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Während Napoleons Versuch, das Festland von den Engländern abzusperren, hatte die Kohlenbrennerei einen mächtigen Aufschwung genommen. Überall rauchten und knisterten die Kohlenmeiler, und die englischen Schiffe führten große Ladungen aus Kernholz gebrannter Holzkohlen fort, wahrscheinlich weil sie nicht die nötige Zufuhr aus Deutschland erlangen konnten. Überall in den Wäldern herrschte ein geschäftiges Treiben. Das Holz kostete die Bauern nicht viel, denn wenn sie auch einmal einen einzelnen Haufen kauften, so stahlen sie noch zehnmal mehr dazu.
Aber diese Zeiten waren nun schon lange vorbei. Um das Jahr 1820 gab es unter den Bauern nur noch eine kleine Zahl, die den Kohlenhandel in größerm Umfange betrieben.
Die sittlichen Zustände hoben sich nach und nach. Es muß dahingestellt bleiben, ob man diese Besserung dem Umstande zuzuschreiben hat, daß damals der Pfarrer einmal im Jahre in seiner Gemeinde von Haus zu Haus ging, den Alten für ihr unmäßiges Trinken gehörig den Marsch machte und den Jungen für ihre nächtlichen Sünden ein paar Ohrfeigen austeilte; so viel ist sicher, die Jungen, besonders die Mädchen fürchteten sich vor ihm und ließen den Kopf hängen, wenn sie als Übertreterinnen des sechsten Gebotes vor ihm standen, und er anfing, die Hände nach ihnen auszustrecken.
Auch mit dem Ackerbau ging es langsam vorwärts.
Svend Börgesen, der seines Großvaters Fleiß und Ausdauer geerbt hatte und außerdem seine Ehre darein setzte, der Bahnbrecher für neue Ackerbaueinrichtungen zu sein, war in jener Zeit einer der am weitesten fortgeschrittnen Hofbauern. Er führte neue Ackergeräte ein, wie z. B. einen neuen Pflug, der sich vortrefflich für den schweren Waldboden eignete. Ein besserer Samenertrag, ein weniger kostspieliger Wirtschaftsbetrieb und ein vermehrter Viehstand waren dann auch die Früchte seines Unternehmungssinns.
Aber für Else und ihren Sohn, ebenso wie für Niels Bendtsen und verschiedne andre ihnen Gleichgestellte, war das Kohlenbrennen eine ebenso lieb gewordne, wie wegen der Einnahme unentbehrliche Beschäftigung. Svend, dessen Geschlecht seit vielen Menschenaltern mit echter Kohlenbrennermuttermilch genährt worden, und der selbst von Kindesbeinen an gewöhnt war, in Haufen von Kohlenstaub herumzuwaten und die Teerluft einzuatmen, war mit Leib und Seele Kohlenbrenner und von den Fahrten auf der Landstraße mit den turmhohen Lasten auf dem Wagen im Hinweg und von dem raschen Nachhauserasseln, das klingende Geld in der Tasche, begeistert. Dieses Wandern an der Seite der Lastwagen im klaren Mondenschein, wo man in der Stille der Nacht neben den Pferden herging, sein Brot aß und einen Schluck aus der Flasche that, wo man die dummen Kopenhagner tüchtig über das Ohr hieb und mit einigen guten Bekannten in irgend einem Wirtshaus ein paar Glas Punsch trank und dann seine ganze Kraft einsetzte, um auf dem Heimweg allen andern Wagen vorauszukommen, wobei man die Fuhrleute damit ärgerte, daß man ihnen quer über den Weg fuhr, um sie entweder in ihrem Lauf aufzuhalten oder sie in den Graben zu drängen – alles das übte eine so starke Anziehungskraft auf den jungen Kohlenbrenner aus, daß er um nichts in der Welt das Leben der reichen Kronbauern dafür hätte eintauschen mögen. –
Es war am Sylvesterabend.
Ein leichter Reifnebel lag über Stadt und Land und dämpfte jedes Geräusch. Niels Bendtsen und sein Weib Marianne hatten in treuem Freundschaftsbunde mit den guten himmlischen Geistern Kirchhofserde unter das Vieh gestreut und vor alle Thüren irgend einen Gegenstand aus Stahl gelegt, um das Haus vor Zauberei zu beschützen; das Abendbrot war verspeist, und Niels war mit seiner Flinte schon auf und davon.
Anine hatte einen Spiegelscherben an einen Bierkrug angelehnt und steckte sich bei dem matten Schimmer einer Talgkerze eine blaue Schleife an die Brust. Ihre Mutter stand mit dem Rücken an den Ofen gelehnt und aß einen Apfel; wie immer trug ihr nichtssagendes Gesicht den Ausdruck der leidenden Unschuld, und wie immer liefen ihr die großen, vorstehenden Augen über.
