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29. Januar 1891. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1891 S. 77-85 und Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche XV S. 321-329.
Das doppelte Fest, welches unsere Akademie an dem heutigen Tage begeht und die Hoffnung hegen darf noch auf lange Jahre hinaus in gleicher Vereinigung zu feiern, ist eben in dieser Vereinigung doppelt schön. König Friedrich der Zweite ist der Zeit nach durch anderthalb Jahrhunderte getrennt von Kaiser Wilhelm dem Zweiten; aber der Preuße oder, wie wir jetzt wohl sagen dürfen, der Deutsche weiß es, daß diejenigen Tage, an welchen wir uns die neubegründete Macht und Herrlichkeit unserer Nation lebendiger als in dem gewöhnlichen gleichmäßigen Zeitengang vergegenwärtigen, die Geburtsfeste unserer Herrscher, nicht gefeiert werden können ohne dankbare Erinnerung an den letzten und größesten der drei Begründer unseres Staates, den Polarstern Deutschlands, wie Goethe ihn nannte, an den großen Friedrich. Es ist eine günstige Fügung, daß zur Zeit an diesem Feste Vergangenheit und Gegenwart geradezu sich vereinigen; wir können den Herrscher, der jetzt Friedrichs Thron und dazu weiter den Kaiserthron einnimmt, nicht würdiger feiern als in dem Rückblick auf seinen großen Vorfahren, in dem Wunsche, daß er dereinst wie nach so auch neben ihm genannt, daß beide in aller Zukunft, wie ihre Geburtstage sich begegnen, so auch miteinander gesegnet werden mögen.
Unsere Akademie vor allem, die sich mit Stolz die Neuschöpfung des großen Friedrich nennt, ist stets des eingedenk gewesen und wird stets dessen eingedenk bleiben, daß der Königsschutz ihr angeerbt ist, daß sie seit länger als einem Jahrhundert auf königlichem Boden waltet, daß alle ihre stolzen Erinnerungen an dieser Stätte königlicher Verleihung haften, alle unsere großen Vormänner in diesem Hohenzollernhaus aus- und eingegangen sind. Wir brauchen nicht um Schutz für unsere Heimstätte zu bitten, denn längst haben wir ihn gefunden. Aus den Räumen, welche der große Friedrich ihr angewiesen hat, wird kein Hohenzoller die Akademie der Wissenschaften ausweisen.
Wenn ich es versuche Ihre Blicke heute auf eine Seite der Fridericianischen Regententätigkeit zu richten, welche in unseren Kreisen nicht so häufig wie andere Beziehungen ins Auge gefaßt worden ist, ich meine seine Maßregeln für die Volkswirtschaft namentlich aus den Jahren seiner jugendlichen Regierung, so bestimmen mich dazu die Stimmungen der Gegenwart. Wie waffenstarrend die Welt auch ausschaut, das, was die Geister bewegt, was jeden politisch Denkenden, ja man darf sagen jeden dem Bürgersinn nicht Entfremdeten innerlich beschäftigt, das ist die wirtschaftliche Zukunft der Nation oder vielmehr der Nationen; denn diese großen Probleme sind notwendig international und theoretisch wie praktisch nicht gerade die gleichen, aber wohl analoge diesseit und jenseit des Rheins und des Kanals und hinüber über den Atlantischen Ocean. Wohl liegen die Parteikämpfe der Gegenwart den Verhandlungen in diesem Saale fern und mag auch jeder Einzelne von uns dazu in seiner Art sich stellen, wer die Ehre hat im Namen der Akademie zu sprechen, hat zugleich die Verpflichtung seine persönlichen Anschauungen nicht an dieser Stelle vorzutragen. Aber was der große Friedrich in dieser Hinsicht gewollt und gewirkt, erreicht und verfehlt hat, gehört der Geschichte an und darf hier zur Sprache kommen. Freilich würde dies besser und wirksamer durch einen derjenigen Männer geschehen, welche der sehr schwierigen Entwickelung dieser Vorgänge ihr Leben gewidmet, das massenhafte und in jeder Hinsicht ungefüge Material einigermaßen durchforscht und bewältigt haben. Ich, auf andere Forschungsgebiete angewiesen, habe dazu kaum einen Anfang gemacht. Aber die kurze Betrachtung, die ich Ihnen vorzutragen beabsichtige, hat ihren Zweck erfüllt, auch wenn sie Ihnen nichts Neues sagt und die kundigeren Hörer sicher recht vieles dabei vermissen werden: sie soll nur an die Vergangenheit insofern erinnern, als darin zu Tage tritt, was einst gemangelt hat und was durch Friedrich und nach Friedrich anders und meistenteils besser geworden ist.
