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Die germanische Politik des Augustus.

Vortrag, gehalten im wissenschaftlichen Verein in Köln

23. März 1871. Im neuen Reich 1871 S. 537-556.

Wenn der Staat das Volk ist und die Vollendung des menschlichen Daseins es fordert, daß die zusammengehörigen Stämme, sei es durch freiwilligen Entschluß, sei es durch den unwiderstehlichen Zwang außerordentlicher Verhältnisse, sich zu einem Staat zusammenfassen, so ist das entsprechende negative Gegenbild die dauernde Unfreiheit und Dienstbarkeit einer zu eigener Herrschaft und Herrlichkeit geschaffenen Nation. Es ist den Römern beschieden gewesen, wie viele andere politische Phasen und Institutionen, so auch diese beiden Gegensätze mit einer Schärfe und einer Großartigkeit zu gestalten, die diesen ihren Bildungen gewissermaßen den Charakter der Allgemeingültigkeit verleiht, dem Volksstaat wie der Völkerfrone, dem populus Romanus nicht minder wie der provincia populi Romani.

Auch das römische Volkstum, jener populus, ist nicht mit leisem Druck, nicht mit milder Hand zusammengefügt worden; die öden Täler Samniums, die verkümmerten Reste des einst im glänzenden Städteschmuck prangenden Großen Griechenlands, Capua, das für seinen Versuch mit Rom zu wetteifern zum Dorf herabgesetzt ward, konnten davon erzählen, daß in Italien das Einigungswerk nicht mit dem schonenden Messer des Arztes durchgeführt worden war. Wo jetzt im gleichen Falle alle berechtigten und manche unberechtigte Eigentümlichkeiten geschont werden, wo der Bezwungene nicht ganz abgeneigt ist sich bezwingen zu lassen und andererseits nicht selten eine schwächliche Gutmütigkeit der historischen Mission des Zwingenden in den Arm fällt, da waltete in jener fernen Zeit die Konsequenz des Partikularismus in ihrer ganzen fürchterlichen Unbedingtheit und vernichtete da, wo wir jetzt annektieren. Und dennoch war auch das Einigungswerk jener Zeit eine große segens- und zukunftsreiche Tat. An dem römischen Bürgermut brach die überlegene Civilisation der Phönikier, das unvergleichliche Genie ihres großen Führers. Daß nicht Kunst und Geist, sondern der entschlossene Mut eines einigen Volkes die mächtigste Macht auf der Erde ist, das zeigen die beiden größten Kriege der Weltgeschichte, der Hannibalische Italiens und der neue nordamerikanischer Bürger gegen die Sklavenaristokratie. Italien ist mehr noch in Rom aufgegangen als Rom in Italien; der Zwang war die Grundlage ihrer Ehe und manches in den historischen Vorgängen dabei erinnert an jene urälteste Brautwerbung, wo nicht das schmeichelnde Wort, sondern der harte Griff des Freiers das Mädchen zwingt dem Mann zu folgen. Aber Zwangsehe ist nicht immer böse Ehe. Ich weiß nicht ob die jüngste Schwester im Kreise der historischen Wissenschaften, die Statistik, die in ihrer übermütigen Jugendlaune gar manches berechnen möchte, was sich nicht berechnen läßt, schon Tabellen darüber aufgestellt hat, wie die Ehen, die der Vater, und die Ehen, welche die Liebe schließt, in ihrem Ergebnis sich zueinander verhalten; was die Völker anlangt, so fragt die Geschichte wenig nach dem Einigungsgrund, wenn nur das Ziel erreicht, nur die tatsächliche Einheit formuliert und konstituiert, das Volk zum Staat zusammengefaßt wird. Im Altertum ist es allein Rom oder, wenn man will, die latinische Nation, die dieses Ziel voll erfaßt und ganz erreicht hat, und dies meinen wir, wenn wir die Römer in besonderem Sinn ein geschichtliches Volk nennen. Das nomen Latinum ist die erstgeborene der Nationalitäten, welche frei in und durch sich selbst zum Staat zusammengefaßt wurden.

Aber wo die Götter walten, sind die Teufel nicht fern. Der populus Romanus schuf sein Gegenstück, die provincia populi Romani. Wie dies gekommen ist, wie das neugeschaffene italische Volk auf den heillosen Weg geführt ward die angrenzenden der Assimilation unfähigen Nationen sich botmäßig zu machen, ihre Territorien nach dem Ausdruck des römischen Staatsrechts in Landgüter des römischen Volkes umzuwandeln, das kann hier nicht auseinandergesetzt werden; aber im allgemeinen muß doch daran erinnert werden, was geschichtlich unbestreitbar feststeht, daß nicht die Eroberungslust auf diesen Weg geführt hat, sondern die Philisterfurcht. Sehr wohl haben die Römer es begriffen, daß, wie die Eroberung, solange sie das Volk zusammenfaßt, Selbsterhaltung ist, sie ebenso Selbstvernichtung wird, sowie sie die nationalen Grenzen überschreitet; und ebenso haben die Römer der Republik klar begriffen, daß man Italien latinisieren konnte, nicht aber das wesentlich griechische Sicilien, geschweige denn die ferner liegenden Küsten, oder daß, wenn man es konnte, wie es ja denn in der Tat späterhin in Afrika, Spanien, Gallien großenteils durchgeführt worden ist, dies nur eine andere Form war die zum Staat geschaffene latinische Nation in das unstaatliche Konglomerat aufzulösen, welches jetzt unter dem Namen der lateinischen Rasse ein namhaftes Element der politischen Konfusion ist. Dies alles haben die Römer wohl verstanden, und wie es den Bürgermeistern der Republik unbedingt gestattet war die Grenze gegen die Alpen hin auszudehnen, so gelüstete den Senat keineswegs nach Syrakus und Athen, nach Karthago und Marseille. Aber Ruhe wollte man haben vor dem Nachbar. Man begnügte sich nicht mit dem wohlbegründeten Bewußtsein militärischer Übermacht, sondern die Kriegsmänner jener Zeit wünschten den Nebenbuhler in solche Ohnmacht zu versetzen, daß er nicht daran denken könne den Kampf zu erneuern, und das Philistertum der Massen, immer eine furchtbare politische Macht und vor allem, wenn man es dazu gebracht hat sich zu fürchten, rief solchen Patrioten lauten Beifall, die den Legionen das Marschieren an die ferne Grenze oder gar die Fahrt über das Meer hin ersparten. So nahm man Sicilien, nicht um es zu haben, sondern damit die Karthager es nicht hätten und nicht von da aus Italien angreifen könnten, und als diese Berechnung sich falsch erwies, als Karthago dennoch angriff und Italien an den Rand des Untergangs brachte, da schlug man mit heldenhaftester Anstrengung den Feind nieder, aber den Frieden diktierte abermals die durch den entsetzlichen Krieg aufs äußerste gesteigerte und freilich auch entschuldigte Philisterfurcht. Man nahm Spanien, dann nach einigem Schwanken und Zögern auch die griechische Halbinsel, auch Asien; und die freie latinische Nation fand sich zu ihrem eigenen Entsetzen wieder als den Kerkermeister der angrenzenden Nationen, verstrickt in das Netz der sogenannten Weltherrschaft. So kam der populus Romanus dazu seinen Gegensatz zu schaffen. Das Zeugnis aber muß man den Römern geben, daß dieselbe Folgerichtigkeit und, was eng damit zusammenhängt, dieselbe praktische Vollendung in dieser Einrichtung waltete wie in der Einigung der latinischen Nation. Dadurch, daß die herrschende Nation sich selbst in den freiesten Formen regierte, hat der Gegensatz hier in seiner vollen Schroffheit sich ausarbeiten können, während er sonst in der Regel durch den Absolutismus abgestumpft, ja aufgehoben wird, welcher auf der sogenannten herrschenden wie auf den beherrschten Nationen gleichmäßig lastet. Solange dieser Absolutismus z. B. in Österreich bestand, waren die verschiedenen Gebiete eben alle Kronländer und es kam nicht gar viel darauf an, welche seiner Sprachen der zeitige Habsburger am wenigsten unvollkommen handhabte. Wäre es möglich, was es nicht ist, daß eines dieser Länder die Suprematie erlangte, so würde man an seiner Stellung – beispielsweise Ungarns gegenüber Steiermark und Galizien – lernen können, was die alte Welt wirklich hat erfahren müssen in dem Verhältnis Roms zu Spanien und Afrika. Hierin liegt die historische Rechtfertigung Cäsars und überhaupt der römischen Monarchie. Die latinische Nation hatte erst die Einheit und Freiheit für sich und dann den großen Völkerzwinger gebaut. Zurückstellen konnte man den Zeiger der Weltgeschichte nicht; das vernichtete Gleichgewicht der Nationen ließ sich nicht wiedererzeugen, der fürchterliche Widerspruch, der in jenem Regiment lag, nicht dadurch ausgleichen, daß man die Knechte wieder zu Herren, sondern nur dadurch, daß man auch die Herren zu Knechten machte. So kam es denn, und mindestens die bisherigen Knechte gewannen bei diesem Tausche.