Jetzt ertönte ein donnernder Schlag am äußern Gartenthor, und beide Frauen stießen einen lauten Schrei aus.
Sie sind wohl toll! rief Marianne.
Das ist natürlich Svend; er ist immer so ein Polterer.
Nein, es könnte eher Troels sein, meinte Anine. Svend und ihr Vater waren ja vor einer Viertelstunde erst hinauf zum Schmied gegangen, um bei ihm das Neujahr anzuschießen.
Nun, meinethalb mag draußen sein, wer will ... Hör aber doch! Die sind heute abend wirklich toll mit ihrer Schießerei!
Sie sprachen eine Weile von den ausgelassenen Späßen, die hier in der Gegend in der Neujahrsnacht üblich waren. Man ließ es sich ja wohl noch gefallen, wenn die unverschämten Buben im Dorf herumliefen, den Leuten die Thüren aushängten und in die tiefen Brunnen warfen, oder daß ganze Scharen von Hof zu Hof eilten, die Fintenläufe unter den Thüren durchsteckten und losknallten: piff, paff! piff, paff! oft zehn, zwölf Schüsse auf einmal; oder daß sie die Stallthüren aufbrachen und den Bauern das Vieh auswechselten, sodaß an jedem Neujahrsmorgen ein großer Auflauf in den Straßen war, und man vor lauter brüllenden Ochsen und Kühen und schimpfenden, zeternden Bauern sein eignes Wort nicht mehr verstehen konnte. Aber zu toll war es doch, wenn die Spitzbuben die Schweine in die Wälder hinaustrieben, die Widder auf die Dächer schleppten und sie dort an die Schornsteine festbanden. Und wie fürchterlich ging es überhaupt zu mit Saufen und Raufen, mit Brüllen und Johlen, die ganze geschlagne Nacht hindurch, kein Mensch konnte ein Auge zumachen!
Mit den Jahren hatte sich Aninens kurzangebundnes Wesen etwas gemildert; überhaupt zeigte sich in ihrem ganzen Benehmen eine Jungfräulichkeit, die an die gebildeten Stände erinnerte. Schon als ganz kleines Mädchen war sie sehr viel in einer »vornehmen« Familie in Frederiksborg aus- und eingegangen, bei Adjunkt Bredals, denen ihr Vater die Erzeugnisse des Hofes lieferte. Oftmals hatte sie selbst Butter und Eier hingebracht, und sie war dadurch mit den einfachen, liebenswürdigen Leuten so genau bekannt geworden, daß sie beinahe mit zur Familie gerechnet wurde. In einem Winter, als die Tochter Emilie am Typhus krank lag, war sie mehrere Monate zur Aushilfe bei ihnen gewesen und ganz als Freundin der Kranken anstatt als Dienerin betrachtet und behandelt worden. Es war auch immer ein wahres Fest für sie, wenn sie am Markttag mit ihrem Vater nach Frederiksborg fahren durfte und dann mit ihrem Korb am Arm in die Mörkegade zu Bredals eilte, wo sie immer freundlich willkommen geheißen wurde. Ach! wie gut waren sie doch alle! Und so gebildet! Sie kleideten sich so hübsch, die Speisen kamen so zierlich auf den Tisch, und sie redeten so nett miteinander, niemals hörte man ein Schimpfwort!
Das Haus Bredal war eine Art Erziehungsanstalt für Anine gewesen, aber gewiß nicht in der Art, daß ihr große Mucken in den Kopf gesetzt wurden und ihre ursprüngliche Bauernnatur dadurch verdorben worden wäre, nein, eine Art Heimat, in der sie die Lebensweise ihrer Standesgenossen, sowie ihre eigne in hundert kleinen Spiegeln erblickte, die ihr die Untugenden, die bei ihnen im Schwange gingen, deutlich zeigten, sodaß sich der heiße Wunsch in ihr regte, zu verbessern, wo es nur immer möglich war. Ihr selbst unbewußt wurde ihr sittliches Gefühl mehr und mehr gehoben, und der Familie Bredal, ganz besonders Frau Bredal verdankte sie es, daß sie sich trotz ihrer achtzehn Jahre und ihrer Schönheit rein und unverdorben erhalten hatte, mit wie viel glühenden Blicken und zärtlichen Worten sie auch zu verlocken versucht worden war.
Ebenso hatte sich im Hause Bredal der Sinn für häusliches Wohlbehagen bei ihr ausgebildet. Nach Vermögen hatte sie auch manches in der Reinlichkeit und Ordnung zu Hause geändert, so wie sie es bei Frau Bredal gesehen hatte; von dieser hatte sie auch gelernt, sich mit geringen Mitteln immer sauber und ordentlich und sogar mit einer gewissen Anmut zu kleiden. So verhielt es sich z. B. jetzt mit dieser blauen Schleife. Frau Bredal hatte ihr gesagt, sie stehe ihr gut zu ihrem schwarzen Haar, und das war auch wirklich so; sie sah es selbst recht gut.
