Karl Philipp Moritz
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Karl Philipp Moritz

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Die Sinfonie

Am Abend kehren die Schnitter heim vom Felde, und schleppen ihre Sensen nach.

Dem Hungrigen ist das Mahl, dem Müden die Lagerstatt bereitet.

Sie grüßen das Dach der gewohnten Hütte, und das kleine Fenster in der leimernen Wand.

Sie lagern sich, ehe die Dämmerung kommt, und schlummern, bis die Lerche erwacht.

Dann hebt das neue Tagewerk an – und immer wächst die Mühe, je höher die Sonne steigt.

Und wenn der Schweiß von der Stirne träuft, so labt ein erquickender Trunk den Gaumen; bis die Stunde des Mittagsmahls mit schwerem Schritte heranrückt.

Nun lagern die Müden sich in den Schatten, verzehren hastig ihr Mahl und eilen schnell wieder an ihr Werk, denn ein Gewitter steigt herauf.

Die donnerschwangere Wolke lähmt den Arm, die Hände werden lass.

Aber siehe! von Abend her erhebt sich ein kühler Wind, die Wolken zerteilen sich – das drohende Gewitter zieht vorüber.

Nun ist der Schweiß getrocknet; die Sensen heben sich in schnellerem Takt, die Ähren fallen dichter; das Feld ist leer.

Nun, denkt der Arbeiter bei sich selber, eilt der Abend näher; ich werde bald auf dem Lager liegen. Es dauert nicht lange mehr. Und während er noch so denkt, ist es schon Feierabend.

Eilend nimmt er das Mahl zu sich, um sich zu der morgenden Arbeit zu stärken und Zeit zum Schlaf zu gewinnen.

Kaum hat er sich niedergelegt, so ist Gedanke und Bewußtsein ihm entflohen, bis die Liebe zur Arbeit ihn mit der Morgendämmerung wieder weckt.

Der Prediger schlummert noch ein Weilchen, aber nicht lange mehr; er grüßt die Morgenröte in der Laube in seinem Garten hinter der Pfarrwohnung.

Er durchwandert die schmalen Pfade zwischen den angepflanzten Beeten, und sieht was keimt, und was im Mutterschoß der Erde noch verschlossen bleibt. –

Dann eilt er auf die Wiese durch das Gartentürchen und saugt aus Blumen und Kräutern den Honig seiner Rede.

Hier lernt er betrachten und unterscheiden, was in der einfachsten Bildung Mannigfaltiges ist, und lernt das Mannigfaltige wieder vereinfachen, wie den Strauß von Blüten. Hier ordnen sich seine Predigten an die horchende Menge und an den einsamen Trauernden.

Er späht den wunderbaren Bildungen in ihren ersten Keimen nach, und ahnt leise, wo er nicht frei zu denken wagt.

Die einsame Stunde, mit dem Schleier umhüllt, verfliegt ihm schnell und macht der geselligen im rosenfarbenen Gewande Platz.

Sie kommt im holden Reihentanz mit ihren Schwestern und ladet den frohen Einsamen in ihre Umarmung ein. –

Die Pfarrwohnung ist doch bequem, obgleich die Stuben schiefwinkelig sind. Auch in schiefwinkeligen Stuben wohnt die stille Freude und süßes Lebensglück. –

Da steht in einer Ecke der braune Bücherschrank, und in der anderen der pyramidalische Aufsatz zum weißen hellklingenden Porzellan. Das alles ist so glänzend und so schön; die Griffe an den neugemachten Türen sind poliert, die Küche ist hell und groß. Die Fenster des Studierzimmers sind nach dem Garten zu, und grüne Vorhänge schützen gegen den brennenden Sonnenstrahl.

Und wohnt die Liebe nicht in Hütten des Landmanns, so wohnt sie doch viel bequemer in der zierlichen Pfarrwohnung, die wie ein Palast über den Hütten emporragt, und wo der Rauch vom Herde nicht aus der Tür zieht, sondern durch den Schornstein in die Luft emporsteigt.

Hier tönen oft in stillen Stunden die Saiten des Klaviers und sind ein sanfter Widerhall vom schönen Lebenswohllaut.

So fliehen die Tage hin, und kehren niemals wieder? – Dieselben nie; denn das Zufällige verschwindet, aber das Wesen der Dinge erneuert sich in ewiger Jugend.


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