Johann Nestroy
Höllenangst
Johann Nestroy

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Akt

Platz in einer Stadt mit altmodisch gebauten Häusern, mit Giebeldächern und Erkern, Vorsprüngen etc. In dem Prospekte, der nicht tief sein darf, ein großes palastähnliches Haus mit Erkern, Giebeln und einem Balkon. Auf den Balkon führt eine praktikable Glastüre, das Fenster rechts vom Balkon ist praktikabel und stößt nahe an das Giebeldach des dem Prospekte zunächst stehenden Hauses. Unter dem Balkon das praktikable Haustor. An den Kulissen links sind altertümliche kleinere Häuser.

Erste Szene

Reichthal.

(Es ist Nacht. Reichthal tritt mit Vorsicht von Seite links auf, er ist in einen grauen Mantel gehüllt und hat eine Reisemütze tief in die Augen gedrückt.)

Reichthal. Ich bin am rechten Orte. Nur die Eile, die Ungeduld und hundert schmerzliche Erinnerungen, die meine Sinne fast verwirren, ließen mich nach kaum zweijähriger Abwesenheit die wohlbekannten Häuser und Straßen nicht sogleich erkennen. (Nach dem großen Hause im Prospekte zeigend.) Hier steh' ich vor dem Palais Reichthal, dem einstigen Wohnsitz meiner teuren Schwester, die so schnell ihrem Gatten in jene Welt gefolgt. Ohne Zweifel hat des verstorbenen Strombergs habsüchtiger Bruder, so wie die Güter, auch diesen Stammsitz an sich gerissen, jener Bösewicht, der mich durch seinen Genossen Arnstedt einer Verschwörung verdächtigen und ins Gefängnis werfen ließ. Was mag aus Adelen geworden sein? Hat sie den Tod ihrer Mutter überlebt? Ist sie in ihres bösen Oheims Gewalt? Nur eine Person kann und wird mir auf diese Fragen Antwort geben, die Amme meiner Nichte Adele! In diesem Häuschen wohnt sie. (Zeigt nach dem obbeschriebenen kleinen Hause im Vordergrunde rechts.) Die gute Frau wird mich auch einige Zeit verbergen; als Flüchtling, von mächtigen Feinden bedroht und aller Hilfe entblößt, wüßte ich mir keinen anderen Zufluchtsort. Ich habe zu vorschnell auf die Nachricht von der lebensgefährlichen Krankheit des Ministers das gastfreie England verlassen. (Hat sich der Haustür des kleinen Häuschens genähert und ergreift den Türklopfer.) Soll ich –? (Sich umsehend.) Doch nein – noch ist es zu früh – der Lärm zu dieser ungewöhnlichen Zeit könnte die Nachbarn aufwecken. – Ich will lieber noch ein paar Stunden die Straßen auf und nieder gehen und den Anbruch des Tages erwarten. (Hüllt sich fester in seinen Mantel und geht links durch den Hintergrund ab.)

Zweite Szene

Pfrim, dann Ignaz.

Pfrim (tritt, wie Reichthal abgegangen, ebenfalls aus dem Hintergrunde links auf). Da is schon wieder einer gangen, um die Zeit – ja, kommt denn die Lumperei gar nicht ab?! Merkwürdig, um die Stunden, wo nie mehr a honetter Mensch auf der Gassen is, begegn' ich alleweil noch Leut'. Wie oft sagt der Kellner zu mir: Geh' der Herr z' Haus, es is kein Mensch mehr da – den andern Tag erzählt mir nacher der Häusknecht, daß s' in der Fruh noch a paar hervor'kehrt hab'n unter die Tisch'. Es is auf gar nix mehr z' gehn. Alles Lug und Trug auf der Welt. (Erblickt Ignaz, welcher auf einer steinernen Bank nächst dem Haustor des Palais im Hintergrunde schläft.) Was is denn das? Da schlaft einer – ja, mancher Mensch find't halt durchaus nicht ins Bett. (Es schlägt auf einem nahen Turme vier Uhr.)

Ignaz (vom Glockenschlag aufgeweckt und sich nach und nach ermunternd). Was war denn das? – Vier Uhr hat's g'schlagen, is denn das möglich?

Pfrim. Ah ja, auf die Turmuhren kann man sich verlassen, die sind nicht so ungleich wie die Sackuhren – heut' hat man s', morgen sind s' versetzt, da soll sich der Teufel richten danach.

Ignaz (Pfrim näher betrachtend). Jetzt weiß ich wirklich nicht –

Pfrim. Woher wir uns bekannt sein? Ich weiß's schon, da drüben is ein Hecht, wo allerhand Hechten z'samm'kommen.

Ignaz. Richtig, beim Hechten, da sprech' ich dann und wann ein, zwischen elfe und zwölfe.