Lange blieb sie vor ihrem Spiegel stehen, strich ihr schwarzes Haar glatt, zupfte an der Schleife, drehte den Kopf auf die Seite und hinten über, um zu sehen, in welcher Stellung sie sich am besten ausnehme.
Während Anine sich wohlgefällig im Spiegel betrachtete, stieg Marianne die Treppe hinauf in die Speisekammer und wickelte um einen Brotlaib vorsichtig ein reines Tuch und streute Roggen-, Gersten- und Haferkörner darüber zur Sicherung des Ackersegens im kommenden Jahr. Als sie wieder herunterkam, drückte sich gerade ein breites Gesicht von außen gegen die Fensterscheibe.
Herr Gott im Himmel! schrie sie und lief eilends nach der Hinterthür.
Ach, wir wissen wohl, wer du bist, komm nur herein! rief Anine.
Der Schütze stampfte mit schweren Tritten herein; er war ganz rot im Gesicht vor lauter Schüchternheit und Verliebtheit.
Troels Troelsen war es, der Sohn eines Hofbauern von Höberg. Sein Vater war tot, und nachdem sich seine Mutter wieder verheiratet hatte, hatte er seine Heimat verlassen und sich in Alsingröd als Knecht verdingt. In der letzten Zeit war er öfters mit Niels Bendtsen auf die Jagd gegangen und kam oft auf den Hof, wohin ihn zwei schwarze Augen unwiderstehlich zogen.
Guten Abend und Prosit Neujahr! sagte er und streckte Anine die Hand hin; sie war pechschwarz und ganz feucht von Pulverschleim.
Danke, desgleichen ... puh! Sie brach in ein lautes Gelächter aus, als sie ihren Blick auf den kurzhalsigen Burschen mit seinem verlegnen Leichenbittergesicht heftete.
Marianne wischte sich die Augen und stellte eine Platte mit vier riesigen Apfelkrapfen, die schon auf dem Ofen bereit gestanden hatten, auf den Tisch. Anine, schenk Troels einen Schnaps ein! sagte sie und ging hinaus.
Nein, ich danke; mach dir keine Mühe, Anine, denn ich trinke nichts mehr von dem Gebräu, seit du an jenem Abend zu mir gesagt hast: Pfui!
Ha ha! sagte ich wirklich: Pfui?
Ja, an jenem Abend, du weißt es doch wohl noch, nicht wahr?
Freilich, aber das war auch ein abscheulicher Anblick. Du hocktest da und verdrehtest die Augen wie ein Kalb, das sich an seinem eignen Strick erdrosselt. Ach, pfui!
Ganz dasselbe hast du damals zu mir gesagt, Anine. Ach, pfui! – ganz dieselben Worte. Aber nun sollst du diese Worte nie, nie wieder auf mich anwenden können, ganz gewiß, nie wieder in meinem ganzen Leben!
Nun, im andern Leben werde ich wohl kaum Gelegenheit haben, Pfui! zu sagen.
Nein, im andern auch nicht, ich versichere es dir.
Ha ha ...! Aber höre, Troels, kannst du das abscheuliche Trinken wirklich lassen, dann bekomme ich Respekt vor dir.
Wirklich?
Ja gewiß!
Das freut mich, das freut mich von Herzen! Seine Augen wurden feucht. Denn ebenso gut ... wenn es so ist, wie ich dir jetzt sage ... so wie es ist ... so ... mit dir und mir ...
Ha ha ha! ebenso gut ... was das anbelangt ... wenn das ist ... auf diese Weise ...
Ach was! Das ist einerlei, du verstehst mich doch ganz gut, Anine. Er nickte und wurde feuerrot.
Anine wußte, daß Troels vor einigen Jahren einen Liebeskummer wegen eines Mädchens in Räderup gehabt hatte, und es kitzelte ihr junges Blut, ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
Troels, begann sie, man sagt, du hättest ein Gedicht auf ein Mädchen in Räderup gemacht. Ist das wahr?
Jawohl, und ich will es dir auch vorsingen. Aber nur, weil du es bist.
Nun, so fang an!
Er streckte den Kopf vor und schluckte ein paarmal heftig, wie um das letzte Stückchen Teig hinabzudrücken. – Es ist aber eine Stelle darin, wo ich ganz schnell singen muß, denn da sind ziemlich viel Silben auf einer Note.
Das thut nichts, mach nur, vorwärts.
Ja ja, hm!
Ich habe einmal ein Liebchen gehabt,
Wir waren verlobt zwei ganze Jahr.
Und sicher kann ich mit Wahrheit bekennen ...
