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Tante Theresens Lebensgeschichte, soweit sie für uns in Frage kommt, d.h. vom Anfang ihres Endes an, beginnt mit dem Tode ihres Neffen Willy, der jetzt 32 Jahre alt ist, und den ich kennen lernte, nachdem Tante Therese eine Woche lang in der Erde lag.
Willy war als sehr junger Mensch, als Waise der verstorbenen Schwester Tante Theresens und als alleiniger Erbschaftsprätendent der guten Tante in die weite Welt hinausgefahren – nach Wild-Westamerika. Da er eine gute Erziehung genossen hatte, schrieb er der untröstlichen Tante alle 14 Tage eine Ansichtspostkarte, und wenn er sehr nötig Geld brauchte, auch wohl einen Brief.
Aber Tante Therese dachte sich: Man muß so junge Leute nicht verwöhnen. Wenn man sie durch Geldmittel unterstützt, ihren leichtsinnigen Neigungen zu fröhnen – denn wozu sollte ein junger Mann anders Geld haben wollen? – so führt sie das zu Zügellosigkeit und Völlerei, zu der eine nahe Anverwandte und fromme Christin nie und nimmer die hand reichen darf. Da nun diese Erwägungen in Tante Theresens Naturveranlagung, ihre Schätze beisammen zu halten, auf daß Neffe Willy fereinst ein möglichst großes Kapital von ihr ererbe und sie daher um so länger in treuem Angedenken halte, wirksam ergänzt wurden, sah sie den Briefträger allemal lieber Postkarten als Briefe aus Amerika bringen: denn sie hatte ein gutes Herz, das ihr sehr weh tat, wenn sie sich sagte, daß jeder Brief von Willy der Vater einer bitteren Enttäuschung für den armen Jungen sei. Tante Therese weinte also bei jedem Brief Willys eine Zähre, die sie auf eine Postanweisung tröpfeln ließ, die allmählich nur noch aus einem großen, bitteren Fleck bestand, da sie stets die gleiche nahm in dem Entschluße zu helfen, ohne aber jemals daruf zu kommen, daß Entschlüsse bei manchen Leuten mitunter zu Taten führen.
Indessen wütete Willy in Amerika gegen Tante Therese. Er hatte ein Verhältnis mit einer sehr niedlichen kleinen Indianerin, der er für Lebenszeit einen tödlichen Haß gegen alles was Tante heißt in das unverdorbene gelbbraune Herz pflanzte. Je öfter er nichts bekam, um so öfter schrieb er nicht, sodaß allmählich seine Korrespondenz gegen Tante Therese ein Ende nahm.
So verging Jahr über Jahr. Willy ging von Wild-Westamerika nach Wild-Ostafrika – aber Tante Therese wußte nichts davon. Als sie ihr Ende herannahen fühlte, schrieb sie ihm einen zärtlichen Brief, er möchte sich doch mal wieder melden. Aber die kleine Indianerin sickte ihm den Brief nicht nach, erstens, weil sie seine Adresse in Wild-Ostafrika nicht kannte, zweitens, weil er sie verlassen hatte und sich nun doch sicher mit einer kleinen niedlichen Niggerin amüsierte. Der Brief ging also zurück.
Tante Therese weinte daraufhin die Postanweisung ganz voll, machte ein Testament, in dem sie ihr Vermögen dem Missionsverein zur Bekehrung heidnischer Indianer und Neger vermachte, und meldete dem Gericht ihren Neffen Willy als verschollen an. Das forderte ihn bei Strafe der Tot-Erklärung auf, sich zu melden, was er aber nicht tat, weil ihm seine kleine Niggerin gerade ein Paar allerliebste Mulatten-Zwillinge schenkte, und ihm seine verdoppelte Vaterfreude keine Zeit ließ den Deutschen Reichs- und preußischen Staatsanzeiger zu lesen. So machte das Gericht nach einem Jahr seine Drohung wahr – und seitdem war Willy offiziell tot.
Tante Therese, die sich solange noch mühsam aufrecht gehalten hatte, glaubte dies nicht überleben zu dürfen und starb deshalb.
Aber Willy hatte kurz vorher eine Ahnung nach Europa zurückgetrieben. Als er Tante Theresens geradeverblichenen Leichnam sah, rannte er eilends aufs Gericht, um die Erbschaft zu reklamieren. Man bewies ihm jedoch, daß er einige Tage vorher gestorben war, und daß eine Leiche, sei sie noch so lebendig, keinen Anspruch auf Tante Theresens Geld habe.
Ein Bekannter, der von meinem Interesse für Erbtanten gehört hatte, schickte Willy zu mir.
Der Unglückliche kam. Ich konnte ihm natürlich wenig Hoffnung machen. Da ich aber fürchtete, zu große Bemühungen seinerseits könnten vielleicht doch Erfolg haben und dadurch meine Erbtanten-Unsterblichkeits-Theorie umwerfen, gab ich ihm mein bisher gesammeltes Material, das sich in diesem Buche findet, zu lesen.
Natürlich gab Willy daraufhin jeden weiteren Versuch auf, noch etwas von Tante Theresens Geld zu kriegen. Ich aber versprach ihm, damit er wenigstens etwas habe, den Reinertrag der Erbtante Therese, d.h. den fünfundzwanzigsten Teil oder 4% vom Reinertrag dieses Buches.
An den Leser ergeht daher im Interesse meines jetzigen Freundes Willy die dringende Bitte, für recht massenhaften Verkauf meines Erbtanten-Werks wirken zu wollen.
Bin ich nicht ein guter Mensch?