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Der Schmidtrudi war in die Stadt gekommen als sein Vater starb und die Schmidte, der vielen Kinder und der darauf stehenden Schuld halber, verkauft werden mußte. Er mochte nicht auf dem Lande bleiben und am allerwenigsten in dem Dorfe, denn einerseits sagte ihm das Bauernleben nicht zu, anderseits sträubte sich sein Stolz dagegen, als Knecht oder Geselle da zu dienen, wo er als Sohn eines Handwerkers und eines im Grunde geachteten Mannes bisher seine Zeit verbracht. Lieber nach der Stadt gehen! dachte er; dort kenne ihn niemand und habe schon mancher arme Bursche sein Glück gemacht.
Rudolf, das älteste der Geschwister, war ein kräftiger und flinker Bursche, dem man's ansah daß er was leisten könne und auch keineswegs auf den Kopf gefallen sei. Leicht fand er darum einen Dienst und was ihm da als Knecht aufgetragen wurde, ward ihm ebenfalls leicht, fast nur zu leicht, denn da er keiner Anstrengung bedurfte, ward er übermüthig und ließ es am rechten Ernste fehlen. Das Leben in der Stadt, der verhältnißmäßig ordentliche Lohn und das Beispiel Andrer unterstützten seinen ursprünglichen Hang zur Sorglosigkeit und zu ungebundnem Leben. Versäumte er damit einmal auch etwas, er hatte es ja bald wieder eingeholt und wenn er's lustig haben könne, warum sollte er sich's schwer oder eintönig machen? fragte er.
So wendete er seine Kräfte und seinen guten Kopf oft und immer lieber zu Dingen an, die mit dem Arbeiten nicht viel gemein hatten, ja die diesem feindlich waren, indem sie die Zeit und Lust dazu benahmen. »Man lebt nur einmal!« war seine Entschuldigung, wenn der oder jener Uebelstand aus seinem Leichtsinne sich ihm fühlbar machte. »Man lebt nur einmal,« sagte er auch, obwohl etwas kleinlauter wie bisher, als ihm nach wiederholter Warnung sein Meister den Dienst kündete und er sich, nicht gerade mit dem besten Zeugnisse versehen, nach einer neuen Anstellung umsehen mußte. Herren giebt es beinahe soviele als Knechte, auch der Rudolf fand einen Zweiten, obwohl er gestehen mußte, nicht gerade den besten Tausch gemacht zu haben: der Lohn war etwas geringer, die Arbeit schwerer und rauher. Trotz dem faßte er den Entschluß, und zwar ganz aufrichtig, sich in dem neuen Dienste besser zusammen zu nehmen und weniger leichtsinnig zu sein, damit er nicht noch mehr zurückkomme; – denn soviel Einsicht und Ehrlichkeit besaß er, um den rechten Weg vom falschen zu unterscheiden.
