehmen Hause Österreich stammte. Frankreich würde die Welt erobern, bald ginge es nach Rußland, wo viel Land und viel Gold war. Napoleon würde den Russen zeigen, wie mächtig er wäre und daß niemand ihm widerstehen könnte. So redeten die Herren, lachten, tranken Wein, aßen Kuchen und mischten die Spielkarten. Sie zogen Gold- und Silberstücke aus der Tasche, legten sie vor sich hin, und dann starrten sie auf das Geld und auf die Karten, und dachten nicht mehr daran, auf die blaue Alster zu schauen und auf die goldenen Sonnenstrahlen, die darüberhin huschten. Sie müssen eine Zeitlang gespielt haben, und ich bin vielleicht ein wenig eingeschlafen, denn wenn man sich langweilt, ist es besser, zu schlafen; dann aber wachte ich durch ein heftiges Gezänk auf und sah, wie ein Glas durch die Luft und gegen das Gesicht des Herrn flog, der den goldbraunen Anzug trug. Er fiel zurück, und das Blut strömte ihm über das hochmütige Gesicht. Aber er fuhr doch auf und packte den, der das Glas geworfen hatte, an der Kehle. Jetzt trat der General dazwischen, zog die Streitenden auseinander, fluchte schrecklich und rief aus der Tür nach Wasser und Tüchern, damit die stark blutende Wunde verbunden werden möge. Marguerite kam herbeigeeilt und stürzte davon, um alles zu holen, während der Verwundete in einen Lehnstuhl gesetzt wurde. Er kämpfte mit einer Ohnmacht, und als Marguerite wieder eintrat, lag er mit geschlossenen Augen. Der General aber war noch böse und zeigte seinen Unmut.

›Dieser Herr von Renneton sollte nicht so spielen, wie er es tut. Ich habe ja nicht gesehen, daß er gezeichnete Karten hatte, aber wenn Rembert es sagt –‹

Er hielt inne, und der, der das Glas gegen Rennetons Gesicht geworfen hatte, antwortete trotzig.

›Mein General, es ist, wie ich sage. Herr von Renneton spielt unehrlich. Ich bemerkte es schon mehrere Male, und heute habe ich unwiderlegliche Beweise!‹ Er sprudelte eine Menge von Anschuldigungen heraus, auf die ich aber nicht achtete. Denn ich sah Marguerite an, die vor dem ohnmächtigen Mann kniete, ihm vorsichtig das Blut abwusch und ihn mit rosenroten Wangen und mit selig leuchtenden Augen betrachtete.

›René!‹ sagte sie dabei ganz leise. ›Bist du es wirklich, und bist du gekommen, um mich zu suchen und zu finden! René! Öffne die Augen und erkenne, daß deine Marguerite treu auf dich wartete, und nie die Hoffnung sinken ließ, daß einmal der Tag des Wiedersehens kommen würde!‹

So flüsterte Marguerite mit seligem Ausdruck, während der General sich plötzlich zu ihr wandte, den noch immer Ohnmächtigen betrachtete und recht verdrießlich war.

›Sie scheinen die Wundbehandlung zu verstehen, Mademoiselle, und da brauche ich also keinen Arzt kommen zu lassen. Wir wollen den Monsieur zu seiner Frau bringen, damit sie ihn weiter pflege!‹

›Zu seiner Frau –‹

Marguerite wiederholte das Wort, während sie halb aufstand, und der General sah sie erstaunt an.

›Wundert Sie das? Soviel ich weiß, ist Renneton schon zum zweiten Male verheiratet, und seine jetzige Frau begleitet ihn. Es ist auch gut, daß er unter Aufsicht ist, er ist ein Bruder Leichtfuß, und heute hat er mich so geärgert, daß ich seinen Vorgesetzten Bericht erstatten will!‹

Fräulein Marguerite ist nicht in Ohnmacht gefallen oder hat geschrien oder sonst etwas Besonderes getan. Sie ist nur weiß wie Schnee geworden, und ihre Augen bekamen einen starren Blick, als wären sie auch von Porzellan und gehörten keinem lebendigen Menschen. Sie hatte den treulosen Mann vorsichtig verbunden und half dabei, daß er die Treppe hinunter und in eine Sänfte getragen wurde, die eben geholt war. Dann sind alle Herren gegangen, Madame Timmermann ist gekommen, hat das Zimmer gelüftet und alles wegräumen helfen. Und hat gescholten über die Franzosen, ihre Leichtfertigkeit und Unverschämtheit. Marguerite antwortete nicht. Sie räumte, sie lüftete und machte Ordnung, wie es sich gehörte, aber als sie endlich allein war, da fiel sie auf die Knie und betete.

›Lieber Gott. hilf, daß ich nicht bitter werde, und die große Prüfung, die du mir auferlegst, in deiner Kraft trage!‹

Dabei sind ihr aber die Tränen übers Gesicht gestürzt, und ich hörte sie noch lange bitterlich weinen.

