Richard Muther
Geschichte der Malerei. IV
Richard Muther

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III. Flandern.

8. Rubens

Von Spanien führt der Weg nach Flandern. Denn Flandern war im 17. Jahrhundert eine spanische Provinz. Gerade hier hatten die Religionskriege gewütet. 1566, das Jahr des Bildersturmes, bezeichnet den Höhepunkt protestantischer Macht. Psalmen singend zogen die Puritaner durch die Straßen, drangen in die Dome und Klöster, verbrannten und zerstörten, was sie an Kunstwerken fanden. In drei Tagen waren 400 Kirchen und Kapellen verwüstet, die Straßen mit zerschlagenen Marienbildern, den ehrwürdigen Erzeugnissen flandrischer Kunst, bedeckt. Darauf folgte der Rückschlag. Die konservativen Elemente trennten sich von den Stürmern und Drängern. Alba erschien in Brüssel und nahm das Land in seine eisernen Fäuste.

Flandern wurde im Norden die feste Burg des Jesuitismus. Spanische Hofluft wehte über den Boden. Der Erzbischof [gemeint ist: Erzherzog] Albert und seine Gemahlin Isabella, die Tochter Philipps II., die das Land als Lehen der spanischen Krone verwalteten, errichteten aller Orten Kirchen und Klöster. Scharen ausländischer Priester ließen wie ein schwarzer Heuschreckenschwarm sich nieder.

Man würde also in Flandern eine ähnliche Kunst wie in Spanien erwarten: eine Kunst, die düsteren Fanatismus mit dem heißen Odem schwärmerischer Glaubensinbrunst eint. Doch das Gegenteil findet man. Die Kirchen haben nicht die schwüle Stimmung, das mystische Halbdunkel, das in den spanischen herrscht. In riesige Prunksäle glaubt man zu treten. Ueppig festlicher Glanz, goldschimmernder Luxus strömt entgegen. Und inmitten dieses strahlenden Festgepränges hängen ebenso üppige, lärmend rauschende Bilder. Dort düster braune, hier leuchtend rote, jubilierende Farben. Dort Askese und Schwärmerei, hier sinnliche Berauschung; dort weltabgewandte Mystik, hier safttriefende Lebenskraft; dort die Abtötung des Fleisches, hier vollblütiges, von Gesundheit berstendes Epikuräertum.

Fast unbegreiflich erscheint das nach der puritanischen Prüderie, mit der die Gegenreformation begann. Damals wurde den Künstlern verboten, Nacktes darzustellen, damit sie »Gott nicht beleidigten und den Menschen ein schlechtes Beispiel geben«. Selbst die geschlechtslose Nacktheit auf Michelangelos Jüngstem Gericht erschien so anstößig, daß die Gestalten bekleidet wurden. Auf den Bildern der flandrischen Maler fluten nackte Menschenleiber daher, und diese Leiber sind fett, quammig, quappig. Die Kunst der Gegenreformation, die mit dem Verbot des Nackten begann, endete mit der Apotheose des Fleisches. – Anfangs wurden die antiken Statuen aus der Öffentlichkeit verbannt oder – soweit sie nicht nackt waren – durch Veränderung der Attribute in christliche Heilige verwandelt. Die Künstler mieden ängstlich, das Gebiet der Antike zu betreten. Die flandrischen Maler verkehren fast mehr mit den Göttern und Göttinnen des Olymp als mit den Heiligen der Kirche, verwenden Antike wie Christentum, jubelnde Hymnen auf das Fleisch zu singen. Und vor kein Inquisitionstribunal ruft sie die Kirche, wie sie mit Paolo Veronese es gethan, sondern giebt lächelnd ihren Segen. Der Katholicismus der Gegenreformation, anfangs so unerbittlich starr, wird in Flandern eine lustige Religion, die nicht für die Seele nur, auch für die fleischlichen Bedürfnisse ihrer Kinder sorgt.