Die Monarchie der Cäsaren stand der großen Frage der Nationalitäten durchaus anders gegenüber als die alte Republik. Diese hätte nie erobern sollen und wo sie es tat, da geschah es deshalb mit zagender Hand und bösem Gewissen. Jeder Landstrich, den man sich weiter unterwarf, machte den Widerspruch der Zustände unerträglicher; die besseren Männer fühlten mit jedem neuen Sklavenhaufen, den man in den Zwinger einschloß, die Kraft der Herren weiter sinken. Darum hat der Senat, solange er aufrecht stand, die Reichserweiterungen mehr über sich ergehen lassen als erstrebt, mehr aus Schwäche und Inkonsequenz, wie sie einem alternden kollegialischen Regiment innewohnen, als in bewußtem Abfall das Prinzip der Nationalität verleugnet, aus dem Rom seine Lebenskraft zog. Für Cäsar und die Cäsaren war das Prinzip von Haus aus nicht vorhanden. Die Rechtfertigung der Monarchie lag ja eben darin, daß damit jener unnatürlichen Herrschaft des einen Stammes über alle übrigen ein Ziel gesetzt ward, daß, wenn auch mit vielfachen Übergängen und Milderungen, Italien aus seiner gebietenden Stellung in die gemeinsame Untertänigkeit gegen das neue Oberhaupt eintrat. Diese Monarchie also umfaßte von Anfang an und notwendig verschiedene Nationen, und wie sie einmal war, konnte sie ihrem Wesen unbeschadet erweitert werden. Darum ist es gerechtfertigt und wiederum ein Beweis der scharfen und klaren Ausprägung, die alle politischen Bildungen Roms auszeichnet, daß der Begründer der neuen Monarchie zugleich den großartigsten, ja man kann vielleicht sagen den einzigen wirklichen Eroberungskrieg geführt hat, den die römische Geschichte verzeichnet. Ich meine natürlich die Eroberung des Gebietes zwischen dem Rhein und dem Altantischen Ocean, Nord- und Mittelfrankreichs und des linksrheinischen Deutschlands, durch den Statthalter der beiden Gallien Gaius Cäsar. Dies große Gebiet, die feste Burg desjenigen Volksstammes, der wie der Erbfeind so auch der unfreiwillige Begründer der italischen Nationalität gewesen ist, wurde durch einen aus freiem Entschluß unternommenen, mit geringen Streitkräften und unter schweren militärischen Wechselfällen und politischen Verwickelungen meisterhaft durchgeführten achtjährigen Krieg dem Römischen Staat unterworfen und sofort, ohne das sonst übliche Zaudern und Schwanken, in ein Reichsland verwandelt. Genau dasselbe Gebiet, das Schauplatz des jetzt eben abgeschlossenen gewaltigen Krieges war, ist auch Schauplatz von Cäsars gallischen Kämpfen gewesen, und an welthistorischer Bedeutung gibt der Krieg, welcher vor zwei Jahrtausenden die romanische Rasse zum Herrn von Frankreich gemacht, dem Kriege nichts nach, der sie jetzt mit eisernem Griff in ihre rechten Schranken zurückgewiesen und die alten Grenzsteine deutscher Nation mit jungem deutschen Blut wieder gefestigt hat. Jener Krieg Cäsars bewies es, daß nicht die alte Republik, wohl aber die neue Monarchie erobern konnte und erobern wollte, und als der Cäsarismus in Rom sich befestigte, als er die im Todeskampf mehr als in ihrer Altersschwäche furchtbare Partei der Republik schließlich überwand, da mochte der römische Dichter mit gutem Grund den Kelten und Britannern zurufen auf ihrer Hut zu sein. Es ist das Verhängnis solcher Staatenbildungen, die von der Nationalität sich loslösen, daß es für sie keine Schranken mehr gibt. Wo war die Grenze Alexanders? warum am Taurus und nicht vielmehr am Euphrat? warum am Euphrat und nicht vielmehr am Indus? warum war der erste Napoleon verurteilt in ähnlicher Weise das Werk des babylonischen Turmbaus so lange höher und höher zu führen, bis es über seinem Haupt zusammenbrach? die römische Nation war auf dem Punkt angelangt, wo die Grenzen des Staates bestimmt werden entweder durch das resignierende Geltenlassen des zufälligen status quo oder durch den wahnwitzigen Lauf nach dem immer nahen und doch immer wieder zurückweichenden Horizont der Weltbeherrschung.

Dem Begründer der neuen Monarchie war es nicht beschieden dem Schicksal eine Antwort auf die Frage zu geben, welchen dieser beiden Wege Rom einschlagen werde. Ein zwanzigjähriger Bürgerkrieg raffte ihn und mit ihm den besten Teil der Nation hinweg; aber die Monarchie überdauerte die Krise und ging, wenn auch geschwächt und zu wesentlichen Kompromissen genötigt, doch im ganzen als Sieger aus derselben hervor. Was der Oheim begonnen hatte, sollte der Neffe vollenden; mit der andern ungeheuren Erbschaft kam an den zweiten Cäsar, den ersten Augustus, auch die schwere Wahl zwischen der Politik des dauernden Friedens und der Politik der fortgesetzten Eroberung.

Augustus hat, wie in so vielem andern, auch hier geschwankt. Die dämonische Sicherheit, mit der Cäsar seine Entschlüsse faßte, war nicht auf ihn übergegangen; wenn jener vielleicht nicht frei war von der Verirrung des Genies, des Unmöglichen sich zu unterfangen und die Bedingtheit alles menschlichen Wollens und Wirkens zu vergessen, so war diesem im Gegenteil das Maßhalten, das Rücksichtnehmen, das Ausgleichen angeboren und ward ihm mehr und mehr zur andern Natur. Viele seiner Aufgaben hat er von mancherlei Seiten angegriffen, oft seine politischen Pläne verworfen und die gezogenen Linien wieder korrigiert. Diese Aufgabe war in der Tat von der Art, daß ein Schwanken wenn nicht gerechtfertigt, doch begreiflich ist.