Pfrim. Recht haben S', die Nacht is keines Menschen Freund, da muß man sich wohin flüchten, wo's lang Tag bleibt.

Ignaz (sich streckend). Ach, ich bin wie zerschlagen. So viel' Stund' auf einer steinernen Bank liegen, is ka Spaß.

Pfrim. Da leget ich mich in Ernst schon lieber ins Bett. Übrigens, des Menschen Wille is sein Himmelreich –

Ignaz. Ja, will ich denn?

Pfrim. Ah, so? Sie müssen? Nacher is's freilich traurig.

Ignaz. Ich hab' einen verliebten Herrn, wegen dem ich immer so lang auf der Gassen bleiben muß.

Pfrim. Danken S' Gott! Wenn S' einmal a verliebte Frau haben werd'n, wegen der Sie zeitlich nach Haus müssen, nacher lamentieren S'! – Es war mir ein Vergnügen. Besuchen S' mich, sehn S' da, gleich das kleine Häuserl, da logier` ich, beim Tag bin ich z' Haus. Guten Morgen, jetzt geh' ich schlafen. (Geht rechts im Vordergrunde ab.)

Dritte Szene

Ignaz, dann Johann.

Ignaz (allein). Drei Wochen schlaf' ich da auf der steinernen Matratzen, das muß ein' Stein erbarmen; möcht' doch wissen, was das für ein Stein is, daß's ihn noch nicht erweicht.

Johann (tritt bei Ignaz' letzten Worten von links aus dem Hintergrunde auf und schleicht sich vorsichtig näher). Ein verdächtiger Mensch, bei unserm Palais? Das kommt mir nicht richtig vor.

Ignaz (für sich, ohne Johann zu bemerken). Das erleben wir schon noch, daß's einmal Tag wird, und mein Herr übersieht's.

Johann (die Strickleiter bemerkend, welche an der linken Seite des Balkons herabhängt). Eine Strickleiter – da muß einer hinaufg'stiegen sein, und der steht Schildwach' herunt'. Für den is keine Hilf', der verhaucht unter meiner Faust. (Tritt ihm leise ganz nahe, indem er beide Hände, um ihn zu packen, erhebt.)

Ignaz. Ich parier darauf, sie erwischen ihn einmal.

Johann (plötzlich die Hände sinken lassend, in freundlichem Tone). Was is das! Der Ignaz –? Meiner Seel', du bist es.

Ignaz. Der Johann – freilich bin ich's, Freund und Spezi!

Johann. Ein wahres Glück , daß du vorhin gered't hast mit dir selbst und daß ich dich an der Stimm' kennt hab', sonst pack' ich dich, und wenn ich einen bei der Gurgel fass', um ein Geständnis zu erpressen, der gibt g'wiß kein' Laut mehr von sich.

Ignaz. Bist du ein Bandit worden?

Johann. Das nicht, ich dien' nur bei ein' bösen Herrn, der aber gut zahlt.

Ignaz. Und packst die Leut' bei der Gurgel?

Johann. Nur die Verdächtigen – du, mir kommt da was nicht richtig vor.

Ignaz. Was denn?

Johann. Die Strickleiter!

Ignaz. Die is grad der Beweis, daß alles schon richtig is.

Johann. Mit wem?

Ignaz. Mit der jungen Baronessin.

Johann. Mit der Nièce von mein' Herrn?

Ignaz. Was, du bist ein Baron Strombergischer Bedienter? Bei dem Böswicht dienst du, der –?

Johann. Der den Baron Reichthal, der Baroness' ihr'n Onkel mütterlicherseits, in 's G'fängnis bracht hat, damit er als ihr Onkel väterlicherseits die Vormundschaft kriegt über sie; der sie zwingt, ins Kloster zu gehn, damit sie keine weltlichen Ansprüche mehr hat und er alle ihre Güter an sich reißen kann – das is schon ein kurioser Böswicht, aber zahlen tut er gut.

Ignaz. Mein Herr zahlt dich noch besser, wenn du auf seiner Seiten sein willst.

Johann. Na ja, deßtwegen red' ich ja schon herum. Und wer is's denn –?

Ignaz. Mein Herr? Seine G'streng der Herr von Thurming.

Johann. Der Oberrichter?

Ignaz. Der is da droben bei eurer Baroness'. – Warum soll ein junger Oberrichter nicht verliebt sein? Sind's doch die alten auch!

Johann. Aber auf einer Strickleiter –

Ignaz. Mein Gott, er hat im G'schäft viel Umgang mit Dieb', diese Pfiff' und Kniff' lernt einer vom andern.

Johann. Und zu einer Himmelsbraut –

Ignaz. Da kommt der Himmel schon zu spät, mein Herr is schon drei Wochen heimlich verheirat't mit ihr.

Johann. Hör' auf?! Du, ich muß mich einschmeicheln bei dein' Herrn, wir geb'n ihm jetzt ein Zeichen, daß es höchste Zeit is.