In der That gieng es nun eine Weile auch ganz ordentlich: die Neubesenzeit legte er zu völliger Zufriedenheit zurück und auch als er einmal zu straucheln anfieng, raffte er sich bald wieder zusammen, vierzehn volle Tage lang. Von da an aber war es ihm doch fast unmöglich im neuen Geleise zu bleiben, das alte, tiefgefahrne kreuzte es alle Augenblicke. Womit sollte er auch die Abende ausfüllen, an denen er keine Beschäftigung hatte? Zu Hause bleiben, das war zu langweilig, zudem wäre nirgend ein Plätzlein für ihn gewesen, außer in seiner niedrigen finstren Dachkammer, wo er nur die benachbarten Kamine sah und sich kaum zu rühren vermochte. Nach der Arbeit aber hat jeder Mensch gern seine Erholung. Rudolf suchte sie auswärts, da er sie zu Hause nicht fand. Auswärts, und wo war das anders möglich als im Wirthshaus: dort bot sich auch Gesellschaft und Unterhaltung. Freilich nicht auf trocknem Wege, aber einen Schoppen darf man sich ja auch gönnen, neben dem Weine, welchen der Herr verabfolgt! meinte der Knecht, und wenn nicht aus Bedürfniß, doch des Vergnügens halber und wie gesagt, weil er zum Wirthshaus einmal gehörte. Die Unterhaltung war hier öfter eine ganz vortreffliche, bei der Rudolf Alles vergaß, seinen Schoppen in Gedanken gleichsam trank und auf einmal, noch frühe oder doch mitten in der besten Unterhaltung, ein leeres Glas vor sich sah. Ein zweiter Schoppen zeigte sich in diesen Fällen nicht allein am Platze, sondern war dringendes Bedürfniß, vornehmlich wenn in dem Discurse Rudolf eine erste Rolle übernommen, was allmälig immer häufiger geschah. Es gieng selbst bei Gelegenheit über den zweiten Schoppen und über die erlaubte Ausbleibezeit hinaus und die Folge war nicht nur der Casse Rudolfs nachtheilig, sondern auch seiner Stimmung, bald auch seiner Stellung, in Betracht der Vorwürfe und des Verdrusses, welche er sich damit bei seinem Herrn zuzog. Der Gescholtene hatte zwar gerade bei diesen wichtigen Anlässen im Wirthshause gelernt seine Rechte zu vertheidigen, hatten sich doch die Verhandlungen häufig genug um die Ansprüche der Dienenden und die Pflichten der Herrschaften gegen diese gedreht. Das Selbstgefühl trat hier keineswegs gegen die Bescheidenheit zurück, die Ungleichheit der verschiedenen Stände wurde als schreiende Ungerechtigkeit erkannt und dabei die Mittel und Wege erörtert, wie da das Versehen der Vorsehung möglichst gut zu machen sei, durch gesinnungstüchtige Selbständigkeit und Wahrung der Menschenrechte vor Allem, begleitet von gelegentlicher Grobheit. Es ist natürlich, daß, je mehr Fortschritte Rudolf in dieser Schule machte, es um so schlimmer mit seinem Dienstverhältnisse wieder ward, kann sich doch sogar ein Professor nicht in allen Fächern zugleich auszeichnen! – Als weitre Folge hievon aber ergab sich, daß Rudolf mitten in einer Auseinandersetzung mit seinem Herrn über ihre beidseitigen Rechte und Pflichten, von diesem kurzweg den Abschied erhielt, was von seinem Standpunkte wohl schreiendes Unrecht, daneben aber auch eine große Unbequemlichkeit war.
Mit einem zweiten ziemlich kühlen Zeugnisse versehen, blieb ihm nichts übrig, als wieder einen neuen Zwingherrn zu suchen, sonach seinen dritten Dienst.
Rudolf suchte und suchte, es wollte sich nichts ihm Entsprechendes finden lassen. Eine Weile schon war er verdienstlos und sein Bischen Lohn, das ihm bei der Abrechnung noch zugekommen (denn er hatte ziemlich oft und viel davon vorausbezogen), gieng bei diesem Brachliegen noch vollends drauf. Es kam Noth an Mann, die Zeit des Dienstwechsels war schon vorüber, es stand wenig Gutes mehr zu erwarten, jedenfalls war die Wahl keine große mehr. Plötzlich zeigte sich da Etwas: der alte Steinmann hatte seinen Knecht verloren, unerwartet durch Tod, dessen Platz war frei. Der alte Steinmann zwar, der im Großen mit Colonialwaaren handelte und auch daneben einen Kramladen hielt, war als ein schrecklicher Aristokrat und Tyrann verschrieen, und von dem verstorbnen Anton hatte es Niemand begreifen können, daß der fünfzehn Jahre bei ihm ausgehalten. Rudolf sträubte sich darum lange, ehe er sich entschloß, bei dem Alten anzuklopfen, aber als ihm das Wasser der Noth täglich höher und höher an den Mund stieg, mußte er sich doch zu dem Schritte entschließen. Er tröstete sich erst: Dem wolle er's schon sagen was Recht sei! nachher: am Ende sei man ja nicht verheirathet und wenn's fehle, so sei's doch inzwischen ein Unterkommen gewesen!
