Salomon Hermann Mosenthal
Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben
Salomon Hermann Mosenthal

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In einem der leergewordenen Zimmer war die bucklige Jochebedchen, Bärmann's Mutter, auf Emilchens dringende Forderung installirt worden; nur unter dieser Bedingung willigte Letztere darein, selbst im Hause zu bleiben. Die alte Frau nahm diese Einladung nur unter der Beschränkung an, daß die Köchin verabschiedet werde, und sie waltete fortan in der Küche, ihre Lebern und Grieben nur pro domo verwerthend. Die respektvolle und liebreiche Weise, mit welcher Emilchen Frau Bärmann behandelte, vergalt diese durch eine fast abgöttische Verehrung. »Gott! was für eine Perl', was für ein ›Tachschid‹ ist die Mamsell Katz!« sagte sie täglich zu ihrem Sohn, der ihr nie widersprach. Jeden Abend »aumerte« (zählte) Frau Jochebedchen, wie viel Tage seit dem Aufruf an Jakob Markus verflossen seien; jeder Tag, an dem er nicht erschien, war für ihr beklommenes Herz ein gewonnener. Wenn die Zeit verstrichen wäre, so träumte sie, die das Testament bestimmt habe, wenn jener vielleicht längst todt oder in Amerika unter die Wilden gerathen und verschollen wäre, wenn das Haus und das ganze Vermögen ihrem Sohn anheimfallen würde, dann dürfe ihr Sohn, und wenn ihm Feidel oder Goldschmidt eine Tochter mit meoalofim (Hunderttausend) antrügen, keine Andere heirathen als Mamsell Katz, auch wenn sie zehnmal enterbt und eine Schlemilte sei, denn sie sehe ja zu gut, was dem armen Jungen heimlich das Herz abfresse, und so viel Einsicht würde Gott der Allmächtige doch noch haben, daß er einem so braven Sohn, wie der ihrige, einen Landstreicher nicht vorziehen würde.

Das waren die Gedanken der Frau Jochebedchen, wenn sie Abends das Geschirr abgespült hatte und mit untergeschlagenen Armen hinter dem Herde saß. Bei Tag aber erschrak sie, so oft ein Fremder in's Haus trat. In jedem Unbekannten den Popanz Jakob Markus vermuthend, watschelte sie, so oft die Hausthür ging, die fetten Hände an der Küchenschürze abwischend, auf jeden Eintretenden zu und rief: »Wer sennen (sind) Sie?« Und ein Stein fiel ihr von der ohnehin belasteten Brust, wenn sich der Eintretende als Rosenbaum, Lilienfeld oder Blumenthal zu erkennen gab. Im Verhältniß als das Jahr entschwand, wuchsen ihre Hoffnungen und sie begann bereits gegen Emilchen eine Art von Protektormiene anzunehmen. »Sie werden sehen, Mamsell Katz,« sagte sie, »was mein Sohn ist, mein Sohn ist kein Ochs.« Dabei lächelte sie mit einem Gemisch von Stolz und Herablassung.

Ein zweites Jahr war vergangen. In den Verhältnissen des Hauses am Graben hatte sich nichts geändert, als daß das Geschäft immer mehr sich hob und wiederholt größere Treffer durch das Haus Markus ausbezahlt wurden, wodurch das Lotteriecomptoir stets an Kundschaft gewann. Auch das braunschweiger Loos Emilchens war, aber mit einer Niete, gezogen worden. Purim war wiedergekommen, der zwiefache Trauertag war längst kein Freudenfest mehr für das arme Mädchen, ja sie bangte, in begreiflichem Aberglauben, jedesmal, bis er vorüber war. Aber er ging vorüber ohne jedes Ereigniß, nur das Wochenblättchen, das am Abend erschien, brachte unter den heute Angekommenen: »Im Gasthof zum Ritter, James Markus aus Baltimore«.

Emilchen hatte das Wochenblättchen nicht gelesen, Frau Jochebedchen noch weniger, sie hatte sich auch längst, im Bewußtsein ihrer Sicherheit, den fremden Besuchen nicht mehr entgegengestürzt, und als am andern Morgen ein fremder, kaum dreißigjähriger Mann in den Hausflur trat und nach Herrn Bärmann fragte, zeigte sie ihm zuvorkommend die Thür zum Comptoir. Der Fremde war von untersetzter, kerniger Gestalt, lebhaft gefärbtem Gesicht, das zwei kurze Stückchen Backenbart einrahmten, und trug hohe Lederstiefeln und einen braunen kurzen Flausrock, wie ihn die Landleute und Viehhändler der Umgegend tragen. Aber der Scharfblick der Frau Jochebed hatte eine Diamantnadel und eine dicke goldene Uhrkette, sowie einen mächtigen Siegelring an der massiven Hand des Fremden nicht übersehen, und ein gutes Geschäft witternd, öffnete sie ihm dienstfertig die Thür zum Comptoir, aus der ihr Sohn, die Feder hinterm Ohr, dem Fremden entgegentrat.


»Der Erbe aus Amerika«
Holzstich nach einer Zeichnung von Moritz Daniel Oppenheim

»Mister Bärmann?« fragte dieser mit fremdartigem Accent.

»Zu dienen,« erwiederte Bärmann. »Und mit wem habe ich die Ehre?« fuhr er fort, indem er den Fremden vor sich in's Comptoir eintreten ließ.