Wenn die Größe staatlicher Leistungen darin gefunden wird, daß neue Wege zu alten Zielen gesucht und gefunden werden, so wird Friedrichs wirtschaftliches Regiment auf besonderen Ruhm keinen Anspruch haben; und noch weniger wird man, wenn wir vom heutigen Standpunkt aus seine Wirtschaftspolitik erwägen und, da der Lebende immer recht hat, unsere heutigen Anschauungen als die ein für allemal richtigen betrachten, geneigt sein dieses wirtschaftliche Regiment schlechthin zu preisen. Es gilt von seinem Wirtschaftsregiment einigermaßen was von seiner Strategie. Auch von dieser behaupten nicht wenige Sachkundige, daß sie weder neue Wege gebahnt hat noch die absolut besten gegangen ist, daß er, wie er selbst sich nannte, nicht mehr war als der Schüler Eugens von Savoyen und daß, wenn er selbst bei Jena den Befehl geführt hätte, er ebenfalls unterlegen sein würde. Indes auch wenn diese Behauptungen richtig sein sollten, der Größe des Mannes tun sie keinen Abbruch. Niemand kann mehr als den Besten seiner Zeit genug tun. Die furchtbare Waffe des Volkskrieges, zunächst entfesselt durch den ignoranten Instinkt des revolutionierten Paris, dann organisiert durch eine militärische Kapazität ersten Ranges, verhält sich freilich zur Fridericianischen Armee wie die Flinte zur Pike; aber ebendiese Ungleichheit schließt jede Vergleichung der Persönlichkeiten aus. Nicht viel anders verhält es sich mit der Volkswirtschaft. Das letzte Jahrhundert hat auch in dieses Gebiet so mächtige und neue Elemente eingeführt, daß was heute wahr ist, für jene Epoche nicht so sehr unrichtig als undenkbar erscheint und es Albernheit genannt werden muß den gegenwärtigen Maßstab an jene vergangenen Zeiten anzulegen. Überhaupt aber ist für den praktischen Staatsmann es ein sehr zweifelhaftes Lob neue Wege gesucht zu haben. Vielmehr hat die rechte Staatsführung, von Ausnahmslagen abgesehen, die Aufgabe, die neuen Ideen, welche auf dem geistigen Gebiet in spontaner Weise sich entwickelt haben, mit den bestehenden Einrichtungen in vorsichtiger Weise auszugleichen; sie ist, wenn sie ihrer Aufgabe sich bewußt bleibt, nur insoweit progressiv, als auch der Konservative dies sein kann und soll. Es ist daher keineswegs ein Tadel, wenn Friedrichs wirtschaftliches Regiment nichts ist als die Entfaltung der Ideen seines Vaters. Dies gilt so vom Handel wie von der Industrie.
Die lange Leidensgeschichte des deutschen Handelsverkehrs dreht sich hauptsächlich um zwei Momente: die territoriale Zersplitterung, welche auch in den größeren Herrschaftsgebieten wegen der Nichtgeschlossenheit ihrer Grenzen eine Verkehrseinigung unmöglich machte, und das starre Festhalten derjenigen Städte, welche zu günstiger Verkehrsstellung gelangt waren, an ihren exklusiven Rechten. Die für unser Vaterland hauptsächlich wichtigen Wasserwege der Oder und der Elbe und nicht minder alle Landwege vom Binnenland an die Küste zogen sich durch die verschiedensten Territorien und der Verkehr war auf denselben noch im achtzehnten Jahrhundert ähnlich, nur etwas mehr regularisiert, als wo der Kaufmann