Was Krieg ist, wissen wir jetzt, und wenige werden bestreiten, daß auch der gerechteste und glücklichste Krieg dem Volke nie unmittelbar das ersetzt, was er unmittelbar zerstört, daß es die Moral eines jeden Krieges ist, dem gedankenlosen Menschengeschlecht die Notwendigkeit des Friedens wieder zum lebendigen Bewußtsein zu bringen. Und doch gibt es vielleicht besondere Verhältnisse, wo es für einen Staat ich sage nicht ein Glück, aber das mindere Unglück ist wieder und wieder auf die Bahn der Eroberung gelenkt zu werden; und vielleicht hat eben der römische nach dem Ende der Republik sich in dieser Lage befunden. Das Selbstregiment war unwiederbringlich zu Ende. Mochte das, was man bisher Freiheit genannt hatte, diesen Namen verdienen oder nicht, mochte Titelsucht und Habsucht auch noch so oft in dem vornehmen Gewande der alten Volksfreiheit sich drapieren, es war dennoch ein vernichtender Schlag für die Nation, als aus den Ruinen der morschen Republik der neue Thron sich erhob. Es war der Übergang vom Leben zum Sterben. Längst war das Gemeinwesen krank gewesen; jetzt war es tot. Es war sehr übel, daß die Wahlstimmen gekauft wurden, aber noch übler, daß jetzt sich wohl noch Verkäufer, aber keine Käufer mehr fanden, daß künstliche Mittel angewendet werden mußten, um nur die verfassungsmäßig erforderlichen Volkstribune und Ädilen zu beschaffen. Die Rede wie die Schrift waren in dem wüsten Parteitreiben hüben und drüben gemißbraucht, für Parteizwecke die Geschichte verfälscht, die Justiz geschändet, die Poesie vergiftet worden; aber noch viel schlimmer war es, daß nun die Talente auf einmal versiegten, daß, nachdem die Generation ausgestorben war, die bei Philippi mitgefochten, Rom keine Redner und Dichter mehr hervorgebracht hat. Frivolität und Absurdität, hohle Bildung und leeres Genießen, Gleichgültigkeit gegen Ehre und Pflicht und schließlich gegen das Leben selbst – das ist die Signatur der Zeit. Der Fluch des Absolutismus lag auf dem Staate, und um so entsetzlicher, als er in keiner Weise von ihm genommen werden konnte; denn der Absolutismus war ja notwendig, war ja die Vergeltung, die der populus Romanus wegen der provinciae Romanae und durch diese erfuhr. Man empfand das auch. Verschwörungen und Aufstände füllen die Geschichte des Kaiserreichs; aber nicht eine Verschwörung, nicht ein Aufstand hat stattgefunden um die Republik wiederherzustellen. Es war alles zu Ende gegangen, auch das Wünschen und Hoffen.

Man muß sich diesen Zustand vergegenwärtigen, wenn man darüber entscheiden will, ob in der Augustischen Epoche eine erobernde Politik gerechtfertigt werden kann. Ohne irgendwelche ideale Ziele, ohne irgend ein über das arme Ich hinausgreifendes, in das Allgemeine eingreifendes Streben kann der Mensch, der einmal erfahren hat, was Civilisation ist, nicht bestehen; ohne diese Lebensluft erstickt er. Und wie tief auch die Heergemeinschaft unter der Bürgergemeinschaft steht, wo sie nicht auf dieser beruht, etwas das besser ist als der gemeine Egoismus waltet in jedem Heer, selbst in dem Söldnerhaufen, selbst in der Truppe des reinen Militärstaats. Wo einmal das freie Gemeinwesen unmöglich geworden ist, da ist das Institut des nicht bloß stehenden, sondern auch schlagenden Heeres der letzte Überrest idealen Strebens, mit seiner Gleichheit aller vor der Gefahr, mit seiner Notwendigkeit freiwilligen Gehorsams, mit dem Ringen aller nach einem nicht bloß dem individuellen Egoismus förderlichen Erfolg, mit der herzstärkenden Notwendigkeit des Mutes und der Aufopferung. Das hatte Cäsar wohl begriffen, als er sein Volk erobern lehrte, als er jenen meisterlichen Krieg mit einer Handvoll Leute gegen ein großes und tapferes Volk begann. Jene Soldaten, die zugleich die zeitweilige Hauptstadt Galliens belagert und die zum Entsatz herbeiströmenden Heere der Kelten geschlagen, die gegen zehnfache Übermacht nach zwei Seiten hin Front machend in fremdem Lande den Sieg erfochten hatten, die Veteranen der gallischen Legionen, sie fochten freilich in Aussicht auf Stellen und Orden, auf Siegesgeschenke und Ackerland, aber doch nicht bloß um Dekorationen und Invalidenversorgung. Hier ging der Julische Stern auf, der ein Jahrhundert geleuchtet hat; hier knüpfte sich das geheimnisvolle Band zwischen Feldherrn und Soldaten, das noch die nichtigen Enkel Cäsars auf dem längst verwirkten Throne hielt; hier ward die persönliche Herrschaft möglich, hier die Dynastie gegründet. Es gibt höhere politische Ziele als die Eroberung, tiefere und mächtigere Ideale als Siegesruhm und Kriegserfolg; der Lorbeerbaum treibt geringfügige Blüten und wertlose Frucht. Aber wenn die inneren Kämpfe eine Nation so weit herabgewürdigt haben wie die römische herabgewürdigt worden ist durch die Oligarchie Sullas und die gleichzeitige Demokratie der Gasse, wie die französische durch die wüste Konvents- und die faule Direktorialherrschaft, dann ist die Gloire an ihrem Platz, dann ist es gerechtfertigt den Cäsar zu vergöttern und die Napoleonische Legende zu dichten. So gewiß Nordamerika, dessen Geschichte keine Helden kennt, hoch über Frankreich steht mit dessen glänzender Reihe von militärischen Berühmtheiten, so gewiß ist es besser, daß der französische Bauer sich ein sehr gemeines Individuum zum père Violette idealisiert, als daß er die Regierungen so, wie diese ihn, abschätzt nach dem Maße der Steuern.

Wenn also Augustus Ursache hatte die Befestigung der neuen Monarchie auf demselben Wege zu suchen, welcher zu ihrer Begründung geführt hatte, so sprach doch auch manche wichtige Erwägung für die Politik des Friedens. Das fiel vielleicht am wenigsten ins Gewicht, daß der jetzige Monarch nicht selber eine hervorragende militärische Kapazität war; denn meisterhaft wie er es verstand innerhalb seines nächsten Kreises Feldherren zu finden und zu verwenden, war es für die neue Monarchie vielleicht ersprießlicher, daß die Kriegserfolge sich an ihre Fahnen überhaupt und nicht gerade an die Persönlichkeit des Regenten knüpften. Aber die Rücksichten auf die innere Politik machten den Angriffskrieg außerordentlich schwierig. Das von den Bürgerkriegen furchtbar erschöpfte Land bedurfte und forderte Ruhe; die Auflösung der ungeheuren Heermassen, mit denen durchaus die Parteischlachten geschlagen waren, war Augustus' nächste Sorge und eines der wesentlichsten Momente in seiner »Wiederherstellung des Gemeinwesens«. Die spätere Republik, in ihrem unsicheren und verkehrt konservativen Wesen, hatte wohl immer Truppen auf den Beinen, aber doch streng genommen kein stehendes Heer gehabt; wenn ein solches zu schaffen unerläßlich war, so ist es begreiflich, daß man den Bestand desselben so niedrig griff wie nur irgend möglich. Abgesehen von der schwachen Garde und den nicht viel zahlreicheren Marinetruppen betrug das stehende Heer, wie es Augustus nach der Befestigung der Monarchie ordnete, ungefähr 200 000 Mann, und mit diesen waren der Euphrat, die Donau und der Rhein, waren Ägypten, Spanien und Afrika zu decken und die zahlreichen unbotmäßigen Völkerschaften in den weitgestreckten Provinzen des gewaltigen Reiches im Zaum zu halten. Eine Reserve gab es nicht; bei der durchschnittlich zwanzigjährigen Dienstzeit wäre mit Heranziehung der entlassenen Soldaten zu weiterem Dienst wenig gewonnen worden; nur ausnahmsweise und meistens mißbräuchlich, nicht aber in gesetzlich reguliertem Wege ist in Rom gewiß der Nachdienst vorgekommen. Nicht einmal eine eigentliche Feldarmee war vorhanden; man hatte, nach unsern heutigen Begriffen ausgedrückt, eigentlich nur Festungstruppen und bei jedem irgend über das gewöhnliche Maß des Sicherheitsdienstes hinausgehenden Vorfall mußte man die Garnison von anderen oft sehr weit entlegenen Punkten wegziehen, um den bedrohten zu verstärken. Solche Ordnungen wären unmöglich gewesen, wenn das Römische Reich nicht in gewissem Sinn militärisch so für sich allein gestanden hätte, wie etwa heutzutage die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Sie machen uns aber begreiflich, daß man von Angriffskriegen absah; ja man darf sagen, daß Augustus das Militärwesen in einem Grade auf die Defensive beschränkte, der diese selbst unzulänglich zu machen drohte.

