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Nachdem die Spanier die unbefleckte Empfängnis gemalt, war Rubens gekommen und hatte den Sinnenrausch gefeiert. Die nächste Etappe mußte die sein, daß man die Traurigkeit malte, die, wie das Sprichwort will, dem Sinnenrausch folgt. Nach der flammend bebenden Leidenschaft des Rubens kommt die elegische Müdigkeit van Dycks.
Mond und Sonne – das ist die Stellung der beiden in der vlämischen Kunst. Rubens das hellglänzende, glühende, alles befruchtende Gestirn; van Dyck der Planet, der mild leuchtend, aber nicht befruchtend seine stille Bahn geht. Neben dem wilden Pathetiker Rubens steht er als der Sänger des Weltschmerzes; neben dem kraftstrotzenden, zeugungskräftigen Meister als überfeinerter, müder Roué. Ein zarter Hauch weicher, entnervter Sinnlichkeit ist über sein Wesen und seine Kunst gebreitet. Ist Rubens der König, so ist van Dyck der Coeurbub der vlämischen Kunst.
Einer Familie, die nicht zur Aristokratie und nicht zum Volke gehörte, war er entsprossen. Sein Vater, ein kleiner, feiner, geschniegelter Herr, besaß ein Seidenmagazin und bediente seine vornehmen Kundinnen mit sehr galantem Lächeln. Seine Mutter, eine zarte, blasse Frau, war berühmt wegen ihrer kunstvollen Stickereien und soll, während sie Antonis unter dem Herzen trug, gerade die Geschichte von Susanna und den beiden Alten gestickt haben. Dieser Hinweis auf das Milieu seiner Jugend ist nicht unwichtig. Denn man denkt vor seinen Bildern an den matten Glanz seidener Stoffe. Man glaubt auch zu fühlen, wie gern der Knabe in dem Laden sich aufhielt, mit wie leuchtendem Auge er aufblickte, wenn eine parfumumflossene Dame hereinrauschte, und wie fein er errötete, wenn eine ihm ein freundliches Lächeln zunickte. Und sie nickten alle. Fein und blaß, von mädchenhafter Zartheit, mit blonden Locken und großen dunkeln Augen, die bald schwärmerisch, bald schwermütig blickten, war er der Typus, den die Damen lieben. Alle kannten ihn, manchen Blick fing er auf, wenn er, wie ein Prinz gekleidet, weiße Federn am Hut, durch die Straßen Antwerpens flanierte. Er hatte das Recht, sich später als Rinaldo zu malen, wie er die Zauberin Armida durch seine Schönheit besiegt; das Recht, sich zu malen als Paris, wie er schwankt, welcher der drei Göttinnen der Apfel zu reichen. Denn die Auswahl war für ihn, dem alle zu Füßen lagen, nicht leicht.
Schon im Rubensatelier nahm er eine Sonderstellung ein: zwar nicht »Achilles unter den Töchtern des Lykomedes« (das ist das Thema eines seiner ersten Bilder), aber ein Mädchen, das sich unter wilde Burschen verirrte. Galante Causerien mit Frau Helene behagten ihm mehr als der Verkehr mit den plumpen Rapins. Bei den Festen des Rubens wurde er als Wunderkind angestaunt, wenn er mit schöner Stimme zum Violoncell italienische Lieder sang. Später in Italien schärfte sich der Gegensatz zu seinen vlämischen Genossen immer mehr. Da saßen sie in ihrer Kneipe an der Piazza di Spagna und betranken sich, die rohen Gesellen. Alle Landsleute kamen, nur van Dyck kam nicht. Vornehmes Leben suchte er und aristokratische Eleganz. Kein Fest, zu dem er nicht geladen war. Kein Maskenball, wo er nicht die Damen bestrickte. Nie ging er aus, ohne daß Diener ihm folgten. Nie vergaß er, goldene Ketten und neue Handschuhe anzulegen. Il pittore cavallieresco, das Malerbarönchen, nannten ihn die vlämischen Bären.