»Ow! Sie kennen mich nicht mehr, Mister Bärmann? Ich bin James, oder eigentlich Jakob Markus!«

Diese Worte, hinter denen sich die Thür schloß, hatte Frau Jochebedchen noch vernommen. Es war ihr, als führe ihr ein Messer in's Herz! »Schem jischmerenu!« (Gott unser Schützer) schrie sie auf und mußte sich an dem Treppengeländer halten, um nicht zusammenzufallen. Er war da, der Popanz, der leibhaftige Jakob Markus!

Werfen wir einen raschen Rückblick auf den Mann, der plötzlich mit so derben Zügen in den Rahmen unseres kleinen Familienbildes tritt.

Jakob war ein Brudersohn des alten Markus, sein Vater ein Händler in einem Provinzstädtchen, der die Woche hindurch »überfeld« ging.

So lange Onkel Markus, der aus demselben Städtchen in die Residenz gekommen war, sich mühsam emporarbeitete, sein Brod zu verdienen, unterstützte er den Bruder und theilte redlich seine Ersparnisse mit ihm. Die Ansprüche der Familie wuchsen mit seinem Reichthum, wurden jedoch mit zähem Widerstreben auf das bescheidenste Maß zurückgeführt. Es war einer der eigenthümlichen Charakterzüge des alten Herrn, für die Seinen nicht mehr »Herz« zu haben, als für Fernstehende.

»Sie sollen sich nur plagen,« sagte er, »ich hab' mich auch plagen müssen, ausziehen laß ich mich nicht!« und dergleichen Sachen alle mehr.

Als der Bruder starb, entschloß sich Onkel Markus nur nach langem Zögern, dessen einzigen Sohn, den sechzehnjährigen Jakob, zu sich in's Haus zu nehmen. Dieser, ein roher Bursche, ohne Bildung des Geistes und des Herzens, betrachtete sich sofort als den Erben des Hauses, und da ihm sein Taschengeld vielleicht allzu karg zugemessen wurde, so machte er Schulden auf den Namen des Onkels, trieb sich in Caféhäusern und auf Tanzböden herum, und reizte den haushälterischen Sinn des Alten derart, daß es oft zu den heftigsten Auftritten kam.

Dieser verweigerte die Schulden zu zahlen, drohte, ihn den Gerichten zu überlassen; schließlich siegte sein gutes Herz, aber im Stillen pries er jeden glücklich, der keine Verwandten habe. Da Jakob im Geschäft kaum zu brauchen war und des Onkels Vertrauen mehr und mehr verlor, so nahm dieser den vaterlosen Bärmann in's Geschäft, der sich bald durch musterhaften Fleiß, durch Intelligenz und Bescheidenheit dem alten Herrn unentbehrlich zu machen verstand. Das ertrug Jakob nicht und rief absichtlich Streitigkeiten und brutale Szenen hervor, und als ihn einmal der Alte energisch bedrohte, vergaß er sich so weit, seinen Wohlthäter mit frechen Schimpfworten zu beleidigen. Am andern Morgen übergab ihm Onkel Markus die quittirten Rechnungen über all' seine Schulden und eine mäßige Summe Geldes mit dem Befehl, sein Haus zu verlassen und sich nie wieder sehen zu lassen. Trotzig und ohne Abschied ging der Bursch davon.

Bärmann verzehrte sich in Gewissensbissen. Er schob sich allein die Schuld zu, Blutsverwandte getrennt zu haben, vielleicht auf ewig! Trotz der Erkenntniß seiner Unschuld quälte er sich mit dem Gedanken, die Welt könne ihn einer selbstsüchtigen Absicht zeihen. Unablässig suchte er den Onkel zu besänftigen, unablässig verfolgte er die Spur des Verschwundenen. Es gelang ihm, zu erfahren, daß Jakob nach Amerika ausgewandert sei und dort, in dem Lande der Arbeit, zu arbeiten gelernt habe. Durch einen Jugendfreund, der in New-York als Uhrmacher arbeitete, ließ er ihn aufsuchen und ihm einen Brief zustellen, der die herzlichsten Ermahnungen, reuig zu den Seinen heimzukehren, und außerdem einen Theil von Bärmann's Ersparnissen enthielt. Nach langer Zeit kam die Antwort. Das Geld sandte Jakob zurück. Er brauche kein Almosen, weder von den Seinen, noch weniger von Fremden. Was er brauche, verdiene er sich selbst und habe nach keinem Andern mehr zu fragen. Übrigens wünsche er seinem Onkel Gesundheit und langes Leben. Diese letzten Worte, die Bärmann triumphirend vorlas, rührten den Greis; in dem Selbstbewußtsein des jungen Mannes, der um sein Brod arbeiten gelernt hatte, erkannte er eine radikale Besserung; der Stolz, mit dem jener den fremden Beistand zurückgewiesen hatte, weckte ein wohlgefälliges Lächeln um seine Lippen. In seinem Namen ließ er Bärmann einen zweiten Brief schreiben, der Jakob zur Rückkehr in's »Vaterhaus« aufforderte. Aber dieser, wie alle späteren, blieben unbeantwortet. Ohne je darüber zu reden, dachte der Greis des Verschollenen oft mit heimlichem Gram, mit stillen Selbstvorwürfen. Wenn er, der Alleinstehende, den Undank und die Lieblosigkeit Fremder oder, unter dem Schein der Zärtlichkeit, deren Selbstsucht und Habgier empfand, dann verdammte oft sein Gewissen seine Strenge gegen den einzigen Blutsverwandten. In solcher Stimmung hat er wohl sein Testament abgefaßt.