Am anderen Tage aber war sie ruhig wie immer, und als sie Besuch erhielt von Frau von Renneton, trat sie ihr artig entgegen.

Frau von Renneton war eine kleine dicke Dame mit kohlschwarzen Haaren und großen Federn auf dem Hut. Dazu trug sie ein seidenes Kleid, mit kostbaren Spitzen besetzt, und eine dicke, goldene Kette um den Hals. Sie war aufgeregt und versicherte immer wieder, daß sie den Grobian, der ihren Mann so zugerichtet habe, verklagen wollte, und sollte sie auch bis zum Kaiser gehen.

›Herr von Renneton spielt nicht falsch!‹ versicherte sie. ›Man ist nur neidisch auf ihn, weil er so geschickt spielt und alle Zufälligkeiten auszunutzen versteht. Er ist ein guter Mann, Mademoiselle, und er läßt Sie schön grüßen und Ihnen für die erste Hilfe danken. Es geht ihm schon wieder besser; er muß nur noch einige Tage im Bett liegen, weil er einen Nervenchok bekommen hat. Dieser Rembert ist wirklich ein Elender, und dabei nicht einmal von guter Familie. Sein Vater ist Schlächter und einer von denen gewesen, die in Paris die Prinzessin Lamballe ermordet haben. Wissen Sie davon, oder soll ich Ihnen die Geschichte erzählen?‹

Marguerite schüttelte den Kopf, und die kleine, dicke Frau sprach schon von anderen Dingen. Immer nur von sich selbst und davon, daß sie seit drei Jahren mit Herrn von Renneton verheiratet wäre. Er war ein bißchen leichtsinnig und gab viel Geld aus, seine erste Frau hatte sehr verschwendet – daher mußte er darauf sehen, viel zu verdienen. Das Gehalt des Kaisers war nicht immer genügend: man mußte sich Nebeneinnahmen schaffen, die in dem guten Deutschland nicht schwer zu finden waren. Hamburg war solche reiche Stadt – es galt Geld aus ihr ziehen!

So redete sie, brach dann auf und versprach, bald wiederzukommen. Sie hatte schon gehört, daß Mademoiselle eine Emigrantin wäre. Von damals, als es vielen zu heiß in dem guten Frankreich wurde. Ihr Mann hatte eigentlich auch auswandern wollen, nachher war er aber doch lieber geblieben. Wenn man sich nach der Decke streckte, dann kam man auch mit einer Regierung aus, die reichlich scharf war. Vielleicht käme Mademoiselle einmal zu ihr und unterhielte sich mit Herrn von Renneton: man hätte doch vielleicht gegenseitige Bekannte.

Als die redselige Dame gegangen war, saß Marguerite ernsthaft in ihrem Stuhl und sah auf die Alster, auf der einige Schwäne ihre Kreise zogen. Aber sie weinte nicht mehr, und ihr Gesicht war still geworden. – In diesen Tagen wurde Madame Timmermann krank, und Marguerite hatte sie zu pflegen, dabei den Hausstand zu führen und mit dem General zu verhandeln, der wieder eine Gesellschaft geben wollte.

›Den Renneton lade ich nicht wieder ein!‹ sagte er. ›Das ist ein Lump, der nicht in anständige Gesellschaft gehört. Ich weiß noch mehr von ihm, als diese Spielgeschichte. Wenn ich ihn anzeige, kommt er ins Gefängnis!‹

›Was hat er denn getan? fragte Marguerite, aber der General schüttelte den Kopf. Liebenswürdige Damen brauchten nicht alles zu wissen! Dabei küßte er Marguerite die Hand und sah sie mit feurigen Augen an. Sie aber schlug die ihren nieder und erwiderte nichts.

Am anderen Tage besuchte Herr von Renneton sie. Et war noch verbunden und trug eine Binde über dem einen Auge, aber er ging sehr aufrecht und tat sehr liebenswürdig. Erst jetzt habe er erfahren, daß es Mademoiselle de Gerard wäre, die hier in Hamburg bei der alten Kaufmannsfrau wohne. Und er und sie wären doch Jugendgespielen, und hätten gemeinsame Erinnerungen. Wie liebenswürdig und brav waren die Eltern von Fräulein Marguerite gewesen: zu schade, daß sie hingerichtet wurden. Aber das geschah ja damals den Besten, und eigentlich galt es für eine Auszeichnung, auf diese Weise zu sterben. Nun war dies alles schon lange her: Seine Majestät der Kaiser ließ keine Aristokraten mehr hinrichten; sondern stellte sie an, damit sie ihrem Vaterlande dienten. Aber er ließ auch andere Leute in hohe Stellungen kommen, die es nicht verdienten. Da war zum Beispiel dieser General, der hier im Hause in Quartier lag: er war von gemeiner Herkunft und von ebensolcher Gesinnung. Niemals mehr würde er, René Renneton, eine Einladung von ihm annehmen, und auch über ihn nach Paris berichten!


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