Salomon Hermann Mosenthal
Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben
Salomon Hermann Mosenthal

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Raschelchen

Wenn Raschelchen durch die Straßen huschte und, an die Häuser gedrückt, sich plötzlich wie ein Schatten in der Tiefe eines Hausflurs verlor, so schauderten die Vorübergehenden und warfen einen wehmüthigen Blick auf das Haus, in dem sie verschwand. Sie wußten, daß dort eine blühende Jungfrau, eine glückliche Mutter oder eine würdige Matrone im Sterben lag; denn nur dann verließ Raschelchen ihre Kammer im Dorf neben dem Friedhof, verrichtete am Sterbelager die Todtengebete und wusch und kleidete die Leichen an. Deshalb nannte man sie in der Gemeinde »den Todtenvogel«; wie die Möve den Sturm, so verkündete ihr Erscheinen den Tod, es war, als ob ihr Finger das geheimnisvolle Mal an die Hausthüre zeichnen müsse, damit der Todesengel wisse, wo er einzukehren habe.

Raschelchen war eine siebenzigjährige Greisin, wenigstens schien sie es zu sein. Die Gestalt war klein und gebückt, über dem gefurchten, bleichen Gesicht schloß ein schwarzes Band sorgfältig die Haare ein, nach jüdischer Vorschrift; eine Haube mit verblaßten gelben Bändern war auch zur Winterszeit ihre einzige Kopfbedeckung; ein alter seidener Shawl, der zwischen grün, gelb und graulich spielte, ward von den dürren Händen vorn zusammengefaßt. Dabei schüttelte oder nickte sie beständig mit dem Kopfe wie im Selbstgespräch, sah keinen der Vorübergehenden an und grüßte Niemanden, als ob sie wüßte, daß ihr Gruß als böses Omen gälte. Und doch hatte ihr Blick nichts von dem Stechenden, das gewöhnlich dem »bösen Blick« (Ajin hora) zugeschrieben wird; ihr Auge war wie von einem grauen Schleier verdeckt. Der Schleier, wie ich mir später erzählen ließ, war aus Thränen gewoben!

Es fiel mir manches Mal auf, daß Raschelchen bei dem huschenden Gang zu Sterbenden in ihren dürren Fingern Blumen trug, die sie vorsichtig unter ihrem Tuch zu verstecken suchte. Selbst zur Winterszeit sah ich sie einmal heimlich in den Schellhas'schen Garten schleichen und im Glashause bleiche Theerosen kaufen, die sie, wenn sie unbeachtet zu sein glaubte, lächelnd und mit dem Kopf nickend betrachtete und sie dann ängstlich verbarg. Ich erinnerte mich, daß in der Gemeinde ein junges Mädchen gestorben war. Da man aber nach jüdischem Ritus die Todten nicht mit Blumen schmücken darf und Raschelchen mit Lebenden kaum verkehrte, so konnte ich mir den Zusammenhang nicht recht erklären.

Bald darauf gab mir eine befremdende, unheimliche Szene den Aufschluß. Dem vielgeprüften Dulder Joel Reinach war wieder eine seiner blühenden Töchter durch den Tod entrissen worden. Da ich zu den Bevorzugten zählte, welche an den hohen Feiertagen eingeladen wurden, die erforderliche Zehnzahl (Minjan) zum Gottesdienst in dem grünverhängten Zimmer des edlen Greises zu ergänzen, so drängte es mich, dem Leichenbegängniß des lieblichen Mädchens beizuwohnen, die im vergangenen Herbst noch in rosiger Blüte stand und nun für den herannahenden Lenz ihren Frühling zum Opfer bieten mußte. Die fromme Brüderschaft der »Chewre« war noch nicht versammelt, als ich beklommen die mit weichen Teppichen belegte Stiege hinanschritt. Nur wenige Einzelne standen stumm im Wartezimmer, ich lehnte schüchtern am Stiegengeländer des Vorplatzes. Da sah ich die beiden jüngeren Töchter schwarzgekleidet und mit gesenktem Blick auf die Thür eines Seitengemaches zuschreiten, die sie scheu und bebend öffneten. Ein dumpfer Dunst von Wachskerzen und Räucherwerk drang aus dem Zimmer und unwillkürlich ließen die Mädchen die Thüre halb geöffnet. Zwischen zwei auf schwarzen Leuchtern brennenden hohen Kerzen stand in der Tiefe des Zimmers der noch geöffnete, mit einem schwarzen Bahrtuch verhüllte Sarg. Die beiden Mädchen beugten sich hinab und faßen nach dem Bahrtuch, um die Züge der geliebten Schwester zum letzten Mal zu sehen, da trat aus der dunklen Tiefe des Zimmers Raschelchen hervor und wehrte sie, mit dem Kopf schüttelnd, ab. Unhörbare Worte wurden getauscht; die Mädchen ließen es sich nicht ohne sichtbares Widerstreben gefallen, daß die Alte mit einer baumwollenen Schnur vom Scheitel bis zur Sohle ihnen das »Maß nahm«. Wie eine Parze schnitt sie mit einer Scheere über ihren Häuptern den Faden ab. Ich weiß nicht, welcher Gedanke diesem jüdischen Gebrauch zu Grunde liegt. Man darf dem Todten kein Liebespfand der Lebenden, keine Blume, keinen Ring mit in's Grab geben, damit die sehnende Seele die Zurückgebliebenen nicht nach sich ziehe. Aber das Längenmaß jüngerer Verwandten legt man ihm gleichsam als ein Symbol des Loskaufs in den Sarg.

