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Utz und Lamprecht standen bei sechs Banken in der Kreide. Das war nicht immer so. Es hatte eine Zeit gegeben – die junge Firma war damals gerade gegründet worden – da war es umgekehrt: Die Bank stand bei der Firma in der Kreide. Der alte Lamprecht war immer ein Feind der Zinsen gewesen. Sie waren ihm unheimlich: »Wenn schon Zinsen, dann lieber solche, die ich bekomme.«
Man hatte ihn ausgelacht. Furcht vor Zinsen sei rückständig. Banken seien dazu da, bei ihnen in 215 der Kreide zu stehen, sie würden sonst im Kapital ersticken. Und wenn man bescheiden dafür zinse, erziele man mit dem geliehenen Kapital einen im Vergleich damit – –
»– – unbescheidenen Gewinn,« hatte er ergänzt. Er hatte nicht gelacht dabei. Mit der Zinsangst war's ihm ernst: Es hätte einen Sinn gehabt, daß die Päpste ein halbes Jahrtausend lang nicht nur allen Zins verboten, sondern das Verbot auch in der ganzen Christenheit durchgesetzt hätten. Die hätten schon gewußt, warum. Vielleicht nicht wissenschaftlich, aber mit dem sicheren Gefühl der Fingerspitzen für das Unwägbare hätten sie im Zinsen eine dunkle Gewalt erkannt, die sich mit keinen erklügelten Gründen rechtfertigen lasse – –
»Oho! Und die Arbeitstheorie des Zinses, die Abstinenztheorie, die Produktivitätstheorie und Nutzungstheorie, he?« war man mit einem nationalökonomischen Trommelfeuer über ihn hergefallen.
Er hatte sich abgewandt und schweigend in den Schützengraben seiner Tagesarbeitslast zurückgezogen.
Und über ihn hinweggegangen waren die Wirtschaftsschlachten der Nationen. Als sich der Pulverdampf verzogen hatte, ließen sich im Streusand der Granaten festgestampfte Zeichen innerhalb der Hauptbuchkonten Utz und Lamprecht unterscheiden:
Utz und Lamprecht standen bei sechs Banken in der Kreide.
216 Revisor Peter Trumm, der Bankenabgesandte, hatte einen düsteren Geheimbericht erstattet.
Generaldirektor Lamprecht stand vor einem schweigenden Ausschuß seiner Kreditorenbanken. Ihm war eingefallen: Die beste Verteidigung ist der Angriff. Also begehrte er vor dem schweigenden Konsortium auf:
»Verantworten soll ich mich? Bin ich denn ein Angeklagter?«
»Er hat nicht unrecht mit der Frage,« meinte gelassen der älteste der Bankleute, der den Vorsitz führte. »Angeklagt in erster Linie sind wir selbst, meine Herren. Jeder von uns hat sich gerissen um eine Firma, wie es Utz und Lamprecht ist –«
»War,« schaltete eine Stimme ein.
»War oder ist – das ändert nicht die Schuld. Hat einer von Ihnen die Firma gefragt: Haben Sie noch andere Bankkredite?«
»Was sie wahrscheinlich nicht gehindert hätte, ›nein‹ zu sagen.«
»Und uns nicht hätte hindern dürfen, in einer meinetwegen geheimen Rundgangsliste die Beträge einzuzeichnen, die wir Utz und Lamprecht jeweils kreditierten. Hundert gegen eins, meine Herren: Vor der Summe hätte uns geschaudert – – hätten wir uns schon vor fünf Jahren bekreuzt. Damals wäre es noch nicht zu spät gewesen.«
Zu spät – da war's gesagt.
217 Der Vorsitzende wandte sich an Richard Lamprecht: »Sie haben den Revisionsbericht gehört, Herr Lamprecht. Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Aus dem Handgelenk kann ich das natürlich nicht. Man müßte mir den Bericht erst einmal zu lesen geben –«
»Damit Sie sich geschickt Punkt um Punkt herausreden könnten. Es hat schon einen Sinn, sich Zug um Zug zu äußern, Herr Lamprecht. Ungeschminkter kommt die Wahrheit auf den Tisch.«
Richard Lamprecht hatte sich gefaßt. Er begann ruhig von der Gründungszeit zu sprechen.
»Die ist in Ordnung,« unterbrach man ihn. »Wär sie 's nicht, wir hätten nicht Sie, sondern Ihren ehrenwerten Herrn Vater vorgeladen. Uns interessiert die Zeit, da die Leitung der Firma in Ihren Händen lag.«
Er verbeugte sich verbindlich.
»Wie Sie wollen. Auch damit kann ich dienen. Zwangsläufig wäre ich ja sowieso darauf gekommen –« Er schilderte geschickt den Aufstieg. Vorher habe der deutsche Landmaschinenbau besonders im Ausland nicht allzuviel bedeutet. Daß es heute anders sei, nehme er als sein Verdienst in Anspruch, als Verdienst der Firma Utz und Lamprecht.
Es seien Fehler gemacht worden auf dem steilen Weg nach oben, das gestehe er offen ein. Alle diese Fehler habe der Revisor Trumm sehr geschickt 218 gebündelt dem Ausschuß überreicht. Aber Fehler auf dem Wege zur Höhe seien doch anders zu bewerten, als Fehler schlechthin. Man müsse diese Fehler gewissermaßen als Kinderkrankheiten beurteilen – –
Er merkte, wie er an Boden gewann.
