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Während Hartknopf die Lieder spielte, wurde der Tisch für vier Personen gedeckt und die Frau St. mit ihrer Tochter traten herein. Die Mutter mochte im fünfzigsten, die Tochter im dreißigsten Jahre sein. – Hartknopf wurde von ihnen freundlich bewillkommnet, und man setzte sich zu Tisch, wo das Gespräch bald heiter und froh wurde und auf allerlei weltliche Dinge fiel.
Hartknopf erzählte von Erfurt, von den drei Brunnen und vom Steigerwald; und von seiner Art periodisch zu studieren, die dem Herrn von G. gar großes Vergnügen machte. Sie kamen nun auf das Universitätsleben zu sprechen, und der Herr von G. erzählte von einem Duell, das er in seiner Jugend gehabt hatte.
Nun kamen politische Gegenstände an die Reihe, worin der Herr von G., der selbst einen beträchtlichen Gesandtschaftsposten bekleidet hatte, reelle Kenntnisse besaß. Die Jungfer St. würzte das Gespräch mit einem leichten spottenden Witz, womit sie den wichtigen Weltangelegenheiten wieder ein komisches Ansehen zu geben und die Übergewichtigkeit der Dinge immer wieder ins Gleis zurückzubringen wußte. Die Frau St. belebte die Einfälle ihrer Tochter durch einen launigen mütterlichen Ernst, womit sie ihr dieselben verwies.
Die Jungfer St. fragte schalkhaft, ob Hartknopf schon die Bekanntschaft des Pächters Heil, eines sehr braven Mannes gemacht habe, und Hartknopf wäre über diese Frage beinahe in Verwirrung geraten, so wunderbar überraschte sie ihn durch den Ton und die Miene, womit die Jungfer St. diese Frage an ihn tat. Denn der Pächter Heil und seine Schwester standen wie zwei verschlungene Buchstaben in seinem Gedächtnis, deren Züge sich ineinander verwickelten, und das Verwickelte zog die Verlegenheit nach sich.
Hartknopf half sich so gut er konnte, und die Jungfer St. erbarmte sich seiner und fing an, mit dem Herrn von G. über Rußland und Polen zu sprechen.
Die Jungfer St. hatte bei einer blassen Gesichtsfarbe ein fast zu feuriges Auge, welches dem Herrn von G. oft mit einer Lebhaftigkeit begegnete, die mehr als Ehrfurcht bezeichnete, weil die Jungfer St. wirklich mehr als Ehrfurcht gegen den edlen Greis hegte, der ihrer ganzen Liebe wert war. Sie war unter den Augen des Herrn von G. in diesem Hause aufgewachsenen, in welches ihre Mutter schon im 26. Jahre als Witwe in Dienst getreten war, um die Verwaltung des Hauswesens noch bei Lebzeiten der Gemahlin des Herrn von G., welche sehr kränklich war, zu versehen.
Der Herr von G. besaß auch selbst in seinem Greisenalter noch eine gewisse Lebhaftigkeit, die ihn und andere oft seine Jahre vergessen machte. So schien diesen Abend sein Puls schneller zu schlagen, sein Blut jugendlicher in seinen Adern zu fließen, und endlich erklangen auch, vom Saft der edelsten Trauben angefüllt, die Gläser. –
Das Gespräch lenkte sich noch einmal eigensinnig auf den Pächter Heil und auf die Liebe, und Hartknopf bewaffnete sich diesmal mit Doktor Martin Luthers Tischreden, die er aber in diesem Zirkel nicht nennen durfte, und sagte, indem die Jungfer St. ihr Glas mit dem seinen anklang, folgende Losung:
Wein und Liebe, und Gesang!
Nun war schon vorher die Rede von dem trefflichen Gesang der Jungfer St. gewesen, welches Lob sie bescheiden von sich gewiesen hatte, nun aber nicht ferner konnte, da sie auf Befehl des Herrn von G. es bestätigen mußte. Sie sang und spielte also zum Beschluß folgendes kleine Lied, welches der Herr von G. ebenfalls aus dem Französischen der Madame . . . . in seine Art Verse übersetzt hatte, und fast zu gerne es immer wieder hörte:
Zu glauben, daß man grade geht, Blind sein, und sich verirren; So geht ein Narr voll Gravität, Die Bücher ihn verwirren, Und in seiner Gelehrsamkeit Ist er blind, töricht jederzeit. |
Hartknopf fing schon an, über dies Lied ein wenig verdrießlich zu werden; denn er konnte die Mystik wohl leiden, bis auf den Punkt hin, wo sie das menschliche Wissen ausschließt und für Torheit achtet. Hartknopf hatte sehr viele Achtung für das menschliche Wissen, es mochte sich aufwärts oder abwärts erstrecken; am liebsten war es ihm aber, wenn es von der Ceder bis zum Ysop reichte – und weil dies so selten in diesem Lande der Fall ist, so mochte er gerne fremdes Wissen dem eigenen ansetzen, um sich allmählich eine Leiter zu bauen, auf der er ein wenig über die Erdfläche emporsteigen und um sich herschauen konnte. Wer ihm da nun eine Stufe unter den Füßen wegbrach, den mußte er wie einen hämischen Feind betrachten, der ihm ein unschuldiges Vergnügen mißgönnte, und beinahe so betrachtete er den Herrn von G. in diesem Augenblick, da die Jungfer St. auf dessen Befehl das obige Lied sang.