Als nun die Mädchen mit verhüllten Gesichtern am Fußende des Sarges niedergesunken waren, da sah ich, wie die Greisin, die sich völlig unbemerkt glaubte, rasch mit der Scheere nach ihrem eigenen Haupte fuhr und unter der Haube ein Löckchen ihres silberweißen Haares abschnitt, das sie vorsichtig zu den zusammengerollten Schnüren des »Maßes« gesellte. Dann schob sie das Bahrtuch am Hauptende ein wenig zurück, legte leise tastend das Liebespfand unter das Haupt der Entschlafenen, und dicht an das Ohr der Todten gebeugt, murmelnd, Gebete oder Grüße, nickte sie mit dem Kopf und hob die Linke wie sehnsüchtig winkend zum Himmel empor. Die Schritte der herannahenden Brüderschaft erweckten sie; sie erhob sich rasch, die Furchen ihrer Wangen waren von Thränen durchrieselt. Die Mädchen schlichen stumm davon. Ein Murmeln von eintönigen Gebeten, dazwischen die dumpfen Schläge des Hammers auf den tannenen Deckel des Sarges – und der traurige Zug setzte sich in Bewegung. An die Fensterscheiben gedrückt, weinten die Schwestern in ihre weißen Taschentücher den letzten Gruß; der greise Vater blieb in seinem Zimmer verschlossen.

Ich muß gestehen, daß meine Gedanken nicht bei den Trauernden, nicht bei der jugendlichen Leiche, sondern allein bei der seltsamen, unheimlichen Greisin weilten. Die Furcht, die ich einst vor ihr empfand, hatte sich in tiefstes Mitleid verwandelt. Ich fühlte, daß ihre Blumen wie ihre Thränen nicht den Fremden galten und daß sie die Flocke ihres Silberhaares in's Grab gesandt, weil sie das Hinabgezogenwerden in's Schattenreich nicht fürchtete, sondern ersehnte.

Ich nahm mir vor, nach Raschelchen's Schicksalen zu forschen. Was ich von der Mutter und der alten Tante Channe, die die Chronik der Gemeinde war, erfuhr, das will ich mitzutheilen und zu schildern versuchen.

