Erich Mühsam
Die Psychologie der Erbtante
Erich Mühsam

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Tante Miriam

Ich bin den Geschwistern Florian und Adele Listig aufrichtig dankbar, daß sie Tante Miriams Absicht, ihren leiblichen Neffen Max, Florians und Adelens Vetter, zum Erben ihres gesamten Eigentums zu machen, hintertrieben. Hätten sie es nämlich nicht getan, so wäre meine Lehre widerlegt gewesen.

Max war ein guter Junge, und er liebte seine Tante ehrlich. Ein Unglück war, daß er nicht am gleichen Ort wohnte, sondern eine Tagereise davon. Würde er wie Florian und Adele in derselben Stadt, ja in derselben Straße gewohnt haben wie sie, dann würde er nicht um die schöne Erbschaft gekommen sein, auf deren Drittel er so bestimmt gerechnet hatte.

Daß Florian und Adele ihre Tante Miriam liebten, konnte man nicht behaupten. Immerhin aber besuchten sie sie häufig, erkundigten sich nach ihrem Wohlergehen und taten auch sonst alles, was erbschleicherische Neffen und Nichten dem Besitz einer Erbtante zuliebe zu tun pflegen. Tante Miriam aber hatte ein offenes Auge – das andre hatte sie sich mal mit einer Stricknadel ausgestoßen –, und so wußte sie zwischen ihren Bruderkindern Florian und Adele und ihrem Schwestersohn Max wohl zu unterscheiden.

Darum verfügte sie in ihrem letzten Willen, daß Max ihr Universalerbe sein solle, sofern er, der gut katholisch war, am Tage ihres Begräbnisses bereits zu ihrem –mosaischen – Glauben übergetreten sei.

Sie starb – urplötzlich an einem Schreck, den ihr Florian und Adele in mörderischer Absicht eines Tages einjagten, indem sie mit einem im Chor gesprochenen »hep, hep« zu ihr ins Zimmer traten.

Noch ehe Tante Miriams Leiche einen Sarg erhalten hatte, gingen die Bösen ans Gericht und ließen erbschaftslüstern das Testament öffnen. Da hatten sie nun die Bescherung. – Ätsch!

Daß, wo sie nichts bekamen, auch ihr bevorzugter Vetter Max leer ausgehen mußte, war für die beiden klar. Aber wie ihn darum betrügen?

Den Tod der Tante verheimlichen konnten sie nicht, den würde er sicher gleich von andrer Seite erfahren. Von der Bestimmung nichts schreiben, ging auch nicht an. Denn sie wußten, daß Tante Miriam oft in Max' Gegenwart davon gesprochen hatte, daß sie dem Erben für das Begräbnis Bedingungen stellen würde. Er würde also fragen. Da kam Florian auf einen gescheiten Gedanken. Er schrieb Max einen verwandtschaftlich gehaltenen Beileids- und Glückwunschbrief, in dem er Tante Miriams Verfügung mitteilte, aber dahin änderte, daß der Übertritt zum Judentum nicht bis zum, sondern am Tage des Begräbnisses zu erfolgen habe. Als Tag des Begräbnisses, schrieb er, sei der nächste Sonnabend, früh 8 Uhr festgesetzt. Donnerstag abend erhielt Max das Schreiben. »Aha«, dachte er, »ihr meint, bis morgen um 8 Uhr ist das nicht zu machen. Wo steht denn: vor dem Begräbnis? Am Tage des Begräbnisses heißt doch: bis zum Abend!« Er kaufte sich also zwei Trauerflore, band einen um seinen Cylinder, den andern um den linken Ärmel und fuhr zur Trauerfeier.

Sonnabend früh fand die Beerdigung pünktlich statt, und sie war sehr feierlich.

»Nun«, fragte nachher Florian seinen Vetter, »alles erledigt?«

»Noch nicht«, erwiderte dieser mit schmerzlich-bewegter Stimme. »Ich werde jetzt zum Rabbiner gehen.« Wenn er aber geglaubt hatte, Florian und Adele würden protestieren, so irrte er.

Sie gaben ihm freundlich darin recht, daß der Begräbnistag bis zum Abend dauere, und wünschten ihm viel Vergnügen zur Beschneidung.

»Ich habe sie doch verkannt«, murmelte Max, als er zur nächsten Synagoge eilte. – – –

»Wo haißt?« kreischte der Rabbiner Israel Hersch, als ihm Max sein Anliegen vorgetragen hatte, »an Schabbes beschneiden? – Sind Se meschugge? Sind Se betorre? – Alle meine Ssores in Ihren Hals, wenn ich Se soll beschneiden an Schabbes ßu Gesund! – Kommen Se wieder, wenn nich is Jontef!« –

Florian und Adele Listig saßen schmierig lächelnd am Fenster, als Max betrübt daran vorbeischlich. Der aber verklagte seine Onkelkinder wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen, was ihm ein tüchtiges Stück Geld für Gerichtskosten wegschwemmte, denn die beiden, die allerdings zu einem Verweis verurteilt wurden, hatten nichts, und die Bedingung der Tante war nun einmal nicht erfüllt. – –

Max verzichtete daher auf allen Tantenglauben und wurde antisemitischer Reichstagsabgeordneter.


 << zurück weiter >>