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Der junge Lamprecht kämpfte. Kämpfte mit verbissenem Willen und zäher Entschlossenheit. Er sah seinen Weg klar vor sich. Und der Weg führte steil nach oben. Führte von der breiten, behaglichen Straße hinweg – – hinauf in Höhen, wo man nicht mehr in Reih und Glied mit tausend andern wandelt, wo man auf sich allein gestellt ist und mit gespannten Muskeln Sturm und Wetter Trotz bietet in der unerschütterlichen Gewißheit, Sieger zu sein und zu bleiben.
68 Der junge Lamprecht war gewachsen in den letzten Monaten. Er hatte die Führung an sich gerissen und gab sie nicht mehr her.
Er setzte den Bau des neuen Verwaltungsgebäudes durch.
»Unter einer Bedingung,« hatte der alte Lamprecht gesagt.
»Bewilligt, Vater,« hatte der junge Lamprecht nachsichtig gelächelt.
»Du kennst doch die Bedingung noch gar nicht, Richard.«
»Sie wird nicht unerfüllbar sein.«
»Möglich. Du kannst das Verwaltungsgebäude bauen – – aber ohne mich.«
Richard Lamprecht sah seinen Vater etwas erstaunt an.
»Wie soll ich das verstehen?«
Der Alte deutete auf ein kleines Haus.
»Aber, Vater, das ist doch – –«
»– – jetzt die Wohnung des Torhüters, ja,« nickte Heinrich Lamprecht. »Vielleicht erinnerst du dich noch daran, daß du darin zur Welt kamst und daß ich darinnen gearbeitet habe.«
»Aber – –«
»Baut und laßt mich zufrieden.«
Das Verwaltungsgebäude wurde gebaut.
Von weit her kamen sie und gingen frisch durchs Tor, wo Männer in goldbelitzter Livree sie begrüßten, 69 wie man Potentaten begrüßt – und nahmen sich vor, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen. Und kamen zerknittert wieder heraus und sahen aus, als gingen alle Drähte, die in dem Hause elektrisch allen Fortschritt und allen Komfort des neuen Jahrhunderts in unzählige Apparate leiteten, durch die eigenen Körper. Und wußten nicht, ob man den Goldbelitzten Trinkgelder geben dürfe oder abgelegte mittlere Herzogtümer.
Und stotterten etwas von Errungenschaften und Strömen kulturellen Segens, die aus diesem Hause sich ins Land ergießen würden, wo so viel noch im Rückstand sei – und stolperten über zwei Paar Kanonenrohrstiefel, die gemächlich auf der marmorleuchtenden Freitreppe einen Bauernschritt nach dem andern setzten.
»Verzeihung, meine Herren – –«
»Mir san koane Herr'n – – mir kemman von drauß'n und b'suchen d' Freundschaft in der Stadt.«
»Die Freundschaft? Wie lustig,« gewannen die Zerknitterten ihr Selbstbewußtsein wieder gegenüber so viel ländlicher Unbekümmertheit und wiesen auf die strahlenden Bauten. »Da scheint ihr aber mit euerm Freundschaftsbedürfnis an der falschen Stelle gelandet zu sein, gute Leute.«
Der alte Bauer kraute sich den Hinterkopf.
»Is uns selber schon so fürkommen – – is epper dös der Palast vom Herrn König?«
70 Treuherzigkeit erzeugt belehrende Überlegenheit: »Da habt ihr recht – – in seinem Fach ist er ein König.«
»Nachher san mir falsch, Vatter,« sagte der junge Bauer. »Dem alten Senserer hamma Grüßgott sag'n woll'n.«
»Senserer? Was ist das für ein Mann?«
»Der wo halt früher die Sensen g'macht hat.«
»Vor Urzeiten, ehe die Maschinen kamen, hat die der alte Lamprecht allerdings gemacht.«
»Lamprecht sagst d'?« blitzten alte Bauernaugen unterm starren Spießhaufen der Augenbrauen. »Jetzt san mir beinand. Des is er ja, den wo mir brauchen.«
»Besuche sind auf Zimmer 53 anzumelden,« sagte ein Goldbelitzter mit etwas mitleidiger Herablassung. »Darf ich die Herrschaften bitten?« – und schob Vater und Sohn in ein ebenerdiges Zimmer.