Solche Maler, die nicht zu Malern passen, fühlen sich wohler in Städten, wo keine Künstler sind. Der Baron verließ also Rom und ging nach Genua. Hier gab es keine Vlaamen, die ihn auslachen, auch keine italienischen Maler, die ihn bespötteln konnten. Aber Frauen gab es, schöne Frauen, und Kavaliere, müde, junge Marquis. Es wehte ein Hauch welker Décadence über den Boden dieser Stadt, die einst so mächtig gewesen, und nun singend, kokettierend ihr Ende erwartete. Gerade weil man den Zusammenbruch kommen sah, schlürfte man die Genüsse des Lebens noch mit fieberhaften, hastigen Zügen; van Dyck stand auf dem Boden, wohin er gehörte.
Er fand einen ähnlichen, als er am Schlusse seines Lebens von Flandern nach England ging. Auch hier Gewitterschwüle, die weiche sinnliche Atmosphäre, die über der Erde liegt, bevor ein Orkan sich entlädt. Old merry England in den letzten Zügen. Ein junger König, der die Kunst und die Frauen liebt. Eine schöne Königin und zarte Königskinder. Sein Atelier der Sammelpunkt der vornehmen Welt. Und im Hintergrund ein Schafott, die düster schwarze Gestalt des Plebejers Cromwell. Auch er selbst, obwohl kaum 30 Jahre alt, ist nicht mehr der kecke Fant, der wählerische Paris von früher. Denn »der Gott der Zeit beschneidet dem Amor die Flügel«. Das malte er in dem Bilde der Sammlung Marlborough, das wie eine wehmütige Elegie auf die irdische Vergänglichkeit, wie eine Elegie auf sein eigenes Schicksal anmutet. Er überreicht also den Apfel und findet einen Ersatz für die verlorene Jugend in dem neuen aristokratischen Glanz. Denn Mary Ruthven, seine Frau, ist eine geborene Gräfin, der Sohn des Antwerpener Seidenhändlers gehört als Ritter den Hofkreisen an. Freilich das Feuer brennt nur noch schwach, die Kraft der Liebe ist erloschen. Das Leben hat für ihn, den Liebling der Frauen, seinen Sonnenschein verloren, und mit 42 Jahren schließt er das Auge.
Seine Selbstbildnisse ergänzen diesen Lebenslauf. In fast allen Galerien kommen sie vor, und neben denen der Vlaamen wirken sie, als hätte ein Mensch aus ganz anderer Rasse sich in dieses derbe gesunde Volk verirrt. Matt und zart, ein wenig übernächtig ist die Gesichtsfarbe. Von vielen Küssen erzählen die feinen Lippen. Weiß und aristokratisch ist die Hand mit den rosigen, vom Manicur gepflegten Nägeln, das Haar verwirrt, als hätten Frauenhände darin gewühlt. van Dyck weiß, daß er schön ist, weiß, wie sehr ein schwärmerischer Canzoniere bezaubert, wenn er zur Abwechslung weltschmerzlich müde sich giebt. Selbst mit seiner Hinfälligkeit kokettiert er.
Dem entspricht seine Kunst.
van Dyck hat Bilder gemalt wie die Dornenkrönung und die beiden Johannes der Berliner Galerie, die wie Erzeugnisse des Rubens anmuten. Nur wird der hünenhafte, herkulisch wuchtige Eindruck, den er anstrebt, nicht als Kraft, sondern als Kraftmeierei empfunden. Sobald er genug gelernt, um der Formen und Farben des Rubens entbehren zu können, ging er seinen eigenen Weg. An die Stelle der Kraft tritt Delikatesse. Statt auf Dur sind die Bilder auf Moll gestimmt. Bei Rubens helle Fanfaren, ein leuchtend jubelndes Rot. Hier die weichen Laute des Violoncells, alles tonig und matt; ein Rot, das nie Purpur ist, sondern tiefkarmesin und über dem noch schwarze Florschleier wehen. Bei Rubens zwei Motive: Fleisch und Kampf. Hier zarte Körper und ergebenes Dulden. Keiner klagt laut, denn das Laute ist plebejisch. Keiner macht heftige Gebärden, denn nur elegante Posen sind im Salon erlaubt. Nie malt er Bauern, nie wüste Kirmessen, nie breites Lachen und Johlen, denn alles Rohe, Derbe ist ihm, dem Salonvlaamen, ein Greuel. Frauen beherrschten sein Leben, und Liebesbriefe an schöne Frauen, Erinnerungen an Schäferstunden scheinen seine Bilder zu sein.