Man kann zur Erklärung dieser seltsamen Erscheinung darauf hinweisen, daß der Geist der Gegenreformation in Flandern mit dem sinnlichen Temperament eines derben genußfreudigen Volkes zu rechnen hatte. Noch in erster Linie kommt der Zeitunterschied in Betracht. Die Kunstentwickelung von 1560 bis 1650 illustriert die Geschichte der Gegenreformation. Anfangs, als die Reform begann, war die Kirche in Gefahr. Jetzt ist ihre Herrschaft glanzvoller als je wiederhergestellt. Aus der ecclesia militans ist die ecclesia triumphans geworden. Namentlich die Unterwerfung Flanderns war ein erstaunliches Ergebnis zielbewußter jesuitischer Thatkraft. Dieser Triumph des Katholicismus spiegelt in den Werken der Barockzeit sich wider. Durch Kampf zum Sieg. Erst zu Caravaggios und Riberas Zeiten waren die Bilder ernst, finster, trotzig. Jetzt sind sie festlich, jubelnd, repräsentierend. Mit klingendem Spiel zog der Jesuitismus, seinen Sieg verkündend, durch Flanderns Gaue. Er fürchtete die Kunst nicht. Denn sie hatte ihm bei seiner Bekehrungsarbeit wichtige Dienste geleistet. Schneller als das Schwert es vermocht hätte, hatte man die Geister gewonnen, indem man dem puritanischen Eifer der Bilderstürmer den benebelnden Pomp katholischen Festgepränges entgegensetzte. Auch der Humanismus, dessen Ausschreitungen einst den Anstoß zu der großen Bewegung gaben, war nicht mehr gefährlich. Die Kirche gewann nur, wenn sie wieder als Beschützerin der Wissenschaften sich zeigte. So tritt die Gegenreformation, nachdem sie anfangs sich in Gegensatz zur Renaissance gestellt, nun das ganze Erbe hellenischen Renaissancegeistes an.

Der Maler, dem die Erbschaft in den Schoß fiel, heißt Rubens. Er war im Großen, was im 15. Jahrhundert Ghirlandajo, im 16. Rafael war. Nicht zu den suchenden Geistern gehört er, die neue Probleme aufwerfen, nicht zu denen, deren Werke Seelenbekenntnisse sind. Er gehört zu den Künstlern, die das Ergebnis einer langen Kunstentwickelung zusammenfassen. Und wenn in Veronese die Renaissance, in Murillo die Gegenreformation ausklingt, war es Rubens' That, daß er diese beiden, bisher getrennten Welten, Gegenreformation und Renaissance versöhnte.

Die Kunst der Gegenreformation war, gerade weil sie die Sinnlichkeit verfehmte, in den Distrikten der Seele angelangt, wo sich die widernatürliche Vegetation der Gedanken verzweigt. Sie ist pervers, die Sinnlichkeit des Antonius, der das Christkind umarmt; pervers, die Sinnlichkeit des Mönches, der die unbefleckte Maria anschwärmt. Nach diesem Zustand hysterischer Ueberreizung führte Rubens der Kunst wieder den hellenischen Sensualismus, die Gesundheit zu. Sein ganzes Schaffen ist wie eine große Reaktion auf das Dogma der unbefleckten Empfängnis. Die Gegenreformation hatte aus dem Sinnlichen etwas Uebersinnliches gemacht. Rubens reißt ihr die Tartuffemaske vom Gesicht, führt die Sinnlichkeit auf ihr eigenes Gebiet zurück. Es ist kein Zufall, daß er so gern die Leidenschaften der Tiere malt: Löwen, Tiger und Leoparden, Eber und Wölfe. Denn er hat selbst etwas von einem schönen, kraftstrotzenden Tier, steht wie ein Zuchthengst neben Wallachen. In eine Zeit überhitzter Phantasiethätigkeit sprengt er wie ein Centaur herein, wie eines jener Urweltswesen, die mit dem Menschenkopf den Pferdeleib, die ganze Kraft, Wildheit und sinnliche Begehrlichkeit des Tieres einen. Statt der Entsagung malt er die Leidenschaft, statt der psychischen Ekstase die überschäumende physische Kraft. Den erregten Visionen der Frömmler setzt er die gesunden Begierden der Tiere, der spirituellen Erotik der Theresa von Jesu den Sinnenrausch des Naturmenschen entgegen. In dem Lande, wo die Religion das meiste Blut hatte fließen lassen, feiert ein Maler die ewige Zeugungskraft der Natur. Sein Auftreten bezeichnet in der Geschichte der Malerei einen ähnlichen Moment, wie ihn die Kunst hundert Jahre vorher durchmachte, als auf die Askese der Savonarolazeit der Triumph der Sinnlichkeit folgte. Nur erscheinen alle Werke von damals zahm und gesittet gegenüber der Orgie, die nun begann. Gerade die unfruchtbaren seelischen Exaltationen, in die der Neukatholicismus verfiel, hatten die Sinnlichkeit fieberhaft erregt. Darum ist es jetzt, als sei plötzlich ein Hafenwerk zerstört, so elementar schäumt sie auf, alles überflutend und niederreißend, mit der Kraft der Naturgewalt.

