Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

124

Dreizehnter Theil
Vierte Rede

Bakkulo

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der ehrwürdige Bakkulo bei Rājagaham, im Bambusparke, am Hügel der Eichhörnchen. Da nun begab sich der Nackte Büßer Zu den nackten Büßern cf. der 71. Rede letzte Anmerkung. Schon Augustinus hat diese Asketen – Ājīvikās, keine Digambarajainās – richtig beschrieben, Civ. XIV. 17. i. f.: »Per opacas quoque Indiae solitudines, cum quidam nudi philosophentur, unde gymnosophistae nominantur, adhibent tarnen genitalibus tegmina, quibus per cetera membrorum carent.« Kassapo, ein ehemaliger Hausgenosse des ehrwürdigen Bakkulo, dorthin wo der ehrwürdige Bakkulo weilte, wechselte höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit ihm und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend sprach nun der Nackte Büßer Kassapo zum ehrwürdigen Bakkulo also:

»Wie lang ist es her, Bruder Bakkulo, dass du Pilger bist?«

»Achtzig Jahre, Bruder, bin ich Pilger.«

»Während dieser achtzig Jahre aber, Bruder Bakkulo, hast du wie oft der Paarung gepflegt?«

»Nicht wohl darfst du mich, Bruder Kassapo, also befragen, sondern die Frage kannst du mir stellen: ›Während dieser achtzig Jahre aber, Bruder Bakkulo, ist dir wie oft eine begehrliche Wahrnehmung zuerst aufgestiegen?‹ Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keiner begehrlichen Wahrnehmung, die mir zuerst aufgestiegen wäre.«

»Dass aber der ehrwürdige Bakkulo seit achtzig Jahren von einer begehrlichen Wahrnehmung, die zuerst aufgestiegen wäre, nichts mehr weiß, eben das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken.« Ebenso vom hundertjährigen Apollonios von Tyana berichtet, bei Philostrat lib. I. cap. X. i. f., De mira eius castitate. Auch Makarios, Homil. XV §51, hat erklärt: Εισι δε τινες κρατουμενοι ὑπο θειας δυναμεως, ὁτι εαν ιδωσι τινα μετα γυναικος νεον, οὑτοι ει και διαλογιζονται τινα, ὁμως ου μιαινεται ὁ νους αυτων, ουτε επιτελει ενδον ἁμαρτιαν, während Dositheos der Kilikier, das Haupt der Enkratiten, Apotaktiten und Eremiten, in einem lapidaren Satze, von Makarios Mg. ed. Blondel p. 151 überliefert, eigentlich und ehrlich Zweck und Ziel schon angegeben hatte: Δια μεν κοινωνιας ὁ κοσμος την αρχην εσχε δια δε της εγκρατειας το τελος θελει λαβειν. – Vergl. noch Eckhart, p. 460: »Ez ist ein vrâge under den meistern, ob der mensche dâ zuo müge komen, daz er niht sünden müge in disem lîbe? Die besten meister sprechent: jâ. Daz sult ir alsô verstân. Die liute hânt sich alsô durchüebet innen und ûzen, daz sie sich zuo keime gebresten geneigen mügent.«

»Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keiner gehässigen, keiner rachgierigen Wahrnehmung, die mir zuerst aufgestiegen wäre.«

»Dass aber der ehrwürdige Bakkulo seit achtzig Jahren von einer gehässigen, einer rachgierigen Wahrnehmung, die zuerst aufgestiegen wäre, nichts mehr weiß, eben das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken.«

»Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keinem begehrlichen Gedanken, der mir zuerst aufgestiegen wäre.«

»Dass aber der ehrwürdige Bakkulo seit achtzig Jahren von einem begehrlichen Gedanken, der zuerst aufgestiegen wäre, nichts mehr weiß, eben das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken.«

»Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keinem gehässigen, keinem rachgierigen Gedanken, der mir zuerst aufgestiegen wäre.«

»Dass aber der ehrwürdige Bakkulo seit achtzig Jahren von einem gehässigen, einem rachgierigen Gedanken, der zuerst aufgestiegen wäre, nichts mehr weiß, eben das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken.«

»Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keinem bürgerlichen Kleide, das ich angenommen hätte.«

»Dass aber der ehrwürdige Bakkulo seit achtzig Jahren von keinem bürgerlichen Kleide weiß es angenommen zu haben, eben das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken.«

»Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keiner Scheere, mit der ich mir den Mantel zugeschnitten, von keiner Nadel, mit der ich mir den Mantel genäht, von keiner Farbe, mit der ich mir den Mantel gefärbt, von keinem Flecken, mit dem ich mir den Mantel geflickt hätte, weiß nicht, dass ich mit den Ordensbrüdern die Kleidung ausgebessert hätte. Nec vero sacenm Hilarion, quo semel amictus est, umquam aut lavit aut mutavit, com supervacaneum esse diceret, munditias in cilicio quaerere: Breviar. Rom. d. XXI Oct. Pariter iam eiusdem magister, Actis Sanctorum Ian. t. II, 116, 48 ac 119, 66. Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keiner Einladung, der ich zugesagt hätte, von keinerlei Gedanken, der mir etwa gekommen wäre, ›O dass mich doch jemand einlüde‹, weiß nicht, dass ich in einem Hause gesessen, in einem Hause gegessen hätte. Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich nicht, dass ich ein Weib erblickend es angesehn hätte, weiß nicht, dass ich einem Weibe die Lehre dargelegt, und wär' es auch nur ein Spruch von vier Silben gewesen. Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keiner Nonnenzelle, der ich genaht wäre, von keiner Nonne, keiner Jüngerin, keiner Schülerin, der ich die Lehre dargelegt hätte. Vergl. Nāradapariurājakopaniṣat IV, 3: Na sambhāṣet striyaṃ kāṃcit | pūrvadṛṣṭāṃ ca na smaret | kathāṃ ca varjayet tāsāṃ | na paṛyellikhitām api.Bonaventura, Vita S. Francisci cap. V.: Mulierum familiaritates, colloquia et aspectus, quae multis oocasio sunt ruinae, sollicitius evitari iubebat, asserens, per huiusmodi debilem frangi et fortem saepe spiritum infirmari. Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keiner Aufnahme, keiner Ordensweihe, die von mir ertheilt worden, weiß nicht, dass ich beigestanden wäre, dass von mir ein Schüler unterwiesen worden. Cf. Sozomeni lib. I cap. 13, De S. Antonio in AASS l. c. 119, 64 i. f.: Litteras neque novit neque magni aestimavit; sed puram mentem, utpote litteria antiquiorem et earum inventricem, laudavit plurimum. – Vergl. noch die Ablehnung und endlich nur durch das stille Beispiel gewährte Aufnahme, die Paulus Simplicissimus als beharrlicher Antonianer schweigsam nachfolgend gefunden, l. c. 147–148. Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich nicht, dass ich im Badhause gebadet, ein Seifenpulver gebraucht, von den Ordensbrüdern mich abreiben hätte lassen. Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich von keinerlei Krankheit, die mich etwa befallen, und wär' es auch nur ein Hustenreiz in der Gurgel gewesen, Zu gaddu Gurgel, Kehle cf. Anmerk. 7; von √gard = γαργαρειν . Gaddūhanamattam pi dann gelegentlich schlechthin ein Ausdruck für »auch noch so gering«. An dadrughnādi, Trenckner, Pāli Miscellany p. 59, ist nicht zu denken. weiß von keinem Heilkraute, das ich genommen, und wär' es auch nur ein Grashalm gewesen. Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich nicht auf der Seite gelegen zu sein, mich niedergelegt zu haben. Die achtzig Jahre, Bruder Kassapo, wo ich Pilger bin, weiß ich nicht, dass ich über die Regenzeit in der Nähe eines Dorfes Obdach aufgesucht hätte.«

»Dass freilich der ehrwürdige Bakkulo seit achtzig Jahren also gelebt hat, eben das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken.«

»Sieben Tage erst hatt' ich da, Bruder Kassapo, als Asket Almosenbissen genossen, als am achten die Gewissheit aufging.«

»Dass eben da der ehrwürdige Bakkulo sieben Tage erst als Asket Almosenbissen genossen, als am achten die Gewissheit aufging, auch das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken. Könnte ich doch, Bruder Bakkulo, in diese Lehre und Ordnung aufgenommen, mit der Weihe belehnt werden!«

Und der Nackte Büßer Kassapo wurde in diese Lehre und Ordnung aufgenommen, wurde mit der Weihe belehnt.

Nicht lange aber war der ehrwürdige Kassapo in den Orden aufgenommen, da hatte er, einsam, abgesondert, unermüdlich, in heißem, innigem Ernste gar bald was edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit lockt, jenes höchste Ziel des Asketenthums noch bei Lebzeiten sich offenbar gemacht, verwirklicht und errungen. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketenthum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ verstand er da. Auch einer war nun der ehrwürdige Kassapo der Heiligen geworden.

Und der ehrwürdiger Bakkulo begab sich nach einiger Zeit, in seinen weiten Mantel gehüllt, von Klause zu Klause und sprach also: ›Schreitet herbei, ihr Brüder, schreitet herbei, ihr Brüder: heute werd' ich vom Wahne vollkommen erlöschen.‹ Dass aber der ehrwürdige Bakkulo, in seinen weiten Mantel gehüllt, von Klause zu Klause gegangen ist und gesagt hat: ›Schreitet herbei, ihr Brüder, schreitet herbei, ihr Brüder: heute werd' ich vom Wahne vollkommen erlöschen‹, auch das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken.