Die Antike ist ihm verleitet, da Rubens sie zu einem Reich rohen, bacchischen Sinnentaumels machte. Nur eine Danae malt er – also die Liebe ohne brutale Berührung – und eine Diana, die mit Endymion überrascht wird: als wäre ein undelikater Eindringling zur falschen Zeit im Atelier des schönen Malers erschienen.
Aus dem Alten Testament greift er wie Rubens die Scene von der badenden Susanna heraus. Doch bei Rubens sitzt ein fettes Weib da, eine blonde, blauäugige, hellhäutige Vlämin. Sprühendes Rot und leuchtendes Weiß bestimmen koloristisch die Skala. van Dyck malt eine elastische, schwarzhaarige Italienerin, deren südlich dunkler Körper goldig aus tiefbrauner Landschaft aufleuchtet. Bei Rubens springt ein riesiger Athlet über die Mauer, um das Weib zu überwältigen. Bei van Dyck wahren beide Herren peinlich den Anstand. Einer streicht ihr zart den Arm. Der andere blickt ihr glühend ins Auge und schwört bei Amor seine Liebe.
Aus dem Neuen Testament und der Heiligenlegende hatte Rubens Scenen gemalt, die Gelegenheit gaben, Fleisch, Leidenschaft und weltlichen Prunk zu zeigen. Für van Dyck im Vordergrund stehen mystische Vermählungen. Mag es um Rosalie, um Hermann Joseph oder Katharina sich handeln, das Thema ist jene platonische Liebe, die, alles Plumpe meidend, desto sicherer die Herzen gewinnt. Oder er malt sich unter dem Bilde seines Schutzheiligen, des Antonius, dem die Madonna erscheint, malt sich noch lieber als Sebastian, da das Négligé dieses Heiligen so pikant ist. Er ist entkleidet. Nur ein weißes Tuch deckt seinen blassen, täglich in Essenzen gebadeten Körper. Schöne Frauen, während sie Sebastian betrachten, betrachten van Dyck und begegnen dem empfindsam warmäugigen Blick, den er sterbend noch ihnen sendet.
Freilich auf die Tage des Flirt folgen Tage der Müdigkeit. Wie Musset dann weltschmerzliche Gedichte machte, so ist van Dyck in solchen Momenten recht wehleidig und zu Tode betrübt. Er malt Christus, wie er einsam, vor nächtlich dunklem Himmel mit stillem Seufzer die Seele aushaucht. Keine brutalen Henker, wie auf den Bildern des Rubens, quälen ihn. Er stirbt ergeben, als Märtyrer der Liebe. Und die ihn umgebracht haben, beklagen ihn. Immer und immer wieder hat er die Beklagung Christi gemalt – schöne Frauen in wehem Schmerz über den Leichnam eines schönen Mannes gebeugt. Die altgeheiligten Stoffe des christlichen Kultus sind für ihn Tagebuchblätter aus seinem eigenen Leben. Da ist er kokett, dort lyrisch wehmütig, doch immer spielt er nur mit seinen eigenen erotischen und sentimentalen Empfindungen.
Zu seinen biblischen Bildern treten seine Bildnisse. Der Mann, der selber Herr Baron genannt wurde, war der geborene Maler der großen Welt. Wohl hat er auch als Porträtist seine Grenzen. Schroffen, eigenwilligen Charakteren stand er hilflos gegenüber. Obwohl es die Zeit des Dreißigjährigen Krieges ist, haben seine Männer nichts Soldatisches. Kein Lederkoller und keine Reiterstiefel tragen sie, sondern schwarzen Atlas und seidene Strümpfe. Nicht auf dem Schlachtfeld, nur auf glattem Parkettboden sind sie zu Hause. Mehr als zum Interpreten knorriger Männlichkeit war er zum Maler schöner Frauen geschaffen. In diese Bilder konnte er seine ganze Zärtlichkeit, die ganze Delikatesse seines Wesens legen. Von exquisitem Geschmack sind die schwarzen, mildweißen oder mildblauen Stoffe, die er für die Toiletten auswählt. Vornehm lässig sind die Bewegungen. Alle Köpfe entzücken durch die geheimnisvolle Sprache des Blickes, durch ein diskretes Lächeln, eine träumerische Melancholie. Mit feinem Empfinden für das ewig Weibliche verstand er in Frauenherzen zu lesen und ihre Wünsche, ihre Geheimnisse nachzufühlen. Da ein Zug von verfehltem Lebensglück, dort weiche Sinnlichkeit oder schmachtende Müdigkeit spielt um die Lippen. Auch die scheue Zartheit vornehmer Kinder und die aristokratische Blasiertheit junger Edelleute gelang ihm gut, da er dabei sein eigenes distinguiertes Wesen malte.