Jakob hatte indeß, wie er später erzählte, mit der letzten Gabe des Onkels einen Platz im Zwischendeck eines Auswandererschiffes gezahlt, das seine unglückliche Ladung von Hamburg nach New-York brachte. Mit wenigen Dollars in der Tasche stand er nun am Hafen der Riesenstadt, in welcher jeder nur Zeit und Interesse für sich selbst hat. Er hatte kein Handwerk gelernt, fremd war ihm Alles, sogar die Sprache; aber er hatte Hände, und recht feste Hände, die man in dem Land of business ungenirt verwerthen kann. Anfangs vertrank er seinen Verdienst so exakt, daß er oft unter freiem Himmel sein Lager aufschlagen mußte; aber Noth lehrt nicht nur beten, sie lehrt auch sparen. Im Vergleich der herabgekommenen Säufer und Bettler mit jenen nüchternen und fleißigen Emporkömmlingen, denen im Lande der Freiheit die höchsten Ehrenämter offen stehen, gewann sein gesundes Urtheil nach und nach die Herrschaft über seine brutalen Neigungen. Ein Ideal tauchte vor seinen Blicken auf, die blendende Göttin, die man in jenem Lande vor allem verehrt: to make money. Die Goldminen von Kalifornien waren entdeckt, Tausende von Pilgern strömten zu dem neuen Wunderaltar der Göttin. Er schloß sich ihnen an und verschwand in den Gruben von San Franzisko den Blicken und den Nachforschungen seiner europäischen Freunde. Aber nach Jahren kehrte er mit seiner Ausbeute nach Baltimore zurück, wo er sich als Mr. James Markus niederließ und »in Vieh und Leder machte«. Dort hatte er den Aufruf, als Erbe seines Oheims heimzukehren, gelesen. –

Durch Bärmann's mageres Gesicht flog ein Ausdruck der Freude, ohne jede Beimischung eines andern Gefühls, als er den Namen Jakob Markus vernahm. Er blickte über die Brille hinaus auf die behäbige Gestalt, übersah die blitzende Diamantnadel ebenso wenig wie seine Mutter, hatte sich rasch in dem gebräunten Gesicht des alten Bekannten orientirt und indem er ihm beide Hände herzlich entgegenstreckte, rief er aus:

»Gott sei Dank, daß Sie da sind, Herr Markus, und, Sie sehen, unbeschrieen! aus, als ob Sie die Erbschaft Ihres seligen Onkels nicht nöthig hätten.«

»Was das betrifft, Mr. Bärmann,« erwiederte Mr. James, die breiten Hände bis an die Daumen in die Hosentaschen steckend, »so wissen Sie am besten, daß ich von dem, was mir mein Onkel gegeben hat, nicht fett geworden bin. Ich habe mich bothern (quälen) und plagen müssen, während Sie ruhig hinter Ihrem Tisch Ihr Geld verdient haben. Wenn ich drüben wie ein Hund krepirt wäre, hätte er sich auch nichts daraus gemacht; er hat immer für Fremde mehr gethan als für die Seinen. Wenigstens soll nach seinem Tode sein Geld nicht in fremde Hände gehen! Aber,« fuhr er fort, als er sah, daß Bärmann schmerzlich das Gesicht verzog, »bei vergangenen Dingen ist mein Grundsatz, zu overpassen ( pass over); ich bin nicht hergekommen für ein sentimental journey, sondern für business. Beim Stadtgericht und beim Prokurator habe ich meine Dokumente niedergelegt, die all right befunden worden sind; das Testament habe ich gelesen, und, um die Sache so schnell als möglich clear zu machen, bin ich selbst zu Ihnen gekommen, obgleich ich weiß, daß mein Erscheinen Ihnen eine unangenehme impression machen muß.«

»Sie irren, Herr Markus,« antwortete Bärmann, die Hand auf's Herz legend, sei es, als wolle er seine Worte betheuern, sei es, um das heftigbewegte zusammenzuhalten, »Sie irren, Gott ist mein Zeuge! in dieser Voraussetzung. Sie beleidigen den Seligen noch in seinem Grabe. Es war sein Wunsch wie der meine, aber Sie haben Recht, lassen Sie uns lieber von Geschäften sprechen. Die Bücher stehen zu Ihrer Einsicht bereit. Das Vermögen, das Ihr seliger Onkel hinterließ, hat sich unter Gottes Schutz beträchtlich vermehrt, Sie können sich von dem Betrag desselben überzeugen, denn ich habe getrachtet, jeden Augenblick Ihnen ein vollständiges Verzeichniß desselben vorlegen zu können. Wenn Sie hier im Hauptbuch,« und dabei schlug er einen in grüne Leinwand gebundenen Folianten auf, »den Betrag jener Quote, die mein edler Wohlthäter in seinem Testament mir hinterließ, von dem damaligen Vermögensstand ausscheiden und in gleicher Proportion von dem jetzigen abrechnen, so ist alles Übrige, und dazu noch der Werth dieses Hauses, Ihr unbestrittenes Eigenthum!«

Mr. James lehnte sich mit beiden Ellenbogen auf den Schreibtisch und durchflog das Hauptbuch mit der Miene eines Rechnungsrevisors. Mit einem goldenen Bleistift, den er aus der Hosentasche zog, schrieb er auf die Unterlage Zahlenreihen und begann zu dividiren und zu multipliziren, indem er deutsche und englische Zahlen bunt durcheinander murmelte.