Wenn nur der Mann im Vorsitz nicht den ernsten Blick aus den erbarmungslosen blauen Augen so in ihn hineingebohrt hätte.
»Wenn Sie damit sagen wollten, daß die Firma Utz und Lamprecht jetzt erst –«
»– ihre Kinderschuhe ausgetreten habe? Ja, das wollte ich damit sagen,« erklärte Richard Lamprecht.
Das Jünglingsalter stünde nun bevor. Und das welterobernde Mannesalter werde unweigerlich kommen, wenn einem im entscheidenden Augenblick nicht von einem Gremium die Möglichkeiten aus der Hand geschlagen werde.
»Sie wollen uns also gewissermaßen zum Störenfried stempeln?« fragte der Mann mit den erbarmungslosen Augen.
Es war kein guter Geist, der Richard Lamprecht die Worte in den Mund gab: »So ungefähr ist es. Wir werden diese – diese Schönheitsfehler schon überstehen –«
»Schönheitsfehler.« Der alte Herr im Vorsitz schlug mit der Faust auf den Tisch. »Die 219 Bilanzfrisur, als ihr Euern ersten größeren Bankkredit dringend brauchtet, will ich noch dafür gelten lassen, obwohl auch unsere Väter und Vorväter dafür einen andern Namen hatten – grobe deutsche Namen, die nicht mehr modern sind. Aber die lange Kette all der mehr als zweifelhaften Dinge, die dann später in den Räumen Ihrer Firma gang und gäbe und zuletzt heimisch wurden –«
»Welche Dinge meinen Sie?«
»Hier sind sie – – Herr Trumm hat sie gewissenhaft verzeichnet.«
»Ein Federfuchser,« sagte Richard Lamprecht gereizt.
»Hier ist der Federfuchser,« kam eine Stimme hinter Richard Lamprecht hervor und ließ ihn sich erschrocken umdrehen. »Was wünschen Sie von mir, Herr Lamprecht?«
Dem Generaldirektor verschlug's sekundenlang den Atem. Dann faßte er sich und stotterte:
»Nicht hier, Herr Trumm – nachher – unter uns –«
»Wir sind unter uns,« erklärte der Vorsitzende hart. »Das ›Unter uns‹ im Sinne unserer Väter aufgefaßt. So, wie Ihr 's verbogen habt, umgebogen habt in ein Getuschel hinter Privatkontortüren, umgefälscht habt in ein heimliches Augenzwinkern und in ein schamloses Klopfen auf Euer Provisionsscheckbuch – das war 's ja, was die 220 Geschäftsmoral herunterbrachte. Das war's, was dem alten ehrbaren Kaufmannsgeist den Rat gab, sich ins Hinterstübchen eines Altenteils zu verkriechen, weil er nicht wendig genug sei für Eure beweglichen Praktiken. Damit aufzuräumen, meine Herren – zunächst bei einer Firma – deshalb sind wir heute zusammengekommen – nicht aber, um alles ausgehen zu lassen wie das Hornberger Schießen.«
Beifall folgte den erregt hinausgestoßenen Worten. Richard Lamprecht stand blaß und aufrecht vor dem Konsortium.
»Meine Herren, der Name Lamprecht hat einen europäischen Klang zu verteidigen –«
»Ich bin der Meinung, daß der Klang des Namens Flamm noch weiter trägt.«
»Flamm ist nur ein Angestellter der Firma.«
»– dessen geniale Erfindungen den Erdball umspannen.«
»Umspannt haben.«
»Über die Dauer beider Spannungen kann man sich täuschen, Herr Lamprecht.«
»Ich bin noch Generaldirektor der Firma Utz und Lamprecht. Und es könnte geschehen, daß mit meinem Rücktritt eine ganze nationale Industrie zusammenbräche –,« fuhr Richard Lamprecht auf.
»Besser ein Zusammenbruch als Fortbestand mit beflecktem Firmenschild.«
Röte stach in sein Gesicht.
221 »Ob das auch die Meinung der Bankaktionäre ist, wenn durch unseren Zusammenbruch die Aussicht auf die Bankendividende –«
»Was geht das Sie an? Sie sind der Letzte, der sich anmaßen dürfte, sich zum Schützer unserer Dividenden und unserer Aktionäre aufzuwerfen.«
Eine Stunde später war das Protokoll aufgesetzt. Genau wurde Richard Lamprecht der Weg vorgeschrieben. Scharf und hart waren die Bedingungen. Ihm blieb nur eine Wahl: Anzunehmen, oder die Kredite fielen. Mit ihnen die Firma und er selbst.
Am Schluß hieß es: »Als Kontrollinstanz bestimmen wir einen Mann, der mit der Firma aufgewachsen ist und von unten her alle ihre Teile getreulich durchlief: Franz Lohmann.«
Da bäumte sich Richard Lamprecht noch einmal auf: Der ehemalige Lehrling sollte –?
Unbarmherzige Augen zerschnitten seinen Einwand.
Es blieb ihm nichts weiter übrig, als Ja zu sagen – –