Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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4. Die Landschaft

Das Cinquecento hatte über Landschaftsmalerei ähnlich wie Winckelmann gedacht. Eine Zeit, die nur die mächtigen Formen des nackten menschlichen Körpers für schön hielt, hatte keinen Sinn für das Leben der Natur. Selbst von den Venetianern ging keiner auf den Bahnen Tizians weiter. Erst im 17. Jahrhundert, als der Bann der Antike gebrochen war, erwachte die Landschaftsmalerei zu neuem Leben.

Salvator Rosa, der Neapolitaner, war wie Caravaggio ein unruhiger, wilder Geist. Aus dem Priesterseminar entflohen, treibt er als Lautenspieler und Serenadensänger sich in den Winkelkneipen von Neapel herum. Dann beginnt er zu malen, wandert, ohne eine Akademie gesehen zu haben, mit Mappe und Farbenkasten in der Umgebung der Stadt umher, durchstreift die Wildnis der Abruzzen und der Capitanata, Apuliens, der Basilikata und Calabriens, zeichnet alle Punkte, woran große historische Erinnerungen sich knüpfen: die wild zerklüfteten Felsen des caudinischen Passes, wo das römische Heer sich der Gnade des Siegers ergab, die sumpfige Ebene am Volturno, wo Hannibals Krieger, vom Fieber gepackt, dahinstarben, die zackigen Kalksteinspitzen des Monte Cavo mit dem zerfallenen Felsennest Otranto, das 1480 die Türken zerstörten. Räubern in die Hände gefallen, setzt er, halb als Gefangener, halb aus Lust am Banditenleben, mit diesen zusammen seine Streifzüge fort.

Als alter Herr blickte er auf diese Abenteuer seiner Jugend wie auf einen wilden Roman zurück. Aus dem Briganten war ein Grandseigneur, aus dem Landschafter ein Historienmaler geworden. Er malte Schlachten und Reitergefechte, geschichtliche Bilder wie die Verschwörung des Catilina, gespenstisch phantastische Dinge wie Saul, dem der Geist Samuels erscheint; hielt in geistvollen Radierungen Scenen aus dem Volks- und Soldatenleben fest und schuf jene anderen Radierungen mit Centauren, Meernymphen und Seetieren, die so seltsam an den Größten unserer Tage, an Boecklin, anklingen. Aber das Gros seiner Galeriebilder sind Landschaften, und wie in jenen Radierungen mit Boecklin, berührt er sich hier mit den Jugendwerken Lessings und Blechens. Nicht die ruhige Majestät des Südens, nur abenteuerliche Felswände und zerklüftete Bergzacken, die zerbröckelnde Trümmerwelt der Abruzzen malt er. Nicht in heiterem Sonnenglanz sieht er die Natur. Mit mächtigen Wolken überzieht er den Himmel oder führt in die Einsamkeit felsiger Wüsten. Ruinen und verwetterte Bäume starren empor. Mächtige Eichen werden vom Sturm zerzaust. Drohendes Gewitter ballt über finsteren Schluchten sich zusammen. Bleierne Malariastimmung liegt über der ausgedörrten Erde, oder Blitze zucken aus schwarzen Wolken hernieder. Eine düstere Einsamkeitspoesie, etwas leidenschaftlich Ungestümes geht durch alle Werke. Auch darin ähnelt er den deutschen Romantikern von 1830, daß er durch die »Staffage« noch die Stimmung erläutert. Wie bei Lessing in Mönchen und Nonnen, in Rittern und Burgfräulein die elegische Stimmung der Landschaft ausklingt, sind Abenteurer, Banditen und Söldner die einzigen Wesen, die Salvators düstere Welt bevölkern.