Herr Steinmann war allerdings ein eigener Kauz, wie sie nicht mehr Dutzendweise umherlaufen. Er kümmerte sich nicht viel um die Leute und um das was Mode oder neuer Brauch verlangten. Von allgemeinen Grundsätzen und Theorien und Systemen wollte er nichts wissen, dafür hatte er seinen sehr entschiednen Willen und traf's mit dem Blicke seiner scharfen hellgrauen Augen auch ohne System meist ziemlich richtig. Kurz und rauh, im Aeussern von stattlicher Gestalt, flößte er mehr Respekt und Scheu ein, als daß er eben anzog, wenn schon in den markigen Zügen etwas verborgen lag, das eher einnahm als abstieß.
Als Rudolf zu dem Alten in das Ladenstübchen trat, sich für den erledigten Dienst zu melden, hatte er beinahe ein Gefühl, wie wenn er in eine Drachenhöhle trete. Herr Steinmann war gerade am Rechnen und als da Rudolf sein Anliegen vorbringen wollte, tönte ihm gleich, ohne daß der Alte ihn nur ansah, ein trocknes, im tiefsten Basse gesprochnes »Geduld!« entgegen, welches dem Eintretenden fast wie ein Prophetenwort in die Ohren und das Herz klang.
Rudolf hatte sonst einen ziemlich kecken Blick, von Hause aus schon und durch das Gefühl seiner Menschenwürde noch verstärkt, dem alten Krämer (wie er ihn nannte) hielt er aber gleichwohl nicht lange Stand. Ja, wie dieser bei dem Examen ihn so recht auf's Korn nahm, verwirrte er sich beinahe, wie sehr auch das Unabhängigkeitsgefühl sich sträuben mochte und den Prüfenden als Zopf, als Filz und Tyrannen recht tief herabzudrücken bemüht war. Auf die Frage des Kaufmanns nach den Dienstzeugnissen, reichte ihm Rudolf diese zwar mit ziemlicher Entschiedenheit dar. Als der Alte nun aber noch die Brille aufsetzte, auf seine ohnedieß scharfen Augen, hielt der Muth wieder nicht Stich und verflog von Augenblick zu Augenblick immer vollständiger, schien jener die, sonst ziemlich kurzen, Schriftstücke doch gar zu buchstabieren. Endlich sagte Steinmann trocken, indem er das Papier dem Besitzer zurückreichte: »Ich gebe sonst nicht viel auf gute Zeugnisse, die aber sind nicht einmal gut.« Was wollte er damit sagen? Rudolf wußte es nicht, er konnte darum auch nicht auf seine frühren Herrschaften schimpfen, wie er es zuerst im Sinne hatte. Dann war von den Bedingungen, dem Dienste und der Hausordnung die Rede. Es gab da wieder nichts zu markten, oder sich vorzubehalten, denn die zehn Gebote in ihren Steintafeln waren nicht bestimmter und unabänderlicher gegeben, als was der alte Kaufherr als seine Ordnung und seinen Willen kundgab. Und doch waren nach Rudolfs innerster Ueberzeugung unwürdige und erniedrigende Bedingungen darunter. Der Knecht durfte z. B. außer und zwischen den festgestellten monatlichen Lohntagen nie einen Batzen auf Abschlag verlangen, wenn schon er ihn bereits verdient. Abends sollte er ferner zu Haufe bleiben, das Ladenstübchen sei gewärmt, da könne er Caffe erlesen oder Tüten kleben, die ihm extra bezahlt würden, oder aber für sich etwas lesen und schreiben bis um halb Neune, wo es Zeit sei zu Bette zu gehen, damit man am Morgen wieder früh genug möge aufstehen. Wünsche er aber einmal Abends ausnahmsweise ausser Haus zu gehen, so müsste gefragt werden; daß es zu oft geschehe, könne nicht sein. Die Aufkündung auf vier Wochen finde gegenseitig nach Belieben statt, nur müsse Rudolf seines Theils dieselbe nach den ersten acht Tagen wiederholen, in dieser Zwischenzeit könne man sich besinnen, wenn ein übereiltes Wort gesprochen worden, was bei jungen Burschen etwa vorkomme.