Die Kirmes des Louvre und jene Gesellschaftsstücke, die er »Conversations à la mode« genannt hat, enthalten die Einleitung seines Oeuvre. Auf dem Kirmesbild haben Männer und Weiber, nicht in der Wirtsstube oder vor der Thür des Wirtshauses, sondern auf weitem offenen Feld sich zu einer wilden Orgie vereint. Da hat einer in wüstem Tanz den Arm um den Bauch eines Weibes geschlungen, dort hebt einer seine Partnerin johlend empor, dort klammert sich einer an sie, preßt sie mit Arm und Bein, mit Brust und Mund, dort hat ein anderer seine Tänzerin niedergeworfen. In den vornehmen Kreisen geht es gesitteter zu, doch das Thema ist gleichfalls die Liebe. Vor einer Fontäne mit einer weiblichen Statue, deren vollen Brüsten dicke Wasserstrahlen entquellen, haben Damen und Herren sich niedergelassen. Da hält sich ein Paar tanzbereit umschlungen, dort spielen junge Männer die Laute, dort kommen schöne Frauen, von Amoretten umgaukelt, heran. Die Santa Conversazione der Renaissance ist zur Conversation à la mode geworden. Und mit diesen beiden Bildern kennt man den ganzen Rubens. So wie diese Menschen sind, wollten sie ihre Heiligen. Obwohl Rubens' Thätigkeit alle Gattungen der Kunst umfaßte: Religiöses und Mythologisches, die Landschaft, das Bildnis und Tiere, hält doch ein Band alles zusammen: die warmblütige lodernde Sinnlichkeit, die alles durchwogt. Nachdem man so lange sich in hysterischer Sehnsucht verzehrt, war das Bedürfnis, mit urkräftigem Behagen quammig quappiges Fleisch in die Arme zu schließen, so riesengroß, daß bei aller scheinbaren Verschiedenheit der Bilder das Thema im Grunde stets das nämliche ist: die Apotheose des Fleisches.

Sehr erbauliche Eigenschaften sind demnach in Rubens' religiösen Bildern nicht zu suchen. All die zarten, feinen Empfindungsnuancen, die die alten Meister in solche Werke hineinlegten, sind ihm fremd. Nur den Sinn für das Derbe hat er, für das Massige, sinnlich Strotzende. Wo man sonst gewohnt ist, Stimmung und Seele zu finden, sieht man bei Rubens nur athletische Schaustellungen und fettes Menschenfleisch. All seine heiligen Frauen sind so fleischgewaltig, haben so fett ausladende Formen, daß man wenig an ihre Heiligkeit glaubt. All seine heiligen Männer sind kolossale Gesellen, die mehr durch athletische Muskelkraft, als durch psychische Hoheit imponieren. Der Geist des Christentums hat sich dermaßen in sein Gegenteil verkehrt, daß die alte Lehre von der Abtötung des Fleisches durch Gestalten von denkbar größter Körperfülle ausgedrückt wird.

