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Buchschmuck

Zweites Kapitel

Anine mußte sich mit Svends Jägereien aussöhnen oder wenigstens versuchen, sie zu vergessen, denn es nutzte gar nichts, sich dagegen aufzulehnen. Die Wilddieberei übte eine viel zu verlockende Anziehungskraft auf die Jäger aus, als daß sie sich um das gekümmert hätten, was der Pfarrer predigte. Die mit diesen nächtlichen Abenteuern verbundne Gefahr und Aufregung hielt das Blut warm, die stets wache Aufmerksamkeit schärfte die Sinne und feuerte die Lebensgeister an. Die glückliche Durchführung eines schlau ausgedachten Plans, der dem Forstaufseher eine lange Nase eintrug, erfüllte das Herz mit einer ganz eignen Wollust, und schließlich spielte die errungne Beute auch keine kleine Rolle dabei. Ein guter, fetter Rehbock, in einer Fuhre Torf oder Kohlen verborgen, machte die Fahrten nach Kopenhagen nicht weniger einträglich; ebenso wenig war eine gesalzne Rehkeule zu Hause zu verachten, besonders zu Zeiten, wo es mit dem Fleischtopf sonst schlecht bestellt war. Und was hatte denn eigentlich das Ganze viel zu sagen? Es wimmelte ja von Rehen im Walde! Wer sollte es denn anzeigen, oder was schadete es dem Lande – einem Lande, wo selbst die ärmste Witwe Steuer bezahlen mußte –, ob hier und da einmal ein paar Pfund Wildbret in die Hände des kleinen Mannes fielen? Ärgerlich war es freilich, wenn die Jagd anstatt eines leckern Bissens einen Aufenthalt bei Wasser und Brot eintrug, aber was scherte einen das groß? Selbst dieses Zeichen der Sklaverei konnte ein Mann mit erhabner Stirn hinnehmen, wenn es für kein schlimmeres Verbrechen als für einen kleinen Jagdausflug in den vom Mondschein beleuchteten Wald aufgedrückt worden war.

Auf solche und ähnliche Weise urteilte man über die Waldfrevel. Durch rücksichtsloses Fällen der Bäume waren die Wälder der Gutsbesitzer in wenig Jahren gelichtet und zerstört worden, und nun ging es an das Plündern der Wälder, die der Krone gehörten.

Nach und nach wurde die Erlaubnis des Pferdehaltens bei den Bauern aber doch stark eingeschränkt, sodaß z. B. auf Elses Hof, wo zu Jens Börgesens Zeit vierzehn Pferde gehalten worden waren, jetzt nur noch acht standen, darunter zwei kleine Füchse, Svends gewöhnliche Wagenpferde.

Früh und spät sah man den jungen Burschen aber auf dem Rücken seines Lieblingspferdes, »Stern« genannt, eines kleinen, roten Tieres mit einem weißen Stern auf der Stirn. Das kluge Tier verstand jeden seiner Winke und fand sich in alle seine ausgelassenen Launen. Auf einen Schlag an das Fesselgelenk streckte es die beiden Vorderbeine so weit von sich, daß es mit dem Bauche beinahe den Boden berührte, und wollte Svend, daß es sich auf die Hinterbeine aufrichten sollte, dann gab er ihm einfach einen Schlag auf das Maul und rief: Auf mit dem Tier! Manchmal jagte er in gestrecktem Galopp aufrecht auf seinem Pferde stehend, die Mütze hoch in die Luft schwingend, vom Felde nach Hause.

Stern wurde auch für die Jagd abgerichtet und mußte bald als Schutzmauer dienen, wenn sein Herr eine Schar wilder Gänse im Haferfeld beschlich, bald mußte er ihn in den tiefsten Wald hineintragen und dann unbeweglich bei einem Gesträuch ausharren, während er einen Bock für sich abblattete.

Der Waldhüter, ein schon älterer Holsteiner, der im Jahre 1801 auf dem Blockschiff »Vagrien« Unteroffizier gewesen war, war auf dem einen Auge blind und sah mit dem andern nicht gut, wie man von ihm sagte. Er paßte den Wilddieben so gut auf, wie er konnte, er war auch mehr als einmal hinter Svend Börgesen her gewesen, hatte aber jedesmal den verwegnen Burschen auf seinem flinken Pferd davonreiten sehen müssen, manchmal sogar mit einem erbeuteten Jagdstück, das vor ihm auf dem Tiere baumelte. Jetzt kannst du mich ja anzeigen, Holzer, rief ihm der kecke Kohlenbrenner einmal zu; aber Holzer wußte aus Erfahrung, daß er bei so einem verdammt schlauen Gaudieb, wenn er keinen Zeugen hatte, auf den er sich berufen konnte, nichts ausrichten würde.

In einer stillen Novembernacht begaben sich Svend und sein Oheim, jeder mit einer Büchse bewaffnet, der eine reitend, der andre zu Fuß, in den Wald. Stern wurde in einer Vertiefung angebunden, die zum Teil mit Unterholz bestanden war.