sich mit dem Raubritter oder dem Araberhäuptling abzufinden hat. Vielleicht noch eingreifender aber hemmte ihn der Monopolismus, wie die größeren Verkehrscentren, in völliger Gleichförmigkeit, aber eben darum in stetem Krieg sowohl untereinander wie gegen die umliegenden Territorien, jede in ihrem Kreise, ihn entwickelt hatten. »Alles Getreide und Korn«, klagt ein Schriftsteller aus der Zeit des Großen Kurfürsten, »so in Böhmen, Meißen, Anhalt, Halle, Mansfeld, Erzstift und Herzogtum Magdeburg, Fürstentum Halberstadt auf die Elbe und durch die Saale und andere Flüsse gebracht wird, soll zu Magdeburg niedergelegt und ausgeschifft werden; was aber unter der Stadt Magdeburg und mitten im Lande Magdeburg wächst, das soll bis nach Werben auf die Elbe nicht eingeschiffet und hinabwärts geführt, sondern aufwärts und zu der Stadt Magdeburg gebracht, daselbst ausgeschiffet und verhandelt werden.« Ebenso hatte Lüneburg Brief und Siegel darüber, daß im Lande Lüneburg nicht bloß kein anderes Salzwerk angelegt, sondern auch alles Bau- und Brennholz, Kohlen, Wachs, Honig und Wolle ausschließlich nach Lüneburg gebracht und an Lüneburger Bürger verkauft werde. Das gleiche gilt von Hamburg, von Leipzig, sowie im Odergebiet von Breslau, Frankfurt, Stettin. Unter diesem sogenannten Stapelrecht, wo die Behörden der betreffenden Stadt den Verkäufern tatsächlich die Preise diktierten, hat der Verkehr noch mehr gelitten als unter den Durchgangszöllen. Ernstliche Abhülfe gegen solchen Mißbrauch der städtischen Handelsstellung konnte nur geschaffen werden durch Aufgehen der Stadt in den Staat und vor allem durch die Vereinigung der rivalisierenden Städte in derselben Hand. Nach jahrhundertlangen Kämpfen haben endlich die Hohenzollern wie den widerspenstigen Junkern gegenüber, so auch gegenüber den nicht minder störrisch auf ihre Privilegien pochenden Magistraten die Landesherrlichkeit zur Wahrheit gemacht und auch hier den kleinen Herren gezeigt, wozu der Fürst da ist. Auf diesem Wege ist es gelungen die Oderschiffahrt frei zu machen; was die von dem Großen Kurfürsten vergeblich erstrebte Gewinnung Stettins im Jahre 1720 begonnen hatte, vollendeten Friedrichs Schlesische Kriege durch die Vereinigung Breslaus mit dem preußischen Staat und durch die rechte Konsequenz davon, die Aufhebung der Stapelrechte dieser Stadt sowohl wie der früher preußischen Frankfurt und Stettin. Es war der erste deutsche Strom, der also in eine Hand gelangte, aber auf lange hinaus auch der letzte. Hinsichtlich der Elbschiffahrt verhielt Friedrich sich anders. Da an territoriale Einigung hier nicht gedacht werden konnte und die Raubzölle sich auch nicht beseitigen ließen, hat der König hier für Magdeburg das ziemlich außer Kraft gesetzte Stapelrecht wiederum aufgenommen und damit insbesondere Leipzig Schach geboten. Allerdings paßte dasselbe denn doch so wenig in die veränderten Verhältnisse, daß noch Friedrich selbst dasselbe kurz vor seinem Tode für das Inland wiederum kassierte. Die Elbe gleich der Oder zu befreien blieb seinen Nachfahren vorbehalten.
