Johann Nestroy
Höllenangst
Johann Nestroy

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Dritter Akt

Elegante Straße in der Stadt, links an der Kulisse das Haus des Staatssekretärs von Arnstedt, vor demselben steht ein Portier.

Erste Szene

Portier, Leni.

(Beim Aufrollen der Kurtine steht der Portier eine kleine Weile regungslos, mit dem großen Stock in der Hand, darauf kommt Leni aus dem Hause.)

Leni. Ah, Vater, das is ein Jammer, daß ein' 's Herz bricht, die Dam', die sie gebracht hab'n – durch'n Schleier hat man die Tränen g'sehn.

Portier (kalt und gravitätisch). Ja, jetzt, das is schon a so.

Leni. Die andre hat auch g'weint, die mit dem grünen Schleier – 's war aber nicht so rührend, natürlich, die hat nur g'weint, weil sie Kammerjungfer is.

Portier. Ja, jetzt, das is schon a so.

Leni. Mir stünd' ein grüner Schleier sehr gut.

Portier. Mir is auch von jeher grün gut g'standen zum G'sicht.

Leni. Ich kaufet mir ein', aber 's is nur das Fatale, wie man ein' grünen Schleier hat, is es grad, als wenn man hint' oben sitzet auf der Equipage, man kennt gleich, daß das a Kammerjungfer is.

Portier. Du hast das nicht nötig. Überhaupt, auffallende Sachen muß man vermeiden.

Leni. Und weiß der Vater, wer sie is, diese Dam'

Portier. Geht mich nix an.

Leni. Und wegen was sie da is?

Portier. Mir alles toute même.

Leni. D' Kammerjungfer hat's als so weinender g'schnattert –

Portier. Ja, jetzt, das is schon a so.

Leni. Sie hat heimlich g'heirat't.

Portier. Aha? Nimm dir a Beispiel!

Leni. Soll ich etwan auch heimlich heiraten?

Portier (einen Moment auffahrend, gleich aber in seine kalte Ruhe zurückfallend). Es is unter meiner Würde, mit einer Gretl wie du – wenn ich sage »Beispiel«, so is es ein abschreckendes Beispiel. Was ich sag', is abschreckend.

Leni. Der Vater weiß aber –

Portier. Ich weiß nix, das is dein Glück, denn wenn ich einmal was weiß, da is der sanfte Vater ums Eck, und ich bin rein aufgebrachter Portier.

Leni. O weh! Da krieg' ich völlig a Ganshaut.

Portier. Das is angebornes Talent bei dir. Marsch ins Haus!

Leni. Der Vater is aber doch recht abscheulich. (Geht ins Haus ab.)

Portier. Ja, jetzt, das is schon a so.

Zweite Szene

Portier, zwei Gendarmen.

(Die zwei Gendarmen treten von rechts auf.)

Erster Gendarm (zum zweiten). Er war's, wenn ich dir's sag'.

Zweiter Gendarm. Ich streit' ja nicht, aber ich war ja nur zwei Täg mit ihm beisamm', wie die G'schicht' g'schehn is.

Erster Gendarm. Also kannst dich nicht so erinnern, aber ich – wenn ich wem ein einzigs Mal g'sehn hab' – (Zum Portier.) Herr Portier, hab'n S' die Güte, schicken S' die Wachtmannschaft heraus; wir derfen da jemanden nicht außer Augen lassen.

Portier. Wieder ein politischer Verbrecher? Nein, was einem die für Keierei machen –! Wenn s' noch so politisch wären, daß man s' nicht krieget, aber so hat man dieses ewige G'stanz'. (Geht in das Haus ab. Die Gendarmen haben sich etwas nach dem Hintergrund gezogen.)

Dritte Szene

Wendelin, die Gendarmen.

Wendelin (in Gefangenwärteruniform nach Art der Grundwächter gekleidet). Ich hab' mir's ja gleich denkt. Drei haben mich schon g'sehn, 's Maul aufg'rissen und mich ruhig weitergehn lassen, als ob ich ein honetter Mensch wär'. Jetzt stell' ich mich da vors Ministerialgebäud' her, wo die Gendarmen auf Ordonnanz' sind, und geh' nicht weg, bis mich alle g'sehn haben. 's wird aber auch nix nutzen; der Teufel hat mich mit einem Respekt umgeben, es traut sich kein Mensch über mich.

Erster Gendarm. Halt, Lump!

Wendelin. Aha?! Und früher hast tan, als wennst mich nicht kennest.

Zweiter Gendarm (Wendelin näher betrachtend). Jetzt fallt mir das dumme G'sicht erst wieder ein. Freilich is er's!

Wendelin. Na, wer soll's denn sonst sein?

Erster Gendarm (indem er und sein Kamerad Wendelin packen). Du g'hörst jetzt uns!