Lautlos schlichen die Schützen zu einem schmalen, offnen Waldstrich, wo die Rehe zu äsen pflegten. Svend stellte sich neben einer alten Eiche auf, ein paar Schritte weit von der Vertiefung, wo Stern angebunden war; Niels Bendtsen suchte sich einen Platz auf der andern Seite der Lichtung.

Das Mondlicht glitzerte bläulich auf der feinen Reifdecke, die sich über die Grasfläche gelegt hatte; das Laub unter den Bäumen strömte einen moderartigen Geruch aus und glänzte mit silberweißen Adern. Hoch über ihnen wölbte sich der Himmel – ein unendlicher Raum mit Mondschein und Sterngeflimmer und einzelnen langsam dahinsegelnden silberumsäumten Wolken.

Ein herrliches Wetter! rief Svend.

Aber in diesem Augenblick deuchte es ihn, als ob sich ganz in der Ferne Hundegebell vernehmen ließe, und gleich darauf ein unverständliches Geräusch wie von einer barschen Menschenstimme. Plötzlich fielen seine Augen auf eine bräunliche, lebendige Masse zwischen den Bäumen; das Blut stieg ihm heiß in den Kopf: ein Damhirsch. Wild klopfte das Blut in seinen Adern, die Augen traten aus ihren Höhlen, sein ganzes Vermögen war in diesem einen Sinn vereinigt; er schaute und schaute ... Jetzt hielt der Damhirsch an, wandte den Kopf zur Seite und äugte mißtrauisch rückwärts. Ach, wenn er nur ein halb Dutzend Schritte näher herankäme!

Da schlug ein Nagel dreimal auf einen Flintenlauf, ein Zeichen, das die zwei Kameraden sich zu geben pflegten, wenn Gefahr im Anzug war; aber Svend hörte die Schläge nicht, das kochende Blut stieg ihm in die Ohren. Den Finger auf dem Drücker sah er unverwandt nach dem schönen Tier: Könnte ich wohl jetzt ...?

Helle und dunkle Flecken tanzten vor seinen Augen, er mußte die Augenlider mehrere male fest zudrücken, um seine Sehkraft wieder zu erlangen. Jetzt ... jetzt ... Nein, das Tier war noch zu weit entfernt. Aber was war das? Raschelte nicht das Laub in der Vertiefung? Hatte sich Stern am Ende losgemacht? Was nun ...? Da lief drüben Niels Bendtsen in rasender Eile in den Wald hinein! Was sollte denn das bedeuten? Aber Svend hatte keine Zeit, darüber nachzudenken; der erschreckte Hirsch setzte auf die Lichtung heraus und gerade auf Svend zu ... die Büchse an die Wange, puff!

Svend sprang vorwärts und starrte durch den Pulverdampf nach dem Hirsche, dieser hinkte auf drei Beinen über den Platz. Aber: Wau, Wau! ... Da kam des Waldhüters großer Hund mit glühenden, wilden Augen angesprungen. Svend war verloren! Nein! Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Apport! Apport! rief er. Und fort eilte der dumme Hund hinter dem flüchtenden Hirsch her, während Svend selbst innerlich jubelnd auf die Vertiefung zueilte.

Aha ... mein guter Svend Börgesen! Jetzt haben wir ihn! erklang plötzlich des Waldhüters Stimme dicht an Svends Ohr.

Svend wäre beinahe rücklings hingefallen; auf Sterns Rücken saß der Waldhüter Holzer, den gespannten Karabiner in der Hand.

Nun, will er sich wohl ergeben?

Svend sah um sich, um sich zu vergewissern, nach welcher Richtung der Weg führte.

Holla, hier! rief der Waldhüter durch die hohle Hand seinem Burschen zu, der ein Stück weiter weg auf der Lauer stand.

Aber in demselben Augenblick sprang Svend vorwärts, gab Stern einen Schlag auf das Maul und rief: Auf mit dem Tier!

Das Pferd schnaubte, schüttelte die Mähne und erhob sich hoch auf die Hinterbeine.

Na na, na na! Was in drei Teufels Namen! Halt, halt, halt!

Aber bums! Da lag der dicke Herr auf seinem Rücken in einem Haufen verdorrter Brennesseln.

Im nächsten Augenblick stieß der Wilderer dem Pferd die Fersen in die Flanken, und fort flog das Tier in gestrecktem Galopp den Hohlweg entlang. Hurra! Der Holsteiner soll leben!

Eine Kugel pfiff durch die Luft und schlug krachend in einen Ast, daß die Rinde und die Splitter dem Reiter um die Ohren flogen, und von dem Abhang her sauste ein Hagel von Flüchen und Schimpfworten hinter dem jagenden Stern drein.

Damals war Svend Börgesen neunzehn Jahre alt.

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