Jetzt kam Marianne wieder herein und machte große Augen. Mach nur weiter, nur weiter! rief sie.
Dann will ich lieber noch einmal von vorn anfangen. Also:
Ich habe einmal ein Liebchen gehabt,
Wir waren verlobt drei ganze Jahr ...
Halt, halt! unterbrach ihn Anine, vorhin sagtest du: zwei Jahr!
Das ist einerlei, es kann ebenso gut drei heißen.
Nun, weiter.
Zum dritten mal erhob er die Stimme:
Ich habe einmal ein Liebchen gehabt,
Wir waren verlobt zwei ganze Jahr.
Und sicher kann ich mit Wahrheit bekennen,
Es hatte sonst keine so goldenes, schönes Haar!
Hier hinten mußt du wohl schnell singen? unterbrach ihn Anine wieder.
Ja, hm ...
Nun folgten vier weitere Verse, die berichteten, wie gut das Mädchen gewesen, aber wie sie ihm untreu geworden sei und ihm dadurch den größten Schmerz seines Lebens bereitet habe, den er nimmer verwinden könne. Dabei liefen ihm die Thränen über die Wangen hinunter.
Marianne schauderte. Es wird doch recht viel gesündigt in diesem Leben, seufzte sie.
Das ist wahr, antwortete Troels und wischte sich die Augen mit seinen schwarzen Fingern.
Was ist denn aus ihr geworden?
Sie heiratete einen Witwer in Nelleröd.
War er der Verführer?
Nein, das war ein andrer!
Anine drehte sich um, sie erstickte beinahe vor Lachen.
Dann wolltest du sie also nicht mehr?
Doch, ich wollte sie.
Ja, warum bekamst du sie denn nicht?
Sie sagte, ich sei zu gut für sie, und das war vielleicht ganz richtig, denn ich bin so ... gut von Natur.
Hihi! lachte ihn das Mädchen aus und schnalzte mit den Fingern.
In diesem Augenblick schlug der Hofhund an, schwere Fußtritte ertönten auf dem Pflaster, und ein Ruf erklang: Soldan! Willst du dein Maul halten!
Piff, paff! Piff, paff! knallten zwei Schüsse im Garten.
Die Thür ging auf, und herein traten Svend, Schmied Christen und der Hofbauer, jeder mit einer Büchse in der Hand.
Anine wurde es sonderbar zu Mut.
Was? rief Niels Bendtsen. Hier haben wir ja den Burschen, von dem wir eben sprachen. Jetzt sind wir gerade vier Männer, um ein richtiges Kartenspiel zu machen ... Guten Abend, Troels Troelsen, und Prosit Neujahr!
Die Gäste begrüßten die Frauen und Troels.
Setzt euch, Leute, und feuchtet euch zuerst einmal die Kehle an, sagte der Herr des Hauses einladend.
Troels saß auf seinem Stuhl und schielte nach Svend hinüber, der zu Anine getreten war und ihr ein bischen schön that.
Höre, Anine, das ist gefährlich, wie fein du aussiehst mit der blauen Schleife da. Ist das um meinetwillen geschehen, hast du mich erwartet?
O nein! Wir machen nicht so viel Umstände, wenn so ein hoher Herr erwartet wird!
Nicht? Aber eine gewisse Jungfrau hat doch zu ihrem Vater gesagt, wir sollten uns beeilen.
So, hat sie das? Da bist du aber falsch berichtet!
Darüber brauchst du doch keinen roten Kopf zu bekommen!
Ach! Willst du nicht am Ende vor Freude darüber tanzen?
Sie ging an den Tisch und stellte die Tabaksdose vor Troels hin, der mit aufgeblasenen Wangen in seinen Pfeifenkopf pustete. Bitte, Troels, versieh dich! sagte sie.
Troels dankte ihr mit einem glänzenden Blick, warf den Kopf zurück und sah sich nach Svend um.
Hierher mit euch beiden, Troels und Svend! rief in diesem Augenblick Niels Bendtsen. Das Geld auf den Tisch, Leute!
Stundenlang saßen nun die vier Männer bei einander und warfen die schmierigen Karten, die man vor lauter Schmutz kaum mehr auseinander brachte, auf den Tisch. Marianne hatte heftiges Gliederreißen in den Armen; sie kleidete sich in der Ofenecke aus und kroch ins Bett hinter dem roten Kattunvorhang.
Ein lebhaftes Feuer spielte in Svends Augen, unruhig fuhren sie über den Tisch hin und her, die Karten zitterten in seiner Hand. Der Becher ging zwischen ihm und den zwei ältern Männern fleißig in der Runde, nur Troels trank nichts, so sehr ihn auch die andern dazu aufforderten.
Endlich fragte Anine, ob sie nicht auch etwas essen wollten?