Dort saßen sie geduldig zwischen Mahagonitischen und aufgeschlagenen Fotobüchern und wagten nicht die Augen aufzuheben, bis ein kurzbejacktes, silberverbrämtes Bürschchen ihnen Block und Bleistift überreichte und die auszufüllenden Rubriken erläuterte. »Hier, Ihre Namen, bitte – – hier, woher und wohin – – hier Zweck und Absicht des Besuches – – und hier die Nummer der gewünschten Abteilung. Wir haben siehenunddreißig Abteilungen.«
71 »Was hast d'?«
»Wir haben siebenunddreißig Abteilungen,« warf sich unter Betonung des Wir der Silbrige in die Hühnerbrust, als sei er der Befehlshaber aller 37 Abteilungen.
»Mir brauch'n koan Abteil – – den Lamprecht brauch'n mir.«
»Erst müssen die Rubriken ausgefüllt werden, sonst kann es die Empfangszentrale nicht weiterleiten.«
»Nacha läuten S' eahm halt, 'm Lamprecht – – mir warten scho'.«
»Ich bedauere sehr, Ihren Wünschen in dieser Formlosigkeit nicht entsprechen zu können. Ich habe diesbezügliche Anweisung von Herrn Lamprecht junior.«
»Aha, der Junior – – des is sei Sohn – – weißt, Xaver, mit dem hast g'spielt beim Landaufenthalt vom Lamprecht vor a dreißig Jahren oder so, wie euch alle zwoa noch der Hemmadzipfel beim Hosenträträ rausg'standen is – – dös wirst do no wiss'n.«
»Ich schon, Vater – – aber ich glaub, der junge Herr Lamprecht wird's nimmer wissen wollen – –«
Der Silbrige wippte ungeduldig mit dem Block.
»Wenn die Herrschaften also weder schreiben wollen noch sonst einen Anhaltspunkt haben – –«
72 »G'schrieb'n hab ich eahm vorigen Mittwoch – – dem Postillon von Haselstetten hab ich's selber mitgeb'n, d' Kart'n.«
Durch ein kleines Schiebefenster sah schon eine ganze Weile ein altes Buchhaltergesicht. Jetzt knallte das Fensterchen auf.
»Paul, du bist ein Rindvieh,« sagte der alte Zipperer. »Das ist doch der Ploderer aus Haselstetten, einer unserer allerältesten Kunden, dem wir Steyrersensen geliefert haben, als dein Großvater noch in den Windeln lag.«
Der Silbrige wand sich wie ein kleinglitschiger Weißfisch, ein beleidigter: »Aber ohne schriftliche Unterlage darf ich weder dem alten noch dem jungen Herrn Lamprecht – –«
»Unterlage? Schön, werden wir gleich haben – bleibt nur sitzen, Leute. Gelt, ihr kennt mich noch?«
Der alte Bauer hatte ihn scharf ins Auge gefaßt: »Sie san der Zipperer – – der Herr Zipperer, der uns allweil ein bissl g'stupft hat, wenn 's gar zu lang dauert hat, bis d' Rechnung zahlt war. Gell, i kenn mi aus.«
Während Vater und Sohn ausgiebig lachten, hatte Zipperer schon den Hörer am Ohr.
»– – Landkorrespondenz, Provinz 17 – – Ploderer. Haselstetten. Karte vom letzten Mittwoch – – sofort durch Kugelpost auf Besuchszimmer drei.«
73 Das Bauernlachen war verstummt. Baß erstaunte Bauernaugen wurden groß und rund, als sich überm Mahagonitisch eine Klappe auftat und in sanftem Schwunge auf zwei Schienchen eine Messingkugel in Zipperers Hand rollte. Der tat mit verborgenem Druck die Kugel in zwei Hälften auseinander – – auf dem Tisch lag eine Postkarte mit einer mühsamen Bauernschrift.
»So,« sagte Zipperer. »Und nun, Paul, führ die beiden Herren hinüber zum alten Herrn Lamprecht.«
Da stand auf einmal Richard Lamprecht im Zimmer.
»Oder noch besser zum jungen,« lächelte er. »Sie verstehen, Zipperer, daß ich meinem Vater gern etwas von seiner Arbeit abnehme.«
»Wenn ich nicht irre, wäre es Ihrem Herrn Vater ein Vergnügen – –«
»Mir auch,« unterbrach ihn Richard Lamprecht. »Der alten Kundschaft sieht man gern einmal ins Auge. Kommen Sie, meine Herren, ich werde Sie selbst führen.«
»Mir san koane Herr'n. Mir kemman von drauß'n. Mir b'suchen d' Freundschaft in der Stadt.«
Richard Lamprecht lachte.