In den westphälischen Zeiten, als König Jérôme in Wilhelmshöhe, das man Napoleonshöhe nennen mußte, residirte, herrschten auch in unserer Stadt alle Moden der Kaiserzeit. Franzosen errichteten glänzende Kaufläden, französische Schneider schnitten die Zwickelkleider und »kurzen Taillen« zu und französiche Haarkräusler lösten die deutschen Zöpfe und drehten Löckchen und schlangen Haarschleifen à l'impératrice. Zu dieser Zeit nun war eine jüdische Friseurin in die Gemeinde gekommen, die sich Rachel nannte; natürlich sprach sie ihren Namen französich aus, und man hängte ihm, da das Persönchen klein, zierlich und beweglich war, das heimische Diminutiv an, wodurch der Name Raschelchen entstand. Im schlechtesten Französich mit jüdischem Tonfall erzählte sie jedem: «Je suis de Metz!» Ihr père sei Kantor an der großen Synagoge, ihr mari, Monsieur Piccard, sei bei der großen Armee, sie sei nur zum Vergnügen gereist und frisire pour passer le temps; sie sei une femme respectable und très religieuse! Doch trug sie nicht nach Art jüdischer Frauen die Haare versteckt, sondern à la Titus zu kleinen schwarzen Löckchen aufgebauscht, und zwei bewegliche schwarze Augen funkelten aus dem kleinen braunen Gesicht. Sie lief zu allen Damen, auch bei den Behörden und der Generalität hatte sie geschäftig zu thun und «mon mari» war ihr drittes Wort. Man kümmerte sich aber nicht viel um den «mari» und fragte nicht lang nach ihren Antecedenzien, denn sie bewährte sich bald so trefflich in ihrer Kunst, daß alle Frauen und Mädchen auf den Bällen in der »Ressource« nur von Raschelchen's Hand frisirt erscheinen wollten. Auch fand selbst die spitzigste Zunge ihr außer den häufigen Besuchen des Militärgouvernements nichts vorzuwerfen. Als die »französischen Zeiten« zu Ende gingen, kehrte sie, wie sie sagte, nach Hause zurück, ihren Vater zu besuchen; von ihrem «mari» sprach sie nicht mehr. Nach wenigen Monaten aber kam sie wieder. Ihren Vater hatte sie verloren, ihren Mann nicht wiedergefunden, aus dem beweglichen Mädchen war ein stilles Weibchen geworden. Ein vierjähriges Töchterchen, Namens Reine, war Alles, was sie aus der Heimat mitbrachte. Die Zeiten hatten sich geändert, man trug schlichte Kleider und schlichte Zöpfe à la Kurprinzeß; statt der Bälle und Maskeraden waren Arbeitskränzchen und fromme Erbauungsstunden Mode geworden. Die Aufnahme fremder Juden in die Stadtgemeinde war sehr erschwert durch die Polizei, ja gänzlich verboten, wenn sie nicht reichliche Existenzmittel nachweisen konnten. Raschelchen hatte einen schweren Stand, aber ihr zu Seite stand eine siegreiche Fürbitterin: die kleine blonde Reine, das schönste Kind auf Erden! Der hebräische Name Malke, Regina, französisch Reine, wurde sofort in »Reinchen« übersetzt und paßte vortrefflich auf das rosige, durchsichtige Kind, das so rein und zierlich wie ein Porzellanprinzeßchen aussah und alle Welt anlächelnd an der Hand der ärmlichen Mutter hing. Die Frauen und Mädchen blieben auf der Straße stehen, um Reinchen zu herzen und zu küssen, wenn sie im Jargon der Mutter grüßte; in kurzer Zeit war sie so ganz Eigenthum der Gemeinde geworden, daß man sich rastlos bemühte, ein Plätzchen für Raschelchen zu finden, und es auch endlich fand. Das Frauenbad brauchte eine Dienerin. In der alten Synagoge, in deren Kellerraum sich das rituelle Bad befand, war ein baufälliges Zimmerchen im dritten Stock, das die Gemeinde herzustellen sich entschloß. Hier wurde Raschelchen installirt; gewissenhaft waltete sie ihres neuen Amtes, handelte nebenbei ein wenig mit alten Spitzen oder versuchte bei besonderen Gelegenheiten ihre alte Kunst an den fettglänzenden Haaren ihrer Nachbarinnen. Wie ein Rosenpflänzchen an einer verfallenen Mauer wuchs Reinchen in dieser Ruine auf, gepflegt und gehätschelt von abgöttischer Mutterliebe. Trotz des modrigen Stübchens in dem von verwitterten Balken gestützten Haus des dunklen Gäßchens, in dem die Sonne nur die Giebel der Dächer streifte, leuchtete das Mädchen wie von innerem Sonnenschein und hüpfte mit ihren goldfarbigen Saffianschuhen so zierlich über das schmutzige, spitzige Pflaster des Gäßchens, als ob es das Parket eines Tanzsaals wäre. Auf ihrem Kleidchen durfte kein Flecken sein, durch ihre goldblonden Haare war stets ein farbiges Band geschlungen, denn die Frauen und Mädchen beschenkten sie mit Bändern und Schmuck, während Raschelchen selbst zur Winterszeit sich in ihren seidenen Shawl caca dauphin einwickelte, den sie aus besseren Zeiten aus Metz mitgebracht hatte. Aber sie verlangte nichts Anderes, sie wäre gekränkt gewesen, hätte man sie und nicht ihr »gebenschtes Reinchen« beschenkt. In seliger Mutterlust betrachtete sie das Kind und hätte nicht mit Madame Goldschmidt oder Madame Feidel, den reichsten Frauen der Gemeinde, getauscht!

Als Reinchen das zwölfte Jahr erreicht hatte, erregte neben ihrer Schönheit ihr musikalisches Talent die allgemeine Aufmerksamkeit. Ihre glockenhelle Stimme drang wie das Gezwitscher eines Kanarienvogels aus dem Fenster des dumpfigen Zimmers in die Gasse hinaus; was sie einmal gehört, das trällerte sie sofort nach und die Leute im Gäßchen schauten hinauf, wenn »das Kind« sang. »Wart', ich schenk' Dir was,« sagte die dicke Trödlerin, die in dem verfallenen Hausflur der alten Synagoge ihren Kram feilbot. Aus altem Gerümpel suchte sie eine gesprungene Geige hervor. Reinchen putzte sie zierlich wie ein Kätzchen und bat die Mutter, ihr Saiten zu kaufen. Ohne jemals ein solches Instrument in der Hand gehabt zu haben, zog sie die Saiten auf und stimmte sie vorsichtig lauschend, und mit dem mühsam gereinigten Bogen wußte sie der Geige alsbald Töne zu entlocken und fügte sie zu den Weisen, die sie zu zwitschern gewohnt war. Verwundert und bewundernd nickte Raschelchen mit dem Kopf dazu.