Solches und noch Weitres mußte Rudolf sich gefallen lassen, denn wie tyrannisch auch und entehrend er es fand, die Verlegenheit war zu nöthigend, daneben die Löhnung eine anständige, so daß er knirschend einwilligte, für einstweilen! – wie er sich in seinem Innern tröstete. Er schwieg und hatte nicht einmal Luft, von seinen Menschenrechten diesem Manne gegenüber zu reden; fühlte er doch, es wäre da jedes Wort nur Verschwendung; der Sinn dafür fehle ja ganz!
Rudolf trat somit seinen neuen Dienst an, nahm sich zusammen und ließ sich ohne ein Wort der Widerrede Alles gefallen, aus nacktem Trutze, denn er hätte dem alten Aristokraten nicht den Gefallen gethan, daß der etwas zu brummen gefunden wider ihn. Das Gleiche hatte er zwar bei seinem vorigen Herrn auch so gethan, nur hatte der Trutz Alles recht zu machen dort nicht sehr lange angedauert, der alte Leichtsinn hatte ihn bald wieder verdrängt. Hier aber schien es anders gehn zu wollen, der Trotz hielt an, ob nun die strenge Hausordnung und der Mangel an Gelegenheit zum Ausarten dran Schuld war, oder die Person des Herrn, welche den Trotz wach erhielt, selbst als ein guter Theil davon unmerklich in Etwas übergegangen war, das fast eher wie Respekt aussah. Denn in der That, bei aller Strenge und Genauigkeit im Dienste, bei aller Eigenmächtigkeit und Starrheit des alten Kaufherrn, Rudolf fand Dienst und Herrschaft besser, als er anfangs nur zu hoffen gewagt; konnte der Brummbär doch nebenzu sogar freundlich und gemüthlich sein, sobald man ihm nur seinen Willen that. Eine Art Wohlwollen guckte ihm nicht allein aus den hellen Augen, in der That auch zeigte sich bei mehr als einem Anlasse ein solches unverkennbar, war es in einer Erleichterung, einer Vergünstigung, einer Zulage oder sonst einer Rücksicht. Nur das konnte Rudolf seinem Herrn nicht verzeihen, daß ihn der fast immer wie ein Kind, wenigstens wie einen halb ausgewachsnen Knaben, behandelte und gerade dann am meisten, wo Rudolf das Bewußtsein hatte, seine Menschenwürde und Selbständigkeit am besten gewahrt zu haben. Aber da begegnete er richtig immer einem spöttischen Lächeln, einem halb mitleidigen Achselzucken, das ein Wort der Erwiederung nicht der Mühe werth hielt, oder einem Ausdrucke (wenn der Alte gar guter Laune war), der nichts weniger als wie ein Lob auf den an Tag gelegten Charakter klang. Wie sehr Rudolf sich einerseits hierüber ärgerte, es lag anderseits wieder eine solche Eigenthümlichkeit darin, daß er sich daran gewöhnte, mit dem alten Kauze eine Ausnahme machte und sich's schließlich mit immer weniger Unwillen gefallen ließ.
Ueber ein halbes Jahr gieng es so leidlich ohne besondre Zwischenfälle. Rudolf war in der Zeit seinen wunderlichen Herrn mehr gewohnt geworden und im Dienste überhaupt erwarmt. Der Hafer begann ihn zu stechen. Wofür er eigentlich lebe? fragte er, als er ein Häuflein Geld beisammen hatte und sich erinnerte, wie selten er sich in der verflossnen Zeit lustig machen können, denn daß er zufrieden und im Grunde auch behaglich gelebt, brachte er nicht in Anschlag. Er werde dem Alten wohl einmal die Ehre anthun müssen! – entschloß er sich und ein paar Tage nachher hielt er richtig um einen freien Abend an: ein Freund von ihm sei in der Stadt angekommen, morgen verreise er wieder. Die Anfrage kostete einige Ueberwindung und etwelches Herzklopfen, von der Nothlüge ganz abgesehen. Wider Erwarten aber lautete der Bescheid sehr günstig. Er habe nichts dagegen, sagte Herr Steinmann, wenn Rudolf einen Abend die Woche ausgehe, und Seinesgleichen sehe; am liebsten freilich wär's ihm, wenn er den Abendsaal für Handwerker und Dienstleute besuchte, der in der Stadt eröffnet sei und wo sich Belehrung und anständige Unterhaltung beisammen fänden; indeß er wolle nichts vorschreiben!