Mehr als in den Handelsverkehr hat Friedrich in die Landwirtschaft und in die Industrie seiner Gebiete eingegriffen. Auch hier und hier vor allem ging er auf den Spuren seines Vaters. Dieser hatte, insbesondere durch die Verpachtung der ostpreußischen Domänen lediglich an Bürgerliche, den Grund gelegt zu der Erziehung einer nichtadligen, aber um so tüchtigeren Klasse von größeren Landwirten und, wo es geschehen konnte, anbaufähiges Ödland unter Kultur gezogen. Energisch tat der Sohn das gleiche. Der Schutz des bäuerlichen Kleinbesitzes und die Durchführung der rechtlichen Erblichkeit desselben ist wohl eines der wichtigsten Ziele und einer der höchsten Ruhmestitel der Stein-Hardenbergschen Reform, aber lediglich die Fortsetzung der großen Königsarbeit der Hohenzollern. Sie sind es gewesen, welche auf dem Domanium, wo sie frei zu schalten vermochten, ihren Bauern die Erblichkeit als freies Geschenk verliehen haben; und auch dem Grundadel gegenüber ist wenigstens das Bauernlegen insbesondere am Ende der Regierung Friedrich Wilhelms I. und während der ganzen langen Regierungszeit seines Sohnes in schärfster Weise niedergehalten und sind die Rittergutsbesitzer gezwungen worden die erledigten Stellen nicht einzuziehen, sondern mit den Bauern zu besetzen. Ihnen, sagt einer unserer namhaftesten Statistiker, haben wir mehr noch als Stein und Hardenberg es zu danken, daß in unserem Nordosten nicht vorpommersche und mecklenburgische Zustände herrschen. Die Zahlen reden eine beredte Sprache. Im preußischen Pommern vermehrte sich zwischen dem zweiten Schlesischen und dem Siebenjährigen Krieg die Landbevölkerung um mehr als den fünften Teil; fast im gleichen Verhältnis stieg die Volkszahl in der Kurmark. In den letzten 20 Jahren seines Lebens hat Friedlich nach der Schätzung von Sachverständigen 20 Millionen Taler für die Ansiedelung von Kolonisten aufgewandt. Er wußte auch, wie die Fronden drückten. »Soviel Geschrei es geben wird«, verordnete er 1748, »so sollen doch sowohl bei den königlichen Ämtern als bei den Edelleuten den Bauern ein paar Tage in der Woche abgenommen werden.«
Das Verhältnis der beiden Herrscher zu der Industrie zeigt wohl eine gewisse Befangenheit in dem Bestreben das Land ganz auf sich selbst zu stellen und soweit irgend möglich kein Geld ins Ausland gehen zu lassen. Aber es sind doch wichtige und heilsame Gedanken, daß der preußische Soldat in preußisches Tuch gekleidet werden muß und daß es selbst für den König sich nicht schickt Kleider von anderer Wolle als einheimischer zu tragen. Der Weg zu diesen Zielen war freilich der einer Bevormundung, die unsrer entwickelten Volkswirtschaft befremdlich erscheint; aber sie sollte es nicht vergessen, daß sie wie diesem Mündelzwang entwachsen, so auch aus ihm erwachsen ist. Wie weit die Vormundschaft ging, ist ja bekannt. Die Regierung verbot nicht bloß die Ausfuhr der Wolle, sondern kaufte auch für die kleinen Fabrikanten ein und nahm ihnen ihre Fabrikate ab für die Armee. Der große König merkt sich auf seinen schlesischen Reisen an, ob nicht etwa in Striegau eine Vitriolmanufaktur, in Gleiwitz eine für Halbwolle und Halbleinen angelegt werden könnten, in Tarnowitz würden Kunstschreiner wohl gute Nahrung finden. Herbeiziehung von Ausländern und Erteilung von Privilegien wurden in umfassender Weise zur Hebung des Gewerbfleißes angewendet. Aber Friedrich hat nie vergessen, daß der Vormund nicht für sich, sondern für den Mündel arbeitet und daß der Mündel nicht ewig unmündig bleiben darf. Abgesehen von dem Salz- und dem Tabakmonopol, die vielmehr in die Kategorie der indirekten Steuern gehören, hat Friedrichs Fiskus nicht für sich, sondern zum Besten des Ganzen oft mit unmittelbarem Verlust gewirtschaftet und als festen Grundsatz Friedrich es hingestellt, daß jede von ihm privilegierte Fabrik ihr Privilegium nicht länger behalten dürfe, als bis sie im stande sei auf eigenen Füßen zu stehen. Der fiskalische Eigenbetrieb sowohl bei den Domänen wie bei den Bergwerken und Forsten war eine Musterwirtschaft für das ganze Land und ist zum guten Teil bis auf den heutigen Tag maßgebend geblieben. Wenn man hinzunimmt, daß dies alles durchgeführt wurde teils unter dem Druck vieljähriger am Abgrund des Verderbens hinführender Kriege, teils während eines zu keiner Zeit voll gesicherten, oft schwer gespannten Friedensstandes, so stehen wir mit Ehrfurcht vor dem großen Mann, der all diese Tätigkeit und all diese Verantwortung, diesen ungeheuren Ernst der Dinge mit Melodieen und Scherzversen zugleich in der Seele zu tragen gewußt hat.