Der Flickschneider Engelbrecht gegenüber im Gäßchen hatte einen Sohn, der im Orchester des Hoftheaters spielte. Christian, so hieß er, hörte vom Fenster aus die Studien Reinchens auf dem gesprungenen Instrument, winkte ihr und bot ihr seine Geige und sich selbst zum Lehrer an. So studirte nun Reinchen bei dem jungen Engelbrecht und dieser fand nicht Worte genug, das seltene Talent des Mädchens zu bewundern. Täglich kam er hinüber, seine Stunden versäumend, und brachte die Geige mit und Noten, die Reinchen so spielend erlernte, daß sie das Schwierigste bald vom Blatt lesen konnte.

Raschelchen aber saß Abende lang bei der Unschlittkerze im niedern Kämmerchen und stieg an den Skalen und Solfeggien, die ihr »gebenschtes Reinchen« mit kühn geschwungenem Bogen der Geige entlockte, wie auf einer Jakobsleiter in den Himmel hinan. Sie nickte mit dem Kopf den Takt, schüttelte ihn vor Bewunderung, wenn die Saiten unter den rosigen Fingerspitzen ihres Kindes trillerten, und murmelte dazu deutsche, französische und hebräische Liebesausdrücke. Und wenn Engelbrecht mit strahlenden Augen die geniale Schülerin betrachtete oder ihr mit einem: »Brav, brav, Reinchen!« auf die Schultern klopfte, so rief die glückliche Mutter nur: »Gelt! was für ein Kind!«

»Sie müssen sie mir einmal bringen,« sagte Frau Chaichen Büding, die schönste und wohlthätigste Frau der Gemeinde, zu Herrn Engelbrecht, der ihren Sohn auf der Geige unterrichtete. »Ist das Talent des Mädchens wirklich so außergewöhnlich, wie Sie sagen, so muß der Frauenverein für ihre künstlerische Ausbildung auch etwas Außergewöhnliches thun.«

»Da wäre wohl das Erste,« sagte Engelbrecht, »daß ihr ein anderes Instrument und« – fügte er bescheiden hinzu – »ein anderer Lehrer gegeben würde, denn bei mir kann sie kaum mehr etwas erlernen. Die Technik bewältigt sie wie durch ein Wunder in Jahresfrist, und was die musikalische Auffassung betrifft, so bin ich Handlanger der Kunst nicht im Stande, ein solches Genie zu leiten.«

»Für die Geige soll gesorgt werden,« erwiederte Madame Büding, »und welchen Lehrer glauben Sie –«

»Sind wir nicht so glücklich,« rief Engelbrecht begeistert aus, »den größten Meister den Unsern zu nennen: Ludwig Spohr!«

Madame Büding sann einen Augenblick, dann grüßte sie freundlich den jungen Musiker, kleidete sich an und begab sich in das ihrem Hause auf dem Königsplatz benachbarte bescheidene Gartenhäuschen, das Ludwig Spohr, der berühmte Kompositeur und unübertreffliche Geigenspieler, bewohnte, der kurz zuvor als Kapellmeister an die kurfürstliche Oper berufen worden war. Die schöne und angesehene Frau war mit der Gattin Spohr's, einer trefflichen Harfenspielerin, seit längerer Zeit befreundet. Die edle, feingebildete Künstlerin besaß außerdem die Kunst, das herbe und unzugängliche Wesen ihres berühmten Gatten zu mildern. Ihrer Fürsprache gelang es, daß der Meister sofort versprach, das Kind anzuhören.

Wie Reinchen aufjubelte, als Madame Büding ihr das neue Instrument von mäßigem Werth sandte, so erschrak sie bei der Aufforderung, sich dem großen Meister vorzustellen. Raschelchen bat dringend, sie begleiten zu dürfen, und die Gönnerin versprach sich von diesem Kontrast die sicherste Wirkung. Das hochaufgeschossene Kind im weißen Kleidchen, mit den goldblonden langen Zöpfen, zaghaft die langen Wimpern senkend vor dem bevorstehenden Glück, glich einem Dürer'schen Engel, während Raschelchen, in ihren grüngelben Shawl eingewickelt, den Violinkasten unterm Arm und fortwährend mit dem kleinen Kopfe nickend, ein echtes niederländisches Genrebild bot. Am Eingang des Gartens aber blieb das Mütterchen trotz alles Zuredens stehen; sie wartete unter den Bäumen versteckt, bis die Töne von der Geige des »gebenschten Kindes« erklangen.