»Wie hoch schlagen sie das Haus an?« warf er dazwischen.

»Es ist auf fünfzehntausend Thaler geschätzt,« antwortete Bärmann mit kaufmännischer Gelassenheit.

Mr. James zog einen dicken Strich unter seine Rechnung und warf den Bleistift verächtlich weg.

»Das ist Alles?« sagte er. »Man hat den Alten für einen Millionär ausgeschrieen.«

»Lassen Sie die Bücher vor Gericht prüfen,« antwortete Bärmann kurz und scharf. Es kochte in seinem Innern; alle jene brutalen Szenen, die er hier erlebt hatte, tauchten in seiner Erinnerung auf und er erkannte den frechen Zug um den Mund des Amerikaners, der einst dem eigenen Wohlthäter hier Hohn gesprochen hatte.

Dieser hatte sich auf die wuchtigen Hüften gestemmt und die beringte Hand in die Weste gesteckt.

» Well,« sagte er, »das wird das beste Mittel sein, die Sache glatt zu machen. Ich habe keine Lust, mich hier lang zu stoppen ( stop), noch weniger, mich hier zu setteln ( settle) und so ein frippery-box weiterzuführen. Das Geld verinteressirt sich besser in Amerika. Ich werde einen Bevollmächtigten aufstellen lassen vom Stadtoffice, der die Bücher prüft, das Haus und das Geschäft verkauft, und so glaube ich,« schloß er , indem er nach seinem Hut griff, »ist zwischen uns Alles all right

Bärmann streckte die Hand nach seinem Arm aus und hielt ihn zurück.

»Noch nicht Alles,« sagte er ruhig. »Es ist zwischen uns noch eine Angelegenheit zu ordnen, eine Pflicht der Pietät gegen Ihren seligen Onkel, eine Pflicht der Dankbarkeit gegen eine Person –«

James unterbrach ihn heftig, das Blut färbte seine breite Stirn purpurroth.

»Lassen Sie mich in Ruhe!« schrie er, »und sprechen Sie mir hier nicht von Pietät und Dankbarkeit. Erinnern Sie mich nicht daran, wie ich in diesem Haus behandelt worden bin. Ich bin Keinem Pietät schuldig, Keinem zu Dankbarkeit verpflichtet. Daß ich, der einzige Blutsverwandte des alten Knausers, nicht elend verhungert bin, verdanke ich nur mir und diesen beiden Händen. Und mit diesen Händen nehme ich, was mein ist und lasse mich um keinen Groschen betrügen. Ich bin ein Fremder in diesem Haus und der mich dazu gemacht hat, mag's verantworten. Sie haben mein Eigenthum zu verwalten gehabt und haben mit mir von nichts zu reden, als von business

Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß er zitterte. Aber Bärmann zitterte noch heftiger, als er mit kurz hervorgestoßenen Worten erwiederte:

»Es ist auch nur von business, Herr Markus, daß ich mit Ihnen noch rede, denn es handelt sich um eine Ehrenschuld, die in diesen Büchern nicht verzeichnet ist.«

»Was ist the matter?« fragte James ruhiger.

»Es handelt sich,« fuhr Bärmann fort, »um Fräulein Katz!«

»Fräulein Katz? Wer ist Fräulein Katz?«

»Die Tochter einer Verwandten, der Witwe Katz, deren Sie sich erinnern werden; Ihr Onkel war Vormund der Waise und hat sie in seinen letzten Lebensjahren zu sich in's Haus genommen.«

Ein frivoles Lächeln spielte um die breiten Lippen des Amerikaners.

»Sie hat,« fuhr Bärmann mit gesteigerter Wärme fort, »mit der Zärtlichkeit einer Tochter Ihren Onkel gepflegt, sie hat ihm ersetzt, was er so schmerzlich entbehrte, die Anhänglichkeit eines Anverwandten.«

»Merkwürdig!« erwiederte James lachend, seine großen Zähne zeigend, »im Testament hat er von dieser ›Miß Katz‹ nichts erwähnt!«

Bärmann schwieg einen Augenblick betroffen.

»Das ist es eben –« fuhr er fort.

»Er wird sie bei Lebzeiten desto reicher bedacht haben!« unterbrach ihn James lachend.

»Mit keinem Groschen!« schrie Bärmann entrüstet auf, »und ich verbiete es Ihnen, mit solchen Gedanken das Mädchen zu verunglimpfen! Ich habe, nach der mir eingeräumten Vollmacht im Sinn Ihres Onkels über dieses Haus zu verfügen, Fräulein Katz ersucht, hier zu bleiben, und es ist Ihre Pflicht, für deren Zukunft eine Verfügung zu treffen, denn es steht Ihnen nicht zu, die Mündel Ihres Onkels durch den Verkauf dieses Hauses ohne Weiteres an die Luft zu setzen. Ich verbiete es Ihnen im Namen des Verstorbenen!«

Mr. James hatte die Hände wieder in die Hosentaschen gesteckt und betrachtete von oben herab den kleinen Mann, der ihm imponiren wollte.