Sehen wir genauer zu, so sind es doch schließlich die hohen ethischen Triebfedern, welche mehr noch als Geistesschärfe und Geisteskraft den preußischen Staat begründet und damit schließlich das Deutsche Reich wiederaufgerichtet haben. Es ist eine alte Rede, und doch muß sie immer und immer wieder gesagt werden: die Pflichttreue unsrer Beamten und vor allem der ersten derselben, unsrer Fürsten, ist das Sondergut, welches unsre arme Heimat, unsre schwerflüssige Nation vor den andern voraus hat. Wachsamkeit, Arbeitsamkeit, unbestechliche Ehrlichkeit – das sind die drei Dinge, welche Friedrich in der Instruktion von 1748 von jedem Beamten fordert; und er durfte sie fordern, denn er übte sie alle selber jedem voran. Sein weit ausgreifender für alles Humane leicht empfänglicher Sinn hat ihn nie abgehalten unentwegt mit seinem Adlerblick nach außen wie nach innen des Landes Wohl zu überwachen. Kein Tag weder in der Jugend noch im Greisenalter ist ihm vergangen, an dem er nicht zunächst die strengen königlichen Tagespflichten erfüllt hätte. Während er, mit dem Haushalt des Staats schaltend als alleiniger freier Herr, Millionen über Millionen zum Besten der allgemeinen Wohlfahrt aufwandte, belief das Alimentaire, wie er es nannte, welches er selber sich aussetzte, für das Jahr sich auf 120 000 Taler. Das Beispiel und das Muster wirkten, und wirken heute noch. Die Beamten der von ihm durchgebildeten indirekten Besteuerung der Städte, der sogenannten Accise, haben die notwendig damit sich verknüpfende Leitung des Gewerbewesens mit einer Pflichttreue und einem uneigennützigen Eifer geführt, daß recht eigentlich sie die wirtschaftlichen Erzieher unsrer städtischen Bevölkerung geworden sind. In jedem andren Beamtenkreis walteten die gleichen Elemente. Vergleicht man die preußische Staatswirtschaft des achtzehnten Jahrhunderts mit der gleichzeitigen französischen, so tritt es mit schneidender Deutlichkeit uns entgegen, daß die ungeheure Verschiedenheit nicht in den Systemen liegt, sondern in deren Handhabung. Die Verpachtung der Staatseinnahmen wußte man auch bei uns wohl zu schätzen mit ihrer für die Staatswirtschaft vor allem wünschenswerten sicheren Fundierung festen Ertrages; aber was für die Domänen Regel war, ist im preußischen Staat nie auf die Staatsabgaben erstreckt, nie jene unheilvolle Mittelmännerwirtschaft eingeführt worden, wie sie die Publikanen der Römer und in Frankreich die Generalpächter ausgeübt haben. Mit Monopolen und Privilegien ist in beiden Ländern vielfach gefehlt worden; aber bei uns waren dies verfehlte Maßregeln des öffentlichen Interesses, in Frankreich überwiegend Bereicherung höfischer Männer und gefälliger Frauen zu Lasten der Allgemeinheit. Wie durchaus das ethische Fundament schließlich die Entscheidung gibt, das zeigt nichts so klar wie der Zusammenbruch des stolzen Fridericianischen Staatsbaues kurze zwanzig Jahre nach Friedrichs Tode. Die Günstlings- und Maitressenwirtschaft unter seinem nächsten Nachfolger, die Verschwendung der Staatsgelder und des Staatsguts, die Erschlaffung der alten Zucht unter der falschen Frömmigkeit und der sentimentalen Gedankenlosigkeit dieses Regiments, das schwächliche Gehenlassen der Dinge unter dem persönlich achtbaren und rechtschaffenen Sohn Friedrich Wilhelms des Zweiten, das sind die Ursachen der furchtbaren Katastrophe gewesen, aus der dann die Regeneration wiederum wesentlich durch ethische Momente, durch die Selbstlosigkeit der Scharnhorst und seiner edlen Genossen, durch die Hingebung des ganzen im Unglück gereinigten Volkes herbeigeführt worden ist. Daß die Rechtschaffenheit die Seele unsres Staates, iustitia regnorum fundamentum ist, das empfindet noch heute jeder Bürger desselben. Wenn Borniertheit, Verkehrtheit, Hochmut des einzelnen Beamten schädigend und verletzend auftreten, so betrachtet das Publikum solche Vorgänge regelmäßig mit einem gewissen Gleichmut, etwa wie die unbequem kalten Dezember- und die unbequem heißen Augusttage; sie sind übel, aber auch unter den Engeln zählt der Herrgott gefallene und an den Grundfesten unsres Staates rütteln dergleichen Mißstände nicht. Aber wenn von Durchsteckerei und Unehrlichkeit preußischer Beamten etwas verlautet, so geht ein Schauder auch durch die Kreise, die davon persönlich nicht berührt werden. Iustitia regni fundamentum, regni et imperii Germanici.