Wendelin. Gott sei Dank! Jetzt weiß ich doch g'wiß, daß ich nicht des Teufels bin.

Zweiter Gendarm. Wennst zum Sündenbereu'n schaust, is es möglich.

Wendelin. Die größte Angst hab' ich überstanden.

Erster Gendarm. Das weiß ich nicht, denn ich glaub' immer, es geht dir an Hals.

Vierte Szene

Sergeant, Portier, Leni, die Vorigen, mehrere Gendarmen.

Sergeant (mit den übrigen aus dem Hause tretend). Was is vorgefallen? Rapport!

Erster Gendarm. Da is ein Steckbriefverfolgter! (Auf Wendelin zeigend.)

Zweiter Gendarm. Wir kennen ihn akkurat.

Sergeant. Also festgenommen!

Erster Gendarm. Er hat dem Baron Reichthal zur Flucht verholfen.

Wendelin. Ja.

Zweiter Gendarm. Dem Hochverräter!

Portier. Aha, politisch!

Erster Gendarm. Gleich drauf is er an einem schönen Abend auch verschwunden.

Wendelin. Ja!

Portier. Offenbar politisch! Gar nix zu sagen dagegen.

Leni. Der arme Mensch!

Erster Gendarm. Und jetzt geht er mir nix, dir nix in seiner G'fangenwarteruniform herum.

Die Gendarmen. Wir alle kennen ihn.

Zweiter Gendarm. Es is eine Keckheit, die ins Dumme geht.

Portier. Das is wieder gar nicht politisch.

Sergeant. Alles eins! Das muß gleich g'meldet werden.

Leni. Daß es doch Verbrecher gibt, die so a gut's G'sicht haben.

Portier (zu Leni). Laß dir das zur Warnung sein!

Sergeant. Fort mit ihm!

Wendelin. Ja, ja, fangts nur den Leib, weil ich nur weiß, daß der G'wisse die Seel' nicht erwischt.

Die Gendarmen. Vorwärts! (Führen Wendelin ins Haus ab.)

Wendelin (im Abgehen). Aber merkwürdig is 's; jetzt gehn falsche Teufeln herum, tun, als ob s' a Höll' hätten, und 's is nix als Streichmacherei. (Ab ins Haus mit den Gendarmen.)

Leni. O Gott, dem kost't's wenigstens sein jung's Leben.

Portier. Ja, jetzt, das is schon a so. (Folgt Leni ins Haus nach.)

Verwandlung

Zimmer im Hause des Staatssekretärs von Arnstedt.

Fünfte Szene

Arnstedt, Stromberg, Pfrim.

(Arnstedt tritt mit Stromberg zur Mitte ein, Pfrim folgt ihnen.)

Arnstedt (ohne von Pfrim Notiz zu nehmen, zu Stromberg). Eben erhalte ich vom Hofmedikus die Nachricht –

Stromberg. Steht es schlecht?

Pfrim. Und ich geh' Euer Gnaden von einen Zimmer ins andere nach, ich lass' Euer Gnaden nicht aus.

Arnstedt. Unerträglicher Mensch! Was will Er denn noch?

Pfrim. Ich hab' draußt vor die Leut' nicht reden wollen; Sie zeigen keine Tätigkeit, Ihr Benehmen ist flau.

Stromberg. Sei Er froh, daß man Ihn laufen läßt, statt Ihn für die Verheimlichung Seines Sohnes verantwortlich zu machen.

Pfrim (im schroffen Tone zu Stromberg). Ich bitte, das ist nicht so. (Zu Arnstedt.) Das Palais Thurming muß demoliert, die Keller der Erde gleich gemacht und die Kerkermauern geschliffen werden, so lang geschliffen, bis mein Sohn zum Vorschein kommt.

Arnstedt. Er spricht gegen Sein eigenes Interesse, denn wenn Sein Sohn mir in die Hände käme, könnte man sagen: Vom Regen in die Traufe; denn ich wüßte wirklich nicht, wie ich ihn der Strafe der Gesetze entziehen sollte.

Pfrim (zu Arnstedt). Daß meinem Sohn nix g'schieht, wenn s' ihn kriegen, dafür bürgt mir der Kopf Ihres Freundes.

Arnstedt. Was?

Stromberg (zu Arnstedt). Der Mensch mißbraucht deine Güte, du mußt ihn entweder –

Pfrim (zu Stromberg). Plausch' nit, Peppi' – (sich korrigierend) will ich sagen, sei'n der Herr Baron still! Sie müssen wissen, ich hab' allerhand in Händen. (Mit geheimnisvoll dominierender Wichtigkeit.) Ich bin im Besitz von Akten, Dokumenten und Testamenten –

Arnstedt (zu Stromberg). Was sagt der Mann –?