Ei freilich, antwortete Svend und sang:
Jungfer Lisken, hör einmal,
Ich möcht jetzt ein Mittagsmahl,
Wird was Gutes vor mir stehn,
Dann kann Jungfer Lisken gehn.
Ach du! Sie ging in die Speisekammer, kam aber gleich wieder zurück und brachte eine Schüssel gesulzter Schweinsohren und Schweinsknochen, sowie einen Topf Senf und zwei große Brotmesser; sie stellte die Schüssel und den Senf auf den Tisch und legte die Messer daneben.
Du hast nicht Farbe bekannt! schrie Svend und warf Troels einen wütenden Blick zu.
Doch, doch! denn von Herz hatte ich nur den Siebener, das heißt, ich meine, ich hatte nichts andres als Karrosieben und Karrosechs.
Der Schmied, dem eine Karte hinuntergefallen war, rief: Ich passe! unter dem Tisch hervor; er blieb lange unten und krümmte sich vor Lachen: Ha ha! In Herz hatte ich ... ha ha!
Anine ging noch einmal hinaus und blieb einige Minuten draußen; als sie wieder hereinkam, hatten ihr Vater und der Schmied Streit bekommen und schimpften auf einander los.
Willst du Freßsack mich Karten spielen lehren? schrie Niels Bendtsen und fuhr auf.
Ich will dich lehren, ehrlich zu spielen, ja, das will ich, hier wird nicht gemogelt!
Die zwei zornigen Männer schlugen fluchend und schimpfend mit den Fäusten auf den Tisch, daß es dröhnte.
Genug jetzt! rief Svend. Das ist ja gar nicht der Mühe wert! Schweig jetzt, Schmied! ... Onkel, so hör doch ...
Aber Niels Bendtsen war ganz wütend; er riß einen Säbel hervor, der unter dem Betthimmel lag, und schwang ihn so wild in der Luft, daß das Licht umfiel und erlosch.
Anine mußte nun zuerst hinaus in die Küche und an dem in einem Topf verwahrten Feuer – Zündhölzer gab es noch nicht – eine Kohle in Brand setzen, um das Licht wieder anzünden zu können; sie hörte, wie die Männer im Dunkeln schimpften und lärmten.
Da kam Svend zu ihr heraus und sagte, sie solle mit dem Licht noch ein wenig draußen bleiben, bis sich die Aufregung etwas gelegt habe.
Du bist doch eine schöne Dirn, so wie du jetzt dastehst mit der blauen ... Potz Blitz noch einmal!
Kommst du endlich? brüllte Niels Bendtsen von drinnen heraus.
Das Licht wurde wieder auf den Tisch gestellt, der Schmied nahm seinen alten Platz ein und warf einen Trumpf auf den Tisch. Die Partie muß fertig gespielt werden ... ehrlich und redlich!
Nein, jetzt laßt uns lieber zuerst ein wenig essen! schlug Svend vor.
Ja ja! Wir wollen uns wieder vertragen, Schmied! sagte Niels Bendtsen und zog den Schmied herbei. Komm, laß erst einen die Gurgel hinunterlaufen, und dann nimm auch etwas Herzhaftes!
Nach der Mahlzeit kamen wieder die Karten an die Reihe. Noch immer fiel ein Schuß nach dem andern in der Umgegend, aber das Krachen klang sehr gedämpft durch den Nebel. Drüben auf dem Weg ertönte Schreien und Rufen wie von einem Haufen Indianer; es gab jedoch niemand von den Anwesenden besonders acht darauf.
Troels verlor all sein Geld und war dem Weinen nahe. Einmal hatte er vier große Trümpfe in die Hand bekommen und machte sich mit glänzenden Augen ans Ausspielen, aber da hatte Niels Bendtsen unglücklicherweise die Karten nicht richtig gezählt gehabt, und es mußte noch einmal ausgeteilt werden.
Schließlich gab Troels das Spielen auf, bald folgten auch die andern nach, und nun ging es los mit Trinken und Schwatzen.
Svend ergriff die Kreide und sang:
Willst du, willst du, willst du, willst du
Mit mir in die Wälder gehn?
Ja wohl, ja wohl, ja wohl, ja wohl,
Hier müssen drei grade Striche stehn!
Eins zwei drei vier fünf sechs ... nein, das ist falsch ...
Willst du, willst du, willst du, willst du ...
Anine saß indessen in der Ofenecke und sah ununterbrochen auf das braune lockige Haar und das aufgeweckte Gesicht, die beide von einer unbezwinglichen Naturkraft zeugten. Ob er wohl wußte, wie hübsch er war? Ob er ahnte, wie hinreißend dieser Übermut in seinen Augen und seinem ganzen Gesicht wirkte?