Salvator Rosa ist in dieser Romantik im 17. Jahrhundert eine ganz vereinzelte Erscheinung. Bei ihm allein, dem Neapolitaner, herrscht wildes leidenschaftliches Feuer, bei allen anderen klassische Ruhe. Er allein wählt süditalienische Motive. Alle anderen malen Rom. Der Grund dafür liegt nicht nur darin, daß Rom der Mittelpunkt des Kunstschaffens war. Auch das Plastische der römischen Natur kam dem Geschmack entgegen. Eine Epoche, für die noch immer die große Historienmalerei im Vordergrund stand, konnte keinen Sinn für die traulichen Reize einer Landschaft haben. Man suchte erhabene Linien, plastische Formen. Die fand man in Rom. Das Albanergebirge mit seinen einsamen Seen und weiten Fernblicken, die Campagna mit ihren mächtigen Bauwerken und ernsten monotonen Bergzügen – das ist der Inhalt der »heroischen« Landschaften, wie sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts gemalt wurden.

Schon die Carracci trugen in einigen ihrer Werke dem großen landschaftlichen Zuge des Jahrhunderts Rechnung, In ihren Historien gelehrte Philologen, fühlen sie sich hier als Schöpfer. Etwas Unberührtes, sonntäglich Feierliches scheint in ihren Bildern über der Natur zu ruhen. Idyllisch – arkadisch wirken Albanos Werke: grüne Rasenflächen mit majestätischen Bäumen und schattigen Lauben, die er mit zierlichen Amoretten bevölkert. Ein vornehmer Herr, der mit seiner Maitresse auf dem Lande lebte, wirkt er wie ein Rokokomeister, der sich in die Barockzeit verirrte.

Freilich würden die Carracci sowohl wie Albano diese Dinge kaum gemalt haben, wenn nicht fremde Künstler ihnen das Auge geöffnet hätten. Diese Fremden, die oft jahrelang gedarbt, bevor sie die Pilgerfahrt nach dem Süden antraten, waren, in das Land ihrer Sehnsucht gelangt, weit mehr als die Einheimischen für die Schönheit der ewigen Stadt empfänglich. Die Morgenröte der modernen Landschaftsmalerei zieht herauf.

Von allen abseits, eine Größe für sich, steht Velasquez. Bei ihm giebt es weder Romantik noch Idealismus, weder Ruinenelegie noch majestätische Linien. Er sucht auch in Rom nur die kühlen, grünweißgrauen Farbenharmonien, auf die sein Auge gestimmt ist. Ein halbverwilderter Garten, ein weißschimmerndes Stück Architektur, ein paar Menschen und einige Marmorfiguren sind die Elemente seiner römischen Landschaften. Velasquez' italienischer Aufenthalt ist daher ohne Nachhall verlaufen. Er stand dem Empfindungsleben der Epoche zu fern. Wichtiger wurden die Anregungen, die von einem Niederländer und einem Franzosen, von Paul Bril und Nicolas Poussin, ausgingen.

Bril, von dem in den Galerien bunte kaleidoskopische Bildchen vorkommen, war zugleich ein Freskomaler großen Stils, und daß diese Fresken überhaupt gemalt wurden, ist für den landschaftlichen Zug des Zeitalters bezeichnend. Denn sie schmücken die Wände einer Kirche. Durch gemalte Säulenhallen schaut man auf ernste Berge hinaus. Durch weite Fernblicke sind enge Kapellen in ein lachendes Stück Welt verwandelt. Im Kirchenfresko schuf die moderne Landschaftsmalerei ihre ersten monumentalen Leistungen.