Dementsprechend finden wir Augustus im Anfang seiner Regierung jedes Angriffskrieges sich enthaltend. Insbesondere tritt dies in Beziehung auf die östlichen Nachbarn hervor. Cäsar war eben im Begriff gewesen an den Parthern für die Niederlage von Karrhä Revanche zu nehmen, als der Tod ihn abrief. Seitdem hatten die Parther ihre Schuldrechnung noch vermehrt durch die zeitweilige Überschwemmung von Syrien und Kleinasien und durch die Loslösung des Zwischenstaats Armenien aus der römischen Klientel; aus dem unmittelbaren römischen Gebiet zurückgeschlagen, hatten sie dem Kollegen Cäsars in der höchsten Gewalt auf armenischem Boden die empfindlichsten Verluste zugefügt und zu den Adlern, die sie den Legionen des Crassus abgenommen, weitere römische Trophäen gesammelt. Die neue Monarchie hatte alle Ursache diesen Handschuh aufzuheben; sie viel weniger als die frühere Republik durfte solche Flecken auf der militärischen Ehre Roms dulden. Augustus hat es dennoch getan und das ungeduldige römische Publikum ohne Krieg beschwichtigt; er hat auf diplomatischem Wege die Differenzen beigelegt und es als einen Haupterfolg seiner Politik betrachtet, daß der anderweitig bedrängte Partherkönig durch geschickte Unterhandlungen bestimmt ward, in die Herausgabe jener Siegeszeichen zu willigen. Hier schieden sich die Wege des Oheims und des Neffen. Der Diktator wollte und brauchte den Krieg, nicht bloß um seiner Erfolge, sondern um des Krieges willen; Cäsar Augustus wollte womöglich, und insbesondere in dem ersten Drittel seiner Herrschaft, den Frieden.

Anders lagen die Dinge in dem nördlich von Italien und Griechenland sich erstreckenden Gebiet. Das träge und schwache Regiment der Republik hatte es nicht vermocht, die Nordgrenze sicherzustellen, Macedonien vor den Angriffen der nördlichen Barbaren zu schirmen, die Alpen wenigstens so weit zu unterwerfen, daß die großen Emporien der Küste und die blühenden Städte nördlich vom Po ihrem Handel und Ackerbau ungestört nachgehen konnten. Erst Augustus hat dies nachgeholt; noch bevor er zur Alleinherrschaft gelangt war, trug er die römischen Waffen hinüber auf den nördlichen Abhang der Istrischen und Dalmatischen Alpen bis an die Save.

Es war dies ein wichtiger Schritt vorwärts, und hier war mehr zu gewinnen als im Osten. Sehr wohl erkannte die römische Regierung, daß der Schwerpunkt des Reiches im Westen lag, in den vom Hellenismus unberührten Gebieten Mitteleuropas, nicht aber im inneren Asien. In der Tat wäre jede Ausdehnung des Reiches über die syrische Küste nach Osten eine Schwächung desselben gewesen; dort war nichts zu gewinnen, als um hohen Preis unfruchtbare Siege. Aber war es richtig Halt zu machen am Rhein und am Nordabhange der Alpen? Man kann es wohl begreifen, daß auch diejenigen römischen Staatsmänner, die, wie der Kaiser selbst, einer eigentlichen Eroberungspolitik abgeneigt waren, diese Frage doch nicht ohne weiteres bejahten. Wenn man von der Rheinmündung die Grenze stromaufwärts bis nach Basel führte, das bereits kurz nach Cäsars Tode zur Römerstadt eingerichtet worden war, und von diesem Punkte aus die Donaumündung zu erreichen suchte, trafen die beiden Linien im stumpfen Winkel aufeinander und Großdeutschland, wie die Römer es nennen, schob sich wie ein Keil zwischen dieselben hinein. Auch schied die beiden großen Nationen der Kelten und der Germanen schon damals nicht unbedingt der Rhein. In dem Gebiet der Maas und am unteren Rhein fand bereits Cäsar eine überwiegend deutsche Bevölkerung vor. Das obere Elsaß, der deutsche Teil von Lothringen und die Rheinpfalz scheinen durch Cäsar den Überresten der unter Ariovist nach Gallien gekommenen Germanen zum Wohnsitz angewiesen und also germanisiert worden zu sein. Die Trierer, obwohl ursprünglich keltisch, waren von germanischen Elementen durchsetzt und ließen sich lieber Germanen nennen als Gallier. Köln war eine deutsche und zugleich eine römische Stadt geworden durch Agrippa, der hier einer römisch gesinnten und deshalb von den Stammesgenossen hart verfolgten deutschen Völkerschaft, den Ubiern Sitze angewiesen hatte. In der Tat scheint die Grenze der Nationalitäten so, wie sie im wesentlichen noch jetzt besteht, sich kurz vor oder bald nach Cäsar festgestellt und die Ausbreitung der Germanen auf das linke Rheinufer großenteils durch römischen Einfluß sich vollzogen zu haben. Man begreift es wohl, daß, solange der Kampf zwischen den Römern und Kelten währte oder nachwirkte, jene mit solchen Splittern der germanischen Nation leichter auszukommen meinten, als mit der kompakten keltischen Masse; von den Ubiern wird ausdrücklich gesagt, daß sie in Köln angesiedelt worden sind als römische Wacht am Rhein gegen ihre Landsleute. Aber nicht erst in unserer Zeit erwachte der Gedanke diese Wacht anders zu verstehen. Als ein Jahrhundert nach der Gründung Kölns das Geschlecht Cäsars zu Ende gegangen war und die Deutschen, sich in der Zeit versehend, das Ende des Römischen Reiches gekommen meinten und, über den Rhein hinüberströmend, für den Augenblick die Legionen sich untertänig machten, da beschickten die freien Germanen die Kölner und forderten sie auf, zunächst den Göttern der Nation und vor allem dem Kriegsgott zu danken, daß sie wieder zur deutschen Gemeinschaft und zum deutschen Namen gekommen seien, sodann die unter ihnen lebenden Römer auszutreiben, die Mauern niederzureißen und fortan in der offenen Stadt als Freie unter Freien zu leben. Solche Gedanken lagen also doch damals schon in der Luft, und die Römer unter Augustus mußten wohl einsehen, daß dieser von ihnen selbst wo nicht geschaffene, doch erweiterte deutsche Grenzstreif in seiner engen Berührung mit den freien rechtsrheinischen Germanen ihrer Herrschaft weit gefährlicher war als das Flackerfeuer im Keltenland und der Elan seiner Patrioten. Dies ließ sich nicht mehr ändern; aber um so näher lag es auch die freien deutschen Stämme den schweren Arm des großen Militärstaats empfinden zu lassen. In der Tat blieb Roms Herrschaft über Gallien unsicher und schwankend, solange die Germanen am andern Ufer des Rheinstroms in offener Feindschaft mit den Römern beharrten. Eben um diese Zeit – 738 d. St., 16 v. Chr. – hatten die Völkerschaften an der Lippe die bei ihnen sich aufhaltenden römischen Kaufleute aufgegriffen und ans Kreuz geschlagen, dann den Rhein überschritten und nicht bloß weithinein das Land geplündert, sondern auch in einer förmlichen Schlacht den römischen Feldherrn M. Lollius geschlagen und den Adler der fünften Legion heimgebracht – den ersten, der seinen Weg zu den heiligen Stätten der deutschen Nation fand. In den fast zwanzig Jahren, die seit der Schlacht bei Actium verflossen waren, hatte die Monarchie sich konsolidiert, Italien sich erholt; des Kaisers Schwiegersohn Agrippa, seine beiden Stiefsöhne Tiberius und Drusus waren fähige und bewährte Führer und standen dem kaiserlichen Hause nahe genug, um auch in einem Staate, in dem politische Gründe es verboten ein großes Kommando einem anderen als einem Prinzen anzuvertrauen, Verwendung zu finden. Ob Augustus ganz von freien Stücken sich dazu entschloß, die Friedenspolitik zu verlassen, oder ob er dem Drängen der Seinigen nachgab, die Niederlage des Lollius gab den Ausschlag: er selbst ging im Sommer 738 nach Gallien; der Plan wurde gefaßt den Rhein und das Vorland der Alpen zu überschreiten und in umfassendster Weise die römischen Waffen von Gallien aus ostwärts, von Italien und Macedonien aus nordwärts zu tragen.