Sie dachte daran, wie er vor ein paar Jahren an einem Abend einmal sehr zudringlich gegen sie gewesen war und sie dann wie in einem Schraubstock festgehalten und wild geküßt hatte, bis sie beinahe nicht mehr hatte atmen können. Ha, wie hatte sie ihn damals von sich gestoßen und ihn heruntergemacht! Und seither war er immer ordentlich und anständig gegen sie gewesen.
Wie hübsch war er doch! Was würde sie wohl fühlen, wenn sie ihn jetzt küßte? So recht von Herzen – seinen Kopf in beide Hände nehmen, ihm in die Augen sehen und dann ... Ach, was war sie doch für ein einfältiges Ding – da saß sie wirklich und hielt den Atem an!
Anine schloß die Augen und versank in tiefe Gedanken. Bild auf Bild zog an ihrer Seele vorüber, zart und fein wie ein warmer Hauch aus dem duftenden Frühlingswald. – Sie begegneten sich drüben am Fußweg – ein warmer Frühlingsabend war es, und dann eine jener hellen Nächte, wo die gelben Dotterblumen leuchteten und die Kiebitze lustig ihren Ruf ertönen ließen. – Er stellte sich gerade vor sie hin, legte seine Hand auf ihre Schulter und sagte: Anine – wir zwei! Da wurde ihr so wunderlich zu Mute, sie konnte kein Wort hervorbringen, denn jetzt merkte sie, daß es ihm Ernst war. Und wie er sie dann küßte ...! Und sie gab es so gern zu – – – Dann saß sie neben ihm auf dem Wagen, buntglitzernde Perlenschnüre in ihre Haare geflochten; der Wagen fuhr fort über Stock und Stein, während die Kirchenglocken läuteten und die Ehrenschüsse im Garten und Feld erklangen. – Im nächsten Augenblick fuhr sie dann mit ihm durch die Hauptstraße von Frederiksborg, wo es von Marktgästen wimmelte; einer stieß den andern an und sagte: Das ist Svend Börgesen von Alsingröd!
Es war jetzt halb zwei Uhr nachts. Bei dem einförmigen Ton der Stimmen schliefen ihre Gedanken nach und nach ein, und sie versank in einen Zustand zwischen Wachen und Träumen, in dem ihre Gedanken und ihr Körper leise hin und her schaukelten. Wieder und wieder neigte sie sich zur Seite, aber bei jedem Laut, der sich über das gewöhnliche Stimmengeschwirr erhob, öffnete sie die Augen weit, wie um sich zu vergewissern, daß er noch da war.
Plötzlich wurde sie ganz wach und fuhr auf.
Ihr Vater war aufgestanden und sah nach der Wanduhr. Sapperlot! Jetzt könnte es losgehen!
Die andern erhoben sich auch und knöpften die Röcke zu; über alle war eine Art wilder Spannung gekommen.
Anine erblaßte; sie ging zu Svend hin und faßte ihn heftig am Arm: Es ist Neujahrsmorgen, Svend!
Dummheit! Kennst du nicht den alten Spruch: Was man dem Wald und den Frauen stiehlt, dafür wird man weder gehängt noch verbrannt?
Das ist einerlei, es ist nicht recht.
Ist es vielleicht recht, daß der König und die Großen alles in ihren eignen Beutel stecken? Ist es recht, daß wir Bauern immer unterdrückt und nun seit Jahrhunderten mißhandelt und geplagt worden sind, während die Großen sich an unsern Schätzen gemästet und uns mit Hetzjagden und Frondienst und Königsreisen geschunden haben?
Das kann wohl sein ...
Können wir also auf andre Weise nicht zu unserm Rechte gelangen, dann nehmen wir es uns selbst. Pah! die Polizei kann mir den Buckel hinaufsteigen!
Die andern waren indessen schon hinausgegangen. Anine traf Troels noch unter der Thür und sprach heftig auf ihn ein.
Das ist wahr, sagte Troels, dann gehe ich nicht mit.
Niels Bendtsen und der Schmied standen an dem Hofthor, nahmen die Leitern vom Wagen und warfen ein paar Bund Stroh darauf. Troels ging zögernd zu ihnen hin und stand verlegen da.
Mach nur, daß du heim kommst! sagte Svend, der des Onkels Pferde herbeiführte, Memmen können wir nicht brauchen!
Troels rührte sich nicht; er starrte in den Nebel hinein und wußte nicht ein noch aus. Svend rannte zurück in die Scheuer, um ein Strohseil zu holen; Anine ihm nach.
Svend, du kannst sie jetzt noch davon abbringen, wenn du willst ...
Ja, mein Schatz, ich werde sie noch davon abbringen, haha! Und er schwang das Strohseil sausend durch die Luft. Prosit Neujahr! Anine! Und einen Schatz, ehe das Jahr herum ist!