Meister Spohr war von dem Klavier, auf dessen halbgeöffnetem Deckel die Partitur seiner Oper: »Der Alchymist« aufgeschlagen lag, die er emsig korrigirte, aufgestanden, die Eintretenden zu begrüßen, eine hohe, mächtige, volle Gestalt mit edlen Gesichtszügen und einer Stirn wie des Jupiter von Otricoli. Die Störung in seiner Arbeit schien ihm unwillkommen zu sein, das Mädchen, das mit klopfendem Herzen vor ihm stand, würdigte er keines Blickes. Indessen hatte Frau Spohr das Klavier geöffnet und freundlichst das befangene Kind herangezogen. Sie griff nach dem Notenheft, das Reinchen in den Händen hielt, und bot sich ihr als Begleiterin an. Lächelnd über die Wahl des schwierigen Stückes – es war ein Spohr'sches Violinkonzert – nickte sie der jungen Virtuosin zu, zu beginnen. Der Meister hatte neben Frau Büding auf dem Ledersopha Platz genommen, und da dieses dem Fenster gegenüber stand, durch das der Strahl der Frühlingssonne durch junges Laub zitterte, die Augen durch einen grünseidenen Schirm geschützt.

Und Reinchen begann, die Saiten zitterten unter ihren bebenden Fingern, alles Blut war aus ihren durchsichtigen Wangen gewichen. Aber bald hatte sie die Außenwelt vergessen, ganz versunken in das mächtige Tonstück; kühn und sicher schleuderte ihr Bogen wie Wurfgeschosse die schweren Passagen des Allegrosatzes hervor. Immer aufmerksamer lauschte der Meister, schob den Schirm von den Augen und betrachtete das erglühende Kind, das die seelenvollen, durchgeistigten Blicke von den Noten emporgerichtet hatte und wie durch Intuition das herrliche Tongemälde zu improvisiren schien. Mühsam keuchte das mittelmäßige Instrument, wie ein müdes Pferd, von einem stürmischen Reiter beflügelt; da, als der Allegrosatz beendet war, riß er plötzlich aus Reinchens Hand die Geige und bot ihr seine eigene, die im geöffneten Futteral auf dem Klavier stand. Wie ein Schauder durchrieselte es das Kind, als sie das durch Meisterhand geheiligte Instrument ansetzte und Frau Spohr wohlgefällig lächelnd die Akkorde des Adagio anschlug. Und Reinchen ergriff den Bogen und spielte: Orgeltöne entströmten dem wundervollen Amati, eine große Thräne trat in die goldblonden Wimpern des Mädchens und die Noten zerrannen allmälig vor ihren Blicken. Die Geige entglitt ihrer Hand und sie bedeckte verwirrt die Augen mit den Händen; aber da hatte sie der Meister auch schon mit beiden Armen um die Mitte gefaßt, hoch emporgehoben und einen Kuß auf ihre Stirn gedrückt. »Kommen Sie so oft Sie wollen und spielen Sie mir vor,« rief er aus, »Sie haben von Gott, was eine Künstlerin braucht, und das Übrige wollen wir schon dazu thun! – Ich danke Ihnen,« sagte er zu Madame Büding, die ihm gerührt danken wollte; »ich hasse die Wunderkinder, aber das blonde Geschöpfchen da ist kein Kind, der große Ton verräth eine große, reife Seele!«

So war nun Reinchen eine Schülerin Spohr's geworden; mehrmals wöchentlich unterrichtete sie der Meister und die ganze Gemeinde sprach davon und überhäufte Raschelchen mit Glückwünschen. Man wollte ihr eine andere, lichtere, luftigere Wohnung miethen, aber sie wies es zurück und Reinchen bat flehentlich, sie in dem Stübchen der alten Synagoge zu lassen, an das sie und ihr Mütterchen gewöhnt wären. »Nicht wahr, Mutterleb, wir bleiben hier!« rief sie mit stürmischer Hast, und während sie die Arme um die Mutter schlang, flog ein verstohlener Blick durch's Fenster in das enge Gäßchen hinaus.

»Gewiß, mein gebenschtes Kind!« antwortete die glückliche Mutter. Ihr Glück hatte sie statt mit Hochmuth mit tiefster Demuth erfüllt. Sie war von nun an das Muster skrupulöser Frömmigkeit. Sorgfältig trug sie die Haare unter dem schwarzen Band versteckt, begleitete jeden Ton von der Geige ihres Abgottes mit Segenssprüchen und Psalmen, die sich unwillkürlich den Melodieen fügten, und Reinchen mußte ihr das Opfer bringen, am Sabbath die geliebte Geige ruhig im Futteral schlummern zu lassen. Sprach man ihr bewundernd von dem Kinde, so wehrte sie kopfschüttelnd und mit dem Gemurmel: »Unbeschrieen und unberufen« ab, als fürchte sie den Neid der bösen Mächte, und nur ein glückseliges Lächeln ergänzte das, was ihre Worte zu verschweigen gebeten hatten.