»Machen Sie sich nicht lächerlich, Bärmann,« sagte er mit ironischem Lächeln. »Wenn Sie die Erbschaft meines Onkels auch in der Weise angetreten haben, daß Sie Miß Katz bei sich im Hause behalten haben, so geht das mich nichts an.«

»Was wollen Sie damit sagen?« rief Bärmann, dessen Beine sich plötzlich streckten und der die geballte Faust auf die Brust drückte.

»Ich will damit sagen,« fuhr James mit drohendem Blicke fort, »daß ich hoffe, daß Sie Miß Katz aus Ihrem Antheil soutenirt haben, denn ich müßte sonst auch durch das Gerichtsoffice untersuchen lassen, in wie weit ich durch Sie im meinem Eigenthum verkürzt oder durch diese Lady um mein Eigenthum betrogen worden bin! Sie verstehen mich, Mr. Bärmann?«

Bärmann hatte ihn verstanden. Alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen, kein Wort fand den Weg über seine gelähmten Lippen. Als aber James nun wieder nach seinem Hut griff, sprang er mit einem Satz, wie ein Tiger, auf ihn zu und krampfhaft die Finger in den sehnigen Arm des Amerikaners schlagend, stieß er die Worte hervor:

»Kommen Sie mit mir!«

»Wohin?« fragte James, sichtlich betroffen von dem Angriff des kleinen Mannes.

»Kommen Sie mit mir!« schrie Bärmann, indem er die Thür aufriß und den Widerstrebenden zur Treppe zog, mit einer Hand das Geländer fassend, mit der andern seine Beute nachschleppend.

»Wohin?« rief James noch einmal.

»Zu Fräulein Katz!« antwortete Bärmann, und dieses Wort schien ihm seine ganze Fassung wiedergegeben zu haben. Mit wenigen Sätzen hatte er die Stiege überflogen und heftig an die nächste Thür geklopft, noch ehe der überraschte Amerikaner sich ihm entziehen konnte. Ein leises »Herein!« antwortete dem Klopfen und im nächsten Augenblick standen Beide vor Emilchen.

Sie war am Fenster gesessen und häkelte mit grober Holznadel einen rothen wollenen Shawl für Bärmann. Beim Eintritt der Beiden erhob sie sich überrascht; Mr. James musterte mit schnellem Blick die reizlose Gestalt des Mädchens, die, wie bei jeder Überraschung, heftig zitterte. Eine plötzliche Erinnerung am Schlemilchen von ehedem ließ ein ironisches Lächeln über seine breiten Lippen gleiten, das Bärmann nicht entging und ihn, wie er es auch deuten sollte, noch heftiger reizte. Nicht mehr der Meschores von dazumal, nein, der Stellvertreter seines Herrn und Wohlthäters war er in diesem Augenblick, und ein energisches Selbstbewußtsein spannte alle seine Sehnen zu Stahl! Aus den Augen des kleinen Judenjungen blitzte ein Strahl der Ritterlichkeit wie aus den Augen David's, als der freche Goliath ihn höhnte, und da jener, als Amerikaner die Rücksicht gegen Ladies beobachtend, mit einem how do you do auf Emilchen zuging und ihr die Hand entgegenstreckte, trat Bärmann rasch zwischen Beide.

»Fräulein Katz,« sprach er mit mühsam gefaßter Stimme, »dieser Herr, Jakob Markus,« bei dem Namen zuckte Emilchen freudig betroffen zusammen, »dieser Herr kommt nicht zu Ihnen als Freund und Verwandter. Er hat sich selbst als fremd in diesem Hause erklärt und durch seine Äußerungen das Recht verwirkt, daß Sie ihn willkommen heißen,« – Emilchen griff mit der Hand krampfhaft nach dem Tischteppich, den sie zerknitterte. »Er kommt als Geschäftsmann,« fuhr Bärmann fort, »der sich in seiner Erbschaft durch mich und durch Sie verkürzt hält. Erklären Sie ihm selbst, ob Sie bei Lebzeiten Ihres – –«

Er konnte nicht weiter reden, denn Emilchen war todtenbleich geworden, die Häkelarbeit war ihr aus der Hand gefallen, sie drohte umzusinken. James schob ihr einen Sessel zu.

»Es ist nicht meine Schuld, Miß Katz,« sagte er, »wenn Sie auf diese Weise inquirirt werden. Ich habe nur einfach an Mr. Bärmann die Frage gestellt, ob Sie nicht bei Lebzeiten des Onkels –«

»Wiederholen Sie nur Ihre Verdächtigung,« schrie Bärmann, »sagen Sie es diesem Fräulein in's Gesicht, was Sie hinter ihrem Rücken auszusprechen gewagt haben! Sie sprechen nichts, Fräulein Katz? Sie haben Recht. Der Herr mag sich überzeugen, was Die besitzt, die anspruchslos und uninteressirt jahrelang in diesem Hause seine Stelle vertreten hat. Nehmen Sie die Schlüssel, untersuchen Sie die Kästen wie meine Bücher, ob Sie betrogen wurden! Nehmen Sie Alles, Fräulein Katz verlangt nichts von Ihrem Eigenthum!«

»Nichts! nichts!« schrie Emilchen auf. »Nehmen Sie Alles, was mir der Onkel gegeben hat!«

Bärmann starrte sie an bei diesen Worten, der Amerikaner maß ihn mit einem überlegenen Blick.