Und der ehrwürdige Bakkulo ist, in der Mitte der Ordensbrüder sitzend, vom Wahne vollkommen erloschen. Dass aber der ehrwürdige Bakkulo, in der Mitte der Ordensbrüder sitzend, vom Wahne vollkommen erloschen ist, auch das wollen wir uns als erstaunliche, außerordentliche Eigenschaft des ehrwürdigen Bakkulo merken. Ein Leben wie Bakkulo hat der ägyptische Paulos, »Eremitarum auctor et magister«, wie ihn die christliche Kirche zu rühmen beliebt, bis zu seinem Tode, im Alter von hundertdreizehn Jahren, geführt: und gleichwie Bakkulo dem Kassapo hat er es, am letzten Tage vom neunzigjährigen Antonios aufgesucht, diesem noch berichtet. Der heitere Abschied unseres Bakkulo hat gleichsam eine Gegenstrophe im säligen Scheidegruß der ägyptischen Maria, nach vierzigjähriger Buße, der sie treu in Wüsten blieb, von ihr im Sande niedergeschrieben, wie Goethe sie nach den Acta Sanctorum (Apr. I, 82, 38) gegen Ende des Faust bekennen lässt; während ein anderer achtzigjähriger Meister, Michelangelo in einem Briefe an Vasari, den mir De Lorenzo mitgetheilt, uns das alte, ächt solonische Motiv dazu insofern leichter verstehn lehrt, wenn er die festliche Feier einer Geburt nicht eher und nicht anders begangen haben will als »con quella allegrezza che s' à a serbare alla morte di chi è ben vissuto.«
Die unbeugsame Stärke bakkulischer und verwandter Geister mahnt allenthalben an die Gestalten der älteren Thebais: so deutlich, dass der letzteren historische Ahnen weiter als in Jerusalem aufgesucht werden möchten. Eine in den Acta Sanctorum vom 17. Jan. De S. Antonio Magno fol. 113 § 7 i. f. beigebrachte Bemerkung des Ioannes Damascenus, der Ruhm der ägyptischen Eremiten sei bis an die Gränzen der Erde gedrungen, »ipsisque didita Indis esset, eos quoque ad eiusdem (sc. monasticae) vitae studium excitavit«, erheitert zunächst durch die ungeahnte Heuristik des biederen Kirchenvaters, dient aber sodann uns drüben stehenden als fein richtig weisender chrysorrhoischer Index. Namentlich nun sind es die mancherlei makarischen Denkmale, die immer wieder ihre indische Abstammung anzeigen. Die Ausgabe von Pritius bietet eine Hülle und Fülle der schönsten Beispiele. Hier folge als kürzeres Musterstück ein parabolischer Dialog, den man bei Floss p. 63 findet. »Frater convenit abbatem Macarium Aegyptium, cui: Abba, inquit, effare mihi verbum, quonam modo salvus ero? Ait senex: Vade in sepulchrum et maledictis mortuos impete. Abiens igitur frater eos conviciis et lapidibus appetiit, reversusque annuntiavit seni. Qui ab eo quaerit: Nihilne tibi responderunt? Frater: Nihil. Tum senex: Iterum, inquit, proficiscere cras, laudibus eos effer. Pergens itaque frater collaudavit eos vocans: Apostoli, sancti, iusti. Tum adiit senem dixitque: Laudavi. Qui: Nihilne, inquit, tibi responderunt? Frater: Nihil. Tunc senex infit: Nosti, quantis eos contumeliis affeceris, nec quidquam responderunt tibi, et quantis eosdem laudibus ornaveris, nihilque ad te prolocuti sunt: ita etiam tu, si salutem consequi desideras, mortuus fias, nec iniurias hominum nec laudes eorum cogites instar mortuorum; sie enim poteris salvus fieri.« Diese Thebais konnte nun freilich keine längere Blüthe erleben, und es folgte, wie eben überall, rascher Verfall, Auflösung, Umwandlung, abusus optimi als pessimus, auf den Helden und Heros der Zelot und Hesychiast, der Monk of Misrule, Abbot of Unreason und eine »affenheit« anstelle der »wisheit«; oder um zur makarischen Parabel den speziellen Beleg zu liefern, die jesuitische Lehre vom Gehorsam perinde ac si cadaver. – Hier hinken manche Pfaffen an, sagt Meister Eckhart.
Die erstaunliche Rüstigkeit unseres Bakkulo, der von keinerlei Krankheit wusste, wie oben S. 318 gesagt, ist später sprichwörtlich geworden, im Aṉguttaranikāyo I, 14, 4, 5 bestätigt, wo er der gesündeste aller Jünger geheißen wird. Sein Andenken, zwar nur mehr der Name, ist noch im Lalitavistaras I im Anf. erhalten.


 << zurück weiter >>