Man lud Reinchen in Gesellschaften, man wollte Proben ihres vielgepriesenen Talentes hören; sie schlug es ab, sie habe noch viel zu studiren, bevor sie sich öffentlich hören lassen dürfe; die Mutter war glücklich über diese Weigerung, sie wollte sie allein haben, ihr Alles auf Erden sollte auch ihr eigenstes Eigenthum sein. Wenn Engelbrecht zuredete, Reinchen könne sich bereits mit jedem Virtuosen messen, so schüttelte Raschelchen heftig das Haupt. »Mein Reinchen darf nicht wie andere Musikanten applaudirt werden,« sagte sie, »über mein Reinchen muß man Broche machen (Segen sprechen)!« Und das that sie mit Blick und Mund, wenn im kleinen, von einem Öllämpchen beleuchteten Stübchen die Geige Reinchens erklang, die Engelbrecht auf einem alten Spinett begleitete, das man beim Trödler gekauft hatte, und auf dem die vergriffenen Noten der Leihbibliothek aufgeschlagen lagen. Dann saß Raschelchen in der dunklen Ecke des Zimmers und murmelte kopfnickend: »Gott! Allmächtiger! – das Kind! – mein Reinchen – mein Tachschid (Herzblatt) – mein Bijou! – Lau kom (das steht nicht wieder auf)! Gott! die Sechie (Freude)! – Wenn mein Vater das hörte, er wär' mir Alles mauchel (er verziehe)! – Hör' Einer den Ton! – Das ist Kischev (Hexerei) und seh' Einer das Gesicht! Ganz wie Er! – Der Chein von Jossef (die Grazie Joseph's)! Mein Reinchen – mein' Perl, Gott erhalt' Dich, Omen weomen (Amen)!« So ungefähr lauteten die Texte der Mutter zu den Melodieen des Kindes.

Dann lächelte wohl Reinchen, glücklich über die Ausrufungen der Mutter, verstohlen dem Begleiter zu.

Denn dieses glückselige Stillleben hatte nur den einzigen Zeugen – Engelbrecht. Als ihr erster Lehrer begleitete er mit stillem Triumph die Fortschritte der jungen Künstlerin, die er als seine »Erfindung« betrachtete. Der schlanke, zwanzigjährige Jüngling mit dem hellblonden Haar, das, schlicht hinter die Ohren gestrichen, in den Nacken herabfiel, mit den gerötheten Wangen und den wasserblauen Augen, die durch eine Brille ohne Fassung zutraulich hervorblickten, hatte sich nach und nach seiner kleinbürgerlichen Familie und den Kreisen seiner Kollegen aus dem »Felsenkeller« ganz entfremdet und verbrachte jede Stunde, die seine Beschäftigung im Theater, und die bescheidenen Lektionen, die er zu geben verurtheilt war, freiließen, in dem kleinen Stübchen der verfallenen Synagoge. Dort war es so heimlich, wenn ein Sonnenreflex vom Giebel des hohen Nachbarhauses durch die weißgewaschenen Fenstervorhänge glitt und die beiden Basilicumstöckchen am Fensterbrett dem Lichtschein entgegendufteten, oder wenn Abends die messingene Öllampe auf der weißen Serviette des Tisches ihre hellen Kreise an der niedern Decke des Zimmers spiegelte und Reinchen vom Schemel des alten Lehnstuhls, auf dem die Mutter eingenickt war, hastig aufsprang und dem eintretenden Freund die feinen weißen Händchen entgegenstreckte. Dann wurde die neue Geige sorgfältig hervorgeholt und Engelbrecht begleitete ihr am Klavier eine Beethoven'sche Sonate oder auf seinem Instrument spielte er ein Duo mit ihr und sorglich lehnten sich die beiden blonden Köpfe aneinander, um die Stimmung der Geigen zu prüfen. Mit dem Nachbarssohn, dem Kind armer Leute, dem Berufsgenossen, konnte sie ja mit jener unbefangenen Vertraulichkeit verkehren, die in kleinen Städten die Kinder einer Gasse von selbst befreundet. Er nannte sie Reinchen, sie ihn Christian, ein Name, der Frau Raschelchen nie geläufig werden wollte, die statt dessen beharrlich den Namen Engelbrecht gebrauchte.

Und Engelbrecht wuchs unvermerkt an dem Talente seines Zöglings mit empor. Das Fluidum des Genies, das ihr Spiel durchgeistigte, floß in ihn über und erschloß ihm ein neues Verständniß der Musik. Wenn er früher handwerksmäßig korrekt seine Aufgaben gelöst, so vermochte er jetzt ein Tonstück mit der feinen musikalischen Empfindung nachzuspielen, die Reinchen intuitiv, oder von ihrem großen Meister belehrt, aus den Tönen zu wecken verstand. Wenn er auch zuweilen die etwas überhastete Technik des begeisterten Mädchens oder die allzu individuell gestaltete und zerrissene Phrase zu verbessern fand, so war sie im Grunde doch seine Lehrerin geworden. Unwillkürlich fühlten sie, wie sie sich einander ergänzten; anmuthig fügten sich die Töne ihrer beiden Geigen in gleichem Strich gleichsam zu einem Ton; Auge in Auge gesenkt, lauschten sie sich vorahnend jede Nüance des Vortrags ab, jedes Gefühl, jede leidenschaftlichere Steigerung; ihre Seelen flossen ineinander und ihre Herzen vibrirten harmonisch wie ihre Saiten!