Rudolf erwiederte nichts hierauf, er nahm nur den zugestandnen Abend in Beschlag, mit der Abendschule hatte es gute Ruhe: der Schule sei er Gottlob entwachsen, dachte er, und er wisse wohl, wie es in solchen Anstalten zugehe, sie seien im Interesse der Herren eingerichtet, die Arbeiter zahm und in der Gewalt zu erhalten und sie zu verhindern, ihr Wohl nach ihrem eignen Sinne zu besorgen und zu besprechen. Der Kaufmann fragte auch nicht weiter nach der Abendschule und so blieb's dabei. Rudolf besuchte seine alten Freunde in der Schenke und rettete so sein Selbstbewußtsein und seine Freiheit, das heißt, er ließ sich von den ehemaligen Leithämmeln wieder in's Schlepptau nehmen und trat von Neuem in die sumpfigen Fußstapfen, denen er nur durch die Noth und den äußern Zwang enthoben worden.
Es blieb auch nicht bei dem einen Abende. Alle sieben Tage war ein Sonntag, den Rudolf in der Regel frei hatte. Die Eisenbahn führte ihn da leicht und schnell überall hin an die umliegenden Vergnügungsorte in Extrazügen und zu ermäßigten Taxen, stets aber gegen Baargeld. Erholung, das heißt Zerstreuung, ward ihm immer mehr zum Bedürfnis: Wer sechs Tage sich geschunden, der dürfe am Sonntag sich wohl was gönnen! räsonierte er wieder. Und neben dem freien Abend in der Woche und dem Sonntage wußte er bald noch mehr als eine Stunde zu erübrigen, auch den Herrn heimlich drum zu beluchsen, sei's wann ihn der an einer Arbeit wähnte oder aus dem Hause mit einem Auftrage gesandt hatte. Rudolf erhielt seinen ordentlichen Lohn; bei seinem frühern eingezognen Leben hatte er auch etwas auf die Seite legen können, obschon er in der Anschaffung von Wäsche und Kleidern allerhand nachzuholen gehabt. Sein Herr, der das gemerkt, hatte ihn nun einmal beim Auszahlen gefragt, was er mit dem Gelde anfange; ob er nicht in die Ersparnißkasse lege? Rudolf dachte: das sei sein Geld, er könne damit machen was er wolle, es gehe niemand was an, am wenigsten den Herrn; Geld an Zins sei wohl schön und bequem, aber die paar Franken, die er einlegen könnte, trügen doch nichts ab, da lohne es sich nicht der Mühe; – als wenn Jeder tausend Franken zu einem ordentlichen Anfang in der Hand hätte, der die Sparkasse benützt.