Oft scheint es sogar, als hätte er in dem Bestreben, recht vornehm zu erscheinen, einen gezierten, geckenhaften Zug in die aristokratische Welt getragen. Zur Zeit der Renaissance, als die neuen Staaten sich bildeten, gab es keine gesellschaftlichen Unterschiede. Alle waren gleich, die aus eigener Kraft sich über die Herde emporgehoben, mochten sie Fürsten, Dichter, Maler oder Gelehrte sein. Jetzt hatte sich die Trennung der Stände vollzogen. Geistesadel war nicht mehr mit Geburtsadel gleichwertig. Es wurde an den Höfen als eine Taktlosigkeit empfunden, als die Regentin Isabella Rubens, »einen Maler«, mit diplomatischen Missionen betraute. van Dyck ist stolz, in diese aristokratischen Kreise gekommen zu sein. Er empfindet es als hohe Ehre, wenn Karl I. an seiner Tafel speist, während Tizian nicht mit der Wimper zuckte, als Karl V. ihm den Pinsel aufhob. Und diese Eitelkeit, mit der er selbst den Grandseigneur spielt, giebt er den andern. Wie er selbst mit seinem sammtenen Mantel, seiner goldenen Kette, seiner wohlgepflegten, schwindsüchtigen Hand kokettiert, müssen es alle seine Grafen thun. An die Stelle der selbstverständlichen Vornehmheit von früher ist eine beabsichtigte Vornehmheit getreten.
Oder hängt diese scharfe Nuancierung des Aristokratischen damit zusammen, daß van Dyck in Genua und in England malte? Die Parallele mit Velasquez, dem schwarzen Ritter des mittelalterlichen Spanien, bietet sich dar. Die Fürsten, die Velasquez malte, haben noch nicht nötig, anderen durch schöne Posen und gewählte Kleidung imponieren zu wollen. Sie wissen gar nicht, daß es andere Kleider als solche aus Seide giebt, daß man andere Taschentücher als solche aus Brüsseler Spitzen verwenden könne. Sie brauchen nicht zu zeigen, daß sie blaues Blut haben, da sie eine nicht blaublütige Welt überhaupt nicht kennen. Die Menschen des van Dyck sind schon aufgeschreckt aus ihrer aristokratischen Ruhe. Genua geht seinem Ende entgegen. In England ballen drohende Gewitterwolken sich zusammen. Als Holbein da war, ließ der König einen Totentanz aufführen. Jetzt kommt das Volk und läßt seinen König tanzen. Und Karl I. fühlt es. So unternehmend er auf dem Bilde van Dycks erscheint – den Hut schief auf dem Kopf, das Bärtchen emporgekräuselt, die eine Hand kokett in die Hüfte gestemmt, in der anderen den Spazierstock, einen gleichgültig mokanten Zug um den Mund – sein Blick schweift unsicher fragend in die Ferne, wie in leiser Vorahnung eines kommenden Unheils. Alle ahnen, daß das Ende eines schönen langen Tages sich naht, daß der Plebejer anfängt, ihre Kreise zu stören. Darum sind sie so kühl und abweisend stolz. Darum spielt um ihre Lippen das verächtliche odi profanum volgus et arceo. Darum posieren sie mit ihrer Noblesse, zeigen ihr blaues Blut wie ein heiliges Symbol. Den wilden plebejischen Horden, die auf sie einstürmen, treten sie entgegen in ihrer ganzen entnervten aristokratischen Feinheit. Die Tatzen, die nach der Königskrone sich ausstrecken, wehren sie ab mit blaugeäderter weißer Hand. Dem Tode geweiht, wollen sie in Schönheit sterben. Bleu-mourant-Stimmung ist über alles gebreitet.
Der schöne lange Tag der alten aristokratischen Weltordnung naht seinem Ende. van Dyck war das Nachtgestirn. Bleich und blaß ist in seinen letzten Bildern die Farbe, als breite matter Mondschein sich aus. In Holland stieg die Sonne eines neuen Tages empor, die Sonne, die noch heute über der Erde leuchtet.