Fort rasselte der Wagen mit den drei Männern dem Walde zu. Svend saß vorn und lenkte die Pferde, der Schmied hinten mit ein paar Äxten und einer Säge, Niels Bendtsen in der Mitte; er ließ die Beine zwischen den Wagenrädern herunterbaumeln und hielt einen Kletterbaum auf dem Schoße.
Diesmal wird es ihnen schlecht gehen, sagte Troels.
Anine warf ihm einen höhnischen Blick zu und ging hinein.
Mutter, hast du es gehört?
Ja, was ist denn dabei? Geh du nur in dein Bett.
Aber Anine konnte nicht schlafen; das Wagengerassel tönte noch in ihren Ohren, zwischen den Bäumen herumschleichende Gestalten, mit Flinten und Äxten bewaffnet, erschienen vor ihren Augen – große, wütende Hunde – – –
So geräuschlos als möglich lenkte Svend den Wagen auf einen Platz, wo er zur Not herumgedreht werden konnte, hängte die Kletterstange an eine Eiche, kletterte mit Säge und Axt hinauf und fing an, etwa in Mannshöhe über dem Boden, drauf los zu hauen. Bei solch einem Holzfrevel fällte man den Baum so hoch oben, damit der Waldhüter den Diebstahl nicht gleich entdecken sollte, wenn er am Morgen die Runde im Walde machte.
Niels Bendtsen und der Schmied standen unten und hielten die hohle Hand lauschend an die Ohren; auch Svend hielt, hie und da aufhorchend, einen Augenblick inne; er hatte Augen und Ohren wie die Tiere des Waldes selbst.
Jetzt stürzte der gefällte Baum auf einen Haufen getrockneter Himbeerbüsche und verdorrten Laubes; Svend eilte hinunter und nahm die Kletterstange vom Ast; alle standen eine Weile angestrengt lauschend still.
Da überfiel den Schmied ein gewaltsames Niesen und zwang ihn, ein paar schallende Töne auszustoßen, die ein Echo im Walde weckten.
Svend stampfte auf den Boden: Daß du das Maul nicht halten kannst!
Ja, was ist da zu machen, wenn es einen zwingt?
Nun wurde mit Säge und Axt gearbeitet; bald lag das Brennholz auf dem Wagen aufgeschichtet. Das lange Seil wurde um die Ladung geschlungen, und die Kletterstange und das Handwerkszeug darauf geworfen. Dann setzten sich der Hofbauer und der Schmied hinauf und fuhren nach Hause, während Svend zu Fuß heimwanderte und mit einem leichten Gewissen den schwachen Lichtstreifen des anbrechenden Tages im Osten betrachtete.
Als die Neujahrssonne hervorbrach und mit ihrem roten Schein die reifbestreuten Wälder von Nordseeland bestrahlte, stand Svend auf dem Hofe seiner Mutter und knallte einen Neujahrsgruß aus seiner Büchse in die Luft, während Niels Bendtsen zu Hause in seinem Kuhstall stand und sein Vieh mit Ruß und Salz einrieb, damit es im neuen Jahre die Zähne nicht verlieren sollte.
Gott segne mein Rind
In Wetter und Wind!
betete er dabei und schlug ein Kreuz über den magern Rücken der Tiere: Freilich, freilich; an Gottes Segen ist alles gelegen, seufzte er.
Er dachte daran, wie weise und gerecht es die Vorsehung dieser Welt eingerichtet hatte, als sie dunkle Nächte mit Reif und Frost schuf. Als er nämlich am frühen Morgen die Koppel und den Hof mit einer dünnen Lage Erbsenstroh überstreut hatte, um die kleinen Zweige und Blätter von der Nacht her zu verdecken, hatte sich gleich ein ganz feiner Überzug von Reif darüber gelegt. Auch über den Wagen, der draußen auf der Wiese mit ein paar Bund Haferstroh gerade so dastand, als ob er seit Wochen nicht von der Stelle gerückt worden wäre, hatte die Vorsehung die niedlichste weiße Unschuldsdecke gebreitet.
Marianne kam heraus und schüttelte den Kopf.
Was giebts, Mutter?
Ich sehe wohl, wie groß die Strohhaufen drinnen in der Scheuer geworden sind, sagte sie.
Das kommt vom Wetter, Mutter, das Stroh quillt auf.
Aber am Vormittag fuhr der Waldhüter Holzer mit einem Polizeibeamten auf den Hof und ließ seine Augen überall herumschweifen. Niels Bendtsen, der gerade in der Wohnstube war, schickte zuerst Marianne hinaus, kam aber bald selbst nach; er sah krank und leidend aus und hatte den einen Arm in einem großen wollnen Shawl, der als Schlinge diente, hängen.