Aus dem Alten Testament greift er nur Scenen wie das Bad der Susanne oder die Bewältigung Simsons heraus, die Gelegenheit zur Vorführung üppiger Frauenkörper geben oder durch Kampf und Mord seinem stürmischen Sinn behagen. Maria, in der spanischen Kunst das junge Mädchen, das unbefleckt empfängt, ähnelt hier mehr der Aphrodite Pandemos. Ein dicker Fruchtkranz, den pausbackige dralle Engel um das Bild schlingen, steigert noch die saftig sinnliche Wirkung. Sind statt Marias andere Heilige – Magdalena, Cäcilia, Katharina – dargestellt, so bedingt dieser Namenwechsel keine Veränderung der Charaktere. Es ist immer dieselbe üppige Brabanterin mit dem stark dekolletierten knisternden Seidenkleid. Wie er die Anbetung der Könige nur liebt, weil sie Gelegenheit giebt, Pomp und Pracht zu entfalten und Sonnenstrahlen auf damastenen Roben schillern zu lassen, bleibt er beim bethlehemitischen Kindermord, wo es um Herzeleid, um dumpfe Verzweiflung sich handelt, fleischfroher Sinnenmensch. Die Kreuzigung Christi bietet die Möglichkeit, heroische männliche Körper in der vollen Kraftentfaltung ihrer Muskeln zu malen. Der auferweckte Lazarus ist ein robuster Athlet, den der Aufenthalt im Grab nicht angriff, und seine Schwestern zeigen auch bei diesem Anlaß ihre mächtigen Formen. Wie hier von den Mysterien des Todes, merkt man bei den reuigen Sündern, die vor dem Heiland sich neigen, nichts von Reue und Buße. Christus ist ein schöner Mann mit edlen Gebärden, Magdalena eine üppige Sünderin, deren Zerknirschung nicht tief geht. Selbst das Jüngste Gericht, in das die alten Meister die ganze Gläubigkeit ihrer Kinderseelen legten, ist für Rubens nur eine Cascade von Menschenleibern, giebt ihm Gelegenheit, mit nackten Körpern zu jonglieren, sie in die Luft zu streuen wie ein Riese, der einen Bottich mit kolossalen Fischen entleert.

Die Antike braucht nicht notwendig ein Reich der Sinnlichkeit zu sein. Als Mantegna hundert Jahre vorher seine antiken Werke malte, versuchte er mit wissenschaftlicher Strenge, das Bild der altrömischen Welt wiederherzustellen: ihre Architekturformen und Gewänder, ihre Gerätschaften und Gebräuche. Ihm, der mit dem Verstand sich in das Land der Griechen versetzte, standen die Romantiker gegenüber, die es mit der Seele suchten. Für Piero di Cosimo war Griechenland ein versunkenes Zauberreich, das Land der Hexerei und der Abenteuer. Botticelli bleibt als Jünger Savonarolas auch in antiken Bildern christlicher Maler. Nicht der betäubende Duft der Rosen Aphroditens, sondern Klosterstimmung weht aus seinen Bildern. Man kann sich seine Venus vorstellen, wie die stille Maria auf feierlichem Throne sitzend und mit kalten weißen Blumen bekränzt. Dann folgen die Bilder Correggios und Sodomas, die auf die Gestalten der Antike das zitternd erotische Empfindungsleben der Leonardozeit projicieren. Weiter die Werke der Hochrenaissance, die auch der Antike majestätischen Adel geben. Man hat vor Tizians Bildern das Gefühl, in hellenischen Thermen zu weilen, wo edel vornehme Gestalten sich in klassischer Ruhe bewegen. Dann ein Scenenwechsel. Poussin, als Nachfolger Mantegnas und Vorläufer Schinkels, sucht mit allen Hilfsmitteln seiner riesigen Gelehrsamkeit, die Architektur und das Kunstgewerbe der Alten wiederherzustellen. Ribera und die anderen Maler von Märtyrerbildern entdecken, daß es bei den Griechen schon Märtyrer, Geschundene und Gefesselte gab. Die Antike des Rubens ist ein großer Fleischerladen.