Stromberg (zu Pfrim). Erkläre dich deutlicher!

Pfrim. Per du? Es is die Frag', ob ich die Bruderschaft annimm. – Jetzt schaun s' alle zwei mit die Augen! (Zu Arnstedt, auf Stromberg zeigend.) Sie, wenn ich über den reden wollt' –

Arnstedt (bedenklich). Ich begreife nicht –

Stromberg (zu Pfrim). Rede, sprich, ich befehl' es.

Pfrim (zu Arnstedt). Wenn ich bitten darf, ich hab' dem Herrn (auf Stromberg deutend) unter vier Augen etwas zu sagen.

Stromberg. Wozu? Vor meinem Freunde hab' ich kein Geheimnis.

Pfrim. So? Na, wann Sie Ihnen nicht genier'n, ich genier' mich g'wiß nit.

Arnstedt. Weiter, zur Sache!

Pfrim. Sehn Sie, ich hab' ein vielseitig gebildetes Weib. Einmal is sie Gattin, nacher Mutter, gleich drauf wied'rum Ammel und zur Abwechslung Krankenwärterin. So hat sie auch die verstorbene Baronin Stromberg, die Schwägerin von dem Herrn (auf Stromberg zeigend), weil sie vor ihrem Tode krank war, gekrankengewart't. Eines Abends, wie die Baronin schon recht schlecht war, war sie doch noch lang' nicht so schlecht wie der (auf Stromberg zeigend).

Stromberg. Pursche –!

Pfrim. Keine Bonmots, der Gegenstand is nicht geeignet! Eines Abends also war der (auf Stromberg zeigend) im Krankenzimmer und hat glaubt, die bald auf ewig Entschlafene macht noch g'schwind einen zeitlichen Schlaf, und benutzt den günstigen Augenblick dazu, aus einer Schatulle das Testament der Baronin zu stehlen.

Stromberg (nachdem er Arnstedt bedenklich zugewunken, zu Pfrim). Wer hat dir solche Märchen aufgebunden?

Pfrim. O nix Märchen! Diese Erzählung is nach einer wahren Begebenheit. (Zu Arnstedt.) Sie, das is ein Kerl, der Herr! Macht Ihnen keine Ehre, der Freund, denn wissen S', d' Leut' sagen: »Gleich und gleich g'sellt sich gern« – mir is leid um Ihnen.

Arnstedt. Zur Sache!

Pfrim. Nur Geduld, 's kommt schon noch auf Ihnen auch. (Weitererzählend.) Wie der (auf Stromberg zeigend) mit dem geraubten Testament bei der Tür hinauswill, mußt' er am Bett vorbei, und die vermeintliche Schlafende packt ihn beim Frack, ringt mit ihm, er reißt sich los und hat entweder beim Ringen oder beim Losreißen einen Brief verloren.

Arnstedt (erschreckend). Himmel –!

Stromberg (zugleich, ebenso). Was hör ich –?!

Pfrim (zu Arnstedt). Das is nämlich der Brief (sehr artig), der Ihnen als Teilnehmer an dem seine Schandtaten hinstellt.

Arnstedt. Bezähm' Er sich –

Pfrim. Sie sein auch ein lieber Herr. Ihnen zwei haben die Tauben z'samm'tragen, na, vielleicht kriegen die Raben auch noch was z' tun. Daß ich Ihnen also weiter dien': Die Meine als Krankenwarterin kommt (auf Stromberg zeigend) nach Ihnen, die Baronin verlangt Tinte, Feder und Papier, schreibt ein kurz und bündiges Testament, die Meinige find't den Brief auf der Erd', die Baronin gibt beides der Meinigen mit dem Auftrag, es niemandem als dem Baron Reichthal zu übergeben, erschöpft sich und stirbt als so erschöpfter. – Na, warum schöpfen S' denn so schwer Atem, alle zwei?

Stromberg. Und diese Papiere habt Ihr, Freund?

Pfrim. Allemal! Seit gestern erst weiß ich drum, sonst hätt' ich's Ihnen nicht so lang g'schenkt, Sie Pensionstreicher, Sie!

Arnstedt. Und wo sind diese Papiere, lieber Freund?

Pfrim. Jetzt bin ich der Freund auf allen Seiten – die Papiere hat mein Sohn.

Arnstedt und Stromberg (betroffen). Sein Sohn –!?

Pfrim. Mein Sohn. Sie sehn also, daß wir eine fürchterliche Familie sind und daß wir nicht so viel Respekt vor Ihnen zu haben brauchen.

Stromberg. Wo ist Sein Sohn?

Pfrim. Sie reden einen Stiefel zusamm' in der Tremarola! Wenn ich das wüßt', so verlanget ich 'n nicht von Ihnen.


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