Alexander Moszkowski
Ernste und heitere Paradoxe
Alexander Moszkowski

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Eine mögliche Unmöglichkeit.

Als ich junger Studio war, sah ich beim Professor Dove ein erstaunliches Experiment: der berühmte Gelehrte brachte in einer rotglühenden Metallschale blankes, flüssiges Quecksilber zum Gefrieren! Er erzeugte also den höchsten Kälte-Effekt auf Grundlage der höchsten Hitze. Seitdem stand es bei mir felsenfest, daß es eine physikalische Unmöglichkeit nicht geben könne.

Selbstverständlich mit einer einzigen Ausnahme: Niemand kann über den eigenen Schatten springen. Mancher hat es aus Spaß probiert oder in einer naiven Anwandlung, wie ein Kind das Händchen ausstreckt, um den Mond zu greifen. Tatsächlich gilt auch der »Sprung über den Schatten« seit Jahrhunderten als das Symbol für das in alle Ewigkeit Unmögliche. Und als ich vor einiger Zeit ein Buch herausgab, das sich mit den äußersten Unlösbarkeiten des Denkens beschäftigte, wußte ich für meine Schrift keinen besseren Titel als jenes Symbol »Der Sprung über den Schatten«.

Und nun kommt die große Überraschung: Auch dieser Sprung kann in einem einzigen ganz absonderlichen Fall ausgeführt werden. Und wenn er auch bis heut niemals erlebt wurde, so ist er doch ganz leicht vorstellbar. Kein Professor hat das herausgefunden, sondern ein nachdenklicher Soldat, der mir seine scharfsinnige Idee in wenigen Worten mitteilte. Ich werde freilich etwas weiter ausholen müssen, um diesen unerhörten Sprung allgemein verständlich zu beschreiben.

Wer führt den Sprung aus? Den Sprung über den eigenen Schatten?

Der Held des Abenteuers ist ein Ski-Läufer, dem die Sonne senkrecht auf den Kopf scheint. In deutschen Landschaftsgebieten kann ihm dies niemals passieren, weil in unseren Zonen eine derartige Sonnenstellung nicht vorkommt. Wohl aber in den Tropen, nahe am Äquator; und die Natur hat ja dort auch für ausgedehnte Schneeflächen gesorgt: unser Ski-Läufer braucht nur in die Kordilleren zu reisen oder zum Kilimandscharo in Afrika, dort findet er beide Bedingungen vereinigt: den Schnee und eine Sonne, die ihre Strahlen senkrecht herabfeuert.

Der Mann auf Schneeschuhen saust einen schrägen Bergabhang hinunter und bemerkt im letzten Augenblick zu seinem Entsetzen, daß ein reißendes Gebirgswasser ihm den Weg versperrt; er muß hinüberspringen auf den jenseitigen Abhang, um drüben bergauf sein Heil zu gewinnen. Und in diesem einen Augenblick hat sich das Schattenwunder ereignet. Solang der Läufer talwärts fuhr, sah er seinen eigenen Schatten beständig vor sich auf der Bergwand; denn die gestreckte Form des gleitenden Schneeschuhs zwingt ihn ja in die senkrechte Stellung gegenüber dem Abhang, und während er hinabsaust, verfolgt er sozusagen seinen eigenen Schatten, der vor ihm dahinrast. Aber in dem Moment, wo er die jenseitige Wand erspringt, kehrt sich der Vorgang um: Seine Stellung zu den Sonnenstrahlen hat sich vollständig verändert, ebenso wie die Richtung seiner Augen, die nun bergauf blicken; mit andern Worten: sein eigener Schatten liegt ihm im Rücken, und da diese plötzliche Umkehrung als unvermeidliche Folge des waghalsigen Sprunges auftrat, so ergibt sich mit aller Deutlichkeit der Tatbestand: Unser Abenteurer ist gradeaus über seinen eigenen Schatten gesprungen!

Ganz genau ausgedrückt: wenn ein Schneeläufer bei solchem Sonnenstand solchen Satz riskiert, so fliegt sein Schatten unter seinem Körper hinweg nach der entgegengesetzten Seite.

Was zu beweisen war. Und so bewahrheitet sich wieder einmal Hamlets unvergängliches Wort: »Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt«; denn in der Schulweisheit kommt nichts davon vor, daß das Unmögliche, aller Menschenerfahrung zum Trotz, möglich werden kann.


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