Zuweilen brachte er zwei seiner Kollegen zu Quartettübungen mit. Die Musiker und ihre Pulte füllten den engen Raum und Raschelchen saß auf der Pritsche am Fenster, ihr Gebetbuch in den Händen, den Kopf vor Bewunderung nach dem Takte schüttelnd, oder die schwierigen Passagen der Primgeige, die ihr gebenschtes Reinchen spielte, mit einem staunenden »St! St!« begleitend.

So spann sich das glückliche Stillleben viele Monate lang fort.

An kleinen Schatten fehlte es dennoch nicht. Wenn am Freitag Abend Engelbrecht das verschlossene Klavier öffnete, ein Lieblingsstück anschlug und Reinchen hinter dem Rücken der Mutter unwillkürlich zur Geige griff, dann stürzte Raschelchen herein mit dem Ausruf: »Reinchen, was thust Du! am heiligen Schabbes (Sabbath)!« Verschämt legte dann das Mädchen die Geige weg und wollte Engelbrecht eine spöttische Bemerkung machen über die »lächerlichen Vorurtheile« und die »Beschränktheit des jüdischen Zelotismus«, so legte sie ihm heimlich die Hand auf die Schulter oder blickte ihn mit flehendem Ausdruck an, die Mutter nicht zu erzürnen. Die aber schüttelte den Kopf und murmelte abgewandt: »Der Goi (Christ)!« Zu Reinchen sprach sie kein Wort darüber, sie wußte, wie unentbehrlich ihr der Kunstgenosse sei!

Gegen das Frühjahr aber, in welchem Reinchen ihr sechzehntes Lebensjahr erreichte, hatte das Mutterherz der frommen Frau einen schweren Kampf zu bestehen. In der Garnisonskirche, die die schönste Orgel der Stadt besaß, sollte in der Charwoche ein großes Oratorium aufgeführt werden. Spohr leitete das Musikfest, Henriette Sontag sollte die Sopranpartie singen, für ein Violinsolo, das eine Arie der großen Sängerin einzuleiten und zu begleiten hatte, bestimmte Spohr, der selbst den Taktstock führen mußte, unser Reinchen. Wie sie bei dieser Nachricht erglühte, wie sie begeistert das Tonstück dem Meister vorspielte, der ihr wohlgefällig auf die Schulter klopfte! Wie sie jubelnd der Mutter diese seltene Auszeichnung verkündete und Engelbrecht von dem Aufsehen sprach, das der Name Reine Piccard neben der weltberühmten Sängerin machen würde! Aber Raschelchen schüttelte nur heftig den Kopf. »Mein Kind soll in der Tifle (Kirche) spielen!« murmelte sie, »da dreht sich mein frommer Vater olewescholem (der Friede mit ihm!) im Grab herum!«

»Ich verstehe Sie nicht!« warf Engelbrecht heftig ein.

»Das können Sie auch nicht,« antwortete Raschelchen ruhig.

Nun verlegte sich Reinchen auf's Bitten; sie las den Text des biblischen Oratoriums mit frommem Ausdruck vor, und als auch das nicht verfing, begann sie die Melodie der Arie auf der Geige zu spielen.

»Das geht ja wie ein Nijen (Synagogenweise),« sagte Raschelchen verwundert und war schon halb besiegt. Dann schlang Reinchen die zarten Arme um den Hals der Mutter und streichelte ihr mit dem Finger die frühgrauen Härchen unter das schwarze Band zurück und murmelte an ihr Ohr: »Gelt, Mutterleb, ich darf?« Und als Raschelchen unwillkürlich nickte, sprang sie jauchzend auf. »Ich darf, ich darf!« jubelte sie und küßte die Violine und ihren Freund Christian.

Am andern Tag schon war Fräulein Reine Piccard neben Henriette Sontag an den Straßenecken angekündigt und die ganze Gemeinde gratulirte Raschelchen zu der unerhörten Kowed (Ehre)!

Aber die Gemeinde und das gute Raschelchen hatten kein Luech (Kalender) zu Rathe gezogen, und als die Proben schon im vollen Gang waren, zeigte es sich, daß der Abend des Konzertes mit dem ersten Abend des Passahfestes, dem heiligen Sederabend, zusammenfiel. Da erhob die fromme Mutter ihr entschiedenes Veto. Reinchen mußte dem Meister ankündigen, daß sie nicht spielen dürfe, was sie weinend und beklommen that. Der aber furchte drohend seine Jupiterstirn. »Dummes Zeug!« rief er, »ich befehle es! Basta.«