Der erste Schritt dazu war, daß man Fuß faßte in der Schweiz und in Tirol und der Pässe der Hochalpen sich bemächtigte. Dies geschah im Jahre 739 der Stadt, 15 v. Chr., hauptsächlich durch einen von Italien aus unter Führung des jungen Drusus an und über den Brenner durchgeführten Angriff, den dann der ältere Bruder Tiberius vom Rhein her unterstützte. Man setzte sich fest am Bodensee, an den Donauquellen, es scheint selbst bei Augsburg, das dieser Expedition seinen Ursprung verdanken mag. Über die Befestigung und Sicherung dieser beherrschenden Stellung am Nordabhang der Hochalpen mögen einige Jahre hingegangen sein; erst im zweiten und dritten Jahre nach jenem Vorspiel folgte der eigentliche Angriff. Wie jenes war auch dieser kombiniert: er richtete sich teils von Italien aus nordöstlich gegen die Save und die Drau, teils von Gallien aus gegen die Weser und die Elbe. Die pannonische Expedition ward von Agrippa begonnen; als diesen noch während der Vorbereitungen der Tod hinwegraffte, trat an seiner Stelle Tiberius an die Spitze des Heeres und er unterwarf in den beiden Feldzügen 742 und 743 das Gebiet zwischen der Save und der Drau. Den anderen Teil dieser Unternehmung führte zunächst Drusus, der Liebling Augusts wie des römischen Volkes, ein glänzender und tüchtiger Offizier. Vier Jahre hintereinander durchzog er das germanische Land, und als auch er mitten im vollen Siegeslauf infolge eines unglücklichen Sturzes vom Pferde den Tod fand, trat der letzte jener drei Feldherren aus dem Kaiserhaus, Tiberius an seine Stelle und führte in den nächstfolgenden zwei Jahren das Werk des Bruders weiter. Die zertrümmerte Überlieferung gestattet uns nicht eine zusammenhängende Schilderung dieser wichtigen Vorgänge zu geben, wohl aber läßt sich im ganzen erkennen, was die Römer gewollt und erreicht haben.

Daß es sich hier um mehr handelte als um eine Rekognoszierung oder eine offensive Grenzdeckung, wie sie Cäsar und später Agrippa bei ihren Rheinübergängen im Sinn gehabt zu haben scheinen, zeigt schon die Stetigkeit dieser Expeditionen, die sechs Jahre hindurch, von 742 bis 747, sich gefolgt sind. Ferner ist es deutlich, daß dieser Krieg von seiten der Römer ebenso ein Angriffskrieg gewesen ist, wie der von Cäsar gegen Gallien durchgeführte. Allerdings sagen die Berichte, daß die Germanen die Angreifenden waren, daß sie die Einführung des römischen Steuerwesens in Gallien zu benutzen dachten, um einen Aufstand gegen die Römer zu erregen, daß in der Tat die linksrheinischen Germanen im Bunde mit ihren freien Stammesgenossen am anderen Ufer sich empörten und die letzteren von Drusus geschlagen wurden, als sie versuchten den Fluß zu überschreiten. Das ist auch gewiß tatsächlich richtig. Die Einführung des neuen Steuersystems drohte ganz Gallien in offene Empörung zu versetzen; die linksrheinischen deutschen Gemeinden, die diese Maßregel mitbetraf, gingen voran und riefen, wie immer, ihre Stammesgenossen vom andern Ufer zu Hülfe. Aber daß der Krieg, wenn auch die Germanen ihn begannen, doch von Drusus beabsichtigt war, zeigt der große, schon vor dem Ausbruch des Aufstandes von Drusus wenigstens begonnene Kanalbau, der den Rhein mit der Südersee verband und dazu bestimmt war der römischen Flotte die deutsche Nordwestküste zugänglich zu machen, und sodann die hartnäckige Kriegführung selbst, nachdem der geringfügige Anlaß längst beseitigt war.

Das militärische Ergebnis der Kriege war zunächst die Befestigung der Rheinlinie durch eine Anzahl – es heißt fünfzig – verschanzter Posten und Lager; es ist wahrscheinlich, obwohl nicht mit Bestimmtheit zu erweisen, daß die beiden großen Standlager, auf denen späterhin Roms Herrschaft über den Rheinstrom beruht, Mogontiacum und Vetera, das ist Mainz und Xanten, einen wesentlichen Teil dieser Anlagen gebildet haben und überhaupt den in Gallien stationierten Truppen ihre regelmäßigen Standquartiere, so wie wir sie später finden, erst in dieser Zeit angewiesen worden sind. Aber die also verschanzte Rheinlinie sollte ohne Zweifel nur die Basis und die Deckung der beabsichtigten viel weiter greifenden Operationen sein. Drusus und Tiberius führten ihre Truppen weiter und weiter ostwärts, an die Lippe, an die Weser und im Jahre darauf darüber, ja über die Saale. Hier, so wird erzählt, erschien dem Drusus die gewaltige deutsche Frauengestalt, die in lateinischer Zunge dem nimmersatten Krieger das Zurück zurief; und unweit der Saale ist er gestorben. Er fand auf diesen verschiedenen Expeditionen hartnäckigen Widerstand, aber keine Eintracht; die Chatten nahmen deutsches von den Römern erobertes Gebiet als Geschenk von diesen an, und daß die Sugambrer, um die Chatten für diesen Landesverrat zu züchtigen, gegen sie mit gesamter Hand aufgebrochen waren, ebnete dem Eroberer den Weg durch ihr Land an die Weser zu den Cheruskern. Das Glück war nicht mit den Deutschen; wir wissen von keinem namhaften Erfolg ihrer Waffen während dieser sechsjährigen Kämpfe. Die weite Ausdehnung der Züge des Drusus beweist an sich noch nicht die Absicht die Grenze über den Rhein vorzuschieben, aber wohl sprechen dafür andere Erwägungen. Es ist schon erwähnt worden, daß dieser Krieg gegen die Deutschen begonnen ward zu Lande wie zu Wasser; und auch hier halfen die Deutschen dem Fremden Deutschland öffnen. Die Bewohner der heutigen holländischen Küste, die Bataver und die Friesen standen auf römischer Seite; ohne Zweifel durch sie gelang es den schon genannten Kanal in überraschend kurzer Zeit und ungestört anzulegen, damit den gefährlichsten Teil der Küstenfahrt abzuschneiden und auf dem unbekannten Meer den Weg zu finden. Erst an der Emsmündung stieß man auf Widerstand; die vor derselben liegende Insel Borkum ward belagert und besetzt, die Böte der anwohnenden Germanen – es waren Brukterer – auf dem Flusse selbst eschlagen. Die Flotte gelangte bis zum jetzigen Jahdebusen. Unverkennbar ist dieser Kanalbau, diese Fahrt, diese Gewinnung von Bundesgenossen, diese Eroberung einer beherrschenden Insel mehr als ein Straf- und Plünderzug; es ist derselbe Plan, nach dem Cäsar die Bretagne angriff. Aber auch im Binnenland setzten die Römer sich militärisch auf die Dauer fest: insbesondere von zwei größeren Anlagen des Drusus wird uns berichtet, einer unweit des Rheins auf dem Taunus, etwa bei Wiesbaden, einer andern weit wichtigeren unweit der Quelle der Lippe. Dies ist das vielbesprochene Aliso, auf jeden Fall an der Lippe und in beträchtlicher Entfernung vom Rhein gelegen, wahrscheinlich bei dem Dorfe Elsen unweit Paderborn, also achtzehn deutsche Meilen östlich vom Rhein und nicht sehr viel weiter von der Elbe als von diesem. Von da führte die Lippe hinauf ein nach italischer Art gebahnter Weg an das Rheinlager von Vetera bei Xanten. Diese Anlage für sich allein beweist ausreichend, daß es darauf abgesehen war, Germanien nicht bloß zu züchtigen, sondern zu unterwerfen.