Nun brauchte er sich freilich nicht zu besinnen, was er mit seiner Ersparniß anfangen wolle. Die Schoppen die er trank summierten sich zu Maaßen, und wenn er Sonntags auf der Eisenbahn wie ein Herr fuhr, – es giebt viele Stationen unterwegs, wo Wirthshäuser sind, – so wollte er auch wie ein Herr leben und da genügte ein Schöpplein nicht mehr, auch der mit dem Eisenbahnfahren gewonnenen Zeit wegen nicht; ein zweiter Schoppen und etwas Kaltes dazu waren beinah unvermeidlich. Ebenso kosteten nun die feinren Herrenkleider, welche Rudolf zu dem Herrenleben nothwendig anschaffen mußte und die ihm in der That ganz wohl anstanden, ein Beträchtliches mehr, als die frühre einfache Gewandung. Diese Ausgaben alle summierten sich gleichfalls; Summa Summarum, es gieng damit der regelmäßige Verdienst regelmäßig drauf und allmälig das von früher zur Seite Gebrachte ebenso, Rudolf wußte selbst nicht wie, er mußte sich sehr darüber wundern. Er habe halt zu wenig Lohn! machte er bei sich aus und das nährte seine Unzufriedenheit gegen die Herrschaft, die allein daran Schuld sei, noch mehr. Ja, wenn der Durst einmal so recht im Mißverhältnis stand zu dem Geldvorrath, wenn unvermuthet eine Gelegenheit eintrat, im ungünstigen Augenblick, so geschah es, daß Rudolf beim Wirth oder einem guten Freunde Schulden machte, keine wichtigen natürlich, aber es waren doch Schulden und es geschah immer häufiger und ohne viel Besinnen. Denn um alles Geld nicht hätte er dem alten Filze, seinem Herrn, die Ehre angethan, vor dem Monatsende von seinem Lohn auf Abschlag zu verlangen, auch nicht wenn es dieser nicht beim Dingen ganz bestimmt sich verbeten gehabt hätte.
Daß man sich indeß für nichts verschwören darf, erfuhr auch Rudolf, nicht auf die erfreulichste, aber jedenfalls auf sehr eindringliche Weise. Es hatte eine arge Schlägerei gegeben; ob bei einer Auseinandersetzung oder Vertheidigung der Menschenwürde? – Rudolf behauptete unschuldig dazu gekommen zu sein, wenn wohl auch nicht davon; jedenfalls war's im Wirthshaus gewesen. Einer der Streitenden hatte Verletzungen davon getragen, die ihn längre Zeit für die Arbeit unfähig, machten; es war vielleicht auch der Unrechte gewesen, der getroffen worden; kurz, der Mißhandelte drohte mit einer gerichtlichen Klage und da die Arbeitsunfähigkeit über eine bestimmte Zeit gedauert, stand eine ziemlich scharfe Bestrafung durch Einkerkerung in Aussicht. Dem mußte womöglich vorgebeugt werden und der Wirth machte zwischen den beiden Parteien den Vermittler, hatte er doch auch den Wein dazu hergegeben, der die Köpfe so erhitzt. Der Geschlagne ließ sich endlich durch ein tüchtiges Schmerzengeld geschweigen und versprach von der Klage abzustehen, aber es müsse sofort gezahlt werden. Ob Rudolf doppelt so viel oder doppelt so schwere Schläge ausgetheilt? er mußte wenigstens den größren Theil der Entschädigung übernehmen. Und das traf ihn im schlimmsten Momente; schon die Rechnung des Wirthes für Getränk und zerbrochnes Glaswerk hatte seine Baarschaft auf die Neige gebracht. Vergebens suchte er den unerwarteten Gläubiger auf den nächsten Monatsschluß zu vertrösten und schwur, daß, es ihm jetzt nicht möglich sei zu zahlen. Dieser nahm keine Vernunft an. Bürgschaft wollte für Rudolf auch niemand leisten, da er als Schuldenmacher keinen sonderlichen Credit hatte. Gleichzahlen oder vor Gericht genommen werden, mit der Aussicht auf Gefangenschaft, das blieb die einzige Wahl und innert zehn Stunden mußte entschieden werden. Es blieb halt doch nichts anders übrig als bei dem alten Tyrannen, dem Steinmann die Hülfe zu suchen, allerdings ein saurer Schritt; aber jeder seiner Freunde, an den sich Rudolf wandte, wies ihn an diesen: er brauche sich nicht zu bedenken, er könnts da wieder abverdienen und am Ende sei's ja sein Geld das er erhalte!
So unbefangen als möglich, im Innern aber mit schlotterndem Herzen, trat denn endlich der Knecht vor seinen Herrn und bat, ihm ausnahmsweise den laufenden und den künftigen Monatslohn vorzustrecken: es habe ihn ein guter Freund, dem er's nicht abschlagen könne, von wegen frühren Verbindlichkeiten, darum angesprochen!