Durfte sie den Meister erzürnen, dem sie Alles verdankte? Sie eilte zu Madame Büding und erzählte ihr weinend den unlösbaren Konflikt. »Beruhige Dich, mein Kind,« sagte die schöne Frau und begleitete sie zur Mutter. »Sie müssen Meister Spohr dieses Opfer bringen,« sprach sie zu Raschelchen, »und glauben Sie mir, Sie thun damit ein gottgefälliges Werk. Bedenken Sie, daß Reinchen das erste Judenkind ist, dem der große Künstler die Wohlthat seines Unterrichts ertheilt hat. Im Stiche gelassen und erzürnt, würde er nie wieder sich zu Ähnlichem verstehen und für alle Zukunft tragen Sie dann die Verantwortung. Außerdem ist die Ehre Ihres Kindes die Ehre der ganzen Gemeinde und ein Kidusch Haschem (Verherrlichung Gottes), und eine fromme Frau darf dem nicht entgegen sein.«

Raschelchen schüttelte den Kopf bei diesen Argumenten. »Ich kenn' mich nicht mehr aus,« sagte sie, »und das Ärgste auf der Welt ist, wenn man nicht mehr weiß, was Recht und was Unrecht ist. Mein frommer Vater olewescholem hätt' mir's sagen können, und kein Raaf ist auch nicht hier, der mir's paskenen (auslegen) kann. Aber Sie sind auch eine fromme Frau und im kleinen Finger gescheidter wie ich, Madame Chaichenleb, also in Gottes Namen soll mein Reinchen am Sederabend in der Tifle spielen!« Dabei brach sie in Thränen aus, die Reinchen vergebens wegzustreicheln versuchte.

»Wein' nicht, Mutterleb,« schluchzte sie, »ich thu's ja nicht, wenn Du mir's verbietest.«

»Aber ich verbiet' nichts!« stieß Raschelchen hervor, »ich weiß nicht mehr, was Recht und was Unrecht ist!«

Während Reinchen seelenvoll und von Allen bewundert in der Kirche spielte, saß ihre Mutter am Osterabend in der Frauenschule, den Kopf in ihr Marchsor (Gebetbuch) versteckt und so inbrünstig betend, als wollte sie die Töne übertäuben, die von der Geige ihres Kindes zum Himmel stiegen. Zu Hause deckte sie den Tisch mit den weißen Tüchern und den bräunlichen Mazzes und harrte schweigend auf die Ankunft ihres Kindes. Noch glühend vor Erregung kam Reinchen nach Haus im weißen Kleid, eine Rose im Haar, von Engelbrecht begleitet, der von dem Beifall des Publikums erzählte und die Mutter beglückwünschte.


»Reinchen kehrt vom Kirchenkonzert zurück«
Holzstich nach einer Zeichnung von Moritz Daniel Oppenheim

Raschelchen schien es kaum zu hören. »Laß Dich benschen, mein Kind,« sagte sie und legte still murmelnd die Hand auf das blonde Köpfchen.

Engelbrecht lud sie nicht zum Bleiben ein; an dem »Ostermahl« soll kein »Fremder« theilnehmen. Schweigend trug sie die Speisen auf, mit gepreßtem Herzen saß Reinchen da an dem Abend ihres ersten Triumphes.

Wie Reinchens erster künstlerischer Erfolg immer weitere Wellen zog, tagelang Glückwünsche und Beifallsbezeugungen brachte, lobende Berichte in den Blättern der Stadt und selbst in auswärtigen Journalen, so schien die Verstimmung jener Stunde auch immer breitere und tiefere Schatten über die Seele der frommen Mutter zu werfen. Es waren nicht Skrupel über das Vergangene, es war eine unheimliche Vorahnung der Zukunft. Die Musik hatte sich zwischen sie und ihr Kind gedrängt und sie begann sie zu scheuen und zu fürchten wie ein feindliches Element, und der Goi Engelbrecht ward ihr in demselben Grade verhaßt, als er Reinchen unentbehrlich wurde. Häufiger als je kam er zu den gemeinsamen Übungen und sprach von gemeinsamen künstlerischen Projekten, von Konzerten und Kunstreisen in fremde Städte, von großartigen Erfolgen und Reichthümern. Raschelchen schüttelte nur den Kopf über solche »Stuß« (Thorheiten).

Aber Reinchen, so unbefangen und kindlich sie auch stets dem Jugendfreund begegnete, fühlte, ohne sich davon Rechenschaft geben zu können, eine magische Gewalt, die sie zu seinem Willen zwang. Ihr ganzes Herz hing mit allen seinen Fasern an der geliebten Musik und fand in ihm den Wahlverwandten, der sie verstand. Der Ton ihrer Geige schien ihr ärmlich und verwaist, wenn er sich nicht mit dem seinigen vermählte; die beiden Stimmen der Geigen waren ihre Korrespondenz, sie lauschten sich ihre Gedanken ab, ihre Wehmuth, ihre Freude, sie plauderten in Tönen. Reinchen wußte nur zu gut, daß sie ohne Christian nicht leben könne, aber sie wußte keinen Namen dafür!


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