So fassen auch die Berichte, die aus dem Altertum geblieben sind, diese Vorgänge auf. Daß Drusus Germanien unterjochte, sagt sein Sohn Kaiser Claudius. Alle Germanen zwischen Rhein und Elbe unterwarfen sich, berichtete der Zeitgenosse Livius unter dem Jahre 746. Wenn späterhin in der Zeit des Tiberius Germanien bezeichnet wird als damals beinahe zur Provinz gemacht, so ist es begreiflich genug, daß man das nachherige Aufgeben desselben mit dem Willen des Augustus zu beschönigen bemüht war. Im Gegenteil ist es sehr wahrscheinlich, daß die beiden Benennungen »Ober- und Untergermanien«, die späterhin in auffallender und ungeschickter Weise angewandt werden auf den schmalen Landstrich am linken Rheinufer, ursprünglich bestimmt waren für das Germanien zwischen Rhein und Elbe, für das sie allein sich schicken. Der nach der Niederlage des Lollius entworfene Plan war trotz der Unzulänglichkeit der dafür verfügbaren Truppen bis auf einen gewissen Punkt ins Werk gesetzt; wie Gallien durch Cäsar, so war vierzig Jahre später Germanien zum Römischen Reiche gebracht, die neue Monarchie mit Waffenruhm und Siegesglanz geschmückt worden.

Aber Augustus hatte weder Cäsars Geist, noch Cäsars Glück. Wieviel er auch erreicht hat, das ganze und volle Gelingen ist ihm niemals beschieden gewesen. In diesem Fall trug großenteils er selbst die Schuld. Die Unterwerfung Germaniens, kräftig begonnen und sieben Jahre hindurch beharrlich weiter und doch bei weitem noch nicht zu Ende geführt, stockt mit dem Jahre 747 plötzlich. Wenn die sachlichen Verhältnisse dafür schlechterdings keinen Grund an die Hand geben, so liegt derselbe in den persönlichen klar genug vor. Agrippa und Drusus waren, jener im kräftigen Mannesalter, dieser in der Blüte der Jugend, während dieser Kriege gestorben; der einzige überlebende einer solchen Aufgabe gewachsene Prinz, Tiberius Nero, verbittert durch das ihm aufgezwungene Ehebündnis mit der Julia, der Tochter des Kaisers, und vor allem durch die seinen jugendlichen Stiefsöhnen, Gaius und Lucius mehr und mehr sich zuwendende Bevorzugung und ihre offenkundige Bestimmung zur Thronfolge, zog sich von allen Staatsgeschäften zurück. Nicht mit Unrecht klagte der Kaiser, daß er im Stich gelassen werde; aber die Tochter und die Erbfolge der Tochtersöhne galten doch auch ihm mehr als die höchsten Interessen des Staates. Das Zerwürfnis schien unheilbar; und der Rückschlag davon traf zunächst die begonnene Eroberung Germaniens. Man gab nicht auf, was erreicht war; im Gegenteil ward das Land behandelt wie eine unterworfene Provinz; die festen Stellungen, vor allem Aliso, blieben dauernd besetzt; die römischen Truppen durchzogen das Land und die Waffen haben schwerlich jemals völlig geruht. Einer der römischen Feldherren dieser Zwischenzeit, L. Domitius Ahenobarbus, des Kaisers Nero Großvater, vermählt mit einer Nichte Augusts, gelangte sogar von der Donau her bis an und über die Elbe, und legte später als Statthalter von Germanien einen Damm an in den schwer passierbaren Mooren zwischen Ems und Rhein. Aber eigentliche Erfolge von einigem Belang sind aus dieser Zeit nicht zu verzeichnen.

Der Tod schlug sich inzwischen ins Mittel und stiftete Frieden im Kaiserhause. Im Laufe von achtzehn Monaten starben die beiden Kronprinzen, an denen das Herz und die Hoffnungen des alternden Kaisers hingen, der jüngere achtzehn, der ältere dreiundzwanzig Jahre alt; schon einige Jahre vorher hatte der immer dreistere Leichtsinn der Gemahlin des Tiberius, der schönen und geistreichen Julia, endlich auch dem Vater über sie die Augen geöffnet. So kam der Stiefsohn zurück. Der alte Kaiser hatte ihn nie geliebt; der finstere schweigsame unsympathische Mann war ihm nie gewesen was der jüngere bevorzugte Bruder; noch weniger konnte er die geliebte einzige Tochter, die verlorenen Enkel ihm ersetzen. Aber im Regiment war seine Stelle nicht wieder besetzt worden; zum Besten des Staates, wie er selber sagte, nicht aus Neigung, sondern aus Pflichtgefühl nahm ihn Augustus an Sohnes Statt und verlieh ihm die Anwartschaft auf die Thronfolge. Das geschah im Jahre 757, n. Chr. 4 und sogleich beginnt Tiberius wieder die vor zehn Jahren abgebrochene Arbeit energischer und umfassender als zuvor, zunächst am Rhein. In dem Jahre seiner Adoption selbst unterwarf er die Völker an der Nordküste und brachte die mächtigen Cherusker zum Gehorsam zurück; die Legionen gelangten bis an und über die Weser und lagerten – ein wichtiger Fortschritt – den Winter über bei Aliso. Im folgenden Jahre wurde endlich die Elbe erreicht und zwar zu Lande wie zu Wasser; denn auch die römische Flotte war an der Nordküste hin bis zur Elbmündung und dann in diese hineingesegelt, und im Herzen von Deutschland trafen Heer und Flotte der Italiener zusammen. Nicht gerade große Siege waren erfochten worden; der vorsichtige und des Feindes kundige Gegner ließ sich nicht überraschen und gleichen Kampf wagten die Deutschen nicht. Aber die Erfolge waren vollständig. Hierher wird es gehören, daß, nach der Angabe des Zeitgenossen Strabon, Augustus seinen Feldherren verbot die Elbe zu überschreiten, das heißt diesen Fluß zur Reichsgrenze setzte; ferner daß, wie in Augustus' Rechenschaftsbericht über seine Regententätigkeit gesagt zu sein scheint, unter Augustus die gallische Küste bis zur Elbmündung römisch ward. Die Truppen bezogen die Winterquartiere im Herzen von Deutschland; die römischen Statthalter sprachen Recht auf deutschem Boden, wie dies üblich war in den unterworfenen Gebieten; nicht bloß die Feldzeichen, sondern auch die Ruten und Beile, nicht bloß der Kriegsrock des Offiziers, sondern auch die Toga des Advokaten machte sich heimisch in dem Gebiet zwischen dem Rhein und der Elbe und war bald mehr gefürchtet und gehaßt als jener. Man stand, so schien es, von dieser Seite her am Ziele.