»Was reden Sie da?« rief Bärmann erbleichend, »was haben Sie von Ihrem Onkel empfangen? Sprechen Sie! Um Gottes willen, antworten Sie!«

Aber Emilchen antwortete nicht. Sie hatte den Kopf in beide Arme auf dem Tisch versteckt, chaotisch wirbelten die Gedanken in ihrem Hirn. Was sie jahrelang mit einem stillen Gelübde vor Allen verborgen hatte, sollte sie jetzt dem Einen preisgeben, vor dem die zarteste Empfindung ihres Herzens es verschwiegen hatte, preisgeben in Gegenwart des Andern, vor dessen Rohheit ihre eigenen Gefühle ihr unaussprechlich, unbegreiflich erschienen? Bärmann harrte noch mit zitternd erhobenen Händen, James weidete sich an ihrer Verlegenheit.

»Lassen Sie's gut sein,« sagte er mit arroganter Großmuths-Miene, »Sie sehen, wie verwirrt das Fräulein ist. Ich will keine Haussuchung halten!«

»Aber Sie sollen es!« schrie Bärmann außer sich und die Adern an seiner bleichen Stirn schwollen dunkelblau an. »Wenn Sie die Verwirrung eines entrüsteten Herzens nach Ihrem gemeinen Sinn mißdeuten, so sollen Sie wenigstens beschämt vor ihrer Armuth stehen! Hier sehen Sie!« und damit hatte er die messingenen Ringe der Kommode erfaßt und so gewaltig gerüttelt, daß das Schloß krachend aufsprang, »hier sehen Sie die Reichthümer, die sie gesammelt und um die man Sie betrogen hat!«

»Halten Sie ein,« rief James, »mit welchem Recht mischen Sie sich in die Angelegenheiten der Miß Katz?«

»Mit welchem Recht?« antwortete Bärmann, leidenschaftlich erglühend. »Weil ich dieses Mädchen kenne und verehre, dieses arme Mädchen, die einen Reichthum im Herzen trägt. Weil ich schwieg, als Sie Ihren edlen Oheim und mich beleidigten, glauben Sie, daß ich auch ungestraft Die beleidigen ließe, die ich, wenn Sie nie zurückgekehrt wären und das Erbe Ihres Onkels mir den Muth gegeben hätte, die ich zu meiner – –« Das Wort erstarrte auf seinen Lippen. Er sah nicht, daß Emilchen sich plötzlich erhoben hatte und die großen Augen auf ihn heftete, er sah nur sein eigenes, inneres Ich plötzlich aus sich heraustreten und erschrak davor. Mit einer Heftigkeit, unter der sich seine Verwirrung verbarg, griff er in die Kommode und warf den ärmlichen Kram von verblaßten Bändern und werthlosen Spitzen heraus. »Da nehmen Sie! Nehmen Sie!« schrie er, »Fräulein Emilchen braucht von Ihnen nichts mehr! jagen Sie sie aus dem Haus Ihres Wohlthäters, Fräulein Katz bedarf keines andern Schutzes als – –«

Seine Finger hatten das Notizbuch gefaßt und hervorgezogen, er schlug es auseinander; ein vertrockneter Blütenzweig fiel zu Boden, ein großes, zusammengefaltetes Couvert lag darin. Mit raschem Falkenblick hatte der Amerikaner es gewahrt, mit raschem Griff erfaßt. Emilchen wollte hinzuspringen, aber ihre Füße waren wie in den Boden gewurzelt. Bärmann stierte über die Brille hinaus auf die Aufschrift des Couverts. Mit den großen, unbeholfenen Schriftzügen des alten Markus stand darauf ein einziges Wort: »Codicill«. Als Bärmann dieses Wort erblickte, war es ihm, als fiele ein Alp von seiner Brust. Mit seinen dürren Fingern griff er zwischen die derben Hände seines Gegners hinein und zog das Schriftstück aus seinem Umschlag.

»Lesen Sie!« rief er mit einem Ton, der wie ein Jubelruf klang.

James begann still zu lesen, mit lauter Stimme las Bärmann die folgenden Worte nach:

»Meiner lieben Mündel, Emilie Katz, die mich in den letzten Jahren meines Lebens so treu und uneigennützig gepflegt und mir durch ihre Anhänglichkeit ersetzt hat, was ich von meinen Blutsverwandten hab' entbehren müssen, vermache ich dreißigtausend Gulden rheinisch, in baarem Geld, als Ersatz für das frankfurter Loos, von dem ich ihr den Gewinnst hab' zugedacht gehabt. Wenn sie den Betrag nicht sogleich nach meinem Ableben will aus dem Geschäft ziehen, so soll sie ihn von meinem Todestag an nach dem landesüblichen Zinsfuß verinteressirt kriegen. Außerdem soll mein Erbe, wer er immer sei, ihr die Wohnung eine Trepp' hoch am Graben in meinem Haus, nebst Holz und Licht und dergleichen Sachen alle mehr, belassen bis an ihr seliges Lebensende.