Ignaz. Das hätt' ich schon lang gern getan, aber wie –?

(Das Haustor im Prospekt wird aufgesperrt.)

Johann (mit Schrecken). Himmel und Erden! 's is zu spät – das Haustor geht auf – fahr ab –

Ignaz. Und mein armer Herr hat kein Zeichen!

Johann. Fahr ab –!

Ignaz. »Sauve qui peut !« sagt der Franzos –! (Lauft links in den Hintergrund ab.)

Vierte Szene

Stromberg, Johann.

Stromberg (im Schlafrock, tritt aus dem Haustor, ein Büchsenspanner leuchtet ihm vor). Mit wem hast du hier gesprochen?

Johann. Ich?

Stromberg. Antworte, Pursche, mich täuschest du nicht.

Johann. Auf Ehr', ich kann schwören –

Stromberg. Lüge nicht, ich rate es dir, ich sah in diesem Augenblick einen Schatten nach jener Seite –

Johann. Da müßt' nur Euer Gnaden Ihr eigener Schatten beim Toraufsperren herausg'fallen sein.

Stromberg (hat nach links gesehen und die Strickleiter erblickt). Halt –! (Zum Büchsenspanner.) Leuchte hierher –! Tod und Hölle – eine Strickleiter – kein Zweifel mehr!

Johann (für sich). Jetzt bricht 's Donnerwetter los über mich.

Stromberg. Red' und Antwort, Schurke! (Reißt dem Büchsenspanner den Hirschfänger aus der Scheide.) Wer ist ins Haus gedrungen? Sprich, oder ich durchbohre dich!

Johann. Gnädigster Herr, so wahr ich leb' –

Stromberg. Du bist des Todes.

Johann. Also – so wahr ich sterb', schwör' ich Euer Gnaden ich weiß von nichts.

Stromberg. Wenn auch, heißt das Wache halten, wie ich dir befohlen?

Johann. Ich kann nur schwören –

Stromberg. Schweig, Elender! Hinein! Und weh dir, wenn du mit denen einverstanden bist, die mein Haus zu beschimpfen wagen.

Johann (in das Haustor abgehend). Ich gehorche und schwöre – (Ab.)

(Hier beginnt leise Musikbegleitung, welche diese und die beiden folgenden Szenen währt.)

Stromberg (zum Büchsenspanner). Näher mit dem Licht! (Er steigt auf die steinerne Bank.) Den Weg zur Flucht will ich ihm versperren, wenn er noch im Hause ist. (Schneidet mit dem Hirschfänger die Strickleiter ab.) So – der Rückzug wäre abgeschnitten. Fort! (Geht mit dem Büchsenspanner ins Haustor ab.)

Fünfte Szene

Adele, Thurming.

(Man hört Lärm im Palais und sieht an einigen Fenstern Lichter hin und hergehen.)

Adele (mit Thurming aus der Balkontüre tretend). Sie kommen, hörst du, sie kommen – flieh, mein teurer Gatte, sie wollen dich ermorden!

Thurming (welcher sich mit großer Hast in seinen Überrock hüllt und eine Samtmütze aufsetzt). Fürchte nichts, Adele – (Hat nach der Strickleiter gesucht.) Himmel! Was ist das! Die Strickleiter fort –

Adele. O mein Gott! Was soll aus uns werden! Hörst du – sie kommen schon.

Thurming (der schnell sich nach allen Seiten umgesehen). Beruhige dich, teures Weib, ich bin gerettet.

Adele. Gerettet –?

Thurming. Aus dem andern Fenster dieses Erkers kann ich auf das Dach des nächsten Hauses steigen.

Adele. Himmel – (Erschrickt.)

Thurming. Auf dem Dache kann ich mich so lange festhalten, bis die Gefahr vorüber ist.

Adele. Aber dein Leben – wenn du herunterstürztest –

Thurming. Keine Sorge, deine Liebe wacht über mir. (Sie rasch umarmend.) Lebe wohl, mein Engel! (Indem er in die Balkontüre zurückeilt.) Lebe wohl!

Adele (in größter Angst). Gott schütze dich! (Folgt ihm in die Balkontüre nach und macht sie zu. Adele und Thurming gehen mit dem Licht an das Eckfenster rechts, Thurming öffnet es.)

(Die Musikbegleitung wird lauter, man sieht Thurming aus dem Fenster auf ein Giebeldach rechts klettern und auf demselben sich forthelfen, so daß er hinter einer vorspringenden Ecke bald verschwindet. Adele schließt das Fenster hinter ihm, der Lärm im Palais wird stärker, man sieht Lichter hin und her tragen. Nach einer Weile verschwinden die Lichter, und der Lärm verstummt. Die Musik endet.)


 << zurück weiter >>