Diese Grundlage unsres Staatswesens berechtigt uns und wird auch unsre Nachfahren berechtigen die Friedrichsfeste und die Geburtsfeste seiner Nachfolger mutig und freudig zu feiern. Der Erbe Friedrichs des Zweiten zu sein ist nicht leicht, ist auch dadurch nicht leichter geworden, daß inzwischen die Erbschaft sich in glorreicher Weise gemehrt hat, daß der Großstaat, welcher einst durch die Geistesgewalt des Herrschers ergänzen mußte, was an materieller Macht ihm abging, heutzutage auf seinem eigenen Schwergewicht ruht. Die Aufgabe ist eine andre geworden, aber der schwere Ernst der Lage ist nach dem großen Französischen Krieg nicht geringer als nach dem Siebenjährigen. Die Hoffnung unsrer jungen Jahre, daß ein friedliches und freundliches Nebeneinanderstehen der großen Nationen unsrer Kulturwelt sich ausbilden und befestigen werde, diese Jugendhoffnung ist nicht mehr die Hoffnung unsres Alters. Daß wir zum ewigen Frieden gelangen, ist allerdings möglich, aber wie es scheint nur auf demselben Weg, welcher die antike Civilisation schließlich dahin geführt hat. Wenn die gewaltigen Massen, die zur Zeit in bewaffnetem Frieden sich einander gegenüberstehen, in naher oder ferner Zeit gegeneinander losbrechen sollten und, wie es dann nicht unwahrscheinlich ist, eine derselben die übrigen schließlich meistert und diese Meisterung mit voller Unerbittlichkeit ausnutzt, dann allerdings ist Aussicht auf ewigen Frieden, eben wie das Römerreich ihn der älteren Kulturwelt gebracht hat. Denn freilich gibt es für die Krankheit keine sichrere Abhülfe als den Tod. Daß aber dies der Tod sein würde für die Sieger nicht minder wie für die Besiegten, das zeigt die Geschichte der antiken Welt mit schneidender Schärfe. Daß die Kaufleute und die Beamten, welche jenen unerbittlichen Kriegserfolg fruktifizierten, der siegenden Nation angehörten, hat daran nichts geändert, daß die Römer wie die Hellenen und die Phönikier an diesem ewigen Frieden zu Grunde gegangen sind. Wie nahe die heutige Kulturwelt diesem Abgrund stand, als am Anfang unsres Jahrhunderts ein vaterlandsloser General ein solches Weltreich zu begründen versuchte, davon zittert das heilsame Entsetzen noch heute nach in den Gemütern aller Nationen; mit Recht führt die erlösende Katastrophe ihren Namen von dem viel mißbrauchten der Freiheit. Es ist die Aufgabe jeder großen Nation diese letzte Konsequenz abwenden oder wenigstens solange wie möglich hinausschieben zu helfen; und nach ihrer Lage und ihrer gegenwärtigen Macht vor allem die Aufgabe der deutschen. Erschreckend gerüstet dazustehen, nicht um zu schlagen, sondern um zu bändigen ist eine schwere Pflicht, schwer für den Fürsten und schwer für die Nation. Aber wir dürfen es sagen: wir sind es von den Vätern her gewohnt schwere Pflichten zu erfüllen und wir wollen die gute Gewohnheit auf unsre Söhne vererben. Das landläufige Wort, daß Preußen durch die Hohenzollern ist was es ist, ist mehr höfisch als richtig. Es ist wahr, unsre Fürsten, die da waren und sind, sind stets in voller treuer entsagender Pflichterfüllung vorangegangen, und die Knaben in unserm Königsschloß werden, das hoffen wir, ebenso unsern Kindern vorangehen. Aber die Staatsbürger alle haben ihr Teil an dieser Pflicht und auch ihr Teil an dieser Ehre. Unser Gut wird stetig und wer weiß wie bald unser Blut von uns gefordert; daß wir beides geben, versteht sich von selbst, daß wir es freudig geben, das steht bei uns. Möge es oben wie unten einem jeden gelingen seine Pflicht ganz und gern zu tun.