Jesaias Markus, Vormund der Waise Emilie Katz.«

Darunter stand das Datum und die Legalisirung durch den kurfürstlichen Notar, Dr. Karl Nebelthau.

Nach dem »Nebelthau« entstand eine Pause. Bärmann betrachtete Emilchen wie ein Räthsel, diese hatte den Blick gesenkt, als schäme sie sich der Entdeckung. James faltete das Papier zusammen. Er warf einen Blick auf das unbegreifliche Mädchen, das ein Vermögen besaß, ohne es geltend zu machen. Sie erschien ihm in diesem Augenblick gar nicht so übel. Den kleinen Bärmann schlug er, als Universalerbe, nicht hoch an; er warf sich in die Brust und spielte mit seiner schweren goldenen Uhrkette.

»Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt, Cousine?« sprach er lächelnd und seine breiten Zähne zeigend, »ich hätte –«

»Sie hätten mich dann nicht des Diebstahls beschuldigt!« fiel Emilchen ein, die, noch tiefer verletzt, sein Lächeln verstand.

»Das ist ein mistake,« erwiederte James, »an dem Sie selbst schuld sind. Wir praktischen Amerikaner verstehen solche Vorgänge nicht, und in fact, ich begreife nicht, doch das geht mich nichts an. Das Schriftstück ist all right und was das Haus weniger werth ist, ist eine einfache Rechnung. »Übrigens,« fuhr er fort, indem er die Weste hinaufschob und mit dem Daumen in einen Ledergurt griff, den er umgeschnallt trug, »übrigens brauchen Sie mit mir kein Mitleid zu haben. Die lumpige Summe, die er Ihnen vermacht hat, ist no matter für mich. Ich brauche die ganze Erbschaft nicht, in fact, und wenn ich sie zu holen gekommen bin, so war es nur, um dem Alten, der mir sein Herz und seinen Beutel im Leben verschloß, noch im Grab einen strike zu machen.«

Emilchen hob die Augen zum Himmel empor. Sie wollte den Beleidigten mit einem Worte rächen, aber ihre zitternden Lippen brachten es nicht hervor. Bärmann überhob sie dessen.

»Fräulein Katz«, sagte er, »bedanken Sie sich bei dem Herrn. Jetzt können Sie mit Beruhigung Ihre Erbschaft antreten, Sie waren seine Tochter und dieser Herr hat Sie um Ihr verdientes Eigenthum verkürzt.«

James griff nach seinem Hut. Er fühlte etwas wie Verlegenheit.

»Mein Bevollmächtigter wird Alles glatt machen,« sagte er, »ich reise ab, und wenn ich nicht mehr das Vergnügen haben sollte, Sie zu sehen, Miß Katz, so wünsche ich good bye!« –

Er streckte ihr die Hand entgegen, die Emilchen nicht ergriff.

Bärmann begleitete den Scheidenden bis zur Stiege. Als er ihren Blicken entschwunden war, brach Emilchen zusammen. Es war zu viel der Erregung, der Angst, der Freude; Thränen, heiße Thränen strömten aus ihren Augen, dann hob sie sie zum Himmel empor, als wollte sie fragen, ob sie nicht geträumt, ob jene Worte Bärmann's, – da trat er ein. Er betrachtete sie, sie hatte die großen feuchten Augen auf ihn gerichtet, der Vorwurf, den er ihr ob ihres räthselhaften Schweigens machen wollte, erstarb auf seinen Lippen. Er schämte sich des Geständnisses, das die aufwallende Leidenschaft ihm entrungen. Er wartete auf ein Wort, sie fand es nicht.

»Sie sind böse auf mich,« sagte sie endlich. »Nicht wahr?«

»Das nicht, das nicht!« stotterte Bärmann, »aber lassen Sie mich wissen, warum Sie mir kein Wort gesagt haben von dem Vermächtniß?«

»Weil – ich weiß nicht – Bärmann –«

»O, Sie wissen es recht gut. Umsonst haben Sie mich an dem Edelmuth Ihres Vormunds nicht zweifeln lassen! Aber Sie haben auch zu mir kein Vertrauen!«

»Zu wem denn in der Welt!« rief sie mit dem Ton des innersten Herzens.

»So sagen Sie mir,« und er faßte ihre Hand, die noch leise zitterte, »haben Sie nicht gewußt, was in dem Schreiben Ihres Onkels stand?«

»O doch!« sagte sie mit gesenktem Blick.

»So hat er Ihnen verboten, davon zu sprechen?«

»O nein –«

»So sagen Sie mir, liebes Fräulein Emilchen, warum haben Sie es verschwiegen und vor Allen verborgen?«

Emilchen bückte sich, das vertrocknete Syringenzweiglein aufzuheben, und während sie es mit den Fingern zerzupfte, sagte sie:

»Weil ich ein stilles Gelübde gethan hatte, lieber Bärmann. Es sollte Niemand wissen, daß ich Geld hätte, damit nicht, noch einmal, Einer, um meine dreißigtausend Gulden anzuhalten käme.« Sie warf den entblätterten Stengel fort und blickte beschämt zu Boden.

Aber auch Bärmann fühlte sein Herz wie zusammengepreßt. Eine unsichtbare Scheidewand schien sich zwischen ihm und dem so lange geliebten Mädchen aufzurichten.