Aber dies war nur die eine Hälfte des großen Planes. Die Vorschiebung der Reichsgrenze von dem Alpenabhang und dem Rhein an die Elbe und die Donau forderte weiter, daß die in das pannonische Land eingedrungenen Truppen, die noch die Dravelinie festhielten und ihr Hauptlager im südlichen Steiermark bei Pettau an der mittleren Drave hatten, von da vordrangen gegen Norden und, nach unseren heutigen Anschauungen ausgedrückt, Wien und Prag gewannen. Auch dies ward in Angriff genommen. Es ist nicht genau anzugeben, unter welchen Verhältnissen das Königreich Noricum, das ist Steiermark, Kärnten und Ober- und Niederösterreich, unter römische Botmäßigkeit gekommen ist; wahrscheinlich war dies schon in der ersten Hälfte der Augustischen Regierung, wenn auch nur in loser Form geschehen. Aber das Vorschieben der Standlager an die mittlere Donau erfolgte um diese Zeit. Pannonien, das ist derjenige Teil von Ungarn, den nördlich und östlich die Donau, südlich die Drave umfaßt, ist erst in viel späterer Zeit, wahrscheinlich erst unter Traian von den römischen Truppen besetzt, erst damals die Standquartiere an der Drave mit denen von Ofen und Raab vertauscht worden. Um so auffallender ist es und nur durch die Kombination mit jener Vorbewegung an die Elbe zu erklären, daß wir im Jahre 759 die römische Südarmee in Carnuntum finden, das heißt in der Gegend von Wien, und im Begriff die Donau zu überschreiten und sich am andern Ufer festzusetzen. Augenscheinlich wollte man das Marchtal gewinnen und dieses mit der Linie der Elbe verbinden; noch diesen Schritt vorwärts, nach Prag nach Wien, und der eiserne Ring, der Großdeutschland umklammern sollte, war geschlossen.

Man traf hier auf ein letztes Hindernis. Vor dem gewaltigen Andringen der italienischen Eroberer war ein Teil der Germanen ostwärts ausgewichen, so die Marsen und vor allem die Markomanen. Vierzehn Jahre zuvor hatte Drusus in dem Jahre seines Todes mit diesen nicht fern vom Rhein gestritten und sie nach hartem Kampf überwunden. Seitdem hatten sie sich über das Fichtelgebirge nach Böhmen gezogen und hier zu einem mächtigen Kriegerstaat sich konsolidiert, der, anders als die Germanen sonst gewohnt waren, sich einen König gesetzt hatte in dem tapferen und des Krieges nicht bloß, sondern auch der römischen Kriegskunst kundigen Maroboduus. Die zehnjährige Unterbrechung der begonnenen Arbeit rächte sich. Maroboduus oder, wie wir ihn zu nennen pflegen, Marobod, hatte sich bis dahin streng in der Defensive gehalten, weder jenseit der Donau noch jenseit der Gebirge sich den vordringenden Römern entgegengestellt; aber dem Angriff, der jetzt von zwei Seiten her gegen ihn gerichtet ward war er entschlossen mit seinen gewaltigen und nach Möglichkeit disziplinierten Massen standzuhalten. Von Westen her kam die Rheinarmee durch das Land der Chatten, ohne Zweifel von Mainz her den Main hinauf, durch die damals vom Spessart zum Fichtelgebirg sich ausdehnenden Waldmassen mit Axt und Feuer den Weg sich bahnend, unter Führung des tüchtigen Gaius Sentius Saturninus, der in den germanischen Kriegen der beiden letzten Jahre neben Tiberius der Zweite im Kommando gewesen war. Gleichzeitig überschritt die Südarmee unter Tiberius' eigener Führung die Donau, schlug auf dem linken Ufer ein festes Winterlager und marschierte in Böhmen ein. Alles ward mit der dem Tiberius eigenen präcisen Sicherheit ausgeführt; die römischen Armeen, in der Gesamtstärke von zwölf Legionen, zwei Drittel der ganzen damals vorhandenen römischen Streitmacht, standen bereits nicht mehr als zehn Tagemärsche voneinander und hofften in fünf Tagen aufeinander zu marschierend ihre Vereinigung zu bewerkstelligen und zugleich an den Feind zu kommen.

Da traf die Eroberer der Gegenschlag der Nationen. Mit Marobods nach dem Muster der Feinde geordnetem Militärstaat, mit der vorsichtigen Defensive dieser disziplinierten Patrioten hatte Tiberius den entscheidenden Kampf auszufechten gedacht; aber was er nicht in seinen Entwürfen vorgesehen hatte noch hatte vorsehen können, war das wilde und unberechenbare Aufbäumen der unterjochten Nationalitäten. Zwei ungeheuren, bis dahin von der Römerherrschaft kaum berührten Volksmassen, der pannonischen und der germanischen, hatte die neue Monarchie zugleich die Ketten angelegt; und wenn dies der überlegenen Taktik der civilisierten Italiener insoweit verhältnismäßig leicht gelungen war, so mochten sie sich vorsehen vor der ersten allgemeinen Auflehnung gegen das ungewohnte Joch. Wie das Meer nur darum ebbt, um sich zur Flut zu sammeln, so ist nach einem ähnlichen Naturgesetz der Widerstand gegen die Fremdherrschaft am gewaltigsten, wenn die Unterwerfung sich vollzogen und eine Zeitlang der Sieger den Fuß auf dem Nacken des Besiegten gehalten hat. So fielen die Würfel um Gallien in dem Kriege gegen Vercingetorix, um Britannien in dem Kriege gegen die Boudicca; so folgte bei uns auf Jena Leipzig. In der römischen Invasion Pannoniens und Germaniens trat dieses Stadium jetzt ein, und zwar zunächst bei den illyrischen Stämmen. Während die römischen Heere in Böhmen standen, erhob sich auf einmal in ihrem Rücken das ganze Land von der Donau bis zum Adriatischen Meer, an der Drave und Save sowohl wie in den Bergen Bosniens und an der dalmatischen Küste. Es ist nicht meine Aufgabe, den sehr ernsten pannonisch-dalmatischen Krieg zu schildern. Nicht oft haben größere Massen gegen Rom im Felde gestanden, und die ungewohnte Nähe des Kriegsschauplatzes steigerte in dem verwöhnten und nicht mehr wie sonst schlagfertigen Italien die Furcht ins Grenzenlose. Die Zeitgenossen vergleichen diesen Krieg wohl mit dem Hannibalischen; wenn damit den Insurgenten allzuviel Ehre erwiesen wird, so ist andrerseits gewiß genug, daß, wenn in dieser Zeit ein zweiter Hannibal aufgestanden wäre, er nicht vor den Toren Roms hätte umzukehren brauchen. Die Regierung in Rom bot das Äußerste auf; die Armee wurde um acht Legionen, das heißt um etwa die Hälfte ihres bisherigen Bestandes verstärkt; man strengte den letzten Nerv an, um die nötigen Mannschaften und das nötige Geld zu beschaffen. Diese neuen Formationen indes würden wenig geholfen haben, wenn die Gefahr in der Tat so dringend gewesen wäre, wie man meinte. Aber Tiberius bestand die Probe: seine Besonnenheit und Tüchtigkeit rettete den Staat. Der Krieg gegen Marobod mußte natürlich vertagt werden; es ist bezeichnend für diesen, daß er froh war den Frieden gern auf »gleiche Bedingungen« zu erhalten und nicht daran dachte, an den Kämpfen der Insurgenten, die ihn retteten, sich zu beteiligen. Die ganze gegen Marobod vereinigte Truppenmasse ward über die Donau zurückgeführt und bald war die eigentliche Gefahr beseitigt, wenn auch der Kampf schwer und verlustvoll war und die Niederwerfung der weit ausgedehnten Insurrektion bis ins vierte Jahr währte. Sie verlief so fruchtlos wie die ähnlichen Insurrektionen der Kelten und der Britten; was sie den Siegern hinterließ, war die ansehnliche Vermehrung des Heeres und trotz der schwer drückenden Steuererhöhungen dauernde Überlastung des Budgets.

