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30. Juni 1887. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1887 S. 631-633.
Der große Name, unter dessen Ägide die Akademie auch in diesem Jahre ihr gewohntes Fest begeht, darf wohl für alle Zeiten gelten als das lebendige Symbol dessen, was eine Akademie der Wissenschaften sein soll und annähernd ja auch wohl ist. Die Universalität und die Specialität, diese beiden Angelpunkte der Wissenschaft, sich entgegengesetzt und zusammengehörig wie Nord- und Südpol, hat vielleicht neben Aristoteles keiner so vollkommen in einer Persönlichkeit zusammengefaßt, wie der Mathematiker, der Historiker, der Philosoph Leibniz. Keiner der Späteren darf es wagen auch nur entfernt hierin sich ihm zu vergleichen. Ob nicht auch hierin wir an der Großheit der Entwickelung leiden; ob nicht das Fortschreiten der Wissenschaft die Unzulänglichkeit des Individuums immer schärfer hervortreten läßt; ob selbst ein Genie, wie Leibniz es war, heutzutage ebenbürtig in unseren beiden Klassen und auf allen Gebieten gleich heimisch sein könnte, das sind schwer abzuweisende und noch schwerer zu verneinende Fragen. Aber mit gerechtem Stolze dürfen wir darauf hinweisen, daß als Gesamtheit wir die geistige Erbschaft Leibnizens in seinem Sinne verwalten. Angewiesen, wie wir es sind, auf die Zufälligkeiten des Personalstandes der Berliner Gelehrtenwelt und weiter beschränkt durch die geringe Zahl der akademischen Stellen, kann nicht jeder Zweig der Wissenschaft gleichzeitig in unserm Kreis vertreten sein; und schwer empfundene Lücken, deren eine uns heute noch in dieser unserer Versammlung in die Erinnerung gerufen werden wird, vermögen wir zur Zeit und vielleicht noch für geraume Zeit nicht zu füllen. Aber soweit es irgend die Verhältnisse gestatten, sind wir fortdauernd bemüht, überall da, wo die Wissenschaft der staatlichen Hülfe bedarf, wo die Arbeitskosten die Mittel des einzelnen übersteigen, wo die Gelehrtenassociation erforderlich wird, wo große Unternehmungen eine über die Kraft und die Lebenszeit des einzelnen Mannes hinausgehende Oberleitung erfordern, nach bestem Vermögen und ohne Unterschied des Faches mit Rat und Tat einzutreten. Wo unsere vorgesetzte Behörde in solchen Fällen uns um unsere Meinung befragt hat – und wir sagen es dankend und gern, daß dies oft geschieht – haben wir dieselbe nach gewissenhafter Erwägung ihr ausgesprochen. Wir dürfen auch sagen, daß wir geholfen haben, manches nützliche wissenschaftliche Unternehmen in dieser Weise zu fördern, auch, was vielleicht weniger leicht, auf jeden Fall weniger dankbar ist, daß wir dazu beigetragen haben unreife Projekte zu modifizieren oder zu beseitigen. Gewiß wird die Wissenschaft immer individuell bleiben und alles Größte und Beste nicht von der Akademie geleistet werden, sondern von Männern, seien sie Akademiker oder Nichtakademiker. Aber die Bedeutung der Organisation der Arbeit oder, richtiger gesagt, der Vorarbeiten ist daneben unermeßlich und in beständigem Steigen; und diese durchzuführen sind die Akademien der Wissenschaften bestimmt. Es mag wohl sein, wie es oft bei solchen Schöpfungen der Fall ist, daß zunächst der Zweck ein näherer und niederer zu sein schien, daß der Kontakt der verschiedenen Forscher miteinander, die gegenseitigen Mitteilungen und die gemeinschaftliche Publikation derselben die Anstalten dieser Art ins Leben gerufen haben. Aber diejenigen Akademien, die sich auf sich selbst besannen, haben dann sich ihr Ziel höher und größer gesteckt als in Vorträgen des einen für den andern und in der Publikation periodischer Schriften. Wir enthalten uns der internationalen Parallelen und verkennen gewiß nicht, was in dieser Hinsicht insbesondere das Pariser Institut geleistet hat und noch leistet; aber das dürfen wir sagen: wir haben mit keiner ähnlichen Anstalt die Vergleichung zu scheuen. Der Überblick, den unsere Friedrichssitzungen jährlich geben, ist unsere Legitimation; und es ist nicht Zufall, daß die in anderer Weise gegründeten, auf solche Ziele gerichteten Anstalten, wie das Archäologische Institut mit seinen monumentalen Gesamtplänen, die Publikation der sämtlichen deutschen Geschichtsquellen schließlich in den Hafen der Akademie eingelaufen sind und wie sie ihr innerlich angehören, so auch äußerlich sich an sie angeschlossen haben.
Diese unsere Wirksamkeit ist im echt Leibnizschen Sinne; wir gehen nur den Weg, den er uns geistig gewiesen, wozu er in seinem Sammelwerke über die deutsche Geschichte selber die Bahn gebrochen hat, wenn wir im Anschlusse an unsere Regierung, die nicht vergessen kann, daß Preußen groß und deutsch geworden ist auf den Wegen und durch die Macht des Geistes, mit reicheren Mitteln und mit gesteigerter Intensität die wissenschaftliche Arbeit zu organisieren bestrebt sind.
An dem heutigen Tage begrüßen wir öffentlich unsere im Laufe des letzten Leibnizjahres neu hinzugetretenen Genossen und gedenken unserer Toten. Die Dauer im Wechsel ist auch akademisch. Über der Freude an dem Gewinn, über der Trauer um den Verlust steht die Empfindung, daß die Akademie mehr ist als der einzelne Akademiker, daß keiner hier mehr ist als ein Glied des Ganzen, an keines einzelnen Dasein das Ganze hängt. Die Menschen kommen und gehen; die Wissenschaft bleibt. Wer an akademischer Tätigkeit sich beteiligt hat, der darf der Hoffnung sich getrösten, daß, wenn er die Arbeit niederlegt, ein anderer für ihn eintritt, vielleicht ein geringerer, vielleicht ein besserer; immer hat er das Privilegium, mehr als andere mit seiner Arbeit über seine Spanne Zeit hinaus zu wirken.