»Freut mich. Kommen Sie nur.«
»Wenn Sie sein Sohn san – –«
74 »Der bin ich.«
»I hätt Ihnen nimmer kennt, seitdem daß Sie als Hemmadlenz mit meim Xaverl g'spielt ham, wissen S' des no?«
»Nicht mehr so genau,« lachte Richard Lamprecht und überflog die Karte des Ploderer. Und lachte noch mehr. »Danke, Zipperer. Ist sehr amüsant, die Sache – – die Karte muß ich unbedingt heute abend im Klub zeigen.«
Zipperers Stirn war umwölkt.
»Verzeihung, Herr Lamprecht, es war bisher nicht üblich, die Korrespondenz der Firma im Klub herumzureichen.«
»Die Entscheidung darüber müssen Sie schon mir überlassen, Herr Zipperer.« Er wandte sich an die beiden Bauern. »Sie schwanken also, Herr Ploderer, ob ihr eure alten Sensen durch eine neuzeitliche Mähmaschine ersetzen sollt.«
»Wenn's die überhaupt gibt und net bloß a amerikanischer Schwindel is.«
»Erfunden wurde sie von uns Deutschen, mehr gebraucht allerdings wird sie drüben in Amerika – – unsere Bauern sind eben noch furchtbar rückständig,« meinte der junge Lamprecht.
Der alte Bauer blieb im Gehen plötzlich stehen.
»Rückständi, moanst d'?« knurrte er. »Ob des net seinen guten Grund hat?«
75 »Gewiß, die großen Flächen drüben sind für die Maschinen mehr geeignet – –«
»I mein net die großen Flächen.«
»Und der Amerikaner ist für Neuerungen überhaupt viel – – viel aufgeschlossener.«
»Herr Richard, vernagelt san mir auch net.«
Lärm und Getöse brach in die Reden. Der ungeheure Zwangslauf der Werkstätten, der keinen Aufenthalt duldete, preßte seine Schraubstockbacken um die beiden Bauern und ließ sie nicht mehr los.
Die beklemmenden Wunder des laufenden Bandes drangen auf sie ein. Ihnen war, als rolle dieses satanische Band durch ihre eigenen Bauernseelen. Die hallende Gießwerkstatt übersternte sie mit Funkensprühen. Die Regimenter von unendlich aufgereihten Erntemaschinen sahen sie aufmarschieren. Ein rasselndes Mähmaschinentier fegte über einen Versuchsrasen.
Ploderer, der Sohn, war begeistert. Sagen konnte er nichts. Man sah aber das Brennen in ihm: Fortschritt! Fortschritt!
Ploderer, der Vater, sagte auch nichts. Was in ihm lohte, sah man nicht. Grau verschattet hielt er seinen Bauernlangschädel gesenkt.
»Wissen Sie, was diese Maschine für euch bedeutet?« bohrte der junge Lamprecht. Und schrie durch das Tosen um sie her: »Das bedeutet, daß ihr 76 künftig nicht mehr schon sechs Uhr an der Arbeit stehen müßt!«
Eine zugeschlagene Tür dämpfte den Lärm.
»Um sechs Uhr?« wiederholte der alte Bauer verächtlich. »Mir san um viere bei der Arbeit, und mein Vater hab i selten später aufstehn seh'n als umara dreie.«
»Um drei Uhr?« ereiferte sich Richard Lamprecht. »Das ist doch Menschenschinderei.«
»So, moanst d'?« grollte es rätselvoll aus dem riesigen Brustkasten des alten Bauern. »Moanst net, es kunnt was anders aa sei?«
»Was denn anderes?« kam es überlegen zurück.
»A Gnad, junger Herr, a Gnad – – vom Herrgott a Gnad.«
Der junge Lamprecht lächelte dem jungen Ploderer zu.
»Er macht Witze, der Herr Papa, was?«
»I woaß net,« sagte Xaver unsicher.
»Schön. Jedenfalls wissen Sie, Ploderer, und es ist gut, wenn Sie sich 's merken: Wenn ihr die Sense in die Rumpelkammer schmeißt, wohin sie heute gehört – – und sie durch eine Mähmaschine ersetzt, so genügt es künftig, wenn ihr morgens um acht Uhr anfangt. Dann werdet ihr immer noch viel früher fertig als bisher. Na, was sagt ihr dazu?«
Jetzt war es der junge Bauer, der sich den Kopf kraute.
77 »Schön wär's scho – – arg schön, gell, Vatter?«
Sein Vater gab ihm keine Antwort. Er sah den alten Lamprecht über den Fabrikhof kommen. Auf den ging er zu. Er begrüßte ihn nicht. Schüttelte ihn nur an den Schultern und schrie ihn an:
»Sperr s' zua, dei' Fabrik – – sperr s' zua. Sunst werd'n ma hi – – du und i und alle mitanand werd'n ma hi!«