Guten Tag! grüßte er ehrerbietig und schien sich über den Besuch zu freuen. Das ist ja unsre liebe hohe Obrigkeit, wie ich sehe – gehorsamer Diener, meine Herren, womit kann ich dienen?
Du hast wohl heute nacht nichts von einem kleinen Waldausflug gehört? fragte der Polizeikommissar.
Waldausflug? Er sperrte vor Verwunderung den Mund auf.
Ja, es sind heute nacht Gäste im Walde gewesen.
Der Hofbauer hob abwehrend die Hand in die Höhe und schüttelte betrübt den Kopf.
Wir möchten uns ein wenig bei dir umsehen ... nur der Form wegen, verstehst du?
Ja wohl, ja wohl, Herr Kommissar! Das ist nur gerecht; ohne Ansehen der Person gegen alle bösen Anschläge und Thaten.
Er verzog plötzlich das Gesicht vor Schmerz und faßte an seinen Arm: Ich bitte sehr um Entschuldigung! Ich habe gegenwärtig so schrecklich Gicht in meinem Arm, ich könnte vor lauter Schmerz laut aufschreien ... Geh hinein und wärme den Kräutersack, brummte er seine Frau an, die voll Angst und Verwunderung, die großen Augen weit aufgerissen, dastand. Bitte, Herr Kommissar, bitte, Holzer, hier ist meine Scheuer, und hier ist der Heuboden ... wir können das Stroh gleich wegrücken.
Er fing an, die ersten Bündel wegzuschaffen, aber der Kommissar sagte zu ihm: Danke, danke, hier brauchst du dich nicht zu bemühen; ich werde mich auf eigne Hand ein wenig umsehen.
Totenblaß, die Hände auf die Brust gedrückt, stand Anine in der Hinterstube und sah hinaus. Eine Reihe verwirrter Gedanken von Verhör und dunkeln Kellern mit vergitterten Fenstern fuhr ihr durch den Kopf und machte sie beinahe schwindlig. Sie lief hinauf an die Dachluke und sah zu Svends Heimat hinüber; plötzlich erhob sie die Hände und betete: Lieber Gott, ich will jeden Sonntag ohne Ausnahme in die Kirche gehen, wenn nur ...
Ja wohl, Herr Kommissar! erklang ihres Vaters Stimme in fröhlichem Ton.
Da ergriff sie einen Eimer, erhob den Kopf und eilte singend auf den Hof hinaus:
... Ich hab einen Apfel in meiner Tasche,
Den hab ich ...
Guten Tag! grüßte sie im Vorbeigehen und schien ganz überrascht zu sein. Soldan, hier hast du etwas nun friß und hör auf zu bellen!
... Den hab ich für meinen besten Freund;
Doch will er ihn nicht ...
Ihr Gesang verstummte; aber keck ging sie den Weg wieder zurück und machte sich in der Küche mit Töpfen und Schüsseln zu schaffen.
Der Polizeikommissar war stehen geblieben und hatte ihr nachgesehen; jetzt ging er wie widerwillig in den Gemüsegarten und stocherte in einem Haufen feuchten Wickenstrohes herum.
Indessen stand Niels Bendtsen neben dem Fuhrwerk und unterhielt den wortkargen Holsteiner.
Ja ja, das Auge, das Sie im Kriege verloren haben, dient Ihnen zur Ehre für König und Vaterland!
Das will ich meinen, das kann niemand leugnen!
Gott bewahre! Wenn ich daran denke, wie oft mir mein guter Freund, der Böttcher in Helsingör erzählt hat, wie Sie den Engländern auf das Fell gebrannt haben! Er war auch an Bord des Linienschiffes Hvalfisken.
Es war ja das Blockschiff Vagrien.
Vagrien! Richtig, richtig ... Au, der verd... Ganz recht, jetzt erinnere ich mich des Namens genau. Ach! Gott soll uns in Gnaden bewahren! Ich habe von dieser Schlacht wohl hundertmal geträumt. Sie waren immer auf dem Verdeck, kommandierten und feuerten die Kanonen ab, daß es eine Art hatte. Der Böttcher sagt, Sie seien selbst ganz feuerrot im Gesicht gewesen vor lauter Tapferkeit und Vaterlandsliebe; auf dem ganzen Varulf gab es keinen Mann, der so focht und kämpfte wie Sie – in Rauch und Dampf geradezu.
Hm hm!
Nun kam der Polizeikommissar und schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er nichts Verdächtiges gefunden habe, und fünf Minuten nachher rollte der Wagen zum Hof hinaus.
Niels Bendtsen nahm die Binde vom Arm, stand eine ganze Weile in tiefe Gedanken versunken und vor sich hinstarrend da, dann spuckte er aus und sagte:
Verflucht! Wenn man bedenkt, daß so ein paar Dummköpfe in den Ämtern des Landes sitzen und von uns andern ernährt werden!