Der Kaufherr rutschte die Brille von der Nase an die Stirn hinauf und sah Rudolf an ohne ein Wort zu sagen, lange, lange; eine halbe Ewigkeit däuchte es diesen und aus allen Falten des runzligen Gesichtes schienen verdächtige Nebel aufzusteigen. Endlich sprach er gelassen: »Du weißt was ich bei deinem Diensteintritt ausbedungen und auch was ich dir inzwischen angerathen. Du bist deinem Kopfe gefolgt und steckst nun in der Verlegenheit; ich will dir was sagen, das gilt, merke dir's: für dießmal geb' ich dir das Geld, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß du von nun ab den Drittel deines Lohnes in die Ersparnißkasse einlegst, nicht um wieder Schmerzengeld zu zahlen (es schien hier das Auge des Kaufherrn einen Blitz zu schießen), aber damit du deine Mutter, wenn sie dich um Beisteuer an den Hauszins angeht, nicht wieder mit leeren Händen fortzuschicken brauchst, wie letzthin im Höflein hinten!«
Rudolf stand bei dieser Rede nicht nur wie Butter in der Sonne, sondern es schien ihm, am jüngsten Gericht müsse Einem so zu Muthe sein, wenn da die geheimsten Sünden an's Tageslicht gezogen würden. Im Gefühle seiner Schuld wußte er nichts bessres zu thun als daß er versuchte aufzubegehren, daß er von seiner Unschuld sprach und wie er zu wenig Lohn habe, da hier in der Stadt Alles so theuer, und Andre auch, und ohne so viel Wesens, den Lohn zum Voraus zögen; wie er aber noch gar in die Sparkasse einlegen könne, das sehe er vollends nicht ein, er lasse sich nicht zwingen, er sei kein Kind mehr, es könne Jedem einmal ein Ungefäll zustoßen, der Mutter aber habe er schon mehr als einmal geholfen!
So gieng's durcheinander bis der Kaufherr endlich aufstand und dem Rudolf fast um die Hälfte größer schien als gewöhnlich, so daß er unwillkürlich verstummte. Um so kräftiger fieng dafür der Alte an und kanzelte den aufbegehrerischen Knecht herunter, indem er ihm sein Sündenregister vorhielt, daß dem Hören und Sehen vergieng. »Freilich bist du kein Kind,« – sagte er, – »denn ein Kind nimmt wohlgemeinten Rath an und läßt sich noch leiten zum Guten. Du aber bist viel zu dumm, folgst lieber deiner eignen Unvernunft und wo ein böser Bube dir was Ueberzwerches vorschwatzt, nimmst du's auf als Prophetenbeere und rennst blind in den Sumpf, auch wenn du den Kopf an die Ecken und Wände anstößest, daß dir schwarz vor den Augen wird. Du bildest dir auf deine Beulen gar noch was ein. Anfangs warst du auf dem guten Wege und konntest es zu was bringen, aber du willst lieber ein Lump werden und zum *** gehen; das ist doppelt dumm. Sieh, ich will dich in's rechte Geleise bringen, weil du mich dauerst und gar zu einfältig bist; will's thun wider deinen Willen und deiner Unvernunft und der fremden Verführung zum Trutz!«
Rudolf brannte da auf: so lasse er sich nicht kommen, lieber künde er, es gebe noch andre Dienste, niemand habe ihm dergleichen je gesagt!
»So sag' ich dir's;« – unterbrach ihn der Kaufmann und fügte ruhig aber fest hinzu: »Ich glaube wohl daß dir's nicht schmeckt, auch kannst du machen, was du willst, gehn oder bleiben, soweit bist du dein eigner Herr!«
Und als der Gescholtne wieder von Neuem beginnen wollte, fügte er bei: »Jetzt geh! ich will nichts mehr hören; willst du aus meinem Dienste treten, so kannst du mir's nach Abrede in acht Tagen wieder sagen, bis dahin hast du Zeit dich zu besinnen!«