»Sie haben Recht,« sagte er mit gepreßter Stimme, »nach den Erfahrungen, die Sie gemacht haben, haben Sie Recht, nach Einem alle Anderen zu beurtheilen!«

»Bärmann!« rief Emilie und reichte ihm die Hand.

Aber er faßte sie nicht; er trat einen Schritt zurück und sprach mit schmerzlicher Heftigkeit:

»O, warum habe ich ihn heraufgeführt, warum habe ich Ihnen Ihr Geheimniß entrissen! Wären Sie die Arme, Enterbte geblieben, dann hätte sich leicht der Traum meines Lebens, die Hoffnung meiner alten guten Mutter erfüllt! Dann hätte ich ihm ruhig sein Erbtheil gegeben, und mit dem bescheidenen Antheil, der mir geblieben, ruhig und redlich weiter gearbeitet; dann hätte am Ende doch der schiefe Bärmann mit den rothen Augen das Herz gehabt, Ihnen zu sagen: wollen Sie mein Schicksal theilen, Emilchen? und Sie hätten nicht geglaubt, daß, wer um Ihr Herz wirbt, nur um Ihr Geld anhält.«

»Bärmann!« rief Emilchen mit einem Aufschrei des Herzens. »Das können Sie von mir glauben?«

»Muß ich nicht,« erwiederte er, »da Sie auch mir es verheimlicht haben?«

Emilchen blickte zu ihm auf, vorwurfsvoll und liebevoll zugleich.

»Begreifen Sie es wirklich nicht,« sagte sie, »weßhalb ich es Ihnen vor allen Anderen verschwieg? So muß ich es Ihnen wohl sagen,« fuhr sie fort, den Kopf an seine Schulter lehnend, »weil ich längst wußte, wie Sie dachten; weil Sie, Guter, Anspruchsloser, der vermögenden Erbin nie gesagt haben würden, was Sie dem armen, häßlichen Schlemilchen – –«

Sie konnte das Wort nicht aussprechen, denn seine Lippen hatten ihr plötzlich den Mund versiegelt. Zwei wenig schöne Menschen hielten sich umschlungen, zwei selten schöne Seelen floßen in einander!

So hielten sie sich lang und stumm umschlungen. Indessen war Frau Jochebedchen aus der Küche heraufgeschlichen, zu hören, ob bei der gefürchteten Verhandlung kein Unglück geschehen sei. Sie lauschte an der Thür, dann wischte sie mit dem Zipfel der Schürze sich die Hand ab und drückte leise auf die messingene Klinke. Da sah sie die Gruppe der Glücklichen und betrachtete sie, unter Thränen lachend.

»Zu Massel (Glück) und zu Broche (Segen)!« rief sie halblaut.

»Mutter!« rief Bärmann.

»Mutter!« rief Emilchen. Und sie umarmten die kleine alte Frau.

»Nun endlich! endlich!« rief diese, »hast Du's endlich herausgebracht, daß Du sie gern hast und dergleichen Sachen alle mehr! wie er, Obwescholem, gesagt haben würde.«

Bei dieser Erinnerung blickten die beiden Glücklichen gen Himmel und lächelten; es war ihnen, als sähen sie Onkel Markus mit dem Lächeln um den breiten Mund, der ihnen seinen Segen gäbe – und »dergleichen Dinge alle mehr!«

Die Verhandlung mit dem Bevollmächtigten des Erben führte rasch zum Ziel. Bärmann kaufte das Geschäft und führte seine Braut heim. Jochebedchen und Jeanette, die jetzt Madame Rothschild hieß, waren die »Unterführerinnen.« Letztere hatte eine ganze Silbergarnitur als Einwurf und einen halben Wagen voll melsunger Butterkuchen für die Hochzeit mitgebracht. Der gebildete Roßhändler wollte einen prächtigen Mecklenburger für das »Spinnrädchen« zum Präsent machen, aber Bärmann nahm dieß nicht an. Das Geschäft blühte durch seinen Fleiß, ja der Titel eines Lotterieassessors ward dem würdigen Nachfolger des Herrn Markus bald darauf verliehen und Schlemilchen hieß nun: Frau Assessorin. Als der alte Mewes starb, verkauften sie das »Spinnrädchen«, das bescheidene Paar wanderte lieber zu Fuß in die »Au«, wo ihr Söhnchen in der »Affenallee« Kastanien sammelte. Sie hatten es nach dem unvergeßlichen Wohlthäter Markus genannt, und es war nach dem alten Satz, daß zwei Verneinungen eine Bejahung bilden, ein schönes, blondlockiges Knäbchen geworden.

Die Frau Assessorin hat nicht nur Jochebedchen, die trotz der Standeserhöhung ihres Sohnes die Küche nie verließ, sondern auch ihren treuen Gatten überlebt.

Das Geschäft übergab sie fremden Händen, da ihr Sohn entschiedene Neigung zu klassischen Studien zeigte. Markus Bärmann, der als Student sich »Max« nannte, ist ein tüchtiger Gelehrter geworden. Er war der Erste, der als Jude an eine deutsche Universität als Professor berufen wurde. Seine Mutter hat diese Ehre nicht erlebt. Sie starb wenige Wochen, bevor dieser, die ganze Gemeinde mit stolzem Triumph erfüllende Ruf erfolgte.

»Schlemilchen bleibt doch Schlemilchen!« würde der alte Lewy gesagt haben, wenn er nicht schon längst gestorben wäre!


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