Er lenkte, da es vorbei war, das Gespräch so bald wie möglich auf Kenntnisse und Wissenschaften und gestand ein, daß er sie zur Leiter brauche, weil er nicht fliegen könne; und derjenige, welcher fliegen könnte, doch immer sehr Unrecht täte, wenn er dem, welcher es nicht könnte, noch dazu die Leiter wegrücken wollte.
Das wollte nun der Herr von G. wahrlich nicht, sondern es war eine ganz andere Ursache, weswegen er das Lied gerne hörte, die aber Hartknopf nicht wußte; den es daher auch gar nicht gereute, daß er den Herrn von G. durch seine harten und spitzen Worte tief beleidigt hatte. Denn ihm war es nur um die Sache zu tun und er sah die Kluft vor sich, welche zwischen ihm und dem Herrn von G. lag, aus dessen Hand er in dem Augenblick die seinige zog.
Der Herr von G. dachte sich nämlich bei dem Narren voll Gravität in dem Liede unter anderem den verstorbenen Pfarrer in Ribbeckenau, welcher wirklich Gelehrsamkeit besaß und dem Herrn von G., der sich anfänglich mit ihm eingelassen hatte, in seinem Leben manches Herzeleid verursachte. In der Freude seines Herzens, da er nun seinen teuren Hartknopf mit dessen Vorgänger verglich, ließ er die Jungfer St. das Lied singen, und dachte nicht daran, daß es auf Hartknopf eine so widrige Wirkung tun könne.
Freilich hatte der Herr von G. einen Widerwillen gegen den Stand der Prediger überhaupt und traute ihnen nicht viel zu, wie folgende Stelle in einem seiner Briefe beweist, welcher mir zu Händen gekommen ist;
»Wie Herr Pastor Dammermann steht, so stehen die meisten Pastores, die wirklich Gott fürchten, aber bei ihren Lehrbegriffen stehen bleiben. Sie verstehen nicht, was mystische Schriften sind, indem sie keine Erfahrung davon haben. Es ist auch nicht gut, sich mit solchen, wenn sie nicht was Tiefes erkennen, allzu bekannt zu machen, weil man leicht mit einem Heuchler könnte bekannt werden, der sich gut zu sein stellen könnte, und alsdann könnte ein solcher einem leicht Verfolgung und allerlei Leiden erwecken.«
Nun kamen aber noch mehrere Dinge zusammen, welche die Vorliebe des Herrn von G. zu dem obigen Liede, wo nicht entschuldigen, so doch erklären. –
Es war nämlich damals gerade eine Schrift wider die Schwärmerei erschienen, welche viel Aufsehen machte, deren Verfasser mit einer Selbstgenügsamkeit ohnegleichen und mit einer bitteren Unduldsamkeit alles in eins warf, was ihm freilich eins zu sein schien; welcher so wenig Sinn hatte, das Zarte vom Groben zu unterscheiden, daß dieses Buch freilich den Herrn von G. empören mußte, statt ihn aufmerksam zu machen.
Folgende Stelle schien ihm besonders hart, und er konnte sie nie ohne Unwillen lesen:
»wer es auch sei, der euch von einem inneren Worte, von höheren Offenbarungen spricht – hütet euch vor ihm, wie vor der Pest, die im Finstern schleicht – er ist ein bübischer Gleißner, oder ein intoleranter Dummkopf, und in dem einen Falle so gefährlich wie in dem anderen.«
Nun war der Herr von G. weder ein Gleißner noch ein Dummkopf, und sprach doch auch von einem inneren Worte und von etwas, das er für höhere Offenbarungen hielt, – die Stelle in dem Buche würde ihm aber doch nicht so hart aufgefallen sein, wenn der ganze Geist des Buches wider die Schwärmerei ihn nicht schon gedrückt hätte.
Denn es war ihm immer unerklärbar, daß es für irgendjemanden möglich gewesen sei, so zu schreiben – seine Zartheit des Denkens konnte jene Grobheit nicht übertragen, sondern erlag darunter. –
Nun hatte er aber doch bei aller Tötung der Eigenheit immer noch so viel Selbstgefühl, daß er wohl wußte, eine Denkkraft, welche die Sache fein zu nehmen weiß, sei mehr als eine solche, die das nicht vermag.
Dies hob ihn selbst wieder in seinen Gedanken empor und nährte den kleinen mystischen Übermut, der ihn zuweilen anwandelte. Der Narr voll Gravität stand dann vor ihm, der in seine Worte eine Gravität legen wollte, die seine Gedanken nicht hatten.
Dies war die sonderbarste Mischung von Überlegenheit und Schwäche, die man sich denken kann – und eben daraus entstand das Disharmonische jenes unmerklichen Übermutes bei dem Herrn von G., welchen Hartknopf nicht ertragen und seinen Spott darüber nicht zurückhalten konnte.
Als ihm aber der Herr von G. die oben erwähnte Stelle in dem Buche zeigte, welches broschiert auf dem Klavier lag, so wurde die Miene des Spottenden allmählich wieder sanft und gut.
– Ja, sagte Hartknopf, mir fällt immer jener lahme Schulmeister ein, der in seiner Schulstube saß, die Rute und den Stock aus dem Fenster gesteckt, und dazwischen durchsah, wie die Jungen im Dorfe schwärmten.
– Ach, wie sie schwärmen! seufzte er, wenn ich sie wieder habe, wie will ich sie züchtigen!
Der Herr von G. lächelte und sagte: – die schwärmenden Bienen saugen den Honig!
– Wohl! erwiderte Hartknopf, aber sie wohnen und bauen den Honig in ihrem Korbe!
Hiermit wünschte man sich einander gute Nacht. Die Frau St. wies Hartknopf sein Lager an, und ihre Tochter begleitete den Herrn von G.