Poussin wird von den Franzosen der »Primitife« genannt, und mag er in seinen figürlichen Bildern als kalter Konstruktor erscheinen, in die Natur hat er mit den Augen des Primitifen geblickt – eine Art Mantegna des 17. Jahrhunderts: Gelehrter und Realist zugleich. Mitten in der Barockzeit schafft er aus den Trümmern der Antike sich die Malerei vom Fundament aus neu. In einer aufgerüttelten Epoche ist er von klassischer Ruhe; in einer Zeit, die malerisch dachte, le peintre le plus sculpteur qui fût jamais. Bittere Armut war seine Jugend gewesen, und als er endlich das Land seiner Träume betreten, konnte er von der ernsten römischen Natur sich nicht wieder trennen. Einfach, wie ein arkadisches Hirtenleben, verfloß sein Dasein. Am Tag arbeitete er in seiner Werkstatt auf dem Hügel der Trinità dei monti, von wo er weithin die Campagna überschaute. Abends durchstreifte er mit Gelehrten und Dichtern die Umgebung der ewigen Stadt, sog sich voll an der Natur, grübelte im Park der Villa Borghese über Vorzeit, Geschichte und Menschenlos, entwarf die Skizzen nach jenen Baumriesen, die auf seinen Bildern sich so majestätisch zum Himmel recken. Auch bei ihm giebt es nichts Intimes, nichts Heimliches. Seine Natur ist eine rein plastische, scheinbar seelenlose Welt. Nur Formen und Linien sieht er, betrachtet den Umriß eines Baumes mit denselben Augen, wie der Bildhauer die Silhouette einer Statue. Aber diese Majestät der Liniensprache ist so groß, daß sie allein seinen Landschaften eine ernste Feiertagsstimmung giebt. Eine von allem Kleinen, Dürftigen befreite Welt schafft er. All diese großen, edlen Bergzüge, diese gewaltigen Bäume und krystallenen Seen verbinden sich mit einfachen antiken Gebäuden zu Kompositionen von klassischem Schwung. Auch die Figuren sind mit den Naturelementen auf einen großen Accord gestimmt. Manche seiner Werke, wie den Prometheus des Louvre, dürfte der junge Boecklin gerne betrachtet haben.

Gaspard Dughet, Poussins Schüler und Schwager, brachte nichts Neues. Wohl gehören die Landschaften mit Scenen aus dem Leben des Elias und Elisa, die er für die Kirche San Martino ai Monti malte, neben den Werken Brils zu den bedeutendsten Kirchenfresken des Jahrhunderts. Aber es ist die Formel Poussins ohne seinen Geist. Selbst wenn er jene Stürme malt, die ihn besonders berühmt gemacht, fehlt die große getragene Harmonie des Meisters. Dagegen bringt der nächste Künstler Neues hinzu. Nachdem man anfangs den dauernden Charakter, die festen Linien, die ewige Ruhe der Natur gemalt, mußte man lernen, das Veränderliche, Wandelbare, die wechselnde Beleuchtung auszudrücken. Zu dem Formenrhythmus und der Linienpoesie mußte die Lichtstimmung treten. Gerade auf diesem Wege waren zu Beginn des 16. Jahrhunderts die entscheidenden Schritte gethan. Grünewald und Altdorfer hatten Beleuchtungseffekte wiedergegeben. Gerard Davids Bild des Gebetes Christi am Oelberg ist von mattem, bläulich weißem Mondlicht durchflutet, und in einem anderen Werk, der Gefangennehmung Christi, hat er die Wirkung des Fackellichtes gemalt. Von Italienern interpretierte schon Giorgione das Lampenlicht, malte den Blitz, der die Nacht durchzuckt, den feurigen Sonnenball, der sein Licht über die Erde gießt. Viele von Tizians, Savoldos und Tintorettos Bildern sind von den Strahlen der Abendröte und des Mondlichtes magisch durchleuchtet. Aber der Klassicismus hatte die Entwickelung unterbrochen. Erst das 17. Jahrhundert trat die Erbschaft dieser Alten an. Und kann man Poussin, den Formenkünstler, nur als Franzosen sich denken, so erscheint Elsheimer in seinem ganzen Wesen als Deutscher. Ein Enkelschüler Grünewalds und mit einer Schottin verheiratet, war er berufen, der erste große Stimmungsmaler des 17. Jahrhunderts zu werden. Die Macht des farbigen Tons tritt wie in den Tagen Ossians der klaren Formenplastik entgegen. Die robusten gewaltsamen Helldunkelwirkungen Caravaggios verklären sich zu poetischer Zartheit.

Wohl hat auch Elsheimer keine eigentlichen Landschaften gemalt. Er bevölkert die Natur mit Gestalten der Bibel. Aber das Verhältnis der Figuren zur Landschaft ist ein anderes als bei den früheren. Ihre Kunst war eine Abart der Historienmalerei. Sie fanden in der Bibel Scenen, die in einer Landschaft spielten, und suchten in der Umgebung Roms die Naturelemente, die sie zur Anfertigung ihrer Epen brauchten. Elsheimers Werke entstehen durch einen anderen psychologischen Vorgang. Was er zuerst sieht, ist die Naturstimmung, und die Natur belebt sich mit Wesen, die in diese Welt gehören. Die Grundstimmung der Landschaft ergiebt das Thema der Scene.