Ueber die Stoffe, die er schildert, ist ein Buch geschrieben. Es wird nachgewiesen, daß in den 280 Bildern ziemlich alle Scenen behandelt sind, die bei Homer, Virgil und Ovid, bei Plutarch und Livius vorkommen. Doch die Liebesmüh' der Wissenschaft ist verloren. Auch die Antike schätzt er nur, weil er an dem gesunden kräftigen Leben weiblicher Körper sich freut, weil sie neue Möglichkeit bietet, sich in sprudelnder Kraft, in stürmischen Bewegungen zu ergehen. Man wollte Fleisch sehen, nach all dem übersinnlichen Schmachten, all der mystischen Verzückung von früher. Darum kennt er keinen Unterschied der Typen. Keine majestätische Juno giebt es, keine elastisch schlanke Minerva, keine herbe keusche Diana. Dieselben dicken Heroinnen mit strohgelben Haaren, wasserblauen Augen und mächtigen Hüften kehren immer wieder. Fett, drall und würzig ist Venus, ebenso fett aber ist Diana, die jungfräuliche Göttin der Jagd, als sei sie mehr gewohnt, sich auf schwellenden Polstern zu räkeln, als den Wurfspieß in der Hand den Hirsch zu verfolgen. Auch daß bei ihm, so viele Venusbilder er malte, nie die einfach auf dem Lager ruhende Venus vorkommt, wie die Renaissance sie darstellte, ist bezeichnend. Wunschloses Ruhen war kein Thema für Rubens. Nur in Bewegung, nur von Leidenschaft durchglüht, konnte er den üppigen Körper brauchen. Jupiter naht der schönen Antiope, Amazonen kämpfen, die Dioskuren entführen die Töchter des Leukipp, Centauren sprengen durch die Landschaft, das Weibchen verfolgend, Satyrn überfallen die Nymphen der Diana. Diese Satyrbilder, die das Thema »Und in wütendem Erglühen hält der Faun die Nymphe fest« in immer neuen Varianten vorführen; die Bacchanalien, die das Thema Trunkenheit und Wollust in fortissimo behandeln, bezeichnen den Gipfel dessen, was Rubens als Verherrlicher stürmischer Sinnlichkeit gab. Ungeheure Massen kolossaler Weiblichkeit breiten sich aus. In zügelloser Lust pressen sich die aufgeschwemmten Körper aneinander. Bacchische Paare, in wild sinnlicher Verschlingung, stürmen daher. Auf die Hysterie von früher ist die Satyriasis gefolgt.

Die allegorischen Bilder unterscheiden sich von den mythologischen nur durch den Titel. Er malt die vier Weltteile, wie sie durch Liebe vereint zusammensitzen, von kraftstrotzenden Tieren und den Symbolen der Fruchtbarkeit umgeben. Er modelt ein historisches Thema wie das Leben der Maria von Medici derart um, daß es gleichfalls ein Hymnus auf Menschenfleisch wird. Hier schildert er eine Zeit, die er selbst mit erlebt, Vorgänge, die ihn diplomatisch beschäftigten. Trotzdem läßt er nicht durch Kostüme sich binden, hält sich nicht an den geschichtlichen Stoff, sondern setzt den Olymp in Bewegung. Mitten in die Versammlung der historischen Persönlichkeiten mischen sich nackte Genien, Götter und Göttinnen. Wassernixen rudern das Schiff der Königin, und dralle Putten tragen ihr die schwere, brokatene Schleppe. Nackt ist, das versteht sich von selbst, die »Wahrheit«, die der Gott der Zeit emporhebt; in üppiger Nacktheit aber prangen auch die düsteren Parzen, die den Lebensfaden der Königin spinnen.