Aber der eine Brand war noch nicht gelöscht, als schon an einem andern Orte die Lohe emporschlug. Ob der germanische Volksaufstand mit dem pannonischen in äußerem Zusammenhang gestanden hat, wissen wir nicht; wahrscheinlich ist es nicht, teils weil der natürliche Vermittler, König Marobod sich versagte, teils weil jene Insurrektion genau um dieselbe Zeit ausbrach, wo diese in den Schluchten Dalmatiens die letzten Zuckungen tat. Gewisser ist es, daß die germanische Insurrektion erst durch die pannonische möglich geworden ist oder doch dieser ihren Erfolg zu verdanken hat. Die tüchtigen Führer, die erprobten Truppen waren, wie wir sahen, vom Rhein nach Böhmen gezogen und dann in den pannonischen Kriegen verwendet worden; dafür sandte man drei der neugebildeten Legionen nach Germanien und als Führer derselben einen Hofgeneral, Publius Quinctilius Varus, vermählt mit der Tochter einer kaiserlichen Nichte, einen Mann von fürstlichem Reichtum wie von fürstlicher Hoffart, aber von trägem Körper und stumpfem Geist und ohne jede militärische Erfahrung und Begabung. Wie er und sein Heer zu Grunde gingen, ist bekannt; ich will nicht erzählen, was jeder weiß, sondern nur auf einige für den Zusammenhang der Dinge wichtige Momente hinweisen. Der germanische Aufstand hat bei weitem nicht die Ausdehnung des pannonischen gehabt; genau genommen darf er nicht einmal ein germanischer genannt werden. Die friesischen Stämme an der Küste, die suebischen in Süddeutschland nahmen nicht daran teil, noch weniger König Marobod; es erhoben sich eigentlich nur die später als »Sachsen« auftretenden Stämme, zunächst, wie bekannt, die Cherusker, und auch unter diesen bestand eine starke römische Partei, deren Schuld es nicht war, daß das Befreiungswerk gelang. Daß so viel geringeren Massen glückte, was in Illyricum fehlschlug, wird man nicht zunächst dem stolzen Mut der sächsischen Haufen und dem Scharfblick ihres Führers, eines, früheren römischen Offiziers, des cheruskischen Fürsten Arminius beimessen dürfen, sondern vor allem der Kopf- und Mutlosigkeit des römischen Feldherrn und daneben der Mangelhaftigkeit der Offiziere und der Truppe selbst. So ist es bezeichnend, daß, bevor noch alles verloren war, einer der Legaten des Varus die gesamte Reiterei zusammenraffte und mit dieser die Rettung in der Flucht suchte. Sehr oft sind die Römer in Germanien in ganz ähnlicher Weise überfallen worden wie damals unter Varus; wenn Varus unterlag, wo Drusus, Tiberius, Germanicus das Heer zu retten verstanden, so liegt dies einfach darin, daß diese Prinzen zufällig auch Feldherrn waren.

Die Katastrophe war ein schwerer Schlag für Rom, und es blieb nicht bei der Niederlage allein. Nachdem die Germanen das Heer vernichtet hatten, brachen sie die römischen Festungen auf ihrem Gebiet; selbst Aliso fiel in ihre Hände, ganz wie einst Magdeburg nach Jena, durch die sinnlose Konsternation der Besatzung. Aber über den Rhein wagten die Deutschen sich nicht. Tiberius, der in dem folgenden Jahre wieder das Kommando über die Rheinarmee übernahm, stellte Ordnung und Sicherheit wieder her, ja überschritt sogar im zweiten Jahr nach der Katastrophe wiederum den Rhein. Die Katastrophe ist, militärisch betrachtet, nicht schwerer als unzählige andere in den römischen Annalen verzeichnete. Dennoch ist sie von den weitgreifendsten Folgen geworden, ja man kann sagen ein Wendepunkt der Weltgeschichte, derjenige Moment, der in der äußeren Politik Roms nach der Fluthöhe den Beginn der Ebbe markiert. Der durch die mühsam überwundene pannonische Insurrektion erschöpfte Staat konnte diesen zweiten Stoß nicht verwinden. Nachdem eben das Äußerste, was man an Mannschaften besaß, aufgeboten worden war, vermochte man nicht mehr die frische Lücke zu füllen; als Augustus starb, zählte das Heer eine Legion weniger, als vor der Varusschlacht. Aber vor allem hatte man den Mut und den Glauben an sich selber verloren. Die unzulängliche und fehlerhafte Reorganisation des Militärwesens war in der großen pannonisch-germanischen Katastrophe zu Tage gekommen; die alte Wehrfähigkeit der Republik war nicht übergegangen auf die Monarchie. Die Militärreorganisation half wohl etwas, aber tat weitaus nicht genug; die Regierung kam zu der Ansicht zurück, daß der Staat einen großen Krieg nicht führen könne und ihn vermeiden müsse. Germanien ward aufgegeben; nur die Rheinarmee führte noch ferner den Namen des germanischen Heeres und die Teile des linken Rheinufers, in denen sie stand und die überdies meist deutsche Bevölkerung hatten, die Namen des oberen und niederen Germaniens. Von der Elbgrenze war nicht ferner die Rede, noch weniger von Wiederaufnahme des Angriffs gegen Marobod. Tiberius sah das Werk seines Lebens, die Frucht vieljähriger Kriegsarbeit zu Grunde gehen; der Bau, zu dem er als Siebenundzwanzigjähriger am Rhein und am Bodensee den Grund gelegt, den er dann als Fünfziger der Krönung nahe gebracht hatte, brach mit einem Schlage unwiederbringlich zusammen. Ob er persönlich sich resigniert hat oder die Resignation ihm von dem hochbejahrten, mehr und mehr dem Vorwärtsgehen und jedem Wagnis abgeneigten Kaiser aufgezwungen worden ist, vermögen wir nicht zu sagen; gewiß ist nur, daß auch später, als er selbst die erste Stelle einnahm, der Greis auf die Hoffnungen des Jünglings und Mannes nicht wieder zurückgekommen ist. Wohl ward noch einmal die Eroberung Germaniens versucht; der Sohn des Drusus, der Neffe und Adoptivsohn des Tiberius, der junge feurige und durch besondere politische Verhältnisse zu einer mehr als billig selbständigen Feldherrnstellung gelangte Germanicus versuchte in den ersten Jahren des Tiberius das väterliche Werk wiederaufzunehmen, die zerstörten Festungen wiederherzustellen, zu Wasser und zu Lande die einmal gewiesenen Wege wiedereinzuschlagen. Aber es geschah ohne, ja gegen den Willen des alten Kaisers, und sowie die Abberufung des Prinzen gelungen war, wurden die Truppen wieder zurückgezogen über den Rhein. Es war der neuen Monarchie nicht bestimmt, die Wege der Eroberung zu finden und den matten Glanz der Krone durch die strahlende Siegerglorie zu verklären. Sie fristete sich und der Nation die Existenz; aber das monarchische Surrogat der Freiheit, der Ruhm, fand sich nicht ein und die traurige Öde der absoluten Monarchie offenbarte sich in ihrer ganzen unverhüllten Nacktheit. Ein einziges Mal, unter dem Kaiser Traianus, lenkte man ein in die Bahn der eigentlichen Eroberungspolitik; und es ist nicht zu leugnen, daß in diesen zwanzig Jahren eine frischere Luft durch das Reich geweht hat und die Werke dieser Zeit, die Annalen des Tacitus, das Forum Traians davon angehaucht worden sind. Aber im ganzen genommen war es wahr geworden, jenes mächtige »Zurück«, das die deutsche Frau dem ersten Eroberer latinischen Stammes, der Deutschlands Boden betrat, zugerufen hat. Zurück! ist der Schlachtruf der Deutschen gewesen, zuerst in der Varusschlacht und zuletzt bei Mars-la-Tour und Sedan. Dies Zurück aber, wir nennen es Vorwärts; vorwärts, nicht um zu nehmen, was nicht unser ist und was uns nicht frommen noch fruchten kann, sondern um den zurückzuweisen, der uns, die wir keinen Kriegsruhm brauchen oder wünschen, zu siegen zwingt: um das zurückzufordern, was uns widerrechtlich entfremdet ward, und selber zurückzukehren zu unseren Werken des Friedens.



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