Ganze Tage lag er, wie Sandrart erzählt, in sinnender Betrachtung vor schönen Bäumen, prägte ihre großen Formen so lange sich ein, bis er mit geschlossenen Augen sie ebenso deutlich wie mit offenen sah. Dieser Zug still träumerischer Naturbeobachtung geht durch alle seine Bilder. Die Umgebung Roms mit ihren ruhigen Bergzügen, ihren edlen Baumgruppen und idyllischen Thälern malt er. Aber er sieht nicht nur den stilvollen Ernst ihrer Linien. Bald ist Mittagslicht, bald weiche Morgendämmerung, müdes Abendrot oder bleicher Mondschein über die Erde gebreitet. Ja, er tritt schon an das Problem der double lumière heran. Silberne Sterne funkeln, Häuser brennen, Pechfackeln rauchen. Das Licht eines Wachtfeuers durchzuckt glutrot die Nacht. Namentlich die Flucht nach Aegypten veranlaßte ihn zu ähnlichen Varianten, wie sie später Domenico Tiepolo gab. Unzähligemal, in allen Beleuchtungen, hat er sie gemalt. Auf dem Bilde der Dresdener Galerie liegt volles Mittagslicht über der Landschaft. Auf dem der Münchener Pinakothek ist es Nacht. Vorn schreitet Joseph mit leuchtender Fackel neben Maria, weiter hinten sitzen Hirten unter mächtigen Bäumen um ein Feuer geschart. Vom Himmel gießt der Mond in stiller Pracht sein mildes silbernes Licht hernieder.

Zwischen Poussin, dem Vollblutfranzosen, und Elsheimer, dem Deutschen, steht, Linienkünstler und Lichtmaler zugleich, ein Lothringer: Claude Gelée. Mit Poussin teilt er das Gefühl für das Majestätische, die Anschauung, daß eine Landschaft nur der Schauplatz eines historischen Ereignisses, der Wohnplatz von Heroen und Göttern sein könne. Und rein zeichnerisch betrachtet, scheinen seine sämtlichen Werke Varianten eines einzigen Bildes. Im Vordergrund ist eine mächtige Baumgruppe oder ein Tempelbau vorgeschoben, um das Auge in die Tiefe hinauszuziehen. Den Hintergrund schließt ein klassischer Höhenzug ab. Kaum daß diese Stücke, die er immer wiederholt, leise in ihren Stellungen wechseln. Doch das Licht, das zwischen den Dingen wogt, ist zu jeder Stunde des Tages verschieden. Und wie Elsheimer immer wieder die Flucht nach Aegypten, Hokusai hundert Ansichten des Berges Fuji, Claude Monet zwölfmal die gleichen Heuschober malte, so konnte daher auch Claude zeitlebens die nämlichen Tempel, die nämlichen Baumgruppen darstellen, und es wurde doch stets ein anderes Bild. Nachdem Salvator den Kampf und die Verheerungen der Elemente, Poussin die starre Linienschönheit der Natur, Elsheimer den Zauber des Mondlichtes gemalt, besang Claude die Wunder der Sonne, den mächtigen Himmelsdom, der früh in kaltem Silberglanz, mittag wie flüssiges Gold, abends wie Purpur strahlt. Man stellt ihn sich gern vor, wie er als armer Bursche planlos das Elternhaus verlassen und in der Fremde umherirrend zum ungeheuren Himmel hinaufblickt; stellt ihn sich vor, wie er als wandernder Geselle in Venedig an den Lagunen steht und dem rieselnden Sonnenlicht folgt, das auf den Wogen spielt und über die Kolonnaden marmorner Paläste huscht. Denn in Venedig fand er sich selbst. So oft er später römische Monumente oder den Hafen von Messina, Neapel, Tarent gemalt hat – es scheint über seinen Bildern eine Erinnerung an Venedig zu ruhen, die Lichtstadt, wo er auf seiner Reise geträumt. Erst William Turner, im 19. Jahrhundert, hat wieder so jubelnde Hymnen auf das Licht gesungen.


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