Die Landschaften bieten dazu die Ergänzung. Weder bestimmte Naturausschnitte malt er, noch giebt es eine arme Natur und zarte verhaltene Töne. Wie er als Historienmaler nur das Fleischige, Fette liebt, nur die beiden Pole von überquellender Sinnlichkeit und wütendem Kampfe kennt, hat er die Natur nur in fetter Behäbigkeit oder in Momenten der Erregung, wenn elementare Kräfte sich entladen, gemalt. Eine Kuh wird im Vordergrund eines seiner Münchener Bilder gemolken. Ihre fetten, bis zum Bersten geschwollenen Euter symbolisieren die Stimmung, die über der Erde ruht. Auf dem anderen Bild steht ein Regenbogen am Himmel. Der Kampf der Elemente ist vorbei. Alles glänzt von Feuchtigkeit. Die Bäume freuen sich wie dicke Kinder, die ihr Frühstück erhalten haben. Andere Landschaften werden in Windsor, in Wien und Florenz bewahrt. Da ist die Gewalt der Elemente entfesselt. Wütender Sturm rast über mächtige Wipfel, und Blitze zucken aus gewitterschwangeren Wolken hernieder. Die Wasser treten aus ihren Schranken, alte Bäume, gewaltige Stiere fortreißend. Oder er erzählt von dem berauschenden Entzücken der Erde, wenn befruchtender Regen auf sie fällt, von dicken Rindern, die zur Weide getrieben werden, von vlämischen Bäuerinnen, die mit reifen Getreidegarben über den fetten brabantischen Boden schreiten. Leidenschaft und Befruchtung, Brunst und Entladung sind die Themen.

Ist von Rubens' Bildnissen die Rede, so denkt man zuerst an Helene Fourment, die würzige Blondine, die er 1630 heiratete. Denn es ist bezeichnend für diesen Meister, daß er mit 53 Jahren noch ein 16jähriges Mädchen zur Frau nahm. Nicht minder bezeichnend, daß Helene es wurde. In ihr fand er den Genius seiner Kunst. Viel Gedanken haben in dem animalischen Köpfchen nicht gelebt. Aber gesund ist sie, vollblütig, lebenstrotzend – ein echter Rubens. Und wie er eine Frau heiratete, die aussah, als ob er selbst sie gemalt hätte, malte er die anderen, als ob sie in Helenens Familie gehörten. Mögen es Aristokraten oder Gelehrte, Herren oder Damen sein, alle sind sie voll blühenden strotzenden Lebens, von überquellender vollblütiger Kraft. Obwohl sie die pomphaften Gewänder des 17. Jahrhunderts tragen, scheinen sie in paradiesischem Urzustand zu leben: nicht angekränkelt von der Blässe des Gedankens, mehr Körper als Seele, mehr animalisch als spirituell. Selbst die Persönlichkeiten, die er 1628 am spanischen Hofe malte, haben nicht den welken Reiz absterbender Geschlechter. Den müden Philipp IV., die kalte Isabella von Bourbon, den bleichen Ferdinand macht er zu frischen, frohen, gesunden Menschen. Wie in den Historien verkündet er als Porträtmaler die Lehre, daß physische und geistige Gesundheit das höchste Gut des Menschen sei.

Unsere Zeit kann solcher Gesundheit nicht sich rühmen. So muten Rubens' Werke fremder als die der übrigen Meister des 17. Jahrhunderts an. Wir sind zu sehr an kleine feine Reize gewöhnt, um dieses ewige Fortissimo zu vertragen. Wir sind zu schwächlich, zu nervös, als daß dieser grobe tierische Sinnentaumel uns mehr als erschrecken könnte. Aber wir verstehen geschichtlich, daß nach einer Zeit schwüler cerebraler Erotik ein solcher Rückgang zur gesunden Sinnlichkeit folgen mußte. Und daß Rubens selbst sein Schaffen so auffaßte, beweisen die Worte, die er über die Thür seiner Werkstatt setzte: Mens sana in corpore sano.


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